Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Entwicklungspolitik wird in der letzten Zeit wieder sehr stark mit ideologischen Komponenten versehen. Ich zweifle sehr, daß dadurch die notwendige Gemeinsamkeit, die wir alle brauchen, wenn die Entwicklungspolitik von der Bevölkerung akzeptiert werden soll, gefördert wird.
Daneben sehe ich die Frage, ob wir im entwicklungspolitischen Bereich von Kontinuität oder Neuanfang reden sollten. Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Die FDP zeigt eine ganz eindeutige Präferenz für die Kontinuität, und für mich ist der Haushalt, den wir heute verabschieden, auch der Beweis, daß die Kontinuität gewahrt wird. Als Elemente dieser Kontinuität sehe ich z. B. die Steigerungsrate des entwicklungspolitischen Haushalts mit knapp 4%, die praktisch gleich ausfällt wie in dem ursprünglich vorgelegten sozialliberalen entwicklungspolitischen Haushalt.
Ganz eindeutig ist die Entwicklungspolitik auch in der jetzigen, der CDU/CSU-FDP-Koalition ein Beitrag zur Friedenspolitik. Daraus, daß wir Entwicklungspolitik als Friedenspolitik sehen, sollten wir auch die Konsequenzen ziehen, und den Zusammenhang zwischen Abrüstungsanstrengungen und vermehrten Ausgaben für Entwicklungspolitik in aller Klarheit deutlich machen.
8668 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982
Dr. Vohrer
Wenn ich von Kontinuität rede, ist für mich wichtig, daß die gemeinsame Entschließung vom 5. März eine entscheidende Grundlage für unsere Entwicklungspolitik bleibt, mit allen Schwerpunkten, die dort festgeschrieben sind: daß wir die Grundbedürfnisse bevorzugt bedienen wollen, daß wir den ländlichen Raum als unseren Schwerpunkt sehen und bei Projekten verstärkt Energie und Ökologie auswählen wollen.
Ich habe sehr viel Verständnis, wenn man sich Gedanken macht, wie wir bei der Bevölkerung mehr Zustimmung finden für einen Ausgabeposten von insgesamt — es gibt j a auch außerhalb des entwicklungspolitischen Bereichs noch in anderen Ministerien Titel, die der Dritten Welt zugute kommen — annähernd 7 Milliarden DM. Da ist es notwendig, daß wir als Parlamentarier uns darum bemühen, daß die Bevölkerung solche Ausgaben unterstützen kann, daß sie sie akzeptiert.
Wenn man sich Gedanken über die Frage einer Lieferbindung macht, auch über die Frage: Inwieweit schafft Entwicklungspolitik Beschäftigung in unserem Lande?, so ist das nicht unbillig. Wenn ich richtig informiert bin, gab es auch in der vergangenen Regierung in den letzten Monaten auch Überlegungen, wie wir mit der Lieferungebundenheit flexibler verfahren können. Ich gehöre nicht zu denen, die die Lieferungebundenheit aufheben und die Lieferbindung einführen wollen. Aber wenn wir hier pragmatischer verfahren und bei den Projekten darauf achten, ob deutsche Firmen mit Aufträgen bedacht werden, dann halte ich das für eine Linie, die ohne weiteres zu akzeptieren ist.
Ich habe auch viel Verständnis, wenn man sich überlegt: In welchen Ländern wirken die Mittel optimal, und welches sind die Länder, die ein Faß ohne Boden sind? Wir müssen uns darum bemühen, daß jede in der Dritten Welt eingesetzte Mark auch eine gewisse Wirkung zeigt. Bloß sollte die Auswahl wirklich effizienzorientiert und nicht ideologisch orientiert sein,
und das ist für mich der Punkt, an dem es darum geht, daß wir die Debatte sehr offen führen. Wir wollen in der Tat nicht in ein Freund-Feind-Denken gegenüber der Dritten Welt zurückfallen; wir wollen nicht Wohlverhalten belohnen und uns möglicherweise unsympathische Handlungen von Regierungen bestrafen. Wir wollen keine Überlagerung der Nord-Süd-Problematik durch die Ost-West-Problematik.
Dies alles ist für uns wirklich nicht akzeptabel, und insofern werden wir die Politik sehr aufmerksam verfolgen, eine Politik, die sich übrigens nicht im Baransatz erkennen läßt, sondern die sich viel stärker in den Verpflichtungsermächtigungen widerspiegelt.
Insofern ist die Diskussion über den Einzelplan 23, wenn man die Baransätze betrachtet, eigentlich ein Nachkarten bezüglich der Entwicklungspolitik, die vor fünf oder sechs Jahren betrieben wurde, denn jetzt kommen die Projekte zur
Ausführung und führen die Projekte zu Abflüssen aus unserem Haushalt, die vor fünf oder sechs Jahren beschlossen wurden.
Insofern ist es gar nicht erstaunlich, daß bei einem Haushalt wie dem Einzelplan 23 von 6,3 Milliarden DM eigentlich nur 20 oder 30 Millionen DM, also rund 0,3 % des gesamten Haushalts, politisch noch bewegbar sind. Dies alles sind „Kleinigkeiten", und mit 30 Millionen DM lassen sich keine entwicklungspolitischen Schwerpunkte setzen; da kann man nur kleine Scharmützel schlagen, etwa wenn es darum geht, ob die Kinderfibel nun weiter aufgelegt oder verändert werden soll. Dies alles sind nicht die Grundsatzentscheidungen.
Die Grundsatzentscheidungen liegen bei der Frage, wie die Verpflichtungsermächtigungen ausgefüllt werden, und da ist es in der Tat interessant, daß der jetzige Ansatz deutlich niedriger als der der vergangenen Jahre ist. Ich nehme dabei zur Kenntnis, daß in der mittelfristigen Finanzplanung Steigerungsraten angenommen wurden, die höher als die wirklichen sind. Wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung jährliche Steigerungen von rund 10 % angenommen, sind aber heute nur noch in der Lage, Steigerungen von 4 % zu verwirklichen. Insofern kommt es zu einem Überhang der Verpflichtungsermächtigungen, und deswegen kann ein solches Absenken für ein Jahr akzeptiert werden.
Aber schon jetzt kritisieren wissenschaftliche Institute, daß ein so starkes Absenken langfristig die Qualität der Entwicklungspolitik gefährdet, weil die Projekte nicht langfristig genug geplant werden können. Deshalb möchte ich hier die Bitte an die Bundesregierung richten, daß dieses Absenken der Verpflichtungsermächtigungen einmalig bleibt und daß schon im nächsten Jahr wieder Ansätze gefunden werden, die dafür ausreichen, daß man Projekte seriös planen und die Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren weiterhin qualitativ gut führen kann.
Meine Damen und Herren, Haushaltsansatz und Verpflichtungsermächtigungen sind aber in der entwicklungspolitischen Landschaft nur ein Teil der wirklichen Lage. Darüber hinaus ist es meiner Ansicht nach ebenso wichtig, daß wir sehen, daß sich das Klima zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern verschlechtert. Die Leistung der OECD, d. h. die Entwicklungshilfe aller Industrienationen, ist im Anteil abgesunken. Die Weltbank- und die IDA-Mittel sind knapper, als sie es in den vergangenen Jahren waren. Der Internationale Währungsfonds hat bislang keine Antwort auf die Frage parat, wie die Zahlungsbilanzungleichgewichte beseitigt und die Verschuldungsprobleme gelöst werden sollen. All die UNCTAD-Vorschläge — gemeinsamer Fonds und Rohstoffabkommen — sind nicht von der Stelle gekommen. Viel zu wenige Länder haben bislang gezeichnet. Die Rohstoffabkommen werden teilweise auch von den Entwicklungsländern selber nicht in Gang gesetzt.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8669
Dr. Vohrer
STABEX, ein Ansatz, den wir in allen drei Fraktionen gemeinsam getragen haben, ist nicht ausreichend mit Mitteln versehen, um bei den jetzigen niedrigen Rohstoffpreisen überhaupt noch die fälligen Zahlungen abdecken zu können. Die globalen Verhandlungen waren ein Ansatz, der mit viel Hoffnung in der Dritten Welt aufgenommen wurde. Auch hier tritt alles auf der Stelle. Die Seerechtskonferenz in Jamaika war keine Offenbarung für die Entwicklungsländer. Die Energiekonferenz in Nairobi ging für die Dritte Welt enttäuschend aus. Wenn Sie die GATT-Verhandlungen verfolgt haben, dann werden Sie auch feststellen, daß für die Entwicklungsländer aus dem Beschlossenen wenig Hoffnung zu ziehen ist. Teilweise ist es deprimierend, daß die Industrienationen zwar die Maschinen gern in die Dritte Welt liefern, dann aber die Produkte, die auf diesen Maschinen erstellt werden, nicht auf ihre Märkte lassen.
Dies alles schafft ein Klima der Unzufriedenheit und Verbitterung. Deshalb möchte ich die Bundesregierung auffordern, wie in den vergangenen Jahren auf den internationalen Konferenzen mit dazu beizutragen, daß Lösungsansätze vorangetrieben werden, daß wir uns nicht zu früh hinter dem Rükken der Amerikaner verstecken, die als Nein-Sager auf solchen Konferenzen brillieren, sondern daß wir auch ab und zu den Mut haben, im Rahmen der EG initiativ zu werden, daß wir nicht nur gute Absichten haben, sondern ab und zu einmal die eine oder andere verwirklichen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich bin der Ansicht, daß der entwicklungspolitische Haushalt keinen Ansatz für eine Ideologiedebatte bietet. Ich glaube, wir sollten die Verpflichtungsermächtigungen aufmerksam weiterverfolgen. Da wird Politik gemacht. Ich habe Verständnis für die Ungeduld eines Ministers, der eine Pipeline mit 27 Milliarden vor sich sieht und der weiß, daß sich seine Initiativen, seine programmatischen Ansätze frühestens in drei, vier, fünf Jahren in konkrete Projekte umsetzen lassen.
— Das ist Ihre Beurteilung, verehrter Kollege Bindig —. Ich habe Verständnis, daß dies eine gewisse Ungeduld hervorruft. Dennoch bin ich der Ansicht, daß wir in aller Ruhe und Sachlichkeit die alte Linie fortsetzen sollten. Die FDP wird diesen Kurs unterstützen. — Danke schön.