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ID1000401400

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    Plenarprotokoll 10/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dallmeyer . . . . 55 A Eintritt des Abg. Saurin in den Deutschen Bundestag 55 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Franke (Hannover) 55 C Begrüßung des Ministerpräsidenten von Spanien, Herrn Felipe González-Márques, seiner Gattin und der Mitglieder seiner Delegation 55 C Wahl der Schriftführer — Drucksache 10/44 — 55 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 56 A Dr. Vogel SPD 74 D Dr. Waigel CDU/CSU 93 A Genscher, Bundesminister AA 104 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 112 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 117C Rühe CDU/CSU 124 B Frau Kelly GRÜNE 128 D Schäfer (Mainz) FDP 131 B Voigt (Frankfurt) SPD 133 B Bastian GRÜNE 135C Klein (München) CDU/CSU 138 B Büchler (Hof) SPD 139 B Lintner CDU/CSU 141 B Schneider (Berlin) GRÜNE 143A Ronneburger FDP 144A Präsident Dr. Barzel 71 C Nächste Sitzung 145 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 146*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 146* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 55 4. Sitzung Bonn, den 4. Mai 1983 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders* 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann* 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich* 5. 5. Frau Pack* 4. 5. Rösch* 4. 5. Schröer (Mülheim) 4. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Duren) 5. 5. Dr. Vohrer* 4. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß die Regierungen der Länder folgende Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) bestellt haben: Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Mitglied Ministerpräsident Späth Staatsminister Schmidhuber Senator Prof. Dr. Scholz Senator Dr.-Ing. Czichon Senatorin Maring Ministerpräsident Börner Ministerpräsident Dr. Albrecht Minister Dr. Posser Staatsminister Gaddum Frau Minister Dr. Scheurlen Ministerpräsident Dr. Dr. Barschel Vertreter Frau Minister Griesinger Staatssekretär Dr. Vorndran Senator Oxfort Senator Kahrs Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi Frau Staatsminister Dr. Rüdiger Minister Hasselmann Minister Dr. Haak Ministerpräsident Dr. Vogel Minister Prof. Dr. Becker Minister Dr. Schwarz Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 20. April 1983 mitgeteilt, daß sie die Änderungsanträge auf Drucksachen 10/11 und 10/12 zurückzieht. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 14. April 1983 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Anlagenband und Stellenplan für das Geschäftsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
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    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir nehmen zur Kenntnis, daß es der neue Stil der Opposition ist, dann, wenn der erste Sprecher der Regierungskoalition spricht, den Saal zu verlassen.

    (Beifall und Zurufe der CDU/CSU — Gegenrufe von der SPD)

    Herr Kollege Dr. Vogel, trotz Ihrer Rede wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand als Vorsitzender der Opposition in diesem Hause. Wir wissen, wie wichtig die Funktion der Opposition ist. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, die Regierungsmehrheit brauche die Opposition nicht. Wir brauchen diesen Ideenwettkampf, und ich wünsche Ihnen in dieser Funktion alles Gute.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich kann Sie mit dem trösten, was uns Edward Heath einmal gesagt hat. Er hat gesagt, die ersten zehn Jahre der Opposition seien die schwierigsten, dann werde es besser.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß Sie allerdings, Herr Kollege Vogel, der große Integrator Ihrer Partei oder weltweit werden, das wage ich zu bestreiten, denn in Ihrer Münchener Zeit ist es Ihnen schließlich nicht einmal gelungen, Schöfberger und Geiselberger an einen Tisch zu bringen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich staune allerdings, Herr Kollege Dr. Vogel, wie schnell Sie die letzten 13 Jahre vergessen haben. Das, was Sie hier als Sündenregister aufgezählt haben, war eine Philippika an Ihre eigene Adresse, an Ihre eigene Partei, an Ihre eigene Regierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben den Bundeskanzler Helmut Kohl als Sohn Ludwig Erhards bezeichnet. Wir danken Ihnen für dieses Kompliment am Vorabend von dessen sechstem Todestag. Vielleicht wollten Sie das nicht als Kompliment werten; wir empfinden es als Kompliment,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    denn wir verdanken diesem Mann viel, und wir würden uns glücklich schätzen, wenn wir ein solches Erbe übernehmen könnten, wie er es damals, 1966, an die nächste Regierung weitergegeben hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ihnen, Herr Bundeskanzler, versichere ich: Wir danken Ihnen für Ihre Arbeit; wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Erfolg. Sie können sich bei Ihrer Arbeit auf die CDU und die CSU sowie auf die CDU/CSU- Bundestagsfraktion voll verlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Vogel, ich habe mir noch ein paar Stichworte aufgeschrieben: Volkszählung. War das nicht eigentlich Ihr Werk, als Sie Justizminister waren?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von der SPD)

    Waren Sie damals nicht eigentlich beteiligt, hatten Sie nicht eigentlich die Aufgabe, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Gesetzes eingehend zu prüfen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Was waren denn Ihre Antworten, Herr Kollege Dr. Vogel, was waren die Antworten der Sozialdemokraten in den 70er Jahren? Sie haben doch nichts gebracht als Großbürokratien, mehr Staat, mehr Schulden, mehr Abgaben, eine Vergesellschaftung des Staates und eine Verstaatlichung der Gesellschaft. Sie haben den Staat schwächer gemacht und die Gesellschaft überfrachtet. Das hat uns einen Teil der heutigen Probleme gebracht.
    Sie haben zur Subsidiarität etwas gesagt. Ist es eigentlich richtig verstandene Subsidiarität oder richtig verstandener Föderalismus, wenn man ein Krankenhausfinanzierungsgesetz — damals vor allen Dingen von einer Parteifreundin von Ihnen verfochten — schafft, bei dem statt einem Drittel Beteiligung des Bundes an den Kosten heute noch ein Vierzehntel übrigbleibt? Ist es da nicht vernünftig, wieder zu kleineren Einheiten zurückzugehen, den Ländern und den Kommunen diese Aufgabe wieder zu übertragen, statt sie in ein Korsett von Mischfinanzierungen zu zwängen, die niemandem nützen, die umständlich sind und die nur die Verantwortungen verlagert haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Dr. Vogel, der Bundeskanzler hat hier niemanden belehrt, aber er hat Notwendiges festgestellt, und das war richtig. Über Diktaturen brauchen Sie, Herr Kollege Dr. Vogel, uns nicht zu belehren. Wir sind weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind. Uns gefällt in Nicaragua keine Rechtsdiktatur, wir wollen aber auch keine Linksdiktatur, wie sie dort jetzt herrscht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

    Eines, Herr Kollege Dr. Vogel, weise ich entschieden zurück: Sie haben Franz Josef Strauß unterstellt, er habe den Tod Burkerts als Instrument ausgenutzt.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: Was war das denn? — Weitere Zurufe von der SPD: Hat er doch! — Das ist die Wahrheit!)

    — Dies ist eine Unterstellung, die ich zurückweise.
    Es ist durchaus legitim, und es steht einem Politi-



    Dr. Waigel
    ker zu, daß er aus berechtigter Empörung über den ungeklärten Tod eines Menschen die Zustände kritisiert, die überhaupt erst dazu führen, daß sich solches ereignen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auf diesen Strecken und bei diesen Kontrollen herrscht Angst. Dies ist eine Realität; dies weiß jeder, der sich dem selber unterzieht. Das kritisieren wir, und das werden wir auch weiter kritisieren.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Und Gauting?)

    — Das ist ein trauriger Vergleich: zwischen Gauting und Drewitz, der Ihnen hier eingefallen ist. Er zeigt nur die Verdrehtheit und die Perversion des Denkens, die Sie sich in diesem Punkt angeeignet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von den GRÜNEN: Gauting ist halt Rechtsstaat!)

    Sie haben vom Kalten Krieg gesprochen, Herr Kollege Dr. Vogel. Ich möchte nur sagen, daß gerade damals in den Zeiten des Kalten Kriegs mehr menschliche Begegnungen möglich waren als in der Zeit, in der man meinte, durch Entspannung und eine neue Politik sei mehr möglich.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie haben in einer Vielzahl von Fällen immer wieder die Bischöfe, den Papst und die Sozialenzykliken für Ihre Argumentation herangezogen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Warum haben Sie dann nicht mit dem Papst, den Bischöfen und anderen auch über Ihre Haltung zum § 218 gesprochen?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat die Schwerpunkte der politischen Arbeit der Koalition der Mitte in den kommenden Jahren verdeutlicht. Es geht erstens um die Sicherung des Friedens in enger Zusammenarbeit mit unseren NATO-Partnern; es geht zweitens um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Sicherung des sozialen Netzes und Bewahrung einer menschenwürdigen Umwelt.
    Ihren Aussagen, Herr Kollege Dr. Vogel, zur Wirtschaftspolitik fehlt ein grundlegender Teil, nämlich die Ursachenanalyse, jene Analyse, warum es soweit gekommen ist. Sie verweigern die Antwort auf die berechtigte Frage, warum wir noch Anfang der 70er Jahre Vollbeschäftigung zu verzeichnen hatten und nun Anfang der 80er Jahre über 2 Millionen Arbeitslose zu beklagen haben. Sie haben in Ihrer Rede dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe ungedeckte Wechsel auf die Zukunft ausgestellt. Wir sind heute gezwungen, die Wechsel einzulösen, die Sie ausgestellt haben, die nicht gedeckt waren, mit denen Sie sich zu Lasten der nächsten Generation in unverantwortlicher Weise verschuldet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie jetzt behaupten, Ihre Beschäftigungspläne seien stocksolide, dann kann ich nur sagen: Diese Berechnungen sind offensichtlich so stocksolide wie der Haushalt und ähnliche Berechnungen, die Sie voriges Jahr vorgelegt haben.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Es ist bezeichnend für die Schwäche Ihrer Partei im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik — es war ja auch nicht berauschend, was Sie heute zu diesem Thema vorgetragen haben —, daß sie zunächst einen großen Verschleiß an führenden Köpfen hatten, die entweder wie Möller und Schiller frühzeitig anderen das Feld überließen oder die ins zweite Glied zurücktreten mußten. Sie selbst, Herr Kollege Vogel, umgaben sich mangels eigener Kompetenz im Wahlkampf mit politisch noch recht unerfahrenen Beratern. Sie haben den Kollegen Roth, was er eigentlich gar nicht verdient hat, ins dritte Glied zurückgestellt, was prompt ins Auge ging; denn der eine Ihrer Berater wollte an das Gold der Bundesbank und der andere an die Sparbuchzinsen. Beides hat keinen großen Anklang bei der Bevölkerung gefunden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Matthöfer [SPD]: Beide Behauptungen sind großer Stuß!)

    Jeder von uns weiß: Es gibt keine Patentrezepte zu einer dauerhaften Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Eine Tatsache und die historische Erfahrung allerdings sprechen für uns, und zwar die historische Erfahrung in unserem Land, daß Sie in einem Jahrzehnt die Arbeitslosigkeit auf jetzt über 2 Millionen haben ansteigen lassen; wir dagegen haben in zwei Jahrzehnten, in den Jahren des Wiederaufbaus, als es noch schwieriger war, eine höhere Arbeitslosigkeit unter weit ungünstigeren Bedingungen verhindert.

    (Zuruf von der SPD: Wir sprechen uns in 12 Monaten wieder!)

    CDU und CSU können mit Stolz auf die marktwirtschaftlichen Grundsatzentscheidungen in den 50er Jahren zurückblicken, die einen schnellen Wiederaufbau und die Eingliederung von Millionen Arbeitslosen ermöglicht haben. Wir haben damals gegen den Widerstand der SPD zusammen mit der FDP die Soziale Marktwirtschaft durchgesetzt. Gerade angesichts des Umfangs der vor uns stehenden Probleme setzen wir heute erneut auf das Konzept der Marktwirtschaft und wenden uns mit Nachdruck gegen Ihre nicht zuletzt auf dem Münchner Parteitag wieder in den Vordergrund gerückten Vorstellungen von mehr Staat, mehr staatlichem Dirigismus, mehr Zwangsabgaben und mehr Staatsverschuldung.
    Lassen Sie mich einige wenige Ursachen der gegenwärtigen Probleme nennen:
    Es war einmal eine Haushaltspolitik, die die gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung statt für Zukunftsaufgaben in immer größerem Umfang für Gegenwartskonsum verbraucht hat.
    Es war zum zweiten eine Sozialpolitik, bei der die Zusammenhänge zwischen gesamtwirtschaftlichem



    Dr. Waigel
    Leistungsvermögen und sozialen Ansprüchen eindeutig verlorengingen.
    Es war zum dritten eine Bildungspolitik mit dem Trend zur Verschulung und zu Massenhochschulen, die heute vielen jungen Menschen die Chance nimmt, einen Arbeitsplatz zu finden, da am Bedarf vorbei ausgebildet wurde.
    Es war zum vierten eine Energiepolitik, an deren Ende uns bei wichtigen technologischen Entwicklungen der Verlust unserer einstigen Spitzenstellung droht.
    Es war zum fünften — Herr Kollege Dr. Vogel, das betrifft Sie besonders — eine Wohnungsbaupolitik, die im Endeffekt zum völligen Erlahmen des Mietwohnungsbaus geführt hat. Sie sind doch das Investitionshemmnis Nummer eins im Wohnungsbau gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Die beschäftigungspolitischen Fehlentwicklungen entstanden nicht von heute auf morgen; sie sind vielmehr das Ergebnis eines langfristigen Prozesses der Verwerfungen und Verformungen, der nicht kurzfristig reparabel ist. So, wie die Ursachen weit zurückreichen, werden auch unsere Maßnahmen zur Überwindung der tiefgreifenden Verwerfungen einen weiten Zeithorizont benötigen. Da die Arbeitslosigkeit vor allem strukturelle Ursachen hat, wird sie sich nur auf längere Sicht und schrittweise abbauen lassen. Das ist für uns die vordringlichste Aufgabe.
    Damit einhergehen muß die grundlegende Sanierung der öffentlichen Finanzen. Eine gut funktionierende Wirtschaft ist nicht denkbar ohne geordnete öffentliche Finanzen, und umgekehrt ist eine Ordnung der öffentlichen Finanzen nur möglich, wenn Arbeitslose wieder zu Steuerzahlern werden. Insoweit befinden wir uns durchaus auf einer Linie mit dem sogenannten Frühjahrsgutachten, das die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute am Montag vorgelegt haben. Ohne auf Einzelheiten des Gutachtens einzugehen, möchte ich folgende Anmerkungen machen.
    Die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Erholung haben sich in den vergangenen Monaten verbessert. In einigen Wirtschaftsbereichen ist eine spürbare Verbesserung der Auftragslage zu verzeichnen. Wir haben im Wahlkampf immer wieder betont: Kurzfristige Patentrezepte gibt es nicht.
    Die Institute kritisieren die Mehrwertsteuererhöhung Mitte 1983. Ich halte diese Kritik allerdings nicht für gerechtfertigt. Jahrelang wurde doch gerade von den Wirtschaftswissenschaftlern eine Umstrukturierung unseres Steuersystems gefordert mit dem Ziel einer Reduzierung der direkten, vor allem der ertragsunabhängigen, Besteuerung und einer Finanzierung der daraus resultierenden Mindereinnahmen durch eine Anhebung der indirekten Steuern. Mit der Mehrwertsteuererhöhung, deren Aufkommen j a gerade zum Abbau ertragsunabhängiger Steuern verwendet wird, sind wir diesen Vorschlägen gefolgt.
    Die Institute wenden sich dann gegen die Hilfen zugunsten des Kohlebergbaus und der Landwirtschaft. Sie lehnen darüber hinaus die Pläne für Hilfen zugunsten der Stahlindustrie und der Werften ab. Welche Folgen die Verwirklichung dieser Vorschläge für den Arbeitsmarkt hätte, wird von den Instituten leider nicht angegeben. Zum EG-Agrarsystem kenne ich keine erfolgversprechende und politisch realisierbare Alternative, es sei denn, wir betrieben künftig eine Renationalisierung der Landwirtschaft mit all den damit verbundenen negativen Konsequenzen für die Aufrechterhaltung der Wirtschafts-, Zoll- und Währungsunion. Ohne öffentliche Hilfen lassen sich nach Lage der Dinge die Arbeitsplätze bei der Kohle, beim Stahl und bei den Werften kaum halten.
    Es muß deshalb meines Erachtens vielmehr darum gehen, diese Subventionen der Höhe nach zu begrenzen und weitgehend degressiv zu gestalten. Aus grundsätzlichen, aber auch aus haushaltspolitischen Überlegungen wäre es uns sicher lieber, auf Subventionen zugunsten von Stahl und Schiffbau verzichten zu können.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Angesichts des internationalen Subventionswettlaufs in diesen Wirtschaftsbereichen werden wir jedoch kaum um öffentliche Hilfen zugunsten dieser Wirtschaftssektoren herumkommen können, es sei denn, wir wären bereit, künftig auf eine nationale Stahlproduktion und auf eine nationale Schiffsproduktion zu verzichten.
    Die Sanierung der öffentlichen Finanzen kann nur über eine dauerhafte Verminderung der Ausgabendynamik erreicht werden. Trotz des nur noch bescheiden wachsenden Ausgabenrahmens müssen die Zukunftsaufgaben wieder ein stärkeres Gewicht erhalten, müssen also die investiven Mittel in den öffentlichen Haushalten zu Lasten der Transferausgaben ausgeweitet werden. Dies und nichts anderes sind die Maßnahmen, die wie im letzten Haushalt auch im kommenden Haushalt notwendig sind.
    Herr Kollege Dr. Vogel und meine Damen und Herren von der SPD, Sie fordern das zwar verbal, sind aber nicht bereit, konkret den Weg zu gehen, den wir jetzt in dieser Schärfe gehen müssen, nachdem Sie uns hinsichtlich der Investitionen und des Wachstums ein verheerendes Erbe eingebrockt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Erschwert — das will ich gar nicht leugnen — wird die Sanierungsaufgabe durch eine in der bisherigen Höhe auf Dauer nicht zur Verfügung stehende Gewinnabführung der Deutschen Bundesbank, die in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen einer Kreditaufnahme der öffentlichen Hand weitgehend gleichzusetzen ist. Das gesamte Defizit des Bundeshaushalts — 1983 rund 52 Milliarden DM — muß in den kommenden Jahren schrittweise zurückgeführt werden.
    Die Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat hat in den meisten westlichen Industriestaaten eine den Lei-



    Dr. Waigel
    stungswillen strangulierende Abgabenlast zur Folge gehabt. Die direkte Steuerbelastung ist bei weitem zu hoch. Bei einem ledigen Durchschnittsverdiener beträgt die Grenzbelastung mit Steuern und Sozialabgaben bereits über 60 %. Zweifellos führt dies zu einer Beeinträchtigung der Leistungswilligkeit und zu einem zunehmenden Hang zur Schwarzarbeit und zur volkswirtschaftlichen Subkultur. Das substanzzehrende System der Unternehmensbesteuerung in unserem Land ist mitverantwortlich für die erschreckende Pleitenwelle, die Hunderttausende von Arbeitsplätzen und darüber hinaus wertvolle Ausbildungsplätze vernichtet hat.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Schlesinger, beschrieb diese Entwicklung wie folgt:
    Die hohe Anfälligkeit der Unternehmen im gegenwärtigen Zeitpunkt ist das Endresultat eines mehrjährigen, teilweise sogar langjährigen Auszehrungsprozesses.
    Mit dieser Erosion der Ertrags- und Investitionskraft der deutschen Unternehmen hat gleichzeitig eine gewaltige Umverteilung zugunsten des sozialen und privaten Konsums und zu Lasten der Investitionen und damit der Arbeitsplätze stattgefunden. Der Rückgang der Investitionsquote in den letzten zehn Jahren entspricht einer Investitionslücke von derzeit jährlich 60 Milliarden DM. Diese Investitionslücke von heute und in den letzten zehn Jahren ist mit eine Ursache für die Technologielükke, der wir uns in vielen Ländern und Kontinenten gegenübersehen. Auf diese Weise haben wir zu Lasten der Zukunft gelebt. Die derzeitige Arbeitslosigkeit ist die Folge dieser Fehlentwicklung.
    Es ist unsere feste Absicht — wir werden es da nicht bei Lippenbekenntnissen belassen —, auch die zweite Stufe der Entlastungen im Unternehmensbereich ab 1984 so weit wie möglich mittelstandsfreundlich auszugestalten. Ich kann Ihnen zusagen, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesfinanzminister und Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie hier die volle Unterstützung und notfalls auch die kritische Begleitung der Fraktion der CDU/CSU zur Seite haben werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Soziale Marktwirtschaft wird letztlich durch die Vielzahl gerade der kleinen und mittleren Betriebe getragen. Deshalb muß den berechtigten Belangen der kleinen und mittleren Betriebe in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der kommenen Jahre verstärkt Rechnung getragen werden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Die mit unserem Koalitionspartner FDP getroffene Neuregelung für die Investitionshilfeabgabe mit einer Verlängerung des Erhebungszeitraums um ein Jahr und einer Verschiebung des Rückzahlbarkeitstermins auf sieben Jahre ist mittelstandsfreundlich, weil sich gerade die kleinen und mittleren Betriebe durch das Investitionsprivileg befreien können und dieses Geld Investitionen und damit Arbeitsplätzen zuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben in dieser Frage einen Kompromiß finden müssen. Aber wir sind unserem Versprechen nicht untreu geworden. Wenn man diese Frage objektiv prüft, wird man zu dem Ergebnis kommen, daß der ökonomische Wert und Umfang dem entspricht, was wir im Wahlkampf zugesagt haben. Beide Partner, CDU/CSU und FDP, mußten hier aufeinander zugehen. Mit diesem Kompromiß, so meine ich, können wir beide leben. Keiner wird davon ganz befriedigt sein. Im Gegensatz zu einer reinen Ergänzungsabgabe bleibt der finanzielle Anreiz für Investitionen erhalten. Er wird sogar auf ein drittes Jahr ausgedehnt.
    Über die Steuerentlastung für 1984 hinaus wird es in der Steuerpolitik dieser Legislaturperiode vor allem zwei Schwerpunkte geben. Zum einen geht es um die Reform des Einkommensteuertarifs. Nach der jüngsten Steuerschätzung wird das Aufkommen aus der Lohnsteuer bis 1987 nahezu doppelt so schnell steigen wie die Löhne und Gehälter. Gleichzeitig steigt die gesamtwirtschaftliche Steuerquote bis 1987 um knapp einen Prozentpunkt, was einem Mehraufkommen von rund 18 Milliarden DM im Jahr 1987 entspricht. Auch ohne Steuertariferhöhungen fordern wir damit den Steuerzahlern bis zur nächsten Tarifentlastung ein erhebliches Konsolidierungsopfer ab. Um so wichtiger ist es, daß Bund, Länder und Gemeinden an dem Einsparungsziel von mittelfristig 40 Milliarden DM festhalten, um das strukturelle Defizit, das Bund, Länder und Gemeinden besonders belastet, endgültig abbauen oder jedenfalls verringern zu können.
    Der Schlüssel zur Wiedergewinnung von Wachstum und Vollbeschäftigung muß bei den privaten Investitionen liegen. Es ist ein folgenschwerer Irrtum, wenn in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung zunehmend auf vermeintliche Sättigungserscheinungen hingewiesen wird. Sättigungserscheinungen sind sicherlich auf einzelnen Märkten zu verzeichnen. In gesamtwirtschaftlicher Hinsicht halte ich jedoch alle Sättigungstheorien für falsch.
    Betrachte ich sie subjektive Seite, so ist mir kein Haushalt in der Bundesrepublik bekannt, der nicht noch viele materielle Bedürfnisse hätte.
    Auch von der objektiven Seite her, d. h. im Hinblick auf neue Produkte, neue Dienstleistungen und neue Techniken, sehe ich nichts, was für das Erreichen von Sättigungsgrenzen spricht. Ich wehre mich einfach gegen die Vorstellung, die Welt, die Ökonomie, die Entwicklung von Produkten, das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage würden ausgerechnet im Jahr 1983 zum Stillstand kommen und danach werde es keine neuen Produkte, keine neuen Bedürfnisse und keine neuen Entwicklungen mehr geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein völlig anderes Problem ist die Tatsache, daß sich die Bedürfnisstrukturen sowohl im privaten



    Dr. Waigel
    Sektor wie auch im öffentlichen Sektor verändert haben und auch in Zukunft verändern werden. In einer Marktwirtschaft führen diese Änderungen der Bedürfnisstruktur zwangsläufig zu einer Änderung der Produktionsstruktur. Ein immer größer werdender Teil der Umsätze von heute entfällt auf Produkte, die vor fünf Jahren noch gar nicht auf dem Markt waren.
    Diese laufende Veränderung der Produktionsstrukturen führt natürlich in einigen Wirtschaftssektoren zu erheblichen Anpassungsproblemen. Dies hat auch auf dem Arbeitsmarkt seinen Niederschlag gefunden. In Zeiten anhaltenden Wirtschaftswachstums fielen die Folgen dieser Strukturanpassungen weniger ins Gewicht. Heute sind diese Strukturanpassungen jedoch zu einem Problem geworden, weil unser Arbeitsmarkt darüber hinaus von den konjunkturellen Problemen wie auch von der demographischen Entwicklung besonders berührt wird.
    Nun hat sich der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion heute erneut für Arbeitszeitverkürzungen ausgesprochen.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Das Ziel aller arbeitszeitpolitischen Vorschläge besteht darin, die vorhandene Arbeit auf, wie es heißt, gerechtere Weise auf mehr Schultern zu verteilen. Nach meiner Ansicht führt eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit keineswegs zu mehr Beschäftigung. Die Einführung der 35-Stunden-Woche bedeutet eine Reduzierung der Arbeitszeit um 12,5 % gegenüber der 40-Stunden-Woche. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit um über 10 % würde eine kräftige Reduzierung der Löhne und Gehälter erforderlich machen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dies könnte aus dem Produktivitätsanstieg, d. h. aus den jährlichen Lohnzuwachsraten, finanziert werden.
    Nach seriösen Berechnungen würde die 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie die Kosten je Arbeitsstunde um 17,5% ansteigen lassen. Die Folge wäre: Die Arbeitnehmer müßten Lohnsenkungen in zweistelliger Prozenthöhe hinnehmen. Mit einem teilweisen oder vollen Lohnausgleich würden Hunderttausende von Stellen vernichtet.
    Außer acht gelassen wird bei diesen Berechnungen auch die Bedeutung des Mittelstandes. Arbeitszeitverkürzende Maßnahmen mögen in der Großindustrie einen gewissen Erfolg bringen, nicht jedoch bei den kleinen und mittleren Betrieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im Handwerk liegt die durchschnittliche Betriebsgröße bei 8,2 Beschäftigten. Die meisten Handwerksbetriebe beschäftigen weniger als 14 Mitarbeiter. Nach den Berechnungen des Handwerks wäre bei Einführung der 35-Stunden-Woche nur in jenen Unternehmen eine zusätzliche volle Arbeitskraft zum Ausgleich der auf 35 Stunden verkürzten Wochenarbeitszeit nötig, die mindestens 14 Arbeitskräfte beschäftigen.
    Erfolgversprechender erscheinen mir demgegenüber die Ansätze zu einer Reduzierung der Lebensarbeitszeit, wobei jedoch auch hier die damit verbundenen Kosten ein schwieriges Problem darstellen. Eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit zu Lasten der Rentenversicherung ist nicht durchsetzbar und nicht verkraftbar. Die durch eine Reduzierung der Lebensarbeitszeit entstehenden zusätzlichen finanziellen Belastungen müssen deshalb von den Tarifpartnern mitgetragen werden. Ich verweise beispielsweise auf die jüngsten Regelungen im Chemiesektor.
    Arbeitszeitverkürzungen können meines Erachtens nur eine flankierende Maßnahme einer grundsätzlich auf Wachstum ausgerichteten Politik sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte eines auch noch in aller Deutlichkeit sagen: Wenn man solches anbietet, dann darf dies nicht damit verknüpft sein oder die Zielsetzung enthalten, als ob wir die ältere Generation aus dem Arbeitsleben hinausdrängen wollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es kann und darf ein Angebot sein. Wer dies mit den Konsequenzen annimmt, dem soll dies gestattet sein. Es darf aber nicht das Hinausdrängen einer Generation sein, die für unsere Wirtschaft, für unser gesellschaftliches Leben eine unglaubliche Leistung erbracht hat und die auch weiterhin in unseren Betrieben notwendig sein wird, um dort Fortschritt und Ausbildung zu gewährleisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Rentenversicherung steht ohnehin vor kaum noch finanzierbaren Ausgaben. Eine der wichtigsten Hauptaufgaben in der 10. Legislaturperiode besteht deshalb darin, das System der sozialen Sicherung wieder mit dem gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögen in Einklang zu bringen. Die finanzielle Lage der Rentenversicherung ist aufs engste mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung verzahnt. Ohne Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden wir auch hier nicht auf die Dauer Erfolg haben können. Nicht Arbeitszeitverkürzungen, nicht Maschinenbeiträge und nicht uferlose Beitragssatzsteigerungen können dieses Problem lösen. Angefangen von dem „Problemchen", das sich 1976 zu einem handfesten Rentenbetrug ausgewachsen hat, bis hin zu den zahlreichen Manipulationen und Finanzverschiebungen ging der quälende Prozeß, mit dem das Vertrauen der Rentner und Aktiven in ihr Alterssicherungssystem mehr und mehr untergraben wurde.
    Sehr verehrter Herr Kollege Vogel, wie Sie bei der Geschichte der Rentenpolitik der SPD in den letzten sieben Jahren den Mut aufbringen, uns hier Vorwürfe zu machen, bleibt mir unerfindlich. Das muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie hätten weiß Gott gut daran getan, über dieses Problem den Mantel des Schweigens zu legen, anstatt zu provozieren, daß wir Ihnen vorhalten, was sich hier seit 1976 und zuvor ereignet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Waigel
    Es ist das Angebot des Bundesarbeitsministers Norbert Blüm, dem ich für seine Arbeit großen Respekt, Anerkennung und die Solidarität der Fraktion aussprechen möchte,

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    dieses Thema aus der Verunsicherung, aus dem politischen Hickhack herauszunehmen, um gerade die älteren Menschen nicht noch mehr zu verunsichern, als dies in der Vergangenheit passiert ist.
    Wir haben — und das war keine schöne und angenehme Aufgabe — die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung für 1983 unverzüglich sichergestellt. Aber wir haben niemanden, auch nicht im Bundestagswahlkampf, über die weiteren Sanierungsnotwendigkeiten im unklaren gelassen. Die weiteren Sanierungsnotwendigkeiten scheinen auch von der SPD anerkannt worden zu sein, wenn ich an den Brief des Kollegen Vogel vom Februar an die „Lieben Rentnerinnen und Rentner" erinnere. Darin heißt es, auch die SPD wäre zu schmerzhaften Maßnahmen gezwungen; in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten heiße dies, die Anforderungen an die Solidarität der Erwerbstätigen nicht zu hoch zu schrauben, einer dürfe den anderen nicht überfordern. — Wir würden es sehr begrüßen, wenn die SPD baldmöglichst ihre Vorstellungen zur dauerhaften Sanierung der Rentenversicherung auf den _Tisch legte und das Angebot von Norbert Blüm, hier einen Konsens und Kooperation zu finden, annehmen würde.
    Zwei Punkte der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Rechts- und Innenpolitik verdienen besondere Hervorhebung.
    Erstens. Die zunehmende Gefährdung des inneren Friedens durch einen Mißbrauch des Demonstrationsrechts hat in den vergangenen Jahren gefährliche Ausmaße angenommen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist ja unerhört!)

    — Was Sie zum Teil bei Demonstrationen betreiben, ist in der Tat unerhört.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich möchte dazu klar betonen: Für uns ist das Recht auf friedliche Demonstration unantastbar. Nicht hinnehmbar sind jedoch die gewalttätigen Ausschreitungen, die wir in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit Protestaktionen gegen industrielle und öffentliche Großprojekte erleben mußten. Mit Gewalt lassen sich Probleme in einem demokratischen Rechtsstaat nicht lösen.

    (Demonstrative Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen darauf geeinigt, den strafrechtlichen Schutz beim Landfriedensbruch zu verbessern und zu prüfen, ob darüber hinaus weitere Maßnahmen im Hinblick auf die Vermummung — welcher friedliche Demonstrant hat eigentlich etwas zu verbergen? — und auf die passive Bewaffnung ergriffen werden müssen.
    Wir haben in dem Punkt, Herr Kollege Dr. Vogel, nichts anderes getan, als auf das, was der Deutsche Richterbund zu diesem Thema als Formulierungshilfe vorgeschlagen hat, zurückzugreifen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vielleicht, Herr Dr. Vogel, lassen Sie sich hier einmal eine kleine Unterrichtung durch Ihren früheren Polizeipräsidenten Schreiber, der nun in Bonn und nicht mehr so weit weg von Ihnen ist, geben. Er wird Sie sicher in freundschaftlicher Verbundenheit von früher darüber aufklären, was in diesem Punkt nunmehr notwendig ist — außer, Ihre frühere Verbindung hätte Schaden genommen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Der Vizepräsident Wolf klärt mich auf!)

    Aber Sie sehen, welches Zeichen von Liberalität diese Regierung aufweist. Wir scheuen uns nicht, einen qualifizierten Mann, der früher mit Ihnen zusammengearbeitet hat, in eine wichtige Funktion in einem Ministerium zu bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Spitze! Warum nicht auch den Wolf?)

    Zweitens. Änderungen halten wir auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beim Scheidungsfolgenrecht für unumgänglich. Dies gilt insbesondere für den Versorgungsausgleich, der in einer Reihe von Fällen zu unzumutbaren Ergebnissen geführt hat.

    (Dr. Vogel [SPD]: Warum habt ihr denn zugestimmt?)

    Unser Ziel besteht darin, zu mehr Einzelfallgerechtigkeit unter Einbeziehung der jeweiligen Ursachen für die Zerrüttung der Ehe zu gelangen. — Herr Kollege Dr. Vogel, Sie sagen: Sie haben hier ja zugestimmt. Nun, auch wenn man einer Sache zugestimmt hat, muß man doch entsprechende Korrekturen vornehmen, wenn man erkannt hat, daß dies zu unzumutbaren Zuständen geführt hat. Gerade ein sich so nachdenklich und so sinnierlich gebender Mensch wie Sie müßte doch den Mut haben, seine eigenen katastrophalen Fehler auf rechtspolitischem Gebiet einzusehen und zu neuen Erkenntnissen zu kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Das gilt auch für die Volkszählung!)

    — Ich hoffe, daß Sie alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Herr Schily, so akzeptieren wie die Entscheidung zur Volkszählung;

    (Beifall bei der CDU/CSU) ich komme darauf zu sprechen. —

    Wer geglaubt hat, im Falle einer Regierungsverantwortung der Union komme es zu einem Rückschritt beim Umweltschutz, muß sich eines Besseren belehren lassen. Ich möchte der Regierung und insbesondere dem Bundesminister des Innern an dieser Stelle meinen Dank dafür aussprechen, daß



    Dr. Waigel
    er in nur wenigen Monaten entscheidende Verbesserungen beim Umweltschutz durchgesetzt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jahn [Marburg] [SPD]: Ha, ha, ha! — Lachen bei den GRÜNEN)

    Trotz erheblicher Meinungsunterschiede seitens der betroffenen Verbände und auch seitens der Bundesländer kam es im Bundesrat zu einem tragfähigen Kompromiß bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Herr Kollege Dr. Vogel, wenn Ihnen das zuwenig ist, dann verweise ich Sie auf eine hilfreiche Tätigkeit: Besprechen Sie sich doch bitte mit Ihrem Parteifreund, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    damit die Widerstände gegen stärkere Eingriffe von dort aufhören, wobei ich diesen Widerstand angesichts der Situation des Ruhrgebiets ökonomisch durchaus verstehe. Nur, Sie können sich doch hier nicht hinstellen und uns den Vorwurf machen, wir täten zuwenig,

    (Dr. Vogel [SPD]: Waldpfennig!)

    wenn Ihre eigenen Parteifreunde im Bundesrat das torpedieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn (Marburg)?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Nein. — Diese intellektuelle Unredlichkeit, Herr Dr. Vogel, lassen wir Ihnen nicht durchgehen; entweder so oder so.
    Eins hat allerdings bei uns heute großen Anklang gefunden — das werden wir gründlich prüfen müssen —, Ihr Vorschlag der Verbandsklage, um das Waldsterben zu beseitigen. Ob uns das sehr weit bringt, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich würde es eher unter die Rubrik „politischer Humor" subsumieren

    (Zuruf von der SPD: Wie Ihre ganze Rede!)

    denn als ernstgemeinten Vorschlag ansehen.
    Sie haben sich, Herr Dr. Vogel, bei Ihren Ausführungen zur Friedensproblematik auf die amerikanische Bischofskonferenz, auf Enzykliken und auch auf die Deutsche Bischofskonferenz bezogen. Ich meine aber, daß man dann auch natürlich die Dinge heranziehen sollte, die in eine andere Richtung gehen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir stehen die deutschen Bischöfe für unsere konkrete Situation hier etwas näher als die amerikanischen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    So enthält das Papier der Deutschen Bischofskonferenz eine eindeutige Stellungnahme zugunsten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die klare Absage an alle totalitären Systeme.

    (Dr. Vogel [SPD]: Überrascht Sie das?)

    Nach Meinung der Bischöfe liegt eine Hauptursache für den Ost-West-Konflikt in der Spannung zwischen dem ideologischen Anspruch des kommunistischen Systems, der auf Klassenkampf und Weltrevolution gerichtet ist, und den Menschenbildern, die im Gegensatz dazu eine freiheitliche Rechts- nd Sozialordnung als Grundlage menschlichen Zusammenlebens fordern. Damit gehen die deutschen Bischöfe auf die Ursache der Spannung ein. Das ist ganz entscheidend, um die Friedensproblematik auch intellektuell redlich bewältigen zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist der Kern!)

    Die deutschen Bischöfe bringen zum Ausdruck, daß Abschreckung ein friedenssichernder Abschnitt auf dem Weg zur Abrüstung und zu einer umfassenden Friedensordnung sein kann. Auf Abschreckung kann aber auf Grund der realen politischen Bedingungen derzeit noch nicht verzichtet werden.
    Herr Kollege Vogel, ich hätte es vielleicht heute nicht gesagt, aber nachdem Sie ziemlich viel Polemik in Ihrer Rede hatten, will ich Ihnen noch etwas aus dem Wahlkampf sagen.

    (Zuruf von der SPD: Die war aber gut, die Rede!)

    Eine der bösesten Entgleisungen und Unterstellungen war Ihre Behauptung, wir stritten für ein Mandat zur Aufstellung von Raketen, und Sie stritten für ein Mandat, um die Raketenaufstellung zu verhindern. Sie wissen ganz genau, daß diese Unterstellung nicht stimmt und haben sie wider besseres Wissen erhoben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Außen- und Sicherheitspolitik der SPD lassen eine klare und eindeutige Positionsbestimmung vermissen.

    (Abg. Jahn [Marburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)