Rede von
Rudi
Walther
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, ich bin Ihnen dankbar für diese Bemerkung; Sie werden es mir aber verzeihen, wenn ich sage: Mich können die Kollegen von der Union nicht stören.
Meine Damen und Herren, ich komme auf die Frage der Prognosen zurück. Herr Kollege Häfele, wie schwierig es in dieser Zeit ist, Prognosen für das kommende Jahr aufzustellen, wissen Sie besser als andere. Ich bin gern bereit — wenn die Zeit dafür vorhanden wäre —, Ihnen vorzulesen, was in den vergangenen Jahren aus den Prognosen der sogenannten wirtschaftswissenschaftlichen Sachverständigen geworden ist. Ich muß Graf Lambsdorff in Schutz nehmen.
Graf Lambsdorff hat wirtschaftliche Daten für das kommende Jahr prognostiziert. Ich kann Ihnen aus zwei Zeitungen, die gewiß nicht verdächtig sind, der Sozialdemokratie nahezustehen, der „Frankfurter Allgemeinen" und der „Welt" vom Juli, vorlesen, daß man die Annahmen, die Graf Lambsdorff damals hier vorgelegt hat, nicht für unrealistisch gehalten hat. Ich denke, das ist nicht nur geschrieben worden, um Graf Lambsdorff einen Gefallen zu tun.
Ich sage das deshalb, meine Damen und Herren, weil wir natürlich mit dem einverstanden sind, was auf Vorschlag des Bundeskanzlers die Bundesregie-
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Walther
rung beschlossen hat, nämlich ein Sondergutachten zu erstellen. Nur, meine Damen und Herren, wer glauben möchte, mit einem solchen Sondergutachten fänden wir den Stein der Weisen, den muß ich enttäuschen. Ich bin ganz sicher, daß das, was in einem Sondergutachten oder dem Hauptgutachten steht, in einem Jahr so oder so nicht mehr stimmen wird.
Ich sage das nicht zur Entschuldigung, Herr Kollege Häfele, sondern deshalb, weil wir es zulassen, daß uns der versammelte wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand richtige oder weniger richtige oder gar falsche Prognosen vorgibt, während wir so tun, als hätten diese Leute nie etwas gesagt. Aber die Finanzpolitiker, die daraus Konsequenzen ziehen, also auch Konsequenzen aus falschen Prognosen, werden von Ihnen dafür beschimpft, daß falsche Zahlen vorgelegt worden seien.
Herr Kollege Häfele, Sie haben gesagt, die Regierung solle richtige Zahlen vorlegen. Dazu frage ich in aller Bescheidenheit: Welche Zahlen haben denn die von CDU und CSU regierten Bundesländer ihren Haushalten 1983 zugrunde gelegt?
Gibt es dort bessere, andere Zahlen?
— Also, lieber Herr Kollege Jenninger, über den Doppelhaushalt von Baden-Württemberg wollen wir hier vorn nicht streiten.
Herr Kollege Häfele, in aller Fairneß: Wenn Sie den Vorwurf machen, die Bundesregierung richte sich nach Prognosedaten, die sich im Nachhinein als unrichtig erweisen, dann sprechen Sie den Vorwurf bitte auch gegenüber den Ihrer Partei angehörenden Finanzministern aus, daß sie die gleichen Prognosen ihren Planungen zugrunde gelegt haben! Denn es ist doch wohl kein Geheimnis: In den Haushalten der von der Union regierten Länder haben wir die gleichen Probleme wie beim Bundeshaushalt. Sie können durch einen solchen spektakulären Akt wie den heutigen nicht davon ablenken, daß sich Ihre Parteikollegen in den Länderparlamenten genauso verhalten. Nur, wenn das so ist — ich bin da fair, Herr Kollege Häfele —, dann machen Sie der Bundesregierung bitte keinen Vorwurf dafür, daß sie sich genauso verhält wie Ihre Länderfinanz- und -wirtschaftsminister.
Welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus, meine Damen und Herren? Es ergibt sich die Schlußfolgerung, daß wir dem von Ihnen zu Recht zitierten Verfassungsgrundsatz zu folgen haben. Nächste Woche haben wir den Nachtragshaushalt zu verabschieden. Auch wenn sich im nächsten Vierteljahr bei der Steuerschätzung möglicherweise die eine oder andere Änderung ergibt, bestehen Möglichkeiten, das im Rahmen des Bundeshaushaltsrechts in Ordnung zu bringen. Aber wir müssen dafür sorgen, daß im Nachtragshaushalt der Investitionsteil der Gemeinschaftsaufgabe zum Laufen kommt.
Denn was die Wirtschaft braucht, meine Damen und Herren, sind auch Aufträge der öffentlichen Hand. Wenn wir uns so verhielten wie Sie, so würde das bedeuten, daß wir auch den Investitionsteil des Nachtragshaushalts nicht in Gang setzen können, was für die Konjunktur all die Folgen hat, über die Sie, Herr Kollege Häfele, mindestens genauso Bescheid wissen wie ich.
Zweitens ergibt sich die Folgerung, daß die Bundesregierung auch den Haushalt 1983 in der nächsten Woche so einbringen muß, wie es das Grundgesetz befiehlt. Sie waren es doch, Herr Kollege Häfele, die dieses Urteil in Karlsruhe erstritten haben. Ich sage es einmal vereinfacht, obwohl es komplizierter ist: Der Grundgesetzartikel, der uns verpflichtet, den Haushalt bis Ende dieses Jahres zu verabschieden, gilt wirklich. Wenn das so ist, dann ist es unredlich, Herr Kollege Häfele, heute einen Antrag zu stellen, der uns daran hindert, das Verfassungsgebot zu erfüllen.
Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen, wohlwissend, daß es — das wird nicht bestritten — Veränderungen geben wird. Nur: Ist das etwas Neues? Sie sind lange genug im Geschäft, Herr Kollege Häfele, um zu wissen: Das war jedes Jahr so, auch bei Regierungen, die von Kanzlern der Union geführt worden sind. Es war immer so, daß Veränderungen, die sich im Laufe der Haushaltsberatungen ergeben, mit eingearbeitet werden.
— Das gilt obendrein, Herr Kollege Roth.
Woher wissen Sie, Herr Kollege Jenninger — Sie schauen sehr intelligent aus —, daß es 10 Milliarden DM sein werden? Kommen Sie hierher, sagen Sie: Ich berechne die 10 Milliarden wie folgt. Dann können wir darüber streiten. Aber irgendwo gegriffene Zahlen in die Welt zu setzen — wer immer sie in die Welt setzt — halte ich in dieser Situation für gefährlich.
— Ich sage noch einmal: Wer immer sie in die Welt setzt.
Ich denke, wir werden in wenigen Wochen ein bißchen weiter sein und ein bißchen mehr wissen. Ich halte es aber für einen Aberglauben, zu meinen, daß wir mit dem Sondergutachten, das die Regierung zu Recht angefordert hat, genau wüßten, wie die Konjunktur im September 1983 läuft. Das hängt von einer Menge von Faktoren ab. Ich habe versucht, das einleitend zu sagen. Das hängt vom allgemeinen Zinsniveau ab, das wiederum zu einem erheblichen Teil vom amerikanischen Defizit abhängt. Das hängt auch davon ab — ich will das hier deutlich als Sozialdemokrat sagen —, welche Politik wir in unserem Lande treiben, d. h. das hängt davon ab, ob wir uns endlich dazu durchringen können, auch mit öffentlichen Mitteln Beschäftigung zu schaffen.
Das hängt davon ab, inwieweit es uns gelingt, aus
dem Bundeshaushalt zusätzliche beschäftigungsin-
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tensive — nicht irgendwelche — Investitionen in Gang zu bringen.
— Wissen Sie, wenn Sie den Zwischenruf machen, rate ich Ihnen, einmal einen Vergleich zwischen allen Industrieländern zu ziehen, wer die meisten Schulden hat. Dabei kommen wir prima weg, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, wir lehnen Ihren Antrag aus den Gründen ab, die ich genannt habe. Ich weiß aber, daß öffentliche politische Diskussionen — auch solche wie heute — nicht unbedingt hilfreich für das sind, was notwendig ist, damit unsere Wirtschaft wieder investiert. Deshalb möchte ich zum Schluß dem zustimmen, was Sie, Herr Kollege Mischnick, gestern vor Ihrer Fraktion gesagt haben — ich habe das nachgelesen —: Nicht Sensationen und Lautstärke sind gefragt, sondern Sachkunde und Leistung.
Ich hoffe, daß wir damit als Koalition heute geschlossen den Antrag der Opposition ablehnen können.