Rede von
Dr.
Rainer
Barzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne lange zu reden, möchte ich doch mit einer persönlichen Bemerkung beginnen. Ich bin jetzt seit über 25 Jahren hier. Ich habe mich überwiegend in heftigen, strittigen, kämpferischen Debatten betätigt. Ich erlebe nun diesen Abend — damit muß ich erst noch fertigwerden.
Herr Kollege Kreutzmann, ich möchte zunächst gern etwas zu drei oder vier Punkten Ihrer einführenden Rede sagen.
Sie haben dargetan, es habe in der vergangenen Koalition zum erstenmal von Deutschland aus einen Anstoß für den Frieden gegeben. Sie werden zugeben, daß das auch anders beurteilt werden kann und wohl von der Geschichte zu beurteilen ist. Wenn heute der Frieden im freien Teil Europas gesichert ist und Krieg nicht nur undenkbar, sondern unmöglich ist, hängt das mit Konrad Adenauers Politik der Zusammenführung Europas zusammen.
Und wenn wir trotz des Ost-West-Konflikts noch immer — Gott sei Dank — in Frieden leben — trotz der Zurüstung der Sowjetunion und ihrer gefährlichen Politik anderswo —, dann nur deshalb, weil mangels Abrüstung hier die Abschreckung funktioniert. Das ist, glaube ich, die Realität. Das sollte man nicht übersehen.
Sie haben zum zweiten, Herr Kreutzmann, gelobt, daß ich Vorsätze gehabt hätte, auch im Verborgenen zu wirken. Das freut mich sehr. Herr Wischnewski hat hier neulich etwas anderes versucht; ich nehme an, daß das damit vorbei ist. Das ist natürlich kontinuierlich, denn das, was wir damals angefangen haben — Frau Berger war so freundlich, es zu erwähnen —, war nur durch verborgenes Wirken möglich. Das soll auch so bleiben.
Dritter Punkt: die Kontinuität. — Ich trete jetzt dem Kollegen Wehner, einem Amtsvorgänger, nicht zu nahe. Sie wissen, Herr Kreutzmann, die Reihe fängt an mit Jakob Kaiser. Das wollen wir auch nicht vergessen. Wir wollen auch nicht Ernst Lemmer und Erich Mende vergessen.
Meine Damen, meine Herren, ich würde nun gern ein Wort zur Kontinuität sagen, weil das auch ein ernster Punkt in der öffentlichen Auseinandersetzung ist, damit hier kein Mißverständnis aufkommt.
Ich habe auf Bitten des Ausschusses — ich komme nachher darauf zurück, Herr Kollege Ronneburger — Gelegenheit genommen, eine Einführung in die Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung zu geben. Sie ist im Bulletin abgedruckt worden. Ich fand dort eine Zustimmung, die dann zu der haushaltspolitischen Haltung führte, die wir hier gerade spüren. Ich möchte aus dieser Bemühung vor dem Ausschuß folgende Sätze vorlesen:
Kontinuität
— heißt es dort —
ist kein rotes Fädchen. Kontinuität ist das Bekenntnis zur Tradition des demokratischen Deutschland. In der Deutschlandpolitik bedeutet Kontinuität das Bekenntnis zur Präambel des Grundgesetzes, die das ganze deutsche Volk aufruft, seine Einheit in Freiheit zu vollenden. Kontinuität umschließt die anhaltende Wirksamkeit unseres Deutschland-Vertrages mit den Westmächten. Kontinuität heißt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung über seine Zukunft entscheidet. Für uns bedeutet Kontinuität auch, daß wir den Willen des deutschen Volkes, der im Grundgesetz seinen bleibenden Ausdruck gefunden hat, sehr ernst nehmen. Er muß stets lebendig gehalten werden und mit all seiner Kraft spürbar bleiben, die auf unser Ziel gerichtet ist, die Einheit unseres Volkes, aus der seine Geschichte erwächst, die in der gegenwärtigen Spaltung gewahrt wird und die auch seine Zukunft prägen soll.
Auf diese Definition von Kontinuität können Sie sicher nicht nur mich in diesem Haus jederzeit ansprechen, meine Damen und meine Herren.
Es bleibt noch ein Punkt. Ich bitte jetzt um Entschuldigung: Ich bin kein Erbsenzähler auf dem Gebiet, aber, Herr Kreutzmann, Sie waren — auch amtlich — lange genug tätig, um zu wissen, daß Semantik auf diesem Gebiet leider Politik ist. Sie haben soeben gesagt: Es wurden Grenzen reguliert. — Das könnte irreführend sein. Es wurde innerdeutsch der Grenzverlauf gemäß dem Grundlagenvertrag und der dafür eingesetzten Kommission festgestellt. Ich weiß, das ist ein flüchtiges Wort, aber ich muß dies feststellen, damit sich hier keine falschen Dinge einschleichen.
8680 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Barzel
Ich komme nun mit wenigen Worten zu den Ausführungen meiner Kollegin Berger. Ich weiß natürlich die Arbeit zu schätzen; ich danke ihr für ihren Rat, für ihre Hilfe und für ihren Einsatz als Berichterstatter. Mein Dank gilt auch dem Mitberichterstatter, dem Kollegen Nehm, wie auch den Kollegen, die uns in besonderen Angelegenheiten haushaltspolitisch beraten, wenn ich das einmal so sagen darf.
Die beiden Anregungen oder Anmerkungen oder kritischen Hinweise, Frau Kollegin Berger, in Sachen „Bücher für Schulen" und „Zusatzreisen für Reisende aus der DDR" werden, da bin ich zuversichtlich, im nächsten Jahr in diesem Hause nicht mehr geäußert werden müssen. Auch das wird dann eine, wenngleich kurzfristigere Kontinuität der Zusammenarbeit bekunden.
Ich weiß im Interesse der Deutschlandpolitik natürlich den breiten Konsens hier heute zu schätzen. Ich weiß die überproportionale Steigerung dieses Haushalts zu schätzen, wenn sie auch noch lange nicht am Ziel der Notwendigkeiten in der Deutschlandpolitik angekommen ist. Und ich weiß, Herr Kollege Ronneburger, Ihren Vorsitz und den guten Geist in diesem Ausschuß zu schätzen. Ich danke Ihnen für eine zwar sehr kurze, aber vertrauensvolle, redliche Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen für diese bemerkenswerte Rede. Ich werde auf einen Punkt, wo Sie meine Freunde angesprochen haben, gleich zurückkommen. Ich nehme an, daß ich dies darf, obwohl ich hier für die Bundesregierung spreche.
An der Schwelle zum Jahr 1983 tut es not, den Blick nach vorn zu richten. Es ist leider nicht auszuschließen, daß das neue Jahr deutschlandpolitische Probleme bereithält. Ich will mich auf fünf knappe Punkte beschränken.
Erstens. Am 21. Dezember 1982 ist der zehnte Jahrestag des Grundlagenvertrags mit der DDR. Aus diesem Anlaß wird die Bundesregierung eine Erklärung abgeben, eine Erklärung, Herr Kollege Ronneburger und meine Kollegen von der FDP, die wir — bei allem früherem Streit hierüber — nun nach sorgfältiger Diskussion miteinander im Kabinett erarbeitet und beschlossen haben. Ich glaube, auch dies ist ein wichtiger Hinweis.
Zweitens. Verantwortliche in der DDR, aber auch Oppositionelle hier — ein bißchen soeben auch Herr Kreutzmann — bezweifeln, daß die Bundesregierung über den erwarteten Wahlsieg am 6. März 1983 hinaus ihren deutschlandpolitischen Kurs halten werden. Wir sind natürlich nicht geschützt vor Interpretationen, die andere unserer Politik geben. Aber ich kann zu diesem Gerede mit großer Bestimmtheit erklären:
Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 13. Oktober 1982 gilt.
— Herr Duve, Ihrem Bekennermut sind niemals Grenzen gesetzt. Das ist doch ganz klar.
Sie wissen doch, weshalb ich hier auf das Luther-Jahr zu sprechen komme. Wir wissen doch alle, wo wir sind. Wenn ich im Parlament bin und ein Jahr zu Ende geht und wir uns eine Weile nicht sehen, so gehört es nach meinem Gefühl zum parlamentarischen Stil, daß man zu dem, was man mit Sicherheit erwartet, aus der Sicht der Regierung in Vorausschau — das heißt nämlich Regieren — dem Hause mitteilt, was für eine Politik sich dazu andeutet.
Es ist zu hören, daß die DDR besondere — auch staatliche — Feierlichkeiten plant. Ihr Interesse an der Teilnahme nicht nur von Bürgerinnen und Bürgern der DDR an diesen Feierlichkeiten ist offenkundig. Wir sehen das mit Interesse und prüfen die sich bietenden Möglichkeiten objektiv und ohne jede Voreingenommenheit. Was schließlich im Laufe des kommenden Jahres an Gemeinsamkeiten möglich sein wird, wird vom Stand der Beziehungen zwischen beiden Staaten in Deutschland abhängig sein. Wenn die Beziehungen sich bis dahin, was wir dringend wünschen, gutnachbarlich entwickeln, wird manches möglich sein, was heute noch als wenig aussichtsreich erscheinen muß. Es liegt zuerst an der DDR, durch gute Nachbarschaft sichtbare Gemeinsamkeit möglich zu machen. An unserem guten Willen fehlt es auch insoweit nicht.
Zum Schluß möchte ich fünftens noch einmal, wie ich das bei meiner Kurzintervention neulich hier schon tun durfte, darauf hinweisen — ich habe die Absicht, dies immer wieder zu tun —, daß zu dem Vertragswerk mit dem Osten der Brief zur deutschen Einheit gehört. Darin heißt es, daß es das Ziel unserer Politik ist, „auf einen Zustand des Friedens in Europa ,hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt". Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik ist daran orientiert. Sie ist orientiert am Grundgesetz, an den West- und an den Ostverträgen, an der einstimmigen Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1972, am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Sie wird geleitet vom Willen nach Frieden und Menschenrechten sowie von der Verantwortung für die Deutschen und für Deutschland. Wir erstreben gute Nachbarschaft nach Osten wie nach Westen. Gute Nachbarschaft heißt, auch die Zusammengehörigkeit der Deutschen zu achten, Frieden durch Menschenrechte, Frieden durch Freizügigkeit und Frieden durch Zusammenarbeit. Daran kann man auch unsere Deutschlandpolitik beurteilen und erkennen.
Wenn man das alles so sieht, dann sind wir in der Kontinuität mit uns selbst. Wir reden von Deutschland, vom ganzen Deutschland, von allen Deutschen. Auch das wird so bleiben, und das hat es hier amtlich für lange Zeit nicht gegeben. Dieses neue Alte wird sich bewähren, durchsetzen und bleiben. — Ich danke Ihnen.