Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen drei Wortmeldungen, einschließlich derjenigen der Bundesregierung, darf ich hier zunächst einleitend bemerken, daß wohl überwiegend im Hause Einigkeit darüber besteht,
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Kolbow
daß es eine sowjetische Bedrohung gibt und es deshalb zu verhandeln gilt, um nicht stationieren zu müssen. Das ist im übrigen — das möchte ich Ihnen noch einmal sagen, Herr Bundesverteidigungsminister — Beschlußlage der SPD von München. Wir sind eben die Partei der Verhandlungen. Wir halten Verhandlungen nicht für erfolglos, bevor sie beendet sind. Es ist bei uns auch guter Ton, daß diejenigen, die eine abweichende Begründung bei gleichem Votum zu diesem Einzelplan darlegen wollen, zu Wort kommen können. Dies gilt insbesondere auch für einen Kollegen, der das letzte Mal aus seiner politischen Situation heraus hier in diesem Hause gesprochen hat.
Ich selbst möchte zum Ende der Debatte über den Einzelplan 14 zur Verteidigungspolitik der sozialdemokratischen Fraktion noch einmal das Wort nehmen und in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit, nachdem meine Vorredner aus dem Verteidigungsausschuß zu Einzelfragen des Haushalts Stellung genommen haben, die Frage der Glaubwürdigkeit der Verteidigungspolitik der neuen Regierung ansprechen. Ich tue dies im Vergleich der Reden der Kollegen der CDU/CSU in der Opposition zu ihrem heutigen Handeln in Regierungsverantwortung. Der Minister sagte vorhin: versprochen — gehalten! Die Bilanz sieht anders aus. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander.
Wie soll denn, so frage ich, Vertrauen in die Politik gerade auf dem verteidigungspolitischen Gebiet insbesondere bei unseren Soldaten geschaffen werden, wenn die Unionsparteien und ihre Sicherheitspolitiker, an der Spitze Herr Wörner, Herr Würzbach und auch Herr Biehle, in der Opposition alles schwarz, schwärzer und am schwärzesten — das liegt ihnen — malten, wesentlich mehr Geld für die Bundeswehr verlangten und kaum, daß sie in der Regierung angelangt waren, nichts anderes oder nur unwesentlich anderes machten als die Sozialdemokraten? Meine Damen und Herren, entweder haben die Kollegen der Union in ihrer Oppositionszeit — zugegebenermaßen ohne Verantwortung — verantwortungslos gehandelt, oder sie sind sich jetzt ihrer Regierungsverantwortung bewußt und das, was sozialdemokratische Verteidigungsminister in der sozialliberalen Koalition getan haben, war richtig. Warum, so frage ich, war zu Oppositionszeiten, meine Damen und Herren auf der Rechten dieses Hauses, Ihr Protest gegen Kürzungen im sozialen Bereich durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz, die sicherlich schmerzlich genug waren, vorhanden, wenn Sie jetzt in der Regierung nichts anderes machen? Warum bleibt es beim Wegfall der Sparförderung der Wehrpflichtigen, wenn Sie sich in der Opposition so sehr darüber empörten?
Warum bleibt es bei der weiteren Senkung der Beitragsbemessungsgrundlage für die Beitragszahlung
des Bundes zur Rentenversicherung bei Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden, wenn Sie in der Opposition so sehr dagegen waren?
Warum das Beklagen des Fehls von Ausbildern in der Truppe, wenn Ihnen zur Beseitigung nichts einfällt, Herr Minister? Was Sie heute zu dieser beklagenswerten Situation vorgetragen haben, war kein durchgreifender Lösungsvorschlag.
Warum Ihre früheren Forderungen nach Lösungen für die Dienstzeitbelastung der Soldaten, des Ausgleichs für Spitzendienstzeiten und der Dienstzeitregelung, wenn Sie jetzt keine umfassenderen Lösungsvorschläge in der Regierungsverantwortung auf den Tisch legen können?
Haben Sie in der Opposition geschlafen? Jetzt merken Sie — ich nehme das auf, was Sie täglich spüren, Herr Kollege Würzbach —: Fordern allein genügt nicht; man muß auch bezahlen können. Wie unglaubwürdig müssen Sie in der Opposition gewesen sein, wenn Sie all das, was Sie damals wollten, jetzt nicht oder nur unzureichend einer Lösung zuführen können, wenn Sie auf der Rechten des Hauses die ausgabenwirksamen Gesetze der letzten Legislaturperioden mit beschlossen haben?
Herr Minister, im Verteidigungsausschuß — vielleicht hören Sie mir freundlicherweise zu; das Parlament hat Anspruch auf Ihr Ohr — haben Sie sich — ich zitiere Sie wörtlich — als „Fanatiker des Konkreten" bezeichnet. Abgesehen davon, daß ich auf dem Stuhl des Verteidigungsministers keinen Fanatiker sitzen haben möchte, sondern lieber einen überzeugten Anhänger für alle Sorgen, Nöte und Probleme unserer Soldaten, stellt sich dann nicht doch die Frage, Herr Minister, wo Ihre konkreten Antworten auf das sind, was Sie gerade in Ihrer Person in der Opposition stets gefordert haben und nun in der Regierungsverantwortung nicht leisten können?
Obwohl Sie einer Übergangsregierung angehören
— das konzediere ich Ihnen —, kann man von Ihnen verlangen, daß Sie zumindest Akzente setzen, die Sie in der Opposition verlangt haben. Aber wie ist die Wirklichkeit?
— Ich würde mich freuen, Herr Kollege Würzbach, wenn es so wäre.
Der Kollege Neumann hat die Einzelheiten dargestellt. Ich darf noch einmal den Rahmen aufzeigen und ihn mit Ihren Absichten verbinden.
Das Volumen des Einzelhaushalts 14, das um 100 Millionen DM unter dem Entwurf der Vorgängerregierung liegt, schafft lediglich 1 000 zusätzliche Stellen für Zeitsoldaten. Wir sprachen davon. Es sieht 350 Stellenhebungen für Offiziere und Feldwebel vor, die aber aus Mannschaftsstellen genommen werden, und setzt zusätzlich 35 Millionen DM für den Spitzendienstzeitausgleich fest. Das sind alles
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Dinge, die Unterstützung verdienen, die aber ein Tropfen auf den heißen Stein sind und Kürzungen bei der Beschaffung von Munition und Ausrüstung nach sich ziehen.
Wir haben Sie im Verteidigungsausschuß darauf hingewiesen, daß Sie Erwartungshaltungen wecken und damit wohl auf den 6. März setzen; denn Sie wissen, Herr Minister, daß Panzer, Schiffe und Flugzeuge nicht wählen, aber die Soldaten und ihre Angehörigen. Wer aber in der Opposition so geredet hat, wie er in der Regierungsverantwortung nicht handelt, was macht der nach dem Wahltag?
Schrauben Sie dann das, was Sie geringfügig im sozialen Bereich haben leisten können, zurück? Dazu kam bisher keine Antwort, meine Damen und Herren, und inbesondere auch nicht von Ihnen, Herr Dr. Wörner.
Steht nicht zu befürchten, daß Sie sich wieder in Ihre Oppositionsauffassung hineinbewegen und dann, weil die Wahlen vorbei sind, Ihre Umschichtungen vom sozialen Bereich, vom Menschen weg stattfinden werden? Wie lange dauert Ihre Kreidezeit, Herr Dr. Wörner?
Meine Damen und Herren, das sind Fragen über Fragen, die sich aus dem Widerspruch zwischen früheren Aussagen und Forderungen und dem jetzigen Verhalten ergeben. Dies ist, wie ich eingangs sagte, nicht nur die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieses Ministers, sondern auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Regierung, und es ist auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Politik auf einem ganz besonders sensiblen Gebiet.
Wer wie Herr Dr. Wörner als Spitzenkandidat der Südwest-CDU meint, unser Volk lechze in Wirklichkeit nach Führung, der muß auch sagen, wie er sich in seinem Verantwortungsbereich Führung vorstellt. Er muß sagen, was gilt, und nicht taktieren. Aber, wie gesagt, Anspruch und Wirklichkeit sind Ihr Problem. „Versprochen — gehalten"? Ich meine: nein.
Wir Sozialdemokraten glauben, daß Soldaten und Bedienstete der Bundeswehr hinsichtlich der Ausgestaltung des Dienstes und seiner materiellen Rahmenbedingungen nicht schlechter behandelt werden dürfen als andere Bereiche des öffentlichen Dienstes. Die akuten Probleme auf diesem Gebiet habe ich genannt. Sie sind uns allen bekannt. Nur, die neue Regierung hat kein durchgreifendes Konzept, wie sie es in der Opposition immer versprochen hatte.
Angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Lage — das haben Sozialdemokraten immer gesagt — werden wir sie nicht schnell lösen können. Wir lehnen deshalb auch jegliche Versprechungen ab. Zudem glauben wir, daß die Möglichkeit des vorhandenen Geräts voll genutzt werden muß, bevor jeweils die modernsten und teuersten neuen Geräte angeschafft werden.
Die Investitionen im Waffenbereich sollten weder im sozialen Gebiet noch im Bildungsbereich noch stärker zu Lasten der Attraktivität des Soldatenberufes gehen. Die neue Regierung und der neue Bundesverteidigungsminister haben in diesem Zusammenhang keine Wege für die Zukunft aufgezeigt. Das gleiche gilt hinsichtlich der personellen Zukunft der Bundeswehr. Deshalb hat dieser Minister nicht das Vertrauen der SPD-Bundestagsfraktion — im Gegensatz zur Bundeswehr. Das dokumentieren wir durch die Ablehnung des Einzelplanes 14. Der Dank der Sozialdemokraten aber gilt allen Soldaten und Bediensteten unserer Streitkräfte für ihren schweren und verantwortungsvollen Dienst. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.