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    Plenarprotokoll 9/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 Inhalt: Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 6553 A Begrüßung des Präsidenten des Unterhauses der Republik Indien und einer Delegation beider Häuser des indischen Parlaments 6559 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Weltwirtschaftsgipfel, zum Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland, zum NATO-Gipfel sowie zur Europapolitik Schmidt, Bundeskanzler 6570 C Dr. Kohl CDU/CSU 6577 C Brandt SPD 6587 A Ronneburger FDP 6595 A Dr. Dregger CDU/CSU 6599 D Dr. Ehmke SPD 6603 D Genscher, Bundesminister AA 6609 C Graf Stauffenberg CDU/CSU 6615 D Bahr SPD 6620 A Schäfer (Mainz) FDP 6622 D Dr. Wörner CDU/CSU 6625 D Hansen fraktionslos 6629 C Dr. Barzel CDU/CSU 6632 B Voigt (Frankfurt) SPD 6638 A Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 6640 D Dr. Haussmann FDP 6644 B Pfeffermann CDU/CSU 6646 C Esters SPD 6647 A Frau Schuchardt FDP 6647 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1982 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1982) — Drucksache 9/1576 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksachen 9/1752, 9/1773 — Dr. Warnke CDU/CSU 6648 C Dr. Mitzscherling SPD 6650 B Beckmann FDP 6652 D Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland — Drucksache 9/1572 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 9/1777 — 6655 B Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin — Drucksache 9/1640 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 9/1780 —Wartenberg (Berlin) SPD 6655 C Fragestunde — Drucksachen 9/1757 vom 18. Juni 1982 und 9/1783 vom 23. Juni 1982 — Humanitäre Hilfe im Libanon DringlAnfr 1 23.06.82 Drs 09/1783 Frau Renger SPD DringlAnfr 2 23.06.82 Drs 09/1783 Frau Renger SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . . 6553 B, C, D, 6554 A, B, C, D, 6555 A, B, C,D ZusFr Frau Renger SPD 6553 C, D, 6554D, 6555A ZusFr Köster CDU/CSU 6553D, 6555 C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD . . 6554A, 6555D ZusFr Neumann (Bramsche) SPD 6554B, 6555 B ZusFr Gansel SPD 6554 B, 6555 C ZusFr Böhm (Melsungen) CDU/CSU . . 6554C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6555A ZusFr Frau Schuchardt FDP 6555 B Aussagen von Gerichten über Tierquälerei durch Käfighaltung MdlAnfr 65 18.06.82 Drs 09/1757 Stutzer CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 6556 A, C, D, 6557A ZusFr Stutzer CDU/CSU 6556C,D ZusFr Oostergetelo SPD 6556 D ZusFr Conradi SPD 6557 A Menschenrechtsverletzungen durch Verfolgung von Kurden und christlichen Minderheiten in der Türkei MdlAnfr 12, 13 18.06.82 Drs 09/1757 Thüsing SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . 6557 B, 6558D, 6559 A, B, C, D, 6560 B, C, D, 6561 A, B, C ZusFr Thüsing SPD 6558C, D, 6561 B ZusFr Dr. Pohlmeier CDU/CSU 6559 A ZusFr Waltemathe SPD 6559 A ZusFr Gansel SPD 6559 B ZusFr Neumann (Bramsche) SPD . . 6559 C ZusFr Duve SPD 6559 D ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6560 A ZusFr Frau Schuchardt FDP 6560 B ZusFr Conradi SPD 6560 C ZusFr Dr. Ehmke SPD 6560 D Lage der Kurden in der Türkei; Einstellung der Wirtschafts- und Militärhilfe angesichts der Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten MdlAnfr 14, 15 18.06.82 Drs 09/1757 Gansel SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6561C, D, 6562 A, B, C, D ZusFr Gansel SPD 6561 C, D, 6562 C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6562 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6562 B ZusFr Thüsing SPD 6562 D Entsendung einer internationalen Kommission zur Beobachtung der politischen Massenprozesse in der Türkei MdlAnfr 16, 17 18.06.82 Drs 09/1757 Oostergetelo SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . 6562D, 6563A,B ZusFr Oostergetelo SPD 6563 A, B, C Menschenrechtssituation in der Türkei; Vorlage des Berichts der Bundesregierung MdlAnfr 18, 19 18.06.82 Drs 09/1757 Waltemathe SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6563C,D, 6564 A, C, D, 6565 A, C, D, 6566 A, B, C ZusFr Waltemathe SPD . . . . 6563C,D, 6565 C ZusFr Dr. Pohlmeier CDU/CSU . . 6564A, 6565D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6564 B ZusFr Neumann (Bramsche) SPD 6564C, 6565D ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6564 C ZusFr Dr. Barzel CDU/CSU 6564 D ZusFr Haase (Fürth) SPD 6566A ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . 6566A ZusFr Conradi SPD 6566 B ZusFr Dr. Stercken CDU/CSU 6566 B Hungerstreik in der Bundesrepublik Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei; Unterstützung der Forderungen der Hungerstreikenden MdlAnfr 20, 21 18.06.82 Drs 09/1757 Neumann (Bramsche) SPD Antw StMin Dr. Corterier AA 6566D, 6567 A, B, C ZusFr Neumann (Bramsche) SPD . . 6566 D ZusFr Frau Schuchardt FDP 6567 B ZusFr Thüsing SPD 6567 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 III Hungerstreiks in Westeuropa wegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei; Entsendung einer Delegation der UNO- Menschenrechtskommission in die Türkei MdlAnfr 22, 23 18.06.82 Drs 09/1757 Duve SPD Antw StMin Dr. Corterier AA 6567D, 6568A, B, C ZusFr Duve SPD 6567D, 6568A, C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6568 A Nutzung des NATO-Treffens am 10. Juni 1982 zur Einhaltung der Menschenrechte und Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei MdlAnfr 24 18.06.82 Drs 09/1757 Frau Schuchardt FDP Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6568 C, D, 6569 A, B, C, D, 6570A,B ZusFr Frau Schuchardt FDP . . . 6568D, 6569A ZusFr Thüsing SPD 6569 B ZusFr Dr. Pohlmeier CDU/CSU 6569 B ZusFr Schwarz CDU/CSU . . . . 6569D, 6570 A ZusFr Lattmann CDU/CSU 6570 A ZusFr Dr. Marx CDU/CSU 6570 B Nächste Sitzung 6656 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6657*A Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abg. Hansen (fraktionslos) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin 6657* A Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abg. Niegel (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin 6657* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 6553 108. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1982 Beginn: 8.01 Uhr
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    *) Anlagen 2 und 3 Berichtigung 107. Sitzung, Seite 6540 C drittletzte Zeile: Statt „Mindestalkoholbedarf" ist „Mindestalkoholgehalt" zu lesen. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 6657* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 25. 6. Bahner (Berlin) 25. 6. Frau Geiger 25. 6. Hauck 25. 6. Dr. Müller ** 25. 6. Frau Dr. Neumeister 25. 6. Dr. Riedl (München) 25. 6. Schmidt (Wattenscheid) 24. 6. Schmöle 25. 6. Schröder (Hannover) 25. 6. Schröer (Mülheim) 24. 6. Dr. Stark (Nürtingen) 25. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Hansen (fraktionslos) gemäß § 31 Abs. 1 GO: Zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin gebe ich — zugleich im Namen des Kollegen Coppik — folgende Erklärung ab: Anlagen zum Stenographischen Bericht Zigtausende Berliner Mieter haben in den vergangenen Monaten mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mietpreisbindung ohne wenn und aber gefordert. Sie haben damit in eindrucksvoller Weise ihr Recht auf eine bezahlbare und ordentlich instandgesetzte Wohnung eingefordert. Das vorliegende Gesetz wird dieser Forderung nicht gerecht. Es programmiert Mieterhöhungen, die sich im Einzelfall auf über 10 % im Jahr kummulieren können. Es verschlechtert die Rechtsposition der Mieter und verschlimmert weiter die katastrophale Wohnraumsituation in vielen Teilen Berlins. Demokratische Sozialisten lehnen das Gesetz in dieser Form ab. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO: Dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und preisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin kann ich nicht zustimmen. Bereits bei der letzten Verlängerung der Berliner Mietpreisbindung wurde vom Bundestagsausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau von allen Fraktionen, also CDU/CSU, SPD und FDP, beschlossen, daß dies die letzte Verlängerung sei und künftig das Berliner Mietrecht dem im Bundesgebiet geltenden Mietrecht angeglichen werden solle. Ich halte mich an diesen Beschluß gebunden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Die Erfahrung lehrt uns, wie fragwürdig, wie gefährlich der Osthandel auf der Grundlage von Westkrediten geworden ist. Das Beispiel Polens zeigt, wie schnell der Gläubiger von der Schwäche des nicht mehr recht zahlungsfähigen Schuldners abhängig werden kann. Und die ganze Erfahrung der letzten Jahre mit den Ostkrediten zeigt auch, meine Damen und Herren, daß diese



    Graf Stauffenberg
    Kredite nicht der Entspannung, keiner Entspannung gedient haben.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Im Gegenteil — Herr Minister, da bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung —, die Politik der lockeren Ostkredite, der überhöhten Ostkredite hat den kommunistischen Regimen die Qual der Wahl erspart, sich entscheiden zu müssen zwischen den ehrgeizigen Projekten ihrer Hochrüstung einerseits und dem unabweisbaren Bedürfnis ihrer Bevölkerung und dem zivilen Bedarf andererseits.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir sind weiß Gott nicht gegen Osthandel — und das brauchen wir nicht erst nachzuweisen —, im Gegenteil. Aber vor dem Hintergrund der bitteren Erfahrungen und der enttäuschten Hoffnungen müssen wir darauf bestehen: Braucht der Osten und will der Osten westliche Erzeugnisse, westliche Produkte, westliches Wissen, dann soll er dafür zahlen, und zwar redlich zahlen, und nicht der deutsche Steuerzahler, nicht der deutsche Arbeitnehmer und nicht der deutsche Sparer. Hier, meine ich, ist der Ansatzpunkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Allein bei Polen schlagen nun die Zahlungen für Bundesgarantien — und da ist noch nicht der politische Kredit in Höhe von 1,2 Milliarden DM aus dem Jahre 1980, dem Regime Gierek nachgeworfen, dabei — im nächsten Bundeshaushalt mit mehr als anderthalb Milliarden DM zu Buch, ganz zu schweigen von den Verlusten bei Banken und Industriefirmen.
    Da, meine Damen und Herren, werden unendlich viele Arbeitsplätze bei uns gefährdet. Daraus ergeben sich zusätzliche Belastungen des ohnehin schon überforderten Kreditmarktes — einschließlich der Belastung des Zinsgefüges —, weil der ordentliche Rückfluß der ausgeliehenen Gelder ausbleibt. Der Kreditbedarf des Bundes erhöht sich zusätzlich; die geschädigten Firmen werden an Substanz verlieren und damit an ihrer Fähigkeit, Arbeitsplätze neu zu schaffen oder zu sichern.
    Hier gemeinsam mit den Amerikanern anzusetzen wäre vor dem Gipfel und während des Gipfels ein konstruktiver Beitrag im Bündnis gewesen, statt so jämmerliche Kommuniqué-Formulierungen zu finden, wie sie Versailles zu dem Thema geboten hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das wäre konstruktiver gewesen, als vorher markige Worte und nachträglich Überraschung zu verbreiten.
    Der Bundeskanzler hat viel mehr hingenommen als den Zwangsumtausch. Und, meine Damen und Herren von der SPD, er wird auch noch mehr hinnehmen. Dafür werden Sie sorgen — nicht alle, aber viele in Ihren Reihen. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig angesichts der Verfassung der Koalition und auch der Fraktion der SPD.
    Angesichts dieser Umstände scheint die Einladung des NATO-Gipfels nach Bonn und auch die Einladung an den amerikanischen Präsidenten geradezu als ein Akt beachtlicher Tapferkeit und Risikobereitschaft für diese Bundesregierung gewesen zu sein. Das Wagnis hat sich gelohnt. Und wir sind dafür redlich dankbar.
    Aber diese Veranstaltungen haben unseren Besuchern auch die Möglichkeit vermittelt, sich von uns, den Deutschen, ein unmittelbares und eigenes Bild nach all den Diskussionen, Irritationen, Mißverständnissen und Mißlichkeiten in der deutsch-amerikanischen, atlantischen Verständigung zu machen. Ich bin ziemlich sicher, daß viele unserer ausländischen Gäste, Politiker wie Journalisten, diese Gelegenheit genutzt haben.
    Und ich bin sicher, daß sich beispielsweise während der bemerkenswerten Rede des amerikanischen Präsidenten hier von dieser Stelle oben von der Galerie ein noch viel besseres und viel, viel eindrücklicheres Bild von der Realität dieses Hohen Hauses dargeboten hat als für uns unten, Parterre. Natürlich, meine verehrten Kollegen, ist es eines jeden eigene Sache, ob und wann er Beifall spenden will oder nicht. Natürlich kann, Gott sei Dank, bei uns jeder selbst entscheiden, wann er welche Briefe schreiben, unterschreiben will, offen oder nicht offen. Natürlich kann bei uns jedermann für sich politische Einäugigkeit zum moralischen Leitprinzip erheben. Es geht dann um so leichter, wenn man darauf bauen darf, daß der Kritisierte oder gar Beschimpfte einen im Ernstfall verteidigen wird und einen deswegen vor dem Ernstfall verschont. Aber natürlich ist das eine wie das andere, Beifall wie Beifallsverweigerung, eine Art von Demonstration, als solche gedacht und als solche verstanden, auch dort oben auf den Galerien an dem Tag der Rede des Präsidenten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber, meine verehrten Kollegen von der SPD, einige Tage später, am 17. Juni, am Tag der deutschen Einheit, sprach hier an der gleichen Stelle Professor Weichmann, ein Sozialdemokrat. Er sagte — ich darf ihn hier noch einmal in Erinnerung rufen —:
    Eine Mauer, Selbstschußanlagen und Stacheldraht trennen die beiden Deutschland. Die Generation, die drüben in dieser Zeit heranwuchs, hat nie die Freiheit, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf demokratische Wahlen gekannt.
    Professor Weichmann fuhr fort — Sie werden sich daran erinnern —:
    Diese geschichtliche Tatsache ist, wie die jüngsten Ereignisse wieder zeigen, nicht dahin zu deuten, daß das Recht auf Freiheit etwa verjährt wäre.
    An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll „lebhaften Beifall bei allen Fraktionen".
    Aber, verehrte Kollegen von der SPD, ich muß Ihnen schon sagen: Mich fröstelte, als ich sah, daß sich selbst bei diesem Satz in Teilen Ihrer Fraktion und Ihrer Partei jenes Bild der negativen Demonstration



    Graf Stauffenberg
    der Beifallsverweigerung wiederholte wie bei Präsident Reagan. Da wurde deutlich, wie es um Ihre Partei, Ihre Fraktion und die Koalition wirklich bestellt ist.
    Sicher erklärt sich das Schweigen, das man unter Ihren Reihen gefunden hat, nicht daraus, daß die Kollegen an der Richtigkeit dessen gezweifelt hätten, was ihr Parteifreund hier gesagt hat. Ihnen hat nicht gepaßt, daß er es gesagt hat, ebenso wie es vielen von Ihnen nicht gepaßt hat, was der amerikanische Präsident beispielsweise über die Natur des sowjetischen Systems, über das Ausmaß und die Auswirkung kommunistischer Zielsetzung — sprich: Bedrohungen — gesagt hat. Das ergibt dann das eigentliche Dilemma dieser Regierung und dieses Bundeskanzlers.
    Sie stützen sich auf eine numerische Mehrheit. Herr Dr. Kohl hat das heute vormittag schon angesprochen.

    (Unruhe bei der SPD)

    — Das paßt Ihnen nicht; das weiß ich. Aber das macht nichts. Sie müssen es sich dennoch anhören.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Sie stützen sich auf eine numerische Mehrheit, von der wachsende Teile in der gegenwärtigen Weltlage nicht mehr den bedrohlichen Konflikt zwischen Unfreiheit und Freiheit sehen oder auch nur den Konflikt zwischen westlicher Friedenssehnsucht und östlicher weltrevolutionärer Expansionsentschlossenheit.
    Innerhalb der SPD gibt es immer mehr Kollegen, die die gegenwärtige Lage als unversöhnlichen Konflikt zwischen Wahrheit und Entspannung, zwischen Wirklichkeit und Wunsch diagnostiziert haben. Da ergreifen sie klar Partei für den Wunsch und die Visionen. Und wo die Wahrheit, die Realität, der Vision entgegensteht, muß die Wahrheit, die Realität, weichen, weil entspannungsfeindlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese Ihre Antwort auf die Bündnisstrategie des Gleichgewichts, des Realismus, der „flexible response" zur Sicherung des Friedens ist dann die Kaninchenstrategie vor der Schlange. Vielleicht müßte man besser sagen: Es ist die Kuckucksneststrategie, d. h. es wird so lange gefüttert, bis der Bankert erst die eigenen Kinder und dann einen selber aus dem Nest schmeißt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn es in den vergangenen Monaten zu Irritationen, Skepsis, Fragen und Kritik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen gekommen ist, dann war darin nichts Überraschendes, nichts Plötzliches und schon gar nichts Unvorhersehbares. Es handelte sich auch nicht um bloß vorrübergehende Wetterstörungen.
    Die tatsächlichen, die wirklichen Ursachen liegen tiefer. Sie reichen zurück in die Entstehungszeit westlicher Entspannungspolitik. Aber offenbar wird erst jetzt deutlich und sichtbar, daß es von allem Anfang an unüberbrückbare Gegensätze, Herr Ehmke, zwischen der Entspannungsphilosophie des Westens, besonders der Amerikaner, und der Entspannungsdoktrin der SPD, insbesondere der Kollegen Bahr und Brandt gegeben hat.
    Für die westlichen Partner war Detente — Entspannung - immer die Stabilisierung des Gleichgewichts. Für die Vordenker der SPD, die ich genannt habe, war und ist Entspannung dagegen Wandel durch Annäherung und damit Überwindung des Status quo und Überwindung des Gleichgewichts, und zwar gesellschaftspolitisch ebenso wie sicherheitspolitisch. Vielleicht, meine Damen und Herren, hat es deswegen so lange gedauert, bis das hochgekommen ist und sich zu Zweifeln, Fragen und Kritik formuliert hat, weil sich unsere angelsächsischen Partner einfach nicht vorzustellen vermögen, daß irgendein Deutscher, welcher politischen Ausrichtung auch immer, bereit sein könnte, Wesenelemente der Freiheit seines Volks zur Disposition eines Ausgleichs mit dem Osten zu stellen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Sehr gut gesagt! — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Angesichts solcher Zustände in der Koalition, Herr Kollege Ehmke, braucht es niemanden zu wundern, daß in dieser Regierung nichts mehr geht. Ohne die Linken in Ihrer eigenen Fraktion kann der Bundeskanzler nicht amtieren, aber mit ihnen kann er nicht regieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wissen Sie, vor ein paar Wochen hatte der Bundeskanzler gegenüber seinen Genossen noch deftig vom Leder gezogen. Er hat gesagt: „Wer sich an AntiReagan-Demonstrationen beteiligt, fliegt raus!" Würde das heute noch gelten, müßte die SPD auf „Lufthansa" oder — wahrscheinlich besser — „Paninternational" umschulen, um den Bedarf zu dekken.
    Aber derartige Sprüche sind ja längst vergessen, sie interessieren auch längst nicht mehr. Heute scheinen Publizistik wie Öffentlichkeit vollauf mit der Frage beschäftigt — selbstverständlich neben Fußball —, wann der Kanzler das eigene Flugticket lösen läßt. Aber selbst da rührt sich vermutlich gar nicht so schnell etwas, meine lieben Kollegen von der CDU/CSU. Zwischen Hamburg gestern und Hessen morgen ist die Regierung schon, so scheint es, zu schwach geworden, um sich zu verabschieden,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    zu schwach, um zu stürzen; denn selbst Abschiednehmen und Stürzen verlangen Bewegung, und zu der ist sie ja gar nicht mehr fähig.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Verehrter Herr Minister Genscher, der Rigor hat diese Bundesregierung offenbar im Sitzen erwischt, und das Gestänge des Grundgesetzes hindert sie am Umfallen. Diese Zustände kann sich vielleicht die SPD leisten — ich glaube: nicht die FDP —, aber auf



    Graf Stauffenberg
    keinen Fall kann sich das unser Land, unser Volk leisten. Das Interesse unseres Landes und unseres Volkes an Sicherheit und Freiheit kann sich das nicht leisten.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Der Frieden unserer Tage, Herr Kollege Ehmke, wird nicht gesichert durch solche sicherlich sehr interessanten Überlegungen, wie Sie sie hier angestellt haben, die immer sehr lehrreich sind. Der Frieden unserer Tage wird nicht gesichert durch erstarrtes Nichtstun, durch Stillehalten, nicht durch allgemeines Reflektieren, nicht durch passive Obstruktion im Bündnis dort, wo etwas getan werden kann — wie etwa in der Erneuerung der Verhaltensmaximen im Ost-West/West-Ost-Handel —, sondern der Frieden wird nur dann gesichert, wenn Handlungsfähigkeit vorhanden ist.
    Friedenssicherung braucht Entschlossenheit, braucht Handlungsbereitschaft. Da, verehrter Herr Minister Genscher, fehlt es bei dieser Regierung halt furchtbar weit.
    Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Egon Bahr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dregger hat vorhin von der Infamie gesprochen. Daran habe ich mich erinnert, als ich den Vorredner eben gehört habe.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben eine sehr interessante Debatte gehabt,

    (Zuruf des Abg. Reddemann [CDU/CSU])

    nämlich in dem Gedankenaustausch zwischen dem, was Herr Dregger gesagt hat, und dem, was der Bundesaußenminister danach gesagt hat.
    Herr Dregger hat darauf hingewiesen, daß wir im Falle eines Konflikts in der Bundesregierung Deutschland der Hauptkriegsschauplatz wären. Das ist unbestreibar; keine Meinungsverschiedenheit darüber.
    Herr Dregger und Herr Genscher haben darauf hingewiesen, wie gefährlich und zerstörerisch ein konventioneller Krieg mit den modernen Waffen heute wäre. Dieser Hinweis ist nachgerade fast eine Modeangelegenheit. Er stimmt dennoch; denn es ist ohne Zweifel so, daß ein moderner konventioneller Krieg heute in fünf Wochen mindestens soviel zerstören könnte, wie im Zweiten Weltkrieg in fünf Jahren zerstört worden ist. Das ist sehr viel. Aber es ist anders als beim atomaren Krieg nicht das Ende. Deshalb gibt es trotz der Schrecken eines konventionellen Krieges natürlich den qualitativen Unterschied zum Atomkrieg.
    Dabei ist unübersehbar, daß wir in Europa, in Amerika eine Diskussion über die Frage haben, ob die heute gültige Strategie der Abschreckung auf Dauer noch taugt. Da bin ich nun in einem Punkte ganz zufrieden; denn inzwischen hat sich herausgestellt, daß diese Diskussion quer durch die Fraktionen geht. Man kann eben sagen, daß wirkliche Mängel die NATO-Strategie zunehmend unglaubwürdig machen, man kann eben sagen, wie es der Kollege Wörner getan hat, daß es unerträglich sei, wenn die NATO sehr früh Atomwaffen einsetzen müsse. Das schwächt die Möglichkeit der wirksamen Verteidigung, das untergräbt die Glaubwürdigkeit der Abschreckung, weil die Abschreckung unter diesen Umständen immer mehr zu einer Selbstabschrekkung verwandelt wird. Das ist wirklich eine Gefahr. Die Tatsache, daß das in Ihren Reihen gesagt wird, versachlicht eigentlich die Diskussion bzw. sollte sie versachlichen.
    Der Kollege Möllemann hat in anderem Zuammenhang etwas Ähnliches gesagt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß wir eine atomwaffenfreie Zone in Europa ins Auge fassen müßten. Ich bin auf Grund ähnlicher Überlegungen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen: daß wir in Europa eine Zone ins Auge fassen müssen, in der es für Staaten keine Atomwaffen gibt, die nicht darüber verfügen, und zwar unter der Voraussetzung, daß es möglich ist, eine Vereinbarung über das konventionelle Gleichgewicht zwischen NATO und Warschauer Pakt zu erzielen.
    In diesem Zusammenhang muß ich ähnlich wie der Bundesaußenminister etwas über die Erklärung der Sowjetunion vor den Vereinten Nationen sagen, auf den Erstschlag oder auf den ersten Gebrauch von Atomwaffen

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Auf den ersten Gebrauch!)

    — ja, auf den ersten Gebrauch — zu verzichten.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!)

    Zunächst einmal bin ich der Auffassung, daß das eine vertrauensbildende Maßnahme sein kann. Das hat Ihr Kollege, der niederländische Ministerpräsident van Agt, genauso erklärt, ohne daß er deshalb von der CDU/CSU eines Dolchstoßes bezichtigt worden wäre. Aber es ist gar keine Frage: Man darf ein solches Angebot nicht als Trick abtun, wie Sie es getan haben. Man muß dieses Angebot der Sowjetunion nämlich der Erklärung der NATO gegenüberstellen — so wie es der Bundesaußenminister getan hat —, daß von unserer Seite Waffen niemals zuerst eingesetzt werden. Man muß das eine also genauso ernst nehmen wie das andere und muß es durch den Hinweis ergänzen, daß ein Angebot zu Verhandlungen über ein ausgewogenes konventionelles Gleichgewicht zwischen NATO und Warschauer Pakt fehlt. Dieses Verhandlungsangebot muß von der Sowjetunion angemahnt werden. Solange das nicht der Fall ist, werden wir in der NATO nicht in der Lage sein, einseitig eine Veränderung unserer Strategie ins Auge zu fassen.
    Es ist völlig klar — der Bundeskanzler hat heute morgen darauf hingewiesen —, daß wir an der alten Strategie festhalten müssen, solange wir keine neue vereinbart haben. Aber das bringt uns nicht aus der Lage heraus, nicht über neue Strategien und Veränderungen nachzudenken. Wir haben das in der Palme-Kommission getan, die heute morgen schon ein-



    Bahr
    mal erwähnt worden ist, und sind zu dem Ergebnis gekommen, einen atomwaffenfreien Streifen in Mitteleuropa vorzuschlagen, 150 km tief auf beiden Seiten, der von Gefechtsfeld-Atomwaffen frei sein sollte. Dies ist interessanterweise sowohl von dem sowjetischen Vertreter wie von der amerikanischen Regierung mit einem Fragezeichen versehen worden. Beide Nuklearmächte und Supermächte haben dafür dieselben Argumente benutzt. Beide haben gesagt: im Spannungsfall könnte es leicht sein, die Waffen wieder zurückzubringen, und: es sei schwer zu verhandeln, schwer zu verifizieren und sei deshalb militärisch nur bedingt sinnvoll. Beide haben mir gesagt, daß es vielleicht sinnvoller wäre, darüber hinauszugehen und bestimmte Waffenarten schlechthin unter einen Bann zu tun. Diese Kritik der beiden Supermächte kann man ja akzeptieren. Dem Manne kann sozusagen geholfen werden. Man kann ja einen Schritt weiter gehen und bestimmte Waffenarten überhaupt wegnehmen.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler hat es nicht erwähnt, aber sehr wohl bemerkt!)

    Jedenfalls darf nichts unter Quarantäne oder Tabu gestellt werden, was in dieser Diskussion sinnvoll sein könnte und uns weiterbringen könnte.
    — Aber es gibt, Herr Kollege Mertes, in dieser Beziehung jedenfalls keinen Unterschied zwischen dem Bundeskanzler und mir,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Aha!)

    der sogar in New York mit Recht darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Ungeduld der Menschen in unserem Lande wächst: über die Diplomaten, über die Denker, über die Politiker, die immer noch so viel Zeit brauchen, ohne wirklich zu erreichen, was sie sich vorgenommen haben.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist doch keine Übereinstimmung mit Ihrem Vorschlag! Warum hat er den Palme-Vorschlag nicht erwähnt?)

    — Da ich leider nur eine begrenzte Zeit habe, werden wir unsere persönlichen Unterhaltungen vielleicht außerhalb des Plenums fortsetzen.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Reddemann [CDU/CSU]: Das hätte aber auch die anderen interessiert!)

    Aber in diesem Zusammenhang gibt es natürlich den Punkt, daß es schwierig ist, sich zu fragen: wo eigentlich gibt es den Ansatz, den bisher nur mit begrenztem Erfolg gemachten Versuch der Rüstungskontrolle und Abrüstung etwas zu verbessern? Wir sind in der Kommission darauf gekommen, dies unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Sicherheit zu sehen. Damit komme ich auf den Eingang meiner kurzen Bemerkungen zurück. Es ist unbestreitbar, daß jeder Mensch Sicherheit haben will, Sicherheit vor dem Gegner. Es ist klar, daß man sicher ist, wenn man stark ist. Und man ist noch sicherer, wenn man stärker ist. Am sichersten ist man, wenn man dem Gegner auf den Kopf haute. Der Gegner dachte immer genauso. Der Rest ist bekannt, es ist die Geschichte der Kriege.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr witzig!) Heute in der Situation der gegenseitig gesicherten Zerstörung durch weittragende Atomraketen ist es nicht mehr möglich zu siegen. Die Hoffnung auf Sieg ist ausgelöscht.


    (Zustimmung bei der SPD)

    Dies ist die Grundlage der Erkenntnis, daß man Sicherheit nicht mehr vor dem Gegner, sondern nur noch mit dem Gegner bekommt.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gibt nur noch gemeinsame Sicherheit.