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ID0913003900

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    Vokabeln: 8
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    6. Bundesminister: 1
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    8. Auswärtigen.: 1
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    Plenarprotokoll 9/130 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 130. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. November 1982 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pieter Dankert, und einer Delegation 8005 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Außenpolitik, zum Ergebnis der USA-Reise, zur Zukunft des Atlantischen Bündnisses und zu Europafragen in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Aufgaben, Probleme und Perspektiven des Atlantischen Bündnisses — Drucksachen 9/1532, 9/1739 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union — Drucksache 9/951 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Mertes (Gerolstein), Graf Huyn, Dr. Czaja, Köster, Dr. Stercken, Dr. Hupka, Dr. Todenhöfer, Graf Stauffenberg, von der Heydt Freiherr von Massenbach und der Fraktion der CDU/CSU Einführung eines Europapasses — Drucksache 9/1473 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Politik der Europäischen Gemeinschaft — Drucksache 9/1741 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Die Regionen Europas Erster Periodischer Bericht über die soziale und wirtschaftliche Lage in den Regionen der Gemeinschaft — Drucksachen 9/158 Nr. 1, 9/1040 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schaffung von Arbeitsplätzen: Prioritäten für eine Aktion der Gemeinschaft — Drucksachen 9/1211, 9/1993 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 8006 B Wischnewski SPD 8014 C Rühe CDU/CSU 8026 A II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. November 1982 Genscher, Bundesminister AA 8032 B Dr. Barzel, Bundesminister BMB . . . 8040 C Brandt SPD 8042 B Klein (München) CDU/CSU 8046 D Schäfer (Mainz) FDP 8051 D Voigt (Frankfurt) SPD 8055 D Dr. Lenz (Bergstraße) CDU/CSU . . . 8061A Dr. Vohrer FDP 8065 A Haase (Fürth) SPD 8069 B Hansen fraktionslos 8071 D Dr. Althammer CDU/CSU 8073 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 8076 B Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 8079 C Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 8080 C Borchert CDU/CSU 8083 D Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 8085 B Reddemann CDU/CSU 8087 A Dr. Linde SPD 8088 B Louven CDU/CSU 8090 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hoffmann (Soltau), Klein (München), Dr. Althammer, Dr. Czaja, Schwarz, Köster, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Stercken, Dr. Lenz (Bergstraße), Graf Huyn, Dr. Marx, Sauer (Salzgitter) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Dr. Vohrer, Dr. Wendig, Ronneburger, Frau Dr. Hamm-Brücher, Popp, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP Freilassung des polnischen Bürgerrechtlers Jozef Lipski und anderer politischer Häftlinge — Drucksache 9/2103 — Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 8092 A Polkehn SPD 8092 C Nächste Sitzung 8093 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8095* A Anlage 2 Förderung mikroelektronischer Produkte, insbesondere des Mobiltelefons für jedermann MdlAnfr 58, 59 19.11.82 Drs 09/2111 Dr. Steger SPD SchrAntw BMin Dr. Riesenhuber BMFT 8095* B Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. November 1982 8005 130. Sitzung Bonn, den 25. November 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 26. 11. Dr. Ahrens 26. 11. Bahner 26. 11. Beckmann 26. 11. Dr. Böhme (Freiburg) 26. 11. Dr. Dübber 26. 11. Eymer (Lübeck) 26. 11. Gansel 26. 11. Haar 26. 11. Haase (Fürth) 26. 11. Höffkes 26. 11. Dr. Hornhues 26. 11. Jansen 26. 11. Junghans 26. 11. Dr. Mikat 25. 11. Müller (Bayreuth) 26. 11. Nagel 26. 11. Poß 26. 11. Frau Roitzsch 26. 11. Rosenthal 26. 11. Schartz (Trier) 25. 11. Schmidt (Wattenscheid) 25. 11. Schmöle 25. 11. Dr. Wieczorek 26. 11. Anlage 2 Antwort des Bundesministers Dr. Riesenhuber auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Steger (SPD) (Drucksache 9/2111 Fragen 58 und 59): Anlagen zum Stenographischen Bericht Wie beurteilt die Bundesregierung die technologischen und ökonomischen Chancen des „Mobiltelefons für jedermann", und inwieweit wurde dieses Projekt bisher gefördert, bzw. welche Förderung ist künftig beabsichtigt? Welche Produkte wie das „Mobiltelefon für jedermann" fördert die Bundesregierung ebenfalls wegen der innovativen Bedeutung des hohen Anteils an mikroelektronischen Produkten? Zu Frage 58: Mobilfunksysteme für große Teilnehmerzahlen setzen sogenannte Kleinzellensysteme voraus, die bevorzugt im Frequenzbereich um 900 MHz arbeiten werden. Heutige Kleinzellennetze verwenden eine analoge Sprachenübertragung auf dem Funkweg. Die Forschungsanstrengungen konzentrieren sich auf Systeme mit digitaler Sprachübertragung, die gegenüber den analogen Systemen Vorteile versprechen. Das BMFT fördert Arbeiten zu digitalen Kleinzellennetzen seit Anfang 1979 im Rahmen des Programms „Technische Kommunikation", einem gemeinsamen Programm von BMFT und BMP. Die im Rahmen dieser Projekte erreichten technischen Fortschritte und die künftigen Marktchancen werden günstig bewertet. Zu Frage 59: Um die breite Anwendung der Mikroelektronik zu beschleunigen, wird mit dem zeitlich befristeten Sonderprogramm (1982-1984) die Entwicklung von Produkten, in denen die Mikroelektronik funktionsbestimmend ist, unterstützt. Rund die Hälfte der mehr als 2 500 Anträge sind Produktinnovationen in der Meß- und Regeltechnik (insbesondere für den Maschinenbau, für Energieeinsparung und Umweltschutz), etwa 25 % zielen auf den Markt für Büro und Kommunikation und jeweils ca. 5 % der Anträge sind auf Anwendungen im Kfz-Sektor, auf Haushaltsgeräte und auf Geräte für medizinische Anwendungen gerichtet.
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    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege, es gibt in der Regierungserklärung eine ganze klare Passage zu diesem Thema, und ich habe an der Reaktion in Ihrer Fraktion auch gemerkt, daß sie Unterstützung gefunden hat. Ich finde, sie verdient die Unterstützung des ganzen Hauses.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Reddemann [CDU/CSU]: Vielleicht kann Herr Voigt sie nachlesen!)

    — Das wird auch noch insgesamt zur Verfügung gestellt. Das soll ja nicht als Geheimsache laufen, sondern wir begrüßen alle Bemühungen, diesen Teil und alle anderen Teile der Regierungserklärung zu veröffentlichen.
    Meine Damen und Herren, von Anfang an hat die neue Bundesregierung erklärt, daß ihre Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik auf Kontinuität gerichtet sei. Wir unterstützen die Bundesregierung in dieser Politik, und wir tun dies um so überzeugter, als wir auch schon vorher viele Positionen der früheren Regierung mitgetragen und sie sogar gegen den Widerstand aus Ihren eigenen Reihen verteidigt haben. Dennoch erscheint es mir notwendig, etwas näher auf den Begriff der Kontinuität einzugehen, zu erläutern, was er meint und was nicht, damit es keine Mißverständnisse gibt.
    Kontinuität — das möchte ich ganz deutlich sagen — bedeutet nicht, die vorgefundene Politik einfach fortzusetzen; denn dies hieße, den Kontinuitätsbegriff unzulässig zu verkürzen. Kontinuität heißt vielmehr auch, sich auf die Grundlagen der deutschen Politik zurückzubesinnen und sie dort, wo sie verstaubt oder zugeschüttet waren, wieder freizulegen.
    In der Außenpolitik bedeutet das z. B., den politischen Standort unseres Staates wieder deutlich zu machen. Konrad Adenauer hat unseren Staat fest in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien verankert. Diese für unser Staatswesen so wichtige Grundentscheidung darf auch heute nicht zweifelhaft werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir können nicht zum Makler zwischen Ost und West werden. Ebensowenig können wir eine wie
    auch immer definierte Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion anstreben, weil wir damit unsere Verteidigungspartnerschaft im westlichen Bündnis ins Zwielicht rücken würden. Sicherheitspartner für uns sind unsere Verbündeten in der Atlantischen Allianz. Diese Tatsache zählt zum Kernbestand unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Wer sich hierauf beruft, steht in der Kontinuität. Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion wäre ein gefährlicher Irrweg, der aus der Kontinuität herausführen würde. Dennoch bleibt es richtig — das beruhigt Sie vielleicht etwas —, daß die Sicherung des Friedens auf dieser Welt durch einseitiges Handeln allein nicht mehr möglich ist. Um z. B. Abrüstungserfolge zu erreichen, ist es unumgänglich, dabei auch die Interessen der anderen Seite zu berücksichtigen.
    Kontinuität in der Außenpolitik bedeutet schon seit Konrad Adenauer, möglichst gute Beziehungen auch zu unseren östlichen Nachbarn zu suchen. Schließlich leben wir Seite an Seite auf demselben Kontinent und müssen friedlich miteinander auskommen. Das gebietet nicht nur die Vernunft, sondern das entspricht auch unseren Interessen, denn z. B. in der deutschen Frage kann nichts ohne die Sowjetunion oder die DDR gelöst oder verbessert werden.
    Vielfältige geschichtliche Erfahrungen, auch historische Schuld, verbinden uns mit Polen, der CSSR, der Sowjetunion und anderen Nachbarn im Osten. Wir haben außerdem ganz konkrete humanitäre Anliegen gegenüber diesen Staaten, die zufriedenstellend geregelt werden müssen. Dies ist ganz offenkundig der Fall im Verhältnis zur DDR; aber es gilt auch für die anderen Staaten in Osteuropa, in denen Deutsche leben, die auf unsere Hilfe rechnen.
    Auf einen kurzen Nenner gebracht, läßt sich die Position der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zum Westen und Osten folgendermaßen beschreiben: Verständigung und fairer Interessenausgleich mit dem Osten, aber Freundschaft und vertrauensvolle Partnerschaft mit dem Westen;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn, aber gemeinschaftliches Handeln mit unseren westlichen Freunden; friedliche Konfliktregelung mit den Staaten des Warschauer Paktes, aber Festigung des Atlantischen Verteidigungsbündnisses.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, Kontinuität in der Deutschlandpolitik bedeutet für uns nicht nur die Fortsetzung der Vertragspolitik mit der DDR. Deutschlandpolitik beschränkt sich nicht auf den engeren Bereich der innerdeutschen Beziehungen. Sie umfaßt die ganze Bandbreite unserer nationalen Frage, von der Einheit der Nation bis zur innerdeutschen Familienzusammenführung, vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes bis zur Verbesserung des Transitverkehrs nach Berlin. Wir sind deswegen auch sehr dankbar, daß der neue Bundesminister, Herr Dr. Barzel, klargemacht hat, daß Kontinuität in der Deutschlandpolitik eben



    Rühe
    auch das Bekenntnis zur Präambel unseres Grundgesetzes bedeutet, die das ganze deutsche Volk auffordert, seine Einheit in Freiheit zu vollenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Kontinuität bedeutet eben nicht nur die Fortsetzung der Vertragspolitik, die Anfang der 70er Jahre begonnen wurde, sondern auch die Aktivierung des Deutschland-Vertrages aus dem Jahre 1954,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    der bekanntlich bekräftigt, daß die deutsche Frage noch offen ist. Er hält die drei Westmächte an ihren Pflichten und ihren Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes fest. Er verpflichtet sie nicht zuletzt dazu, eine Politik im Interesse der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands aktiv zu unterstützen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Ich nenne in diesem Zusammenhang der Kontinuität unserer Politik auch die Briefe zur deutschen Einheit, die — und da sollten wir alle keine Schwierigkeiten haben — gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 zu den Ost-Verträgen, eine Entschließung, die noch einmal im Namen aller Parteien festgestellt hat, daß die Ostverträge einen Modus vivendi beschreiben. Gerade weil die deutsche Vertragspolitik mit den kommunistischen Staaten von manchem, nicht nur im Osten, bewußt oder unbewußt als Zementierung der deutschen Teilung mißverstanden wird, ist es um so notwendiger, den Modus-vivendi-Charakter dieser Verträge hervorzuheben. Niemand, weder im Osten noch im Westen, sollte der gefährlichen Fehleinschätzung unterliegen, daß die Deutschen ihre nationale Einheit abgeschrieben hätten.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Diese Frage bleibt weiterhin auf der Tagesordnung der Geschichte.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bravo!)

    Meine Damen und Herren, die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik und die Deutschlandpolitik werden nur dann kontinuierlich fortgesetzt werden können, wenn sie im Lichte der gemachten Erfahrungen überprüft und weiterentwickelt werden. Politik, die nicht weiterentwickelt wird, führt unausweichlich zur Stagnation oder ins politische Abseits.
    Wenn Sie mir als jemand, der von der Küste kommt, aus Hamburg, gestatten, hier ein Bild aus der Seefahrt zu verwenden: Ein Schiff, dessen Ruder in einer bestimmten Position verkeilt wird, steuert keinen berechenbaren und kontinuierlichen Kurs, sondern es driftet weg. Ein Schiff kann nur dann seinen Kurs kontinuierlich halten und das angesteuerte Ziel erreichen, wenn es seinen Kurs, der ja von Wind und Wellen und Strömungen ständig beeinflußt wird, auch immer wieder korrigiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Genauso ist es auch in der Politik: Zur Kontinuität
    bedarf es immer wieder der Kurskorrektur. Kontinuität und neue Impulse sind die Grundlagen der
    erfolgreichen Außenpolitik dieser neuen Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich meine, wer sich um die Kontinuität sorgt — Sie tun das ja in sehr sichtbarer Weise —, der muß halt aufpassen, daß er sich nicht dem Vorwurf der Scheinheiligkeit aussetzt; denn — ich habe es vorhin schon gesagt — ich sehe einen gravierenden Bruch mit der sicherheitspolitischen Kontinuität in der Politik, die die sozialdemokratische Partei seit dem 1. Oktober verstärkt eingeschlagen hat. Die Nagelprobe auf Ihre Kontinuitätsfähigkeit werden Sie schon sehr schnell zu bestehen haben, nämlich bei der Beantwortung der Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit dem NATO-Doppelbeschluß?

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Es wird sich zeigen, wieweit Sie hier in der Kontinuität Ihres Altkanzlers Helmut Schmidt bleiben, der noch am 1. Oktober von diesem Pult aus festgestellt hat:
    Wenn aber die Verhandlungen trotz größter Anstrengungen unserer amerikanischen Freunde dennoch erfolglos bleiben sollten, so brauchen wir ein entsprechendes Gegengewicht gegen die uns bedrohenden sowjetischen SS-20-Raketen.
    Egon Bahr hat allerdings nur auf ein Stichwort gewartet, um das geplante Nein der sozialdemokratischen Partei näher heranzurücken. Als Bundesverteidigungsminister Wörner völlig zutreffend klarstellte, daß die Genfer Verhandlungen selbstverständlich auch dann weitergeführt werde müßten, wenn mangels einer Null-Lösung bis zum Herbst 1983 mit einer Raketenstationierung begonnen würde, warf ihm Bahr vor, er habe damit den Verhandlungsdruck weggenommen. Gemeint war offenkundig die Wegnahme des Drucks von den USA; das ist offensichtlich auch immer Ihre Hauptsorge. Egon Bahr kündigte zugleich an, das Nein der SPD sei nun nähergerückt.
    Aber, meine Damen und Herren, tatsächlich wird doch der Verhandlungsdruck in Genf noch verstärkt, wenn die Sowjetunion fest damit rechnen muß, daß diese Bundesregierung verläßlich zu dem NATO-Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen steht, und zwar gleichwertig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich wundere mich, daß Sie eine Politik empfehlen, die das Aufstehen vom Verhandlungstisch empfiehlt. Der Kollege Wörner hat doch empfohlen weiterzuverhandeln. Ich kann nur sagen: Das ist nicht unsere Politik, wir werden nicht die ersten sein, die vom Verhandlungstisch aufstehen. Sie sollten sich überlegen, ob es wirklich eine kluge Politik ist, die Sie da zum Ausdruck gebracht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Wahrheit ist, daß die Sozialdemokraten schon seit längerer Zeit beharrlich daran arbeiten, den Nachrüstungsteil politisch herauszubrechen und dann den Verhandlungsteil als Torso übrigzubehalten, der sich wahrlich nicht als besonders drückend



    Rühe
    im Hinblick auf die Notwendigkeit für die Sowjetunion, zu verhandeln, auswirken würde.
    Das kann man durch viele Fakten belegen: durch die Beschlüsse von München, Inaussichtnahme eines Moratoriums, vor allen Dingen aber auch durch die jüngsten Erklärungen Ihres Kandidaten Vogel, man müsse den Stand der Genfer Verhandlungen im nächsten Jahr politisch bewerten. Davon steht im Doppelbeschluß der NATO, den Sie mit unterschrieben haben, nichts. Dort heißt es ganz konkret: Der INF-Bedarf der NATO wird im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft werden. — Dieser Bedarf — füge ich hinzu — wäre im Idealfall gleich Null. Diese Null-Lösung streben wir weiterhin mit allem Nachdruck an, und wir unterstützen die Vereinigten Staaten in diesem Sinne.
    Aber der NATO-Doppelbeschluß deckt ebenso Teillösungen ab, und er umfaßt auch die volle Dislozierung der im Beschluß vorgesehenen Systeme bei einem totalen Fehlschlag der Genfer Verhandlungen. Ich frage mich deswegen — und ich bitte Sie um eine Antwort —, was bei dieser klaren Beschlußlage mit der politischen Bewertung gemeint ist. Man kann doch im November 1982 nicht so tun, als ob der NATO-Doppelbeschluß erst noch gefaßt werden müßte. Er ist bereits gefaßt worden, am 12. Dezember 1979.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mir scheint — ich lasse mich da gerne eines anderen belehren —, daß die Sozialdemokraten drauf und dran sind, die politische Debatte über den Nachrüstungsteil des Doppelbeschlusses wieder zu eröffnen, um ihn in Frage zu stellen, wobei dann die Schuld für einen möglichen Fehlschlag der Genfer Verhandlungen den Amerikanern in die Schuhe geschoben werden soll. Erhard Eppler spricht sicher nicht immer für die ganze SPD, aber nach allem, was man jetzt von Ihnen hört, dürfte seine Feststellung wohl zutreffen: „Es wird niemals einen sozialdemokratischen Parteitag geben, der die Stationierung dieser Raketen billigt". Das würde allerdings die bedingungslose Aufkündigung des NATO-Doppelbeschlusses bedeuten. Das wäre auch — man muß es festhalten — der offene Bruch mit der Politik Helmut Schmidts — der offene Bruch mit der Politik Helmut Schmidts! — und eine dramatische Diskontinuität in der gemeinsamen Sicherheitspolitik der im Bundestag vertretenen politischen Parteien.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß das nicht nur von uns so gesehen wird, können Sie etwa auch einem Kommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 12. November 1982 entnehmen. Ich zitiere:
    Wenn Bahrs Annäherung an ein Nein zu einer eventuellen Raketenstationierung aber zum Nennwert zu nehmen ist, dann bedeutet seine Ankündigung auch ein deutliches Abrücken vom Standort des früheren Bundeskanzlers Schmidt, der sich in seiner letzten Bundestagsrede klar und deutlich zur Notwendigkeit der
    Nachrüstung bekannt hatte, wenn bei den Genfer Verhandlungen kein Erfolg erzielt werde.

    (Kiechle [CDU/CSU]: Das steht in der Kieler Erklärung nicht mehr!)

    Nun, meine Damen und Herren von der SPD, seien Sie gewiß, daß wir Ihr Verhalten mit höchster Aufmerksamkeit beobachten werden. Seien Sie ganz sicher, daß es Ihnen nicht gelingen wird, sich heimlich oder unter durchsichtigen Vorwänden aus der Mitverantwortung für diesen Beschluß herauszustehlen. Wir werden Sie öffentlich stellen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Wer vollmundig den Aufbruch nach vorn proklamiert, bei dem werden wir nicht zulassen, daß in der Sicherheitspolitik ein Aufbruch zur Seite, in die Büsche, in die Verantwortungslosigkeit Platz greift.
    Aber trotz dieser Kritik möchte ich zu diesem Zeitpunkt an Sie appellieren: Finden Sie zurück zur Gemeinsamkeit in dieser für unser Land und seine Sicherheit so überaus wichtigen Frage! Halten Sie fest an der Kontinuität deutscher Sicherheitspolitik und geben Sie der Bundesregierung hier Ihre Unterstützung, so wie wir als Opposition Ihren Bundeskanzler in dieser Frage stets verläßlich unterstützt haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich meine, der NATO-Doppelbeschluß ist zu wichtig, als daß er parteitaktischen Interessen zum Opfer fallen darf; denn er bietet eine bisher einmalige Chance, zu einer echten Abrüstung zu gelangen. Sein Ziel ist j a doch der Abbau von real existierenden Raketen, der SS 20, gegen bloß angekündigte Raketen, Raketen auf dem Papier gegen Raketen aus Stahl. Das ist nun wirklich ein ernsthaftes Angebot zum Stopp des Wettrüstens. Herr Wischnewski, gerade dann, wenn Sie sich dafür einsetzen, diesen Rüstungswettlauf zu unterbrechen, müssen Sie diesen NATO-Doppelbeschluß voll und mit aller Kraft unterstützen, um den Versuch zu unternehmen, Schluß zu machen mit der Politik: erst aufrüsten, um abrüsten zu können. Denn erstmals stellt die NATO ein Waffensystem zur Disposition, bevor es überhaupt produziert, geschweige denn stationiert worden ist. Dieser völlig neue Ansatz der Rüstungskontrollpolitik sollte nicht verschüttet werden. Damit dieses Angebot aber überhaupt eine Chance hat, von der anderen Seite ernstgenommen und angenommen zu werden, muß der Wille, diese Papierraketen notfalls auch zu stationieren, genauso stahlhart sein wie die bereits aufgestellten sowjetischen SS-20-Raketen. Wer diesen Willen aufgibt oder wer ihn gar bekämpft, verurteilt diesen zukunftsweisenden Abrüstungsversuch zum Scheitern und er trägt letztlich auch die Mitverantwortung dafür, wenn sich die Rüstungsspirale künftig weiterdreht.
    Bei den Genfer Verhandlungen — das sollte immer wieder klargestellt werden — geht es nicht um die Aufstellung neuer Raketen, sondern es geht um die Beseitigung schon installierter Raketen, die uns bedrohen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Rühe
    Das ist die schlichte Tatsache, die nicht beiseite geschoben werden darf.
    Die USA verhandeln in Genf, um von uns eine Bedrohung abzuwenden, die höchst real ist. Sie verhandeln stellvertretend für uns, weil wir nicht in der Lage sind, ein Verhandlungsobjekt wie etwa die Pershing II überhaupt auf den Tisch zu legen. Ich meine, deswegen verdienen sie jede nur mögliche Unterstützung, damit sie in diesen Verhandlungen, die die Sicherheit in Westeuropa fördern sollen, in unserem eigenen Interesse den größtmöglichen Erfolg erzielen können.
    Dazu ist es aber wichtig, daß das Verhandlungsfaustpfand nicht durch öffentliche Erklärungen aus der Hand geschlagen wird. Wer dies anders sieht, begreift seine eigene Interessenlage nicht mehr.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Deshalb zum Schluß noch einmal mein dringlicher Appell — dies trotz der Signale, die ich sehe, daß Sie sich aus der Kontinuität Schmidtscher Sicherheitspolitik wegbegeben wollen — an die SPD: Überdenken Sie das noch einmal! Lassen Sie sich Ihren Blick nicht durch Emotionen trüben! Erinnern Sie sich — ich darf das sagen, weil ich diese Debatten als ganz junger Mensch sehr interessiert verfolgt habe — an die kühle Vernunft und den strategischen Durchblick eines Fritz Erler und seine Ausführungen zur Sicherheitspolitik und zur Sicherheitslage der Bundesrepublik!

    (Löffler [SPD]: Nun hören Sie mal auf mit den Unterstellungen!)

    Ich habe Ihnen gesagt: Sehen Sie das nicht als einen billigen Trick an, sondern als einen ernst gemeinten Appell, auch einmal etwas freizulegen von der Kontinuität Ihrer eigenen Sicherheitspolitik, wie sie schon vor Helmut Schmidt etwa auch — wie ich finde: in eindrucksvoller Weise — in manchen wichtigen Debatten durchaus durch einen Mann wie Fritz Erler demonstriert wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unterstützen Sie die Abrüstungschance, die der NATO-Doppelbeschluß eröffnet!

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Stehen Sie deshalb ohne Wenn und Aber zu diesem Beschluß in seinen beiden Teilen! Wenn Sie dies tun, dann dienen Sie der Sicherheit unseres Landes und dem Frieden in Europa. Das sollten wir alle miteinander tun. — Schönen Dank.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese außenpolitische Aussprache des Deutschen Bundestags findet in einer internationalen Lage statt, die belastet ist durch Ereignisse in verschiedenen Teilen der Welt — ungelöste Konflikte im Nahen Osten, im südlichen Afrika, in Ostasien — und die Sorge der Menschen vor einem neuen Rüstungswettlauf.
    Die Politik der Bundesregierung kann und darf in dieser Phase in keiner Weise in ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Geradlinigkeit erschüttert werden. Aus diesem Grunde hat sich die Bundesregierung gestern noch einmal in einer sicherheits- und außenpolitischen Erklärung zu den Grundlagen unserer Außen- und Sicherheitspolitik bekannt. Diese Grundlagen sind in den Gesprächen bestätigt worden, von denen der Bundeskanzler heute berichtet hat.
    Herr Kollege Wischnewski hat die Frage aufgeworfen und sie schon für sich in seinem Sinne beantwortet, ob es Anlaß zu Zweifeln an der Kontinuität der Politik der Bundesregierung, ihrer Außenpolitik, gebe. Herr Kollege Wischnewski, wer Ihrer Rede genau zugehört hat, hat gespürt, wie schwer es Ihnen fiel, als Oppositionspolitiker Ansatzpunkte der Kritik an der Politik der Bundesregierung zu finden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Reddemann [CDU/CSU]: Das müssen sie noch fleißig üben!)

    Selbst dort, wo Sie glaubten, sie gefunden zu haben, wurde deutlich, daß das sehr künstlich war. Die Fragen, die der Herr Kollege Wischnewski aufgeworfen hat, will ich gern beantworten.
    Was den Doppelbeschluß der NATO angeht, den Sie erwähnt haben und wo Sie glaubten, eine Abkehr von der gemeinsamen Politik feststellen zu können, Herr Kollege Wischnewski: Sehen Sie sich in Ihrer Partei um, bis hin zu Erklärungen der jüngsten Wochen und Monate! Wenn jemand hier besorgt sein muß, ob eine Abkehr von der bisherigen Sicherheitspolitik stattfindet, dann ist es die Sozialdemokratische Partei.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Horn [SPD]: Gukken Sie Ihren Laden an!)

    Meine Damen und Herren, der Doppelbeschluß der NATO in seinen beiden Elementen ist die Grundlage für eine ernsthafte Bemühung des Westens, in einer wichtigen Frage der Massenvernichtungsmittel abzugehen von der alten Methode, daß auf Vorrüstung Nachrüstung folgt, ist die Grundlage der Bemühung, durch Verzicht auf beiden Seiten die Rüstungsschraube anzuhalten, auf der einen Seite zurückzudrehen, um von dort aus dann vorschreitend auf anderen Gebieten der Abrüstungspolitik Fortschritte zu erzielen. Das setzt aber voraus, daß an keinem der beiden Teile gezweifelt werden kann. Oder, um es anders auszudrücken: Wer nicht nachrüsten will — und das ist doch die Meinung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages —, der darf keinen Zweifel daran lassen, daß im Falle erfolgloser Verhandlungen diese Nachrüstung im Interesse der Sicherheit stattfinden muß.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb darf bitte auch nicht durch einen leichtfertigen, einen mißverständlichen Umgang mit dem



    Bundesminister Genscher
    Begriff „Automatismus" Zweifel darin gesetzt werden, daß die Bundesrepublik Deutschland sich für den Fall, daß keine konkreten Verhandlungsergebnisse erzielt werden, zur Stationierung verpflichtet hat. Das ist das Entscheidende. Nun muß es darum gehen, daß wir alle Anstrengungen unternehmen, daß die Verhandlungen in Genf zum Erfolg führen.
    Die Unterrichtung, die die Bundesregierung seit Beginn der Verhandlungen erfährt, ist eine intensive, wie wir sie in keiner anderen Abrüstungsverhandlung, die zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion geführt wurde, jemals bekommen haben. Es ist eine Unterrichtung, die auf der Regierungsebene stattfindet, auf der Ebene der Abrüstungsbeauftragten und durch die Verhandlungsführer selbst.
    Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die amerikanische Regierung das Verhandlungsmandat ernsthaft verfolgt, das wir im westlichen Bündnis gemeinsam vereinbart haben und das eben darauf hinzielt: Verzicht auf landgestützte amerikanische und sowjetische Mittelstreckenraketen, Verzicht auf beiden Seiten. Daran müssen wir festhalten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich möchte davor warnen, von unserer Seite her die Frage nach der Einbeziehung der französischen und englischen Systeme aufzunehmen. Meine Kollegen, in den NATO-Doppelbeschluß ist eben diese Frage nicht aufgenommen worden. Wir wissen alle, daß eine Forderung dieser Art, insbesondere für das Selbstverständnis der französischen Verteidigungspolitik, schwere Beeinträchtigungen bedeuten würde. Was wir im Augenblick in dieser Verhandlungssituation zwischen West und Ost am wenigsten gebrauchen können, ist eine Auseinandersetzung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über elementare Sicherheitsfragen in Europa.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb bitte ich alle Seiten des Deutschen Bundestages, an dem Doppelbeschluß in beiden Teilen, im Verhandlungs- wie im Nachrüstungsteil, ernsthaft und ohne Einschränkungen festzuhalten. Das ist die Chance, die wir doch alle von Herzen wünschen, daß es nicht zu einer Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen kommen muß, weil das von uns gewünschte Verhandlungsergebnis in Genf erreicht wird.
    Wir wollen, wenn wir die Ernsthaftigkeit der amerikanischen Verhandlungsabsichten untersuchen — das tun wir als ein Partner in einem Bündnis selbständiger und unabhängiger freiheitlicher Demokratien —,

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    auch unserer Öffentlichkeit sagen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich im Doppelbeschluß dazu verpflichtet haben, 1 000 atomare Sprengköpfe aus Westeuropa abzuziehen, um die Verhandlungen in Genf zu fördern, dieser Verpflichtung 1980 als ein Zeichen des guten Willens auf westlicher Seite nachgekommen sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir sind auch darüber einig, daß im Falle der ganzen oder teilweisen Nachrüstung — je nach Ergebnis der Verhandlungen — für jeden neuen Sprengkopf ein anderer abgezogen wird, so daß auch das nicht zu einer Erhöhung der Potentiale auf westlicher Seite führen würde.
    Ich glaube aber, jetzt muß es darum gehen, daß wir uns nicht selber von dem Ziel entfernen, welches die Bundesrepublik Deutschland als eines der Stationierungsländer in den Doppelbeschluß eingeführt hat, nämlich von dem Ziel des Verzichts auf die Mittelstreckenraketen auf beiden Seiten.
    Die Bundesregierung hat gestern in ihrer sicherheitspolitischen Erklärung nicht nur diese Forderung nach dem vollständigen Verzicht erneut bekräftigt, sie hat auch noch einmal zu dem großen Paket von Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen, die derzeit zwischen West und Ost laufen, Stellung genommen. So gesehen ist die internationale Lage nicht nur durch Hoffnungen, sondern auch durch Chancen auf konkrete Ergebnisse geprägt.
    Wir können feststellen, daß zu keiner Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im West-Ost-Verhältnis an so vielen verschiedenen Tischen über die ganze Breite der Abrüstungs- und Rüstungsproblematik verhandelt worden ist wie im gegenwärtigen Zeitpunkt. Hier stimme ich dem Herrn Kollegen Rühe zu, wenn er sagt, man müsse auch im Führungswechsel in der Sowjetunion eine Chance sehen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bekräftigung ihrer gemeinsamen Politik mit ihren Verbündeten, Festigkeit in der Vertretung dieser Politik und eine Politik der ausgestreckten Hand zur Sowjetunion und zu den Staaten Osteuropas jetzt die Möglichkeit bieten können, Fortschritte in dem uns alle berührenden Bereich der Abrüstungs-
    und Rüstungskontrolle zu machen.
    Deshalb begrüßen wir, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion bei den sogenannten START-Verhandlungen in Genf über einschneidende Verringerungen bei den interkontinentalen strategischen Atomwaffen verhandeln. Das kommt zu den Mittelstreckenraketen, über die in Genf verhandelt wird, hinzu.
    Wir bemühen uns — nicht zuletzt durch einen neuen Vorschlag, den der Westen unterbreitet hat —, bei den Verhandlungen über Truppenstärken in Mitteleuropa, die in Wien stattfinden, Fortschritte zu machen. Diese Verhandlungen, meine Damen und Herren, sind noch immer durch das Datenproblem belastet. Sie sind in ihrer Bedeutung natürlich auch durch die Tatsache eingeschränkt, daß sie sich auf Mitteleuropa beschränken.
    Diesen Grundgedanken Rechnung tragend, haben wir den französischen Vorschlag unterstützt, eine europäische Abrüstungskonferenz einzusetzen, die vertrauensbildende Maßnahmen zwischen dem Atlantik und dem Ural vereinbaren soll. Damit



    Bundesminister Genscher
    würde dieses große Gebiet, nämlich ganz Europa, zu einer Rüstungskontrollzone werden. Vertrauensbildende Maßnahmen sind nun einmal der erste Schritt zum Abbau von Mißtrauen, und der Abbau von Mißtrauen ist die Voraussetzung für konkrete, realistische Abrüstung.
    Wir haben in den letzten Wochen Äußerungen von sowjetischer Seite — „von sowjetischer Seite" sage ich deswegen, weil man noch nicht feststellen kann, ob diese Äußerungen voll der sowjetischen Regierungspolitik entsprechen — gehört, man sei auch bereit, über die Frage des konventionellen Gleichgewichts in Europa — also über Mitteleuropa hinausgehend — zu reden. Wenn das der Fall wäre — und darüber ist zu sprechen, wenn der sowjetische Außenminister nach Bonn kommt —, so würde das unserem Bemühen um Abrüstung bis zu einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstung zusätzliche Impulse geben können,

    (Zustimmung des Abg. Bahr [SPD] und des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

    und es könnte auch die MBFR-Verhandlungen erleichtern.
    Meine Damen und Herren, wir alle wissen doch, daß in Europa angesichts konventioneller sowjetischer Überlegenheit, angesichts der großen Entfernung der Vereinigten Staaten von Europa und angesichts zunehmend gefährdeter Seewege von den Vereinigten Staaten nach Europa zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts auf westlicher Seite auch eine atomare Abschreckung notwendig ist. Wenn wir sehen, daß die Menschen in Europa nichts sehnlicher wollen als einen Abbau der atomaren Rüstung — und zwar auf allen Ebenen —, müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, über die Rüstungskontrollzone Mitteleuropa hinaus zu einem konventionellen Gleichgewicht in ganz Europa zu kommen.
    Deshalb wäre es — ich wiederhole das — ein bedeutsamer Ansatzpunkt für fortschreitende Abrüstungsverhandlungen, wenn sich diese Äußerungen von sowjetischer Seite als Bereitschaft der Sowjetunion herausstellen würden, mit dem Westen auch über konventionelles Gleichgewicht in ganz Europa zu verhandeln. Natürlich würde das nicht nur Einfluß auf die Frage der atomaren Abschreckung haben; es würde auch Einfluß auf die Rüstungsausgaben haben können, die ja für die Völker in West und Ost durch die Unterhaltung hochgerüsteter konventioneller Armeen entstehen.
    Wenn wir über das alles reden, dürfen wir niemals einen Gesichtspunkt außer acht lassen, der in der gegenwärtigen Diskussion eine entscheidende Rolle spielt. Es ist der von östlicher Seite geforderte Verzicht auf den Ersteinsatz atomarer Waffen. Wir antworten darauf: Wir sind für den Verzicht auf den Ersteinsatz aller Waffen, der atomaren und der konventionellen!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir dürfen über der Diskussion über die Mittelstreckenraketen, wir dürfen über der Diskussion
    über die interkontinentalen Raketen, wir dürfen
    über der Diskussion auch über die taktischen Atomwaffen niemals übersehen, daß auch ein konventioneller Krieg im Zeichen der technischen Möglichkeiten der 80er Jahre ein schlimmer Vernichtungskrieg wäre, tausendmal schlimmer als der Zweite Weltkrieg.

    (Zustimmung des Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU])

    Deshalb ist es so wichtig, daß wir dem Gleichgewicht auch in diesem Bereich eine erhebliche Bedeutung zumessen, wobei Gleichgewicht für uns doch immer Verhinderung von Krieg bedeutet — Verhinderung von Krieg! Denn alle Sicherheitspolitik heute kann nur darauf gerichtet sein, Kriege zu vermeiden, und nicht etwa, über die Gewinnbarkeit von Kriegen nachzudenken, seien sie atomar oder seien sie konventionell.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb ist die Strategie des Westens eine Kriegsverhinderungsstrategie. Sie ist damit auch Ausdruck der Politik der Bundesrepublik Deutschland von ihrem Beginn an, nämlich der Politik des Friedens und des Verzichts auf Gewalt.
    Vertrauensbildende Maßnahmen in Madrid zu vereinbaren, ist ein wichtiges gemeinsames Ziel. Genauso wichtig ist unser Bemühen um ein umfassendes Verbot aller chemischen Waffen als Ergebnis der Verhandlungen im Genfer Abrüstungsausschuß. Und wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen zur Erhöhung der Transparenz und gegenseitigen Berechenbarkeit im militärischen Bereich. Der Westen bietet durch seine offenen Gesellschaften, durch seine freiheitlichen Gesellschaften ein hohes Maß an Sicherheit für die andere Seite. Jede Rüstungsentscheidung im Westen wird diskutiert. Die Bundesrepublik Deutschland bietet geradezu den Beweis dafür durch das leidenschaftliche Ringen etwa um die Frage des Doppelbeschlusses. Das heißt: hier kommt nichts überraschend.
    Deshalb ist es wichtig, daß wir Transparenz in allen Entscheidungsphasen verlangen, sie im Westen verwirklichen und sie im Osten erwarten, weil auch hier Abbau von Mißtrauen Vertrauensbildung bedeutet, und Vertrauensbildung ist — ich wiederhole es — Voraussetzung aller erfolgreichen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen. Deshalb ist für uns Abrüstung und Rüstungskontrollpolitik integraler Bestandteil unserer Sicherhheitspolitik. Das hat der Bundeskanzler auch in den Vereinigten Staaten noch einmal zum Ausdruck gebracht.
    Wir betrachten die Handelspolitik, die Wirtschaftspolitik mit dem Osten als einen Beitrag zur Stabilisierung des West-Ost-Verhältnisses. Deshalb gilt für die Bundesregierung und für alle Verbündeten der Grundsatz: Wir wollen Zusammenarbeit, und wir wollen keinen Handelskrieg. Das ist das, Herr Kollege Wischnewski, was das erste bei den Gesprächen war, die in Washington über die zukünftige West-Ost-Handelspolitik geführt wurden. Ich darf einmal zitieren, damit wir die Grundlagen dieser Verhandlungen kennenlernen:



    Bundesminister Genscher
    Wir sind übereingekommen, gegenüber der UdSSR und Osteuropa ein vernünftiges und nuanciertes wirtschaftliches Vorgehen einzuschlagen im Einklang mit unseren politischen und sicherheitspolitischen Interessen. Hierzu gehört das Vorgehen in drei Schlüsselbereichen.
    Erstens werden unsere Vertreter im Anschluß an die internationalen Erörterungen vom Januar bei der Verbesserung des internationalen Systems für die Kontrolle der Ausfuhr strategischer Güter in diese Länder und der nationalen Durchsetzung von Sicherheitskontrollen zusammenarbeiten.
    Zweitens werden wir in der OECD Informationen über alle Aspekte unserer Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen mit der Sowjetunion und Osteuropa austauschen.
    Drittens sind wir unter Berücksichtigung der bestehenden wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen übereingekommen, Finanzbeziehungen mit der UdSSR und anderen osteuropäischen Staaten vorsichtig zu handhaben, um sicherzustellen, daß sie auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis gestaltet werden, einschließlich der Notwendigkeit kommerzieller Vernunft auch bei einer Begrenzung der Ausfuhrkredite. Die Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen unterliegt einer regelmäßigen nachträglichen Prüfung.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Was zitieren Sie hier?)

    — Das sage ich jetzt, Herr Kollege Ehmke. Das ist die Erklärung des Wirtschaftsgipfels von Versailles. Auf dieser Grundlage haben die Verbündeten aus der NATO und die anderen Teilnehmer der Versailler Konferenz Beratungen in Washington aufgenommen, in denen auch die Erarbeitung von Studien vorgesehen ist, in denen einige dieser Fragen konkretisiert wurden und die weitergeführt werden müssen.
    Die Meinungsverschiedenheiten, Herr Kollege Wischnewski, die insbesondere durch Erklärungen der französischen Republik entstanden sind, beruhten zu allererst darauf, daß durch Verlautbarungen in den Vereinigten Staaten der Eindruck entstanden war, als seien diese Vereinbarungen oder diese Gespräche in Washington eine Gegenleistung für die Aufhebung der Sanktionen. Es war aber vor Aufnahme der Gespräche ausdrücklich festgelegt worden, daß beides nicht in einem Zusammenhang miteinander stehen dürfe, sondern daß die europäischen Partner des Erdgas-Röhren-Geschäfts eine Aufhebung der Sanktionen erwarteten, weil sie sie von Anfang an nicht für berechtigt hielten. Von daher hat der Bundeskanzler sich zwar nicht bedankt für die Aufhebung der Sanktionen, aber hat er sie begrüßt. Ich denke, jeden Fortschritt in der Zusammenarbeit sollte man in der Tat auch unter Verbündeten begrüßen dürfen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)