Rede von
Karsten D.
Voigt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Wörner, Sie reden jetzt um den heißen Brei herum. Sie sprechen von tiefen Einschnitten auf beiden Seiten. Dafür bin ich auch. Ich spreche von atomwaffenfreien Zonen auf beiden Seiten. Dies haben Sie pauschal zurückgewiesen. Das halte ich für verantwortungslos. Ihre Frage, die Sie eben gestellt haben, bestätigt eigentlich, daß Sie sich nach wie vor zu dieser Position bekennen.
Hinzu kommt, daß Sie — dazu können Sie nachher auch Stellung nehmen — zu den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gesagt haben, sie müßten neu überdacht werden. Dann wird beschwichtigend hinzugefügt, daß es bei der restriktiven Praxis bleiben solle. Aber gleichzeitig wird gesagt, die Kapazitäten müßten ausgelastet bleiben. Die Friedensforschung hat herausgefunden — sie wird jetzt von Ihnen von 3,5 Millionen DM auf 2,9 Millionen DM gekürzt —, daß eine solche ständige Auslastung der Kapazitäten, wenn man sie zum Grundsatz erhebt, in der politischen und wirtschaftlichen Praxis zu wachsenden Rüstungsexporten führen würde.
Ich fürchte, so wird es sich auch mit dem Grundsatz verhalten, daß der Verantwortungsbereich der NATO nicht ausgedehnt werden soll. Das Kommu-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8633
Voigt
nique der NATO-Verteidigungsminister stellt zwar eindeutig fest, daß Aktivitäten außerhalb des Bündnisbereichs in der nationalen Entscheidung liegen. Aber die jetzige Bundesregierung ist im Gegensatz zur Haltung der früheren Bundesregierung offenbar bereit, solche nationalen Aktivitäten außerhalb des Bündnisbereichs in einer Weise zu unterstützen, die faktisch auf eine Bündnisverantwortung hinausläuft. Das wäre eine gefährliche Entwicklung. Wir werden uns jedenfalls dagegen wehren, den Eindruck entstehen zu lassen, daß die NATO ihren Verantwortungsbereich ausdehnt.
Wir wehren uns auch gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit der Wahrheit in bezug auf die Meldungen über die Verlagerung von Teilen des US-Hauptquartiers in Krisen- oder Kriegsfällen von Stuttgart weg umgeht. Erst spricht Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner auf meine Zwischenfrage vom vergangenen Freitag von „Falschmeldung". Dann wird tröpfchenweise die Wahrheit zugestanden, aber gleichzeitig verharmlost. Schließlich eröffnet Regierungssprecher Stolze den staunenden Journalisten, daß der Tatbestand, der wenige Tage vorher noch als „vollständige Falschmeldung" oder — in anderen Reden von Manfred Wörner — sogar als „bewußte Falschmeldung" abqualifiziert wurde, der Bundesregierung schon seit Monaten bekannt sei. Auf diese Weise versucht die Bundesregierung, den Eindruck zu erwecken, als habe Bundeskanzler Schmidt die Verwirklichung entsprechender Planungen der USA gebilligt. Dieser Eindruck, der erweckt werden soll, ist falsch. Die Bundesregierung müßte noch besser als ich wissen, daß Bundeskanzler Schmidt bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt von der Verwirklichung derartiger Planungen der USA abgeraten hat.
Aus diesem Grunde ist es auch unzureichend, wenn der Regierungssprecher die deutsche Öffentlichkeit jetzt mit dem Hinweis vertröstet, daß die Bundesregierung dann ihre Beurteilung dieser Information abgeben werde, wenn die Interessen der Bundesrepublik berührt würden. Diese Interessen sind bereits heute berührt. Deshalb verlange ich heute nach der falschen Aussage über die angebliche Falschmeldung, nach den vertröstenden und verharmlosenden Ausführungen endlich eine umfassende Information und eindeutige Stellungnahme der Bundesregierung.
Die neue Bundesregierung hat versucht, objektiv bestehende Meinungsunterschiede im Bündnis mit den Vereinigten Staaten der deutschen Sozialdemokratie anzukreiden. Sie hoffen, daß sich das in bare innenpolitische Münze umwandeln läßt. Aber mit innenpolitischer Taktiererei löst man keine Probleme, auch nicht dadurch, Herr Außenminister, daß Sie in Ihrem neuen Wahlprogramm der FDP den Begriff der Entspannungspolitik zu einer historischen Erinnerung verkommen lassen.
Ich sehe als Ergebnis von nur zweieinhalb Monaten Amtszeit der Rechtskoalition die große Gefahr auf uns zukommen, daß die Bundesrepublik in den Ost-West-Beziehungen und im Verhältnis zur Dritten Welt auf die Linie der Konfrontation einschwenkt und sich dadurch letztlich auch im Bündnis in eine Schieflage bei der Wahrnehmung europäischer Interessen bringen läßt. Zu befürchten ist, daß sich die außenpolitische Rolle und das politische Gewicht der Bundesrepublik als Ergebnis der Politik der neuen Regierung erheblich vermindern.
Wir halten demgegenüber an der bewährten Friedens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt fest. Wir Sozialdemokraten wollen nicht weg von der erfolgreichen Konzeption der Entspannungspolitik. Wir Sozialdemokraten wollen im Gegenteil mehr Entspannung und mehr Verträge zwischen Ost und West.
Wir wollen nicht zurück zu den Konzeptionen und der Praxis des Kalten Krieges der 50er Jahre, sondern wir wollen eine friedenserhaltende und friedensgestaltende Vertragspartnerschaft mit dem Ziel der Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West. Diese Politik ist Ausdruck unserer sozialdemokratischen Kontinuität. Diese sozialdemokratische Kontinuität ist unsere Alternative zur sich abzeichnenden Wende Ihrer Außenpolitik nach rückwärts und nach rechts.
Ich hoffe, daß diese Wende nach rückwärts und nach rechts für Sie beim Wähler zwar mit einem politischen Salto mortale beginnen, aber mit einem Schiffbruch enden wird. — Vielen Dank.