Rede von
Heinz
Rapp
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich rede hier nicht vom Regierungsbonus; den hat es auch zu unserer Zeit zu unseren Gunsten gegeben. Aber eine Relation von 10 : 1 zugunsten der Regierung hat es zu unseren Zeiten nie gegeben.
Ich rede davon, daß Sie durch Ihre strategisch angelegte Machtpolitik dabei sind, in unserem Land eine publizistische Überrüstung in Gang zu bringen, durch die die Offenheit unserer Verfassung zur Farce werden könnte.
Werden Sie, Herr Bundeskanzler, auf diesem Weg umkehren? Werden Sie hier der geistig-moralischen Erneuerung den Weg bahnen, dort, an der sensibelsten Stelle, wo es um Vielfalt geht, um die Möglichkeit, daß auch die Minderheit sich artikulieren kann?
Die Verfassung, auf deren Verlebendigung hin wir uns geistig und moralisch erneuern sollten, ist die des Sozialstaatsgebots. Wenn jetzt Neokonservative vom Vorrang des Rechtsstaats über den Sozialstaat reden und den Bedingungszusammenhang leugnen, reden die wohl von einem anderen Grundgesetz.
Ich weiß: Arbeitslosigkeit — der Herr Arbeitsminister ist nicht da — ist schreiendes soziales Unrecht, ihre Bekämpfung unsere allerwichtigste Aufgabe. Aber ist sie dies auch für die größte Regierungspartei und Regierungsfraktion, wenn deren stellvertretender Vorsitzender geradezu hysterisch auf den Appell des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten reagiert, einen Solidarpakt zur Überwindung von Arbeitslosigkeit zu stiften? Einen solchen Pakt haben auch die Kirchen gefordert. Liegt es daran, wenn der Appell von Hans-Jochen Vogel den Parteichristen Müller so sehr erregt hat?
Wenn geistig-moralische Erneuerung nur ein taktisches Schellenspiel ist, verkommt halt auch christliche Sozialethik zur Wahlkampfrednerkarte der CDU.
Der Appell zu geistig-moralischer Erneuerung ertönt bei Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, meist im Zusammenhang mit Opfer bringen, Einschränkung von Ansprüchen, die dann immer überzogen sind mit der Rückbesinnung auf die Tugend der Bescheidenheit. An sich ist dagegen nichts zu sagen. Komisch ist nur, meine Damen und Herren, daß Bescheidenheit bei Ihnen immer bei den bescheidenen Einkommen beginnt.
Fordern die kleinen Leute Teilhabe am allgemeinen Wohlstand, dann ist das „Anspruchsdenken", und das lähmt ihren Leistungswillen.
Mit dem Leistungswillen der ganz Großen ist es offenbar ganz anders bestellt. Er nimmt, glaubt man konservativen Verlautbarungen, überproportional mit jeder Schmälerung des Einkommens ab.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welch ein Menschenbild hinter Ihrem Leistungsgedanken und hinter Ihrer Leistungsphilosophie steckt? Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wieviel Menschenverachtung darin steckt, anzunehmen, daß überproportional mit jeder Einkommensminderung bei den großen Leuten die Leistungsbereitschaft abnimmt?
Als man den Bankier Pferdmenges fragte, was er wohl täte, wenn er 1 Million Mark im Jahr verdiente, sagte er, dann würde er sich einschränken. Sie scheinen sich zu sagen: Wenn der das kann, warum dann eigentlich nicht auch der kinderreiche Bezieher eines kleinen und mittleren Einkommens?
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Dezember 1982 8623
Rapp
Übrigens wird die Lebenslage kinderreicher Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch die Kumulation Ihrer Sparmaßnahmen am brutalsten getroffen werden. Georg Leber hat das ausgeführt. Dabei sollte doch Ihre Familienpolitik gewissermaßen Fanal der geistig-moralischen Erneuerung sein. Es ist zu Ihrer früheren Regierungszeit geschehen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß das materielle Mehr und Mehr und Mehr, das „Haste was, dann biste was" zur deutschen Ersatzreligion hat aufsteigen können.
Wir haben hernach wenigstens versucht, postmateriellen Wertorientierungen ein bißchen zur Geltung zu verhelfen.
Sollten wir übrigens nicht wirklich gemeinsam über eine Wirtschaftsordnung nachdenken, die auch dann nicht aufhörte zu funktionieren, wenn die Menschen tatsächlich bescheidener würden?
Kürzlich hat einer der Ihren — ohne Widerspruch Ihrerseits — gesagt, Tarifautonomie sei ein vom Staat verliehenes, jederzeit rückholbares Recht.
Soll das die Kehrseite hinter der Schauseite der geistig-moralischen Erneuerung sein?
Das Staats- und Freiheitsverständnis der Konservativen ist schon immer ein bißchen eigen gewesen. So ganz harmlos ist es auch nicht, wenn unter geistig-moralischer Erneuerung schlicht verstanden wird, wir sollten die Probleme der 80er Jahre einfach so lösen, wie wir die der 50er Jahre gelöst haben. Angesichts der völligen Andersartigkeit der heutigen Herausforderungen könnte der Sprung zurück in die 50er Jahre zum Salto mortale werden.
Lassen Sie mich zum Schluß wiederholen, was bei alledem, bei all meiner Skepsis gegenüber der laufenden Kampagne von geistig-moralischer Erneuerung richtig bleibt. Geistig-moralische Erneuerung tut uns allen not: jedermann, jederzeit, der Gesellschaft im ganzen. Verfassungspatriotismus tut not. Wir bieten Ihnen, Herr Dr. Kohl, dazu den produktiven Wettbewerb an. Taktisch-semantische Manipulationen — mehr haben Sie zu diesem Thema bisher nicht geboten — machen Verfassungspatriotismus zunichte.