Rede von
Dr.
Helmut
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird dafür sorgen, daß die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern in der Lage sind, der Gefährdung der inneren Sicherheit durch terroristische Aktivitäten und gewalttätige Formen bei der Verfolgung politischer Ziele wirksam zu begegnen. Wir werden weiterhin jede Gewaltkriminalität entschieden bekämpfen.
Um alle diese Aufgaben anpacken und die Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben in Freiheit schaffen zu können, brauchen wir eine Neuorientierung der Politik. Wir brauchen Gemeinsinn, und wir brauchen den Willen zur Gemeinsamkeit.
Als konkretes Beispiel für diese Gemeinsamkeit nenne ich die Vereinbarung über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern.
In fairen und zügigen Verhandlungen haben sich Bund und Länder um des Allgemeinwohls willen schnell geeinigt. Das Gesamtergebnis verbessert die Finanzsituation in den Ländern erheblich und wird dazu beitragen, regionale Probleme zu entschärfen.
Wir haben große regionale Probleme. Ich denke an Ostfriesland, wo die Arbeitslosigkeit bis zu 20% beträgt. Ich denke an die Küstenregionen mit den Problemen des Schiffbaus. Ich denke an das Ruhrgebiet und an das Saarland mit den tiefgreifenden Anpassungsproblemen der Montanindustrie. Ich denke an das bayerische Grenzland und das Zonenrandgebiet.
Und ich spreche von der alten Reichshauptstadt Berlin, wo sich die Probleme im Brennpunkt verdichten. Die Berliner Wirtschaftskonferenz am 11. und 12. Dezember hat mich außerordentlich ermutigt, daß die deutschen Unternehmer und die deutschen Gewerkschaften unsere gemeinsamen Anstrengungen unterstützen, um die Lebensfähigkeit Berlins zu sichern.
Die Bundesregierung hat trotz der schwierigen Haushaltslage und der Notwendigkeit von Einsparungen zusätzliche Mittel zur Förderung strukturschwacher Regionen bereitgestellt. Sie ist bereit, die Küstenregionen und den Schiffbau auch weiter-
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hin zu unterstützen, der Stahlindustrie bei ihrem Anpassungsprozeß zu helfen, das StahlstandorteSonderprogramm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen fortzusetzen, das Zonenrandgebiet angemessen zu fördern, die Frachthilfe für die Grenzregionen fortzuführen und die Berlinhilfe und die Berlinförderung in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
Vielfältige Hilfen für die Kohle kommen insbesondere dem Ruhrgebiet und dem Saarland zugute.
Auch dazu, meine Damen und Herren, eine Bemerkung. Vor acht Wochen, in der Debatte über die Regierungserklärung, haben Sie bestritten, daß wir zu irgendeiner Übereinkunft in diesem Punkt fähig seien. Jetzt stehen wir vor der Tatsache, daß unter dem Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers Graf Lambsdorff eine Gemeinschaftsaktion von Bund, Ländern, Unternehmen und Arbeitnehmern herbeigeführt wurde, die es dem Bergbau erlaubt, die vor uns liegenden schweren Jahre zu meistern. Bevor Sie Zwischenrufe machen, sollten Sie sich bei Ihrem eigenen Kollegen, dem Vorsitzenden der IG Bergbau — bei dem ich mich ausdrücklich für seine kooperative Haltung bedanken möchte —, erkundigen, was wirklich an Rhein und Ruhr vonstatten geht.
Das ist ein weiteres Beispiel, das zeigt, daß Ihre Behauptung, von diesem Pult aus aufgestellt, innerhalb von acht Wochen durch die Tatsachen widerlegt wurde.
Die Bundesregierung hat gerade in der vergangenen Woche ihre Hilfsbereitschaft in einer Ausnahmesituation unter Beweis gestellt. Sie hat der Arbed Saarstahl — —
— Sprechen Sie bitte nicht von den Kumpeln. Die Politik, die Sie machen, führt sicherlich nicht zum Glück der Kumpel, sondern hat zu Massenarbeitslosigkeit in Deutschland geführt.
Wir haben versucht, mit dieser Arbed-SaarstahlEntscheidung, mit der Bewilligung staatlicher Hilfen zur Fortführung des Unternehmens eine ganze Region vor einem schlimmen Schicksal zu bewahren. Ich will ausdrücklich anerkennen, daß alle Beteiligten dabei wichtige Beiträge geleistet haben.
Wir brauchen nicht nur den Geist der Gemeinschaft, sondern auch den gemeinsamen Willen zur Lösung unserer schwierigen Aufgaben. Diese Bundesregierung hat in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand — es sind noch nicht einmal achtzig Tage gewesen —, ein umfangreiches Dringlichkeitsprogramm zustande gebracht. Sie konnte das nur — ich will das ausdrücklich hervorheben — mit der Hilfe dieses Hohen Hauses, des Bundestags und des Bundesrats erreichen. Ich bin mir der Zumutung, etwa hinsichtlich des Terminablaufs, gegenüber den Kollegen im Haushaltsausschuß und in einzelnen anderen Ausschüssen des Hohen Hauses durchaus bewußt. Ich darf mich besonders herzlich dafür bedanken, daß es bei aller politischen Auseinandersetzung möglich war, die Gesetzgebung unter diesem ungeheuren Zeitdruck fertigzustellen.
Für diese Politik sind wir in besonderem Maße auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Ich bin sicher, es wird aufwärtsgehen, wenn alle mitmachen. Wir sind auf einem zwar steinigen, aber — wir spüren das, jedenfalls die große Mehrheit — auf dem richtigen Weg.
Wir werden die Soziale Marktwirtschaft neu beleben und mit dieser wichtigen Grundlage unserer Gesellschaftsordnung auch die Zukunft des Landes sichern. Wir alle brauchen dazu am Ende dieses schweren Jahres auch Zuversicht. Diese Zuversicht kann jeder im Lande aufbringen und verbreiten, der mit uns bereit ist, die bestehenden Probleme mit Tatkraft und mit Bürgersinn anzupacken.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben sich in diesen Wochen schwer getan, sich in die neue Rolle als Opposition einzuüben.
Wir haben einen vielstimmigen Chor von harter, wilder Polemik — heute gab es dazu wieder ein Beispiel — bis zu überraschender Zustimmung erlebt. Nur, beides betraf häufig ein und dieselbe Entscheidung der Bundesregierung, etwa im Bereich der Außenpolitik, der Deutschland- und Sicherheitspolitik. Was Herr Glotz kritisierte, begrüßte Herr Vogel. War Herr Bahr begrüßte, kritisierte mein Vorgänger. Es waren seltsame Kombinationen, die hier zutage traten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns und den Bürgern im Lande allmählich mitteilen würden, was Sie von der SPD wirklich politisch wollen.
Es ist die Pflicht der Bundesregierung, die nationalen Interessen unseres Landes mit aller Entschiedenheit zu vertreten.
Lassen Sie mich das zu Ihnen in der SPD auch sagen: Wir lassen uns dabei von niemandem übertreffen. Das gilt für unsere Gespräche mit den Freunden in Europa und im Bündnis ebenso wie für unsere Gespräche mit den Nachbarn im Osten. Das gilt für die multilateralen Begegnungen und internationalen Konferenzen, in denen die Bundesregierung entscheidend mitwirken kann.
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Wir finden es allerdings besser, mit den Freunden zu reden, als über die Freunde zu reden.
Öffentliche Kritik und Zurechtweisung müssen auch bei Freunden und Verbündeten zu Mißstimmung führen.
Ich habe in der Tat deshalb besonderen Wert darauf gelegt in diesen Wochen, das in der Vergangenheit vielfach gestörte Klima zu verbessern. Damit erleichtern wir uns die Lösung der Probleme. Wir lösen damit nicht die Probleme, aber wir erleichtern uns die Probleme. Ich weiß gar nicht, meine Damen und Herren, warum das eigentlich Ihre Kritik findet. Sie sind auch als Sozialdemokraten dazu selbstverständlich verpflichtet, das nationale wahre Interesse unseres Landes wahrzunehmen. Wenn wir gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten haben, muß das doch Ihre Zustimmung finden. Wenn wir gute Beziehungen zur Französischen Republik haben, muß das doch Ihre Zustimmung finden.
Wenn Sie nun in diesem Zusammenhang meine Tätigkeit auf diesem Gebiet in den letzten Wochen kritisieren, dann kann ich nur sagen: wer hat denn eigentlich die Termine festgelegt, die da abgelaufen sind? Wer hat eigentlich den Europäischen Rat nach Kopenhagen einberufen? Das war doch nicht ich. Mein Vorgänger, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, hat diesem Termin zugestimmt. Was hätten Sie gesagt, wenn ich versucht hätte, diesen Termin nicht wahrzunehmen oder gar zu verschieben? Was hätten Sie gesagt, wenn wir den deutsch-französischen Gipfel und den deutschbritischen Gipfel nicht abgehalten hätten? Was hätten Sie gesagt, wenn der Staatsbesuch in Luxemburg ausgefallen wäre? Mit solchen Methoden, indem Sie dem Bürger weismachen wollen, das seien alles vordergründige Aktivitäten, obwohl das langfristig geplante Termine noch meines Amtsvorgängers waren, werden Sie die Sinne unseres Landes nicht vernebeln können.
Ich füge noch ein Wort zur Opposition hinzu. Wir weichen keiner politischen Auseinandersetzung mit der Opposition aus, solange es darum geht, den richtigen Weg und die richtige Entscheidung durchzusetzen. Aber bei all dem, was heute auch hier streitig erscheint, einen Fehler der früheren Regierung und des früheren Kanzlers werde ich nicht wiederholen: ich werde Sie nicht auf Jahre hindurch von wichtigen Informationen ausschließen. Sie werden die notwendigen Informationen von dieser Regierung bekommen. Was Sie daraus machen, ist dann Ihre Sache.
Außenpolitische und außenwirtschaftliche Beziehungen und Bindungen unseres Landes bestimmen fast jeden Bereich unseres Lebens. Wir sind in unserer politischen und in unserer persönlichen Existenz verbunden mit dem, was bei unseren Nachbarn und in oft sehr fernen Regionen der Welt vor sich geht. Es geht dabei um nationale Interessen, um eine Politik, die von der Mehrheit unseres Volkes und seiner Repräsentanten getragen werden muß. Deswegen sage ich auch vor Wahlen: es ist notwendig, in diesen Grundfragen zu Gemeinsamkeit fähig zu sein. Mir geht es darum, in diesem Bereich unserer auswärtigen und sicherheitspolitischen, europapolitischen und entwicklungspolitischen Interessen nicht Gräben neu aufzureißen, sondern, wo nötig, Brücken zu bauen. Dafür zu wirken und zusammen mit allen, die guten Willens sind, zu arbeiten, ist unsere Pflicht. Ich bin zutiefst von dem Satz überzeugt, daß der äußere Friede nur dann gesichert werden kann, wenn man einen Beitrag zum inneren Frieden zu leisten bereit ist.
Deshalb, meine Damen und Herren von der SPD, betrachten wir mit Sorge, wie rasch und in welchem Maße sich Ihre Partei von den Grundsatzpositionen meines Amtsvorgängers Helmut Schmidt fortbewegt. Der Beschluß des SPD-Vorstandes am 6. Dezember, also vor ein paar Tagen, zum Doppelbeschluß der NATO, muß sich doch in der gegenwärtigen Verhandlungsphase in Genf verheerend auswirken. Er untergräbt den Verhandlungsansatz des Bündnisses für eine beiderseitige Null-Lösung. Der Vorschlag des SPD-Parteivorstands läuft doch in Wahrheit auf eine einseitige Null-Lösung zu Lasten des Atlantischen Bündnisses hinaus. Die Bundesregierung steht in dieser Frage des Doppelbeschlusses in der Tat in der Kontinuität zu ihrer Amtsvorgängerin. Wenn je der Begriff der Kontinuität einen Sinn gibt, dann genau in diesem Sachverhalt. Der Doppelbeschluß in beiden Teilen bleibt für uns ein Instrument, um wirksame und gleichgewichtige Abrüstung zu erreichen. Die Bundesregierung setzt sich mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln für ein zeitgerechtes konkretes Ergebnis bei den Verhandlungen in Genf ein.
Ich habe dies in meinen Gesprächen mit den USA getan, über die ich hier bereits berichtet habe. Mein Kollege Genscher und ich haben kürzlich auch darüber sehr klar mit Außenminister Shultz bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Diese Gespräche haben einmal mehr bestätigt, daß es den USA wie uns in Genf um konkrete vereinbarte Ergebnisse geht. Wir haben keinen Zweifel, daß sich dies alles auf einem guten Weg befindet.
Noch nie waren die Konsultationen im Bündnis so eng, so intensiv; noch nie waren unsere Einwirkungsmöglichkeiten so groß. Hören wir also damit auf — vor allem die Stimmen der deutschen Sozialdemokraten — öffentlich den Verhandlungswillen der USA in Zweifel zu ziehen.
Wenn wir Zweifel am Erfolg in Genf haben müssen, dann vor allem wegen der bisherigen Weigerung der Sowjetunion, zu Verhandlungsfortschritten zu kommen. Diese mangelnde Verhandlungsbereitschaft der sowjetischen Führung könnte sich noch mehr verfestigen, wenn sie den Eindruck gewinnen sollte, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, aus der bisherigen gemeinsamen Politik der Bundesrepublik Deutschland und des Westens aussteigen wollen. Dann könnte die Versuchung für die Sowjetunion zu groß sein, auf Zeit zu
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spielen, um ihre Überlegenheit im Bereich der Mittelstreckenwaffen zu erhalten und den Westen zu einer einseitigen Null-Lösung zu zwingen.
Wir werden auch weiterhin alles tun, damit die Verhandlungen in Genf zum Erfolg führen. Erfolgreiche Verhandlungen in Genf liegen im existentiellen Interesse aller, aber sie liegen vor allem im existentiellen Interesse des deutschen Volkes diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs.
Die Sowjetunion muß den Anspruch der europäischen NATO-Staaten auf gleichberechtigte Sicherheit akzeptieren. Ich bin davon überzeugt, daß die Verhandlungen Erfolg haben können, wenn wir uns an die klare, im Doppelbeschluß vorgezeichnete Politik halten. Wer glaubt, sich nur einen Teil des Doppelbeschlusses auswählen zu können, nämlich den Verhandlungsteil, gefährdet den Erfolg und die Chance der ganzen Verhandlungen.
Wer unsere Entschlossenheit, im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen die Stationierung durchzuführen, ständig in Frage stellt, untergräbt — das ist doch logisch — die westliche Verhandlungsposition. Er tut alles — ob er es will oder nicht —, um die Sowjets davon abzuhalten, ihrerseits ernsthaft die Möglichkeit der Abrüstung ihrer Systeme in Erwägung zu ziehen.
Wir, die Bundesregierung und die Koalition, wollen die Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit mit dem Osten fortführen. Wir wollen konstruktivere Ost-West-Beziehungen erreichen. In Kopenhagen, auf dem Europäischen Rat, haben wir uns zu einer Politik der ausgestreckten Hand bereit erklärt. Wir hoffen, daß alle Teilnehmerstaaten des KSZE-Folgetreffens von Madrid die erforderlichen Beschlüsse fassen, damit das Treffen bald erfolgreich, das heißt mit einem substantiellen und ausgewogenen Schlußdokument und mit einem präzisen Mandat für eine Konferenz über Abrüstung in Europa, abgeschlossen werden kann.
Gemeinsam mit unseren Freunden fordern wir die Sowjetunion auf, ihre Beiträge zur Stärkung des Vertrauens in den internationalen Beziehungen zu leisten. Dies gilt für das Verhalten der sowjetischen Verhandlungsführer in Genf und Madrid; dies gilt auch für ihr Verhalten in Polen und Afghanistan. Meine Damen und Herren, es liegt an der Sowjetunion, diese Belastungen und Vorbehalte auszuräumen und so den Weg zu besseren Verhältnissen zu bahnen.
Wir hoffen, daß die neue sowjetische Führung erkennt, daß hegemoniale Bestrebungen eine überholte Politik darstellen, daß militärische Gewalt politische Lösungen weder herbeiführen noch auf die Dauer ersetzen kann.
Was wir tun können, werden wir tun, um unserem polnischen Nachbarvolk unsere Verbundenheit gerade in diesen Tagen zu beweisen. Mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im
Bündnis werden wir auf wirkliche Fortschritte bei der Wiederherstellung des nationalen Konsenses in Polen positiv antworten. Ich sage: auf wirkliche Fortschritte. Wir werden uns aber nicht scheuen, deutlich zu sagen, was wir für richtig halten, wenn es um die Rechte und die Freiheiten des polnischen Volkes gemäß der Schlußakte von Helsinki geht.
Die Bundesregierung nimmt aktiv Anteil an der Abstimmung über ein langfristig angelegtes westliches Gesamtkonzept für die Ost-West-Beziehungen. Dies schließt, Herr Professor Ehmke, die Wirtschaftsbeziehungen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Osten ein. Wir sind uns mit unseren europäischen und amerikanischen Partnern einig, daß Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vorteils und unter Wahrung unserer Sicherheitsinteressen bei der Stabilisierung des OstWest-Verhältnisses insgesamt auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen.
Die Bundesregierung hat das Gespräch mit dem neuen Generalsekretär der KPdSU, Andropow, unverzüglich aufgenommen. Sie beabsichtigt, dieses Gespräch weiterzuführen. Wir begrüßen deshalb den Besuch von Außenminister Gromyko Mitte Januar bei uns in Bonn.
Ich will diesen Besuch zum Anlaß nehmen, besonders auf den erheblichen Rückgang der Zahlen bei der Familienzusammenführung aus der Sowjetunion hinzuweisen.
Wir bedauern diese Entwicklung zutiefst, und wir hoffen, daß die sowjetische Führung diese humanitäre Frage — wie sie es mehrfach zugesagt hat — in wohlwollendem Geist lösen wird.
Zu dieser Politik der Zusammenarbeit und des Dialogs gehört auch die Pflege unserer Beziehungen zur DDR. Unsere Deutschlandpolitik verfolgt zwei grundlegende Ziele, die zugleich Aufforderung zum politischen Handeln sind: die deutsche Teilung auf friedlichem Weg durch einen Prozeß der Verständigung und in Freiheit zu überwinden und die Folgen der Teilung für die Menschen in Deutschland erträglicher zu gestalten. Die Regierung der Mitte hat unmißverständlich klargestellt, daß sie beide Zielsetzungen gleichermaßen als verbindlich ansieht.
Meine Damen und Herren, für uns bleibt Deutschlandpolitik über die deutsch-deutschen Beziehungen hinaus immer die Frage nach der Einheit der deutschen Nation. Über diese Frage hat die Geschichte natürlich nicht das letzte Wort gesprochen. Sie ist und bleibt weiterhin offen, bis das deutsche Volk sein Selbstbestimmungsrecht frei ausgeübt hat.
Wir wissen, daß die Teilung Deutschlands in absehbarer Zeit nicht überwunden werden kann; aber wir weigern uns, diese Teilung als endgültig hinzunehmen. Wer dies tut, wer die gegenwärtige Lage in Deutschland — und damit auch in Europa — sozusagen in die Zukunft hineinverlängert, der beweist nicht nur politischen Kleinmut, sondern auch ge-
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schichtsloses Denken, und er dient nicht dem Frieden.
Im Vordergrund unserer Bemühungen stehen die Interessen der Menschen im geteilten Deutschland. Wir fühlen uns ihnen gegenüber in besonderer Weise verpflichtet, und wir wissen, was sie von uns erwarten. Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um diesen Erwartungen gerecht zu werden.
Meine Damen und Herren, heute bestehen auf deutschem Boden zwei voneinander unabhängige Staaten. Wir müssen mit dieser Tatsache leben; aber wir halten am geschichtlichen Auftrag der Präambel unseres Grundgesetzes fest. Deshalb muß auch die Regierung der DDR respektieren, daß wir an der Einheit der Nation festhalten. Es führt nicht weiter, die Durchsetzung unvereinbarer Rechtspositionen zum Gegenstand beiderseitiger Verhandlungen machen zu wollen. Die Bundesregierung wird keine ihrer grundlegenden deutschlandpolitischen Rechtspositionen aufgeben.
Ich wiederhole, was ich in der Regierungserklärung am 13. Oktober gesagt habe: Die DDR kann sich darauf verlassen, daß wir zu allen übernommenen Verpflichtungen stehen. Das gleiche erwarten wir allerdings auch von der Regierung der DDR. — Ich begrüße es, daß auch die DDR-Führung ihr Interesse an gutnachbarschaftlichen Beziehungen bekräftigt hat.
Für die überschaubare Zukunft besteht unsere Aufgabe darin, die Beziehungen so zu gestalten, daß sie den Menschen nutzen und dem Frieden dienen. Es geht um praktische Lösungen, um praktische Ergebnisse. Und wir sind überzeugt, daß die meisten Sachprobleme bei gutem Willen zum gegenseitigen Nutzen gelöst werden können. Aber Rückschritte müssen beseitigt werden, Verträge. müssen ausgefüllt und Absichtserklärungen verwirklicht werden. Was uns betrifft: Wir sind zum Fortschritt im Interesse der Menschen bereit.
Meine Damen und Herren, mit zunehmender Arbeitslosigkeit, zunehmendem Anpassungsdruck auf die Volkswirtschaften wächst die Versuchung, nationale Alleingänge zu unternehmen, nationale Sonderwege in der Haushaltspolitik, in der Wirtschafts-, Währungs- und Handelspolitik einzuschlagen. Es wäre verhängnisvoll für uns alle in Europa, wenn wir diesen Versuchungen nachgeben würden. Ein Bruch der wirtschaftlichen Solidarität durch Handelsprotektionismus würde nicht nur die wirtschaftliche Krise verschärfen, sondern dies hätte auch erhebliche Folgen für die politische Solidarität in der westlichen Welt. Unser aller Bereitschaft, auch Opfer für diese Solidarität zu erbringen, das Risiko mit dem Partner zu teilen und es nicht auf ihn abzuwälzen, wird — dessen bin ich sicher — in den kommenden Monaten und Jahren auf eine harte Probe gestellt. Aber nur in Solidarität in der Europäischen Gemeinschaft und im Bündnis werden wir in der Lage sein, die augenblicklich schwere Wirtschaftskrise durchzustehen und aus ihr herauszufinden, den Frieden zu sichern, den Dialog mit dem Osten zu führen und unseren Beitrag zur westlichen Welt zu leisten.
In diesem Sinne haben wir in Kopenhagen einen fruchtbaren Gedankenaustausch gehabt. In diesem Sinne haben wir auch persönlich miteinander gesprochen. Ich habe in Kopenhagen vorgeschlagen, daß wir die Mittel des Sozialfonds und vielleicht andere Mittel am besten dafür einsetzen, Jugendliche in Ausbildung und Lehre und danach in Arbeit zu bringen. Dies könnte, wie ich finde, ein wichtiger Beitrag dafür sein, junge Bürger in Europa wieder an die europäische Idee heranzubringen.
Meine Damen und Herren, im Januar werden wir die Präsidentschaft in der Gemeinschaft übernehmen. Eine vorrangige Aufgabe unserer Präsidentschaft muß es sein, den freien Binnenmarkt zu erhalten. Wir haben damit viel zu tun. Weil jetzt soviel über Protektionismus gesprochen wird, meine ich, wäre es nützlich, wenn sich alle europäischen Länder, jeder für sich, einmal die eigenen Sündenlisten des Protektionismus vornehmen und dann mit dem Partner und mit dem anderen reden und dann auch gemeinsame Lösungen zu finden bereit sind.
— Ich hoffe, daß Sie wenigstens dafür eintreten. Das war bisher ein Punkt, wo wir noch einig sind.
Wir werden uns auch nachdrücklich dafür einsetzen — das wird ein weiterer wichtiger Punkt der Verhandlungen der nächsten Monate sein —, daß der Beitritt Spaniens und Portugals bald ermöglicht wird. Alle demokratischen Kräfte unseres Landes haben im letzten Jahrzehnt die demokratischen Kräfte bei der Wiedergewinnung demokratischer Freiheit in Portugal und in Spanien ermutigt, ihre Existenz mit der Öffnung auf dem Weg nach Europa zu verbinden. Wir sollten alles tun, damit unser Wort ein Wort bleibt, damit unsere Politik glaubwürdig bleibt. Und damit wir aufeinander zugehen. Dies gilt natürlich auch für die Spanier und für die Portugiesen.
Eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Präsidentschaft wird es sein, die Genscher-Colombo-Initiative, die Europäische Akte, zu verabschieden.
— Ich weiß nicht, was Sie daran erregt. Sie heißt nun einmal so, meine Damen und Herren. Sie ist zu Ihrer Regierungszeit entstanden, und es spricht für den Bundesaußenminister, daß eine vorzügliche Initiative mit seinem Namen verbunden ist.
Mit der Europäischen Akte wollen wir die bereits bestehenden beiden Pfeiler der europäischen Einigung, die Europäische Gemeinschaft und die Europäische Politische Zusammenarbeit, unter dem gemeinsamen Dach des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs zusammenführen. Wir
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wollen versuchen, neue Bereiche der Zusammenarbeit zu eröffnen: in der Kultur, in der Rechts-, in der Innenpolitik, in der Zusammenarbeit mit Blick auf die wirtschaftlichen und politischen Aspekte unserer Sicherheit. Das ist alles sehr wichtig, weil wir hier auf dem Weg zur Europäischen Solidarität vorankommen müssen.
Ein besonders wichtiger Punkt, ein besonders kritischer Punkt, wie man offen zugeben muß, ist die Stärkung des Europäischen Parlaments und die Verbesserung des Entscheidungsverfahrens in der Gemeinschaft. Ich finde, wir sollten hier nicht kleinmütig sein. Auch die 50er Jahre, als die Gemeinschaft entstand, waren keine Schönwetterperiode. Wir haben seither — wenn man ehrlich ist und nicht zuviel erwartet — wichtige Fortschritte im europäischen solidarischen Handeln gemacht. Darauf können wir auch für die Zukunft aufbauen.
In diesem Jahrzehnt — dies ist meine feste Überzeugung — müssen wir den entscheidenden Schritt auf dem Wege zur politischen Einigung Europas vorankommen. Dies ist die historische Aufgabe unserer Generation.
Meine Damen und Herren, im Sommer 1984, in knapp eineinhalb Jahren, ist die nächste Wahl zum Europäischen Parlament. Wir alle, ob Freie Demokraten, Christliche Demokraten, Christlich-Soziale oder Sozialdemokraten, werden dann vor die Wähler hintreten. Und wir werden konkret befragt werden, was wir für die politische Einigung und für den Fortschritt in Europa getan haben. Ich finde, das wäre ein solches Feld, in dem es ungeachtet der parteipolitischen Auseinandersetzung möglich sein müßte, gemeinsam aus den demokratischen Gruppen der Bundesrepublik eine neue Initiative, einen neuen Anstoß für Europa zu geben.
Europa wie unser Land steht in einer Bewährungsprobe. Die Koalititon der Mitte aus CDU/CSU und FDP hat sich nicht gescheut, in dieser schwierigen Zeit die politische Verantwortung zu übernehmen. Wir haben in wenigen Wochen wichtige Entscheidungen getroffen. Es sind allererste Schritte, allererste Schritte in die richtige Richtung: um den Haushalt in Ordnung zu bringen und wieder auf ein solides Fundament zu stellen, um Arbeit zu schaffen und einen neuen Wirtschaftsaufschwung einzuleiten, um den Frieden in Freiheit zu sichern, um die politische Voraussetzung für eine menschliche Gesellschaft zu schaffen.
Ich weiß, es ist ein schwieriger Weg, der vor uns liegt. Es gibt keinen einfachen Weg der Versprechungen aus der Krise. Aber ich bin sicher, wir sind auf dem richtigen Weg, und wir werden ihn entschlossen und konsequent zum Wohle unseres Volkes fortsetzen.