Rede von
Dr.
Alfred
Dregger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Brandt hat vieles vorgetragen. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß durch seinen Beitrag der Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Neuwahlfrage klarer geworden wäre.
Um einige Punkte aufzugreifen: Er hat die Befürchtung geäußert, daß sich der Herr Bundespräsident durch uns unter Druck gesetzt fühlen könnte. Bei der Unabhängigkeit dieses Amtes und bei der Persönlichkeit ihres Inhabers halte ich das für völlig ausgeschlossen.
Der Herr Bundespräsident ist das dritte Verfassungsorgan,
das mit diesem Antrag befaßt ist. Das erste ist der Bundeskanzler, das zweite sind wir, der Deutsche Bundestag. Der Herr Bundespräsident wird dann auf Grund des Vorschlags des Kanzlers und unter Bewertung unseres Votums und seiner Begründung selbstverständlich unabhängig, nach eigenem, pflichtgemäßen Ermessen seine Entscheidung treffen.
Das gilt auch für den Wahltag. Die Fristen sind in der Verfassung eindeutig vorgeschrieben. Innerhalb von 21 Tagen nach unserem Votum hat der Herr Bundespräsident zu entscheiden, ob er den Bundestag auflösen will. Innerhalb von 60 Tagen hat er, falls er sich für die Auflösung entscheidet, den Wahltag festzusetzen. Seine Unabhängigkeit wäre nicht gefährdet, wenn er dabei auf den Vorschlag einginge, den die Bundesregierung oder der Bundestag auch im Hinblick auf den Wahltag selbstverständlich machen kann.
Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn seinen Antrag gemäß Art. 68 des Grundgesetzes und die diesem Antrag zugrunde liegenden Erwägungen eingehend dargelegt. Unsere Erwägungen entsprechen den seinigen. Die Begründung dafür habe ich bereits am 14. Dezember 1982 zu Beginn der Haushaltsdebatte im einzelnen dargelegt. Diese Begründung gilt nach wie vor; ich nehme darauf Bezug. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden sich dementsprechend bei der Abstimmung zum Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes mit Ausnahme einiger weniger Kollegen der Stimme enthalten, die selbstverständlich das Recht haben, ihre abweichende Auffassung zum Ausdruck zu bringen.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen durch unser Abstimmungsverhalten dazu beitragen, daß der Weg zu Neuwahlen geöffnet wird; denn wir halten diese Neuwahlen politisch jetzt für notwendig, und wir halten sie verfassungsrechtlich für möglich.
Wer von Neuwahlen spricht, muß die Perspektiven aufzeigen, die diese Neuwahlen den Bürgern eröffnen. Die Perspektive der neuen Mehrheit aus CDU/CSU und FDP ist in zehn Wochen Regierungs-
und Parlamentsarbeit nicht durch Beschreibungen, sondern durch Handlungen' sichtbar geworden.
Es gibt eigentlich kein faireres Verfahren, sich auf diese Weise auf den Prüfstand der Wähler zu stellen. Allerdings, Herr Kollege Brandt, da Sie weder an der ersten Lesung noch an der zweiten und dritten Lesung der Haushaltsberatung teilgenommen haben,
ist es für Sie natürlich schwer zu beurteilen, welche Perspektive wir aufgezeigt haben.
Diese Perspektive ist gewiß nicht bequem, aber sie
ist wahrhaftig und der jetzigen Lage allein ange-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8949
Dr. Dregger
messen. Wir sind angetreten, um den Schutt wegzuräumen,
wie es einer der Kollegen in der Debatte formuliert hat. Dabei geht es mir zunächst gar nicht um Schuldzuweisungen. Natürlich gab und gibt es negative Einflüsse aus der Weltwirtschaft. Aber das entlastet uns doch nicht; denn wir sind ja ein wesentlicher Teil dieser Weltwirtschaft und haben ihre Probleme mitverursacht. Wir sind immer verpflichtet, uns auf neue Herausforderungen dieser Weltwirtschaft einzustellen, und das ist eben in den letzten Jahren nicht geschehen.
Natürlich ist niemand von uns ganz frei von der Verantwortung für die Probleme, die, aus der Vergangenheit kommend, unsere Zukunft belasten. Trotzdem wehre ich mich entschieden gegen den Versuch des von mir im übrigen geschätzten Kollegen Leber, uns allen gleiche Verantwortung anzulasten, gleichgültig, ob wir in der Regierung oder in der Opposition standen.
Kollege Leber hat gemeint, wir alle hätten versäumt, in den fetten Jahren bis 1976 Scheunen für die mageren Jahre anzulegen. Meine Damen und Herren, wer in dieser Weise jeden Unterschied in der Verantwortung zwischen denen, die als Regierung die Entwicklung beeinflussen können, und denen, die selbst aus der Verantwortung des Handelns ausgeschlossen sind, leugnet, stellt das parlamentarische System in Frage.
Was Herr Kollege Leber gesagt hat, stimmt aber auch historisch nicht. Es ging nicht um den Bau von Scheunen oder die Anlage eines Juliusturms — wovon er auch gesprochen hat — in den fetten Jahren; aber es ging darum, den Staat finanziell handlungsfähig zu erhalten, damit er in den mageren Jahren aktiv eingreifen kann, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
Diese Erhaltung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates ist in den ersten 20 Jahren der Bundesrepublik Deutschland unter unserer Regierungsverantwortung voll gelungen. 1970, als wir das Steuer an Sie abgaben, war der Bund so gut wie schuldenfrei. Die Nettokreditaufnahme von 1949 bis 1969 betrug im Jahresdurchschnitt weniger als 1 Milliarde DM, und in den 13 Jahren danach unter Ihrer Verantwortung betrug sie im Jahresdurchschnitt mehr als 20 Milliarden DM und zuletzt 40 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das ist der Unterschied!
Das deutsche Volk kann die Regierenden der 70er Jahre, es kann vor allem die führende Regierungspartei der 70er Jahre, die SPD, insbesondere ihre Kanzler und ihre Finanzminister, aus der Verantwortung für diese Fehlentwicklung nicht entlassen.
Wir sind bereit, unsere Regierungsjahre zu verantworten, also in Bonn die 50er und die 60er Jahre und, wie ich hoffe, auch die 80er Jahre. Aber die Ergebnisse der 70er Jahre und die Lasten, die Sie in den 70er Jahren der Zukunft aufgebürdet haben, Herr Kollege Brandt, müssen allein Sie verantworten.
Wir sind bereit, die Last auf uns zu nehmen, die Sie hinterlassen. Wir treten vor die Wähler nicht mit unhaltbaren Versprechungen und nicht mit Geschenken, sondern mit zum Teil bitteren Wahrheiten. Aber wir sind überzeugt, daß wir die Krise meistern können.
Den Weg, der zum Teil gewiß steinig ist, haben wir in den letzten Wochen und insbesondere in den letzten Tagen aufgezeigt.
Nun frage ich: Wie sieht die Perspektive aus, die Sie den Wählern anbieten wollen, meine Damen und Herren der SPD? In der Haushaltsdebatte und im Beitrag des Kollegen Brandt ist diese Perspektive nicht sichtbar geworden.
Es war erstaunlich, mit welchem Tempo die SPD die Positionen aufgegeben und gewechselt hat, die sie noch kurz zuvor als Regierungspartei vertreten hat.
Im übrigen haben Sie angeklagt, zum Teil diffamiert und uns den guten Willen abgesprochen. Sie, meine Damen und Herren der SPD, sind in wenigen Wochen zu einer linken Protestpartei geworden, die Anlehnung an die Grünen sucht.
In Hamburg haben Sie das Fairneßabkommen, das unser Kollege Walter Leisler Kiep vorgeschlagen hat, abgelehnt. Das Abkommen lief darauf hinaus, daß die aus den Wahlen vom kommenden Sonntag als stärkste Partei hervorgehende Fraktion auf jeden Fall regieren und die zweitstärkste Partei das tolerieren sollte. Das war doch fair. Vor allem hätte es bewirkt, daß Hamburg endlich von den Launen der Grün-Alternativen befreit
und das Funktionieren der demokratischen Organe der Freien und Hansestadt Hamburg auch in der Zeit sichergestellt worden wäre, in der sich sogenannte Grün-Alternative in der Bürgerschaft befinden.
Die Entwicklung in Hessen ist nicht weniger besorgniserregend. Der Ministerpräsidentenkandidat der CDU, Dr. Wallmann, hat Herrn Börner und der SPD eine ganze Palette von Möglichkeiten angebo-
8950 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982
Dr. Dregger
ten, um in einer Vereinbarung mit der SPD sicherzustellen, daß auch in der jetzigen Situation, in der die Grün-Alternativen das Zünglein an der Waage sind, gehandelt und das Funktionieren der demokratischen Institutionen sichergestellt werden kann. Aber wie in Hamburg so haben sich auch in Hessen die Sozialdemokraten einer Zusammenarbeit mit der anderen großen demokratischen Partei verweigert. Sie suchen auf jeden Fall das Bündnis mit den Grün-Alternativen.
Meine Damen und Herren, das ist die Perspektive zu Bonn. Der Kanzlerkandidat der SPD, Herr Vogel, hat erklärt, er habe keinerlei Berührungsängste, wenn es darum gehe, von den Grün-Alternativen zum Kanzler gewählt zu werden.
Aber darum geht es ja gar nicht. Es geht nicht um die Wahl, sondern um die Abhängigkeit von den Grün-Alternativen nach der Wahl.
Wer nach der Wahl zur Mehrheitsbeschaffung auf die Grün-Alternativen angewiesen ist, der ist regierungsunfähig. Er kann nicht handeln.
Herr Vogel versucht immer wieder, das mit Hinweisen auf den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Richard von Weizsäcker, zu überspielen. Dieser Vergleich geht fehl. Herr von Weizsäcker ist nicht auf die Grün-Alternativen angewiesen. Er findet für seinen Minderheitensenat die Unterstützung von freidemokratischen Abgeordneten, an deren Verfassungstreue und Handlungsbereitschaft für unseren Staat nicht gezweifelt werden kann.
Wenn ein so intelligenter Mann wie Herr Vogel einen so unpassenden Vergleich zwischen den Konstellationen in Berlin auf der einen Seite und in Hamburg und Hessen auf der anderen Seite zieht, dann ist höchste Vorsicht geboten.
— Ich analysiere jetzt die Perspektive, Herr Brandt, die Sie den Wählern bieten. Unsere Perspektive ist klar.
— Ich kann nur aus Ihrer Praxis in Hamburg und Hessen und aus den Äußerungen Ihres Kanzlerkandidaten Vogel folgern, daß die politische Alternative
für den neuen Bundestag lautet: entweder eine regierungsfähige Mehrheit unter der Führung der
Union, wobei uns die FDP als Koalitionspartner
willkommen ist, oder eine grünrote, eine negative, eine nicht regierungsfähige Mehrheit.
Das ist ja die Mehrheit, die Sie, Herr Kollege Brandt, in der Wahlnacht in Hessen als Ihr Ziel proklamiert haben,
allerdings eine Mehrheit, vor der Ihr Grundsatzdenker Richard Löwenthal mit Recht warnt. Wer mit den Grünen poussiert, verrät die Arbeiter, dieses Wort von Norbert Blüm ist ebenso knapp wie zutreffend.
Das ist die Alternative dieser Wahl. Eine solche hat es in der Nachkriegszeit noch nicht gegeben.
Ist das Risiko, das in dieser Alternative liegt, ein Grund, auf die Wahl vom 6. März zu verzichten? Das fragen sich ja einige Bürger. Ich meine, nein. Nichts spricht dafür, daß unserem Volke diese Alternative im Herbst 1984 erspart werden würde, und das wäre j a der späteste Wahltermin. Abwarten, Verschieben, Ausweichen, das hilft in dieser Situation nicht, im Gegenteil. Der Alptraum einer grün-roten Mehrheit links von der CDU lastet auf der deutschen Politik, lähmt den wirtschaftlichen Aufschwung, gefährdet unsere Position in der internationalen Politik. Deswegen muß dieser Alptraum sobald wie möglich durch eine klare Wahlentscheidung aus der Welt geschafft werden.
Je eher dieser Alptraum als mögliche Alternative verschwindet, um so besser für Deutschland.
Die erste Regierung Kohl wurde am 1. Oktober, also vor erst zehn Wochen, gebildet. Damit wurde die Periode der Zerstrittenheit und der Lähmung beendet, die die letzten Jahre der Regierung Schmidt gekennzeichnet hatten. Die Regierung Kohl und die sie unterstützende Mehrheit haben sich in der Innen- wie in der Außenpolitik als voll handlungsfähig, als kompromißbereit und entscheidungsfähig erwiesen.
Die neue Mehrheit hat die Fahrt unseres Landes in den finanziellen Abgrund
durch schwere und schmerzliche Entscheidungen auf der Ausgabenseite zunächst abgebremst.
Sie hat trotz leerer Staatskassen
wirksame Anstöße gegeben für die Belebung der Wirtschaft, insbesondere der Bauwirtschaft, und damit für die Eindämmung der Massenarbeitslosigkeit. Das Vertrauen der Deutschen Bundesbank in
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1982 8951
Dr. Dregger
die Solidität der neuen Finanzpolitik hat wesentlich dazu beigetragen, daß kurz hintereinander zweimal die Zinsen gesenkt und damit die Kostenlast der deutschen Wirtschaft wesentlich vermindert worden ist.
Auf dem Berliner Wirtschaftsgipfel haben sich deutsche Unternehmer verpflichtet, zur wirtschaftlichen Rettung unserer Hauptstadt Hunderte von Millionen in Berlin zu investieren,
nicht auf Grund eines staatlichen Beschäftigungsprogramms, das unseren ausgebluteten Staatshaushalt noch weiter belasten würde, sondern auf Grund des Vertrauens in die Stabilität dieser Regierung und in die Solidität ihrer Finanzpolitik.
Diese Regierung ist in der internationalen Politik als Friedensfaktor anerkannt. Der Regierungswechsel in Bonn ist von den westlichen Verbündeten mit Erleichterung aufgenommen worden, weil sich der neue Kanzler auf die Unterstützung seiner Mehrheit in der Außenpolitik hundertprozentig verlassen kann,
während der alte Kanzler in einem ständigen Clinch mit seiner eigenen Partei lag, die seine Kräfte aufgesogen und ihn nach und nach handlungsunfähig gemacht hat. Das ist doch die Wirklichkeit.
Aber, meine Damen und Herren, nicht nur die Verbündeten im Westen, auch die Sowjetunion und die sozialistischen Länder sind zur Zusammenarbeit mit der neuen Regierung bereit. Der sowjetische Außenminister wird in Kürze zu einem Besuch in Bonn eintreffen. Wir heißen ihn zu den in Bonn vorgesehenen Gesprächen willkommen, wobei ich von der außenpolitischen Perspektive ausgehe, die der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung und die ich in meinem Debattenbeitrag vom 14. Dezember 1982 für die CDU/CSU-Fraktion gegeben habe.
Ich beglückwünsche den Herrn Bundeskanzler mit seiner Regierung zu seinen bisherigen Erfolgen.
Ich beglückwünsche ihn zu seinem Selbstvertrauen und zu seinem Mut,
sich der Entscheidung der Wähler zu stellen. Daraus spricht Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Standhaftigkeit. Das ist das, was wir jetzt brauchen.
„Denn der Mensch," — mit diesem Goethe-Zitat möchte ich schließen — „der in schwankenden Zeiten selbst schwankend gesinnt ist, der mehret das Übel und bereitet es weiter und weiter. Wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich."
Ich möchte es für unsere Zeit etwas bescheidener sagen: Nur mit Festigkeit, mit Beharrlichkeit und Wahrhaftigkeit können wir erreichen, worauf es ankommt, nämlich daß unser Volk in einer gefährlichen Zeit in Frieden überlebt und seine Zukunft sichert. Das wollen wir, und dafür stehen wir.