Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch für den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gilt, was für den gesamten Bundeshaushalt 1983 zutrifft. Nach der langen und intensiven Kampagne der CDU/CSU, daß der Haushaltsentwurf der alten Bundesregierung vom 8. Juli 1982 völlig unbrauchbar sei, legt die neue Regierung diesmal für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit einen Haushaltsentwurf vor, der dem alten fast aufs Haar gleicht. Was geändert worden ist, drückt sich in Kürzungen und regionalen Umschichtungen beim Baransatz aus, deren politische Bewertung höchst interessant ist.
Ich möchte allerdings auf einen gravierenden Einschnitt hinweisen: Bei den Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 sind praktisch 600 Millionen DM gestrichen worden. Das ist unseres Erachtens ein ernster Vorgang, der zu den größten Besorgnissen um die finanzielle Zukunft der öffentlichen Entwicklungshilfe berechtigt. Es offenbart sich immer klarer, daß hier anscheinend der Boden für eine Reduzierung unserer Entwicklungshilfe auf längere Sicht vorbereitet werden soll.
Jeder kann sich erinnern: Anfang November dieses Jahres trat der neue Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Jürgen Warnke, mit dramatischer Geste vor die deutsche Öffentlichkeit und präsentierte eine Finanzierungslücke in seinem Haushalt für 1983 von mehreren Hundert Millionen DM. Es bestünden offene finanzwirksame Verpflichtungen der Bundesregierung gegenüber den Entwicklungsländern in Höhe von rund 27 Milliarden DM. Das müsse — so der Minister — durch massive Kürzungen bei den Verpflichtungsermächtigungen der kommenden Jahre aufgefangen werden. Im Bundestag danach gefragt, hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Kollege Dr. Köhler, erst einmal die sogenannte Haushaltslücke auf 742 Millionen DM beziffert. Er mußte
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Schluckebier
aber gleich anschließend zugeben, daß es sich dabei um übliche Haushaltsrisiken handelt, die durchaus im Rahmen des Bestehenden zu überbrücken sind. Es ist ja auch klar, bei der Langfristigkeit der entwicklungspolitischen Maßnahmen, die — wie wir wissen —, nicht selten über ein Jahrzehnt laufen, muß einfach mit Unsicherheiten beim Mittelabfluß gerechnet werden. Wetterbedingte Verzögerungen oder Beschleunigungen, Personalprobleme, politische Veränderungen, Preissteigerungen, Wechselkursschwankungen und vieles andere mehr tragen das ihre dazu bei, daß die Entwicklungszusammenarbeit nicht bis ins letzte Detail planbar ist. Dies sind die Haushaltsrisiken, mit denen jeder Entwicklungshilfeminister leben muß, und zwar sind sie bei ihm wohl weitaus größer als in jedem anderen Ministerium.
Herr Köhler mußte dies auch in der oben genannten Fragestunde bestätigen, als er gefragt wurde, ob nun die für 1983 vorgesehenen Mittel für die Entwicklungshilfe ausreichten oder nicht. Er sagte: „Sie wissen sehr genau, daß die Beantwortung dieser Frage mit einer schlichten Antwort nicht möglich ist, sondern daß das ganz und gar von den Steuerungsmaßnahmen, davon, wie der Haushalt gefahren wird, abhängt." Und später sagte der Staatssekretär: „Ich halte solche Abweichungen" — nämlich der Barabflüsse eines Jahres vom Haushaltsansatz — „in einem bestimmten Rahmen für durchaus normal." — Er mußte sogar einräumen, daß bei den bestehenden Haushaltsplanungen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung die Entstehung von Haushaltsüberschüssen theoretisch denkbar ist. Sehr richtig, Herr Staatssekretär, nur: warum haben Sie das Ihrem Minister nicht schon vor Anfang November gesagt, bevor der große Presseauftritt kam? Sollte, so fragen wir, die einzige Lücke in der Entwicklungspolitik für 1983 im Wissen des Bundesministers um die Materie seines Hauses bestehen?
Deshalb fällt auch der Vorwurf in sich zusammen, daß die sogenannte Pipeline mit 27 Milliarden DM überfüllt sei und dem neuen Bundesminister die Handlungsfreiheit einschränke. Die Pipeline ist, wie schon gesagt, die Summe aller eingegangenen, aber noch nicht voll eingelösten Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit gegenüber Entwicklungsländern eingegangen ist. Belegt sie diese vom Parlament erteilten Verpflichtungsermächtigungen in dem entsprechenden Haushaltsjahr mit Vereinbarungen über konkrete Projekte zu konkreten Kosten, so ist es klar, ist uns jedenfalls immer klar gewesen, daß nicht alles Geld, das für das Projekt vorgesehen ist, sofort abfließen kann. Man rechnet in den verschiedenen Sparten der Entwicklungshilfe — auch dieses wissen wir — mit verschiedenen Abflußgeschwindigkeiten. Bei der Soforthilfe im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit geht es am schnellsten, oft bereits im Jahr der Zusagen. Bei projektgebundener finanzieller Zusammenarbeit und technischer Zusammenarbeit dauert es am längsten. Oder müssen wir unterstellen, daß dem neuen Minister die bisherige Konzeption der deutschen Entwicklungspolitik grundsätzlich nicht gefällt, er sie verändern möchte, aber durch die bisher eingegangenen Verpflichtungen keine Möglichkeiten sieht, dieses schnell und radikal zu tun?
Nun kommt das Schönste. Überrascht von dem Finanztheater des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit waren aber auch z. B. die Fachleute im Bundesministerium der Finanzen. Ich entnehme einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau" am vergangenen Freitag, 10. Dezember 1982, daß dort Bundesminister Warnke nicht gerade auf Zustimmung gestoßen ist. „Diese Ausführungen können nicht nachvollzogen werden", heißt es in einem Vermerk an den Ministerkollegen Stoltenberg, und im Finanzministerium wurde richtiggestellt, klipp und klar, daß es in dem Einzelplan 23 keine Fehlbeträge und keine Lücken gibt.
Nachdem diese Seifenblasen also geplatzt sind, schauen wir uns einmal den Haushaltsentwurf genauer an. Er ist in den Einzelpositionen fast unverändert aus dem alten Haushaltsentwurf übernommen worden. Interessant ist, daß auch bei den Verpflichtungsermächtigungen in diesen Einzelbereichen fast nichts verändert wurde. Es würde uns freuen, wenn sich die Erkenntnis im Ministerium durchgesetzt hätte, daß die bisherige deutsche Entwicklungspolitik optimal gestaltet wurde und von der Fachwelt als vorbildlich anerkannt ist und daß danach eben nicht anders zu handeln war.
Bedeutsamer sind allerdings schon die Bewegungen bei der projektgebundenen bilateralen Hilfe und der Soforthilfe. Hier wird nicht nur der Baransatz um 35 Millionen DM gekürzt — das ließe sich trotz aller Widersprüchlichkeit verschmerzen —, besorgniserregender ist die Kürzung, ich habe schon darauf hingewiesen, der Verpflichtungsermächtigungen bei der finanziellen Zusammenarbeit und der technischen Zusammenarbeit um insgesamt 600 Millionen DM gegenüber dem Ansatz der sozialliberalen Bundesregierung.
Von diesen Kürzungen werden alleine zehn der ärmsten Entwicklungsländer und dreizehn der von den weltwirtschaftlichen Veränderungen am härtesten betroffenen Entwicklungsländer berührt. Wir sehen darin eine bedenkliche Abkehr von der auch von Ihnen mitgetragenen Forderung des Deutschen Bundestages vom 5. März 1982, Entwicklungshilfe auf ärmste Länder und Bevölkerungsschichten zu konzentrieren.
Ihnen, meine Damen und Herren, liegt ein Entschließungsantrag meiner Fraktion vor, mit dem versucht werden soll, wenigstens die schlimmsten Auswüchse zu verhindern. Wenn denn schon gekürzt werden muß, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, so doch nicht ausgerechnet bei den Armsten, sondern dann allenthalben bei den Schwellenländern und bei solchen Staaten, die
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durch ihre hohen Rüstungsaufwendungen auffallen.
Wir wollen eine ernsthafte Entwicklungspolitik von der hohen Qualität, wie sie bisher bestanden hat. Wir wollen, Herr Minister, keine Entwicklungshilfe, die politisches Wohlverhalten verlangt.
Wir erwarten vom zuständigen Minister, daß er endlich lernt, wie Entwicklungshilfe abgewickelt wird. Allerdings ist der großen Sache durch das Gerede der letzten Wochen über Finanzierungslücken in der deutschen Entwicklungspolitik großer Schaden zugefügt worden. Wer dies zu verantworten hat, meine Damen und Herren, kann nicht unser Vertrauen haben. — Ich darf mich bedanken.