in den deutsch-deutschen Beziehungen müsse eine Politik der leisen Töne vorherrschen, müsse vieles auch im Verborgenen geschehen.
Wenn Minister Barzel dabei als einen eigenen Pflock die Forderung nach einer Politik der Ausgewogenheit einschlug, dann hatten wir nichts dagegen einzuwenden. Wir haben uns stets um eine Politik der Zug-um-Zug-Leistungen und Gegenleistungen bemüht; wie ich meine, mit einigem Erfolg. Die frühere Bundesregierung hat nie eine Leistung erbracht, die nicht den Menschen in beiden deutschen Staaten zugute kam.
Sie löste Probleme auf beiden Seiten und schuf Voraussetzungen dafür, bei der Zugehörigkeit der deutschen Staaten zu den unterschiedlichen Weltmachtblöcken so viel wie möglich von der Gemeinschaft der Menschen in Deutschland zu retten und zu erhalten. Wenn Autobahnbauten in der DDR gefördert wurden, dann dienten sie der Erhaltung der Lebensfähigkeit Berlins, der größeren Beweglichkeit seiner Bevölkerung. Wenn Grenzen reguliert wurden, dann beseitigten sie Gefahrenherde an diesen Grenzen. Wenn die Schiffahrtswege nach Berlin verbessert wurden, dann diente dies der Wirtschaft dieser Stadt.
Alle diese Maßnahmen waren aber auch für die Wirtschaft der Bundesrepublik und für unseren Arbeitsmarkt von Bedeutung. Sie waren verbunden mit dem Ankauf von Baumaschinen aus der Bundesrepublik, mit dem Einsatz westdeutscher Baufirmen mit großem Namen bei der Errichtung schwieriger Brückenwerke. Und selbst wenn bei dieser oder jener Abmachung auch Nutzen für die DDR selbst herauskam, so frage ich, ob dies nicht vor dem Hintergrund zu vertreten war, daß er die Lebensbedingungen der Bevölkerung der DDR selbst verbessern half,
die Lebensbedingungen der Menschen im anderen Staat auf deutschem Boden, die letzten Endes in erster Linie und mit erheblichen Opfern die Politik Hitlers bezahlen mußten. An Ausgewogenheit, Herr Minister, hat es also dieser Politik nie gefehlt. Sie war aber auch stets eine Politik, die in erster Linie bemüht war, den Menschen im geteilten Land zu helfen, und das, wie wir meinen, mit Erfolg.
Eine Fortsetzung dieser Politik, ihre Kontinuität, hätte nur diese neue Bundesregierung selbst geehrt. Wir haben daher die Signale, die Minister Barzel hier gab, durchaus positiv aufgenommen, zumal es eine Fülle von Begegnungen gab, mit der man der anderen Seite diese Kontinuität signalisierte.
Wir stellen jedoch mit Bestürzung fest, daß, je näher der Wahltag kommt, sich die Kräfte wieder zu regen beginnen, denen eine Politik der Kontinuität von Anfang an ein Graus war. Wir wollen nicht hoffen, daß man nur so lange für Kontinuität ist, bis der Wähler seine Vollmacht für weitere vier Jahre Regierung erteilt hat.
Wenn da und dort führende Vertreter der Bundesregierung erklären, sie würden das Wort „Kontinuität" nicht in den Mund nehmen, so scheint uns mehr dahinter zu stecken als die Schwierigkeiten, die man damit hat, daß man dauernd von der angeblichen Erblast spricht, die man übernommen habe. Daß diese Argumentation nicht mit dem Begriff „Kontinuität" zusammenpaßt, ist verständlich. Man muß aber auf der anderen Seite sehen, daß, wenn man das außenpolitische Ansehen und die deutschlandpolitischen Erfolge der früheren Bundesregierung in Anspruch nehmen will, man auch die Kontinuität ihrer Politik bewahren muß.
Dies gilt um so mehr, als die Menschen im anderen deutschen Staat fürchten, daß nach der Bundestagswahl vom 6. März die andere Deutschlandpolitik, die man früher seitens der Regierungspartei betrieben hat, zum Zuge kommt. Die aber heißt nach ihrer Meinung Verschlechterung der mühsam erreichten Verbesserungen. Daß das nicht unbegründete Furcht ist, wird durch manche CSU-Töne bestätigt. Dort will man keine Kontinuität, dort möchte man gern die Muskeln spielen lassen.
Auch wir Sozialdemokraten verkennen nicht, daß viele ungelöste Probleme zwischen den beiden deutschen Staaten stehen. Ich brauche nur auf das Wort „Mindestumtausch" zu verweisen, die neuerlichen Bemühungen um die Erhöhung der Postgebührenpauschale und die noch immer gepflegten Feindbilder in Lehrbüchern und Bilddarstellungen der Nationalen Volksarmee.
Für uns in der Bundesrepublik gibt es diese Feindbilder nicht. Wir sehen sie nicht einmal in
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8675
Dr. Kreutzmann
kommunistischen Funktionären der anderen Seite, deren politische Vorstellungen wir entschieden ablehnen, deren menschliche Würde wir aber nicht in Frage stellen.
Wir sehen sie am wenigsten in den Menschen dort drüben zwischen Elbe und Oder, vor derem unter schwierigen Umständen vollzogenen Wiederaufbau, vor deren beachtlichen wirtschaftlichen Leistungen, vor derem reichhaltigem kulturellen, religiösen und geistigen Leben wir nur Respekt haben können.
Vieles, was dort entstanden ist, was auf literarischen, künstlerischen und musikalischen Sektoren geschaffen wurde, wird einmal zum festen Bestandteil einer deutschen Nationalkultur gehören. Daran wird auch das Bemühen des Systems nichts ändern, ein ständiges Schattenboxen gegen jeden Begriff von Gemeinsamkeit zu führen.
Die vielen Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und kultureller Tradition können auch durch 37 Jahre der Trennung und zeitweiliger Abschnürung nicht ausgelöscht werden.
Sie wirken in beiden deutschen Staaten nach, hüben und drüben, und zwar so nachhaltig, daß wir die Hoffnung nicht aufzugeben brauchen, eines Tages doch wieder enger zusammenrücken zu können.
Aber ganz ohne unser Zutun wird das nicht geschehen. Eine Selbstaufgabe unserer Kontakte und Beziehungen zu den Menschen im anderen deutschen Staat wäre die Aufgabe eines Herzlandes der deutschen Geschichte. Darauf am Beginn des bevorstehenden Luther-Jahres hinzuweisen, müßte sich eigentlich erübrigen.
Es ist aber nicht das Land Luthers allein, um das es geht. Es ist auch das Land Friedrich des Großen, das Land Fontanes, das Land Fritz Reuters und das Land eines Max Liebermanns und vieler anderer. Die Menschen dort drüben sind sich oft dieser im Geistigen begründeten Zusammenarbeit bewußter als wir; enttäuschen wir sie nicht.
Mit Genugtuung können wir registrieren, daß das Interesse an dem anderen Deutschland in der jüngeren Generation zunimmt, wieder mehr Schulklassen in die DDR, an die Grenze zur DDR und ins Zonenrandgebiet reisen. Dennoch wissen wir alle, daß das vielfach nur Tropfen sind, die mühsam tröpfeln.
Wir haben ein gutes Hearing zur deutschen Frage im Unterricht im Innerdeutschen Ausschuß gehabt und dabei feststellen müssen, wie wenig trotz allem auf diesem Gebiet geschieht. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen — und dabei möchte ich besonders darauf hinweisen, daß das von den Tagen der Führung dieses Hauses durch Herbert Wehner an geschehen ist — hat in den vergangenen Jahren vorzügliches Material zur sachlichen Information über die DDR geliefert. Wir bedauern aber, daß es noch viel zu wenig genutzt wird.
Genauso müssen wir immer wieder bedauern, daß die Möglichkeiten für Reisen nach drüben zu wenig in Anspruch genommen werden. Gewiß, der Mindestumtausch ist eine kostspielige Sache, eine staatliche Subvention kann nicht in Frage kommen; aber warum schenken nicht Eltern ihren Kindern eine Reise nach drüben, beispielsweise als Weihnachtsgeschenk?
Warum leisten nicht wohlhabende Mitbürger kinderreichen Familien auch einmal einen Beitrag für deren Fahrten zu ihren Angehörigen im anderen deutschen Staat?
Wenn wir uns weiterhin einem gemeinsamen Schicksal verpflichtet fühlen, kann man uns nicht voneinander trennen. Dieser Zusammenhalt ist keine Gefahr für den Frieden, sondern ein Element seiner Stabilisierung. Aber dieses Bemühen kann nur auf Fingerspitzengefühl und einer humanistischen Grundhaltung aufgebaut werden. Wer da meint, mit Stufenplänen und Druckversuchen etwas erreichen zu können, der zerstört auch die Hoffnungen und die Treue der Menschen drüben.
Treiben wir weiter eine Deutschlandpolitik der Geduld und Ausdauer, eine Politik, die in erster Linie an die Menschen dort drüben denkt, die Menschen, denen das Schicksal, Deutsche zu sein, Lasten aufgebürdet hat, die mitzutragen wir trotz eigener Sorgen und Nöte allen Grund haben.
Wir werden deshalb, um die Hilfe für die Menschen dort drüben nicht zu unterbrechen und zu gefährden, diesem Haushalt trotz mancher Bedenken zustimmen.