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ID0911411800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/114 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 114. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 6977 A Begrüßung einer Delegation des Althing der Republik Island 6992 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 (Haushaltsgesetz 1983) — Drucksache 9/1920 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1982 bis 1986 — Drucksache 9/1921 — Dr. Dregger CDU/CSU 6979 D Löffler SPD 6985 D Cronenberg FDP 6992 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 6996 D Dr. Waigel CDU/CSU 7003 D Roth SPD 7010 D Dr. Haussmann FDP 7016A Müller (Remscheid) CDU/CSU 7019C Dr. Mitzscherling SPD 7023A Lahnstein, Bundesminister BMF . . . 7027 A Westphal, Bundesminister BMA . . . 7031 C Rühe CDU/CSU 7036 B Voigt (Frankfurt) SPD 7041 C Möllemann FDP 7046 D Dr. Wörner CDU/CSU • 7051 C Genscher, Bundesminister AA 7057 D Dr. Ehmke SPD 7059 A Fragestunde — Drucksache 9/1968 vom 10. September 1982 — Übernahme des Document Center in deutsche Verwaltung MdlAnfr 2, 3 10.09.82 Drs 09/1968 Hansen fraktionslos Antw StMin Frau Dr. Hamm-BrücherAA 6977 B, C, D ZusFr Hansen fraktionslos 6977 B,C,D Schikanen gegen ausreisewillige Deutsche in Polen seit Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 MdlAnfr 4 10.09.82 Drs 09/1968 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA . . . 6978 A, B, C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 6978 B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6978 C Ausstattung amerikanischer Universitätsbibliotheken mit Literatur zur Wiedervereinigung Deutschlands MdlAnfr 5 10.09.82 Drs 09/1968 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 6979 A, B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 6979A, B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6979C Nächste Sitzung 7060 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7061* A Anlage 2 Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Flugverbindung zwischen Köln/Bonn und Warschau durch die polnische Fluggesellschaft LOT MdlAnfr 45 10.09.82 Drs 09/1968 Milz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* B Anlage 3 Aufpreis für Zeitkarteninhaber bei Benutzung von Bahnbussen MdlAnfr 46 10.09.82 Drs 09/1968 Herberholz SPD SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* C Anlage 4 Aufrechterhaltung der Bundesbahnstrecke Bad Lauterberg/Odertal-Scharzfeld im Südharz MdlAnfr 47 10.09.82 Drs 09/1968 Frau Benedix-Engler CDU/CSU SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* D Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 6977 114. Sitzung Bonn, den 16. September 1982 Beginn: 8.30 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 7061* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 17.9. Dr. Diederich (Berlin) *** 17.9. Feinendegen 16.9. Frau Fischer*** 17.9. Gobrecht*** 17.9. Handlos 17.9. Hauck 17.9. Dr. Hennig*** 17.9. Dr. Holtz*** 17.9. Hoppe 17.9. Dr. Hüsch 16.9. Klein (München) *** 17.9. Dr. Köhler (Wolfsburg) *** 17.9. Dr. Kreile 16.9. Lampersbach 17.9. Lenzer** 17.9. Frau Dr. Lepsius*** 17. 9. Lintner*** 17.9. Müller (Bayreuth) 17.9. Schröder (Wilhelminenhof) 16.9. Schulte (Unna) 17.9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim** 17.9. Dr. Soell*** 17.9. Dr. Stercken*** 17.9. Topmann** 17.9. Dr. Wendig 17.9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an der 69. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 9/1968 Frage 45): Sind der Bundesregierung Schwierigkeiten der polnischen Fluggesellschaft LOT bei ihrer beabsichtigten Wiederaufnahme der Flugverbindung zwischen Köln/Bonn und Warschau bekannt, und könnten diese Schwierigkeiten u. a. auf das in der Volksrepublik Polen geltende Kriegsrecht zurückzuführen sein? Der Bundesregierung liegt bisher kein Antrag der polnischen Fluggesellschaft LOT auf Wiedereinrichtung der Fluglinie Warschau-Köln/Bonn vor. Ein solches Vorhaben würde ausschließlich unter dem in den vertraglichen Abmachungen mit Polen festgelegten Gesichtspunkt der Wechselseitigkeit geprüft Anlagen zum Stenographischen Bericht werden. Die gegenwärtige politische Situation in Polen hat hierauf keine Auswirkungen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage des Abgeordneten Herberholz (SPD) (Drucksache 9/1968 Frage 46): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Zeitkartenbenutzer der Deutschen Bundesbahn auf Strecken, auf denen Triebwagen aus Kostengründen eingestellt wurden, bei Benutzung des bereitgestellten Busses jeweils einen Aufpreis zu zahlen haben? Die Fahrpreise der Deutschen Bundesbahn sind im Schienen- und Bahnbusverkehr innerhalb der bei beiden Geschäftszweigen einheitlich gebildeten Entfernungszonen grundsätzlich gleich. Legt der Bus jedoch eine längere Entfernung zurück als das Schienenfahrzeug, können Preisunterschiede auftreten. Diese Preisunterschiede sind jedoch keine Aufpreise. Das Wirtschaftsunternehmen Deutsche Bundesbahn (DB) gestaltet sein Preis- und Leistungsangebot, und damit auch seine Tarife, im Schienen- wie Bahnbusverkehr grundsätzlich selbständig und eigenverantwortlich. Dementsprechend prüft die DB von sich aus bereits, inwieweit bestehende Preisunterschiede im Schienen- und Bahnbusverkehr bei Beförderungen über die gleiche Strecke und unterschiedliche Entfernungen etwa durch Angleichung der Tarifentfernungszonen bereinigt werden können. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage der Abgeordneten Frau Benedix-Engler (CDU/CSU) (Drucksache 9/1968 Frage 47): Sieht die Bundesregierung, daß ein Zusammenhang zwischen dem abnehmenden Reiseaufkommen der Deutschen Bundesbahn und dem sich ständig verschlechternden Angebot in den Nebenstrecken besteht, und ist sie bereit, in diesem Zusammenhang auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn dahin gehend einzuwirken, daß der an sich schon schlechte Verkehrszugang im Südharz-Bereich, der die Benachteiligung dieses Raums ständig erhöht, nicht noch durch weitere Streckenstillegungen (Bad Lauterberg/Odertal und Scharzfeld—Bad Lauterberg) belastet wird. Nein, die Bundesregierung sieht den in Ihrer Frage unterstellten Zusammenhang nicht. Im Gegenteil: Das Angebot der Deutschen Bundesbahn orientiert sich stets an der Nachfrage. So gehört die Teilstrecke Bad Lauterbach-Odertal mit 194 Reisenden im werktäglichen Durchschnitt (beide Richtungen zusammen) zu den schwächst ausgelasteten Reisezugstrecken der Deutschen Bundesbahn. We- 7062* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 gen anstehender Investitionen hat die Deutsche Bundesbahn das Verfahren zur Stillegung der vorgenannten Teilstrecke eingeleitet. Ein Antrag des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn mit prüffähigen Unterlagen liegt dem Bundesminister für Verkehr noch nicht vor. Wegen der Lage der Strecke im Zonenrandgebiet wird das Kabinett entscheiden. Der Abschnitt Scharzfeld-Bad Lauterberg soll vorerst sowohl im Reise- als auch im Güterverkehr beibehalten werden.
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    Rede von Jürgen W. Möllemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Jeder hat ja begriffen, daß Sie das hier mitteilen wollten.

    (Heiterkeit)

    Ich fand nur, daß Sie es mit sehr subtilen Angriffen gegen den Außenminister verbunden haben, und daß Sie versucht haben, ihn in eine bestimmte Ecke zu bewegen.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich komme im übrigen auf die weiteren Ausführungen, die Sie gemacht haben, noch zurück.
    Zunächst zur NATO-Strategie der flexible response, die derzeit j a auch in der Diskussion ist. Nach unserer Auffassung hat sie sich bislang bewährt; sie muß aber in einem laufenden Prozeß den sich wandelnden politischen, technologischen und demographischen Gegebenheiten angepaßt werden.
    Der Grundgedanke des militärischen Teils unseres Konzepts der Friedenssicherung lautet: Wir müssen durch ein annäherndes Gleichgewicht der Kräfte den Frieden sichern. Oder: Jedem denkbaren Aggressor — das heißt in diesem Fall dem Warschauer Pakt — muß deutlich bewußt sein, daß ein Angriff auf die NATO ihm selbst mehr Schaden als Nutzen bringt. Solange diese Voraussetzungen gegeben sind, ist ein Krieg in Zentraleuropa unwahrscheinlich, jedenfalls wenn man davon ausgehen darf, daß die politische Führung in der Sowjetunion nicht aus Abenteurern und unberechenbaren Glücksspielern besteht. Berechenbarkeit und Kontinuität zeichnen allerdings meines Erachtens die sowjetische Politik durchaus aus. Wenn man ihre Grundlagen sorgfältig studiert, stellt man fest, daß es dort Kontinuität gibt. Andrej Gromyko ist seit mehr als 25 Jahren Außenminister, Leonid Breschnew ist erst der fünfte Staatschef seit Lenin in der Sowjetunion.



    Möllemann
    In unserer Strategie der Kriegsverhinderung oder der Abschreckung vom Krieg spielen Atomwaffen eine wesentliche Rolle, eben wegen der ihnen besonders eigenen Abschreckung. Diese Strategie hat dazu beigetragen, daß in Zentraleuropa seit 36 Jahren kein Krieg mehr entstanden ist, während weltweit über 120 Kriege mit mehr als 20 Millionen Toten geführt wurden. Diese Strategie wird aber wegen der in weiten Bevölkerungskreisen vorhandenen Skepsis und Angst gegenüber Atomwaffen dauerhaft von der großen Mehrheit unseres Volkes nur akzeptiert werden, wenn wir durch Stärkung unserer konventionellen Verteidigungsfähigkeit die atomare Schwelle heben, wenn wir die Rolle der taktischen Atomwaffen, der sogenannten atomaren Gefechtsfeldwaffen, deutlich reduzieren, um somit die Nuklearschwelle ebenfalls anzuheben und die Gefahr eines regional begrenzten Atomkrieges weiter zu verringern, und wenn wir uns bei Rüstungskontrollverhandlungen ernsthaft und überzeugend für die Begrenzung und Reduzierung aller Atomwaffen auf das für die Abschreckung unverzichtbare Maß einsetzen.
    Meine Damen und Herren, die auf den ersten Blick sympathische Forderung von Politikern sehr unterschiedlicher Provenienz, wie etwa von Oskar Lafontaine und Kurt Biedenkopf, künftig auf Atomwaffen innerhalb der eigenen Verteidigungskonzeption vollständig zu verzichten, erscheint mir problematisch.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Uns auch!)

    Ein solcher Verzicht auf Nuklearwaffen bei Beibehaltung konventionell gerüsteter Streitkräfte — niemand geht wohl davon aus, daß wir demnächst weltweit keine Armeen mehr haben werden — könnte zumindest in den Köpfen der politischen und militärischen Planer die Rückkehr zur Kriegsführungsstrategie und damit die Verringerung der Abschrekkungswirkung und die Erhöhung der realen Kriegsgefahr bedeuten. Unser Hauptziel muß es demgegenüber aber bleiben, zu verhindern, daß es überhaupt zu Kriegen kommt, und nicht primär darüber nachzudenken, wie man einen Krieg am besten führen kann.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Strategie, Struktur und Bewaffnung unserer Streitkräfte unterliegen auf Grund veränderter demographischer — also von der Bevölkerungsentwicklung her —, finanzieller, technologischer und politischer Voraussetzungen einer kritischen Diskussion und auch der Notwendigkeit einer teilweisen Veränderung. Die in diesem Zusammenhang für die Bundesregierung und dieses Parlament bevorstehenden Entscheidungen sind meines Erachtens so gravierend, daß wir noch einmal gemeinsam darüber nachdenken sollten, ob es nicht sinnvoll ist, eine aus allen Fraktionen des Parlaments, Vertretern der Bundesregierung sowie Experten, die weisungsungebunden sind und sich ausgewiesen haben, zusammengesetzte Kommission zu bilden, die die Frage prüft, wie die Strategie, die Struktur und die Bewaffnung der Streitkräfte in den 90er Jahren aussehen sollen. Dabei meine ich, daß wir auch vorhandene Alternativen zu bestehenden Teilen unserer Sicherheitspolitik vorurteilsfrei diskutieren müssen. Im Bereich der Bewaffnung unserer Streitkräfte sollte insbesondere die Frage analysiert werden, ob es möglich ist, künftig durch sogenannte intelligente Abwehrsysteme den Aufwand für komplexe, teure und sehr verwundbare Großwaffensysteme zu verringern und auch damit zu verdeutlichen, daß unsere Sicherheitskonzeption allein auf Verteidigung angelegt ist.
    Ebenso wie die derzeitige Bewaffnung der Streitkräfte müssen auch die Struktur und die Personalausstattung ohne Tabu analysiert und unter den veränderten Voraussetzungen — demnächst nur noch 50 % der Jahrgangsstärken, geringere staatliche finanzielle Mittel, neue Technologien, neue politische Ansätze — auf ihren Auftrag hin ausgerichtet werden.
    Dies sollte zumindest bedeuten, daß der ohnehin schon zu weite Führungsmantel der Streitkräfte reduziert wird, d. h. konkret, daß die Relation zwischen Soldaten und Beamten im Ministerium sowie in Am-tern und Stäben zu denjenigen, die in Kampftruppen und an personell besetzten Waffensystemen Dienst tun, sich verschieben muß. Das gilt im übrigen auch für den Umfang des Verteidigungsministeriums. Ich hätte mir gewünscht — Herr Verteidigungsminister, wir konnten im Ausschuß wegen der terminlichen Schwierigkeiten, die wir hatten, leider noch nicht darüber sprechen —, daß der begrüßenswerte Ansatz, den Sie mit der Einrichtung des Controllers geschaffen haben — wir unterstützen ausdrücklich den Denkansatz —, dadurch plausibler geworden wäre, daß man das, was dort überwacht, begleitet und kontrolliert werden soll, einmal auf das führ-bare Maß hin reduziert und damit schließlich Mittel und Stellen für die Bereiche freigesetzt hätte, in denen sie dringend gebraucht werden.

    (Weiskirch [Olpe] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Jedenfalls meinen wir, meine Damen und Herren, daß die derzeitige Personalhöchststärke der Streitkräfte dann kein Tabu sein darf, wenn man Aufgaben, die heute von der Bundeswehr wahrgenommen werden, auch von privater Seite erfüllen lassen kann oder wenn andere Strukturen — etwa im Zusammenhang mit der Kaderung — dies erlauben. Wir sind jedenfalls nicht bereit, vor der sorgfältigen Analyse aller denkbaren Alternativen schlicht die Wehrpflicht zu erhöhen oder Frauen in die Streitkräfte einzubeziehen.
    Der Versuch, Frieden, Freiheit und Sicherheit nicht nur durch Streitkräfte und Verteidigungspolitik, sondern auch durch Zusammenarbeit über die Blockgrenzen hinweg zu gewährleisten, muß trotz aller Schwierigkeiten fortgesetzt und verstärkt werden. Vom Kollegen Voigt ist dazu zweierlei gesagt worden, auf das ich eingehen möchte. Ich finde schon, daß es ganz wichtig ist, daß wir bei den derzeit im Mittelpunkt des öffentlichen Streits stehenden Gesprächen über den Abbau der Mittelstreckenwaffen beim Verhandlungsgegenüber keinen Zweifel aufkommen lassen, daß die von uns im Westen definierte Position von uns ganz ernst gemeint ist. Das



    Möllemann
    bedeutet, daß wir unter der Null-Lösung verstehen, daß tatsächlich alle bislang aufgebauten und derzeit hinzugefügten Mittelstreckenwaffen abgebaut werden sollen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das schließt ein, daß wir uns immer wieder darüber im klaren sind, daß die Bevölkerung natürlich beunruhigt ist, wenn jetzt die Frage aufkommt: Wo werden eigentlich demnächst möglicherweise Raketen stationiert — für den Fall, daß die Verhandlungen kein positives Ergebnis haben? In der Tat fände ich mehr Offenheit in diesem Bereich gut.
    Das schließt doch ganz besonders ein — jedenfalls erlebe ich das in vielen Disputen draußen bei Veranstaltungen; nicht nur im Wahlkampf, sondern auch sonst —, daß die Bürger dadurch erheblich beunruhigt sind, daß zum Zeitpunkt des Doppelbeschlusses in diesem Bereich bereits eine sowjetische Überlegenheit durch vorhandene SS-20 bestand und daß trotz einer seither parallel laufenden unglaublichen Propagandawelle der Sowjetunion gegen unseren Bundeskanzler und unseren Außenminister die Sowjetunion Woche für Woche eine weitere Abschußvorrichtung für die SS-20 mit zwei Trägersystemen und jeweils drei Sprengköpfen in Betrieb genommen hat.
    Das beunruhigt die Leute. Wir müssen der Sowjetunion sagen, daß sie — und nur sie — die Verhandlungen damit so schwer gemacht hat.
    Im übrigen ist es richtig — damit komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben, Herr Voigt —, daß das Konzept, das unseren Parteitag in Berlin beschäftigen wird, für die Fortentwicklung der Grundlinien im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung in einigen Punkten Positionen vorsieht, die über das bisher von uns Gesagte hinausgehen. Das ist ja bei Programmfortschreibungen gemeinhin so. Ich weiß noch nicht, was der Parteitag dazu beschließen wird. Ich setze mich natürlich für dieses Konzept so ein, wie es vorliegt. Aber ich muß Ihnen sagen — das gilt doch für Ihre Partei genauso wie für meine auch —: Zunächst einmal müssen wir sehr genau unsere eigene Absicht definieren, und danach muß man sehen, was von dieser eigenen Absicht mit wem unter Umständen umgesetzt werden kann.
    In diesem Zusammenhang habe ich Ihre sehr besorgt klingende Frage deswegen ein bißchen mit Verbitterung gehört, weil Sie hier vergleichsweise zurückhaltend formuliert haben, aber das draußen natürlich nicht tun. Ich habe vor mir die „Frankfurter Rundschau" von heute liegen. Überschrift: „FDP des Verrats bezichtigt — Ehmke und Voigt: Auch in Friedenspolitik auf dem Abmarsch".

    (Rühe [CDU/CSU]: Das hat er auch hier gesagt!)

    Zweitens habe ich den Pressedienst der SPD-Bundestagsfraktion vom 13. September 1982 vor mir liegen. Da schreibt Herr Ehmke:
    Darüber sollte auch beim sicherheitspolitischen
    Sprecher der FDP Klarheit herrschen: Wer bereit ist, die sozialliberale Koalition aufzugeben,
    der muß auch bereit sein, seinen bisherigen Grundsätzen einer liberalen Friedens- und Sicherheitspolitik abzuschwören. Alles andere ist Betrug oder Selbstbetrug.
    Ich weiß nicht, liebe Kollegen, ob Sie, wenn Sie uns des Verrats und des Betrugs bezichtigen, darin einen besonders konstruktiven Beitrag zum Umgang miteinander sehen. Ich habe solche Begriffe jedenfalls auf Sie noch nicht angewendet.

    (Beifall bei der FDP)

    Gerade den Begriff „Verrat" habe ich bisher bei der Auseinandersetzung um die Außen-, Sicherheits- und Entspannungspolitik in ganz anderen Zusammenhängen gehört. Fangen Sie damit bitte nicht an. Wir verraten niemanden, wir treten für unsere Überzeugung ein.

    (Beifall bei der FDP)

    Ein letzter Punkt. Ich glaube, daß wir Verständnis für unsere Friedens- und Sicherheitspolitik nur erreichen können, wenn wir im Parlament nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir selbst nicht nach bestimmten Grundsätzen der Friedenspolitik handeln und leben. In diesem Zusammenhang denke ich beispielsweise an die Begriffe „Verrat" und „Betrug", mit denen Sie den Koalitionspartner charakterisieren, ohne daß Sie irgend etwas zur Belegung dieser Charakterisierung sagen. Ich bitte Sie: kommen Sie doch hierher und sagen Sie, an welcher Stelle, in welchem Punkt der Bundesaußenminister oder ich für die Fraktion außen- und sicherheitpolitisch etwas vorgetragen hätte, was nicht mit der Regierungspolitik vereinbar wäre. Wer muß sich denn dauernd vor dem Bundeskanzler stellen, um ihn gegen Angriffe in Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik zu verteidigen? Sind Sie das oder wer ist das?

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/ CSU)

    Ich möchte eine abschließende Überlegung zu einem ganz anderen Themenbereich unserer Friedens- und Sicherheitspolitik anstellen, der uns in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt hat, wo wir aber nicht so richtig weiterkommen. Wir haben immer gesagt, nur ein durch Aufklärung und Überzeugung gestärktes Verständnis für die Zusammenhänge unserer Friedens- und Sicherheitspolitik gewährleiste, daß diese Politik auf Dauer auch von unserer Bevölkerung unterstützt werde. In diesem Zusammenhang ist es im Grunde ein unglaublicher Skandal, daß es 25 Jahre nach Einführung der Bundeswehr derselbe Staat, der seinen Bürgern Wehrdienst und Zivildienst als staatsbürgerliche Pflichten abverlangt, der seine Steuerzahler ein gut Teil der von ihnen entrichteten Abgaben für Maßnahmen der Friedenssicherung aufbringen läßt, immer noch nicht für notwendig erachtet, in seinen Bildungseinrichtungen eine nach Umfang und Inhalt obligatorische Unterrichtung über die verfassungsmäßige Absicherung unserer Politik der Friedenssi-



    Möllemann
    cherung sowie ihre Instrumente und Ziele durchzuführen.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/ CSU)

    Wir verlangen, daß Friedenserziehung an allen Schulformen obligatorisch wird. Wir wollen keine Wehrkunde wie in der DDR, wo bei Militärparaden Generale die Auftragserfüllung von Kinderbataillonen melden. Wir wollen vielmehr, daß unsere Schüler und Jugendlichen erfahren, mit welchen verfassungsmäßig vorgegebenen Mitteln wir den Frieden sichern, daß sie erfahren, an welchen Zielen und Werten Ost und West orientiert sind, daß sie erfahren und erörtern, daß mit Verteidigungs- und Entspannungs-, mit Außen- und Entwicklungspolitik dieser Staat ausschließlich auf den Erhalt von Frieden, Freiheit und Sicherheit hinarbeitet. Diese Friedenserziehung soll weder einseitig noch parteipolitisch fixiert sein. Aber sie hat Partei zu ergreifen für die von der Verfassung und den frei gewählten Parlamenten gesetzte freiheitliche Ordnung dieses Staates

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und die Notwendigkeit, uns diese Freiheit und den Frieden zu bewahren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Dann und nur dann dürfen wir erwarten, daß im Blick auf Wehrdienst und Zivildienst tatsächlich und bewußt individuelle Gewissensentscheidungen die Regel werden. Wir werben dafür, daß möglichst jeder heranwachsende junge Mann durch Ableisten seiner Wehrpflicht diesen Staat und unsere Freiheit verteidigt. Wir respektieren und verteidigen aber gleichzeitig auch jene, denen ihr Gewissen den Dienst mit der Waffe verbietet. Ein liberaler Staat, der seinen Bürgern das Recht zur Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes einräumt, darf nicht durch kleinliche und unzumutbare Kontrollen und Überprüfungsmechanismen dieses Recht wieder eingrenzen. Deswegen, meine Damen und Herren, bleiben wir dabei: Strengen wir uns endlich einmal gemeisam an, damit dieses Hickhack beendet wird! Lassen Sie uns die Gewissensprüfung abschaffen! Sie ist unwürdig und niemandem zumutbar.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich erwähnte die Notwendigkeit der Friedenserziehung an unseren Bildungseinrichtungen. Gleichermaßen aber möchte ich die Notwendigkeit unterstreichen, die Grundlagen unserer Friedenspolitik dauerhaft und immer wieder einer kritischen Überprüfung auch auf wissenschaftlicher Basis zu unterziehen. Deshalb erneuern wir unsere Aufforderung — und werden dafür auch bei den Haushaltsberatungen konkret eintreten —, die Friedens- und Konfliktforschung gerade in dieser Zeit nicht einzuschränken, sondern personell und materiell verstärkt zu fördern und ihre Ergebnisse in die praktische Arbeit von Regierung und Parlament stärker einzubeziehen.

    (Zustimmung bei der FDP und der SPD)

    Wir haben in dem zuständigen Gremium unserer Fraktion festgelegt, daß wir uns bei den Beratungen dafür einsetzen wollen, den derzeitigen Ansatz im Bundeshaushalt von etwa 3 Millionen auf etwa 5 Millionen zu steigern.

    (Jungmann [SPD]: Das haben wir nötig, weil die CDU überall aussteigt!)

    Wir hoffen, uns darauf mit unserem Koalitionspartner und möglichst auch mit den Kollegen von der Union verständigen zu können.
    Meine Damen und Herren, ich habe hier — wenngleich zugegebenermaßen in einer bestimmten Passage etwas aggressiv — über die Friedenspolitik geredet. Sie mögen mir bitte nachsehen, daß dann, wenn uns bestimmte Absichten, die alles andere als friedfertig sind, unterstellt werden, dies in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden muß. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Weiskirch [Olpe] [CDU/CSU]: Sehr richtig! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Eine interessante Rede!)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Manfred Wörner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Voigt: Es würde mir — und wahrscheinlich auch einigen anderen Kollegen — wesentlich leichter fallen, an Ihre Aufrichtigkeit zu glauben, wenn Sie nicht so leichtfertig das persönliche Ansehen eines Kollegen herabgesetzt hätten. Sie haben es für richtig gehalten, den Kollegen Dregger des Opportunismus zu zeihen. Ich möchte das hier in aller Ruhe, aber auch mit aller Entschiedenheit zurückweisen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zwar deswegen: Sie haben es nicht für nötig gehalten, das zu begründen, und das, was Sie zur Begründung gesagt haben, stimmt nun einfach nicht. Der Artikel von Herrn Weinstein, den Sie zitiert haben, enthält klar die sicherheitspolitische Auffassung des Kollegen Dregger, der ich mich ausdrücklich anschließen möchte. Dort steht:
    Die Strategie der Abschreckung will Dregger durch eine Zusammenarbeit mit dem möglichen Gegner ergänzt wissen. Er meint, eine Sicherheitspolitik, die in langen Fristen denkt, könne auf den Dialog mit der anderen Seite nicht verzichten.
    Dregger hat an diesem Pult — es ist noch nicht einmal ein Vierteljahr her — seine sicherheitspolitischen Vorstellungen, die unsere sicherheitspolitischen Vorstellungen sind, in aller Ausführlichkeit erläutert. Daß Sie jetzt mit Herrn Dregger nicht fertig werden, weil er nicht in Ihr vorgezimmertes Feindbild paßt, ist Ihr Problem, Herr Voigt, aber nicht das Problem des Kollegen Dregger.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das, was Sie hier vorgetragen haben — im übrigen
    auch sonst in einer Form, die nicht Ihrem üblichen



    Dr. Wörner
    Niveau entspricht —, erinnert mich wirklich an den vorgezogenen Versuch, an einer Dolchstoßlegende zu zimmern, wiederum um alte Feindbilder zu retten, aber nicht, um der deutschen Außenpolitik einen Dienst zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber nun zum Thema: In drei schicksalsentscheidenden Feldern unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist die deutsche Politik inzwischen in kritische Zonen geraten.
    Das gilt zum ersten für unser Verhältnis zu unseren Hauptverbündeten, den USA. Daß dieses Verhältnis getrübt ist, daß dort Mißtrauen, Streit, wechselseitige Vorwürfe an der Tagesordnung sind, das sieht jeder. Wer das als mehr oder minder normalen Alltagsstreit verharmlost, der will einfach nicht wahrhaben, daß diese Auseinandersetzung weit über den jeweils aktuellen Anlaß hinaus — ob Erdgasröhrengeschäft, ob Stahl, ob Verteidigungsbeitrag — wirklich die Fundamente des Bündnisses — ich meine: in gefährlicher Weise — anzunagen beginnt. Noch ist dieser Prozeß meisterbar. Noch ist es möglich, das aufzufangen. Nur wird das eine der Hauptaufgaben der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sein.
    Auch im Verhältnis zur Sowjetunion und zu den Staaten des Ostblocks ist ganz eindeutig Reif auf die Blütenbäume der Entspannung gefallen. Abgrenzung ist an die Stelle von Annäherung getreten, und die Zeichen stehen auch hier auf Abkühlung. Dies macht augenfällig, daß die deutsche Politik, wenn wir nicht sehr aufpassen, in Gefahr ist, sich zwischen die Stühle zu setzen, oder gar im Niemandsland zwischen den Blöcken zu enden. Hält man sich vor Augen, daß sich auch auf dem Felde der europäischen Einigung so gut wie nichts bewegt, so bleibt als einziger, und wie ich meine, schwacher Trost, die Tatsache, daß auch der Weizen der Sowjets — dies meine ich im wörtlichen wie im übertragenen Sinne — nicht gerade blüht.
    Ich nenne ein Drittes dazu: Besonders kritisch wird diese Lage dadurch, daß zur gleichen Zeit, in der sich unser Verhältnis zu den USA wie zur UdSSR verschlechtert, auch die Grundlagen unserer Sicherheit erschüttert oder in Frage gestellt werden. Das gilt für wesentliche Teile unseres Abschrekkungs- und Sicherheitsdispositivs. Dazu kommt, daß unsere Verteidigungsdoktrin der flexiblen Antwort immer häufiger in Zweifel gezogen wird, und dies ohne erkennbare brauchbare Alternative.
    Dazu kommt, daß sich angesichts der angespannten Haushalts- und Finanzlage unser Verteidigungsbeitrag, real gesehen, vermindert und die Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte darunter leidet. Das heißt: Die Flexibilität und damit auch die Glaubwürdigkeit unserer Verteidigung ist in Frage gestellt. Die Folge kann nur sein: weniger Sicherheit für alle. Das ist eine Folge, die wir nicht bereit sind zu tragen, die unser Volk auch gar nicht verkraften könnte.
    Es kann gar keinen Zweifel geben: Wir stehen gegenwärtig nicht nur innenpolitisch, wir stehen auch außenpolitisch auf schwankendem Boden.

    (Zuruf von der SPD)

    Wenn wir auf festen und tragfähigen Grund zurück wollen, dann gibt es nur ein brauchbares Rezept: Wir müssen die klare Priorität unserer Westpolitik wiederherstellen, d. h. die Priorität unserer Bündnispolitik, die Priorität unserer Europapolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Das kann eben nur eine handlungsfähige Regierung.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Und welche ist das, bitte?)

    — Die jetzige ist es nicht mehr, Herr Klejdzinski. Das ist augenfällig. Sie haben mein Thema vorweg genommen.
    Man konnte ja einige Zeit, Herr Klejdzinski, den Eindruck haben, daß die gegenwärtige Regierung wenigstens noch auf dem Gebiete der Außenpolitik handlungsfähig sei. Nicht wenige Journalisten schrieben, die Außenpolitik sei der einzige Kitt dieser Regierung. Auch damit ist es ja nun ganz offenkundig aus, wenn man hört, was der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ehmke, in Wiesbaden — und zwar nach übereinstimmenden Zeitungsberichten der „Welt" und der „Süddeutschen Zeitung" — dem Außenminister seiner eigenen Regierung ins Stammbuch geschrieben hat. Ich lese einmal vor: Aus lauter parteipolitischem Taktieren werde die Bundesrepublik durch ihren Außenminister außenpolitisch lahmgelegt; dies sei eine unverantwortliche Politik und „erbärmlich". Da kann man nur sagen: Dann ist ja wohl deutlich, daß auch die Außenpolitik inzwischen in den Sog der Auseinandersetzungen der Koalitionsparteien SPD und FDP geraten ist. Es wird immer deutlicher: Sie sind doch auch außenpolitisch nicht mehr aktionsfähig. Herrn Ehmke möchte ich nur sagen: Wenn wirklich etwas erbärmlich und unverantwortlich ist, dann ist es dieses Spiel mit den Lebensinteressen unserer Nation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In diesen Katalog paßt auch das Vokabular, das in Ihrer Abwesenheit, Herr Außenminister, der Kollege Voigt für Ihre vermutete Abtrünnigkeit gefunden hat. Der Herr Möllemann hat sich damit beschäftigt. Da ist die Rede vom Verrat. Warum eigentlich? Wo war die Begründung? Die einzige Begründung, die Herr Voigt gefunden hatte, war die Tatsache, daß die CDU/CSU — im übrigen aus wohlerwogenen Gründen, einige davon kann man heute noch mit sehr gutem Gewissen zitieren; aber das ist Vergangenheitsbewältigung, die ich nicht mache — damals gegen die Ostverträge gestimmt hat. Herr Voigt, begreifen Sie eines nicht: daß dies in der politischen Auseinandersetzung ein völlig untauglicher Vorwurf ist? Sonst müßten wir Sie ununterbrochen fragen, wer denn gegen die NATO,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)




    Dr. Wörner
    wer denn gegen die Abschaffung des Besatzungsstatuts, wer denn gegen den Einzug nach Europa gestimmt hat.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Gegen alles! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Gegen die Bundeswehr!)

    Mein Gott, wenn die CDU/CSU nicht alle Grundlagen der Friedenspolitik in Deutschland gelegt hätte, hätten Sie überhaupt keine Chance, Friedenspolitik heute oder morgen zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber geschenkt, ich möchte mich in diesen Koalitionsstreit nicht allzuweit hineinhängen. Das wird der Herr Außenminister sicher selbst besser machen können, als ich das für Sie besorgen kann.
    Ich meine also, daß unsere Außen- und Sicherheitspolitik vor drei ebenso wichtigen wie schwierigen Aufgaben steht:
    Die erste und wichtigste Aufgabe ist die Neubelebung des Atlantischen Bündnisses. Vorrangig ist hier die überfällige Einigung über eine westliche Gesamtstrategie gegenüber der Sowjetunion. Das ist ja auch das Thema des Aufsatzes des Bundesaußenministers. Dazu gehört vor allem die Einigung über eine gemeinsame, flexible Strategie des Westens auch im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Osten. Nach unserer Meinung, nach Meinung der CDU/CSU, müssen wir zu diesem Zweck eine größere Bandbreite politischer, wirtschaftlicher, finanzieller und technologischer Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten als bisher entwickeln. Das heißt, der Westen muß Optionen für ein möglichst nuanciertes und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel entsprechendes Vorgehen gewinnen.
    Wir schlagen daher der Bundesregierung vor, auf dem bevorstehenden Treffen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft und dann anschließend auf dem Treffen der NATO — diesem informellen Treffen der Außenminister — die Initiative zu ergreifen, um aus dieser Sackgasse der Meinungsverschiedenheiten im Westen über die Wirtschaftsbeziehungen zum Sowjetblock hinauszufinden. Ein Weg dazu könnte sein, daß man sich auf der Grundlage der Beschlüsse des Versailler Gipfels und des NATO-Gipfels unter anderem über folgende konkrete Maßnahmen verständigt:
    Erstens über politisch und wirtschaftlich verantwortbare Handhabung von Krediten und Bürgschaften, insbesondere über die Vergabe von Krediten nur zu Marktbedingungen — ich kann nur dankbar feststellen, daß wir uns in diesem Punkt einig sind; denn das schreiben Sie auch Ihrem Artikel in „Foreign Affairs" —;
    zweitens über die weitere Einschränkung des Transfers hochentwickelter Technologien im Rahmen der COCOM-Verhandlungen, insbesondere zuverlässigere Unterbindung der Weitergabe militärisch gebrauchter Technologie;
    und schließlich über die Errichtung eines ständigen Informations- und Konsultativorgans über Fragen des Ost-West-Handels im Rahmen der Atlantischen Allianz.
    Das wäre nach meinem Dafürhalten ein Weg, auf dem man Europäer und Amerikaner zusammenführen könnte. Das wäre ein Ausweg aus der mißlichen Lage, in die sich das westliche Bündnis hineinmanövriert hat. Denn ich halte es für ein Unglück sondergleichen, daß die Anwendung des Kriegsrechts in Polen und die erschütternden Vorgänge dort nicht den Osten, sondern in erster Linie den Westen gespalten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben sicher zugehört, Herr Voigt — so hoffe ich jedenfalls —: Wir von der CDU/CSU wollen keine Konfrontation, auch nicht auf wirtschaftlichem Gebiet, und schon gar keinen Handelskrieg. Wir sind für Wirtschaftsbeziehungen, aber eben auf der Basis der Gegenseitigkeit. Dazu gehört auch eine politisch-militärische Selbstbeschränkung der Sowjetunion. Die UdSSR muß endlich begreifen — wie oft soll man das noch sagen? —: Sie kann nicht beides zugleich haben, ungeschmälerte Hilfe des Westens auf der einen Seite und gewaltsame Machtausbreitung auf Kosten des Westens auf der anderen Seite.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist doch eine ganz einfache Sache.

    Sie sollten auch das Argument aus der Welt schaffen, das ebenfalls zu Ihrer Schablone, zu Ihrem Feindbild gehört, man wolle die Sowjetunion mit wirtschaftlichen Mitteln auf die Knie zwingen. Das ist doch glatter Unfug; das geht auch gar nicht.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wir wollen sie in die Waagschale werfen!)

    Allerdings gilt auf der anderen Seite auch — und das muß hinzugefügt werden —: Es kann doch nicht die Verpflichtung der Steuerzahler der freien Welt, es kann doch nicht die Verpflichtung des deutschen Arbeiters sein, mit seinen Steuergeldern die systembedingten, katastrophalen und kostspieligen Mängel der kommunistischen Regime zu bezahlen und diese damit vor dem Zwang zur inneren Reform zu bewahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir brauchen daher die Kombination von Anreizen auf der einen Seite und angemesseneren Reaktionen bei Verstößen gegen den Grundsatz friedlichen Wettbewerbs auf der anderen Seite. Damit wäre auch bereits ein entscheidender Ansatz zur Neugestaltung unserer Beziehungen zur Sowjetunion geschaffen. Diese Beziehungen zur Sowjetunion — das möchte ich in dieser Debatte auch für die deutsche Öffentlichkeit noch einmal ausdrücklich festhalten — stehen für die CDU/CSU unter dem Ziel der Zusammenarbeit und — ich wiederhole es — unter stärkerer Betonung der Gegenseitigkeit.
    Unser Konzept der aktiven Friedenssicherung ist auf den Abbau von Spannungen, ist auf das Zuschütten von Gräben, ist auf die Überwindung des unseligen Gegensatzes von Ost und West gerichtet. Das, was der Bundeskanzler hier in der Debatte über die Regierungserklärung gesagt hat: „Wer sich vertragen will, der braucht Verträge", findet unsere unein-



    Dr. Wörner
    geschränkte Zustimmung. Nur — auch das muß gesagt werden, denn das wird von Ihnen nicht mehr gesagt —

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Welche!) müssen solche Verträge auch gehalten werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die andere Seite — und hier liegen die Mängel Ihrer Politik, nicht im Konzept, sondern in der Ausführung —, d. h. beispielsweise die DDR, muß wissen, daß es sich lohnt, mit uns Verträge zu schließen, daß es sich noch mehr lohnt, Verträge zu halten, daß es sich aber nicht lohnt, sondern daß es empfindliche Nachteile nach sich zieht, wenn man diese Verträge bricht. Darum geht eine Politik mit uns nicht: eine Politik Kasse gegen Hoffnung. Mit uns geht nur eine Politik Kasse gegen Kasse.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dabei brauchen Sie uns nicht zu sagen, daß man die Dinge nicht übers Knie brechen kann, daß man schrittweise vorgehen muß, daß man Rückschläge einstecken wird, auch wir. Aber wir wissen dabei — und diese Erkenntnis ist Ihnen weitgehend verlorengegangen —, daß Atmosphäre Substanz nicht ersetzen kann. Was nützt es, wenn Herr Wischnewski die gute Atmosphäre bei den Gesprächen mit Herrn Honecker rühmt, wenn sich in der entscheidenden Sache des Zwangsumtausches nichts bewegt und wenn am selben Abend wieder ein junger Mensch an der Mauer zusammengeschossen wird, der nur von seinem Grundrecht als Mensch Gebrauch machen wollte?! Dann nützt die Betonung der Atmosphäre überhaupt nichts.
    Als ich zur Aussprache über die Regierungserklärung herunterkam, war eine halbe Stunde vorher ein Mann aus meinem Wahlkreis bei mir — eigens nach Bonn gefahren —, der seit 1976 ergebnislos versucht, seine Braut herüberzuholen, die inzwischen schwersten Schikanen ausgesetzt ist, und das ist kein Einzelfall, wie wir wissen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: da hat es mich schon eigenartig berührt, daß der Herr Bundeskanzler — ich sage: in geradezu sentimentaler Weise — des 70. Geburtstages von Herrn Honecker gedacht und daran erinnert hat, daß er aus dem Saarland stammt, ohne auszusprechen, daß es dieser selbe Herr Honecker ist, der die Menschen in Erfurt, in Jena, in Leipzig hindert, ins Saarland zu kommen und ihre Landsleute zu besuchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Bravo!)

    Das muß dann schon dazugesagt werden.

    (Zuruf des Abg. Löffler [SPD])

    Denn Herr Honecker gibt Ihnen keine Prämie dafür, daß Sie das verschweigen. Darauf können Sie sich verlassen. Deswegen sage ich: Mehr Menschenrechte, mehr Austausch, mehr Durchlässigkeit für die Deutschen, das ist unser Maßstab, an dem sich auch unser Entgegenkommen gegenüber der DDR mißt.
    Die dritte Hauptaufgabe lautet, die materiellen Grundlagen der Friedenssicherung zu befestigen, und das heißt, ausgewogene militärische Kräfteverhältnissse mit dem einzigen Ziel herzustellen, es auch in Zukunft jeder Macht als aussichtslos erscheinen zu lassen, sich von der Anwendung oder Androhung militärischer Gewalt uns gegenüber irgendeinen Vorteil zu versprechen. Damit ist Friedenspolitik nicht zureichend umschrieben; das brauchen Sie uns nicht zu sagen. Es ist doch auch eines jener Klischees, daß es uns nur auf militärisches Gleichgewicht ankomme. Wir wissen, daß dazu mehr gehört, und ich werde dazu auch noch einiges sagen. Aber militärisches Gleichgewicht, Ausgewogenheit der militärischen Kräfteverhältnisse gehören dazu. Nur so können wir für den Rest des Jahrhunderts wie bisher den Ausbruch eines Krieges in Europa verhindern. Ich sage das dazu: nicht nur den Ausbruch eines atomaren, sondern auch eines konventionellen Krieges, der im übrigen für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland kaum weniger schrecklich wäre.
    Ich muß jetzt eines einfach einmal loswerden. Wenn ich mir die aktuelle Friedensdiskussion anschaue, beobachte ich mit steigender Sorge, wie diese Debatte mehr und mehr den Bezug zu den wir-lichen politischen und militärischen Rahmenbedingungen deutscher und westlicher Sicherheitspolitik verliert. Ich frage manche in der Friedensbewegung, denen ich den redlichen Willen weiß Gott abnehme, ob sie sich darüber im klaren sind, daß die Einseitigkeit, mit der sie unsere Sicherheitsvorkehrungen in Frage stellen, einen ganz handfesten Beitrag dazu leisten kann, daß die Kriegsgefahr in dieser Welt nicht abnimmt, sondern wächst. Das ist jedenfalls unsere Auffassung,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Die des Bündnisses!)

    und wir werden uns nicht scheuen, das deutlich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Diese Friedensdebatte wird meist auf den nuklearen Aspekt beschränkt. Das eigentliche strategische Problem Westeuropas, nämlich die sowjetische konventionelle Offensivfähigkeit in der Region, spielt kaum noch eine Rolle. Dann wird die Entlastungsfunktion nuklearer Abschreckung weitgehend übersehen. Diese nukleare Abschreckung — das muß auch manchmal ausgesprochen werden — erlaubt Verzicht auf entsprechende innen- und außenpolitische Kosten. Verzicht auf Militarisierung der Bundesrepublik Deutschland erlaubt Politik ziviler Prioritäten.
    Ich sage Ihnen ganz offen, und vielleicht wird mir der eine oder andere auf Ihrer Seite insgeheim vielleicht sogar zustimmen: Mir wird angst und bange, wenn ich sehe, wie sich die Diskussion ausschließlich auf nukleare Waffen beschränkt. Müssen wir uns nicht die Frage vorlegen, ob es nicht gerade die Angst vor einem Nuklearkrieg war, die den Ausbruch eines Krieges in Europa verhindert hat, die dafür gesorgt hat, daß unsere Menschen vor einem Krieg verschont blieben, während über 140 Kriege in der ganzen Welt stattgefunden haben? Müssen wir uns nicht die Frage vorlegen, ob nicht der Wegfall



    Dr. Wörner
    nuklearer Waffen den Ausbruch eines konventionellen Krieges wahrscheinlicher machen würde?
    Kriegsverhinderung muß darum nach Auffassung der CDU/CSU stets beide Ebenen einbeziehen; denn wir wollen — ich wiederhole es — weder einen atomaren noch einen konventionellen Krieg.
    Die beste Gewähr dagegen sind ausgeglichene Kräfteverhältnisse. Wenn es darum geht, wie man diese ausgewogenen Kräfteverhältnisse herstellt, dann gibt es doch gar keinen Zweifel, daß sich darin wiederum alle drei Parteien in diesem Hause einig sind, daß wir es vorziehen, einen solchen Ausgleich auf dem Wege der Abrüstung statt auf dem der Aufrüstung zu suchen.
    Wir von der CDU/CSU sind dankbar, daß gegenwärtig auf drei wichtigen Ebenen Abrüstungs- und Rüstungskontrollgespräche zwischen Ost und West stattfinden. Eines muß allerdings klar sein: Unsere Verhandlungspolitik wird um so weniger fähig sein, Beschränkungen sowjetischer Macht durchzusetzen, je stärker wir uns innenpolitisch unter Erfolgszwang setzen und je weniger militärische Verfügungsmasse wir für Abrüstungs- und Rüstungskontrollgespräche übrigbehalten.
    Sehen Sie, da setzen unsere Zweifel an, auch an dem, was Sie, Herr Voigt, eben gesagt haben. Das war unsere Kritik an Herrn Ehmke. Unsere Kritik setzte nicht daran an, daß Herr Ehmke nach Moskau gereist ist. Mit Verlaub gesagt: Es gibt sehr viele Politiker der CDU/CSU, die nach Moskau gereist sind, nach Moskau reisen und auch in Zukunft nach Moskau reisen werden. Von uns hat keiner Scheu, mit sowjetischen Politikern in aller Ausführlichkeit und Offenheit zu sprechen.
    Übrigens möchte ich, wenn hier von Verhandlung gesprochen wird, doch einmal an Adenauer erinnern, weil er immer ein gutes Beispiel dafür ist, wie man mit der Sowjetunion verhandeln kann. Er fuhr 1955 in die Sowjetunion. Da war die Bundesrepublik Deutschland kaum selbständig. Da war gerade das Besatzungsstatut gefallen. Da waren wir wirtschaftlich schwach. Da hatten wir keine Bundeswehr. Er wußte: Die Sowjets wollen mit uns diplomatische Beziehungen aufnehmen. Da fuhr dieser Mann hinüber.

    (Zuruf von der SPD: Auch Carlo Schmid war dabei!)

    — Auch Carlo Schmid war dabei. Sie können es bei Carlo Schmid nachlesen. Ich bin Ihnen für diesen Hinweis sehr dankbar. Seinen Beitrag will ich hier gar nicht unterschlagen.
    Aber ein Punkt ist wichtig. Adenauer sagte den Sowjets: Ich will eine Gegenleistung; ich will die deutschen Kriegsgefangenen haben. Als daraufhin die Sowjets sagten: „Die haben wir leider nicht mehr, wir haben bloß Kriegsverbrecher", sagte Adenauer: „Dann haben die Verhandlungen ihren Sinn verloren, dann reise ich ab." Er hat sich eben nicht unter Erfolgszwang setzen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Er hat sein Flugzeug startklar machen lassen. Aber
    noch ehe das Flugzeug startklar war — auch das
    können Sie bei Carlo Schmid nachlesen —, haben die Sowjets entdeckt, daß es noch Kriegsgefangene gab, und Adenauer konnte die Kriegsgefangenen mitnehmen.
    Sehen Sie, das beweist zweierlei. Einmal beweist es, daß man mit den Sowjets verhandeln kann, ja, verhandeln muß. Zweitens beweist es aber auch, daß man nur dann eine Erfolgschance hat, wenn man auf festem Boden steht, wenn man weiß, was man will, und wenn man sich nicht fortlaufend selber unter Erfolgszwang setzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen nehmen wir Anstoß an dem, was Ehmke bei seiner Rückkehr gesagt hat, daß er plötzlich Sympathien für die Null-Plus-Lösung entdeckt hat, die ja letztlich eine sowjetische Position ist.
    Auch das, was Sie, Herr Voigt, machen, wird die Abrüstungsverhandlungen — das garantiere ich Ihnen — nicht fördern, sondern in starkem Maße behindern.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    Denn eine Erfahrung haben die Amerikaner, die Deutschen und alle anderen, die mit den Sowjets gesprochen und verhandelt haben, doch machen müssen: Die Sowjets setzen sich hin, sie haben eine klare Position, sie haben eine Maximalposition, die pakken sie auf den Tisch. An dieser Maximalposition halten sie fest. Dann können sie darauf zählen, daß nur fünf oder sechs Monate später unter Garantie die Herren Voigt, Bahr, Brandt, Ehmke und wie sie sonst heißen mögen, Bewegung fordern, und zwar Bewegung nicht auf der anderen, sondern auf unserer Seite. Das heißt, daß dann sofort wieder dem westlichen Bündnis in den Rücken gefallen wird.
    Glauben Sie doch nicht, daß die Sowjets das nicht merken! Warum sollen die Sowjets dann Konzessionen machen, wenn sie wissen, daß sie das Ganze, wenn es nach ihnen geht, ohne eine Gegenleistung kriegen. Das ist doch die Mechanik!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Ehmke hat draußen — das hat er jetzt wieder gemacht, als er mit Ihnen abgerechnet hat, Herr Genscher; das wird inzwischen offensichtlich die Praxis — in einem Aufwasch das Kapitel CDU/CSU gleich mit erledigt und wiederholt, was er hier im Bundestag — leider in meiner Abwesenheit — gesagt hat. Ich zitiere aus der Presse:
    Als Beispiel verwies Ehmke auf Kommentare der CDU zu den Genfer Abrüstungsverhandlungen. Darin werde unter Berufung auf Genscher behauptet, daß der Westen mit den Sowjets nach dem Motto verhandeln solle: Friß, Vogel, oder stirb. Oder anders ausgedrückt: Wir wollen die Null-Lösung, und wenn wir sie nicht erreichen, rüsten wir auf.
    Also, Herr Ehmke, daß Sie im Erfinden von Tatsachen ein Meister sind,

    (Würzbach [CDU/CSU]: Im Verdrehen auch!)




    Dr. Wörner
    war mir schon klar. Aber daß Sie in einer so vitalen Frage an einer falschen Stelle ansetzen und gar nicht merken, was Sie damit tun, nämlich daß Sie Ihre eigene Politik unterlaufen, läßt mich an einigem anderen als nur an Ihrer politischen Weisheit zweifeln. Denn nehmen Sie zur Kenntnis: Die CDU/ CSU stützt die Null-Lösung. Wir sind ja noch die einzigen — von dem Außenminister und großen Teil der FDP, abgesehen —, die diese Position geschlossen und aus Überzeugung unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber es ist nicht wahr, daß wir sagen: Vogel, friß oder stirb! Verhandeln heißt, sich aufeinander zubewegen — das wissen wir auch —, heißt Kompromisse schließen.
    Deswegen nehmen Sie zur Kenntnis: Wir sagen j a zur Bewegung in den Verhandlungen — aber bitte auf beiden Seiten! Der Unterschied zwischen uns liegt dort, wo Sie außerhalb der Verhandlungen einseitig Positionen preisgeben, während wir der Meinung sind, daß in Verhandlungen um ein beiderseitiges Nachgeben gerungen und auf eine faire und für die Sicherheit beider Seiten erträgliche Lösung hingearbeitet werden muß. Das ist die Position der CDU/CSU. Sie können keine einzige Äußerung von uns zitieren, in der das anders gewesen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei der Gelegenheit, meine Damen und Herren, eine ganz interessante Geschichte: Da hat die Bundesregierung Positionen in Abrüstungsverhandlungen; da hat das Bündnis Verhandlungen aufgenommen, nach mühsam erreichter Übereinstimmung im westlichen Bündnis; da stützt die Opposition, die CDU/CSU, diese Vorstellungen, und zwar nicht nur nach innen, sondern — im Unterschied zu manchem SPD-Politiker — auch nach außen;

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Und im Lande!)

    da lassen wir uns draußen — Herr Mertes hat jetzt gerade ein Beispiel in Bitburg erlebt — für die Politik der Bundesregierung, weil es die Politik des Bündnisses in diesem Punkte ist, prügeln — und wer tritt uns da entgegen, öffentlich? Führende Politiker der SPD!

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Studentkowski!)

    Das ist paradox und — noch schlimmer — macht Ihre Politik so unglaubwürdig.

    (Beifall bei der CDU/CSU— Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Die führen uns vor! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Unerträglich wird diese Situation dann, wenn derselbe Bundeskanzler — das muß ich noch los werden, wenngleich er diese Verhandlungen über sein Budget inzwischen mit Abwesenheit straft;

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wo ist er denn? Seit Tagen ist er nicht mehr da!)

    deswegen sage ich es in Abwesenheit des Herrn Bundeskanzlers zum Herrn Bundeskanzler —, für dessen Politik wir uns draußen in diesem Punkt prügeln lassen, uns dafür als außenpolitische Abenteurer oder als Sicherheitsrisiko brandmarkt, wie das jetzt wieder im hessischen Wahlkampf geschieht.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Ein Skandal ist das!)

    Die Tatsachen allerdings — das ist der Punkt, Herr Genscher, an dem Sie inzwischen in dieser Koalition angelangt sind — sprechen eine ganz andere Sprache. Die SPD nimmt — zum Teil offen, zum Teil versteckt — Abschied von der Politik des Bündnisses und der Regierung. Prügeln Sie dafür nicht den Bundesaußenminister, prügeln Sie dafür nicht CDU/ CSU, sondern fassen Sie sich an die eigene Nase und geben Sie das, was hier passiert, endlich zu!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dem Herrn Bundeskanzler kann ich nur raten: Es wäre für ihn wesentlich besser und im übrigen auch lohnender, wenn er sich gegen die Doppelzüngigkeit seiner eigener Parteifreunde zu wehren wüßte, als sich mit der CDU/CSU zu beschäftigen und ihr mangelnde Friedensfähigkeit zu unterstellen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er nimmt keinen Anteil mehr! Er ist weg!)

    Allerdings muß Friedenspolitik — das möchte ich zum Schluß noch herausstellen —, wenn sie seriös sein will, von der Welt ausgehen, wie sie ist. Daher können wir und wollen wir auf Verteidigung unserer Freiheit nicht verzichten — gerade um des Friedens willen.
    Eines aber muß gesagt werden: Die Lage unserer Verteidigung ist in den letzten Jahren immer unbefriedigender geworden. Die konventionelle Übermacht des Warschauer Pakts hat zugenommen. Dadurch wäre die NATO in Mitteleuropa sehr früh — wir meinen, zu früh — zum Einsatz nuklearer Waffen gezwungen. Das ist doppelt unerträglich. Zum einen schwächt es die Chance wirksamer Verteidigung, zum anderen untergräbt es die Glaubwürdigkeit der Abschreckung. Daher müssen wir nach Wegen suchen, die uns aus dem Zwang zum frühen Einsatz von Nuklearwaffen schrittweise befreien. In dieser Hinsicht stimme ich mit dem, was Herr Möllemann gesagt hat, voll überein. Dies geht nur auf dem Weg über die Verstärkung der konventionellen Verteidigung unter Ausnutzung der Möglichkeit moderner Waffentechnologie.
    Eine rein konventionelle Verteidigung bleibt auf absehbare Zeit allerdings eine Utopie. Zu einer realistischen Friedenspolitik gehört die Erkenntnis, daß auf absehbare Zeit zur Verhinderung von — nuklearen wie konventionellen — Kriegen auch auf nukleare Abschreckung nicht verzichtet werden kann. In diesem Zusammenhang sage ich jenen — insbesondere den jungen Leuten, aber auch den anderen, die betroffen sind —, die uns nicht nur auf den Kirchentagen, sondern auch auf den Straßen und in unseren Versammlungen sicher mit Recht wieder und wieder fragen, ob wir denn vor dem nuklearen Verhängnis kapitulieren und uns ergeben, mit dieser schicksalhaften Verstrickung abfinden müssen, ob es denn keinen Weg gebe, sich aus dieser schlimmen Situation herauszulösen, daß in dieser Welt immer



    Dr. Wörner
    mehr und immer schrecklichere Waffen aufgehäuft werden: Das ist ein Problem, das nicht nur sie drückt. Das ist ein Problem, das jeden nachdenklichen Politiker in diesem Hause und jeden, der mit diesen Fragen umgeht, pausenlos beschäftigt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ich sage als ein Politiker der CDU/CSU: Wir als CDU/CSU meinen, daß man vor diesem nuklearen Verhängnis nicht kapitulieren muß. Wir glauben, es gibt einen Ausweg aus diesem Verhängnis. Wir meinen, daß man sich mit dieser Landschaft der Abschreckung, so wie sie ist, nicht zufriedengeben darf.
    Es gibt nur einen einzigen realistischen Weg — ich glaube, es gibt kaum einen, der nach längerem Nachdenken nicht zur selben Überzeugung kommt —, und dieser Weg führt über beiderseitige kontrollierte und gleichgewichtige Abrüstung. Diesen Weg zu gehen, sind wir fest entschlossen: den Weg gleichgewichtiger Abrüstung. Das wollen wir mit Leidenschaft.
    Allerdings sei eines hinzugefügt — ich zitiere jetzt Kissinger —: Die Sehnsucht der Demokratien nach Frieden darf nicht zu einer Erpressungswaffe in der Hand der Rücksichtslosesten werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deswegen sind wir gegen einseitige Abrüstung. Sie führt, wie die geschichtlichen Erfahrungen — denken Sie an Falkland, denken Sie an Afghanistan — bis in unsere Tage hinein beweisen, nicht zum Frieden; sie führt zum Krieg. Auch ein Einfrieren der Nuklearwaffen macht den Frieden nicht sicherer. Wir wollen diese Waffen nicht einfrieren; wir wollen sie schrittweise abbauen.
    Eine letzte Überlegung: Der Schlüssel zum Ausweg aus dem Dilemma liegt letztlich nicht im militärischen Bereich; er liegt letztlich im politischen Bereich. Denn Waffen sind nicht die Ursache, Waffen sind der Spiegel, die Folge von politischen Spannungen. Darum müssen wir alles daransetzen, die politischen Spannungen dieser Welt schrittweise zu lösen. Deshalb müssen wir eine politische Friedensordnung aufbauen, die auf Gegenseitigkeit, auf Zusammenarbeit, auf friedliche Konfliktregelung ausgeht. Wir dürfen uns da nicht entmutigen lassen.
    Das ist ein schwerer Weg. Das ist ein Weg, den man nur gehen kann, wenn man fest im westlichen Bündnis und fest auf der Grundlage einer stabilen Verteidigungsgemeinschaft verankert bleibt, wenn die Amerikaner, die Briten, die Franzosen hierbleiben, wenn die Bundeswehr intakt bleibt, wenn klar ist, daß militärische Macht gegen uns keinen Sinn hat. Dann und nur dann wird es aussichtsreich sein, auch im politischen Bereich diese Friedensordnung aufzubauen, wenn es uns gelingt, den sowjetischen Politikern deutlich zu machen, daß es keinen Sinn hat, auf militärische Macht und Gewalt zu setzen. Denn auch bei denen fängt es an knapp zu werden. Dann muß ihnen klar sein: wir wollen zusammenarbeiten. Sie haben die Chance zur Zusammenarbeit. Aber das bedeutet Verzicht auf die Vernichtung des anderen. Das bedeutet Verzicht auf die Aufrüstung.
    Dazu muß ein anderes passieren, und das macht so sichtbar, daß es Frieden ohne Freiheit nicht gibt. Warum haben wir uns mit den Franzosen versöhnt, die einmal, wie ich es noch in der Schule habe lernen müssen, unsere Erbfeinde gewesen sein sollen? Warum haben wir uns mit ihnen versöhnt? Weil es gelungen ist, die Menschen zusammenzuführen, die jungen Deutschen und die jungen Franzosen. Warum soll es nicht möglich sein, die jungen Deutschen und die jungen Russen oder auch nur die jungen Deutschen in allen Teilen Deutschlands zusammenzuführen? An uns scheitert das nicht.
    Aber wenn man von Friedenspolitik redet, dann muß man eines wissen. Friedenspolitik geht nur, wenn man die Barrieren zwischen den Menschen niederreißt, wenn man Mauern durchlässiger macht.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Das ist das Hauptstück der Friedenspolitik.
    Deswegen gehört — das ist mein letztes Wort — zur Friedenspolitik auch: nicht nationalistische Überheblichkeit,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    aber das Wissen darum, daß die deutsche Nation ihren Beitrag zum Frieden auch für die Sowjetunion um vieles wirksamer wird leisten können, wenn man ihr wieder das ihr zustehende Selbstbestimmungsrecht einräumt und wenn man ihr die nationale Einheit im europäischen Rahmen wiedergibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)