Herr Bundesaußenminister, Sie haben von Außenpolitik wenig, von Marktwirtschaft viel gesprochen. Ich habe darin das Bemühen erkannt, in einem kleiner werdenden Markt eine Marktlücke zu entdecken. Aber ich möchte Sie daran erinnern, daß es in der Marktwirtschaft so ist, daß normalerweise der Chef einer Firma entlassen wird, wenn die Produkte am Markt nicht mehr absetzbar sind.
Deshalb wäre es konsequent gewesen, Sie wären zurückgetreten. Ich hätte mir heute eigentlich auch gewünscht, daß Sie bei Ihrer Abschiedsrede aus dem Deutschen Bundestag versöhnlichere Töne angeschlagen hätten.
Zweieinhalb Monate Regierung Kohl/Zimmermann/Genscher haben viele berechtigte Zweifel an Ihren politischen Absichten und auch an Ihren politischen Fähigkeiten genährt. Aber wirkliche Klarheit haben Sie in den zweieinhalb Monaten nicht geschaffen, ja, Sie wollten sie auch nicht schaffen. Denn die Rechnung soll dem Wähler bewußt erst nach dem 6. März präsentiert werden. Und dann erweist sich — das zeichnet sich heute schon ab — das Gerede von der Kontinuität als Sand, der uns in die Augen gestreut werden soll, um den Mangel an demokratischer Legitimation für den Wechsel zu verdecken.
Unsere Zweifel an dem Willen zur Kontinuität der neuen konservativ-liberalen Regierung auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik haben sich in den wenigen zurückliegenden Wochen leider bestätigt. Kontinuität in der Außen- und Sicherheitspolitik war die Devise, mit der Bundesaußenminister Genscher seinen Einstand in die neue konservativ-liberale Koalition feierte. Immer deutlicher aber wird, daß sich der Bundesaußenminister inzwischen auch außenpolitisch an die CDU/CSU angepaßt hat. Er gibt damit die letzten Überreste sozialliberaler Kontinuität preis.
Dieser Außenminister hat dem jetzigen vom Wähler nicht legitimierten Bundeskanzler in den Sattel geholfen. Er hat sich zum Steigbügelhalter machen lassen. Dabei soll es nach dem Willen der Unionsparteien bleiben. Nach dem Vollzug der Wende wird es für die FDP — unabhängig davon, ob sie mehr oder weniger als 5 % bei den nächsten Bundestagswahlen erreicht — keine politisch eigenständige Rolle mehr geben, erst recht nicht mit einem Vorsitzenden Genscher.
Der innenpolitische Schock, der durch Ihr abruptes Wendemanöver verursacht worden ist, hat die deutsche Außenpolitik in ihrem bisherigen Charakter schon jetzt erheblich verändert. Sie haben ein Wahlversprechen gebrochen, nämlich daß Sie Helmut Schmidt als Bundeskanzler unterstützen.
Sie werden auch ein zweites Versprechen brechen, nämlich daß Sie eine von Franz Josef Strauß bestimmte Regierung in Bonn verhindern wollen.
Herr Bundesaußenminister Genscher, Sie pflegen für die Notwendigkeit der Vertrauensbildung zwischen den Staaten zu werben. Wir Sozialdemokraten teilen und unterstützen dieses Ziel. Wie aber kann ein Bundesaußenminister glaubwürdig im Ausland für Vertrauensbildung werben, der im Inland zum Symbol des Vertrauensbruchs geworden ist?
Herr Bundeskanzler Kohl, wir Sozialdemokraten haben kein Vertrauen in Ihre Politik und in Ihr Kabinett. Im Interesse unseres Landes aber warnen wir Sie davor, die Außenpolitik Ihrer Bundesregierung einem Mann anzuvertrauen, der aus taktischen Erwägungen frühere Bündnispartner ge-
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täuscht hat und deshalb auch in Zukunft wohl nicht davor zurückschrecken wird, gegenwärtige und künftige Bündnispartner im In- und Ausland erneut zu täuschen, wenn ihm das als taktisch opportun erscheint.
Ich muß aber heute bereits feststellen, daß in den wenigen Wochen der konservativ-liberalen Regierung der Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik schwerwiegender Schaden zugefügt wurde.
Ich nenne einige Beispiele.
Erstens die Abkehr von der Türkei-Entschließung des Deutschen Bundestages. Der Deutsche Bundestag hat am 5. Juni 1981 in einer einstimmig gefaßten und von allen drei Fraktionen gemeinsam getragenen Entschließung die Fortsetzung der TürkeiHilfe von der Rückkehr zur Demokratie und von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemacht. Sie selber, Herr Außenminister, haben einen Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung in der Türkei zugesagt. Diesen Bericht haben Sie jetzt nach langem Zögern endlich vorgelegt. Darin stellen Sie selber fest, daß auf Grund der neuen türkischen Verfassung bisher nicht persönliche Freiheitsrechte, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, arbeitsrechtliche Bestimmungen wie Streikrecht, Bestimmungen über die Freiheit der politischen Betätigung und der politischen Parteien und Bestimmungen über das aktive und passive Wahlrecht in Kraft getreten sind.
Ebenfalls nicht in Kraft getreten sind die Bestimmungen über die Ausübung der gesetzesgebundenen Gewalt. Das alles steht in Ihrem eigenen Bericht. Das Urteil über diese Entwicklung in der Türkei konnte wohl auch gar nicht anders ausfallen. Dennoch haben Sie sich über die verfassungsrechtlichen und politischen Bedenken hinweggesetzt und mit der Mehrheit der Rechtskoalition im Auswärtigen Ausschuß, im Haushaltausschuß und im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Türkei-Hilfe in vollem Umfang durchgesetzt. Es bleibt das Geheimnis des Parteivorsitzenden der FDP, wie er als Liberaler glaubwürdig bleiben will, wenn er keine praktischen Konsequenzen aus der Verletzung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze in einem Mitgliedsland des Europarates und der NATO zu ziehen bereit ist.
Wer wie Bundeskanzler Kohl von der NATO als Werte-Gemeinschaft spricht und zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Bewilligung von Mitteln der Soforthilfe und der Verteidigungshilfe für die Türkei verlangt, spricht dem hohen Anspruch der geistig-moralischen Erneuerung hohn.
Solch politisches Fehlverhalten ist eine der wichtigsten Ursachen dafür, daß vor allem jüngere Menschen den Politikern mißtrauen, wenn sie von Moral reden, weil es im Widerspruch zu ihrer politischen Praxis steht. Solches Verhalten führt aber auch dazu, daß die demokratische Glaubwürdigkeit der NATO in Mißkredit gerät. So darf man sich nicht über Parlamentsbeschlüsse hinwegsetzen.
Deshalb haben wir hier diese Frage noch einmal in einem Entschließungsantrag zur Entscheidung gestellt.
Wie Sie wissen, hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft auf Grund der Entwicklung in der Türkei ihre Hilfe bisher blockiert. Daran sehen Sie, daß woanders verfassungsrechtliche und politische Bedenken gegenüber der türkischen Staatsführung sehr viel ernster genommen werden als hier von der neuen Rechtskoalition.
Zweites Beispiel: die Wende in der Nord-Süd-Politik. In der sozialliberalen Koalition, Herr Außenminister, haben Sie sich damit gebrüstet, Dritte-WeltPolitik im Interesse der deutschen Außenpolitik zu führen und die deutsche Dritte-Welt-Politik an den Grundsätzen der Unabhängigkeit, der Blockfreiheit und der Solidarität mit den Entwicklungsländern zu orientieren. Sie wollten damals die Dritte Welt nicht in den Ost-West-Konflikt hineinziehen. Wir haben Sie in dieser Politik unterstützt, weil Sie damit sozialdemokratisches Gedankengut in die deutsche Außenpolitik aufgenommen haben.
Daß Ihr Kontinuitätsversprechen nichts wert ist und die Öffentlichkeit bis zum 6. März nur hingehalten werden soll, läßt sich z. B. daran ablesen, daß Länder mit linksgerichteten Systemen wie Nicaragua durch die Kürzung der Entwicklungshilfe bestraft werden sollen — Simbabwe gehört übrigens auch dazu, obwohl die Vereinigten Staaten in diesem Fall sogar sehr viel großzügiger sind — und daß Länder mit rechtsgerichteten Systemen wie El Salvador aufgewertet werden sollen, und das, obwohl in den Vereinigten Staaten selber erwogen wird, die Hilfe zu kürzen.
Mit Besorgnis muß uns auch erfüllen, daß Sicherheitsinteressen des Westens, der NATO, in die Dritte-Welt-Politik einfließen sollen und damit der Ost-West-Gegensatz in die Dritte Welt hineingetragen wird.
Das alles kann man nicht mit der Ressortzuständigkeit des CSU-Ministers Warnke auf sich beruhen lassen.
Denn es ist doch wohl klar, daß in diesen Änderungen der Entwicklungspolitik die außenpolitische Handschrift von Franz Josef Strauß bereits jetzt in der Regierung zu erkennen ist.
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Mir ist von Ihrem Widerstand gegen diese massive Veränderung von Grundsätzen der deutschen Außenpolitik
nichts bekannt. Vielleicht hören wir dafür von Ihnen später noch einiges, nämlich dann, wenn offenbar und bekannt wird, daß Sie zurückgesteckt haben und daß Sie Ihre eigene Politik und Ihre eigenen Grundsätze, so Sie welche gehabt haben sollten, begraben haben.
Außerordentlich beunruhigend, besonders im Zusammenhang mit den Beziehungen der Bundesrepublik zu den Ländern der Dritten Welt, ist auch die Tatsache, daß die neue Bundesregierung bisher zur Unterzeichnung der Seerechtskonvention nicht bereit ist. Sie reiht sich damit in eine Linie der Konfrontation gegenüber den Entwicklungsländern ein. Auch das wird der deutschen Außenpolitik nicht gut bekommen. Im übrigen gefährdet sie damit auch Arbeitsplätze in Hamburg, nämlich den Seegerichtshof, der Hamburg im Rahmen der Seerechtskonvention zugesagt worden ist.
Das dritte Beispiel: Doppeldeutigkeiten oder, wie Sie das nennen würden, Zwielicht in wichtigen Bündnisfragen. Hans-Jürgen Wischnewski hat in der Debatte vom 25. November eine Reihe von Fragen gestellt, von denen einige immer noch nicht oder nur unzureichend beantwortet worden sind. Nicht beantwortet ist z. B. die Frage, ob und, wenn ja, welche Verpflichtungen die Bundesregierung gegenüber den Vereinigten Staaten eingegangen ist, die zu einer Einschränkung des Osthandels führen könnten.
Am 9. Dezember hat der amerikanische Botschafter in Bonn, Arthur Byrnes, erklärt, daß die NATO-Länder im Zusammenhang mit der Aufhebung der US-Sanktionen übereingekommen sind, keine neuen Verträge für die Lieferung von sowjetischem Erdgas abzuschließen.
Eine solche Vereinbarung, wenn es sie gibt, wäre entweder eine überflüssige oder eine schädliche Einschränkung unserer energiepolitischen Zusammenarbeit mit Osteuropa. Sie wäre ein Bruch mit sozialliberaler Kontinuität, denn Bundeskanzler Helmut Schmidt ist früher öffentlich und intern für eine gesamteuropäische Energiekonferenz eingetreten — und das mit dem Ziel, die energiepolitische Zusammenarbeit mit Osteuropa nicht einzuschränken, sondern zu vertiefen und auszuweiten.
Wir befinden uns übrigens mit unserer Haltung, die mit der Haltung der amerikanischen Regierung nicht identisch ist, in Übereinstimmung mit der französischen Regierung. Trotzdem behauptet Herr Kohl, daß es weder zwischen ihm und der französischen Regierung noch zwischen ihm und der amerikanischen Regierung Meinungsunterschiede gibt. Meiner Meinung ist das eine sehr kühne Behauptung, wenn man sich die realen Probleme zwischen Europa und den Vereinigten Staaten anschaut. Offenbar sind mit dieser Form der Übereinstimmung nur Allgemeinplätze gemeint. Bundeskanzler Kohl gilt ja aber als Spezialist für das Allgemeine und hat das durch seine heutige Rede auch noch einmal unterstrichen.
Besorgniserregend ist, daß immer offensichtlicher wird, daß Vertreter der konservativ-liberalen Koalition dem Nachrüstungsteil des NATO-Doppelbeschlusses den Vorrang einräumen. Kollege Todenhöfer erklärt, die Sowjetunion werde erst dann Zugeständnisse machen, wenn hier stationiert ist. Diese Äußerung erweckt zwangsläufig den Eindruck, daß die CDU/CSU jetzt zu dem Konzept „Erst rüsten, dann verhandeln" zurückkehrt.
Das ist es, was uns nach dem 6. März bevorsteht, falls Sie die Mehrheit erhalten, und das werden wir nicht mitmachen.
Wir Sozialdemokraten lehnen jeden Automatismus der Nachrüstung ab und fordern endlich die Offenlegung der geplanten Stationierungsorte. Wir Sozialdemokraten stehen zu dem, was Sozialdemokraten in der Regierung und auf ihren Bundesparteitagen beschlossen haben. Wir Sozialdemokraten geben aber den Verhandlungen den Vorrang vor der Nachrüstung. Im Unterschied zu Ihnen drängen wir auf Verhandlungskompromisse. Ja, wir bekennen uns offen dazu: Wir Sozialdemokraten sind die Partei der Verhandlungen.
Die Sowjetunion hat jetzt in Genf einen Vorschlag vorgelegt, der darauf hinausläuft, die Hälfte der sowjetischen landgestützten Systeme abzubauen. Das ist ein Fortschritt. Er geht aber noch nicht so weit, wie wir es für nötig halten. Das Präsidium der SPD hat sich dafür ausgesprochen, die Warnke-Vorschläge eingehend zu prüfen, gegebenenfalls durch eigene Vorstellungen anzureichern und in den zuständigen Gremien der NATO zu erörtern. Die schlichte Ablehnung dieser Vorschläge durch die neue Rechtskoalition halten wir für unangemessen und für unbefriedigend.
Sie zeugt unserer Meinung nach von mangelnder Verhandlungsbereitschaft. Wir fordern Sie deshalb noch einmal auf: Prüfen Sie Kompromißmöglichkeiten. Drängen Sie auf faire Kompromisse. Unsere Politik muß weiterhin — wie unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt — die Vorhut der Abrüstungsbemühungen bilden.
Sie darf nicht zur Nachhut werden.
Jetzt möchte ich ergänzend noch folgendes hinzufügen. Wer heute die „International Herald Tribune" gelesen hat, wird darin einen Bericht von John Vinocur, einem der Sozialdemokratie sicher-
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lich nicht wohlgesonnen Reporter finden, wonach auch François Mitterrand sagt, daß man sich in der Position der Verhandlungen bewegen muß und daß er eine Lösung zwischen der Reaganschen NullLösung und dem Vorschlag der Freeze-Bewegung vorschlage. — Ich sehe schon kommen, daß Sie neben Reagan, vielleicht sogar nach Reagan die letzten sein werden, die an der starren Ausgangsposition festhalten und sich gegen Verhandlungskompromisse aussprechen und damit Verhandlungsergebnisse erschweren und verunmöglichen.
Wenn Sie sich so verhalten, dann ist es nur konsequent, wenn nicht wir, sondern der „Spiegel"
in seiner Ausgabe vom 13. Dezember in einem Artikel feststellt: „Die Union neigt zur Raketenpartei." Das sind nicht wir, das sind Journalisten, die diese Konsequenz aus Ihrer bisherigen Praxis und Verhaltensweise ziehen.
Ich möchte eine weitere Äußerung des Bundesministers der Verteidigung, Manfred Wörner, aufgreifen. Er erklärte am 8. Dezember im Zweiten Deutschen Fernsehen:
Ich lehne eine atomwaffenfreie Zone in Europa mit Entschiedenheit ab. Atomwaffenfreie Zonen verhindern nicht den Nuklearkrieg; ich fürchte, sie würden dazu führen, daß er kommen muß.
Dann führte er weiter aus:
Dafür gibt es ein historisches Beispiel: Die Amerikaner haben die Atombombe auf Hiroshima geworfen, weil die Japaner sie nicht hatten.
Mit dieser fahrlässig vereinfachenden Aussage, Herr Verteidigungsminister, werden Sie der Forderung nach der Bildung einer atomwaffenfreien Zone sachlich nicht gerecht.
Im Umkehrschluß reden Sie mit Ihrer Argumentation indirekt einer schrankenlosen Weiterverbreitung von Atomwaffen das Wort. Wenn Ihr Argument stimmte, wäre der Atomwaffensperrvertrag sinnlos. Dann müßten alle Staaten dieser Erde, um vor Atomangriffen sicher zu sein, die Bombe haben. Das nenne ich verantwortungslos.