Nein, da kann ich Ihnen nicht zustimmen, weil ich Widersprüche nicht als vernünftig ansehen kann. Wenn jemand Ihrer Fraktion erklärt, daß er nicht mehr kandidiert, weil Ihre Fraktion seiner Politik nicht mehr folgt, dann ist das doch offenbar die Verantwortungszuweisung an Ihre Fraktion. Dem kann man ja wohl folgen.
Hier sind drei sachliche Punkte angesprochen worden betreffend die Außenpolitik der Bundesregierung, und hierzu möchte ich kurz Stellung nehmen. Erstens die Frage der Türkeihilfe. Es trifft zu, daß sich die zuständigen Ausschüsse — Auswärtiges, Haushalt und AWZ — für die Freigabe der von Ihnen angesprochenen Mittel ausgesprochen haben, und zwar nach einer sehr eingehenden Debatte über den von der Bundesregierung vorgelegten Bericht. Sie haben zu Recht darauf verwiesen, daß dieser Bericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat, feststellt, daß die Erwartungen des Parlaments noch nicht, jedenfalls nicht vollständig erfüllt sind. Die Mehrheit in den Ausschüssen teilte die Auffassung der Bundesregierung, und die Bundesregierung insistiert darauf, daß das von uns gewählte Verfahren am ehesten die Möglichkeit bietet, den eingeleiteten Prozeß der Wiedereinführung der Demokratie bei unserem Bündnispartner Türkei zu fördern. Der Bericht drückt die Erwartung aus, daß die geleistete Wirtschaftshilfe, die im übrigen insbesondere Energieprojekten zugute kommt und im wesentlichen in Form von Aufträgen an deutsche Unternehmen zurückfließt, auch dazu beiträgt, beispielsweise den Anreiz für die Rückwanderung türkischer Arbeitnehmer in die Türkei zu verstärken, wenn dort die wirtschaftliche Situation sich bessert.
— Nein, natürlich nicht. Ich sage es doch schon: wir kämpfen dafür, daß die Menschenrechte dort verbessert werden, und glauben, daß wir auf diese Weise der Einflußnahme auch einen Beitrag dazu leisten können. Aber wir sehen es auch als ein wichtiges Interesse in den bilateralen Beziehungen, daß wir einen Beitrag für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage unseres Partners leisten, der es den hier tätigen Türken lohnend erscheinen läßt, wieder in ihr Land zurückzugehen und dort tätig zu werden. Sie wissen doch, welche Probleme es in diesem Zusammenhang gibt. Sie wissen auch, was im übrigen Zusammenhang mit den Problemen, die nach dem Assoziierungsabkommen auf uns zukommen, vom Außenminister in diesem Fragenkomplex erreicht worden ist.
Im übrigen dürfen Sie ganz sicher sein, daß wir uns in dieser Frage in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern befinden. Herr Kollege Voigt, ich habe den Eindruck nach den Unterredungen mit der französischen Regierung, die ja nach Ihrem schönen Schema wohl nicht als Rechtsregierung zu bezeichnen ist, daß wir dort nicht weit auseinander sind in der Bewertung der Zweckmäßigkeit unseres Vorgehens.
Der zweite Punkt. Es hilft nichts, daß Sie unablässig und wider besseres Wissen — es sei denn, Sie nehmen Argumente absichtsvoll nicht zur Kenntnis — behaupten, die Bundesregierung gehe von zwei tragenden Grundsätzen in der Dritte-Welt-Politik ab. Der erste Grundsatz lautet: wir sehen die Blockfreiheit als ein wichtiges positives Element in der Bewertung der Dritten Welt an. Wir fördern diese Blockfreiheit, aber meinen damit echte Blockfreiheit und nicht vorgebliche. Diese wird — das mögen Sie noch so oft in Zweifel ziehen — von uns unterstützt.
Zweitens sagen wir dazu, daß wir den Ost-WestGegensatz nicht auf die Staaten der Dritten Welt übertragen wollen. Auch daran gibt es nichts zu deuteln. Es hat doch keinen Sinn, daß, wenn dies argumentativ immer wieder ausgeräumt wird, Sie sich dann hierher stellen und das Gegenteil behaupten.
Der nächste Punkt. Sie haben hier, Herr Kollege Voigt — ich möchte wirklich sagen, ausgerechnet Sie —, davon gesprochen, daß die Beziehungen zu unserem atlantischen Bündnispartner aus dem Zwielicht gebracht werden müßten. Wenn überhaupt eine Partei durch ihre Aussagen zu zentralen Fragen der Sicherheitspolitik unsere Beziehungen zu unserem Bündnispartner ins Zwielicht gebracht
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8635
Staatsminister Möllemann
hat, dann ist das Ihre Partei mit ihren zum Teil unverantwortlichen Äußerungen der letzten Tage und Wochen.
Ich möchte einmal sagen, daß es doch bemerkenswert ist, daß der NATO-Doppelbeschluß, dessen Bedeutung für das Bündnis, für unsere Sicherheit Sie sehr genau kennen, mit herbeigeführt worden ist von jenem Helmut Schmidt, der doch erklärt hat, was zu geschehen habe, wenn die Verhandlungen nicht zu Ergebnissen führten, nämlich daß eine angemessene Zahl von Systemen hier aufgestellt werden müsse, und jetzt, daß dieser Beschluß von niemand anderem von Tag zu Tag mehr zerredet wird als von Ihnen.
Es ist sicherlich kein Zufall, daß der frühere Verteidigungsminister Georg Leber zwar zu vielem gesprochen hat, aber mit keinem Wort zur Sicherheitspolitik. Ich weiß doch, daß er wie mancher andere bei Ihnen tief besorgt darüber ist, in welch rasantem Tempo sich die SPD von den Grundlagen der Bündnispolitik entfernt. Sie, Herr Ehmke
— jetzt hören Sie mir einmal zu; Sie haben heute morgen lange genug geredet! —
haben in Ihrer Partei den außenpolitischen Sprecher Ihrer Fraktion, Peter Männing, in Berlin nicht mehr zum Abgeordneten für dieses Parlament nominiert, allein und ausschließlich deswegen, weil er für beide Teile des NATO-Doppelbeschlusses eintritt.
Sie haben in Ihrer Partei ein Mitglied der bisherigen Bundesregierung, den Wohnungsbauminister, in seinem Unterbezirk vor die Wand rennen lassen, weil sein Gegenkandidat gegen den Doppelbeschluß war.
Er war dafür, und davon können Sie nicht ablenken.
Es ist Ihre Partei, durch die Äußerung des Kollegen Soell von gestern, gewesen, die ein Verfahren vorgeschlagen hat, das eine Abkehr vom NATO-Doppelbeschluß in vollem Umfang beinhaltet.
— Ach j a, wissen Sie — —
— Herr Professor Ehmke, über den Charakter der Liberalität der SPD hat die überzeugendsten Ausführungen vier Tage vor seinem Wechsel zu Ihnen Günter Verheugen gemacht.
Ich glaube, dem brauche ich nichts hinzuzufügen. Sie können sich mit Ihrem neuen Genossen einmal darüber unterhalten, wie liberal Sie sind. Aber zur Sache selbst zurück.
Sie, Herr Ehmke, haben als SPD erklärt, es reiche Ihnen aus, wenn die Sowjetunion 150 Nuklearsysteme aus dem Bereich SS-20 zurückziehe. Dann könne der Westen einseitig auf den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses verzichten. Sie verfassen damit einen Vorschlag, der hinter den Kräftestand zum Zeitpunkt des Doppelbeschlusses zurückfällt.
Was ist seit dem Doppelbeschluß am 13. Dezember 1979 geschehen? Es hat eine beispiellose Propagandakampagne gegen den von Ihnen und uns aus sicherheitspolitischen Erfordernissen herbeigeführten Beschluß stattgefunden. Parallel dazu hat die Sowjetunion Woche für Woche eine weitere Abschußvorrichtung für die SS-20 aufgestellt. Weshalb fangen Sie jetzt an, Forderungen an uns zu richten, daß wir auf die Implementierung des Beschlusses verzichten sollten? Warum zerreden Sie unsere Möglichkeiten? Bleiben Sie doch bei der Linie, die wir gemeinsam definiert haben.
Ich will Ihnen sagen — ich glaube, das muß man so deutlich sagen —: Die SPD ist dabei, die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen.
Sie sind dabei, die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen, weil Sie der Sowjetunion signalisieren: Ihr braucht gar nicht auf unseren Vorschlag einzugehen; wir werden davon sowieso abgehen.
Das, meine Damen und Herren, ist jene Unzuverlässigkeit, jene Zwielichtigkeit, die bei unseren westlichen Bündnispartnern in den letzten Wochen und Monaten der letzten Regierung immer stärker zu Fragen geführt hat.
Man konnte doch nicht in die Vereinigten Staaten, nach Großbritannien, ja, nach Frankreich fahren, ohne daß man gefragt wurde: Wie lange bleibt diese SPD, diese janusköpfige Veranstaltung, denn bei ihren einmal eingegangenen Verpflichtungen,
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Staatsminister Möllemann
wann geht sie davon ab? — Kaum daß Sie Herrn Schmidt nicht mehr nominiert, Herrn Vogel präsentiert haben und sich dieser mit den Grünen liieren will, nehmen Sie von den Grundlinien der Sicherheitspolitik Abschied. Das müssen Sie sich sagen lassen.