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ID0911503100

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    Plenarprotokoll 9/115 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 115. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. September 1982 Inhalt: Erklärung des Bundeskanzlers Schmidt, Bundeskanzler 7072 C Dr. Kohl CDU/CSU 7077 B Brandt SPD 7078 B Genscher FDP 7080 D Coppik fraktionslos 7082 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz) — Drucksache 9/1065 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/1785 — 7063A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — § 303 StGB — Drucksache 9/1937 — Bohl CDU/CSU 7063 D Dr. Ueberschär SPD 7065A Engelhard FDP 7066 C Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . 7066 C Beratung des Berichts des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich zu dem von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Verbesserung des Versorgungsausgleichs — Drucksachen 9/34, 9/562, 9/1954 — Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . 7067 D Dr. Emmerlich SPD 7068 B Engelhard FDP 7068 D Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich — Drucksache 9/1981 — Stiegler SPD 7069 D Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . 7070 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 7071 A Engelhard FDP 7072 A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu den Unterrichtungen des Bundesrechnungshofes Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Bundeshaushaltsrechnung (einschließlich der Bundesvermögensrechnung) für die Haushaltsjahre 1978 und 1979 — Drucksachen 9/38, 9/978, 9/1759 — . . 7083 C II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. September 1982 Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. November 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen — Drucksache 9/1720 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/1962 — 7083 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 10. April 1972 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen — Drucksache 9/1951 — 7084A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Mai 1977 über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken (Umweltkriegsübereinkommen) — Drucksache 9/1952 — 7084A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung — Drucksache 9/1905 — 7084 C Nächste Sitzung 7084 C Anlage Amtliche Mitteilungen 7085*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. September 1982 7063 115. Sitzung Bonn, den 17. September 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. September 1982 7085* Anlage Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Bericht der Bundesregierung über Stand und Ergebnisse von Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung (Drucksache 9/1953) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 8 September 1982 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur siebten Änderung der Richtlinie 76/769/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (Drucksache 9/1088 Nr. 20) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung von Anhang II der Richtlinie 76/895/EWG über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Obst und Gemüse (Drucksache 9/1272 Nr. 50) Bericht der Kommission über den Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse und die technologische Entwicklung der Verwendung von Schwefeldioxyd bei der Herstellung von Weinen und Anlage zum Stenographischen Bericht Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 337/79 in bezug auf den höchstzulässigen Gesamtschwefeldioxydgehalt der Weine mit Ausnahme der Schaumweine und der Likörweine (Drucksache 9/1272 Nr. 51) Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 8. September 1982 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlagen abgesehen hat, nachdem diese im Rat bereits verabschiedet wurden: Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft, Rahmen für eine Aktion auf Gemeinschaftsebene (Drucksache 9/1131 Nr. 16) Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über Sondermaßnahmen in den Beziehungen zwischen den italienischen Trägern und den Trägern der übrigen Mitgliedstaaten bei der Erstattung der Sachleistungen der Kranken- und Mutterschaftsversicherung (Drucksache 9/1459 Nr. 8) Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 337/75 über die Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung und Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1365/75 über die Gründung einer Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1416/76 betreffend Finanzvorschriften für das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung und Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1417/76 betreffend Finanzvorschriften für die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Drucksache 9/1349 Nr. 5)
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser 17. September 1982 ist ganz gewiß nicht ein Tag wie jeder andere. Die sozialliberale Koalition hat ihr Ende gefunden, und vor dem Bundestag werden jetzt Meinungen darüber ausgetauscht und damit zugleich den Bürgern nahegebracht, welcher Ausweg aus der entstandenen Krise der angemessene oder aus der Sicht des einen, des anderen oder des Dritten der richtige sei.
    Der Bundeskanzler hat heute vormittag dem Deutschen Bundestag dargelegt, daß es seiner Oberzeugung nach — und ich stimme ihm darin zu; die Sozialdemokratische Partei und Fraktion stimmen ihm darin zu — aus der entstandenen Lage, wie er sie geschildert hat, keinen besseren Ausweg gebe, als die Parteien und Fraktionen zu bitten, sich über den Weg zu Neuwahlen zu verständigen.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

    Herr Kollege Kohl, wollen Sie mit dem, was Sie eben gesagt haben, den Ministerpräsidenten, die erwähnt worden sind, wollen Sie den Ministerpräsidenten Stoltenberg, Albrecht, Späth und Strauß, wollen Sie Ihren Kollegen Biedenkopf und Geißler durch Ihre Aussage bescheinigen, daß die vom Bundeskanzler vorgeschlagene Regelung, nämlich Neuwahlen, eine nicht vorgesehene, eine nicht angemessene wäre? Er greift doch das auf, wonach Ihre Freunde gerufen haben. Jetzt drücken Sie sich nicht vor der Konsequenz!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Vereinzelter Beifall bei der FDP)

    Herr Kollege Kohl, Sie mögen jetzt geneigt sein, den bequemeren Weg zu gehen. Ob dies der angemessene Weg ist, wird sich zeigen müssen.
    Im Kern geht es meiner Meinung nach in dieser Stunde darum, ob es angesichts der Lage, wie sie der Bundeskanzler geschildert hat, einen kalten Wechsel in diesem Hause geben darf und soll, ohne daß die Menschen in diesem Lande entscheiden können,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    ob Sie wirklich, ohne daß die Wähler befragt sind, die Weichenstellung rückgängig machen wollen, die von uns gemeinsam seit 1969-1972 erneuert und dann durch zwei Bundestagswahlen bestätigt — eine Politik der Reformen und der aktiven Friedenssicherung gewesen ist und unserer Überzeugung nach bleiben muß. Ich füge gleich hinzu: Dazu gehört jene Reform der Reformen, die nicht einseitig und unausgewogen und sozial ungerecht erfolgen darf. Darüber muß eine Entscheidungsfindung in unserem Volk möglich gemacht werden, und darüber sollte unserer Überzeugung nach in allgemeinen und freien Wahlen, wie sie unser Grundgesetz vorsieht, entschieden werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Kohl, der Bundeskanzler befindet sich meiner Überzeugung nach in Übereinstimmung mit dem Empfinden all der Bürger, die es als unerträglich empfinden, daß es weitergeht, wie es jetzt geworden war.

    (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich sage auch, und ich habe es am letzten Donnerstag hier gesagt, daß es so nicht weitergeht, daß taktische Doppelbödigkeit irgendwo ihr Ende finden muß,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    daß Klarheit und Wahrheit und Verläßlichkeit geboten sind; die braucht nämlich unsere Demokratie zusätzlich zu den von Ihnen eben erwähnten Kriterien.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, das Grundgesetz — das wissen wir alle — hat für Neuwahlen hohe Hürden errichtet, und es sieht eine Selbstauflösung des Bundestages auch bei noch so qualifizierter Mehrheit nicht vor. Wir Sozialdemokraten sind bereit, dazu beizutragen, daß diese hoch angesetzten Hürden genommen werden, und uns über den Weg zu vorzeitigen Neuwahlen zu verständigen, wie wir es vor zehn Jahren schon einmal in diesem Haus gemacht haben. Und wir Sozialdemokraten sind dar-



    Brandt
    auf eingestellt, alsbald in die Auseinandersetzung um die Inhalte — und um die muß es j a dann wohl gehen —, um die Themen einzutreten

    (Beifall bei der SPD)

    und die Neuwahlen mit dem Bundeskanzler Helmut Schmidt und für den Bundeskanzler Helmut Schmidt zu führen,

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Jetzt ist die Katze aus dem Sack!)

    der heute vormittag zutreffend und nicht ohne daß dies nicht auch das Gehör der jetzigen Opposition verdiente — darauf hingewiesen hat, daß unsereins und die sozialdemokratische Partei im Ganzen sich schon durch ganz andere Schwierigkeiten hindurchgearbeitet und danach neue Stärke gewonnen haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wissen, verehrte Kollegen von der CDU und der CSU, natürlich, daß die Meinungsbefragungen für uns in diesem Augenblick nicht sonderlich gut aussehen. Und doch sage ich aus meinem Verständnis der Verantwortung: Egal, was die Meinungsbefragungen sagen — die Verantwortung für den Staat geht vor.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir scheuen also trotz dessen, was man uns da entgegenhält, nicht, die Verantwortung in die Hände der Bürger zurückzulegen. Und Sie sollten das mitmachen!

    (Beifall bei der SPD)

    Statt zu finassieren und die Dinge auch heute im unklaren zu lassen, sollten auch Sie, verehrter Herr Kohl, zu der gebotenen Klarheit beitragen. Wenn Sie das tun, können sie auf Ihre Weise zu dem beitragen, was ganz gewiß in diesem Augenblick im Interesse des Staates geboten ist.
    Ich will dem folgendes hinzufügen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Was immer — nicht nur in den letzten Tagen, sondern seit dem vorigen Sommer — sich entwickelt hat: Wir stehen inhaltlich zu dem, was wir mit unseren Kollegen von der Freien Demokratischen Partei zuwege gebracht haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist nicht wenig. Und ich denke nicht daran, keiner von uns denkt daran, davon etwas abstreichen zu lassen. Wir werden nicht verlassen, was gemeinsam geleistet und beschlossen wurde, und wir werden in der Kontinuität unserer Entscheidungen und Beschlüsse bleiben,

    (Beifall bei der SPD)

    unserer Entscheidungen, die wir gemeinsam mit anderen gefällt haben, und natürlich der Beschlüsse der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, wie wir der jeweiligen Lage und unserer Stärke nach in die Willensbildung und in die Entscheidungen dieses Staates einbringen.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun ist es so: Wenn man lange miteinander — wie ich meine, überwiegend gut — zusammengearbeitet hat, dann empfiehlt es sich nicht, wenn das zu Ende geht, hintereinander herzuzetern.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)

    Ich kann mir denken, was z. B. in den Kollegen der Freien Demokratischen Partei vorgeht, die bis zuletzt gehofft hatten — wie ich übrigens auch und die meisten bei uns —, die Koalition werde nicht zerbrechen, sondern sie könne die Kraft zu einem neuen Start finden.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will ebenso deutlich machen: Sozialliberale Erkenntnisse und Erfahrungen werden bei uns Sozialdemokraten nicht nur wachgehalten werden, sondern politisches und geistiges Heimatrecht haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Kohl, die aus den Abgeordneten der CDU/CSU bestehende gegenwärtige Opposition sollte sich auch nicht zu früh freuen. Nicht jeder, der auf eine Erbschaft scharf ist, kommt wirklich auf seine Kosten.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Herr Brandt, dann muß aber eine Erbschaft da sein!)

    Ich will noch folgendes sagen und knüpfe dabei an das an, was ich soeben an die Adresse unseres bisherigen Koalitionspartners gesagt habe. Gerade vor dem Hintergrund dessen, was seit dem Herbst 1969 gemeinsam geleistet wurde, bedauere ich nicht nur in diesem Augenblick, was Teile der Freien Demokratischen Partei uns — ich sage es jetzt auch noch einmal: nicht erst in diesen letzten Tagen, sondern seit dem letzten Sommer — zugemutet haben. Sie konnten nicht glauben, sie hätten es bei der SPD mit einer Vereinigung von Leuten zu tun, mit denen man machen kann, was man will.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe soeben von taktischen Doppelbödigkeiten gesprochen und will dann auch in aller Offenheit fragen, warum man glaubt, in einem hessischen Wahlkampf ganz anders als in Bonn reden zu können. Überall in der Bundesrepublik, gerade aber im Lande Hessen und auch im Lande Bayern, sollen die Bürger in diesem Augenblick wissen, daß wir, was immer das im Augenblick kostet, Klarheit und Verläßlichkeit in Bonn und überhaupt für geboten halten.
    Auch dies noch: Die Einlassungen des bisherigen Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff, nicht nur im letzten Papier festgehalten, stellten für uns Sozialdemokraten eine Zumutung an Einseitigkeit dar, vor allem was die Komponente sozialer Gerechtigkeit und was den Wert des sozialen Friedens in diesem Lande angeht,

    (Beifall bei der SPD)

    ganz abgesehen davon — ich habe das in der vorigen
    Woche am Donnerstag vorgebracht und keine Antwort bekommen —, daß sich natürlich mancher dar-



    Brandt
    über gewundert hat, wieso Graf Lambsdorff glaubte, noch der einen Koalitionsregierung angehören zu können, obwohl er nicht nur intern eine andere für erstrebens- und wünschenswert erklärte.
    Meine Damen und Herren, ich sage hier in aller Deutlichkeit: Es ist wichtiger, Arbeitslosigkeit durch eine aktive Beschäftigungspolitik einzudämmen und zu bekämpfen, als gegen Gewerkschaften und Sozialdemokraten Front zu machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist gewiß wichtig, nicht weniger als bisher, sondern mehr als bisher die Antennen auszufahren, wo es um die kritischen Arbeitnehmer im Lande und ihre Vertrauensleute in Betrieb und Gewerkschaft geht — und um die vielen jungen Mitbürger, auf die sich Herr Kollege Kohl, glaube ich, der Zahl nach eben nur in geringem Maße hat berufen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wollen mit uns, daß aktive Beschäftigungspolitik und eine völlig unzweideutig bleibende aktive deutsche Politik der Friedenssicherung die entscheidenden Orientierungspunkte in der Politik dieses Landes bleiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Hierüber wollen wir dann streiten. Das sind die Themen 1 und 2. Wenn es um die Beschäftigungspolitik geht, muß man sagen, daß dazu auch Opfer gehören.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Die Schulden!)

    Wenn hier „Ergänzungsabgabe" gesagt und dies bisher nur beiseite geschoben worden ist, dann steht dieses Wort j a nur beispielhaft dafür, daß die einen meinen: Man darf darüber nicht nur reden, sondern muß bereit sein, auch etwas zu tun, auch etwas, was hier und dort — zumal bei denen, die sie tragen können — Einbußen bedeuten würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gilt ganz gewiß das, was der Bundeskanzler heute früh über den Sozialstaatsauftrag gesagt hat, der nicht eine papierne Formel werden darf, sondern der unser dauerhafter und verpflichtender Auftrag bleiben muß.
    Herr Kollege Genscher, ich sage es in aller Offenheit, zumal Sie nach der Ordnung des Hauses nach mir sprechen — ich wäre auch, wie Sie wissen, mit anderem einverstanden gewesen—: Sie haben bei dem Bundeskanzler — und nicht nur bei ihm — den bedrückend gefestigten Eindruck aufkommen lassen, es gehe Ihnen nicht mehr um die Tatsache des Bruchs, sondern um den Zeitpunkt. Herr Kollege Kohl, wenn Sie das Wort „Königsmord" hineinbringen: Ich habe es ja nicht erfunden. Ich habe es aus der Freien Demokratischen Partei gehört — wie die Zeitungsleser und diejenigen, die Nachrichten hören, auch. Dies hat die Dinge und dann leider auch die Personen in die Lage geraten lassen, die der Bundeskanzler heute früh dargestellt hat.
    Wir könnten auch — das sage ich jetzt noch zusätzlich — nicht mitmachen, wenn ins Unverbindliche entschwinden oder nach rechts hin überspielt
    werden sollte, wofür wir 1969 — ich zusammen mit Walter Scheel — angetreten sind: unsere deutsche Außenpolitik aus der Verkrampfung zu lösen und eine Politik aktiver Friedenssicherung im Rahmen unserer Möglichkeiten zu betreiben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Das ist — ich sage es noch einmal — das zweite der großen Themen, um die dann nicht nur hier im Hause gestritten werden muß. Ich weiß mich dabei in Übereinstimmung mit vielen im Lande, auch mit solchen, die sich in den Parteien bisher noch nicht wiedergefunden zu haben glauben — ganz abgesehen davon, daß der Bundeskanzler nach meiner Überzeugung recht hat, wenn er hier vor dem Bundestag sagt: Innenpolitisches Hickhack und parteipolitische Taktik dürfen nicht zu Lasten der internationalen Reputation unseres Staates gehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir meinen also, daß Klarheit geboten ist. Wir halten uns für die angeregten Gespräche bereit. Wir nehmen die Einladung des Bundeskanzlers an. Ich meine, Sie sollten sich das auch noch einmal überlegen.
    Ich bitte von dieser Stelle aus unsere Freunde im Land, sich auf neue Konstellationen einzustellen

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    und sich auf Neuwahlen einzustellen, die wir gerne gleich hätten.
    Den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland versichere ich: Unabhängig von der Art der Verantwortung, in der sie als Wähler uns stellen, werden wir unsere Pflicht erfüllen, so gut wir es können, für die Wohlfahrt unseres Staates und für den Frieden.
    Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir sind mit Ihnen und Herrn Kollegen Brandt der Auffassung: Die Koalition aus SPD und FDP ist beendet; Sie wie wir haben jetzt die Freiheit, in eigener Verantwortung zu entscheiden.
    Nach wochenlangen Gerüchten über Pläne zu einer Minderheitenregierung — —

    (Widerspruch bei der SPD)

    — Meine Kollegen von der SPD, wir haben alles angehört, was von allen Seiten gesagt wurde. Der Ernst der Stunde sollte es gebieten, daß Sie in Anstand und Ruhe das hören können, was ich sage,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Liedtke [SPD]: Dann sagen Sie auch etwas Anständiges!)

    auch wenn Sie es für falsch halten.
    Nach wochenlangen Gerüchten über Pläne zu einer Minderheitenregierung, zur erneuten Stellung



    Genscher
    der Vertrauensfrage, zur Entlassung meines Kollegen Graf Lambsdorff — das war das mindeste, was über ihn gesagt wurde — und zum Bemühen um eine Neuwahl-Vereinbarung ist jetzt politisch der Weg geöffnet für alle Möglichkeiten, die das Grundgesetz bietet.
    Was immer in dieser Aussprache schon gesagt wurde, was heute und in Zukunft noch gesagt werden wird, ich stelle fest: Wir Freien Demokraten werden auch in dieser schweren, unser Land aufwühlenden Zeit mit Respekt und Achtung allen anderen Demokraten in unserem Lande gegenübertreten, Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihren politischen Freunden, unseren Partnern von gestern, mit besonderem Respekt.

    (Beifall bei der FDP)