Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag auf Drucksache 9/2321 beantragen wir
— der Kollege Hansen und ich —, die Militärhilfe für die Türkei zu streichen. Es ist nicht das erste Mal, daß wir einen solchen Antrag hier stellen. Alle Jahre wieder unterhalten wir uns hier
— ich weiß nicht, vielleicht ist die Sache nicht ganz so lustig, meine Damen und Herren;
ich halte das für ein Problem, das wirklich so schwerwiegend ist, daß es vielleicht nicht mit so ein paar kleinen Scherzchen abgetan werden sollte — über Hunderte von Millionen Mark, die alljährlich an die Militärdiktatur in der Türkei gezahlt werden. Dabei werden immer wieder schöne Worte gefunden, Entschließungen verabschiedet, Erwartungen zum Ausdruck gebracht. Nur, geändert hat sich nichts, jedenfalls kaum zum Guten. Die Bundesrepublik zahlt, und in der Türkei werden politisch Verfolgte weiterhin — in vielen Fällen bis zum Tode — gefoltert. Von rechtsstaatlichen Prinzipien ist nach wie vor keine Rede. Die Repressionen gegen Minderheiten, insbesondere gegen Kurden, wurden verstärkt. Speziell ausgebildete Kommandoeinheiten überfallen und durchkämmen die gesamten Dörfer und Städte Kurdistans.
Die Unterstützungspolitik der Bundesregierung — beider Bundesregierungen; Herr Genscher bürgt da für Kontinuität — hat die türkischen Militärs nicht zu Demokraten gemacht, wohl aber hat diese Unterstützungspolitik psychologische Auswirkungen auf bestimmte Kräfte in der bundesdeutschen Bürokratie und Justiz gehabt. Was da als Folge der Verharmlosung des türkischen Staatsterrors durch das Auswärtige Amt geschieht, etwa in Asylverfahren von politisch verfolgten Kurden, kann nur noch als ein Skandal bezeichnet werden.
Mit einer unglaublichen Menschenverachtung übernehmen inzwischen deutsche Behörden und einige Gerichte — Institutionen in einer parlamentarischen Demokratie also — inhaltlich Positionen der türkischen Militärdiktaktur. Das geschieht bis hin zum Sprachgebrauch. Bewaffnete Terroreinsätze türkischer Kommandoeinheiten gegen kurdische Dörfer werden vom Bundesamt in Zirndorf als „Befriedigungsaktionen" bezeichnet. Menschen, die sich dagegen wehren, sind „Terroristen". Menschen, die — ohne irgendeine Gewalttätigkeit zu begehen — für kulturelle Autonomie für Kurden, für das Recht auf den Gebrauch der eigenen Muttersprache eintreten, sind nach türkischem „Recht" „Separatisten", deren Strafverfolgung laut Bundesamt Rechtens ist. Originalton Zirndorf:
Es muß deshalb als zulässig angesehen werden, daß der türkische Staat — anders als z. B. die Bundesrepublik Deutschland — separatistische Bestrebungen schon dann mit Strafe bedroht, wenn sie, wie im gegebenen Fall, nicht auf Gewalttätigkeiten hinauslaufen, sondern lediglich in Form einer Meinungsäußerung sich manifestieren.
Daß dabei gefoltert wird, ist zwar nicht schön, aber nun mal in der Türkei üblich und jedenfalls kein Grund, weshalb man den Gefolterten nicht an seine Folterknechte wieder ausliefern sollte. Was schließlich in der befreundeten und von uns finanzierten Türkei Recht ist, kann in der Bundesrepublik kein Unrecht sein.
Mit kaum überbietbarem Zynismus stellt das Bundesamt in dem von mir eben zitierten Fall — es handelt sich da um den bekannten kurdischen Rechtsanwalt Serafetin Kaya — fest, ihm drohe nach seiner Rückkehr die Verhaftung und Strafverfolgung. Der Bescheid liest sich wie eine türkische Anklageschrift: Separatismus, Schädigung des Ansehens der Türkei, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren — aber das alles quasi Rechtens, wobei ständig auf die Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes Bezug genommen wird.
Man stelle sich vor, ein Litauer tritt für die Selbständigkeit Litauens ein, wird deshalb in der Sowjetunion verhaftet, flieht und kommt in die Bundesrepublik. Man stelle sich vor, die Bundesrepublik schiebt ihn wieder in die Sowjetunion ab. Unvorstellbar, obwohl den Litauern niemand bei
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8639
Coppik
Strafe den Gebrauch ihrer Muttersprache verbietet.
Im Falle Serafetin Kaya ist es drohende Wirklichkeit, und kein Mensch stellt die Frage, ob Beamte und Richter, die zulassen, daß ein Gefolterter wieder seinem Folterer zugeführt wird, die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit für die freiheitlichdemokratische Grundordnung eintreten.
Möglich wird das alles allerdings nur durch die ständige Verharmlosung und Verniedlichung der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei durch das Auswärtige Amt. 170 000 politische Gefangene, über 100 zu Tode Gefolterte, Tausende zu Krüppeln Gefolterte, Massenprozesse, die jedem rechtsstaatlichen Maßstab hohnsprechen — was spielt das schon für eine Rolle, wenn es darum geht, die Südostflanke der NATO zu stärken!
Einer der Gefolterten ist der frei gewählte Bürgermeister der alten kurdischen Hauptstadt Diyarbakir, Mehdi Zana. Das Verbrechen dieses von der Bevölkerung der Halbmillionenstadt direkt gewählten Menschen: Er bekennt sich zum Kurdentum. Einer der Vorwürfe in der Anklageschrift lautet, daß für die Autobusse, die die Stadt Paris der Stadt Diyarbakir geschenkt hat, bei der Überführung von Paris nach Diyarbakir als Zielland Kurdistan aufgeschrieben war und daß er bei seinen Wahlreden kurdisch als Sprache benutzt hat. Seit seiner Verhaftung kurz nach dem Putsch wird er im Militärgefängnis seiner Heimatstadt nahezu ununterbrochen Folterungen ausgesetzt und wird, wenn überhaupt lebend, dann als Krüppel das Gefängnis verlassen. Man möge die Berichte seiner Schwester lesen, die ihn einige Male besuchen konnte und die in Schweden Zuflucht gefunden hat. Bei uns wäre sie wohl in die Türkei ausgeliefert worden.
Das Auswärtige Amt ist nicht einmal in der Lage, harmlose deutsche Touristen zu schützen, wie etwa Ralph Braun, der seit Monaten im türkischen Gefängnis sitzen muß, weil er in einem Gespräch die unbestreitbare geschichtliche Tatsache erwähnte, daß in der Türkei einmal die armenische Minderheit verfolgt wurde.
Das alles macht deutlich, daß letztlich ohne jegliche Bedingungen gezahlt werden soll. Hunderte von Millionen Mark werden zur Stabilisierung einer Militärdiktatur zur Verfügung gestellt, gleichzeitig sollen durch die Fortsetzung der Militär- und Rüstungshilfe nach eigenen Bekundungen der Bundesregierung andere Stellen, wie etwa die EG-Kommission, dazu ermuntert werden, ebenfalls die Diktatur in der Türkei zu stützen. Mit dieser Politik macht sich die Bundesregierung mitschuldig an der Fortsetzung der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei.
Ich rufe alle auf, denen es wirklich ernsthaft um die Wahrung der Menschenrechte geht, unserem Streichungsantrag zuzustimmen. — Danke schön.