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    Plenarprotokoll 10/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dallmeyer . . . . 55 A Eintritt des Abg. Saurin in den Deutschen Bundestag 55 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Franke (Hannover) 55 C Begrüßung des Ministerpräsidenten von Spanien, Herrn Felipe González-Márques, seiner Gattin und der Mitglieder seiner Delegation 55 C Wahl der Schriftführer — Drucksache 10/44 — 55 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 56 A Dr. Vogel SPD 74 D Dr. Waigel CDU/CSU 93 A Genscher, Bundesminister AA 104 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 112 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 117C Rühe CDU/CSU 124 B Frau Kelly GRÜNE 128 D Schäfer (Mainz) FDP 131 B Voigt (Frankfurt) SPD 133 B Bastian GRÜNE 135C Klein (München) CDU/CSU 138 B Büchler (Hof) SPD 139 B Lintner CDU/CSU 141 B Schneider (Berlin) GRÜNE 143A Ronneburger FDP 144A Präsident Dr. Barzel 71 C Nächste Sitzung 145 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 146*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 146* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 55 4. Sitzung Bonn, den 4. Mai 1983 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders* 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann* 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich* 5. 5. Frau Pack* 4. 5. Rösch* 4. 5. Schröer (Mülheim) 4. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Duren) 5. 5. Dr. Vohrer* 4. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß die Regierungen der Länder folgende Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) bestellt haben: Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Mitglied Ministerpräsident Späth Staatsminister Schmidhuber Senator Prof. Dr. Scholz Senator Dr.-Ing. Czichon Senatorin Maring Ministerpräsident Börner Ministerpräsident Dr. Albrecht Minister Dr. Posser Staatsminister Gaddum Frau Minister Dr. Scheurlen Ministerpräsident Dr. Dr. Barschel Vertreter Frau Minister Griesinger Staatssekretär Dr. Vorndran Senator Oxfort Senator Kahrs Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi Frau Staatsminister Dr. Rüdiger Minister Hasselmann Minister Dr. Haak Ministerpräsident Dr. Vogel Minister Prof. Dr. Becker Minister Dr. Schwarz Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 20. April 1983 mitgeteilt, daß sie die Änderungsanträge auf Drucksachen 10/11 und 10/12 zurückzieht. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 14. April 1983 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Anlagenband und Stellenplan für das Geschäftsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
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    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst der Kollegin Beck-Oberdorf zu ihrer parlamentarischen Jungfernrede sehr herzlich gratulieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich stimme zwar bei weitem nicht mit allem überein, was sie gesagt hat, aber alles das, was sie gesagt hat, ist nachdenkenswert und diskussionswert gewesen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich bin allerdings der Meinung, Sie haben meinen Kollegen Jochen Vogel nicht ganz fair behandelt, als Sie sagten, er würde nach einem Wahlsieg anders geredet haben. Denn genau das, was er heute gesagt hat, finden Sie schon in unserem Dortmunder Wahlprogramm. — Frau Kollegin, wenn Sie mir hier einen Augenblick zuhören könnten,

    (Wurbs [FDP]: Die hören doch nie zu!)

    fände ich das mitmenschlich und ungeheuer nett. — Schönen Dank. — Ich bin der Meinung, daß man weder den Genfer Verhandlungen noch der Bewußtseinsbildung in diesem Lande dient, wenn man sich jetzt schon zum „Märtyrer des Herbstes" macht, bevor überhaupt entschieden ist, ob wir nicht doch noch ein Verhandlungsergebnis erreichen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dann muß ich eine Klarstellung machen: Sie sind nicht die erste Frau, die für eine Fraktion auf eine Regierungserklärung antwortet. Durch einen schnellen Blick ins Bundestagsprotokoll habe ich mich davon überzeugt, daß Helene Wessel Ihnen vorausgegangen ist, die für die Fraktion des Zentrums am 22. September 1949 auf die erste Regierungserklärung von Konrad Adenauer geantwortet hat.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Jetzt komme ich zur Außen- und Sicherheitspolitik, die in der ersten, allgemeinen Runde nur in den Grundlagen hat diskutiert werden können. Herr Bundeskanzler, als Sie im Oktober vergangenen Jahres die neue Koalition gebildet haben, haben Sie unserem Volk Kontinuität in der Außenpolitik ver-



    Dr. Ehmke (Bonn)

    sprochen. Nach Ihrem Wahlsieg vom 6. März hat aber die CDU mit der CSU ein Papier vereinbart, das — im Gegensatz zu Ihrem Versprechen — auf weiten Feldern die Diskontinuität der deutschen Außenpolitik postuliert. Dieser Widerspruch wird dadurch unterstrichen, daß in der Koalitionsvereinbarung über Außenpolitik so gut wie gar nichts steht. Herr Bundeskanzler, wir befürchten, daß sich das, was Sie Herrn Strauß in diesem Punkte versprochen haben, nicht mit dem verträgt, was Sie dem Wähler und vielleicht auch Herrn Genscher versprochen haben. Das läßt sich nicht auf einen Nenner bringen.
    Nun hat der Herr Kollege Genscher vorhin gesagt, es solle gelten, was in der Regierungserklärung steht. Diesen Wunsch, Herr Kollege Genscher, kann ich natürlich verstehen, zumal Sie, hoffe ich, j a eher als FDP-Vorsitzender denn als Außenminister gesprochen haben. Die Schwierigkeit ist nur: Es ist ungeheuer schwer zu sagen, was in der Regierungserklärung zu diesen Fragen steht; denn sie ist so allgemein,

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Null-Option!)

    Herr Kollege Genscher, sie ist so allgemein, daß Sie sich bitte nicht einbilden dürfen, der Streit zwischen der CSU und der FDP über Deutschland- und Außenpolitik wäre mit dieser allgemein gehaltenen Regierungserklärung aus der Welt.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn sehen Sie: Das Papier, das Herr Strauß vorgelegt hat, ist sehr konkret und sehr scharf gefaßt — er hat es ja in der „Quick" veröffentlichen lassen. Was uns mehr beunruhigt, Herr Bundeskanzler, ist, daß das interne Papier, das CSU und CDU vereinbart haben — auch das ist ja veröffentlicht worden — zeigt, daß Strauß sich innerhalb der Union in den Koalitionsverhandlungen sogar mit einem Teil seiner abstrusen Forderungen durchgesetzt hat. Da steht die Forderung, unsere Bevölkerung psychologisch auf das Aufstellen neuer amerikanischer Raketen vorzubereiten, in schöner Einfalt neben der Wiederbelebung juristisch verbrämter politischer Illusionen in Sachen Wiedervereinigung. Aber, Herr Bundeskanzler: Mehr Waffen in Ost und West werden die deutsche Einheit doch nicht fördern; sie werden im Gegenteil die bestehende Teilung zementieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gleiche gilt für die deutschlandpolitischen Ausfälle der CSU und den Scherbenhaufen, den Sie angerichtet haben. Herr Waigel, eigentlich das Interessanteste an Ihrer Rede fand ich, daß Sie diese CSU-Linie hier heute noch einmal vertreten haben. Ich fand die Antwort des FDP-Vorsitzenden darauf sehr zaghaft.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie haben doch „Bravo!" gerufen!)

    Da wird in dem CSU/CDU-Papier die alte Formel von der angeblichen Unteilbarkeit der Entspannung nicht nur wieder aufgewärmt, sondern sogar zur „geographischen Unteilbarkeit", j a, zur „Ununterbrechbarkeit" der Entspannung verschärft. Da dies der Forderung gleichkommt, Spannungen in der Welt zu globalisieren, wird folgerichtig postuliert, die Bundesrepublik müsse eine Mitverantwortung für die globale Eindämmung der Sowjets übernehmen, ohne daß genau gesagt wird, wie.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    Daß Herr Strauß sich für diese Aufgabe für den richtigen Mann hält, ist seit langem bekannt. Richtig ist aber auch, daß man in der amerikanischen Politik schon verdammt weit nach rechts gehen muß, um einen so primitiven Antikommunismus wiederzufinden, wie er in dem unionsinternen Papier niedergelegt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, insofern stellt das Papier eine Neuauflage der Kalten-Kriegs-Rhetorik der 50er Jahre dar: Schuld an den Spannungen in der Welt sind allein die Sowjets. Nicht einmal für Südafrika oder für El Salvador wird eine Ausnahme gemacht. Mein Kollege Holtz wird darüber noch zu sprechen haben.
    Ich möchte Sie auf eines hinweisen. Die Abschnitte in dem Papier über Südafrika und Namibia könnten von der Propagandaabteilung Südafrikas geschrieben sein.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich bin sehr gespannt, wie sich die Vertreter der Apartheid für diesen Dienst erkenntlich zeigen werden. Ich habe heute wohl gehört, daß in der Regierungserklärung gesagt worden ist, daß Sie gegen die Apartheid seien. Aber dann seien Sie doch so gut und kommen Sie hierher und sagen: Dieses ganze Papier gilt nicht. Die Kollegen von der CSU sagen uns, es sei vereinbart, und sie würden sich darauf berufen. Und das ist nur ein Beispiel.

    (Zuruf des Abg. Gansel [SPD])

    Der ganze Nord-Süd-Konflikt wird über den Leisten des Ost-West-Konflikts geschlagen, und dann wird die Empfehlung gegeben, man dürfe rechte Diktaturen nicht an den Maßstäben der parlamentarischen Demokratie messen, aber „sozialistischen Experimenten" müsse man natürlich mit Nachdruck entgegentreten.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Wo steht das bitte?)

    — Das steht in diesem Papier, Herr Kollege Klein, das Sie hoffentlich vorher gesehen haben. Wenn nicht, sind Sie entschuldigt.
    Diese Grundsätze führen dann auch dazu, daß Sie sich in Zentralamerika auf seiten der Söldner Somozas im Kampf gegen die Sandinisten wiederfinden, und da sind Sie auf der falschen Seite.

    (Beifall bei der SPD)

    Daß in diesem Zusammenhang auch der Aufhebung der Beschränkung des Rüstungsexports das Wort geredet wird — dies wird j a nicht nur von einzelnen CDU-Kollegen gefordert, sondern dies steht als Forderung in Ihrem Unionspapier —, überrascht kaum, wenn man weiß, wie Herr Strauß darüber denkt.



    Dr. Ehmke (Bonn)

    Was uns interessiert, Herr Bundeskanzler, ist dies: Wie konnte die CDU nach der Regierungserklärung vom Oktober, nach dem Wahlversprechen und angesichts dessen, was Sie jetzt in allgemeinen Worten gesagt haben, eigentlich dieses Papier unterschreiben? Es enthält das Gegenteil von dem, was Sie versprochen haben. Das zeigt nicht nur ein Vergleich dieses Unionspapiers mit dem, was Helmut Schmidt hier noch einmal am 1. Oktober zur Außenpolitik zusammenfassend gesagt hat. Das zeigt auch ein Vergleich mit dem Aufsatz, in dem Außenminister Genscher im September vergangenen Jahres in der „Außenpolitik" aus seiner Sicht die deutsche Außenpolitik noch einmal zusammengefaßt hat.
    Herr Bundeskanzler, Sie sollten noch in dieser Debatte Klarheit schaffen, was nun eigentlich gilt: Ihre Regierungserklärung mit ihren vagen Allgemeinheiten oder die konkreten Festlegungen im Unionspapier, das mit Herrn Strauß vereinbart worden ist und in dem das Gegenteil von dem steht, was Sie heute in der Regierungserklärung vorgetragen haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir verstehen ja Ihre Zwangslage zwischen CSU und FDP. Die Art des Wortwechsels in den letzten Wochen hat ja keinen Zweifel darüber gelassen, wie weit die Meinungsverschiedenheiten gehen. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie können Existenzfragen der Nation nicht durch Ausklammern lösen. Um Kurt Schumacher zu zitieren: Mit den Mitteln der kleinen Schlauheit kann man keine große Politik machen.
    Auch wir als Opposition möchten von Ihnen wissen, woran wir mit Ihnen sind. Wenn Sie wirklich zu dem stehen, was Sie nur mit allgemeinen Worten sagen — die Außenpolitik der sozialliberalen Koalition solle fortgesetzt werden —, dann kommen Sie hier herauf und nehmen Sie das Unionspapier vom Tisch, so daß sich auch keiner von der CSU darauf berufen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn nicht, müssen wir allerdings befürchten, daß Ihre Aussagen nur eine Fassade sind, hinter der der Streit weitergehen wird. Dann werden Sie uns auch nicht auf Ihrer Seite haben können.
    Lassen Sie mich daher die Position der SPD in einigen zentralen Punkten noch einmal darstellen. Ich beschränke mich — andere Kollegen werden andere Themen behandeln — auf drei Themen, auf das Bündnis, die Strategiedebatte in der NATO und die Genfer Verhandlungen.

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Welche Partei?)

    Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrer Regierungserklärung vom 13. Oktober gesagt, das Bündnis sei der „Kernpunkt deutscher Staatsräson". Diese undurchdachte Aussage macht aus der Bundesrepublik ein Instrument der NATO, während die NATO in Wirklichkeit ein Instrument zum Schutz der Atlantischen Gemeinschaft einschließlich der Bundesrepublik ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Jochen Vogel hat in seiner Erwiderung die positive Haltung der SPD zum westlichen Bündnis, wie sie auch in unserem Wahlprogramm erneut zum Ausdruck gekommen ist, noch einmal unterstrichen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Bei Lafontaine!)

    — Wer etwas anderes sagt — dies, Herr Kollege, auf Ihren Zwischenruf hin —, spricht nicht für die SPD. Lassen Sie mich für die Bundestagsfraktion noch eines hinzufügen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat in der Außen- und Sicherheitspolitik ein Erbe von Kompetenz, Respekt und Vertrauen zu bewahren, das die Vorgänger — stellvertretend nenne ich hier nur Fritz Erler — hart erarbeitet haben. Dieses Erbe werden wir weder durch Alleingänge aus den eigenen Reihen noch durch Diffamierungskampagnen aus Ihren Reihen in Frage stellen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Zu diesem Erbe gehört allerdings keine blinde Gefolgschaftstreue im Bündnis. Das haben wir auch in unserem Wahlprogramm zum Ausdruck gebracht: „Die Interessen der einzelnen Partner im Bündnis sind nicht immer deckungsgleich. Es ist heute nötiger denn je, daß die Bundesrepublik ihre eigenen Interessen wirksam im Bündnis vertritt."
    Meine Damen und Herren von der Koalition, was belastet denn heute das Bündnis? Was läßt denn heute viele Menschen in unserem Volk — innerhalb wie außerhalb der SPD — um den Frieden fürchten? Es ist der Rüstungswettlauf der beiden Großmächte, der auch eine der Ursachen der Weltwirtschaftskrise ist. Und es ist die Sorge, daß auch die Hauptmacht des eigenen Bündnisses die Lage eher noch verschärft als entspannt. Dem liegt, jedenfalls was die SPD betrifft, keine Fehleinschätzung des Großmachtstrebens der Sowjetunion zugrunde. Gerade eine realistische Einschätzung sowjetischer Großmachtpolitik führt uns zu der Einsicht, daß ein verkrampfter Antikommunismus und eine auf immer mehr Waffen setzende Politik keines der heutigen Probleme der Welt lösen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    In Europa — das muß laut gesagt werden — mischt sich die Sorge, ob eine dauerhafte, berechenbare Außenpolitik heute in den Vereinigten Staaten institutionell überhaupt möglich ist — eine Sorge, die viele Amerikaner teilen — mit der Ablehnung von Teilen der Politik der gegenwärtigen amerikanischen Administration. Ich teile viele dieser Zweifel und Sorgen. Über sie muß im Bündnis genauso offen wie in den Vereinigten Staaten selbst gesprochen werden. Ich empfehle unseren konservativen Kollegen insofern einmal das Studium etwa der Rede von Lord Carrington auf dem diesjährigen Alastair-Buchan-Erinnerungstreffen. Eine solche Kritik an der Politik einer amerikanischen Administration als „anti-amerikanisch" zu diffamieren, ist genauso töricht, als wenn man eine Kritik an der Politik Helmut Schmidts oder Helmut Kohls als „anti-deutsch" bezeichnen würde.
    Wer allerdings solche Zweifel an der Politik einer amerikanischen Administration im Zweifel am



    Dr. Ehmke (Bonn)

    Bündnis umfunktioniert, unterliegt einem politischen Trugschluß. Sicherheit für unser Land kann es nicht außerhalb des Bündnisses geben. Die Vorstellung einer Art deutschen sicherheitspolitischen Naturschutzparks zwischen den beiden hochgerüsteten Supermächten ist eine Illusion. Auch erfolgreiche Rüstungskontrolle setzt auf absehbare Zeit das Bestehen der Blöcke und damit das Bestehen des Bündnisses voraus. Es geht nicht um das Bündnis, es geht um die richtige Bündnispolitik. Für sie braucht man Mitstreiter in Europa, für sie braucht man vor allem aber auch Mitstreiter in den Vereinigten Staaten selbst. Deutsche Alleingänge, meine verehrte Vorrednerin, würden uns durch Vertrauensverlust in eine Isolierung geraten lassen, aus der heraus wir gar nichts mehr beeinflussen könnten.
    Nicht weniger verhängnisvoll wäre allerdings eine deutsche Politik, die Beflissenheit und Liebdienerei gegenüber Washington für das Gebot der Stunde hielte. Die Unionsparteien, auch Sie selbst, Herr Bundeskanzler, stehen in der Gefahr, die Wertgemeinschaft des westlichen Bündnisses, zu der alle politischen Kräfte des Westens, einschließlich der Friedensbewegung, gehören, auf eine Wert- und Interessengemeinschaft der Konservativen zu verkürzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine solche Verkürzung könnte nur auf Kosten der deutschen Interessen gehen und müßte der Lebenskraft des Bündnisses Abbruch tun.
    Ich frage die Bundesregierung: Gilt eigentlich die im Harmel-Bericht von der NATO festgelegte politische Linie noch, oder ist sie inzwischen durch die amerikanische Militärpolitik aufgehoben worden? Ich frage auch den Bundesverteidigungsminister: Ist die Bundesregierung für eine Änderung der NATO-Politik? Ich frage das auch den Bundesaußenminister, der sich in seinem schon erwähnten Artikel mit so großem Nachdruck für diese so wesentlich von der sozialliberalen Koalition mitbestimmte Bündnispolitik ausgesprochen hat. Im Harmel-Bericht hat sich die NATO auf eine Politik festgelegt, die sicherheitspolitische Festigkeit auf der Basis eines militärischen Gleichgewichts mit entspannungspolitischer Beweglichkeit verbindet, bis hin zu Formen der Kooperation, gerade auch der wirtschaftlichen Kooperation, mit dem Ostblock. Denn im Ergebnis können nicht Waffen, sondern kann nur eine besonnene Politik den Frieden sichern, und darum gilt es, unsere besonnene Außenpolitik fortzusetzen.
    Wir sehen diese Außenpolitik aber heute in Frage gestellt. Sicher nicht zuletzt durch das Verhalten der Sowjets, durch ihren Einmarsch in Afghanistan, die Unterdrückung der „Solidarität" in Polen, schließlich durch die sowjetische Rüstungspolitik, die kein Opfer scheut, mit den Vereinigten Staaten wenigstens militärisch gleichzuziehen. Ich teile aber die Meinung von Altbundeskanzler Schmidt, von Lord Carrington und anderen, daß von einer militärischen Unterlegenheit der Vereinigten Staaten und des Westens nicht die Rede sein kann.

    (Beifall bei der SPD) Nichts könnte diese Tatsache besser unterstreichen als die Antwort, die der Chairman der Joint Chiefs of Staff, General Vessey, auf die Frage eines Senators gegeben hat, ob er denn mit den Sowjets die Rüstungen tauschen würde. „Um Himmels Willen, nein", lautete die Antwort. Inzwischen scheint, wie die Haushaltsdebatte im amerikanischen Kongreß zeigt, auch die Mehrheit des Kongresses die Rüstungsprogramme der Reagan-Administration für übertrieben zu halten. Im Kongreß gewinnt auch der Gedanke eines nuklearen „Freeze" Boden, d. h. die Idee, daß man angesichts eines ungefähren nuklearen Gleichgewichts mit dem weiteren Rüsten aufhören solle.

    Uns ist bewußt, daß in anderen Kreisen der Vereinigten Staaten in dieser Situation gerade umgekehrt die Besorgnis wächst, die Sowjetunion könne die Vereinigten Staaten vom Platz 1 verdrängen. Man muß nur sehen: die gleiche Situation löst in Moskau die Befürchtung aus, die der Sowjetunion von den Vereinigten Staaten feierlich zugesagte „Gleichheit und gleiche Sicherheit" sollten nur auf dem Papier bleiben.
    Ich frage die Bundesregierung: Was ist Ihre Meinung zu diesen Fragen? Wir haben kein Wort davon in der heutigen Regierungserklärung gehört. Teilt die Bundesregierung die Meinung, man könne die Sowjets, wenn schon nicht tot-, so doch wenigstens weich-rüsten? Und was ist die Haltung der Bundesregierung, Herr Kollege Wörner, zu der Militärpolitik, wie sie in der sogenannten Military Guidance für die amerikanischen Streitkräfte niedergelegt worden ist? Ich weiß, die Diskussion darüber wird oft sehr einseitig geführt, denn die gleichen Fragen werden auch in der sowjetischen militärischen Führung erörtert, ohne daß dies an die Öffentlichkeit dringt. Das macht die Lage für uns aber nur noch schlechter. Da es sich bei der Military Guidance nicht um irgendwelche Szenarios handelt, sondern um Führungsleitlinien für die amerikanischen Streitkräfte, muß die Bundesregierung die Frage beantworten: Hält sie denn z. B. einen atomaren Krieg für begrenzbar und dann vielleicht auch noch für gewinnbar? Und wie denkt sie über die Frage eines deutschen Vetorechts beim Einsatz nuklearer Waffen von deutschem Boden?

    (Beifall bei der SPD)

    Noch unmittelbarer, Herr Verteidigungsminister, wird unsere Politik von der Vorstellung einer westlichen Globalstrategie berührt, die nicht nur die Wirtschafts- und Dritte-Welt-Politik in ihren Dienst stellen will, sondern auch eine sogenannte horizontale Eskalation regionaler militärischer Konflikte, also die geographische Ausdehnung eines irgendwo anders ausgebrochenen Konflikts vorsieht.
    Herr Bundeskanzler, wir sehen mit großer Sorge, daß im CSU/CDU-Papier solche globalstrategischen Vorstellungen übernommen werden und der Bundesrepublik in ihnen eine Rolle zugesprochen wird, wie gesagt, ohne daß genau gesagt wird, welche. Die NATO ist aber kein Weltmachtersatz und die Bundesrepublik schon gar keiner. Eine Neuauflage deutscher Großmannssucht à la Wilhelm II. ist wohl das letzte, was wir brauchen. Da Sie das auch sagen



    Dr. Ehmke (Bonn)

    in Ihrer Regierungserklärung, bitte ich Sie noch einmal: Nehmen Sie dies unglaubliche Unionspapier zur Außen und Sicherheitspolitik hier heute vom Tisch, auch wenn es nur als internes Papier bezeichnet ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine kritische Betrachtung bündnisinterner Probleme wird von konservativer Seite — Herr Genscher hat dafür heute ein neues Beispiel geliefert — gerne als Distanzierung vom Bündnis diffamiert, als Äquidistanz zu beiden Supermächten. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Von einer Äquidistanz kann natürlich gar keine Rede sein, in geographischer Hinsicht nicht, weil die Bundesrepublik sehr viel weiter von Amerika entfernt liegt als von der Sowjetunion, und in politischer Hinsicht nicht, weil wir demokratische Bündnispartner der Vereinigten Staaten sind, die Sowjetunion aber Führungsmacht des Gegenblocks ist.
    Nur, verehrter Kollege Genscher, ändert dieser Umstand nichts daran, daß das Wettrüsten der beiden Supermächte — im Gegeneinander und Miteinander zugleich — unsere Existenz in Westeuropa, ja die Existenz der ganzen Welt gefährdet. Die beiden Supermächte haben im Nichtverbreitungsvertrag die völkerrechtliche Verpflichtung zu nuklearer Abrüstung übernommen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: So ist es!)

    Sie an diese Verpflichtung immer wieder zu erinnern, wie es Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner großen Rede vor der 2. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen getan hat, ist eine wichtige Aufgabe deutscher Politik. Leider haben wir dazu von Ihnen heute nichts gehört.
    Die von beiden Großmächten übernommene Verpflichtung ist auch ein Ausdruck dessen, was wir Sicherheitspartnerschaft nennen. Der Außenminister hat in seinem Artikel geschrieben, „daß eine sozusagen einteilige Politik reiner Gegnerschaft im Nuklearzeitalter nicht mehr möglich ist", allerdings ohne daß er sich den Begriff der Sicherheitspartnerschaft zu eigen gemacht hätte. Helmut Schmidt hat das am 1. Oktober 1982 prägnanter ausgedrückt:
    Weder der Westen noch der Osten kann allein seinen Frieden garantieren. Sicherer Friede bedarf der Sicherheitspartnerschaft, der Partnerschaft zum Frieden.
    Dieses Zitat, Herr Präsident, bringt mich zur Frage der Strategiedebatte innerhalb der NATO, die wir in diesem Hohen Hause noch gar nicht erörtert haben. Wir müssen uns aber aus eigenem Antrieb an dieser Debatte beteiligen, weil sie Lebensinteressen unseres Volkes berührt. In den Vereinigten Staaten wird die Debatte mit Lebhaftigkeit geführt. Wir bedauern, daß die Regierungserklärung auch dazu nichts — absolut nichts — zu sagen hat.

    (Zustimmung bei der SPD)

    In der Strategiedebatte sind zwei Themenkreise, die ineinandergreifen, voneinander zu unterscheiden. Erstens der Themenkreis, der nicht nur die
    Kirchen beiderseits des Atlantik zunehmend bewegt: ob Abschreckung durch Androhung eines nuklearen Selbstmords auf Gegenseitigkeit moralisch und politisch überhaupt vertretbar ist.
    Der zweite Themenkreis ist aber noch weit bedrängender: ob nämlich die technologische Entwicklung zu immer zielgenaueren Waffen mit immer kleineren nuklearen Sprengköpfen — auch die Entwicklung der SS-20, der Pershing 2 und der Marschflugkörper gehört in diesen Zusammenhang — nicht in Ost und West fast automatisch zu strategischen Planungen führt, die nukleare Waffen nicht mehr als politische Abschreckungswaffen, sondern als militärische Kriegführungswaffen ansehen und einplanen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist u. a. diese Entwicklung, die die Forderung hat laut werden lassen, die Verteidigung Europas stärker konventionell zu organisieren, um in der Planung wenn nicht überhaupt auf den Ersteinsatz, so doch wenigstens auf einen früheren Einsatz von Atomwaffen verzichten zu können.
    In dieser Debatte zeichnet sich die Möglichkeit ab, nukleare Gefechtsfeldwaffen durch moderne konventionelle Waffen zu ersetzen. Wir hätten gern die Meinung der Bundesregierung zu diesen Fragen gehört, übrigens auch im Hinblick auf die neue französische Verteidigungsplanung. Einerseits zeichnen sich hier Möglichkeiten ab, die Nuklearschwelle, die durch die Strategie der „flexiblen Antwort" gefährlich gesenkt worden ist, wieder entscheidend anzuheben. Andererseits dürfen andere damit verbundene Fragen, z. B. die nach der Gefahr eines konventionellen Rüstungswettlaufs oder die nach den Kosten einer solchen Umrüstung, nicht bagatellisiert werden. Die Frage einer Konventionalisierung unserer Verteidigungsplanung muß in engem Zusammenhang mit der konventionellen Rüstungskontrolle, d. h. mit den MBFR-Verhandlungen in Wien, gesehen werden.
    Einerseits haben wir ein Interesse daran, daß bei einer Konventionalisierung der Verteidigung Westeuropas die Fähigkeit der NATO zur Vorneverteidigung nicht gemindert wird. Andererseits müssen wir allen Planungen eine klare Absage erteilen, die uns aus militärisch-operativen Gründen, die ich als solche anerkenne — Tiefe des Raumes, bewegliche Verteidigung durch Gegenangriffe auch in das Gebiet des Warschauer Pakts — dem politischen Mißverständnis aussetzen könnten, hier würden Möglichkeiten für eine globalstrategische Ausdehnung eines in einer anderen Region der Welt etwa ausbrechenden Konflikts geschaffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch insoweit muß es vielmehr bei der Vorneverteidigung bleiben. Am defensiven Charakter der NATO und unserer Bundeswehr als einem Teil der NATO-Streitkräfte in Europa, dürfen wir nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Interessanterweise wird aber auch eine Konventionalisierung sogenannter Interdiktionswaffen für



    Dr. Ehmke (Bonn)

    möglich gehalten, die die Heranführung einer zweiten und dritten Welle sowjetischer Divisionen aus den westlichen Teilen der Sowjetunion unterbinden sollen.

    (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

    Das läßt militärisch-operativ auch die Frage der geplanten Aufstellung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern in einem neuen Licht erscheinen. Denn diese Waffen sind ja für solche Interdiktionszwecke bestimmt und nicht etwa, wie oft irrtümlich angenommen und auch gesagt wird, für die Bekämpfung der mobilen sowjetischen SS-20-Raketen.
    Herr Kollege Wörner, wenn die Aufgabe der Interdiktion auch konventionell gelöst werden kann, besteht unseres Erachtens um so mehr Grund, für das politische Problem eurostrategischer Nuklearwaffen mit großer Geduld eine politische Lösung, d. h. eine Verhandlungslösung, zu suchen.

    (Beifall bei der SPD)

    Also noch bevor wir zur nuklearen Abschreckung, dem Thema der Bischöfe, kommen, müssen wir die Rolle der Nuklearwaffen wieder zurückdrücken auf die Rolle politischer Abschreckungswaffen, heraus aus dem Bereich militärischer Anwendungswaffen.
    In diesem Zusammenhang fordern wir die Bundesregierung auf, den Vorschlag der Palme-Kommission für einen nuklearfreien Korridor zwischen Ost- und Westeuropa als einen ersten Schritt in dieser Richtung aufgeschlossener zu prüfen, als sie es bisher getan hat. Wir tun dies, obwohl uns die Probleme der Kontrolle der Einhaltung eines solchen Abkommens durchaus bewußt sind.
    Bei Schaffung einer konventionellen Verteidigungsfähigkeit in Westeuropa könnte die nukleare Abschreckung für Westeuropa im übrigen seegestützten Systemen übertragen werden.
    Damit komme ich auf das Thema, das heute im Vordergrund der Erörterung steht, das aber — ich sage es noch einmal — nicht das drängendste Problem ist, nämlich auf die Frage der Strategie nuklearer Abschreckung. Meines Erachtens wird man sich trotz schwerwiegender Bedenken, die ich nicht bagatellisiere, auf diese Strategie noch eine Weile verlassen müssen, solange keine bessere Strategie entwickelt worden ist.

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Es gibt bessere!)

    Ob die Menschheit überhaupt je auf Waffen verzichten wird, die sie einmal erfunden hat, mag nach der geschichtlichen Erfahrung der Menschheit zweifelhaft erscheinen.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Männergesellschaft!)

    Aber auch eine bloße Annäherung an das Ziel der Abschaffung von Nuklearwaffen setzt voraus, daß sich in West und Ost der Gedanke der Sicherheitspartnerschaft, des Aufeinander-Angewiesenseins selbst antagonistischer Blöcke zur Sicherung des gemeinsamen Überlebens weiter durchsetzt.
    Ich darf hier die Aufforderung des Kollegen Vogel wiederholen: Herr Bundeskanzler, wir sind der Meinung, die Bundesregierung täte gut daran, das Angebot des Warschauer Pakts für einen konventionellen und nuklearen Gewaltverzicht sorgfältig und positiv zu prüfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Schließlich haben der Westen und hat die Bundesregierung genau das gefordert, als der sowjetische Außenminister vor der 2. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen den Verzicht der Sowjetunion auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen bekanntgegeben hat. Da haben wir gefordert, daß die Sowjetunion das auch auf konventionelle Waffen erstrecken solle. Jetzt erstreckt sie es nach sechs Monaten auf konventionelle Waffen, aber die Bundesregierung tut so, als ob nichts geschehen sei. Das ist nicht in Ordnung. So untergraben wir unsere eigene Glaubwürdigkeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich im Rahmen dieser Ausführungen zum Bündnis und zur Strategiedebatte noch ein kurzes Wort zu den Genfer Verhandlungen sagen. Sie sind sowohl für das Verhältnis der Supermächte und der Blöcke zueinander als auch für den Zusammenhalt des Bündnisses von weit größerer Bedeutung, als es der Gegenstand der Verhandlungen selbst ist, der in seiner Bedeutung oft positiv und negativ überschätzt wird.
    Die Geschichte dieser Verhandlungen in Genf zeigt, daß die Frage der eurostrategischen Waffen von Anfang an nicht nur ein Streitpunkt zwischen uns und der Sowjetunion war, sondern auch ein Gegenstand lebhafter Diskussion mit unseren amerikanischen Freunden. Ich bekräftige dabei zunächst noch einmal unsere Auffassung, daß die gegen alle unsere Einwände fortgesetzte SS-20-Rüstung der Sowjetunion eine geradezu provokatorische Verletzung europäischer Sicherheitsinteressen darstellt.

    (Beifall bei der SPD — Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Die Diskussion mit den Vereinigten Staaten war von der Sorge der Europäer bestimmt, daß die Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion ein ungefähres Gleichgewicht der strategischen Waffen vereinbaren, Westeuropa aber dem Druck des eurostrategischen Potentials der Sowjetunion ausgesetzt lassen könnten. Der Sinn der Initiativen Helmut Schmidts war die Einbeziehung eurostrategischer Waffen und, wie wir hinzufügen, auch der Raketen mit einer Reichweite unter 1 000 km in die Raketenverhandlungen der Supermächte. Wir haben gleichzeitig darauf bestanden, daß sich die NATO nicht nur auf Gegenmaßnahmen vorbereitet, sondern mit der Sowjetunion gleichzeitig Verhandlungen über eurostrategische Waffen führt. Das war in der Rüstungskontrolle übrigens ein großer Schritt nach vorne: Verhandlungen über Waffen, die es noch gar nicht gab.
    Nach dem NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 stand für diese Verhandlungen ein Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung. Zwei Jahre



    Dr. Ehmke (Bonn)

    sind aber alleine dafür benötigt worden, erst die Sowjetunion und nach Regierungsantritt von Präsident Reagan auch die USA überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen. Obwohl, Herr Kollege Genscher, der NATO-Doppelbeschluß selbst bestimmt, daß erst im Lichte des Verhandlungsergebnisses entschieden werden solle, was aufgestellt wird, ist in Teilen der Reagan-Administration von Anfang an die Auffassung verbreitet gewesen, der Verhandlungsteil des NATO-Doppelbeschlusses diene mehr der Beruhigung der europäischen Öffentlichkeit; eigentliches Ziel des Beschlusses sei die Aufstellung neuer amerikanischer Mittelstrekkensysteme in Westeuropa. Diese Auseinandersetzung in Washington dauert bis auf den heutigen Tag an.
    Wir Sozialdemokraten haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß für uns eine Verhandlungslösung den politischen Vorrang hat. Die beiderseitige Anhäufung von immer mehr Waffen bringt nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für Europa. Diese Einsicht bestimmte auch die Politik der sozialliberalen Bundesregierung. Bundeskanzler Schmidt hat am 1. Oktober 1982 von dieser Stelle aus noch einmal unterstrichen, daß die Aufstellung amerikanischer Raketen für die Bundesrepublik davon abhänge, daß die Genfer Verhandlungen — ich zitiere — „trotz größter Anstrengungen unserer amerikanischen Freunde" dennoch scheiterten.
    Seit Beginn der Verhandlungen im November 1981 sind die Supermächte aber über die Postulierung ihrer jeweiligen Ideallösungen als Ausgangspositionen nicht hinausgekommen. Die einzige wirkliche Bewegung war der wohlüberlegte informelle Vorschlag von Botschafter Paul Nitze vom Sommer vergangenen Jahres. Er ist von den Sowjets viele Wochen unbeantwortet geblieben und dann von Washington und Moskau abgelehnt worden. Wir sind der Meinung, daß das nicht das letzte Wort sein darf.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir bedauern, Herr Bundeskanzler, daß Sie durch Ihre Zusage an Präsident Reagan, bei einem Scheitern der Genfer Verhandlungen — aus welchen Gründen auch immer sie scheitern — die amerikanischen Waffen in der Bundesrepublik automatisch zu stationieren, den Druck von Washington genommen haben, in Genf zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Eine solche Politik ist genauso verfehlt wie eine Politik, die durch die Aussage, unter keinen Umständen zu stationieren, den Druck von der Sowjetunion nimmt.
    Ich muß an dieser Stelle dem Kollegen Genscher schlicht widersprechen, wenn er den Automatismus verteidigt. Es ist nie ein Automatismus vereinbart worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Nicht nur war die Beschlußlage der SPD anders, sondern — ich sage es noch einmal — der letzte Satz des Doppelbeschlusses selbst heißt, daß im Lichte des Verhandlungsergebnisses entschieden
    werde. Das setzt voraus, daß überhaupt erst einmal wirklich verhandelt worden ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Das im Dezember 1982 von Generalsekretär Andropow gemachte Angebot ist vom Westen trotz unseres Drängens monatelang unbeantwortet geblieben. Eine Verschwendung kritischer Verhandlungszeit, für die die Bundesregierung Mitverantwortung trägt. Der schließlich nach der Bundestagswahl von Präsident Reagan gemachte Vorschlag einer Zwischenlösung ist zu vage, um die Sowjetunion in Zugzwang bringen zu können. Er rechtfertigt allerdings in keiner Weise die propagandistische Ablehnung dieses Vorschlages durch die Sowjetunion, die uns j a schließlich mit ihrer 55-20-Rüstung das ganze Problem überhaupt erst eingebrockt hat.
    Wir hätten auf amerikanischer Seite einen in der Sache weitergehenden Vorschlag für richtig gehalten, z. B. das Angebot, das auch im Nitze-Vorschlag enthalten war, war für einen substantiellen Abbau der SS-20-Raketen auf die Aufstellung von Pershing-II-Raketen zu verzichten. Wir bedauern, daß Sie, Herrn Bundeskanzler, sich die amerikanische Ablehnung dieses Vorschlages bei Ihrem letzten Besuch in Washington ausdrücklich zu eigen gemacht haben. Wir bedauern auch, daß der in Punkt 6 der amerikanischen ,,Freeze"-Resolution enthaltene Gedanke einer Verbindung der INF-Verhandlungen mit den Start-Verhandlungen von der amerikanischen Regierung bisher nicht aufgegriffen worden ist. Solche Vorschläge könnten die Sowjets nicht einfach ablehnen, ohne damit vor der Weltöffentlichkeit die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir selbst sollten uns aber gemeinsam darüber im klaren sein, daß ein tragbares Verhandlungsergebnis politisch wichtiger ist als alles andere, einschließlich einer Zeitplanung, die vor vielen Jahren und unter dem Vorbehalt der Prüfung des Verhandlungsergebnisses beschlossen worden ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich in großem Ernst in diesem Zusammenhang aber auch folgendes sagen: Wir hatten Anlaß, Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihnen, Herr Verteidigungsminister, schon vor einigen Monaten darzulegen, daß wir jeden Versuch einer vorgezogenen Stationierung oder Teilstationierung amerikanischer Waffen als einen Wortbruch ansehen würden. Ich kann nur hoffen, daß Sie das in Washington hinreichend deutlich gemacht haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Aus allen diesen Gründen erwarten wir, daß zu Beginn der nächsten Verhandlungsrunde in Genf am 17. Mai ein konkreter westlicher Vorschlag vorgelegt wird. Wir erwarten selbstverständlich auch von der Sowjetunion konkrete, über das Angebot der Andropow-Rede hinausgehende Vorschläge. Einen weiterführenden Schritt hat der Generalsekretär Andropow gestern getan.
    Wir können uns mit der Vorstellung einer Zwischenlösung, die nicht die Verhandlungen voran-



    Dr. Ehmke (Bonn)

    bringt, sondern nur den Beginn der Stationierung ermöglichen soll, nicht einverstanden erklären.

    (Beifall bei der SPD)

    Um noch einmal Helmut Schmidt zu zitieren: Wir erwarten größte Anstrengungen unserer amerikanischen Freunde in Genf, doch noch zu einem tragbaren Ergebnis zu kommen. Wir warnen die Bundesregierung und das Bündnis, in einer für das Vertrauen in das Bündnis und seinen Zusammenhalt so zentralen Frage die Schnelligkeit für wichtiger zu halten als die Richtigkeit der Entscheidung.

    (Beifall bei der SPD)

    Zum dauerhaften Zusammenhalt des Bündnisses benötigen wir mehr als nur jeweilige Regierungsmehrheiten. Wir brauchen eine breite Zustimmung unseres Volkes zur Sicherheitspolitik der Allianz. Wir brauchen dafür vor allem auch die junge Generation, die die Lasten der Sicherheitspolitik, einschließlich des Wehrdienstes, in erster Linie zu tragen haben wird. Eine Sicherheitspolitik, die die Sorgen der Menschen vor dem Wahnsinn des Rüstungswettlaufes nicht praktisch ernst nimmt und darüber hinaus eine Abkehr von der im HarmelBericht niedergelegten vernünftigen NATO-Politik mitmacht oder hinnimmt, einer solchen Politik wird die wichtigste Kraft fehlen: die Überzeugungskraft gegenüber den eigenen Bürgern.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, nachdem Sie in Ihrer Regierungserklärung bei Allgemeinheiten geblieben sind, ist es hohe Zeit, daß Sie mit Ihren vagen Redensarten aufhören und stattdessen noch in dieser Debatte dem Hohen Hause und unserem Volk klipp und klar sagen, woran wir bei Ihnen und Ihrer Regierung mit der Außen- und Sicherheitspolitik sind. — Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Rühe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke hat nach den Ausführungen der Sprecherin der GRÜNEN gesagt, das sei alles nachdenkenswert und diskussionswürdig. Es ist immerhin interessant, zu wissen, was die deutsche Sozialdemokratie für diskussionswürdig hält. Aber da hätten Sie mit der Diskussion wenigstens anfangen sollen, Herr Ehmke. Ich glaube, daß wir das doch auch der Bevölkerung draußen schuldig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Frau Beck-Oberdorf, Außenpolitik von unten soll gemacht werden. Ich frage Sie: Was hat das den Afghanen genutzt: ihre Friedenssehnsucht und die Außenpolitik von unten, wenn man nicht auch den Frieden oben organisiert?

    (Zuruf der Abg. Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE])

    Friedenssehnsucht allein hilft eben nicht, den Frieden zu erhalten. Das ist eine bittere Lektion, die wir in der Geschichte gelernt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben nebenbei erwähnt, es gehe Ihnen auch um die SS-20. Nun, die sind jahrelang aufgestellt worden. Und erst, nachdem wir gesagt haben, wir wollen ein Gegengewicht schaffen, zeigen sich erste Anzeichen für ein Einlenken der Sowjets. Es müßte doch auch Ihnen zu denken geben, daß mit Ihrer Politik keine einzige SS-20 zu verschrotten wäre.
    Sie haben dann gesagt, wir sollten die DDR wie Frankreich behandeln. Ich frage Sie: Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, einen Schlußstrich unter die deutsche Geschichte zu ziehen?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE])

    Und wie halten Sie es eigentlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in der DDR? Wo bleibt Berlin? Es gibt noch viele andere Fragen, auf die Sie eine Antwort schuldig sind.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist doch reine Heuchelei, was Sie hier betreiben!)

    — Entschuldigen Sie mal! Ich versuche doch nur, ganz sachlich zu ein paar Punkten Stellung zu nehmen, weil ich meine, daß wir Ihnen das schuldig sind.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Der kann ja nicht mal zuhören, der Junge!)

    Sie haben dann mit Kriegsszenarien hantiert und unsere moralische Rechtfertigung in Frage gestellt. Klar ist: Unsere Strategie dient der Verhinderung jedes Konflikts. Wir stehen moralisch in der Rechtfertigung der westlichen Verteidigungsbereitschaft sehr gut da. Denn die tatsächliche Erhaltung des Friedens ist doch wohl ein hohes moralisches Gut, das es zu wahren gilt. Und die tatsächliche Erhaltung des Friedens ist uns bisher geglückt und wird uns auch weiter glücken, wenn wir weiterhin die richtige Politik machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau BeckOberdorf [GRÜNE]: Erstschlag!)

    Nun lassen Sie mich noch einiges zu dem sagen, was mir an den Ausführungen des Oppositionsführers, Herrn Vogel, aufgefallen ist. Er hat dem Bundeskanzler vorgeworfen, er spreche über Abrüstung nur im Konjunktiv — und das angesichts der Bemühungen der Bundesregierung. Herr Vogel, das ist Ihr unseliger Hang, Kritik mit Nörgelei zu verwechseln. Sie sollten da sehr vorsichtig sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit Nörgelei dienen Sie weder den deutschen Interessen noch den Interessen Ihrer eigenen Partei.

    (Zurufe von der SPD)

    Sie haben auch gesagt, der Bundeskanzler habe zu dem Wort der amerikanischen Bischöfe nicht Stellung genommen. Nun, ich kann Ihnen mühelos Stellungnahmen der Bundesregierung zu dem zuleiten, was dort beschlossen worden ist, nämlich ein



    Rühe
    Einfrieren der Atomrüstung, etwa auch am 27. Oktober vor den Vereinten Nationen. Aber dort ist in diesen Tagen ja auch etwas beschlossen worden, was die Frage der defensiven Option eines atomaren Ersteinsatzes angeht.
    Und da möchte ich Sie fragen: Wie ist denn eigentlich die Stellung der SPD zu diesem Beschluß der amerikanischen Bischöfe? Wollen Sie die Strategie der NATO aufgeben? Anderen vorzuwerfen, sie nähmen nicht Stellung, aber selber hier nur unverbindliche Streicheleinheiten verteilen, ohne selbst zu sagen, welche Strategie denn für die deutsche Sozialdemokratie gilt, das ist zu billig. Und wer das macht, kann anderen nicht Allgemeinplätze vorwerfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zugehört, Herr Rühe!)

    — Ich habe sehr genau zugehört.
    Herr Vogel, Sie haben dann etwas gemacht, was, wie ich finde, intellektuell nicht redlich ist. — Ist er gar nicht da? Da muß er von Herbert Wehner aber noch etwas lernen: daß man in diesem Deutschen Bundestag bis zum Ende der Debatten da sein muß.