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ID0913005500

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    Plenarprotokoll 9/130 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 130. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. November 1982 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pieter Dankert, und einer Delegation 8005 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Außenpolitik, zum Ergebnis der USA-Reise, zur Zukunft des Atlantischen Bündnisses und zu Europafragen in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Aufgaben, Probleme und Perspektiven des Atlantischen Bündnisses — Drucksachen 9/1532, 9/1739 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union — Drucksache 9/951 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mertes (Gerolstein), Graf Huyn, Dr. Czaja, Köster, Dr. Stercken, Dr. Hupka, Dr. Todenhöfer, Graf Stauffenberg, von der Heydt Freiherr von Massenbach und der Fraktion der CDU/CSU Einführung eines Europapasses — Drucksache 9/1473 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Politik der Europäischen Gemeinschaft — Drucksache 9/1741 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Die Regionen Europas Erster Periodischer Bericht über die soziale und wirtschaftliche Lage in den Regionen der Gemeinschaft — Drucksachen 9/158 Nr. 1, 9/1040 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schaffung von Arbeitsplätzen: Prioritäten für eine Aktion der Gemeinschaft — Drucksachen 9/1211, 9/1993 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 8006 B Wischnewski SPD 8014 C Rühe CDU/CSU 8026 A II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. November 1982 Genscher, Bundesminister AA 8032 B Dr. Barzel, Bundesminister BMB . . . 8040 C Brandt SPD 8042 B Klein (München) CDU/CSU 8046 D Schäfer (Mainz) FDP 8051 D Voigt (Frankfurt) SPD 8055 D Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 8061A Dr. Vohrer FDP 8065 A Haase (Fürth) SPD 8069 B Hansen fraktionslos 8071 D Dr. Althammer CDU/CSU 8073 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 8076 B Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 8079 C Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 8080 C Borchert CDU/CSU 8083 D Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 8085 B Reddemann CDU/CSU 8087 A Dr. Linde SPD 8088 B Louven CDU/CSU 8090 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hoffmann (Soltau), Klein (München), Dr. Althammer, Dr. Czaja, Schwarz, Köster, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Stercken, Dr. Lenz (Bergstraße), Graf Huyn, Dr. Marx, Sauer (Salzgitter) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Dr. Vohrer, Dr. Wendig, Ronneburger, Frau Dr. Hamm-Brücher, Popp, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP Freilassung des polnischen Bürgerrechtlers Jozef Lipski und anderer politischer Häftlinge — Drucksache 9/2103 — Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 8092 A Polkehn SPD 8092 C Nächste Sitzung 8093 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8095* A Anlage 2 Förderung mikroelektronischer Produkte, insbesondere des Mobiltelefons für jedermann MdlAnfr 58, 59 19.11.82 Drs 09/2111 Dr. Steger SPD SchrAntw BMin Dr. Riesenhuber BMFT 8095* B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. November 1982 8005 130. Sitzung Bonn, den 25. November 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 26. 11. Dr. Ahrens 26. 11. Bahner 26. 11. Beckmann 26. 11. Dr. Böhme (Freiburg) 26. 11. Dr. Dübber 26. 11. Eymer (Lübeck) 26. 11. Gansel 26. 11. Haar 26. 11. Haase (Fürth) 26. 11. Höffkes 26. 11. Dr. Hornhues 26. 11. Jansen 26. 11. Junghans 26. 11. Dr. Mikat 25. 11. Müller (Bayreuth) 26. 11. Nagel 26. 11. Poß 26. 11. Frau Roitzsch 26. 11. Rosenthal 26. 11. Schartz (Trier) 25. 11. Schmidt (Wattenscheid) 25. 11. Schmöle 25. 11. Dr. Wieczorek 26. 11. Anlage 2 Antwort des Bundesministers Dr. Riesenhuber auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Steger (SPD) (Drucksache 9/2111 Fragen 58 und 59): Anlagen zum Stenographischen Bericht Wie beurteilt die Bundesregierung die technologischen und ökonomischen Chancen des „Mobiltelefons für jedermann", und inwieweit wurde dieses Projekt bisher gefördert, bzw. welche Förderung ist künftig beabsichtigt? Welche Produkte wie das „Mobiltelefon für jedermann" fördert die Bundesregierung ebenfalls wegen der innovativen Bedeutung des hohen Anteils an mikroelektronischen Produkten? Zu Frage 58: Mobilfunksysteme für große Teilnehmerzahlen setzen sogenannte Kleinzellensysteme voraus, die bevorzugt im Frequenzbereich um 900 MHz arbeiten werden. Heutige Kleinzellennetze verwenden eine analoge Sprachenübertragung auf dem Funkweg. Die Forschungsanstrengungen konzentrieren sich auf Systeme mit digitaler Sprachübertragung, die gegenüber den analogen Systemen Vorteile versprechen. Das BMFT fördert Arbeiten zu digitalen Kleinzellennetzen seit Anfang 1979 im Rahmen des Programms „Technische Kommunikation", einem gemeinsamen Programm von BMFT und BMP. Die im Rahmen dieser Projekte erreichten technischen Fortschritte und die künftigen Marktchancen werden günstig bewertet. Zu Frage 59: Um die breite Anwendung der Mikroelektronik zu beschleunigen, wird mit dem zeitlich befristeten Sonderprogramm (1982-1984) die Entwicklung von Produkten, in denen die Mikroelektronik funktionsbestimmend ist, unterstützt. Rund die Hälfte der mehr als 2 500 Anträge sind Produktinnovationen in der Meß- und Regeltechnik (insbesondere für den Maschinenbau, für Energieeinsparung und Umweltschutz), etwa 25 % zielen auf den Markt für Büro und Kommunikation und jeweils ca. 5 % der Anträge sind auf Anwendungen im Kfz-Sektor, auf Haushaltsgeräte und auf Geräte für medizinische Anwendungen gerichtet.
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    Rede von Helmut Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Klein, ich gratuliere Ihnen als Kollege zu Ihrer großen außenpolitischen Jungfernrede. Bisher war es ja vorwiegend auswärtige Kulturpolitik.
    Ich habe nicht gezählt, wie häufig Sie das Wort Kontinuität gebraucht haben. Es fällt mir nun schwer, es noch zu wiederholen. Ich bin zwar völlig Ihrer Meinung, aber wir geraten jetzt ein bißchen in Schwierigkeit, mit diesem Wort zu häufig umzugehen.
    Es ist ja nun schon mancher vom Saulus zum Paulus geworden. Ich habe mir — das sage ich hier ganz ernst und ganz offen — beim Wechsel dieser Regierung in Bonn auch Gedanken darüber gemacht, ob es tatsächlich so etwas wie eine Kontinuität der Außenpolitik in einigen Feldern geben wird. Ich bekenne das hier ganz offen, denn ich habe ja nun in langjährigen Erfahrungen im Auswärtigen Ausschuß — weniger mit Herrn Klein, aber doch mit einigen Kollegen von ihm — und auch sonstwo den Eindruck gehabt, daß es schon ganz beträchtliche Unterschiede in der Beurteilung der außenpolitischen Lage gab, vor allem im Bereich der Ost- und Entspannungspolitik, aber auch in der Nord-SüdPolitik. Ich bin sehr froh, daß der Herr Bundeskanzler und auch der Herr Außenminister heute in ihren Erklärungen deutlich gemacht haben — und dadurch sind zumindest meine Befürchtungen, meine Zweifel doch erheblich geringer geworden —, daß es — und hier muß ich das Wort Kontinuität nun doch gebrauchen — bei dieser Kontinuität bleibt. Ich bin sehr froh, wenn es bei dieser Kontinuität



    Schäfer (Mainz)

    bleibt und werde alles dazu tun, um dies gerade auch in den von mir genannten Feldern zu fördern.
    Meine Damen und Herren, es gibt sicher keinen Zweifel darüber, daß sowohl die Koalitionsvereinbarungen als auch die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers heute vormittag wie auch die ersten Treffen mit Bündnispartnern im Westen, über die der Herr Bundeskanzler berichtet hat, aber auch das Zusammentreffen des Herrn Bundespräsidenten mit dem Nachfolger des verstorbenen sowjetischen Generalsekretärs in Moskau und mit weiteren Regierungsvertretern in der sowjetischen Hauptstadt deutlich gemacht haben, daß die deutsche Außenpolitik weiterhin aktiv bleibt und von ihrem guten Haben-Stand lebt.
    Ich meine, daß das, was Herr Kollege Wischnewski heute morgen hier gesagt hat, nicht so ganz begründet werden konnte, daß er nämlich befürchtet, daß nach dem 6. März sich diese Politik nun doch durch eine Diskontinuität verändern würde. Den Beweis ist er eigentlich nicht angetreten. Ich muß allerdings eine Einschränkung machen, und die werden Sie mir bitte verzeihen. Herr Wischnewski hat keine sehr freundlichen Ausführungen zu dem Vorsitzenden meiner Partei, dem Bundesaußenminister, heute morgen hier gemacht. Ich habe dafür Verständnis.

    (Zuruf des Abg. Rühe [CDU/CSU])

    — Na ja, Verständnis aus den Kreisen der SPD, daß man nun sehr böse ist, darf ich j a nun wohl hier noch äußern. Sie werden es gleich hören; ich komme noch dazu.

    (Rühe [CDU/CSU]: Das war doch unter Niveau von Wischnewski!)

    — Herr Rühe, ich habe das alles in meinem Papier vorgesehen. Lassen Sie mich doch mal weiterreden.
    Ich meine aber, Herr Kollege Wischnewski, daß ein ganz entscheidender Punkt im Wahlkampf zu diesen Wahlen am 6. März doch der sein wird, ob es gelingen wird, die FDP trotz Ihrer begreiflichen Verärgerung noch in diesem Deutschen Bundestag zu haben. Genauer gesagt, wer diese Partei hier nicht mehr wünscht, sondern möglicherweise eine absolute Mehrheit der CDU/CSU will — oder aber auch die Grünen an unserer Stelle —, für den ist, das muß ich allerdings sagen, die Kontinuität dieser deutschen Außenpolitik nicht gewährleistet. Ich meine, das sollten alle draußen sehen, sosehr man auch vielleicht gelegentlich den Stab über der FDP gebrochen hat.
    Und wenn Herr Kollege Wischnewski Herrn Kohl heute morgen aufgefordert hat, das böse Wort vom Zwielicht, das in die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten gekommen sei, zurückzunehmen, dann darf ich in diesem Zusammenhang sagen, ich fand sein Wort zu Herrn Genscher mindestens ebenso böse; denn, wie man auch politisch zu Herrn Genscher stehen und ihn beurteilen mag, an einem gab es auch für seine Kritiker in der FDP keinen Zweifel: daß er seine
    Außenpolitik fortsetzt und daß es für die Bundesrepublik Deutschland schädlich ist, wenn man heute hier feststellt, daß Herr Genscher, da er angeblich das Vertrauen in Deutschland verloren habe, nunmehr nun auch kein Vertrauen mehr draußen in der Welt habe. Ich halte diese Behauptung für mindestens so böse und wäre froh, wenn Herr Wischnewski das zurücknehmen würde.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Was nun das deutsch-amerikanische Verhältnis betrifft — —

    (Zuruf von der SPD: Das gilt uneingeschränkt!)

    — Ich habe ja Verständnis für Sie. Aber wir dürfen uns ja nicht dauernd weiter ärgern. Es bringt, glaube ich, nicht allzuviel für den Fortgang unserer Außenpolitik. Nur darauf habe ich mich bezogen. Ich muß das sehr deutlich sagen.
    Die gelegentlichen Trübungen unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten sind sicher auf die Kontroversen zurückzuführen gewesen, die notwendigerweise von Zeit zu Zeit auch mit unserem amerikanischen Bundesgenossen aufgetreten sind und, wie ich meine, auch in Zukunft zwangsläufig auftreten werden. Es ist einfach Unsinn, zu glauben, daß bei wirtschaftlichen Fragen immer und von vornherein zwischen den USA und uns Übereinstimmung bestehen würde. Es ist also keinesfalls auszuschließen, daß es auch in Zukunft an dieser so wichtigen Stelle gelegentliche Dissense geben muß. Ich meine, hier ist es gut, wenn die Bundesregierung, wenn die Bundesrepublik Deutschland, wenn die Europäer ihre Interessen wahrnehmen und auch diese Kontroversen nicht fürchten. Ich halte es für falsch, wenn man hier hysterisch reagiert, daß es gelegentlich in Amerika Kritik an uns oder hier Kritik an den Vereinigten Staaten gibt. Das ist wohl unter Freunden gar nicht zu vermeiden. Es kommt natürlich darauf an, in welcher Form diese Kritik geübt wird.

    (Zuruf von der SPD)

    Wir haben auch heute noch einen Dissens, und ich sage das ganz klar, auch in meiner Beurteilung der Vereinigten Staaten, zu bestimmten Kreisen um den Präsidenten, insbesondere am rechten Flügel der Republikanischen Partei. Hier gibt es einfach eine Weltsicht, die wir nie geteilt haben. Ich glaube auch nicht, daß die CDU/CSU sich in der Nachbarschaft dieser Politiker befindet, die immer wieder alle Probleme, die in der Welt auftauchen, sehr schnell mit dem Einfluß des Kommunismus verwechseln — das gilt insbesondere auch für die lateinamerikanische Hemisphäre —, die die Entspannungspolitik niemals gewollt haben. Hier wurde ja einer dieser Herren zitiert, der gesagt hat: Die Entspannung ist tot. Nach unserer Auffassung war sie und ist sie nicht tot. Im Schlußkommuniqué des Gespräches, das der Bundeskanzler mit dem amerikanischen Präsidenten geführt hat, ist ganz klar geworden, daß auch der amerikanische Präsident unserer Auffassung zuneigt, daß natürlich die



    Schäfer (Mainz)

    Entspannungspolitik, daß die Ostpolitik fortgesetzt wird.
    Es gibt auch Dissense zu Fragen der Entwicklungspolitik. Hier meine ich, wir können natürlich als Bundesrepublik, als Bundesregierung doch nicht alle vier Jahre bei dem Wechsel des amerikanischen Präsidenten und seiner engsten Berater wieder eine neue Politik vollziehen, d. h. sozusagen nahtlos den Amerikanern folgen. Sondern hier müssen wir natürlich eine bewährte Politik fortsetzen, auch wenn eine neue Administration zu anderen Ergebnissen kommt. Ich glaube, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Es gibt einen Dissens zu den Richtlinien, die die Reagan-Administration zu ihrer Entwicklungspolitik herausgegeben hat, wo sie ja militärische Sicherheit in den Vordergrund stellt, was nicht unsere Vorstellung von Entwicklungspolitik ist. Aber solche Kontroversen sind doch nicht tödlich für ein Bündnis. Sie sind auch nicht gefährlich. Ich halte sie für notwendig. Wir sollten sie nicht scheuen, wenn sie notwendig werden. Es geht eben nur darum, daß wir den rechten Ton finden, sie auszutragen. An dem grundlegenden Konsens mit den Vereinigten Staaten und an unserer Partnerschaft hat doch in diesem Hause niemand gezweifelt. Das ist ja für uns lebensnotwendig. Hier braucht das Wort „Kontinuität" nicht bemüht zu werden. Ich würde hier sagen, das ist Selbstverständlichkeit.
    Ich bin dem Bundeskanzler auch dankbar, daß er heute in seiner Regierungserklärung ein deutliches Wort zu dem zunächst uns etwas erschreckenden Ergebnis gesagt hat, das angeblich mit den Vereinigten Staaten über Maßnahmen zur Erreichung eines breiteren Konsenses in der Ost-West-Handelspolitik erzielt worden sei, daß also ein Abkommen bereits getroffen worden sei. Es hat sich herausgestellt — der Bundesaußenminister hat es heute deutlich bestätigt —, daß wir hier erst auf dem Wege sind. Ich gehe davon aus, Herr Vorsitzender Marx, daß wir das im Auswärtigen Ausschuß auch vorher noch einmal diskutieren dürfen, bevor es dann endgültig verabschiedet wird.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Wenn wir die Zeit dazu hätten!)

    Denn das Parlament soll ja ein bißchen kritisch die Regierung mit verfolgen, und wir dürfen auch vielleicht den einen oder anderen Rat geben.
    Ich glaube, daß es gefährlich wäre, wenn jetzt von den beiden großen Parteien in diesem Bundestag gegenseitig Zweifel gesät würden, von der einen Seite zur anderen, daß sie nur einen Teil des NATO-Doppelbeschlusses gerne verwirklichen wollte. Das ist heute morgen schon zum Ausdruck gekommen. Ich halte davon nichts. Es war letzten Endes Bundeskanzler Schmidt, der sich für diesen NATO-Doppelbeschluß entschieden eingesetzt und ihn mit der deutschen Bundesregierung, mit der sozialliberalen Koalition herbeigeführt hat. Es ist Unsinn, wenn man jetzt so tut, als wolle die SPD nur die Verhandlungslösung, aber nicht über die Nachrüstung nachdenken, und umgekehrt sie der CDU vorwirft, sie
    sei überhaupt nur an der Nachrüstung interessiert. Das führt uns hier nicht weiter.

    (Rühe [CDU/CSU]: Es stimmt auch nicht!)

    Es schadet auch den Verhandlungen. Und es stimmt natürlich auch nicht. Herr Rühe, wir sind völlig einig. Aber genauso empfehle ich, nicht umgekehrt der anderen Seite zu unterstellen, hier sei man überhaupt nicht interessiert und hier werde man dem zweiten Teil des Nachrüstungsbeschlusses nicht folgen.

    (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    Wenn Sie meinen, daß einzelne SPD-Abgeordnete das möglicherweise lieber anders sähen — Herr Lenz, wenn Sie mich das fragen wollten: ich habe es erfaßt —, dann gebe ich Ihnen das zu. Aber noch gelten für mich

    (Zuruf des Abg. Lambinus [SPD])

    — das habe ich ja gerade gesagt — eigentlich die Parteitagsbeschlüsse und -programme, auch die Außerungen der Parteiführungen. Und hier ist, meine ich, auch die SPD immer noch in der Kontinuität ihrer früheren Politik. Auch das muß man hier vielleicht einmal deutlich sagen.
    Ich halte es für sehr richtig und sehr wichtig, daß der Bundeskanzler den amerikanischen Präsidenten gedrängt hat, sich zu dem seit langem vorgesehenen Gipfelgespräch mit dem sowjetischen Generalsekretär bereitzufinden. Ich meine nämlich, auch mit Kollegen des Auswärtigen Ausschusses, daß es zwar schön ist, sehr viele Rüstungskontrollverhandlungen und Abrüstungsverhandlungen zu haben und neue Konferenzen zu fordern, daß es aber ein bißchen lang bei einigen dieser Konferenzen zugegangen ist. Vielleicht bedarf es doch eines Pushes von oben, damit nun endlich Ergebnisse etwas schneller herbeigeführt werden können. Gerade bei MBFR in Wien ist es nach neun Jahren an der Zeit, daß sich Lösungen abzeichnen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Es müssen die richtigen Zahlen auf den Tisch!)

    Vielleicht bedarf es hier natürlich einer Initiative auf höchster Ebene. Die könnte nur hilfreich sein.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Es müssen die richtigen Zahlen auf den Tisch!)

    — Herr Kollege Marx, selbstverständlich geht es um die richtigen Zahlen. Aber was die Zahlen betrifft, so gerate auch ich gelegentlich in Verwirrung. Denn die ändern sich von Tag zu Tag. General Rogers hat nun erklärt, in allen Bereichen seien, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Sowjets im Verhältnis 2:1 überlegen. Es wird mir sehr schwerfallen, das so nachzuvollziehen, da es ja eine Fülle anderer Zahlen gibt. Die Zahlenarithmetik wird sicher nicht weiterführen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Allein nicht! Das ist gewiß! Aber es ist die Grundlage für eine Vereinbarung!)




    Schäfer (Mainz)

    — Wir sind uns einig. Ich wollte das nur noch einmal herausstellen.
    Ich glaube auch, daß beide Seiten — sowohl die Sowjetunion als auch die Vereinigten Staaten von Amerika — gewissen Begehrlichkeiten ihrer Militärs nach immer neuen Waffen und immer neuen Technologien im Waffenbereich widerstehen müssen. Ich glaube nicht daran — und hier treffe ich mich j a mit manchem Kritiker dieser Entwicklung —, daß Rüstung allein schon den Frieden garantiert. Ich glaube auch daran, daß in der amerikanischen Innenpolitik die von Herrn Wischnewski zu Recht zitierte Freeze-Bewegung und auch der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe deutlich machen, daß solche Vorstellungen auf Dauer innenpolitisch kaum mehr durchzuhalten sein werden. Und ich glaube, in der Sowjetunion werden sie wirtschaftspolitisch nicht mehr durchzuhalten sein.
    Ich begrüße es, daß der neue Generalsekretär in einer aufsehenerregenden Rede vor dem ZK vor zwei Tagen, die Carl Gustaf Ströhm in der „Welt" interessanterweise gestern als „beinahe revolutionär" bezeichnet hat, die Formulierung verwendet hat, „die KPdSU wolle nicht, ,daß Waffen und die Bereitschaft, sie einzusetzen, zum Maßstab des Potentials von Gesellschaftsordnungen werden`". Das ist ein recht interessanter und vom Auswärtigen Amt nachzuprüfender Satz. Ich hoffe nur, daß sich das in praktischen Taten niederschlagen wird. Das gilt für Wien, für Genf, aber auch für Madrid. Wir jedenfalls sind daran interessiert. Es darf keinen Zweifel an unserer Ernsthaftigkeit und der amerikanischen Ernsthaftigkeit geben, die Verhandlungen zu einem sinnvollen und guten Ende zu bringen.
    Ich kann in diesem Zusammenhang auch sagen, daß die Sorge von Herrn Wischnewski nicht berechtigt ist, daß der Dialog mit dem Osten nicht fortgesetzt würde. Er hat schon begonnen. Es war ziemlich aufsehenerregend, daß der Bundespräsident und der Bundesaußenminister in Moskau immerhin eine Stunde vom neuen sowjetischen Generalsekretär empfangen worden sind und daß der Bundespräsident auch mit dem Staatschef der DDR, Herrn Honecker, zusammengetroffen ist. All dies halte ich für eine Fortsetzung des Dialogs. Ich bin froh, daß mein Kollege Voigt vor kurzem bemüht war und ich an diesem Wochenende in Moskau bemüht sein werde, mit dem bescheidenen Anteil als Parlamentarier den Dialog fortzusetzen und daß wir im nächsten Jahre damit rechnen können, daß zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder ein Austausch von Parlamentarierdelegationen stattfinden wird, nämlich der deutsch-sowjetischen Parlamentariergruppe und umgekehrt der Parlamentariergruppe des Obersten Sowjets. All das wird dazu beitragen, die Mißverständnisse ein bißchen zu verringern und auch deutlich zu machen, daß wir den Willen haben, weiterzukommen.
    Ich glaube, daß ein Feld der Außenpolitik noch vor Bewährungsproben, auch was die neue Regierung angeht, steht. Das ist die Nord-Süd-Politik. Hier muß manches noch präziser werden. Hier dürfen wir sicher auch nicht in die Vorstellung zurückfallen, wir sollten den Vereinigten Staaten das Feld überlassen, weil eigentlich nur sie eine Weltmacht seien, wir uns auch als kleine Mittelmacht oder mittlere Kleinmacht bei der Lösung bestimmter Probleme vielleicht doch besser nicht beteiligen sollten. Ich halte das für falsch. Wir haben hier — ob in Afrika, Asien oder Lateinamerika — ein Kapital gewonnen, das wir nicht aufgeben werden, nicht aufgeben dürfen. Es gibt für mich auch keine Vorhöfe. Das gilt sowohl für Afghanistan als auch für Zentralamerika. Ich meine, man sollte nicht bestimmte Dinge in Zentralamerika rechtfertigen wollen und gleichzeitig den Sowjets Vorwürfe im Hinblick auf Afghanistan machen. Das geht nicht. Entspannung ist unteilbar. Aber auch die Menschenrechte sind unteilbar.
    Das gilt auch für den Nahen Osten. Ich bin sehr dankbar, daß wir unseren israelischen Freunden deutlich gemacht haben — der Bundesaußenminister hat es heute morgen noch einmal deutlich gemacht —, daß es auch an der Strategie von Venedig nichts zu ändern gibt. Das gute deutsch-israelische Verhältnis enthebt uns nicht der Notwendigkeit, eine bestimmte Politik gegenüber einer Regierung zu betreiben, die sich nicht immer nur an Moral hält, sondern gelegentlich auch handfeste Machtpolitik betreibt. Wer also die Invasion in Afghanistan verurteilt, wird sicher nicht die Invasion im Libanon rechtfertigen wollen. Wer Opfer in Afghanistan beklagt, wird sicherlich nicht umhinkönnen, auch die Massaker in Beirut hier nicht totzuschweigen. Hier sind moralische Abgründe deutlich geworden, zu denen wir nicht schweigen dürfen, nur weil wir ein gutes Verhältnis zu den Juden und zum Staat Israel haben. Es geht hier auch um die Handlungen einer Regierung, einer Armee. Es geht auch um die Uneinsichtigkeit bestimmter israelischer Politiker, die bis zur Stunde z. B. nicht bereit sind, sich mit den Vorschlägen des amerikanischen Präsidenten zu beschäftigen. All das wird sicher Thema der Besprechungen mit dem israelischen Außenminister sein, der die Bundesrepublik in Kürze j a auch besuchen wird. Ich meine, wir sollten uns hier vor einer falschen Sentimentalität hüten. Auch im Nahen Osten geht es um die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik. Das habe ich hier wiederholt gesagt, und ich wiederhole es heute.
    Das gilt auch für das südliche Afrika. Wer uns gebeten hat, an der Lösung des Namibia-Konflikts mitzuwirken — die Bundesrepublik hat dabei eine große Verantwortung mit übernommen, und sie hat sie für meine Begriffe unter dem Engagement des Bundesaußenministers der Welt auch hervorragend zur Kenntnis gebracht —, muß heute auch sehen, daß wir nicht wiederum neue Forderungen der Südafrikaner zur Grundlage für einen Fortschritt in den Fragen annehmen. Ich muß hier ganz deutlich sagen: Wer will, daß die Kubaner aus Angola verschwinden — ich glaube, das wollen wir alle —, darf nicht eine südafrikanische Intervention in Angola totschweigen wollen oder billigen wollen. Sonst wird er die Kubaner dort noch sehr lange sitzen haben. Er sollte vielmehr genau diesen Ländern helfen, aus der Umklammerung herauszukommen, in die sie nicht ohne Schuld des Westens hineinge-



    Schäfer (Mainz)

    kommen sind. Das gilt auch für Mosambik. Ich hoffe sehr, daß wir in Gesprächen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ganz deutlich machen, daß sich unsere Politik hier auf keinen Fall verändern wird,

    (Beifall der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

    daß wir auch den Ländern helfen wollen, deren Gesellschaftsordnung nicht so ist, wie es uns im Augenblick gerade gefällt. Wir müssen also darauf drängen, daß diese Länder frei werden, aber nicht mit den falschen Mitteln, die einigen hier vielleicht als die richtigen erscheinen.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich kann nur hoffen, daß das, was Herr Klein mit dem Wort „Kontinuität" so häufig beschworen hat, nicht nur ein verbales Bekenntnis bleibt. Ich bin der Auffassung, nach dem, was wir heute vom Kanzler und vom Außenminister gehört haben, gibt es das wirklich, wird das in praktische Politik umgesetzt. Sosehr die Opposition das Wächteramt in dieser Frage behalten muß, so sehr wird die FDP mit dem alten und neuen Außenminister dafür zu sorgen haben, daß in dieser Hinsicht kein Jota an der bisherigen erfolgreichen Politik der sozialliberalen Koalition verändert wird. — Vielen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Voigt (Frankfurt).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karsten D. Voigt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zumindest bei der Rede von Herrn Schäfer habe ich, obwohl wir uns jetzt in anderen Funktionen gegenüberstehen, an mehreren Stellen noch klatschen können.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Für einen Altjuso ist das allerhand!)

    Das erleichtert es wenigstens, auch angesichts verschiedener Rollen, die wir haben, ein gewisses Maß an Kontinuität der persönlichen und politischen Beziehungen in dieser Frage zwischen uns beizubehalten. Das möchte ich ausdrücklich begrüßen und am Anfang hervorheben.

    (Dolata [CDU/CSU]: Das hätten Sie beim Bundeskanzler auch tun können!)

    — Keine Sorge, ich fahre in diesem konstruktiven Geist fort. — Es geht hier bei unserer Auseinandersetzung nicht um gut oder böse, nicht um schwarz oder weiß. Vielmehr geht es um kurzfristig unterschiedliche Akzente und um längerfristig möglicherweise gegenläufige Trends in der Außen-, Sicherheits-, Abrüstungs- und auch in der Entwicklungspolitik. Deshalb ist die Klärung dieser Trends und der damit verbundenen Absichten und möglicherweise auch Risiken Aufgabe dieser Debatte.
    Nun ging es dabei zentral um den Begriff der Kontinuität. Wir haben uns Kontinuität wechselseitig versprochen und sie gleichzeitig wechselseitig bezweifelt. Trotzdem meine ich, daß die Debatte bereits eine gewisse Klärung gebracht hat. Denn
    wenn ich die Redner der CDU und CSU richtig verstehe — bei Herrn Klein war es deutlicher als bei Herrn Rühe, aber es war bei beiden ausgeprägt —, dann ist Ihre Kontinuität vor allen Dingen ein Rückgriff auf die Außenpolitik der 50er Jahre.

    (Rühe [CDU/CSU]: Die gemeinsame Erklärung stammt von 1972! Das sind die 70er Jahre!)

    — Es ist vor allen Dingen, Herr Rühe, ein Rückgriff auf die 50er Jahre. Sie haben ja auch ausdrücklich gesagt, Herr Rühe, daß Kontinuität nicht heiße, die vorgefundene Politik einfach fortzusetzen, sondern daß es — im Gegenteil — zur Kontinuität immer wieder der Kurskorrektur bedürfe. Wenn Sie das sagen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wir diesen Rückgriff auf die Kontinuität der 50er Jahre, verbunden mit der Ankündigung einer Kurskorrektur, als ersten Schritt eines Rückfalls in die 50er Jahre verstehen und damit auch unsere Befürchtung verbinden, daß daraus schrittweise — nicht vor dem 6. März, aber nach dem 6. März — das Risiko entsteht, daß wieder eine Politik eingeleitet und neu begonnen wird, die dann doch auch zu dem, in den 50er Jahren herrschenden Kalten Krieg führen könnte.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Ziemlicher Stuß, was Sie da reden!)

    Die Kontinuität, die Herr Schäfer hier vorgetragen hat, ist eine andere. Er versucht, wenn ich es einmal so sagen darf, die Brücke zwischen beiden Positionen zu schlagen. Das ist eben die schwierige Aufgabe, die er hat: daß er versucht, die Kontinuität zwischen der aktiven sozialliberalen Friedens-, Abrüstungs-, und Entspannungspolitik und der Politik der 50er Jahre herzustellen, in denen die FDP j a auch mit an der Regierung beteiligt war.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Das waren bessere Jahre als die jetzt!)

    Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß er damit in gewisse Widersprüche zu dem, was von der CDU/ CSU hier vorgetragen wird, und auch in Widersprüche zu dem gerät, was von der CDU/CSU in der Sache schrittweise durchgesetzt wird.