Rede von
Helmut
Esters
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Carstens hat soeben davon gesprochen, daß die Zahlen am Ende eines Jahres immer anders als zu Beginn eines Jahres aussehen. Ich will zwei Beispiele dafür nennen, damit Sie dann auch sehen, wie die Prognose-Trefferquote insgesamt aussieht. Es war zu einer Zeit, als Karl Schiller und Franz Josef Strauß Minister waren, und an dem Sachverstand der beiden Herren werden Sie sicherlich nicht zweifeln.
Im Jahre 1967 schätzten die Institute ein reales Wirtschaftswachstum von 2,5 %, der Sachverständigenrat von 3 %, die Bundesregierung von 2 %. Nach Ende des Jahres war es ein Minus von 0,1 %.
— Die Unfähigkeit würde ich dem damaligen Finanzminister Franz Josef Strauß an Ihrer Stelle nicht unterstellen.
Im Jahre 1969 — das sage ich, damit Sie sehen, daß es auch andersherum gehen kann — schätzten die Institute einen realen Anstieg um 3,5%, der Sachverständigenrat von 4,5 % und die Bundesregierung von 4,5 %. Das Ergebnis nach Abschluß des Jahres war ein Plus von 7,9 %. Sie sehen daran, daß es zu den verschiedensten Zeiten, wenn man sich dies zusammennimmt, und in den verschiedensten Situationen unterschiedliche Trefferquoten in der volkswirtschaftlichen Prognose gab.
Der Kollege Carstens hat davon gesprochen, daß unsere Bevölkerung wohl einiges gemerkt habe.
Was sie aber auch will, Herr Kollege Carstens, ist, daß die Abgeordneten, nämlich wir, sachlich und mit Augenmaß gerade in der Finanzpolitik vorangehen.
Der Herr Bundsfinanzminister hat diese Politik heute morgen genau dargestellt. Sie verfolgt den Weg der Mäßigung und der Vernunft zwischen der Hasardeurforderung nach fast unbegrenzter Kreditaufnahme
und den Dr.-Eisenbart-Rezepten von einem fast unbegrenzten, Herr Häfele, Kaputtsparen — so kann man dies nennen.
Uns geht es darum, den Haushalt mittelfristig durch Verminderung der Kreditaufnahme schrittweise zu konsolidieren, ohne durch abrupte Einschnitte die Kaufkraft von Millionen Menschen auf einen Schlag so zu schwächen, daß die Nachfrage nach Gütern zum Schaden für Wirtschaft und Beschäftigte führt.
Das ist nicht nur ökonomisch richtig, sondern auch politisch sinnvoll.
Wenn in diesem Lande, zu Recht, das Eigentum und
die private Verfügungsmacht über die Wirtschaft gewichtige Bestandsgarantien haben, dann muß es
6938 Deutscher Bundestag — 9.Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. September 1982
Esters
auch einen ähnlichen Respekt für solche Leistungen geben, die nach dem Sozialstaatsgebot gewährt werden, soll es nicht zu einer wirklichen Vertrauenskrise im Volke kommen. Dann gehört dies zusammen.
Millionen Menschen, die soziale Leistungen auf Grund von Rechtsansprüchen erhalten, die ihnen dieses Parlament gegeben hat,
haben es nicht verdient, daß man sie einfach als Verfügungsmasse im Zusammenhang mit den jeweiligen Konjunkturverläufen behandelt, die sie selbst nur ganz geringfügig bestimmen können.
Der Weg der Vernunft, den wir gehen, ist im Haushaltsentwurf 1983 und auf der Datenbasis, die ihm zugrunde liegt, der letzten Schätzungsergebnisse, präzise und für jedermann erkennbar beschrieben. Auf dieser Grundlage werden wir in den Ausschüssen die Beratungen aufnehmen und sind selbstverständlich bereit, wenn uns neue ökonomische Daten vorgelegt werden, zu der gegebenen Zeit Korrekturen anzubringen. Es ist aber absurd, schon jetzt den Vorwurf der Unseriosität gegenüber diesem Haushaltsentwurf zu erheben. Zum einen entspricht unser Vorgehen dem absolut üblichen Verfahren hier und auch bei den Haushaltsberatungen in den Ländern, zum anderen wäre es unverantwortlich, einstweilen einfach abzuwarten oder im Vorgriff auf ungesicherte Daten schon jetzt übereilte Schritte zu tun. Der hochempfindliche Verlauf der Konjunktur verlangt, daß der Staat in der Haushaltspolitik sorgfältig und nicht hektisch und panisch reagiert.
Sollten Korrekturen durch neue Daten notwendig werden, dann werden sie, so erklären wir Sozialdemokraten, die Ausgewogenheit und soziale Symmetrie des vorgelegten Entwurfs nach unserem Willen nicht in Frage stellen.
Der Entwurf ist ein Kompromiß, den die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten vor ihrer jeweils verschiedenen Wählerschaft verantworten wollen. Wir Sozialdemokraten halten an diesem Kompromiß fest und werden seine Linie der Ausgewogenheit auch dann fortsetzen, wenn sich Korrekturen wegen neuer ökonomischer Daten als notwendig erweisen sollten. Das ist die größtmögliche Klarheit über die Gestaltung des Haushalts 1983, die heute möglich ist. Und es wird in diesem Hause allgemein anerkannt, daß die Wirtschaft Klarheit braucht, um ihre Dispositionen treffen zu können.
Wenn man ansonsten den verehrten Kollegen Dr. Häfele und meinen Freund Manfred Carstens gehört hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier wieder einmal die Nebelwerfer eingesetzt worden sind.
Ihre Vorstellungen von der Haushaltskonsolidierung sind das bestgehütete Geheimnis in diesem Land.
Noch niemand, Herr Kollege Carstens, wahrscheinlich noch nicht einmal Ihr oberster Vorturner, hat es ergründen können. Einerseits weichen Sie mit der pauschalen Behauptung aus — so auch der Kollege Häfele vorhin —, es sei Aufgabe der Opposition, das zu kritisieren und zu prüfen, was die Regierung vorlege, nicht jedoch, eigene Alternativen zu entwikkeln. Es mag sein, daß Sie mit diesem Rezept an die Regierung gelangen: durch Verkehrung des Wählerwillens hier im Bundestag und durch den Appell an die Ängste von Menschen draußen,
die Regierungen für allgewaltig halten und deshalb von einem Wechsel Wunder erwarten. Mit einer parlamentarischen Opposition im Vollsinn hat das alles allerdings wenig zu tun. Wir halten es mit dem, was Kurt Schumacher hier einmal formulierte, als er sagte: „Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen aufzuzwingen."
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind weder konkret noch positiv, noch haben Sie Vorschläge, die man als Konzept der Opposition bezeichnen kann.
Was Sie haben, ist eine Fülle widersprüchlicher Privatmeinungen in Ihren Reihen. Unter Wahlgesichtspunkten — da gebe ich Ihnen recht — ist es sicher nützlich, daß man jedem etwas bieten kann.
Sie bezeichnen in Ihrem berühmten Sieben-Punkte-Offensivprogramm vom Frühjahr 1982 die Haushaltssanierung mit Recht als vorrangiges finanzpolitisches Ziel und schlagen zuallererst ganz vorsichtig die Beseitigung von Mißbräuchen im System der sozialen Sicherung vor. Wer wünscht dies nicht? Machen wir uns doch gemeinsam daran, auch Mißbräuche auf der steuerlichen Seite abzuschaffen!
Dazu haben wir ja am Freitag morgen einiges an Vorschlägen aus dem Rechnungsprüfungsausschuß auf dem Tisch, worüber wir uns in der Sache einig waren. Ich bin aber sicher: Im Bundesrat wird es nicht gehen. Dann müssen wir es auf beiden Seiten machen.
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Die einen leiten in ihren Reihen aus dieser Abschaffung von Mißbräuchen ab, daß es ohne erhebliche Einschränkungen bei den Leistungsgesetzen keine Trendwende geben kann — das war Herr Stoltenberg —,
während die Sozialausschüsse den Handlungsspielraum für Kürzungen in erster Linie bei den Subventionen und den Finanzhilfen sehen.
— Das liegt Ihnen vor, Herr Kollege Schröder; da müssen Sie nur entsprechend reingucken. Und erläutert hat es Ihnen der Finanzminister.
Ich willen Ihnen einiges von dem sagen, was Damen und Herren Ihrer politischen Couleur in die Landschaft gesetzt haben, weil ich mich bemühen will, dahinterzukommen, was Sie denn nun wirklich im einzelnen wollen. Deswegen muß dies mal gesagt werden.
Die Verschärfung der Zumutbarkeitsregel bei der Arbeitsvermittlung, von der z. B. Ministerpräsident Späth gesprochen hat, haben die Sozialausschüsse als Zumutung an sich bezeichnet.
Herr Geißler schließt Überlegungen zur Bemessung des Arbeitslosengeldes nicht aus. Ministerpräsident Späth will nicht daran rütteln, daß ein Arbeitsloser, der mit 58 Jahren seinen Arbeitsplatz verloren hat, Abstriche hinnehmen soll. Die in Ihrer CDU/CSU bekanntermaßen vorhandene Omnipotenz der Sozialausschüsse führt zu der Versicherung, daß Derartiges nicht gegen ihren Willen durchzusetzen sei. Die einen bei Ihnen sprechen von der Wiedereinführung von Karenztagen.
— Ich sprach von Ihren Leuten, Herr Kollege Friedmann.
Die Mittelstandsvereinigung Westfalen-Lippe hat Vorschläge entwickelt, wonach im Krankheitsfalle alle Arbeitnehmer für drei Wochen ein auf 85 % reduziertes Einkommen bekommen sollen. Die Sozialausschüsse behaupten genau das Gegenteil.
Hier hat man eine Unmenge von verschiedenartigen Vorstellungen, die aus den Reihen der Opposition gekommen sind.
— Ich kann ja nicht alles vorlesen. — Immer dann, wenn es konkret wird, ist bei Ihnen die entsprechende Sendepause. Die Kürzungen bei den Subventionen sind ein Paradebeispiel dafür, wie so etwas gehen kann. „Lineare Kürzungen aller Finanzhilfen" — Abbau der Steuervergünstigungen ging schon wieder nicht — „um 5 bis 10 % im Rasenmäherverfahren", so hieß das alles einmal so schneidig,
Herr Kollge Haase. „Aber bitte nicht beim Schiffbau", meint der Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein,
„und nicht bei Steuervergünstigungen, um Gottes willen, hier könnte doch einmal eine andere Schicht getroffen werden", meinte Herr Dr. Häfele. „Überhaupt nicht pauschal 5 bis 10 % kürzen, sondern gezielt für einzelne Bereiche", meinte der Ministerpräsident Stoltenberg dazu. Sie sehen — und mit dem Bundesrat hat man j a zu tun —, welche Fülle von Vorschlägen aus den Reihen der Opposition da ist.
Wenn es ohnehin nicht genau darauf ankommt und draußen sowieso niemand weiß, was Sie meinen, hat man einen besonderen Punkt im Bereich der Personalausgaben. Herr Geißler hält eine einprozentige Gehaltskürzung als Opfer des öffentlichen Dienstes für zumutbar, während Herr Vogt das Weihnachtsgeld der Beamten kürzen möchte. Zu der sehr viel milderen Verschiebung der Besoldungsanpassung um drei Monate konnten sich die Unionsministerpräsidenten nicht verstehen — aus verfassungsrechtlichen Gründen, so hieß es dann. Wenn ich das Interview richtig verstanden habe, das der Präsident des Bundesverfassungsgerichts vor kurzem gegeben hat, dann dürfte der Punkt vom Tisch sein.
Das heißt mit anderen Worten: während Regierung und damit auch Koalitionsfraktionen ein Gesamtkonzept vorgelegt haben
— ja, sicherlich —, haben Sie immer dann Ihre großen Schwierigkeiten, wenn es darum geht, daß etwas konkretisiert werden soll, was Sie als Nebel verbreitet haben. Denken Sie aber bitte daran, daß man dann, wenn man die Führung im Staate beansprucht und andere Kollegen aus diesem Hause dazu gewinnen will, selbst führungsfähig sein muß. Diesen Nachweis sind Sie in den Beiträgen, die bis jetzt gekommen sind, schuldig geblieben. — Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zumpfort.