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    Plenarprotokoll 10/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dallmeyer . . . . 55 A Eintritt des Abg. Saurin in den Deutschen Bundestag 55 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Franke (Hannover) 55 C Begrüßung des Ministerpräsidenten von Spanien, Herrn Felipe González-Márques, seiner Gattin und der Mitglieder seiner Delegation 55 C Wahl der Schriftführer — Drucksache 10/44 — 55 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 56 A Dr. Vogel SPD 74 D Dr. Waigel CDU/CSU 93 A Genscher, Bundesminister AA 104 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 112 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 117C Rühe CDU/CSU 124 B Frau Kelly GRÜNE 128 D Schäfer (Mainz) FDP 131 B Voigt (Frankfurt) SPD 133 B Bastian GRÜNE 135C Klein (München) CDU/CSU 138 B Büchler (Hof) SPD 139 B Lintner CDU/CSU 141 B Schneider (Berlin) GRÜNE 143A Ronneburger FDP 144A Präsident Dr. Barzel 71 C Nächste Sitzung 145 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 146*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 146* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 55 4. Sitzung Bonn, den 4. Mai 1983 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders* 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann* 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich* 5. 5. Frau Pack* 4. 5. Rösch* 4. 5. Schröer (Mülheim) 4. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Duren) 5. 5. Dr. Vohrer* 4. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß die Regierungen der Länder folgende Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) bestellt haben: Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Mitglied Ministerpräsident Späth Staatsminister Schmidhuber Senator Prof. Dr. Scholz Senator Dr.-Ing. Czichon Senatorin Maring Ministerpräsident Börner Ministerpräsident Dr. Albrecht Minister Dr. Posser Staatsminister Gaddum Frau Minister Dr. Scheurlen Ministerpräsident Dr. Dr. Barschel Vertreter Frau Minister Griesinger Staatssekretär Dr. Vorndran Senator Oxfort Senator Kahrs Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi Frau Staatsminister Dr. Rüdiger Minister Hasselmann Minister Dr. Haak Ministerpräsident Dr. Vogel Minister Prof. Dr. Becker Minister Dr. Schwarz Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 20. April 1983 mitgeteilt, daß sie die Änderungsanträge auf Drucksachen 10/11 und 10/12 zurückzieht. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 14. April 1983 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Anlagenband und Stellenplan für das Geschäftsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
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    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke hat nach den Ausführungen der Sprecherin der GRÜNEN gesagt, das sei alles nachdenkenswert und diskussionswürdig. Es ist immerhin interessant, zu wissen, was die deutsche Sozialdemokratie für diskussionswürdig hält. Aber da hätten Sie mit der Diskussion wenigstens anfangen sollen, Herr Ehmke. Ich glaube, daß wir das doch auch der Bevölkerung draußen schuldig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Frau Beck-Oberdorf, Außenpolitik von unten soll gemacht werden. Ich frage Sie: Was hat das den Afghanen genutzt: ihre Friedenssehnsucht und die Außenpolitik von unten, wenn man nicht auch den Frieden oben organisiert?

    (Zuruf der Abg. Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE])

    Friedenssehnsucht allein hilft eben nicht, den Frieden zu erhalten. Das ist eine bittere Lektion, die wir in der Geschichte gelernt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben nebenbei erwähnt, es gehe Ihnen auch um die SS-20. Nun, die sind jahrelang aufgestellt worden. Und erst, nachdem wir gesagt haben, wir wollen ein Gegengewicht schaffen, zeigen sich erste Anzeichen für ein Einlenken der Sowjets. Es müßte doch auch Ihnen zu denken geben, daß mit Ihrer Politik keine einzige SS-20 zu verschrotten wäre.
    Sie haben dann gesagt, wir sollten die DDR wie Frankreich behandeln. Ich frage Sie: Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, einen Schlußstrich unter die deutsche Geschichte zu ziehen?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE])

    Und wie halten Sie es eigentlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in der DDR? Wo bleibt Berlin? Es gibt noch viele andere Fragen, auf die Sie eine Antwort schuldig sind.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist doch reine Heuchelei, was Sie hier betreiben!)

    — Entschuldigen Sie mal! Ich versuche doch nur, ganz sachlich zu ein paar Punkten Stellung zu nehmen, weil ich meine, daß wir Ihnen das schuldig sind.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Der kann ja nicht mal zuhören, der Junge!)

    Sie haben dann mit Kriegsszenarien hantiert und unsere moralische Rechtfertigung in Frage gestellt. Klar ist: Unsere Strategie dient der Verhinderung jedes Konflikts. Wir stehen moralisch in der Rechtfertigung der westlichen Verteidigungsbereitschaft sehr gut da. Denn die tatsächliche Erhaltung des Friedens ist doch wohl ein hohes moralisches Gut, das es zu wahren gilt. Und die tatsächliche Erhaltung des Friedens ist uns bisher geglückt und wird uns auch weiter glücken, wenn wir weiterhin die richtige Politik machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau BeckOberdorf [GRÜNE]: Erstschlag!)

    Nun lassen Sie mich noch einiges zu dem sagen, was mir an den Ausführungen des Oppositionsführers, Herrn Vogel, aufgefallen ist. Er hat dem Bundeskanzler vorgeworfen, er spreche über Abrüstung nur im Konjunktiv — und das angesichts der Bemühungen der Bundesregierung. Herr Vogel, das ist Ihr unseliger Hang, Kritik mit Nörgelei zu verwechseln. Sie sollten da sehr vorsichtig sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit Nörgelei dienen Sie weder den deutschen Interessen noch den Interessen Ihrer eigenen Partei.

    (Zurufe von der SPD)

    Sie haben auch gesagt, der Bundeskanzler habe zu dem Wort der amerikanischen Bischöfe nicht Stellung genommen. Nun, ich kann Ihnen mühelos Stellungnahmen der Bundesregierung zu dem zuleiten, was dort beschlossen worden ist, nämlich ein



    Rühe
    Einfrieren der Atomrüstung, etwa auch am 27. Oktober vor den Vereinten Nationen. Aber dort ist in diesen Tagen ja auch etwas beschlossen worden, was die Frage der defensiven Option eines atomaren Ersteinsatzes angeht.
    Und da möchte ich Sie fragen: Wie ist denn eigentlich die Stellung der SPD zu diesem Beschluß der amerikanischen Bischöfe? Wollen Sie die Strategie der NATO aufgeben? Anderen vorzuwerfen, sie nähmen nicht Stellung, aber selber hier nur unverbindliche Streicheleinheiten verteilen, ohne selbst zu sagen, welche Strategie denn für die deutsche Sozialdemokratie gilt, das ist zu billig. Und wer das macht, kann anderen nicht Allgemeinplätze vorwerfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zugehört, Herr Rühe!)

    — Ich habe sehr genau zugehört.
    Herr Vogel, Sie haben dann etwas gemacht, was, wie ich finde, intellektuell nicht redlich ist. — Ist er gar nicht da? Da muß er von Herbert Wehner aber noch etwas lernen: daß man in diesem Deutschen Bundestag bis zum Ende der Debatten da sein muß.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein, ich möchte es angesichts der begrenzten Redezeit so wie die Kollegen vorher halten.
    Herr Vogel, Sie haben sich selbst bescheinigt, Sie argumentierten kompliziert, und behaupten, wir verträten einfache Parolen. Sie haben gesagt, es sei einfacher, zu sagen, mehr Rüstung bringe mehr Sicherheit. Wer sagt das denn? Die Politik der Bundesregieung heißt: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Wenn Herr Honecker das verstanden hat, wenn Herr Honecker diese Formulierung verwendet, können wir doch wohl von dem deutschen Oppositionsführer erwarten, daß er ebenso in der Lage ist, dies zu verstehen, und unsere Politik hier nicht falsch darstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Ehmke, Sie haben im ersten Teil sehr viel Polemik verwandt. Es hat Sie geärgert, daß man diese Regierungserklärung nicht so angreifen kann, wie Sie sich das in den letzten Tagen erträumt haben. Es tut mir leid, daß wir Ihnen hier nicht die gewünschten Angriffsflächen geboten haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Was für diese Koalition gilt, das sind die Formulierungen der Regierungserklärung. Halten Sie sich daran und messen Sie uns an dem, was dort niedergelegt worden ist, und an nichts anderem! Im übrigen spiegelt diese Regierungserklärung das Mandat wider, das der Bundeskanzler persönlich, das aber auch diese Koalition durch die Wähler am 6. März erhalten haben.

    (Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

    Durch Polemik können Sie hier nachträglich keine zusätzlichen Wählerstimmen gewinnen.
    Was Ihre ständige Warnung vor einem Rückfall in den Kalten Krieg angeht, darf ich kurz etwas zitieren und Ihnen dann im Anschluß — seien Sie vorsichtig — die Verfasser nennen. Da heißt es in einer Definition:
    Der Kalte Krieg ist die für das Nachkriegsstadium der sowjetischen Expansionspolitik bezeichnende Methode. Sie entspricht der kommunistischen Absicht, das Nachkriegschaos, die Not und den Hunger, die Unsicherheit, die anwachsenden sozialen Spannungen und Friedenssehnsucht der Völker auszunutzen, um den Sowjets eine weitere Ausweitung ihres Machtblocks zu gestatten.
    Das ist zitiert aus dem „Handbuch sozialdemokratischer Politik", herausgegeben vom Bundesvorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1953.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Vielleicht sollten Sie Ihre Geschichtsforschungen insofern gelegentlich auch mal auf Ihre eigene Partei ausdehnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es ist jedermann klar: Diese Bundestagswahl war auch außenpolitisch eine Schlüsselwahl. Wir haben einen klaren Wählerauftrag bekommen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Votum für Stationierung?!)

    Wir sehen mit tiefer Besorgnis — und darum geht es —, daß die Sozialdemokratie drauf und dran ist, sich in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik in Utopien und Illusionen einzuigeln. Der Kollege Waigel hat zu Recht davon gesprochen: Wenn die 50er Jahre grüßen lassen, dann bei Ihnen. Nur, der Unterschied ist eben der, daß es damals noch Männer wie Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer gab, die eine entschiedene Abwehrhaltung gegenüber dem Machtanspruch des Kommunismus und gegenüber den sowjetischen Hegemonialbestrebungen bezogen hatten, während dieses Element heute fehlt, Sie aber in vielen anderen Elementen langsam zu dem zurückkehren, was Sie damals vertreten haben.
    Meine Damen und Herren, die SPD muß die Realität des kommunistischen Herrschaftssystems, die Realität der sowjetischen Machtpolitik so zur Kenntnis nehmen, wie sie sind, nicht aber so, wie man sie gern hätte. Wir haben in der Raketenfrage einen ganz konkreten Anlaß, die Sozialdemokratie anzusprechen. Sie laufen nicht nur Gefahr, unberechenbaren Emotionen statt rationaler Einsicht zu folgen, — —

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Kommen Sie zur Sache statt dieser blöden Diffamierung!)




    Rühe
    — Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind, Herr Ehmke; ich habe Ihnen doch auch mit großer Geduld zugehört.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Versuchen Sie doch mal, sachlich zu diskutieren!)

    Offensichtlich trifft das einen wunden Punkt.

    (Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    — Entschuldigen Sie, Sie versuchen sich hier zum großen Wahrer der Kontinuität aufzuspielen, und in Wirklichkeit wäre der Bruch mit der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik von Ihnen gekommen, wenn die alte Regierung am Ruder geblieben wäre. Darum sollten Sie sich Sorgen machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe der Abg. Dr. Klejdzinski [SPD] und Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Nachdem Herr Vogel auch heute hier wieder gesagt hat, es reiche, wenn die Sowjets auf ihrer Seite, was die Mittelstreckenraketen angeht, drastisch reduzieren, damit wir unsererseits auf die Nachrüstung verzichten, kann ich nur sagen: Ihre Politik läuft letztlich darauf hinaus, einen Gleichgewichtsverzichtsvertrag mit der Sowjetunion zu befürworten. Dies ist nicht die Politik der NATO, dies ist nicht unsere Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

    Die Sowjetunion hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sehr intensiv ihren Einfluß auf Westeuropa verstärkt. Aber das Bewußtsein der hegemonialen Zielsetzungen der Sowjetunion ist in dieser Zeit weitgehend geschwunden. Die Aggressivität der kommunistischen Ideologie wird vielfach nicht mehr deutlich erkannt. Während der Westen die friedliche Koexistenz fälschlich als statisch mißverstand, als die möglichst lange dauernde spannungsfreie Erhaltung eines gegebenen Zustands, ging es der Sowjetunion um politischen Geländegewinn, um die Ausweitung ihres Einflusses und ihrer Macht.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur Außenund Sicherheitspolitik!)

    — Aber das hat doch mit der Außen- und Sicherheitspolitik zu tun. Herr Ehmke, wir machen doch gerade den Fehler, hier unter Raketen-Experten nur über militärische Dinge zu sprechen, und verkennen dabei die politische Bedeutung dieser Entwicklung. Das muß doch wieder in das Bewußtsein gerufen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Sie können doch kein Verständnis in der Bevölkerung verlangen, wenn Sie immer nur mit Begriffen wie SS-20, SS-4, SS-5, INF, START usw. herumhantieren, aber die politische Bedrohung, die hinter dieser militärischen Bewaffnung steht, nicht wieder in
    das Bewußtsein rücken. Darum geht es, auch in dieser Debatte.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD] — Bohl [CDU/CSU]: Ehmke stört! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Zwischenruf „Ehmke stört!", sehr sinnig! — Zuruf von der SPD: Das Feindbild muß stimmen!)

    Das politische Ziel dieser sowjetischen Aufrüstung sind eben nicht die USA, sondern ist Westeuropa. Und die Frage muß doch sein, ob wir diese sowjetische Hochrüstung herausgefordert haben. Ich meine, die Antwort kann nur nein lauten; denn ganz sicher haben wir in den letzten zehn, fünfzehn Jahren unsere militärische Stärke weder konventionell noch nuklear erhöht.

    (Jungmann [SPD]: Fragen Sie mal den Herrn Wörner, was der bei der Ablösung gesagt hat! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Gibt es also irgendein legitimes Sicherheitsinteresse der Sowjetunion, das die Hochrüstung gegen uns rechtfertigen könnte? Ich meine, auch hierauf kann die Antwort nur nein lauten.
    Was sollen also die SS-20-Raketen? Natürlich hat die Sowjetunion keineswegs vor, diese Raketen auf uns abzufeuern, um herauszufinden, wer oder was am Ende eines nuklearen Infernos noch übrigbleibt. Entgegen allen Horrorszenarien, die täglich vorgeführt werden, gibt es keine wirkliche Atomkriegsgefahr in Europa. Niemand könnte dabei gewinnen, jeder nur verlieren.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Wohl aber hat die Sowjetunion herausgefunden, daß die Angst vor einem Atomkrieg ein vorzügliches Mittel der Politik sein kann. Und eben deswegen versucht sie, ein Geschäft mit der Angst zu betreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sollten dem durch unser eigenes Verhalten nicht entgegenkommen.

    (Gansel [SPD]: Wenn wir mutig genug sind, können wir auf die Pershing II verzichten?)

    Die SS-20 sind ein Drohpotential. Herr Gansel, wenn ich das noch tun darf, möchte ich den Altkanzler Schmidt zitieren,

    (Gansel [SPD]: Sie, Rühe, Sie!)

    der sehr richtig immer wieder betont hat, daß die politische Handlungsfreiheit Westeuropas durch diese sowjetische Aufrüstung bedroht sei. Am 1. Februar formulierte Helmut Schmidt in einem Fernsehinterview folgendermaßen:

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Was wollen Sie denn dagegen tun? Sagen Sie das mal!)




    Rühe
    — Also, haben Sie jetzt auch schon etwas dagegen, daß ich Helmut Schmidt zitiere? Hören Sie erst mal zu!

    (Gansel [SPD ]: Sie lassen den Mundwinkel immer so hängen!)

    Helmut Schmidt im Wortlaut: „eine ernsthafte Bedrohung der Entschlußfreiheit zukünftiger Bundesregierungen". Das war seine Motivation für den Einsatz für die Nachrüstung. Ich muß Ihnen und Ihrem Herrn Vogel die Frage stellen, ob Sie nicht auch diese Gefahr einer Bedrohung der Entschlußfreiheit zukünftiger Bundesregierungen sehen.
    Wir jedenfalls werden eine Politik machen, die die Entschlußfreiheit dieser Bundesregierung und aller folgenden Bundesregierungen, egal, wer sie bilden wird, sichern wird. Ich meine, Sie sollten uns in dieser Politik unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wenn man immer jawohl sagt, wird man gar nicht mehr gefragt werden!)

    — Herr Ehmke, wenn Sie sich als jemand, der maßgeblich an den Beschlüssen der NATO mitgewirkt hat, führend an der Flucht vor Ihren eigenen Beschlüssen beteiligen, dann, meine ich, sollten Sie das mit sich selbst im Hinblick auf Ihre Glaubwürdigkeit ausmachen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Der Beschluß besteht nicht daraus, daß man nur ja sagt!)

    Sie sollten Ihre innere Unruhe, die daraus entstanden ist, nicht hier im Bundestag so deutlich sichtbar demonstrieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum setze ich mich eigentlich so intensiv mit Ihnen auseinander?

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sie setzen sich gar nicht mit mir auseinander!)

    Weil Sie auch als Opposition nicht igendwelche Sandkastenspiele vollziehen können, weil wichtig ist, daß die Sowjetunion vor Fehleinschätzungen bewahrt wird. Erst wenn die Sowjetunion von Fehleinschätzungen abrückt, wird es zu weiteren Fortschritten in Genf kommen. Und hier liegt eben auch die Bedeutung der Opposition. Solange sich die Sowjetunion Hoffnungen macht, den NATO-Doppelbeschluß über die Innenpolitik unseres Landes aushebeln zu können, wird sie in Genf keinen Millimeter nachgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Durch die, milde gesagt, zwiespältige Haltung der deutschen Sozialdemokratie in der Sicherheitspolitik, die Moskau eine westliche Null-Lösung zum Nulltarif vorgaukelt, ist in Genf schon viel wertvolle Zeit verlorengegangen. Wir fordern die SPD deshalb nachdrücklich auf, so schnell wie möglich zu ihrer eigenen Kontinuität deutscher Sicherheitspolitik zurückzukehren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: Allein der Wahlsieg von Helmut Kohl hat einen Bruch in der Kontinuität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik verhindert. Denn die SPD war nicht länger bereit, dem in dieser Frage verantwortungsbewußten Kurs ihres damaligen Kanzlers Helmut Schmidt zu folgen. Das ist die Lage, hier ist die wirklich ernsthafte Bedrohung einer notwendigen Kontinuität in der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie sollten sich nicht um andere Debatten, die hier stattgefunden haben, scheinheilig Sorgen machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun gestatten Sie mir noch ein Wort zur Sowjetunion und — im Anschluß daran — zur innerdeutschen Situation.
    Die Führung der Sowjetunion sollte sich sehr genau überlegen, ob sie ihre ganze Politik allein auf die Raketenfrage fixiert; denn sie läuft dabei Gefahr, sich politisch selber zu blockieren. Die CDU/ CSU jedenfalls hält eine solche eindimensionale Ausrichtung der deutsch- sowjetischen Beziehungen nicht für weiterführend, sondern für kontraproduktiv.
    Nun zu den innerdeutschen Beziehungen: Sie waren schwierig, sie sind schwierig, und sie werden auch künftig schwierig bleiben; die vergangenen Wochen haben dies wieder deutlich vor Augen geführt. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der widernatürlichen Teilung des deutschen Volkes. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, man könnte den Deutschen je einreden, diese Teilung als normal zu empfinden und hinzunehmen; sie ist und bleibt unnormal.
    Eben deshalb darf sich niemand wundern, daß belastende Ereignisse, belastende Entwicklungen starke Emotionen auslösen. In ihnen entlädt sich die ganze Empörung über die Teilung unseres Volkes, in ihnen dokumentiert sich auch die Ablehnung der Unnormalität in Deutschland. Wer diesen psychologischen Aspekt außer acht läßt, mißachtet einen ganz entscheidenden Faktor der innerdeutschen Beziehungen. Die Lage in Deutschland und damit die Lage im Herzen Europas wird sich erst dann normalisieren, wenn auch den Deutschen das Recht auf nationale Selbstbestimmung gewährt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Jedermann weiß, wie sich die Deutschen dann entscheiden werden, aber niemand weiß, wann das der Fall sein wird. Deswegen bleibt es für die vorausschaubare Zeit eine Hauptaufgabe unserer Politik, die Folgen der Teilung für die Menschen in Deutschland erträglicher zu machen und die Einheit der Nation über die Zeit der Trennung hinweg zu erhalten.
    Beziehungen zur DDR, dem anderen Staat in Deutschland, spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle. Maßgeblich dafür sind die abgeschlossenen Verträge. Sie müssen eingehalten, ausgefüllt und weiterentwickelt werden. Hier gilt es, sich strikt an den Buchstaben, aber ebenso strikt an den Geist dieser Verträge zu halten. Alle innerdeutschen Verträge und Vereinbarungen sind auf Fortschritte hin



    Rühe
    programmiert, nicht auf Rückschritte. Wer daher Erreichtes wieder einschränkt oder neue Belastungen schafft, entzieht dieser Vertragspolitik auf Dauer ihre Grundlage.
    Dies gilt insbesondere für den Bereich der menschlichen Kontakte im geteilten Deutschland. Damit meine ich nicht nur die Besuchsmöglichkeiten, sondern ebenso die Art und Weise des Umgangs von staatlichen Organen mit Besuchern. Gewiß, Freundlichkeit kann man nicht anordnen, aber man kann sie erlauben. Wenn man dem Ziel guter Nachbarschaft wirklich näherkommen will, dann muß es doch wenigstens möglich werden, ohne Angst und Beklemmung von Deutschland nach Deutschland und durch Deutschland zu reisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vor wenigen Tagen erst hat es Richard von Weizsäcker in einem Interview so formuliert:
    Entspannung muß sich im Lebensgefühl der Menschen äußern. Sie müssen die Situation als entspannt empfinden.
    Genau darauf kommt es an. Verträge und Deklarationen können beeindruckend klingen, Papier ist geduldig. Aber das Empfinden der Menschen ist noch immer der beste Prüfstein für die tatsächliche Lage. Mit Verträgen kann man erst dann zufrieden sein, wenn die Empfindungen der Menschen mit papiernen Absichtserklärungen im Einklang stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die vorläufige Absage seines Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland durch Erich Honecker verhindert es,

    (Zuruf von der SPD: Das ist ein Märchenerzähler!)

    die Probleme und Perspektiven der beiderseitigen Beziehungen gegenwärtig auf höchster Ebene zu erörtern. Doch das sollte uns nicht daran hindern, den notwendigen Dialog auf allen sich bietenden Ebenen intensiv und ergebnisorientiert fortzusetzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)

    Wir jedenfalls sind dazu bereit. Neuere Verlautbarungen der DDR lassen erwarten, daß auch dort eine entsprechende Bereitschaft vorhanden ist.
    Beide Staaten in Deutschland tragen politische Verantwortung, die über den Bereich der gegenseitigen Beziehungen hinausgeht. Wir halten fest an unserer Auffassung, daß beide Staaten unter voller Beachtung ihrer jeweiligen Bündnisverpflichtungen geradezu modellhaft einen Beitrag für eine wirkliche Entspannung zwischen Ost und West leisten könnten

    (Beifall bei der FDP)

    und in beiderseitigem Interesse auch leisten sollten.
    Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat deutlich gemacht, daß diese Regierung der Mitte einen klaren und berechenbaren politischen Kurs steuern wird. Sie steht fest an der Seite der freien Staaten des Westens. Sie erfüllt ohne Wenn und Aber ihre Bündnisverpflichtungen, und sie stärkt damit die westliche Gemeinschaft in entscheidender Weise. Sie strebt Zusammenarbeit und fairen Interessenausgleich mit dem Osten an. Aber sie wird sich sowjetischen Machtansprüchen nicht beugen. Sie setzt sich für bessere Beziehungen zur DDR ein, die von Berechenbarkeit, Ausgewogenheit, Vertragstreue und dem Willen zu praktischen Ergebnissen geprägt sind. Die Interessen der Menschen, insbesondere die unserer Landsleute in der DDR, stehen dabei im Mittelpunkt. Grundlegende Rechtspositionen wird sie bei allem nicht antasten lassen.
    Die Bundesregierung tritt engagiert für eine umfassende Abrüstung ein. Aber sie setzt dabei unsere Sicherheit nicht aufs Spiel. Ihr klares Bekenntnis zum NATO-Doppelbeschluß fördert das Zustandekommen eines ausgewogenen Verhandlungsergebnisses in Genf.
    Alles in allem: Diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl ist eben der beste Garant dafür, daß in einer schwierigen Zeit die notwendigen Entscheidungen getroffen werden zum Wohle unseres Landes. — Schönen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)