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    6. Bastian.\n: 1
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    Plenarprotokoll 10/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dallmeyer . . . . 55 A Eintritt des Abg. Saurin in den Deutschen Bundestag 55 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Franke (Hannover) 55 C Begrüßung des Ministerpräsidenten von Spanien, Herrn Felipe González-Márques, seiner Gattin und der Mitglieder seiner Delegation 55 C Wahl der Schriftführer — Drucksache 10/44 — 55 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 56 A Dr. Vogel SPD 74 D Dr. Waigel CDU/CSU 93 A Genscher, Bundesminister AA 104 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 112 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 117C Rühe CDU/CSU 124 B Frau Kelly GRÜNE 128 D Schäfer (Mainz) FDP 131 B Voigt (Frankfurt) SPD 133 B Bastian GRÜNE 135C Klein (München) CDU/CSU 138 B Büchler (Hof) SPD 139 B Lintner CDU/CSU 141 B Schneider (Berlin) GRÜNE 143A Ronneburger FDP 144A Präsident Dr. Barzel 71 C Nächste Sitzung 145 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 146*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 146* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 55 4. Sitzung Bonn, den 4. Mai 1983 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders* 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann* 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich* 5. 5. Frau Pack* 4. 5. Rösch* 4. 5. Schröer (Mülheim) 4. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Duren) 5. 5. Dr. Vohrer* 4. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß die Regierungen der Länder folgende Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) bestellt haben: Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Mitglied Ministerpräsident Späth Staatsminister Schmidhuber Senator Prof. Dr. Scholz Senator Dr.-Ing. Czichon Senatorin Maring Ministerpräsident Börner Ministerpräsident Dr. Albrecht Minister Dr. Posser Staatsminister Gaddum Frau Minister Dr. Scheurlen Ministerpräsident Dr. Dr. Barschel Vertreter Frau Minister Griesinger Staatssekretär Dr. Vorndran Senator Oxfort Senator Kahrs Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi Frau Staatsminister Dr. Rüdiger Minister Hasselmann Minister Dr. Haak Ministerpräsident Dr. Vogel Minister Prof. Dr. Becker Minister Dr. Schwarz Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 20. April 1983 mitgeteilt, daß sie die Änderungsanträge auf Drucksachen 10/11 und 10/12 zurückzieht. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 14. April 1983 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Anlagenband und Stellenplan für das Geschäftsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Karsten D. Voigt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat nach meiner Meinung zumindest schon eines gezeigt, nämlich daß es ganz sinnvoll sein kann, wenn die GRÜNEN oder einige von ihnen das erste Mal in voller Realität erfahren, was CDU/CSU bedeutet. Sie werden die nächsten Jahre das Vergnügen haben, das weiter erfahren zu können. Es kann auch ganz sinnvoll sein, wenn offensichtlich große Teile der CDU/CSU das erste Mai in vollem Umfang wahrnehmen, was grüne Politik bedeutet.

    (Seiters [CDU/CSU]: Ihre Kollegen sind ja schon verschwunden!)

    Ich bitte Sie darum, auch wenn Sie mit dem, was die GRÜNEN sagen, nicht einverstanden sind, doch mit etwas größerer Toleranz und Aufmerksamkeit als bisher zu reagieren.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Bundeskanzler Schmidt ist es durch seine Politik gelungen, die beiden nuklearen Weltmächte in Genf an den Verhandlungstisch zu bringen. Wir werden die Bundesregierung daran messen, was sie tut, damit es in Genf zu einem Verhandlungsergebnis kommt, und zwar zu einem Ergebnis, das als Konsequenz einer drastischen sowjetischen Reduzierung die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen überflüssig macht. Es geht nicht um vorweggenommene Schuldzuweisungen, wohl aber um eine klare und eindeutige Zuordnung von politischer Verantwortung. Es wird nur dann zur Stationierung dieser neuen amerikanischen Mittelstrekkenwaffen kommen, wenn Politiker versagt haben. Diese Feststellung ist Ausdruck der Erkenntnis, daß in Genf ausgewogene Kompromisse, die eine Stationierung überflüssig machen, objektiv denkbar wären.
    Um es umgekehrt zu formulieren: Wenn es nicht zu einem Ergebnis oder nicht zu diesem Ergebnis kommt, dann ist es nicht die Verantwortung von katholischen oder evangelischen Bischöfen, auch nicht die Verantwortung der Friedensbewegung, sondern dann ist es jenen Politikern in Ost und West anzulasten, die in ihrer Regierungsverantwortung den Verlauf und die Ergebnisse der Genfer Verhandlungen positiv hätten beeinflussen können und dies nicht genügend getan haben.

    (Zuruf des Abg. Rühe [CDU/CSU])

    Nach meiner Meinung haben sie bisher sowohl in Ost als auch in West die Verhandlungen nicht mit ausreichender Kompromißbereitschaft geführt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Der politische Schaden, der durch ein Scheitern der Genfer Verhandlungen entstünde, kann nicht durch Polizisten behoben werden. Dies kann auch nicht die Aufgabe der Polizei sein. Im Interesse von uns allen ist es dann — auch das ist die Aufgabe der Polizei —, das Recht auf friedliche Demonstration zu schützen, die Einhaltung der Rechtsordnung mit angemessenen Mitteln zu gewährleisten und eine Eskalation der Gewalttätigkeit soweit wie möglich zu verhindern.

    (Zuruf des Abg. Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU])

    Bei dieser Aufgabe verdient sie die Unterstützung aller demokratischen Politiker.
    Sprecher der Friedensbewegung haben immer wieder unterstrichen und betont, daß sie am friedlichen Verlauf ihrer Kundgebungen und Demonstrationen interessiert sind. Die pauschale Diffamierung der Friedensbewegung durch Politiker vor allen Dingen der Regierungskoalition, insbesondere solcher aus dem Innenministerium — wenn ich einmal den Kollegen Spranger namentlich hervorheben darf, ohne ihn besonders lobend erwähnen zu wollen —, lösen bei der Friedensbewegung zu Recht Empörung aus. Diese Empörung droht von einer wachsenden Verbitterung über solche Politiker und die Institutionen, die sie repräsentieren, begleitet zu werden.
    Verbitterung könnte Gewalttätigkeit provozieren. Wer dafür nicht mitverantwortlich werden will, muß deshalb die Friedensbewegung gegen ungerechtfertigte Diffamierungen in Schutz nehmen. Das werden wir Sozialdemokraten auch tun.
    Die geplante Änderungen des Demonstrationsrechts sind ebenso falsch wie die faktische Ein-



    Voigt (Frankfurt)

    schränkung des Demonstrationsrechts in BadenWürttemberg durch die Einführung einer Gebührenordnung. Sie sind in ihren bereits heute absehbaren politischen Wirkungen verhängnisvoll. Diese Einschränkungen des Demonstrationsrechts wirken nicht friedensstiftend. Im Gegenteil: Sie tragen zur Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte bei. Sie können zur Ursache von Gewalttätigkeit werden, obwohl sie formal mit der Absicht begründet werden, Gewalttätigkeit zu blockieren.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Sie stiften Unfrieden. Sie sind Ausdruck des Unverständnisses und des Mißtrauens der Koalitionsparteien gegenüber der Friedensbewegung und kritischen Bürgern überhaupt.
    Wenn Bundeskanzler Kohl in seiner durchaus nicht sehr kurzen, sondern sehr langen Regierungserklärung das Wort Friedensbewegung nicht ein einziges Mal und den Begriff Friedensforschung ebenfalls nicht erwähnt — und erst recht natürlich beide nicht unterstützt —, dann kann das nur mit tiefer Sorge hinsichtlich des Geistes erfüllen, der in den Köpfen solcher Politiker beherbergt ist, die Konzeptionen der Regierungen entwerfen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die Bundesregierung fordert die rationale Diskussion über die Sicherheitspolitik. Aber sie fördert sie nicht. Sie fördert sie dann nicht, wenn Mitglieder der Bundesregierung Vertreter alternativer sicherheitspolitischer Konzeptionen als bewußte oder unbewußte Helfershelfer sowjetischer Machtpolitik verdächtigen. In der Kritik aus der Friedensbewegung an der heute gültigen Sicherheitspolitik, die übrigens in manchen Punkten auch von Angehörigen der Bundeswehr geteilt wird, äußert sich ein persönliches Leiden an der Wirklichkeit, das unseren Respekt verdient, auch wenn wir nicht in allen Punkten und Konsequenzen übereinstimmen. Diesen Respekt sollte auch die Bundesregierung ausdrücken. Dieses Leiden an der Wirklichkeit entsteht aus dem Bewußtsein eines wachsenden Widerspruchs zwischen Abrüstungsstreben und Abrüstungsdeklarationen einerseits und der Realität der wachsenden Aufrüstung andererseits. Die Erfahrung, daß die bisherige Politik unfähig war, diesen Widerspruch zu verringern oder gar aufzuheben, verstärkt den Legitimationsverlust traditioneller Friedens- und Sicherheitspolitik.
    Diese Kritik sollte von Vertretern der Bundesregierung und Regierungskoalition nicht als Flucht aus der Wirklichkeit pauschal zurückgewiesen werden. Sie verdient es, als Ausdruck des Leidens an der Wirklichkeit und als Ausdruck einer auch für mich nachvollziehbaren Einsicht in die Unzulänglichkeit der bisherigen Ergebnisse rüstungskontrolipolitischer Verhandlungen ernst genommen zu werden. Allerdings: Obwohl die Ergebnisse von Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen bisher unbefriedigend waren, gibt es bislang keinen besseren und erfolgversprechenderen Weg zur Abrüstung als den Weg des wechselseitigen Interessenausgleichs, den Weg der Verhandlungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die SPD bleibt die Partei der Verhandlungen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Kritiker der bisherigen Rüstungskontrollpolitik keine erfolgversprechenderen, aussichtsreicheren Konzeptionen vorgelegt haben, werden wir auf diesem Konzept beharren und im Sinne dieses Konzeptes drängen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer in der Friedensbewegung überzeugen will, muß durch die Glaubwürdigkeit seiner friedens-
    und abrüstungspolitischen Ziele und Praxis überzeugen können. Wer den Irrationalismus alternativer sicherheitspolitischer Vorstellungen beklagt, muß in der Lage sein, die Rationalität seiner Sicherheitspolitik glaubwürdig zu begründen, oder er muß bereit sein, seine bisherige Sicherheitspolitik neu zu überdenken.
    Solange im Bündnis nicht über eine neue Strategie entschieden worden ist, gilt die bisherige.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

    Aber wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß es Anlaß und Ursachen gibt, die bisherige Militärstrategie des westlichen Bündnisses zu überdenken. Aber wo sind die bisherigen Beiträge der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Strategie des westlichen Bündnisses? Auch hier hat Bundeskanzler Helmut Schmidt — auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt — allein mehr zur Strategiedebatte beigetragen als alle Mitglieder der neuen Bundesregierung zusammengenommen.
    Die SPD wird sich insgesamt mit konstruktiven Vorschlägen an dieser Strategiedebatte beteiligen. Einige unserer Überlegungen sind z. B., daß jetzt einseitig die Zahl der nuklearen Gefechtsfeldwaffen verringert werden kann, daß langfristig die Rolle der nuklearen Gefechtsfeldwaffen völlig neu überdacht werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch unser Vorschlag einer positiven Diskussion über den Palme-Vorschlag zu sehen. Nach unserer Auffassung ist die Rolle der chemischen Waffen neu zu überdenken, nicht im Sinne des Rogers-Plans betreffend eine Einbettung in die Doktrin der flexiblen Antwort der NATO, sondern im Sinne der Möglichkeit, chemische Waffen vom Territorium der Bundesrepublik auch einseitig abzuziehen.
    Was Horst Ehmke angedeutet hat, ist eigentlich weitgehend bereits auch Konsens in der SPD-Fraktion, nämlich daß man bisherige nukleare Waffen, die zur Abriegelung z. B. von Truppenzuführungen im Hinterland eines potentiellen Gegners gedacht sind, auf längere Sicht durch konventionelle Waffen ersetzen kann. Das bedeutet, daß die militärische Funktion zumindest der Pershing 2, aber auch der Cruise Missile neu überdacht und hinterfragt werden muß.
    Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang auch vor einer Militarisierung in unserem Reden und Denken warnen. Die mit dem Ost-West-Konflikt verbundenen militärischen Risiken können nicht dadurch überwunden werden, daß man sich vorrangig oder ausschließlich auf die Diskussion alternativer verteidigungspolitischer Konzeptionen und neuer Militärstrategien fixiert. Wer in der Sowjetunion nur das Reich des Bösen zu sehen im-



    Voigt (Frankfurt)

    stande ist, wird zu einer westlichen Strategie gegenüber der Sowjetunion kaum Konstruktives beitragen können.
    Wir brauchen keine neuen Religionskriege, sonder eine aktive Friedens- und Verständigungspolitik. Wir brauchen einen neuen „Westfälischen Frieden" ohne vorangegangene Religionskriege.
    Die Vorstellung konservativer Sicherheitspolitiker, daß zusätzliche Waffenbeschaffungen mehr oder weniger automatisch auch einen zusätzlichen Gewinn an eigener Sicherheit bewirken, wird zu Recht von großen Teilen der Bürger nicht mehr ohne weiteres vollzogen. Zu Recht warnen Bischöfe und Wissenschaftler ebenso wie die Friedensbewegung vor den Risiken des anhaltenden Wettrüstens und der Rüstungsdynamik.
    Ich möchte nachdrücklich der Auffassung des von mir sonst — auch wenn er häufig eine andere Meinung hat — sehr geschätzten Staatsministers im Auswärtigen Amt, Mertes, widersprechen, der im Ost-West-Konflikt zur Zeit das Risiko der Erpreßbarkeit und Einschüchterung durch die Sowjetunion gefährlicher einschätzt als die Gefahren, die — so wörtlich — „durch ungelöste politische Streitfragen, durch ungehemmte Weiterverbreitung und Weitervermehrung von Kernwaffen, durch technische und psychologische Kalkulationsfehler, kurzum durch menschliches Versagen ohne Angriffsabsicht" entstehen könnten.
    Kollege Mertes wendet sich auch gegen den Begriff und das Konzept einer Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West. Wir halten daran fest. Wir tun das deshalb, weil in dem Begriff angedeutet ist, worum es geht. Es geht tatsächlich um einen anderen Umgang mit einem potentiellen militärischen Gegner und mit einem ideologischen Kontrahenten. Wer zu diesem anderen Umgang mit der Sowjetunion im Zeitalter der Nuklearwaffen nicht bereit ist, wird, auf Dauer gesehen, nicht Abrüstung bewirken und nicht Frieden sichern können. Aus diesem Grunde — nicht nur wegen des Begriffs, sondern wegen der Sache — halten wir an diesem Konzept fest.
    Zuletzt lassen Sie mich hier wiederholen, was wir während des Wahlkampfs und auch schon in der Schlußphase der sozialliberalen Koalition gesagt haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird im neuen Bundestag eine parlamentarische Initiative mit dem Ziel einbringen, die Bundesregierung aufzufordern, die für eine eventuelle Stationierung von Pershing 2-Raketen, Cruise Missiles, Marschflugkörpern vorgesehenen Orte öffentlich bekanntzugeben. Wir fordern auch die Offenlegung der bisher geheimgehaltenen Lagerungsstätten für chemische Waffen. Die bisherige Praxis der Geheimhaltung ist militärisch nicht erforderlich und politisch falsch. Mehr Öffentlichkeit und Durchschaubarkeit militärischer Planung und Entscheidung können zum Abbau von Mißtrauen und zur Versachlichung der sicherheitspolitischen Diskussion in der Bevölkerung beitragen. Dieses Vertrauen ist erforderlich. Dafür muß man praktisch etwas tun.
    Zuallerletzt: Mir ist bei Bundesaußenminister Genscher etwas aufgefallen. Er hat früher in Debatten für die Zukunft Jahre der Abrüstung angekündigt. Jetzt spricht er von Jahren der Entscheidung und den Jahren der Krise.

    (Zuruf des Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU])

    Bedeutet es, daß er die Hoffnung auf Abrüstung preisgegeben hat und daß er uns zu Entscheidungen bewegen will, die Aufrüstung bedeuten? Dann würde er auf unseren Widerspruch stoßen. Denn eine Automatik solcher Entscheidungen werden wir nicht unterstützen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Bastian.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Kann er wieder gehen?)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gert Bastian


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Sie können mich ja tragen, wenn Sie wollen. Ich habe nichts dagegen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung, über die wir heute hier sprechen, kommt in ihren sicherheitspolitischen Aussagen, zu denen ich mich leider nur kurz äußern kann, eher einer Bankrotterklärung gleich.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Würzbach [CDU/CSU]: Billige Leerformel!)

    Daran ändert auch der Versuch eines etwas unbeholfen wirkenden Taktikunterrichts durch den Kollegen Rühe, der nachgeschoben wurde, wenig.

    (Zuruf des Abg. Rühe [CDU/CSU])

    Einer Bankrotterklärung nämlich, weil der Bundeskanzler leider nur die sattsam bekannten Täuschungsformeln wie sogenannte Nachrüstung, sogenannter Doppelbeschluß, sogenannte NullLösung — —

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Sogenannter Bastian! — Heiterkeit bei der CDU/ CSU)

    — Ja, ich weiß Ihre geistreichen Äußerungen schon zu bewundern. Sie brauchen sie nicht immer wieder unter Beweis zu stellen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Er heißt ja auch Jonny!)

    Es ist in dem, was vorhin gesagt wurde, schon deutlich genug geworden.
    Der Bundeskanzler hat sich leider darauf beschränkt, die sattsam bekannten Täuschungsformeln zu wiederholen, mit denen der Weg in die sicherheitspolitische Sackgasse unserer Tage gepflastert ist, statt auch nur einen einzigen neuen und konstruktiven Gedanken zu äußern, aus dem erkennbar geworden wäre, welchen Beitrag die Bundesregierung zur Überwindung der Stagnation und zur Dämpfung der wiederbeginnenden Konfrontation im Ost-West-Verhältnis zu leisten ge-



    Bastian
    denkt und wie sie sich die überfällige Ablösung der unseligen Teilung unseres Kontinents in zwei waffenstarrende Militärblöcke durch eine tragfähigere europäische Friedensordnung überhaupt vorstellt. Aussagen dazu sind jedoch vom Regierungschef eines Landes zu fordern, dessen historisches Erbe es allen Deutschen zur besonderen Pflicht macht, nun endlich Wege aus der Europa belastenden Hinterlassenschaft des 2. Weltkriegs zu suchen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Solche Aussagen hätten dem Kanzler deshalb besser zu Gesicht gestanden als die nebelhaft pathetischen, aber angesichts der gleichzeitig geschaffenen Tatsachen unglaubhaften Bekundungen einer angeblichen Abrüstungs- und Entspannungsbereitschaft. Wie soll es denn auch zusammenpassen, wenn der Bundeskanzler einerseits versichert, Frieden mit immer weniger Waffen schaffen zu wollen, und andererseits die bevorstehende Aufrüstung unseres Landes zur Abschußrampe neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen ohne jede einschränkende Bedingung gutheißt?

    (Beifall bei den GRÜNEN — Rühe [CDU/ CSU]: Was?)

    Der Bundeskanzler weiß doch ganz genau — und wenn er es nicht weiß, kann er es sich von seinem Verteidigungsminister sicher sagen lassen —,

    (Berger [CDU/CSU]: Jawohl, Herr General! — Bohl [CDU/CSU]: Zack-zack!)

    daß aus seiner Versicherung nichts werden kann, solange er jenen Konfrontationskurs beflissen unterstützt, den die Vereinigten Staaten leider eingeschlagen haben und den viele ungeschminkte Erklärungen des amerikanischen Präsidenten und seiner Berater, die ja zur Verfügung stehen und die Sie sicher auch kennen, auch wenn Sie sie nicht wahrhaben wollen, ebenso belegen wie die veränderten nuklearstrategischen Zielsetzungen und die Produktion dazu passender strategischer und eurostrategischer Nuklearwaffen mit eindeutig offensiver Zweckbestimmung.

    (Berger [CDU/CSU]: Davon hat schon der Sanitätsrat Neumann nichts verstanden! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, wirklich an einem Frieden mit weniger Waffen interessiert wären, wie Sie es versichern, dann hätten Sie bei Ihren Besuchen in Washington und in Ihrer Regierungserklärung den amerikanischen Vorstellungen vom fährbaren, gewinnbaren Atomkrieg, vom Krieg im Weltraum und vom Totrüsten der Sowjetunion im Interesse unseres Kontinents energisch widersprechen müssen,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    anstatt servil die deutsch-amerikanische Übereinstimmung zu beschwören, weil die amerikanischen Intentionen die Ablösung der westlichen Kriegsverhinderungsstrategie durch ein frivoles Kriegführungsdenken markieren und damit die Geschäftsgrundlage der NATO als Verteidigungsbündnis auflösen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Und natürlich hätten Sie, Herr Bundeskanzler, auch bei Frau Thatcher und Präsident Mitterrand nachdrücklich gegen die abenteuerliche Aufstokkung der britischen und französischen Mittelstrekkenwaffen protestieren müssen, die das Wettrüsten weitertreibt und kaum geeignet ist, von den Sowjets als Anreiz zur Verminderung ihrer SS-20-Mittelstreckenraketen empfunden zu werden, weil j a allein schon die europäischen Nuklearmächte Großbritannien und Frankreich nach Abschluß dieser Aufrüstungsprogramme über weit mehr eurostrategische Nuklearwaffen verfügen werden, als von der Sowjetunion gegenüber Westeuropa in Stellung gebracht sind, was Sie und Ihre Minister der deutschen Öffentlichkeit leider verschweigen.

    (Bohl [CDU/CSU]: Jawoll, Herr General!)

    Doch auch von einem solchen Protest war nichts zu hören. Im Gegenteil!

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das emphatische Bekenntnis Präsident Mitterrands zur sogenannten Nachrüstung bei uns ist von Ihnen als Beweis für die Richtigkeit Ihrer Rüstungspolitik in Anspruch genommen worden, obwohl es doch nur beweist, daß die französischen und deutschen Interessen in der nuklearen Rüstung absolut unvereinbar sind. Denn nicht Frankreich ist unser Vorfeld, sondern die Bundesepublik ist das nukleare Vorfeld und im Konfliktfall auch Schlachtfeld Frankreichs.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ihre Begeisterung für die französische Haltung läßt deshalb nur eine Frage offen: ob Sie nicht sagen, was Sie wissen, oder nicht wissen, was Sie sagen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wer angesichts der britischen und französischen Nuklearwaffen eine westliche Verhandlungsposition unterstützt, die irreführend als „Null-Lösung" deklariert wird, obwohl sie doch den Abbau schon jetzt existierender Mittelstreckenwaffen nur vom Osten fordert, aber nicht eines der jetzt schon im Westen vorhandenen Systeme ebenfalls zur Disposition stellen will, wer ein solches Konzept oder eine nur graduell, nicht substantiell bessere Zwischenlösung so vehement begrüßt, wie die Bundesregierung es tut,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zack-Zack!)

    der setzt sich allerdings dem Verdacht aus, an einem konstruktiven, die Nuklearwaffen reduzierenden Ergebnis in Genf weit weniger interessiert zu sein als am ungehinderten Stationieren von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern der USA bei uns und unseren Nachbarn.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Würzbach [CDU/CSU]: Auch vorlesen tut er so ähnlich wie die Kelly!)




    Bastian
    — Ich sagte schon: Ihr Maß an Witz sollten Sie am späten Abend nicht überfordern; es reicht nicht für alle Gelegenheiten. Das haben Sie schon bewiesen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Anstelle dieser heuchlerischen Verhandlungsposition fordern wir daher von der Bundesregierung ein eindeutiges Bekenntnis nicht nur gegen jede Art von sogenannter Nachrüstung

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawoll! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — stehen Sie bequem, meine Herren —, sondern auch zu Abrüstungsverhandlungen, die diesen Namen verdienen, weil es ihr Ziel ist, alle in Ost und West jetzt schon existierenden, auf Europa gerichteten und in Europa gelagerten Nuklearwaffen zum Verschwinden zu bringen.

    (Zuruf des Abg. Berger [CDU/CSU] — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — Ich habe Sie leider nicht verstanden, aber es war sicher sehr witzig. Davon gehe ich aus.
    Wir fordern von der Bundesregierung auch den Mut, einer Verfremdung der NATO zur Hilfsorganisation für die Durchsetzung amerikanischer Groß- und Vormachtsinteressen ebenso entgegenzutreten wie jeder Absicht, unser Land als Speerspitze eines neuerwachten antikommunistischen Kreuzzugsdenkens zu mißbrauchen, worin zwangsläufig auch die Gefahr eines Mißbrauchs unserer Soldaten liegt, die heute zweifellos in der Überzeugung dienen, Sicherheit zu produzieren, aber morgen schon von der von Ihnen mitverschuldeten Rüstungsentwicklung im Konfliktfall zu den Zerstörern alles dessen degradiert werden können, was wir erhalten sehen wollen.
    Darum fordern wir eine Politik, die zur Auflösung beider Militärblöcke hinführt, und dabei als Teil eines atomwaffenfreien, rüstungsarmen Mitteleuropa auch eine völkerrechtlich neutrale Bundesrepublik ohne automatische Teilhaberschaft an den Konflikten größerer Mächte, jedoch mit einem den veränderten Bedingungen besser angepaßten sicherheitspolitischen Konzept, in dem die soziale Verteidigung ausschlaggebende Bedeutung hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Soziale Verteidigung" — was ist das?)

    — Sie können gerne Nachhilfeunterricht bekommen, wenn Sie es nicht wissen; es gibt genügend Unterlagen darüber.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Unsere Forderungen schließen die entschiedene Absage an jenen Revanchismus ein, mit dem vor allem die CSU auf die Geschicke unseres Landes Einfluß zu nehmen sucht. Und daher, Kollege Waigel, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu Ihren Ausführungen.
    Erstens. Wenn Sie die Grüne Bewegung nicht kennen und von ihr auch nichts gelesen haben, dann sollten sie ihr auch nicht vorwerfen, das Verhältnis zur Gewalt nicht eindeutig geklärt zu haben.
    Zweitens. Wenn Sie Stalin zitieren, wie Sie es getan haben, dann sollten Sie vielleicht auch darauf hinweisen, daß, wie es die Geschichtsschreibung belegt, Stalin immerhin noch mehr Interesse an der Errichtung eines wiedervereinigten neutralen Deutschland gezeigt hat als Ihr so hochgelobter Konrad Adenauer

    (Beifall bei den GRÜNEN — Widerspruch, Lachen und Pfui-Rufe bei der CDU/CSU)

    — ich weiß, daß Sie das nicht gerne hören —, der die Wiedervereinigung von Anfang an der Westintegration geopfert hat.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: So was war Berufssoldat! — Zuruf von der CDU/CSU: Schämen Sie sich! — Weitere erregte Zurufe von der CDU/CSU)