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    Plenarprotokoll 10/4 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 4. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dallmeyer . . . . 55 A Eintritt des Abg. Saurin in den Deutschen Bundestag 55 B Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Franke (Hannover) 55 C Begrüßung des Ministerpräsidenten von Spanien, Herrn Felipe González-Márques, seiner Gattin und der Mitglieder seiner Delegation 55 C Wahl der Schriftführer — Drucksache 10/44 — 55 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. Kohl, Bundeskanzler 56 A Dr. Vogel SPD 74 D Dr. Waigel CDU/CSU 93 A Genscher, Bundesminister AA 104 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 112 D Dr. Ehmke (Bonn) SPD 117C Rühe CDU/CSU 124 B Frau Kelly GRÜNE 128 D Schäfer (Mainz) FDP 131 B Voigt (Frankfurt) SPD 133 B Bastian GRÜNE 135C Klein (München) CDU/CSU 138 B Büchler (Hof) SPD 139 B Lintner CDU/CSU 141 B Schneider (Berlin) GRÜNE 143A Ronneburger FDP 144A Präsident Dr. Barzel 71 C Nächste Sitzung 145 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 146*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 146* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1983 55 4. Sitzung Bonn, den 4. Mai 1983 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders* 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann* 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich* 5. 5. Frau Pack* 4. 5. Rösch* 4. 5. Schröer (Mülheim) 4. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Duren) 5. 5. Dr. Vohrer* 4. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß die Regierungen der Länder folgende Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) bestellt haben: Baden-Württemberg Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Mitglied Ministerpräsident Späth Staatsminister Schmidhuber Senator Prof. Dr. Scholz Senator Dr.-Ing. Czichon Senatorin Maring Ministerpräsident Börner Ministerpräsident Dr. Albrecht Minister Dr. Posser Staatsminister Gaddum Frau Minister Dr. Scheurlen Ministerpräsident Dr. Dr. Barschel Vertreter Frau Minister Griesinger Staatssekretär Dr. Vorndran Senator Oxfort Senator Kahrs Präsident des Senats Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi Frau Staatsminister Dr. Rüdiger Minister Hasselmann Minister Dr. Haak Ministerpräsident Dr. Vogel Minister Prof. Dr. Becker Minister Dr. Schwarz Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 20. April 1983 mitgeteilt, daß sie die Änderungsanträge auf Drucksachen 10/11 und 10/12 zurückzieht. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 14. April 1983 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn nebst Anlagenband und Stellenplan für das Geschäftsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Wer bestimmt eigentlich die Richtlinien Ihrer Politik?

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie jedenfalls nicht!)

    Sie oder der Chef des Teil-, Neben- oder Oberkabinetts, das jetzt regelmäßig in München zusammentritt?

    (Beifall bei der SPD)

    Sie kritisieren uns, Herr Bundeskanzler — nicht heute, da haben Sie Ihre Erklärung, was ich gern bestätige, in großer Fairneß vorgetragen: aber bei vielen anderen Gelegenheiten —, wegen unserer Meinungsverschiedenheiten. Die bestreiten wir auch gar nicht. Aber unsere Kontroversen — ich füge mit einem Blick auf die Kollegen von der FDP hinzu: sogar die Auseinandersetzungen gegen Ende der sozialliberalen Koalition — sind doch Bagatellen im Vergleich zu dem Schlagabtausch, den sich



    Dr. Vogel
    die Repräsentanten Ihrer Koalition bereits vor der Regierungserklärung geliefert haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein Bedarf, daß der Bundeskanzler sogar am Sonntag eine Erklärung abgibt, in der er die sich bekämpfenden Teile zur Ruhe und Ordnung ermahnt, ist nach meiner Erinnerung bei uns erst spät im Jahre 1981 aufgetreten, aber nicht, bevor die Regierungserklärung überhaupt vorgetragen war.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Langner [CDU/ CSU]: Aber dann öfters! — Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU])

    Sie wollen die Kontinuität, Herr Bundeskanzler, und wir glauben Ihnen das auch. Aber Herr Strauß realisiert derweil die Wende. Ihr Wollen stört ihn nicht besonders. Haben Sie übrigens zur Kenntnis genommen, Herr Bundeskanzler, daß Herr Strauß erst vor wenigen Tagen erklärt hat, er sei schon immer gegen eine zu dichte Folge von Kanzlerbesuchen in Washington und im Kreml gewesen? Da steht nach dem, was wir erlebt haben, schon Ihre Moskaureise auf der Tagesordnung, nicht nur das Konsulat in Windhuk, um ein paar der nächsten Punkte zu nennen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Wir laden Sie zur Einweihung ein!)

    Sie haben viel von Europa gesprochen. Sie sind ja auch viel in Europa unterwegs. Indes, die Wahrheit ist: Die Europäische Gemeinschaft befindet sich in einer überaus kritischen Situation.

    (Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU])

    12 Millionen Menschen sind ohne Arbeit. Von den vorhandenen Problemen ist seit Ihrem Regierungsantritt entgegen Ihrer heutigen Darstellung keines der Lösung auch nur einen Schritt näher gebracht worden. Neue sind hinzugekommen.
    Eine Hauptquelle der Schwierigkeiten ist die finanzielle Situation der Gemeinschaft. 1983 werden zirka 37 Milliarden DM, das sind über 70 % des Gemeinschaftshaushaltes, von den Kosten des Agrarmarkts in Anspruch genommen. Allein in den ersten Monaten dieses Jahres sind sie um 35 % gestiegen. Der finanzielle Zusammenbruch der Gemeinschaft droht noch 1983. Erfahrungsgemäß müßte die Bundesrepublik zur Abwendung eines solchen Zusammenbruchs ganz erhebliche Zahlungen leisten. Eine Reform der europäischen Agrarpolitik ist daher im europäischen, aber auch im deutschen Interesse aufs dringendste geboten.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Agrarpolitik ist schlechthin ein Ärgernis. Sie verschlingt Milliarden, damit Produkte, für die keinerlei Bedarf besteht, zunächst erzeugt, dann mit hohen Kosten eingelagert und schließlich mit noch höheren Kosten auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. Diese Politik bewirkt auch eine steigende Umweltbelastung und Energievergeudung. Sie bringt uns einem gefährlichen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten immer näher, und sie beraubt Europa der Mittel, die es für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für die Behebung der Stahlkrise, für die regionale Strukturförderung dringend benötigt. Mit einer einzigen der Milliarden, die hier nutzlos ausgegeben werden, könnten durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 125 000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?

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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, ich möchte meine Darlegungen gerne im Zusammenhang vortragen. Herr Kollege Ertl, wir werden sicher eine andere Gelegenheit haben.
    Hier ist aus einer ursprünglichen Wohltat Plage geworden. Das ist keine europäische Politik. Das ist ein europäischer Skandal, ein Sprengsatz für die Europäische Gemeinschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir stimmen mit Ihnen in der Forderung nach einem starken und handlungsfähigen Europa überein. Wir sind für den Beitritt Portugals und Spaniens. Wir sind für ein Europa, dessen Parlament mehr Rechte hat, dessen Einigung Fortschritte macht. Aber dafür genügen Forderungen und noch so schöne Erklärungen nicht. Sie müssen handeln. Unentwegte Beteuerungen, mit jedermann in jeder europäischen Hauptstadt und mit jedem Besucher, der Bonn erreicht, übereinzustimmen, reichen nicht aus.
    Bis jetzt hat die deutsche Präsidentschaft unter Ihrer Verantwortung keinerlei Fortschritte erbracht. Der Brüsseler Gipfel vom März 1983 war eine einzige Enttäuschung. Sie haben Chancen ungenutzt gelassen und die Europamüdigkeit verstärkt. Ihre Europapolitik ist durch Untätigkeit gekennzeichnet.

    (Beifall bei der SPD)

    Das erste konkrete Ergebnis Ihrer Deutschland- und Berlin-Politik ist die Wende, ein Stück Wende zurück in Richtung Konfrontation und kalter Krieg. Ich glaube Ihnen ja, daß Sie selber diese Wende gar nicht wollen und daß Sie sich nach Bekanntwerden des Todes von Rudolf Burkert bemüht haben, der weiteren Eskalation entgegenzuwirken. Aber das Gesetz des Handelns, Herr Bundeskanzler, lag und liegt doch in diesen Tagen auf diesem Feld gar nicht mehr bei Ihnen. Das hat doch längst der Vorsitzende der CSU mit seinen Sekretären an sich gerissen.

    (Beifall bei der SPD)

    Er war doch von Anfang an entschlossen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat wohl auch die Mauer gebaut?)

    den Tod des Transit-Reisenden Rudolf Burkert in Drewitz als Instrument gegen Sie und Ihre Richtlinienkompetenz einzusetzen. Deshalb die maßlose Sprache und der provozierende Mordvorwurf, deshalb die übersteigerte Polemik des Herrn Strauß nach allen Seiten. Da sollte doch demonstriert werden, Herr Bundeskanzler, daß all die Leitartikel



    Dr. Vogel
    darüber, wie Sie Herrn Strauß bei den Koalitionsverhandlungen ausmanövriert, wie Sie ihn samt seiner Kutsche wieder nach München geschickt haben, voreiliges Wunschdenken waren, daß das Droh- und Störpotential dessen, der einmal öffentlich gesagt hat, es sei ihm gleich, wer unter ihm Bundeskanzler sei, durchaus noch funktioniert und einsatzfähig ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Durch all das ist schon jetzt beträchtlicher Schaden entstanden. Millionen von Menschen in und um Berlin sorgen sich um die Erhaltung der menschlichen Erleichterungen, die sie der Politik Willy Brandts und Helmut Schmidts seit 1969 verdanken. Sie fürchten, daß Herr Strauß seine Sonthofener Katastrophenstrategie jetzt auf dem Feld der innerdeutschen Beziehungen fortsetzt. Und das Berliner Abgeordnetenhaus mahnt einmütig — quer durch alle Parteien — zur Besonnenheit und erklärt, daß für die von der CSU geforderte Wende nicht der geringste Anlaß besteht. Das war vergangenen Donnerstag.
    Was der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, mein Kollege Landowski, im Berliner Abgeordnetenhaus dazu gesagt hat, ist es wert, wörtlich zitiert zu werden. Er sagte unter allgemeinem Beifall, das Transitabkommen habe sich millionenfach bewährt. Wer im Fall Burkert von Mord spreche, entwerte den moralischen Protest gegen die Geschehnisse an Mauer und Stacheldraht. Dem ist nur zuzustimmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben zur Entstehung dieses Schadens wesentlich beigetragen. Erst haben Sie es versäumt, über Ihre deutschlandpolitische Linie Klarheit zu schaffen. Dann haben Sie es Herrn von Weizsäcker — ich meine natürlich Richard von Weizsäcker; da gibt es bei Einladungen ja manchmal Verwechslungen mit den Vornamen — und der Berliner CDU überlassen, Herrn Strauß in seine Schranken zu weisen. Jetzt bleibt nur übrig, den Schaden zu begrenzen und mit Geduld und Besonnenheit dahin zu wirken, daß nicht noch mehr der mühsam geknüpften Fäden reißen, damit nicht auf beiden Seiten diejenigen die Oberhand gewinnen, die aus ihren Gründen — auf beiden Seiten — mehr an Abgrenzung und Konfrontation interessiert sind als an Normalisierung und Kooperation; und die gibt es sicher auch in Ost-Berlin.
    Das alles kann man nicht aussitzen, wie das im Umgang mit Herrn Strauß offenbar versucht worden ist. Darüber kann man sich auch nicht ausschweigen, wie Sie es in Ihrer heutigen Regierungserklärung getan haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich halte es für einen bemerkenswerten Vorgang, daß Sie auf Ereignisse, die unser Volk sehr beunruhigt und beschäftigt haben, in Ihrer Regierungserklärung nicht mit einem einzigen Satz oder einem einzigen Wort eingegangen sind. Dafür steht zuviel auf dem Spiel, nämlich die Sicherung des Erreichten und die weitere Entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen.
    Dabei wäre an Themen für weitere Gespräche und das allmähliche Zusammenführen von Interessen, die sich decken oder ergänzen, wahrlich kein Mangel.
    Sie sagen dazu immer, Leistung und Gegenleistung müßten sich entsprechen. Dazu gibt es eine Bemerkung, die ich zitieren möchte und die ich Ihrer großen Aufmerksamkeit empfehle. Die Leistungen, die aus öffentlichen und privaten Quellen in die Deutsche Demokratische Republik fließen, sind nicht nur als politische Plangröße — für die, die drüben planen —, sondern für das Leben drüben überhaupt ein verklammernder Faktor. Auch das ist ein Gegenposten, der sich nicht in Milliarden oder überhaupt in Geldbeträgen erfassen läßt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich zitiere mit diesem Satz meinen von mir sehr verehrten Gegner und Kontrahenten, den jetzigen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizsäcker.
    Was Berlin angeht, so erkläre ich namens meiner Fraktion ausdrücklich unsere Bereitschaft zur Kooperation. Die Entscheidungen, die diese Stadt braucht, sind in der Vergangenheit meist einstimmig zustande gekommen. Das sollte sich, soweit es an uns liegt, nicht ändern. Das Zentralproblem der Stadt war übrigens seit den Verträgen von 1972 — hoffentlich hat es sich durch die jüngsten Ereignisse nicht geändert — nicht mehr ihre äußere Sicherheit und die Sicherheit ihrer Integration in die politische, kulturelle und wirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik, sondern ihre Wirtschaftskraft.
    Sie haben mit Ihren Zusagen auf der Konferenz vom Dezember 1982 hohe Erwartungen geweckt. Sie sind bisher nicht — ich hoffe: noch nicht — eingelöst. Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit steigt in Berlin in bedrohlicher Weise weiter. Und ich sage: Die Arbeitslosigkeit stellt heute für Berlin eine innere Bedrohung dar, die den äußeren Bedrohungen früherer Jahrzehnte in ihrer Bedeutung und Tragweite kaum nachsteht.

    (Beifall bei der SPD)

    Dies sollte alle Fraktionen dieses Hauses vereinen in sinnvollen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Berlin.
    Ich füge etwas hinzu: Wir sollten gemeinsam über die langfristige Perspektive Berlins nachdenken. Wer es mit der Durchsetzungskraft evolutionärer Ideen und Prozesse, über alle Grenzen, Gräben und Gegensätze hinweg, ernst meint, wer mit uns glaubt, daß die Nation als Geschichts-, Sprach-, Kultur- und Gefühlsgemeinschaft auch für uns Deutsche ein identität- und einheitstiftender Faktor ist, auf den wir auf Dauer nicht ungestraft verzichten können, der sollte Berlin als Chance und nicht als eine Last begreifen.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Hoppe [FDP])




    Dr. Vogel
    Hier, in dieser gelebten und im Bewußtsein der Menschen existierenden Geschichts-, Sprach-, Kultur- und Gefühlsgemeinschaft liegt die reale Substanz dessen, was uns die Präambel des Grundgesetzes im Hinblick auf die Einheit der Deutschen hier und heute zu wahren und zu pflegen aufgegeben hat.
    Diese Gemeinschaft aber hängt ab von der Dichte und Häufigkeit der Begegnungen, von der Verflechtung wechselseitiger Interessen, von der lebendigen Erinnerung an die gemeinsame Geschichte. Diese Gemeinschaft haben wir mit unserer Politik nach den Jahren des Kalten Krieges, der Konfrontation und der Trennung wiederhergestellt, belebt und vertieft.
    Wer diese Kontinuität unserer deutsch-deutschen Politik in Frage stellt, wer sie so entschieden bekämpft, wie Herr Strauß das tut, der fördert die Einheit der Deutschen nicht, der gefährdet sie; der setzt Ursachen dafür, daß Mauern und Grenzanlagen, die unsere Politik durchlässiger gemacht hat, aufs neue ihre volle menschentrennende, gemeinschaftszerstörende Wirkung entfalten können. Und dem setzen wir unseren Widerstand entgegen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir anerkennen, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der FDP, dem widersprechen. Einzelne von Ihnen werden jetzt deshalb von Ihrem Koalitionspartner CSU, von den Sekretären des Herrn Strauß, als Fürsprecher und Sachwalter der SED beschimpft. Aber wir können nicht vergessen, daß Sie durch den Koalitionswechsel Herrn Strauß erst die Möglichkeit verschafft haben, einen derart verderblichen Einfluß auf ein wichtiges Stück deutscher Politik zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sprach von der Arbeitslosigkeit in Berlin. Arbeitslosigkeit ist nicht ein privates Unglück, sondern ein Unrecht, bitteres soziales Unrecht. Massenarbeitslosigkeit ist deshalb nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern eine ernste politische und gesellschaftliche Herausforderung, die auf längere Sicht unser Gemeinwesen geradezu vergiften kann. Deshalb gilt: Die Überwindung der Arbeitslosigkeit ist neben der Sicherung des Friedens die zentrale Aufgabe der Politik in dieser Wahlperiode.
    Darin stimmen wir offenbar überein. Aber dann trennen sich unsere Wege.
    Sie sagen, die Arbeitslosigkeit werde zurückgehen, wenn der Staat seine Ausgaben und die sozialen Aufwendungen kürze, die sogenannten Selbstheilungskräfte der Wirtschaft und des Marktes gewähren lasse und sich im übrigen darauf beschränke, die Angebotsbedingungen zu verbessern. Dann komme der Aufschwung; dann beschleunige sich das Wachstum; dann werde alles gut. Sie lassen durchklingen, dann werde alles wieder so, wie es früher war.
    Ich sage Ihnen: Das ist eine nostalgische Illusion. Das greift zu kurz.

    (Beifall bei der SPD) Natürlich würden wir es begrüßen, wenn sich die Konjunktur tatsächlich erholen würde. Und wichtige Maßnahmen, die in diese Richtung zielen, stammen ja noch aus der Zeit unserer Regierungsverantwortung,


    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    z. B. die befristete Investitionszulage, die zu einer deutlichen Auftragsteigerung geführt hat, oder der Abbau des Leistungsbilanzdefizits oder die Einleitung der Zinssenkung. Damit haben doch nicht Sie begonnen. Im Gegenteil, die Investitionszulage haben Sie seinerzeit mit Erbitterung bekämpft.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sind auch für sinnvolles Wachstum, für Wachstum, bei dem nicht die sozialen und ökologischen Kosten höher sind als der Ertrag des Wachstums. Aber alles, was Sie heute morgen über Wachstum und Aufschwung gesagt haben, ist doch im Grund ein Wechsel auf die Zukunft und schon wegen der außenwirtschaftlichen Entwicklung keineswegs gesichert; so wenig gesichert wie Ihr Versprechen, jeder, der einen Ausbildungsplatz suche, werde ihn durch Ihre persönliche Vermittlung erhalten. Was erhält er? — Eine Weiterleitung an das Arbeitsamt, Herr Bundeskanzler. Dieses Versprechen wird Ihnen noch zu schaffen machen. Die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz ist entgegen Ihrer Ankündigung nicht geringer als 1982, sondern deutlich größer. Sie sehen sich doch schon dem ganz konkreten Vorwurf der Täuschung ausgesetzt. Mit dem Aufschwungversprechen könnte es ähnlich gehen. Ich sage das nicht mit Schadenfreude; ich sage es mit Besorgnis.
    Wir sind bereit, sinnvolle Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur zu unterstützen. Wir werden selber im Rahmen unseres Konzepts entsprechende Initiativen ergreifen. Wir wollen bestimmte öffentliche und auch private Investitionen fördern und die Kreditversorgung insbesondere mittelständischer Unternehmen verbessern. Wir wissen, meine Damen und Herren, um die wichtige Rolle, die gerade der Handwerks- und mittelständische Bereich bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gespielt hat.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    Umgekehrt werden wir uns Absichten widersetzen,

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    die die Massenkaufkraft und damit die Inlandsnachfrage reduzieren

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    — meine Damen und Herren, schonen Sie Ihre
    Stimmbänder, es kommen mindestens noch drei
    Punkte, bei denen Sie ähnlich reagieren werden —,

    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    nicht auf eine Umverteilung zu Lasten der Stärkeren hinauslaufen oder die sonst gegen das Gebot der sozialen Gerechtigkeit verstoßen.



    Dr. Vogel
    Die Belebung der Wirtschaftstätigkeit in der Bundesrepublik ist sehr weitgehend von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig. Das haben Sie vor der Wahl nur ganz leise gesagt. Da waren alle Schwierigkeiten hausgemacht und von der sozialliberalen Koalition verschuldet. Da haben Sie verschwiegen, daß wir in fast allen Punkten, mit nahezu allen Kenndaten besser dastehen als die uns vergleichbaren Industrieländer. Jetzt reden auch Sie laut und deutlich von den außenwirtschaftlichen Ursachen. Warum eigentlich erst jetzt und nach den Wahlen?