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    Plenarprotokoll 10/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dallmeyer . . . . 55 A Eintritt des Abg. Saurin in den Deutschen Bundestag 55 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Franke (Hannover) 55 C Begrüßung des Ministerpräsidenten von Spanien, Herrn Felipe González-Márques, seiner Gattin und der Mitglieder seiner Delegation 55 C Wahl der Schriftführer — Drucksache 10/44 — 55 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 56 A Dr. Vogel SPD 74 D Dr. Waigel CDU/CSU 93 A Genscher, Bundesminister AA 104 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 112 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 117C Rühe CDU/CSU 124 B Frau Kelly GRÜNE 128 D Schäfer (Mainz) FDP 131 B Voigt (Frankfurt) SPD 133 B Bastian GRÜNE 135C Klein (München) CDU/CSU 138 B Büchler (Hof) SPD 139 B Lintner CDU/CSU 141 B Schneider (Berlin) GRÜNE 143A Ronneburger FDP 144A Präsident Dr. Barzel 71 C Nächste Sitzung 145 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 146*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 146* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 55 4. Sitzung Bonn, den 4. Mai 1983 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders* 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann* 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich* 5. 5. Frau Pack* 4. 5. Rösch* 4. 5. Schröer (Mülheim) 4. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Duren) 5. 5. Dr. Vohrer* 4. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß die Regierungen der Länder folgende Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) bestellt haben: Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Mitglied Ministerpräsident Späth Staatsminister Schmidhuber Senator Prof. Dr. Scholz Senator Dr.-Ing. Czichon Senatorin Maring Ministerpräsident Börner Ministerpräsident Dr. Albrecht Minister Dr. Posser Staatsminister Gaddum Frau Minister Dr. Scheurlen Ministerpräsident Dr. Dr. Barschel Vertreter Frau Minister Griesinger Staatssekretär Dr. Vorndran Senator Oxfort Senator Kahrs Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi Frau Staatsminister Dr. Rüdiger Minister Hasselmann Minister Dr. Haak Ministerpräsident Dr. Vogel Minister Prof. Dr. Becker Minister Dr. Schwarz Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 20. April 1983 mitgeteilt, daß sie die Änderungsanträge auf Drucksachen 10/11 und 10/12 zurückzieht. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 14. April 1983 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Anlagenband und Stellenplan für das Geschäftsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Petra Karin Kelly


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Verzeihung. — Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
    Weil wir den Frieden erhalten wollen, ist der Gewaltverzicht das Kernstück unserer Sicherheitspolitik.
    Als eine der Krefelder Mitinitiatoren weiß ich aber leider, welche Diffamierungskampagnen von vielen Herren in diesem Hohen Haus gegen die Friedensbewegung geführt wurden, wie man mit denen umgeht, die nach gewaltfreien Lösungen suchen, die strukturelle und persönliche Gewalt als Mittel der Politik im Sinne von Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Albert Schweitzer ablehnen.
    Es ist eine Ironie, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, von der Politik des Gewaltverzichts sprechen und eventuell in diesem Sommer Gummischrotgeschosse der Polizei eingeführt und gegen gewaltfreie Friedensdemonstranten eingesetzt werden. Es ist eine Perversion, wenn Sie von der Erhaltung des Friedens als oberstem Ziel der Politik sprechen, doch Mitglieder Ihrer Regierung bereit sind,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Nicht so schnell, Frau Kollegin!)

    die ohnehin schon sehr lockeren Rüstungsexportrichtlinien weiterhin zu lockern.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Nehmen Sie bitte etwas Rücksicht auf die Stenographen!)

    Wir werden nicht die Waffenschmiede der Welt, sagte Ihr Vorgänger Helmut Schmidt, sagten auch Sie.
    Tatsache ist aber, daß die Bundesrepublik heute an vierter Stelle als Spitzenreiter in der Tabelle der Waffenexporteure steht. Hauptabnehmer des deutschen Waffenexports sind südamerikanische Militärdiktaturen, wohin zwei Drittel aller deutschen Waffenexporte gehen. Auch Sozialdemokraten haben ihren Teil dazu beigetragen. Bisher lieferte die BRD Waffen in 72 Staaten.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Was war das für ein Land?)

    Eine Außenpolitik, die daran denkt, Pakistan — ich zitiere — „in seiner besonderen Lage wirksame Hilfe zu leisten", die darangeht, die Militärjunta in der Türkei trotz brutaler Menschenrechtsverletzungen stärker zu unterstützen, wobei an die Türkei als stabilen Vorposten der NATO an der Südostflanke gedacht wird, eine Außenpolitik, die zuläßt, daß vor wenigen Wochen die zweite gebaute Fregatte an die argentinische Marine ausgeliefert worden ist, an das Land der mehr als 15 000 Verschwundenen, von der Junta für tot Erklärten, hat kein Recht, von Entspannungspolitik zu sprechen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dies sind gesetzwidrige Rüstungsgeschäfte, die gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Heute morgen haben schon Teile der Friedensbewegung und Teile der GRÜNEN gewaltfrei dagegen protestiert, nur war die Polizei nicht sehr gewaltfrei. Welche Heuchelei für eine sogenannte christliche Regierung, die durch die ungeheuren Summen für Rüstungshaushalt, Stationierungsmaßnahmen und Rüstungsexport eine Politik der Unterschlagung betreibt. Der klare Widerspruch zwischen verschwenderischer Rüstungsproduktion und der Summe unbefriedigter Lebensbedürfnisse — in zwei Sekunden verhungern drei Menschen, jede Minute fast 100; das sind im Jahr zirka 50 Millionen Menschen, die gesamte Einwohnerzahl der Bundesrepublik — ist allein schon ein Angriff auf jene, die ohnehin schon Opfer sind, ein Angriff, der zum Verbrechen wird; denn die Kosten der Rüstung töten im sogenannten Frieden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Bundeskanzler hat deutlich erkennen lassen — bei seinen sicherheitspolitischen Leitlinien und bei den Leitlinien zur Außenpolitik sowie bei der Beschreibung der NATO- und Dritte-Welt-Politik —, daß diese Bundesregierung — und nicht wir — dabei ist, Gesetze zu brechen, dabei ist, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu mißachten, und damit ihren Regierungsanspruch verwirkt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir, die grenzüberschreitende und systemsprengende blockfreie Friedensbewegung in Ost und West, werden gegen diese menschenverachtende Politik gewaltfreien Widerstand — sogar im Sinne des Grundgesetzes gegen Erstschlagswaffenstationierung — sowie Gehorsamsverweigerung auf vielen Ebenen leisten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU]: Was ihr unter gewaltfrei versteht!)

    Wir als die GRÜNEN im Bundestag werden dabei nicht weniger riskieren als unsere Verbündeten in der außerparlamentarischen Opposition.
    Ich glaube nicht, Herr Bundeskanzler, daß Sie und Ihre Kollegen für sich in Anspruch nehmen können, nach moralischen Kategorien zu handeln. Sie handeln nur nach Zweckmäßigkeit und nach dem Muster der zynischen Außenpolitik eines Ronald Reagan.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Was Moral ist, bestimmen Sie!)

    Demzufolge, Herr Kohl, werden die widerlichsten Militärdiktaturen von Ihrer Bundesregierung unterstützt, wenn es in das außenpolitische Kalkül Ihrer sogenannten christlichen Regierung und in das antikommunistische Weltbild paßt. Ein Bundeskanzler, der ständig von tragischen Ereignissen in Polen und Afghanistan spricht, ist nicht glaubwürdig, wenn er gleichzeitig zur Brutalität der amerikanischen Kriegspolitik in anderen Teilen der Welt schweigt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Frau Kelly
    Die Bundesregierung handelt verwerflich — deswegen unser Transparent an diesem Morgen; es war eine gewaltfreie Form von Demonstration —, wenn sie die amerikanische Kriegspolitik in Lateinamerika unterstützt und unter dem Vorwand, sowjetischen Expansionismus eindämmen zu wollen, einen unerklärten Krieg gegen Nicaragua führt. Daß die Bundesregierung sich dabei den amerikanischen Diffamierungskampagnen gegenüber den Verhältnissen in Nicaragua anschließt, jedoch das Regime in El Salvador durch die Entsendung eines Botschafters aufwerten will, zeigt schlaglichtartig ihre Doppelbödigkeit in der Menschenrechtsfrage.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kohl, halten wir Frieden und Menschenrechte für unteilbar.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kohl, setzen wir uns für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker ein, sei es in Afghanistan, seien es die Kurden in der Türkei oder sei es in Nicaragua.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir verurteilen jede Form interventionistischer Politik und fordern Ihre Regierung auf, sich sofort und ohne Vorbehalt für die Ermordung des deutschen Entwicklungshelfers und Arztes Dr. Albert Pflaum in Nicaragua mitverantwortlich zu erklären.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Schwachsinn!)

    Durch Ihr Schweigen wie auch durch Ihr Handeln in der Zentralamerikapolitik — Sie haben Nicaragua heute morgen nicht einmal mit einem Wort erwähnt — ist die Bundesregierung an der Ermordung ihres eigenen Entwicklungshelfers mitschuldig.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Klein [München] [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    — Das ist vielleicht sehr unglaublich, aber wir meinen, daß die GRÜNEN die Dinge beim Namen nennen sollten. Wir meinen, daß der Tod von Dr. Pflaum ebenso hätte dazu führen müssen, daß wir in diesem Bundestag heute morgen aufstehen und an ihn denken.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU]: Das ist die Sanftmut, von dem Ihre Vorsitzende sprach! — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist die Toleranz, die Sie haben!)

    Im Keller des Westens sowie im Keller des Ostens sind, Herr Kohl, sehr viele Leichen; nicht nur im Keller des Ostens. Die Friedensbewegung in Ost und West ist untereinander loyal und nicht den Militärblöcken gegenüber.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Herren, Sie wirken sehr infantil, wenn Sie nicht in der Lage sind, jemanden hier ausreden zu lassen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir werden bei Ihrer Europapolitik sehr wachsam sein, Herr Kohl, und warnen vor dem Blickfeld, in dem die jetzige Europäische Gemeinschaft, der ich neun Jahre angehört habe — ich weiß sehr wohl, was dort vorbereitet wird —, zur Basis der europäischen NATO-Säule werden könnte. Wir verurteilen eine Verstärkung sowie Europäisierung der Verteidigungsstrukturen in Westeuropa sowie jeden Baustein auf dem Weg zu einer Strauß-Thatcher-Kohl-europäischen Atomstreitmacht. Wir lehnen eine europäische Agentur für Rüstungsbeschaffung ab, und wir streben eine ökologische zivile Gemeinschaft der dezentralen und selbstbestimmten Regionen Europas an.
    Da die Gesetze für das Leben und Überleben von Ihrer Regierung ständig gebrochen werden, rufen wir hiermit zum außerparlamentarischen gewaltfreien Widerstand gegen die Militarisierung und Nuklearisierung in diesem Land auf. Das tun nicht nur wir, sondern auch die außerparlamentarische Bewegung in ganz Europa, in Amerika, in Japan und auch in Osteuropa von unten rufen dazu auf.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Neuseeland!)

    Wir sprechen den Regierenden das Recht ab, weiterhin in unserem Namen zu handeln und mit ihrer angeblichen Sicherheitspolitik alles Leben zu gefährden, das sie zu verteidigen vorgeben.

    (Bohl [CDU/CSU]: Wieviel Prozent haben Sie denn bekommen?)

    Nicht nur die amerikanischen Bischöfe sind auf der Seite der GRÜNEN,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    sondern es sind auch sehr viele Generäle und Admirale, die sich als Generäle für den Frieden zusammengeschlossen haben,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Heilige Kelly, kann ich da nur sagen!)

    die genau vor einigen Wochen gewaltfrei vor einer Kaserne in Nürnberg demonstriert haben.

    (Bohl [CDU/CSU]: Da hat sich der Bastian tragen lassen!)

    Wir stehen nicht allein, sondern zusammen mit der Freeze-Bewegung in den USA, mit vielen Kongreßabgeordneten und Senatoren, mit unseren Freunden in der Solidarnosc, in der Charta 77 sowie in der Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung in der DDR, mit Aktionsgruppen in allen Teilen der Welt werden wir unserer Pflicht zum bürgerlichen Ungehorsam nachkommen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU]: Wieviel Prozent haben Sie bei der Wahl eigentlich bekommen?)

    Es bleibt die Hoffnung, den von Ihnen mit zu verantwortenden atomaren Holocaust zu verhindern. Wir lassen auf jeden Fall nicht zu, daß Gerichte, daß Herrschende, daß die Polizei und wer sonst noch, die selbst Gewalt anwenden, unseren Begriff von Gewaltfreiheit selbst definieren und uns die moralische Integrität absprechen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Frau Kelly
    Vielleicht sollten viele von Ihnen nicht über den Wehrkundeunterricht sprechen, vielleicht sollten viele von Ihnen zu den Begriffen zurückgehen, die Jesus in der Bergpredigt geprägt hat, die Mahatma Gandhi, Bertha von Suttner und Rosa Luxemburg geprägt haben. Vielleicht sollten Sie in Ihrem Bildungsunterricht zu denjenigen zurückgehen, die Gewaltfreiheit als ein Mittel der Politik gesehen haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Wer Rosa Luxemburg zum Apostel der Gewaltfreiheit macht!)

    Die Begriffe der Blockade in Großengstingen in Baden-Württemberg und die Begriffe von Wyhl, der Widerstand, der diese GRÜNEN überhaupt in dieses Parlament hineingetragen hat — das waren nicht die Medien, das war die Bewegung — sind für uns symbolisch.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: „Bewegung", das haben wir schon einmal gehört!)

    Vielleicht sollten Sie das noch hören, daß wir bitten und daß wir fordern, daß Großengstingen und Wyhl zum Widerstandssymbol überall werden, auch in diesem gewaltfreien und vielleicht für Sie — nicht für uns — heißen Herbst, auch in Bonn, dem politischen Stationierungsort der amerikanischen Erstschlagwaffen. Wo Recht zu Unrecht wird, wird gewaltfreier Widerstand zur Pflicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Inkarnation des Sanftmutes!)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich hätte gern dem Brauch einiger Kollegen Folge geleistet und der Dame, die gerade vor mir sprach, gratuliert. Ich bin dazu allerdings nicht in der Lage, Frau Kelly. Ihr Auftritt, den Sie hier gerade vor dem deutschen Parlament gegeben haben, spricht eigentlich gegen Ihre Bewegung. Denn wenn Sie hier für Gewaltfreiheit und in sehr deutlichen Worten auch gegen all das, was wir hier tun, in derartiger Form auftreten, dann muß man ernsthaft fragen: ist das, was Sie hier gesagt haben, nicht eher von Haß erfüllt

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und widerspricht völlig dem, was Sie fordern?

    Ich freue mich darauf, Frau Kelly, daß Sie in Kürze eine Kollegin von mir im Auswärtigen Ausschuß sein werden. Ich habe gehört, daß ich neben Ihnen in Kürze sitzen darf. Vielleicht werden Sie in den nächsten Jahren — das ist jetzt bitte keine Überheblichkeit und auch kein Zynismus — Gelegenheit haben, mal die Themen mitzustudieren, mit denen wir uns im politischen Alltag jeden Tag auch zu beschäftigen haben, die Sie aber nicht erwähnen, indem Sie sich auf Ihre Lieblingsthemen zurückziehen.

    (Beifall bei der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    — Gestatten Sie mir: als Vertreter der FDP habe ich jetzt genau zehn Minuten, und zwei sind schon abgelaufen. Ich komme noch nicht mal dazu, hier ein Konzept vorzutragen, das geschlossen ist. Ich bitte im voraus um Nachsicht.
    Sehen Sie, bevor Sie einen Menschen kennen — das ist mir in vielen Veranstaltungen mit Leuten Ihrer Art passiert —, da geht schon der Vorhang herunter: wir sind etabliert, wir gehören zu der Gruppe, die all das, was sie sagt, ja gar nicht glaubt, nicht verwirklichen will. Das ist genau der Stil, in dem wir hier, glaube ich, nicht zusammen arbeiten können — bei allem guten Willen von uns.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist in der Regierungserklärung keineswegs, wie das Frau Kelly dargestellt hat, nun alles in eine Richtung gelaufen, die Sie so gern darstellen möchten draußen, als seien wir z. B. diejenigen, die den Atomkrieg vorbereiten wollten.

    (Frau Kelly [GRÜNE]: Gesetze brechen!)

    — Gesetze brechen. — Sie reden von einem Widerstandsrecht, liebe Frau Kelly, das Sie sich vielleicht im Grundgesetz erst einmal genauer ansehen sollten, wie es dort formuliert ist. Ihre Interpretation von Widerstandsrecht ist nicht einleuchtend für mich; das muß ich Ihnen ganz klar sagen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Kelly [GRÜNE])

    Ich sage Ihnen: Wir müssen hier einen Stil finden, miteinander über sehr wesentliche Fragen dieser Nation zu diskutieren, die Sie nicht einfach wegdiskutieren können. Sie können sich die Welt, die Sie gern hätten, nicht durch Absichtserklärungen schaffen, sondern Sie haben Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.

    (Beifall bei der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Die Realität ist die Nachrüstung!)

    — Kein Mensch in diesem Saal ist für die Nachrüstung, sondern wir sind dafür, daß landgestützte Mittelstreckenraketen abgebaut werden. Das ist in der heutigen Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, in der Rede des Herrn Bundesaußenministers und in den Reden aller unserer Kollegen, auch der SPD, deutlich geworden. Aber wir können nicht davon ausgehen, daß dann, wenn wir gar nichts tun, sich die Weltsituation etwa verbessert oder die Bedrohung von Deutschland abgewendet wird, die ja nicht durch die Aufstellung amerikanischer Raketen hervorgerufen wurde, sondern durch die Aufstellung sowjetischer Raketen. Damit hätten Sie sich in Ihrem Beitrag zumindest auch einmal beschäftigen müssen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn Sie hier solche massiven Vorwürfe erheben, dann ist Ihnen sicher verborgen geblieben, wie sehr gerade diese Regierung bemüht ist, das, was in den vergangenen Jahren außenpolitisch erreicht



    Schäfer (Mainz)

    worden ist, auszubauen und fortzusetzen, auch gegenüber den Vereinigten Staaten.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Wenn es gelingen wird, die Madrider Folgekonferenz gut zu beenden — und wir sind auf dem Weg dazu — und eine europäische Abrüstungskonferenz zu schaffen, die sich zum erstenmal mit ganz Europa befassen wird, dann können Sie uns hier nicht den Vorwurf machen, uns sei am Frieden nicht gelegen. Wir leisten dafür konkrete Arbeit, was Sie offensichtlich allerdings nicht zu tun gedenken, denn Sie erschöpfen sich in Gemeinplätzen und in Pauschalattacken, die in dieser Form zurückzuweisen sind.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich habe sehr wenig Zeit, und ich kann nur mit einigen Bemerkungen auf einen Bereich eingehen, den man heute bereits mehrfach angesprochen hat. Frau Kelly hat sich darüber beklagt, daß er nicht genug angesprochen worden ist. Es geht um unser Verhältnis zur Dritten Welt, um unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und um das Spannungsverhältnis, das gelegentlich — das gebe ich Ihnen zu — dadurch entsteht.
    Ich bedaure, daß eine Presseerklärung, die ich heute vormittag abgegeben habe, etwas aus dem Zusammenhang gerissen, verschärft und verkürzt, zu einem kurzen Konflikt mit dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit geführt hat. Ich habe mich nämlich zu dem Mord an dem deutschen Entwicklungshelfer in Nicaragua geäußert. Nachdem heute vormittag eine Radiomeldung gekommen war, in der der Eindruck erweckt wurde, dieser Mord habe dazu geführt, daß man jetzt prüfe, ob wir weiter Entwicklungshilfe an Nicaragua zahlen sollten, war ich — ich bitte um Ihr Verständnis — etwas erregt.
    Ich möchte nur eines sehr deutlich machen. Natürlich bedeutet deutsch-amerikanische Freundschaft nicht, daß wir in allen Punkten mit den Vorstellungen der derzeitigen amerikanischen Regierung übereinstimmen. Wir stimmen aber sehr wohl mit einer Mehrheit im amerikanische Kongreß überein, die j a auch bestimmte Entwicklungen in der Dritten Welt und bestimmte Äußerungen amerikanischer Politiker dazu kritisiert. Ich habe mich heute morgen auf einen beachtlichen Vorgang in den Vereinigten Staaten bezogen, nämlich auf den Vorgang, daß der zuständige Unterausschuß des amerikanischen Senats heute nacht die amerikanische Regierung aufgefordert hat, keinerlei Gelder mehr für Aktionen des CIA in Honduras zu geben. Ich erwähne das hier, weil ich es für eine sehr positive Entscheidung dieses Unterausschusses des amerikanischen Kongresses halte.
    Meine Damen und Herren, ich glaube nicht — auch da darf ich wieder an das anschließen, was Sie hier sehr kritisch bemerkt haben —, daß wir in der außerordentlich schwierigen Debatte in der deutschen Öffentlichkeit — auch mit unserer Jugend — unsere Glaubwürdigkeit wahren können, wenn uns immer wieder der Vorwurf gemacht wird, wir bezögen uns in unserer leidenschaftlichen Kritik allein auf Vorgänge wie die sowjetische Invasion in Afghanistan, die wir hier leidenschaftlich zurückgewiesen haben, auf Vorgänge wie die Anwesenheit kubanischer Truppen in Angola, wir bezögen uns also nur auf Aktivitäten des Ostblocks und auf Menschenrechtsverletzungen östlicher Regierungen.
    Wie werden in allen Diskussionen auch deutlich zu machen haben, daß wir auch im Westen Konfrontationspolitik, etwa in Lateinamerika, nicht für glücklich halten, sondern daß es unsere Aufgabe sein muß, friedliche Lösungen, Verhandlungslösungen, herbeizuführen. Da meine ich, wir sollten gerade im lateinamerikanischen Raum unsere europäische Politik, die ich für gut halte, fortsetzen, auch wenn sie nicht von allen Beratern des amerikanischen Präsidenten gutgeheißen wird. Es sollte uns auch niemand davon abhalten, mit aller Deutlichkeit für die Menschenrechte auch in diesen Staaten einzutreten und deutlich zu machen, daß man dort nicht Lösungen herbeischießen lassen kann, daß man dort nicht Regime militärisch unterstützen darf, die keinen Ansatz für langfristige Lösungen bieten, und daß man nicht ungeliebte Regime — und ich gebe zu, daß das sandinistische Regime sich auch Kritik von uns gefallen lassen muß, weil es totalitäre Tendenzen hat — durch militärische Aktionen zu Fall bringen soll, von wem auch immer diese ausgehen und von wem auch immer sie finanziert und unterstützt werden.
    Das ist ein Anspruch, den der amerikanische Senat und der amerikanische Kongreß insgesamt ganz klar und deutlich gemacht haben. Es wäre unsinnig, so zu tun, als wäre es schon Antiamerikanismus, wenn wir das hier erwähnen, weil wir glauben, daß die Glaubwürdigkeit unserer europäischen Abrüstungspolitik und unserer europäischen DritteWelt-Politik erschüttert werden kann, wenn in bestimmten Bereichen der Dritten Welt plötzlich andere Gesetze gelten, als sie gegenüber dem Osten gelten.
    Daran sollten wir, glaube ich, in unserer Kritik nicht vorbeigehen; und wir sollten hier auch nicht so tun, als wäre alles, was in Lateinamerika geschieht, in Ordnung. Wir sollten Menschenrechtsverletzungen nicht nur im Ostblock und nicht ausschließlich gegenüber der Sowjetunion kritisieren.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, das sage ich hier nicht zum erstenmal. Ich glaube, daß sehr viele Kollegen im amerikanischen Kongreß mit dieser Meinung übereinstimmen, weil sie auch im Interesse der Vereinigten Staaten ist und für unsere westlichen Werte steht, die wir hier so oft beschwören. Wir müssen im Interesse der Gemeinsamkeit dieser Werte daran interessiert sein, andere Methoden und andere Mittel anzuwenden, um zu einer friedlichen Welt zu kommen, in der wirklich kein Hunger mehr herrscht.
    Noch ein Wort. Frau Kelly, auch mit der Lösung der Hungerprobleme ist es nicht so einfach, wie Sie es dargestellt haben. Die Menschen, von denen Sie gesprochen haben, verhungern nicht deshalb, weil



    Schäfer (Mainz)

    wir Waffen in diese Länder liefern, sondern sie leiden auch deshalb, weil ihre eigenen Regierungen in der Dritten Welt eine zum Teil verantwortungslose Waffenimportpolitik betreiben, um sich vor fiktiven oder wirklich vorhandenen Feinden zu schützen. Sie sollten bitte aufhören, ständig uns dafür verantwortlich zu machen.
    Wenn die Dritte-Welt-Politik überhaupt noch einen Sinn haben kann und soll, dann ist es nicht nur die Verantwortung der Industriestaaten, dort zu helfen, sondern es ist auch die Verantwortung dieser Länder, dafür Sorge zu tragen, daß sie aus eigener Kraft weiterkommen, was nicht allein von uns abhängig sein kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Kelly [GRÜNE])

    Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten dieser Regierung die Chance geben, ihre außenpolitische Linie, ihre sicherheitspolitische Linie fortzusetzen. Wir sollten nicht so tun, als hätten wir nun eine völlige Veränderung.
    Ein letztes Wort zu Herrn Ehmke. Lieber Herr Ehmke, mir ist in keiner Besprechung meiner Fraktion aufgefallen, daß das Papier, von dem Sie hier so häufig gesprochen haben, ernsthaft Gegenstand von Verhandlungen in der Koalition gewesen ist.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich muß auch noch einmal sehr deutlich sagen: Ich beschäftige mich nur mit Papers, nicht mit Non-Papers. Ich sehe die von Ihnen zitierten Papiere, die in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden, als Non-Papers an. — Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)