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ID0911407700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/114 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 114. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 6977 A Begrüßung einer Delegation des Althing der Republik Island 6992 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983 (Haushaltsgesetz 1983) — Drucksache 9/1920 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1982 bis 1986 — Drucksache 9/1921 — Dr. Dregger CDU/CSU 6979 D Löffler SPD 6985 D Cronenberg FDP 6992 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 6996 D Dr. Waigel CDU/CSU 7003 D Roth SPD 7010 D Dr. Haussmann FDP 7016A Müller (Remscheid) CDU/CSU 7019C Dr. Mitzscherling SPD 7023A Lahnstein, Bundesminister BMF . . . 7027 A Westphal, Bundesminister BMA . . . 7031 C Rühe CDU/CSU 7036 B Voigt (Frankfurt) SPD 7041 C Möllemann FDP 7046 D Dr. Wörner CDU/CSU • 7051 C Genscher, Bundesminister AA 7057 D Dr. Ehmke SPD 7059 A Fragestunde — Drucksache 9/1968 vom 10. September 1982 — Übernahme des Document Center in deutsche Verwaltung MdlAnfr 2, 3 10.09.82 Drs 09/1968 Hansen fraktionslos Antw StMin Frau Dr. Hamm-BrücherAA 6977 B, C, D ZusFr Hansen fraktionslos 6977 B,C,D Schikanen gegen ausreisewillige Deutsche in Polen seit Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 MdlAnfr 4 10.09.82 Drs 09/1968 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA . . . 6978 A, B, C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 6978 B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6978 C Ausstattung amerikanischer Universitätsbibliotheken mit Literatur zur Wiedervereinigung Deutschlands MdlAnfr 5 10.09.82 Drs 09/1968 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 6979 A, B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 6979A, B ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6979C Nächste Sitzung 7060 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7061* A Anlage 2 Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Flugverbindung zwischen Köln/Bonn und Warschau durch die polnische Fluggesellschaft LOT MdlAnfr 45 10.09.82 Drs 09/1968 Milz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* B Anlage 3 Aufpreis für Zeitkarteninhaber bei Benutzung von Bahnbussen MdlAnfr 46 10.09.82 Drs 09/1968 Herberholz SPD SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* C Anlage 4 Aufrechterhaltung der Bundesbahnstrecke Bad Lauterberg/Odertal-Scharzfeld im Südharz MdlAnfr 47 10.09.82 Drs 09/1968 Frau Benedix-Engler CDU/CSU SchrAntw PStSekr Mahne BMV . . . . 7061* D Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 6977 114. Sitzung Bonn, den 16. September 1982 Beginn: 8.30 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 7061* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen* 17.9. Dr. Diederich (Berlin) *** 17.9. Feinendegen 16.9. Frau Fischer*** 17.9. Gobrecht*** 17.9. Handlos 17.9. Hauck 17.9. Dr. Hennig*** 17.9. Dr. Holtz*** 17.9. Hoppe 17.9. Dr. Hüsch 16.9. Klein (München) *** 17.9. Dr. Köhler (Wolfsburg) *** 17.9. Dr. Kreile 16.9. Lampersbach 17.9. Lenzer** 17.9. Frau Dr. Lepsius*** 17. 9. Lintner*** 17.9. Müller (Bayreuth) 17.9. Schröder (Wilhelminenhof) 16.9. Schulte (Unna) 17.9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim** 17.9. Dr. Soell*** 17.9. Dr. Stercken*** 17.9. Topmann** 17.9. Dr. Wendig 17.9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an der 69. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 9/1968 Frage 45): Sind der Bundesregierung Schwierigkeiten der polnischen Fluggesellschaft LOT bei ihrer beabsichtigten Wiederaufnahme der Flugverbindung zwischen Köln/Bonn und Warschau bekannt, und könnten diese Schwierigkeiten u. a. auf das in der Volksrepublik Polen geltende Kriegsrecht zurückzuführen sein? Der Bundesregierung liegt bisher kein Antrag der polnischen Fluggesellschaft LOT auf Wiedereinrichtung der Fluglinie Warschau-Köln/Bonn vor. Ein solches Vorhaben würde ausschließlich unter dem in den vertraglichen Abmachungen mit Polen festgelegten Gesichtspunkt der Wechselseitigkeit geprüft Anlagen zum Stenographischen Bericht werden. Die gegenwärtige politische Situation in Polen hat hierauf keine Auswirkungen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage des Abgeordneten Herberholz (SPD) (Drucksache 9/1968 Frage 46): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Zeitkartenbenutzer der Deutschen Bundesbahn auf Strecken, auf denen Triebwagen aus Kostengründen eingestellt wurden, bei Benutzung des bereitgestellten Busses jeweils einen Aufpreis zu zahlen haben? Die Fahrpreise der Deutschen Bundesbahn sind im Schienen- und Bahnbusverkehr innerhalb der bei beiden Geschäftszweigen einheitlich gebildeten Entfernungszonen grundsätzlich gleich. Legt der Bus jedoch eine längere Entfernung zurück als das Schienenfahrzeug, können Preisunterschiede auftreten. Diese Preisunterschiede sind jedoch keine Aufpreise. Das Wirtschaftsunternehmen Deutsche Bundesbahn (DB) gestaltet sein Preis- und Leistungsangebot, und damit auch seine Tarife, im Schienen- wie Bahnbusverkehr grundsätzlich selbständig und eigenverantwortlich. Dementsprechend prüft die DB von sich aus bereits, inwieweit bestehende Preisunterschiede im Schienen- und Bahnbusverkehr bei Beförderungen über die gleiche Strecke und unterschiedliche Entfernungen etwa durch Angleichung der Tarifentfernungszonen bereinigt werden können. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Mahne auf die Frage der Abgeordneten Frau Benedix-Engler (CDU/CSU) (Drucksache 9/1968 Frage 47): Sieht die Bundesregierung, daß ein Zusammenhang zwischen dem abnehmenden Reiseaufkommen der Deutschen Bundesbahn und dem sich ständig verschlechternden Angebot in den Nebenstrecken besteht, und ist sie bereit, in diesem Zusammenhang auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn dahin gehend einzuwirken, daß der an sich schon schlechte Verkehrszugang im Südharz-Bereich, der die Benachteiligung dieses Raums ständig erhöht, nicht noch durch weitere Streckenstillegungen (Bad Lauterberg/Odertal und Scharzfeld—Bad Lauterberg) belastet wird. Nein, die Bundesregierung sieht den in Ihrer Frage unterstellten Zusammenhang nicht. Im Gegenteil: Das Angebot der Deutschen Bundesbahn orientiert sich stets an der Nachfrage. So gehört die Teilstrecke Bad Lauterbach-Odertal mit 194 Reisenden im werktäglichen Durchschnitt (beide Richtungen zusammen) zu den schwächst ausgelasteten Reisezugstrecken der Deutschen Bundesbahn. We- 7062* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1982 gen anstehender Investitionen hat die Deutsche Bundesbahn das Verfahren zur Stillegung der vorgenannten Teilstrecke eingeleitet. Ein Antrag des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn mit prüffähigen Unterlagen liegt dem Bundesminister für Verkehr noch nicht vor. Wegen der Lage der Strecke im Zonenrandgebiet wird das Kabinett entscheiden. Der Abschnitt Scharzfeld-Bad Lauterberg soll vorerst sowohl im Reise- als auch im Güterverkehr beibehalten werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Liebe Kollegen! Nachdem außer Graf Lambsdorff keiner der Vorredner auf den Haushalt eingegangen ist, möchte ich mich dieser Regel anschließen.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich möchte gern einige ökonomische Grundsätze aus der Sicht der FDP darlegen, und ich möchte auch Herrn Roth eine klare Antwort auf die aufgeworfenen Fragen geben. Bei Herrn Waigel ist es ein bißchen schwieriger.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Er hat sich ja gedrückt; er war etwas müde heute; er hinkt hintendrein. Er war aber der einzige in den letzten zwei Monaten, der überhaupt noch das Sieben-Punkte-Papier der Opposition hier zur Sprache gebracht hat.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Waren Sie am letzten Donnerstag nicht im Plenum?)

    Das ist natürlich bei dem Papier von Graf Lambsdorff etwas anders. — Mich freut es, daß der Oppositionschef selbst so munter wird.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Vorschläge von Graf Lambsdorff haben aus verschiedenen Gründen ein aufgeregtes Echo gefunden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch bei Frau Schuchardt!)

    Ich erinnere mich an manche Vorschläge eines ebenfalls sehr engagierten Liberalen, nämlich Thomas Dehler, der sich ebenfalls als Politiker die Freiheit herausgenommen hat, manchmal auch einseitige, aber im besten Sinne radikale, d. h. an die Wurzel gehende Vorschläge zu machen. Es wäre ein trauriges Parlament, wenn es nicht möglich wäre, solche Vorschläge hier zu diskutieren. Und es wäre eine traurige Gesellschaft und ein sehr schlechtes Zeichen für die Interessenverbände, wenn sie nicht in der Lage wären, sich mit solchen Vorschlägen konkret auseinanderzusetzen.

    (Beifall bei der FDP)

    Lassen Sie mich daher zu den zwei Hauptvorwürfen Stellung nehmen, die sowohl von den Sozialdemokraten — nicht so heute; Herr Roth war ja sehr gemäßigt im Parlament, aber wir lesen auch die Presse —, aber auch von Teilen meiner eigenen Partei erhoben werden. Ich halte sie für wichtig; sie sollten hier einmal im Parlament diskutiert werden.
    Der erste Vorwurf ist, es sei ein einseitiges Konzept, es sei weitgehend eine Übernahme einer Politik von Reagan oder von Frau Thatcher. Das hat auch hier eine Rolle gespielt. Zweitens wird gesagt, ein solches Konzept würde den sozialen Frieden in der Bundesrepublik gefährden. Das ist ein sehr, sehr heftiger Vorwurf, den wir beantworten müssen.
    Zum ersten Vorwurf: Zugegeben, diese Vorschläge betonen sehr stark die Angebotsseite. Das ist aber auch nur konsequent. Denn nur mit einer Verstärkung der Investitionsquote schaffen wir Arbeitsplätze. Es ist richtig: es gab bisher in keinem westlichen Industrieland ein Konzept, das so konsequent Spielraum für Investitionen freigesetzt hätte und das so viele Mittel im Haushalt im sozialen Bereich umverteilen möchte zugunsten von privaten und — ich betone es für unsere Kollegen von den Sozialdemokraten — auch von öffentlichen Investitionen. Es wird Gewaltiges umgeschichtet. Ich kenne bisher kein SPD-Programm, das mehr Mittel zugunsten von arbeitsplatzschaffenden Investitionen mit konkreten Vorschlägen umschichten würde.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, gerade an diesem Punkt ist kein Koalitionsvorwurf angebracht, denn richtig ist, daß das Regierungsprogramm 1980 herausstellt: Dieses Jahrzehnt muß ein Jahrzehnt der Investitionen und nicht des Konsums werden. — Diese starke Betonung der investiven Seite raubt uns aber keinesfalls den Blick für die Nachfrageseite. Es handelt sich also hier nicht um eine Übernahme von Reaganscher Politik oder um eine Politik des Monetarismus.
    Die Begründung lautet — ich will auf das eingehen, was Herr Roth sagte —:
    Erstens. Die konsequente Umschichtung im Staatshaushalt stärkt gerade die investive Nachfrage, die zu Arbeitsplätzen führt.
    Zweitens. Nur die hier erstmals — nicht nur verbal wie im Sieben-Punkte-Programm, Herr Waigel — auch durch Zahlen konkretisierte Begrenzung der Abgaben- und Steuerlast läßt die reale Kaufkraft nicht weiter absinken. Wir sind uns auch mit vielen Betriebsräten darin einig, daß die reale Kaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland durch heimliche Steuererhöhungen und durch ständiges Ansteigen der Soziallasten eingeschränkt wurde.

    (Beifall bei der FDP)

    Das ist die heftigste Kompression der privaten Nachfrage.

    (Dr. Spöri [SPD]: Reagansche Politik! Das Ganze ist ein gigantischer Mißerfolg!)

    — Das ist nicht Reagansche Politik. Ich darf noch einmal wiederholen für meinen Kollegen Spöri, den ich sehr schätze: Es werden erstmalig konkrete Vorschläge gemacht, wie es rechnerisch möglich ist, daß die Abgaben- und Steuerquote, die in der Vergangenheit die Hauptursache für die Reduzierung der realen Massenkaufkraft in der Bundesrepublik Deutschland war, zukünftig nicht mehr steigt.
    Drittens. Erst ein lang- oder mittelfristig angelegtes und verbindliches Konzept schafft Vertrauen



    Dr. Haussmann
    und baut Angstsparen ab. Meine Damen und Herren, nur eine Zahl: Der Anstieg der Sparquote um 1 % führt zur Zeit zu einem Nachfrageentzug von 10 Milliarden DM. Diese Größenordnung gilt es zu bewegen.
    Viertens. Es ist kein einseitiges Konzept, weil sowohl die Angebotsseite als auch die Nachfrageseite in unserer Ökonomie nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern enge Zusammenhänge aufweisen. Im Gegenteil, ein gutes, kostengünstigeres Arbeitsangebot schafft sich neue, zusätzliche Nachfrage und damit Arbeitsplätze. Das beste Beispiel sind inzwischen 6 Millionen Schwarzarbeiter in der Bundesrepublik, die parallel über einen regulären Arbeitsplatz verfügen, die aber zeigen, daß es Nachfrage nach einem kostengünstigeren Angebot gibt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das müssen Sie der Regierung weitersagen!)

    Ich möchte zu dem ersten Vorwurf zusammenfassend sagen: Es handelt sich nicht um ein einseitiges angebotsorientiertes Konzept, sondern es ist ein modernes ökonomisches gemischtes Konzept. Liebe Kollegen, es können beim besten Willen auch keinerlei monetaristische Züge à la England entdeckt werden. Im Gegenteil, partiell wird sogar die Geldversorgung für investive Zwecke und die Sorge um die Stabilität — ich erinnere an die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 %, die im Gespräch ist — eindeutig — bisher ist das in der FDP nicht so konsequent verfolgt worden — dem Ziel der Wiedererlangung der Vollbeschäftigung untergeordnet. Wer dieses Konzept als einseitiges kapitalistisches Unternehmerkonzept diffamiert, ist nicht auf der Höhe moderner Ökonomie

    (Beifall bei der FDP)

    und entfernt sich im übrigen auch vom wirtschaftspolitischen Sachverstand geschätzter Sozialdemokraten wie Claus Dieter Arndt, Karl Schiller, Alex Möller oder Manfred Lahnstein.

    (Roth [SPD]: Das Urteil von Alex Möller über bestimmte Papiere wird sicher noch veröffentlicht!)

    — Ich bin auch gern dazu bereit, mich damit auseinanderzusetzen, denn angesichts der Pleiten und der erschreckenden Eigenkapitalbasis unserer mittelständischen Wirtschaft, der wir immerhin über 60 % der Arbeitsplätze und über 70 % der Ausbildungsplätze verdanken, ist die Verbesserung der Investitionsbedingungen nicht gerade Ausdruck klassenkämpferischen Verteilungsdenkens, sondern sie ist arbeitsmarktpolitisch geboten.
    Ich komme zum zweiten Vorwurf, nämlich dieses Konzept gefährde den sozialen Frieden; oder noch drastischer: es sei mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar.

    (Daweke [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt?)

    Meine Damen und Herren, ein solcher Vorwurf, der in der Öffentlichkeit wiederholt erhoben wurde, ist aus meiner Sicht unerträglich, wenn er an einzelnen konkreten Vorschlägen festgemacht wird.
    Ich möchte ein Beispiel nennen. Was Wolfgang Roth hier gesagt hat, ist einer von alternativen Vorschlägen, d. h. es soll darüber diskutiert werden, ob kurzfristig und abhängig von der Familienlage das Arbeitslosengeld eventuell am Anfang abgesenkt werden könnte.
    Darüber kann man mit qualifizierten Sozialpolitikern diskutieren. Es geht nicht um diesen Arbeiter, der hier dargestellt wurde.

    (Roth [SPD]: Den interessiert das gar nicht! Von 750 DM kann man nicht leben!)

    Wir machen es von anderen Kriterien abhängig.
    Es geht um zwei Dinge, Herr Roth. Ein Freund von mir, ein qualifizierter Textilingenieur, schrieb mir vor kurzem, er sei durch den Konkurs seines Betriebs arbeitslos geworden. Er habe innerhalb von vier Tagen einen Arbeitsplatz beim größten Konkurrenten gefunden. Er habe sich aber bei dieser Gelegenheit des Arbeitsplatzwechsels erlaubt, ein halbes Jahr Arbeitslosenunterstützung zu beziehen. Er habe in dieser Zeit neben dem Erwerb des Segelscheins A auf dem Bodensee zwei ausgedehnte Sprachkurse absolviert.

    (Lambinus [SPD]: Das erzählen Sie mal in Ihrem Wahlkreis!)

    Gegen diese Weiterqualifizierung ist nichts zu sagen. Es ist aber die Frage, ob ein Mann in dieser Position — —

    (Erneuter Zuruf des Abg. Lambinus [SPD])

    — Ich diskutiere darüber in meinem Wahlkreis. Ich bin sogar bereit, Ihnen Betriebsräte in meinem Wahlkreis zu benennen, mit denen man intern über solche Fragen reden kann. Das muß auch hier möglich sein.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lambinus [SPD]: Aber nicht so verallgemeinernd! — Gegenrufe von der CDU/ CSU)

    — Ich habe es konkretisiert und differenziert. Ich möchte die Wogen der Aufregung glätten. Es sollte in einem Parlament möglich sein, über Vorschläge zu diskutieren, die alternativ und differenziert gemacht wurden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Haussmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Tut mir furchtbar leid; ich habe noch zwei wichtige Punkte angekündigt. Wir sind im selben Ausschuß und kennen uns so gut, daß wir das klären können.

    (Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

    Nach meiner festen Auffassung wird die Erfüllung des Sozialstaatsgebots nicht gefördert durch die sozialpolitische Veränderung einer Einzelmaßnahme, durch die Veränderung eines bestimmten Steuerprivilegs oder durch die Veränderung einer Subvention.



    Dr. Haussmann
    Nein, unser demokratisches System wird bedroht durch Massenarbeitslosigkeit, durch eine Verschärfung unserer Haushaltsprobleme und durch die Angst der Menschen um die Nichtfinanzierbarkeit unserer sozialen Sicherungssysteme.
    Daher erfordert nach unserer Meinung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Unterordnung anderer bisher liebgewordener Teilpolitiken. Sie erfordert ein sozialpolitisches, bildungspolitisches, forschungspolitisches Umdenken, das sehr schmerzlich ist.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Richtig!)

    Darin liegt der neue Ansatz, der auch nicht in den sieben Punkten der Opposition enthalten ist, nämlich daß andere Politikbereiche dem Beschäftigungsziel untergeordnet werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, das Sozialstaatsgebot kann auch nicht bedeuten, daß wir unsere Gesellschaft weiter in zwei Klassen spalten, nämlich in die Arbeitsbesitzer, an deren Privilegien überhaupt nichts mehr geändert werden darf, und diejenigen, die über keine Arbeit verfügen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das Sozialstaatsgebot bedeutet also auch — darin bin ich mir mit vielen sozialdemokratischen Kollegen einig —, eine Umverteilung so vorzunehmen, daß diejenigen in Arbeit kommen, die bisher dazu nicht die Chance hatten.

    (Löffler [SPD]: Sehr gut!)

    Meine kritischen Freunde in der eigenen Partei muß ich an das Freiburger Programm und an Karl-Hermann Flach erinnern, der gesagt hat: Es ist das politische Ziel, die praktische Politik an sich verändernde Rahmenbedingungen der Gesellschaft anzupassen. Wenn Karl-Hermann Flach heute noch lebte, würde er dem Beschäftigungsziel Vorrang einräumen. Meine Damen und Herren, das ist ganz wichtig.

    (Beifall bei der FDP — Zuruf des Abg. Roth [SPD] — Zurufe von der CDU/CSU)

    Progressiv ist nicht derjenige Liberale, der am vorhandenen System nichts ändern will, sondern derjenige, der bereit ist, Reformen anzugehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das habe ich damals schon gesagt! — Heiterkeit)

    Ich meine — hierbei handelt es sich um eine private Meinung, aber ich möchte sie gleichwohl vortragen —, der Begriff der sozialen Ausgewogenheit im sprachlichen Sinne trifft nicht völlig das Problem, vor dem wir mit unserer Beschäftigungs- und Sozialpolitik stehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

    Ich meine damit folgendes. Es kann nicht darum gehen, daß rein quantitativ hier etwas weggenommen und rein quantitativ an der anderen Stelle auch etwas weggenommen wird. Ausgewogenheit — wir kennen das aus dem Medienbereich — führt nicht zu
    mehr Qualität, sondern führt zu einem Mischmasch.
    Deshalb muß man Investitionen begünstigen, deshalb muß man die produktiven Verwendungsbereiche begünstigen. Niemand kann dem entrinnen, was Barbier in der „Süddeutschen Zeitung" in einem zentralen Leitartikel aufgezeigt hat, nämlich der Systematik der volkswirtschaftlichen Verteilungstheorie. Wir haben es versucht. Es hat zu mehr Massenarbeitslosigkeit geführt.
    Wir müssen in der Lage sein zu erkennen, woran das liegt. Da haben wir als Liberale kein Alleinvertretungsrecht. Aber wir möchten darüber mit Sozialdemokraten diskutieren. Deshalb möchte ich auch ganz klar sagen, daß die Ergänzungsabgabe nach meiner Auffassung falsch ist.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Rauschender Beifall bei der CDU/CSU!)

    Für den Mittelstand ist es wichtig zu wissen, ob es in einer großen Koalition aus SPD und CDU/CSU, die ich nicht völlig ausschließen kann, zu einer Ergänzungsabgabe käme.

    (Roth [SPD]: Was ist denn mit der Aufrechnung gegen Investitionstätigkeit? Um diese Frage schlängeln Sie sich herum! — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sagen Sie dazu ein Wort!)

    — Dazu komme ich sofort. — Es liegen schon vielzuviele Wortmeldungen von Herrn Albrecht, von Herrn Rommel und von anderen Leuten vor, die klar erkennen lassen, daß die CDU/CDU ebenfalls eine Ergänzungsabgabe anstrebt.
    Ich wäre sofort bereit, mit Investitionen aufzurechnen, wenn wir in Deutschland einen gespaltenen Steuersatz hätten. Wir wollen aber keine schwedischen Verhältnisse, die sich dadurch auszeichnen, daß die Unternehmen ganz gewaltig entlastet werden. Der Haushalt muß ausgeglichen werden.

    (Roth [SPD]: Billig, billig, billig! Jetzt kommt so ein Begriff!)

    — Nein, lieber Wolfgang Roth, das ist nicht billig, sondern ich möchte mich mit Ihnen fachlich auseinandersetzen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Geht das noch?)

    Auch das berühmte Zahnarztbeispiel bringt doch nur etwas, wenn ich nicht sofort den Mittelständler und den Selbständigen treffe. Unsere Steuersystematik ist aber so, daß eine Ergänzungsabgabe nicht nur den Zahnarzt, sondern auch den Mittelstand träfe. Das schwedische System ist wohl eine Alternative. Nur: es hat dazu geführt, daß zwar manche Unternehmersteuern gedrückt werden, daß aber der Haushalt ausgeglichen werden muß durch eine drastische Erhöhung aller Privatsteuern mit den bekannten Konsequenzen der Steuerflucht. Deshalb kann das nicht unser Weg sein.
    Ich möchte zusammenfassen: Entscheidend für uns ist, daß die wirtschaftliche Basis erneuert wird, auf der die soziale Sicherung überhaupt nur eine Chance hat.



    Dr. Haussmann
    Lassen Sie mich zum Schluß noch zwei Dinge sagen. Zunächst an die CDU/CSU gewandt: Meine Damen und Herren, das Papier ist eine Woche alt. Herr Dregger hat heute morgen wiederholt, es werde geprüft. Herr Kohl hat eine Prüfung zugesagt. Es wird keine Konkretisierung der CDU/CSU-Vorschläge kommen. Das, was Herr Waigel angedeutet hat, das Sieben-Punkte-Programm, ist unkonkret. Dort, wo es konkret werden müßte, gibt es einen Verweis in der Fußnote: siehe Wahlprogramm 1980. Das würde also bedeuten, die CDU/CSU hätte ausgerechnet in ihrem Wahlprogramm konkretisiert, wie man im Haushalt umschichten kann, welche Sozialausgaben gekürzt werden können und welche Subventionen abzubauen sind.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Lesen Sie es noch einmal! Vielleicht haben Sie es gar nicht gelesen!)

    — Ich habe es hier. Schon beim letzten Mal ist es nicht gelungen, das zu konkretisieren.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Die einzige bemerkenswerte sachliche Würdigung, die das Papier erfahren hat, hat Herr Stoltenberg vorgenommen. Das Interview in der „Welt" ist übrigens der einzige Beitrag eines Politikers außerhalb der FDP, in dem sich jemand mit der Sache beschäftigt hat. Alles andere sind koalitions- und machtpolitische Erwägungen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Was machen Sie denn für einen Eiertanz, Herr Kollege?!)

    Es ist traurig, daß angesichts einer Massenarbeitslosigkeit von bald 2 Millionen im nächsten Jahr ein solches Konzept nicht fachlich, in Ruhe und unabhängig von koalitionspolitischen Erwägungen diskutiert werden kann.

    (Beifall bei der FDP — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sie müssen uns doch Zeit lassen, das zu prüfen! — Kolb [CDU/CSU]: An diesem Papier ist monatelang gearbeitet worden!)

    Ich möchte schließen und, an die Sozialdemokraten gewandt, sagen: Wenn man bereit ist, dieses Konzept fair zu prüfen,

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das tun wir!)

    müßte man sicher drei Punkte sehen. Erstens. Beschäftigungspolitik hat für Freie Demokraten Vorrang.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sowieso!)

    Zweitens. Die Rolle der öffentlichen Investitionen wird gesehen. Sie wird durch konkrete Vorschläge, über die man diskutieren muß, verstärkt. Drittens. Die Nachfrageseite wird keinesfalls vernachlässigt.
    Ich erlaube mir ein letztes Zitat. Dieses Konzept ist gestern so gewürdigt worden:
    Der Geist dieser Konzeption von Eigenverantwortlichkeit kann auch Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht fremd sein.
    Ich glaube, man sollte darauf vertrauen, daß die Mitglieder der Fraktion der FDP auch dieses Konzept
    unter dem Gesichtspunkt der sozialen Verträglichkeit verändern können. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der FDP)