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ID0910817000

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    Plenarprotokoll 9/108 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 108. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 Inhalt: Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 6553 A Begrüßung des Präsidenten des Unterhauses der Republik Indien und einer Delegation beider Häuser des indischen Parlaments 6559 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Weltwirtschaftsgipfel, zum Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland, zum NATO-Gipfel sowie zur Europapolitik Schmidt, Bundeskanzler 6570 C Dr. Kohl CDU/CSU 6577 C Brandt SPD 6587 A Ronneburger FDP 6595 A Dr. Dregger CDU/CSU 6599 D Dr. Ehmke SPD 6603 D Genscher, Bundesminister AA 6609 C Graf Stauffenberg CDU/CSU 6615 D Bahr SPD 6620 A Schäfer (Mainz) FDP 6622 D Dr. Wörner CDU/CSU 6625 D Hansen fraktionslos 6629 C Dr. Barzel CDU/CSU 6632 B Voigt (Frankfurt) SPD 6638 A Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . 6640 D Dr. Haussmann FDP 6644 B Pfeffermann CDU/CSU 6646 C Esters SPD 6647 A Frau Schuchardt FDP 6647 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1982 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1982) — Drucksache 9/1576 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksachen 9/1752, 9/1773 — Dr. Warnke CDU/CSU 6648 C Dr. Mitzscherling SPD 6650 B Beckmann FDP 6652 D Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland — Drucksache 9/1572 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 9/1777 — 6655 B Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin — Drucksache 9/1640 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — Drucksache 9/1780 —Wartenberg (Berlin) SPD 6655 C Fragestunde — Drucksachen 9/1757 vom 18. Juni 1982 und 9/1783 vom 23. Juni 1982 — Humanitäre Hilfe im Libanon DringlAnfr 1 23.06.82 Drs 09/1783 Frau Renger SPD DringlAnfr 2 23.06.82 Drs 09/1783 Frau Renger SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . . 6553 B, C, D, 6554 A, B, C, D, 6555 A, B, C,D ZusFr Frau Renger SPD 6553 C, D, 6554D, 6555A ZusFr Köster CDU/CSU 6553D, 6555 C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD . . 6554A, 6555D ZusFr Neumann (Bramsche) SPD 6554B, 6555 B ZusFr Gansel SPD 6554 B, 6555 C ZusFr Böhm (Melsungen) CDU/CSU . . 6554C ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 6555A ZusFr Frau Schuchardt FDP 6555 B Aussagen von Gerichten über Tierquälerei durch Käfighaltung MdlAnfr 65 18.06.82 Drs 09/1757 Stutzer CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML . . 6556 A, C, D, 6557A ZusFr Stutzer CDU/CSU 6556C,D ZusFr Oostergetelo SPD 6556 D ZusFr Conradi SPD 6557 A Menschenrechtsverletzungen durch Verfolgung von Kurden und christlichen Minderheiten in der Türkei MdlAnfr 12, 13 18.06.82 Drs 09/1757 Thüsing SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . 6557 B, 6558D, 6559 A, B, C, D, 6560 B, C, D, 6561 A, B, C ZusFr Thüsing SPD 6558C, D, 6561 B ZusFr Dr. Pohlmeier CDU/CSU 6559 A ZusFr Waltemathe SPD 6559 A ZusFr Gansel SPD 6559 B ZusFr Neumann (Bramsche) SPD . . 6559 C ZusFr Duve SPD 6559 D ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6560 A ZusFr Frau Schuchardt FDP 6560 B ZusFr Conradi SPD 6560 C ZusFr Dr. Ehmke SPD 6560 D Lage der Kurden in der Türkei; Einstellung der Wirtschafts- und Militärhilfe angesichts der Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten MdlAnfr 14, 15 18.06.82 Drs 09/1757 Gansel SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6561C, D, 6562 A, B, C, D ZusFr Gansel SPD 6561 C, D, 6562 C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6562 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6562 B ZusFr Thüsing SPD 6562 D Entsendung einer internationalen Kommission zur Beobachtung der politischen Massenprozesse in der Türkei MdlAnfr 16, 17 18.06.82 Drs 09/1757 Oostergetelo SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . 6562D, 6563A,B ZusFr Oostergetelo SPD 6563 A, B, C Menschenrechtssituation in der Türkei; Vorlage des Berichts der Bundesregierung MdlAnfr 18, 19 18.06.82 Drs 09/1757 Waltemathe SPD Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6563C,D, 6564 A, C, D, 6565 A, C, D, 6566 A, B, C ZusFr Waltemathe SPD . . . . 6563C,D, 6565 C ZusFr Dr. Pohlmeier CDU/CSU . . 6564A, 6565D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 6564 B ZusFr Neumann (Bramsche) SPD 6564C, 6565D ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6564 C ZusFr Dr. Barzel CDU/CSU 6564 D ZusFr Haase (Fürth) SPD 6566A ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . 6566A ZusFr Conradi SPD 6566 B ZusFr Dr. Stercken CDU/CSU 6566 B Hungerstreik in der Bundesrepublik Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei; Unterstützung der Forderungen der Hungerstreikenden MdlAnfr 20, 21 18.06.82 Drs 09/1757 Neumann (Bramsche) SPD Antw StMin Dr. Corterier AA 6566D, 6567 A, B, C ZusFr Neumann (Bramsche) SPD . . 6566 D ZusFr Frau Schuchardt FDP 6567 B ZusFr Thüsing SPD 6567 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 III Hungerstreiks in Westeuropa wegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei; Entsendung einer Delegation der UNO- Menschenrechtskommission in die Türkei MdlAnfr 22, 23 18.06.82 Drs 09/1757 Duve SPD Antw StMin Dr. Corterier AA 6567D, 6568A, B, C ZusFr Duve SPD 6567D, 6568A, C ZusFr Voigt (Frankfurt) SPD 6568 A Nutzung des NATO-Treffens am 10. Juni 1982 zur Einhaltung der Menschenrechte und Wiederherstellung der Demokratie in der Türkei MdlAnfr 24 18.06.82 Drs 09/1757 Frau Schuchardt FDP Antw StMin Dr. Corterier AA . . . . 6568 C, D, 6569 A, B, C, D, 6570A,B ZusFr Frau Schuchardt FDP . . . 6568D, 6569A ZusFr Thüsing SPD 6569 B ZusFr Dr. Pohlmeier CDU/CSU 6569 B ZusFr Schwarz CDU/CSU . . . . 6569D, 6570 A ZusFr Lattmann CDU/CSU 6570 A ZusFr Dr. Marx CDU/CSU 6570 B Nächste Sitzung 6656 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6657*A Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abg. Hansen (fraktionslos) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin 6657* A Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abg. Niegel (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin 6657* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 6553 108. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1982 Beginn: 8.01 Uhr
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    *) Anlagen 2 und 3 Berichtigung 107. Sitzung, Seite 6540 C drittletzte Zeile: Statt „Mindestalkoholbedarf" ist „Mindestalkoholgehalt" zu lesen. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1982 6657* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 25. 6. Bahner (Berlin) 25. 6. Frau Geiger 25. 6. Hauck 25. 6. Dr. Müller ** 25. 6. Frau Dr. Neumeister 25. 6. Dr. Riedl (München) 25. 6. Schmidt (Wattenscheid) 24. 6. Schmöle 25. 6. Schröder (Hannover) 25. 6. Schröer (Mülheim) 24. 6. Dr. Stark (Nürtingen) 25. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Hansen (fraktionslos) gemäß § 31 Abs. 1 GO: Zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin gebe ich — zugleich im Namen des Kollegen Coppik — folgende Erklärung ab: Anlagen zum Stenographischen Bericht Zigtausende Berliner Mieter haben in den vergangenen Monaten mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mietpreisbindung ohne wenn und aber gefordert. Sie haben damit in eindrucksvoller Weise ihr Recht auf eine bezahlbare und ordentlich instandgesetzte Wohnung eingefordert. Das vorliegende Gesetz wird dieser Forderung nicht gerecht. Es programmiert Mieterhöhungen, die sich im Einzelfall auf über 10 % im Jahr kummulieren können. Es verschlechtert die Rechtsposition der Mieter und verschlimmert weiter die katastrophale Wohnraumsituation in vielen Teilen Berlins. Demokratische Sozialisten lehnen das Gesetz in dieser Form ab. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU) gemäß § 31 Abs. 1 GO: Dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und preisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin kann ich nicht zustimmen. Bereits bei der letzten Verlängerung der Berliner Mietpreisbindung wurde vom Bundestagsausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau von allen Fraktionen, also CDU/CSU, SPD und FDP, beschlossen, daß dies die letzte Verlängerung sei und künftig das Berliner Mietrecht dem im Bundesgebiet geltenden Mietrecht angeglichen werden solle. Ich halte mich an diesen Beschluß gebunden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, das entspricht wohl jener Ankündigung vor 13 Jahren: Wir werden mehr Demokratie wagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die erste Gelegenheit seit der großen Debatte über die Lage der deutschen Politik aus Anlaß der Haushaltsberatungen am 19. und 20. Januar, zu den außenpolitischen Problemen, zum Standort unserer Bundesrepublik Deutschland in einer immer schwieriger gewordenen Weltlage Position zu beziehen.
    Herr Bundeskanzler, wir haben Ihre Regierungserklärung sehr aufmerksam angehört; sie war ja schon seit Tagen als eine große außenpolitische Erfolgsbilanz angekündigt worden. In Wahrheit war sie zum einen die Bilanz einer Regierung, die offenkundig die Führung verloren hat,

    (Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    und zum anderen ein Selbstgespräch des Regierungschefs, der sich vor allem selbst Mut zugesprochen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    Herr Bundeskanzler, ich habe dafür viel Sympathie und auch viel Verständnis, denn wer spricht Ihnen in diesen Tagen noch Mut zu?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Wenn Sie im Schlußkapitel Ihrer Rede — zwar nicht so direkt ausgedrückt, aber für die, die kundige Thebaner sind, gerade noch verständlich — die Mahnung an die Koalitionspartner gerichtet haben, so ist das auch notwendig.
    Nun ist dies heute nicht unser Thema,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und, meine Damen und Herren, mir fällt dazu auch gar nichts Neues mehr ein.

    (Demonstrative Zustimmung bei der SPD und der FDP)

    — Es ist j a sehr symptomatisch,

    (Zurufe von der SPD)

    daß Sie Ihr eigenes Tun auch noch beklatschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn Sie Tonart und Sprache des Umgangs der Koalitionspartner miteinander vergleichen, kann ich nur noch einmal sagen, im Sinne der Sprache des Hohen Hauses fällt uns dazu nichts mehr ein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, was war die Ausgangsposition vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Versailles und vor der NATO-Konferenz in Bonn? Die NATO befand und befindet sich in einer Krise ihres Denkens, der Strategie und des Vertrauens. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinigten Staaten von Amerika sind weiterhin Belastungen ausgesetzt. Das Verhältnis der Deutschen zu ihren Nachbarn bedarf der Klärung und vor allem des Vertrauens. Die freie Weltwirtschaft ist — hier stimme ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, voll und ganz zu — durch immer mehr Protektionismus gefährdet, und mit diesem Mehr an Protektionismus ist die Stellung der Bundesrepublik Deutschland als eine der großen Exporteure von hochentwickelter Technik gefährdet. Die nationalen Wirtschaften sind von Krisen gezeichnet, und das Schicksal von 30 Millionen Arbeitslosen stand auch im Hintergrund des pompösen Wirtschaftsgipfels in Versailles. Die Beziehungen des Westens zur Sowjetunion sind kontrovers geblieben. Wir erleben in diesen Tagen einmal mehr, daß sich das westliche Bündnis weder in der Analyse sowjetischer Politik noch in den Schlußfolgerungen und schon gar nicht im gemeinsamen Handeln einig ist.
    Vor diesem Sachverhalt müssen wir uns die Frage stellen: Was ist das wirkliche Ergebnis dieser Gipfelgespräche? Herr Bundeskanzler, gemessen an den deutschen Interessen, gemessen an der Staatsraison der Bundesrepublik nimmt sich das Ergebnis von Versailles und Bonn auf dem Papier, in den zahlreichen Reden und Dokumenten durchaus gut aus. Gemessen am Notwendigen, gemessen an den erforderlichen Taten, ist der Anteil Ihrer Regierung nicht mehr als eine bescheidene Anzahlung. Ob Sie künftige Raten noch zahlen können, daran haben wir erhebliche Zweifel.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sprachen in Ihrem Schlußkapitel so viel von der Gemeinsamkeit der Koalition. Sie haben den amerikanischen Präsidenten in guter Weise angesprochen und gewürdigt wegen seines Besuchs in Berlin und auch hier. Herr Bundeskanzler, ich verweise Sie aber in diesem Zusamenhang auf den Brief von 59 Kollegen Ihrer Fraktion an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Dieser Brief ist ein einziger politischer Affront gegenüber unserem engsten, wichtigsten Verbündeten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist wahr: Diese 59 Kollegen — insofern muß ich eine öffentliche Erklärung von mir, die einige Tage zurückliegt, korrigieren — haben im letzten Jahr auch einen Brief an Generalsekretär Breschnew gerichtet. Sie haben den Besuch Breschnews als „ein Zeichen des Willens" gewertet, „die Politik der Verständigung fortzusetzen". Sie haben in diesem Brief den sowjetischen Vorschlag für ein Moratorium beim Aufstellen der Mittelstreckenraketen „positiv begrüßt", obwohl doch Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, Sie und der Bundesaußenminister und das gesamte Bündnis diesen Vorschlag entschieden abgelehnt haben. Sie brauchen doch nicht zu uns zu sprechen. Sie müssen zu Ihrer Fraktion sprechen, wenn Sie zu diesem Thema reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, auch das ist bemerkenswert: Ihre 59 Kollegen haben Herrn Breschnew in der Bundesrepublik „willkommen" geheißen, aber es findet sich in dem Schreiben an den amerikanischen Präsidenten kein einziges Wort des Willkommens für den wichtigsten Mann der freien Welt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    An der Friedensdemonstration anläßlich des Breschnew-Besuchs haben sich keine Sozialdemokraten beteiligt. An der Demonstration anläßlich des NATO-Gipfels haben sich viele Sozialdemokraten beteiligt, obwohl dort — dazu hätte ich gern ein Wort von Ihnen gehört, Herr Bundeskanzler — doch ganz aberwitzige Parolen verkündet wurden, beispielsweise die Parole, die NATO bereite aktiv einen Krieg vor, verbunden mit der doch ziemlich ungeheuerlichen Androhung, man werde die Bundesrepublik unregierbar machen, wenn man sich den Forderungen der dortigen Veranstalter nicht unterwerfe.
    Herr Bundeskanzler, wir sind uns einig, daß der Wille, die Kraft, die Fähigkeit und vor allem natürlich die Möglichkeit zu einer friedlichen Demonstration von freien Bürgern in einem freien Land zum Selbstverständnis freiheitlicher Demokratie gehört. Aber es gibt zwischen Demonstrationen mit friedlichen Mitteln, gewaltsamen Reden und dem, was zu gewaltsamen Taten führt, Übergangssituationen. Wenn hier vor Hunderttausenden behauptet wird, die NATO bereite aktiv einen Krieg vor, so ist das



    Dr. Kohl
    eine Verhetzung unseres Volkes, die gänzlich unerträglich ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, mit einem schon erstaunlichen Maß an Opportunismus hier so pauschal Verständnis gegenüber diesen Demonstrationen bekunden, hätte ich gern gehört — und mit mir sehr viele in der Bundesrepublik Deutschland —, daß Sie sich ganz entschieden gegen solche Äußerungen zur Wehr setzen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    zumal Sie doch die Gelegenheit genutzt haben, eine andere Demonstration negativ zu bewerten, für die Sie sich als Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland eigentlich hätten bedanken müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Es ist Ihre Sache, wie Sie unsere Demonstration in München und in Bonn am 5. Juni bezeichnen, ob als überflüssig oder nicht. Wenn Sie wirklich am Gesamtinteresse des Landes interessiert sind, müßten Sie auch als Sozialdemokrat fähig sein, zuzugeben, daß die anderen eine gute Sache gemacht haben und daß Ihre Partei gegenwärtig leider überhaupt nicht fähig ist, an so etwas zu denken. Das ist doch die Situation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben heute Ihren Bericht gehört, Herr Bundeskanzler. Sie wollen jetzt sozusagen einen Erfolg in die leere Scheune einfahren. Die Ergebnisse haben Sie sehr positiv gewürdigt. Aber zur Würdigung deutscher Sozialdemokraten gehört auch die Würdigung Ihres politischen Freundes Egon Bahr, der nicht irgendwo, sondern im Parteiorgan der SPD, im „Vorwärts", dieser Konferenz bescheinigt hat, sie sei „ohne glaubwürdige Perspektive". Was gilt denn nun eigentlich, Herr Bundeskanzler?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Der „Vorwärts"!)

    — Ich glaube, Ihr Einwand ist richtig, Herr Kollege Barzel: Wie immer die wirtschaftliche Lage des „Vorwärts" ist, er wird länger bestehen, als die Amtszeit dieser Regierung währt. Ich glaube, das war ein berechtigter Einwand.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, das Vorstandsmitglied Ihrer Partei Herr Lafontaine erklärte zu den amerikanischen Abrüstungsvorschlägen, die Sie gerade hier gewürdigt haben — er ist doch auch aus der gleichen SPD —, „nur noch Dumme" würden auf den „alten Trick" hereinfallen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist Ihr Problem! — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Nein, ich muß schon sagen: Ich muß den Bundeskanzler gegen diese Art der persönlichen Verunglimpfung durch Herrn Lafontaine in Schutz nehmen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist der Umgangsstil der deutschen Sozialdemokraten, aber nicht unser Stil des Umgangs mit dem Kanzler.

    (Lachen bei der SPD — Conradi [SPD]: Mit der CSU!)

    Die Bundesregierung, Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler — deswegen ist die Debatte in der SPD auch so aus dem Ruder gelaufen —, ist bis heute die Definition der deutschen Sicherheit schuldig geblieben. Die Frage der Sicherheit unseres Landes ist die Kernfrage der Staatsräson, der politischen Kultur, und sie ist die Kernfrage des Bündnisses. In diesem Atlantischen Bündnis fanden wir in 30 Jahren unsere Sicherheit, und ich bin sicher: Wenn es nach der großen Mehrheit unserer Mitbürger geht, wird das auch in Zukunft so sein. In diesem Bündnis ist die Sicherheit garantiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, ich versichere Ihnen: Für eine mit Augenmaß geführte Sicherheitspolitik haben Sie im deutschen Volk und in diesem Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit; daß Sie sie noch in Ihrer eigenen Partei haben, wage ich füglich zu bezweifeln.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der Punkt!)

    Genau das führt zu den Zweideutigkeiten und Zweifeln im Bündnis, und es erlaubt vor allem nicht, die deutschen Interessen — wie es in diesen Zeiten notwendig wäre — im Bündnis wirksam zu vertreten.
    Sie haben soeben Vergangenheitsbewältigung betrieben. Herr Bundeskanzler, ein klares Wort dazu: Wir, die CDU/CSU, haben seit 1949 in der Verantwortung in verschiedensten Bundesregierungen wie auch in der anderen, besonderen Verantwortung als Opposition alle wesentlichen Positionen zur Verteidigung von Frieden und Freiheit unseres Landes mitgetragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, im Ringen um den besten Weg für Frieden und Freiheit lassen wir uns von niemandem überbieten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden selbstverständlich auch in Zukunft, ob in der Opposition oder in der Regierung, unseren Beitrag für Frieden und Freiheit unseres Landes leisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die wirklich gravierenden, schädigenden Angriffe gegen die Friedens- und Sicherheitspolitik des westlichen Bündnisses in der Bundesrepublik kommen doch vor allem aus den Reihen Ihrer eigenen Partei. Die deutschen Sozialdemokraten müssen sich heute die Frage stellen lassen, wie es auf Grund ihrer inneren Zerrissenheit noch mit ihrer Fähigkeit zu einer wirklichen Friedenspolitik, die den Interessen der großen Mehrheit unseres Volkes entspricht, bestellt ist.
    Es ist wahr, Herr Bundeskanzler, in Europa und in der Bundesrepublik geht Angst um. Es ist die Angst



    Dr. Kohl
    vor dem Krieg, es ist die Angst um die wirtschaftliche Zukunft. Es ist vor allem auch die Angst um die politische Kultur unseres Landes, die Angst vor Gewalt, vor Führungslosigkeit und die Angst vor der Unsicherheit.

    (Zurufe von der SPD)

    — Meine Damen und Herren, wenn wir über Angst reden: Sie sind doch die politischen Geschäftemacher mit der Angst in der deutschen Bevölkerung!

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben doch kontinuierlich, bei den Wahlen 1980 in Nordrhein-Westfalen, bei den Bundestagswahlen 1980, bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und jetzt wieder bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg, ihr böses Geschäft mit der Angst unserer Bürger betrieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)

    — Wenn Sie schon diesen Zwischenruf machen, dann erwarte ich, daß der Kollege Brandt oder der Bundeskanzler einmal zu jener Anzeige Position beziehen, die Ihre Unterschrift trägt, die Sie jetzt im Hamburger Wahlkampf veröffentlicht haben, die eine einzige Verleumdung der Union und ihres Spitzenkandidaten in Hamburg war.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, da Sie soeben ganz zu Recht — wir sind gerade beim Aufräumen — vom Zusammenhang zwischen dem inneren und dem äußeren Frieden gesprochen haben, wiederhole ich es: Wer seinen Beitrag zum inneren Frieden nicht leistet, kann dem äußeren Frieden des Landes nicht dienen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer um seines parteipolitischen Überlebens willen immer neue Gräben im Land aufreißt, dient nicht dem Frieden. Sie dienen mit dieser Politik nicht dem Frieden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU zur Regierungsbank: Zuhören! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Wir sind ein freies Land und ein freies Parlament. Jeder kann hier auch äußerlich das demonstrieren, was er demonstrieren möchte, auch der Bundeskanzler.
    Ich sprach von der Angst um die wirtschaftliche Zukunft, von der Angst um die Arbeitsplätze und auch von der Angst um die Grundlagen, die 30 Jahre lang die Sicherheit unseres Landes im Bündnis mit der freien Welt garantiert haben. Die Sorge um den Modus vivendi mit dem hochgerüsteten Nachbarn im Osten paart sich für viele mit der neuen Frage nach dem Ort der Deutschen in Europa. Äquidistanz zu Washington und Moskau wird offiziös angedeutet, so als ob für die Deutschen Angst und Hoffnung nach Ost und West jemals gleichmäßig verteilt wären. Wir haben doch die Erfahrung gemacht, wer uns in kritischen Zeiten zur Seite stand. Wir haben nicht vergessen, daß vor 30 Jahren George Marshall in Harvard seine Rede zur Begründung des Marshallplans gehalten hat. Wir haben nicht vergessen, wer uns in Berlin und anderswo geholfen hat. Es gibt keine Äquidistanz im Verhältnis zu Moskau und Washington.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mißtrauen gegen Substanz und Formen amerikanischer Politik gerät in gefährliche Mode, und Ihre Regierung hat das mit gefördert. Sie persönlich, Herr Bundeskanzler, haben vor ein paar Monaten auf dem SPD-Parteitag in München gegen den amerikanischen Neokonservatismus unter der Flagge des Reaganismus gewettert.

    (Beifall des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

    — Ja, da klatschen Sie. Aber anschließend hat er doch die Beschwichtiger nach Washington geschickt, um dort wieder gut Wetter zu machen. Das Problem ist doch auch in dieser Frage, daß sich die größere Partei der Koalition, die SPD, immer weiter von den wirklichen Sorgen und Nöten des Landes entfernt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das liegt doch daran, daß mit Ihrer Zweideutigkeit, mit Ihrem ideologischen Opportunismus, mit Ihrer Sehnsucht nach neuen deutschen Sonderwegen, mit dem Verlust an Staatsraison und mit der mangelnden Fähigkeit zur Realpolitik die Risiken gewachsen sind. Es ist doch wahr, daß sich Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, vor allem mit sich selbst und ihrer eigenen Auszehrung beschäftigen muß. Sie verwalten die Krise der Innen- und der Außenpolitik. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer die Bilanz dieser Tage zieht, in denen sich die dpa-Meldungen über den Zustand der Koalition aneinanderreihen, der weiß nur noch eins: Geblieben ist bei Ihnen in der Sozialdemokratie der unbedingte Wille, um jeden Preis an der Macht zu bleiben. Das ist die Perspektive, von der Sie ausgehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was wir uns gewünscht hätten — auch heute in Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler —, ist das, was Ihr Freund und Kollege, der französische Premierminister Pierre Mauroy auf dem NATO-Gipfel zum Ausdruck gebracht hat. Er sagte: „Die westliche Welt muß das Vertrauen in die Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen." Er sagte: „In der europäischen Meinung muß der Glauben an die Wirksamkeit der nuklearen Sicherung durch die Vereinigten Staaten gefestigt werden." Er sagte: „Die Europäer müssen davon überzeugt werden, daß die Mittelstreckenkernwaffen nicht da sein werden, um einen begrenzten nuklearen Krieg in Europa zu führen, sondern im Gegenteil, um dem Gegner verständlich zu machen, daß ein solcher begrenzter Krieg unmöglich ist." Er sagte weiter: „Gegen den einseitigen Charakter dieser Kampagne, die die Verteidigungspolitik in Europa und in Amerika in Frage stellt, muß etwas unternommen werden." Er sagte als letztes — Herr Bundeskanzler, hören Sie gut zu; das sagte Ihr Freund Mauroy —: „Wir müssen im Klartext zu unserer Öffentlichkeit sprechen, ihr sagen, welches die Ziele sind und wodurch die Verteidi-



    Dr. Kohl
    gungsanstrengung unseres Landes legitimiert wird." Das sind Worte, Formulierungen und Forderungen, die wir gerne auch von Ihnen an dieser Stelle gehört hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie wissen, der französische Premier hat recht. Die Auseinandersetzung um unsere Sicherheit muß zuerst im eigenen Lande, mit unseren eigenen Mitbürgern, in der Überzeugungsarbeit mit unseren eigenen Kindern geführt werden. Wir müssen im eigenen Lande — in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung — dafür Unterstützung gewinnen. Sie kann aber nicht gewonnen werden, wenn sich die Regierung seit Jahren nur noch von Krise zu Krise schleppt und die Regierungsparteien die richtigen Erklärungen — heute war vieles wieder richtig in Ihrer Erklärung — unterlaufen. Unsere Mitbürger wollen wissen: Wo stehen wir? Wo liegen unsere wirklichen Interessen? Nicht das Prinzip der Entspannung ist tot; die übertriebenen Hoffnungen sind es, die sich daran knüpften,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und die Illusion, man müsse nur daran glauben, dann werde die Wirklichkeit sich fügen.
    Meine Damen und Herren, die jüngsten Beispiele — und hier war heute früh ein erstaunlicher Akt der Beschönigung zu erleben — liegen auf dem Tisch. Wir haben noch alle Ihre Ankündigung im Ohr, Herr Bundeskanzler, als Sie hier im Dezember anläßlich Ihrer Gespräche mit Generalsekretär Honecker erklärten, vieles werde sich im Verlauf dieses Jahres zum Positiven fügen. Gemeint war doch offenkundig, wenn ich noch denken kann, das Jahr 1982. Erwartungen haben Sie geweckt. Politisch-psychologische Gesamtzusammenhänge wurden konstruiert. Vorleistungen wurden erbracht, wie die halbjährige Verlängerung der Swing-Vereinbarung. Jetzt müssen wir feststellen: Den großen Worten sind äußerst unbefriedigende Ergebnisse gefolgt.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Wieder ein Bonbon!)

    Vieles, was vor einem halben Jahr noch gelten sollte, wird heute mühsam vernebelt. Man spekuliert auf die Vergeßlichkeit der Bürger. Mit einem Wort: Die finanzielle Mauer, die zu der anderen schlimmen Mauer mit Schießscharten und Stacheldraht getreten ist, ist für die Menschen in Deutschland nicht kleiner geworden. Eines werden wir doch wohl noch tun dürfen, Herr Bundeskanzler: Sie nach sechs Monaten an Ihre eigenen Worte erinnern. Wir sind ja im Umgang mit Ihnen schon ganz bescheiden geworden. Aber nach sechs Monaten wird man doch wenigstens sagen dürfen: Das alles hatten Sie angekündigt! Deswegen dürfen Sie doch die nicht beschimpfen, die Sie wenigstens nach sechs Monaten noch ernst nehmen mit dem, was Sie gesagt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist überhaupt so eine Sache, wie Sie in Ihrer Amtszeit mit unserer Muttersprache umgehen, mit unseren Worten, wie sie so umformuliert werden.

    (Zuruf von der SPD: Das ist Ihr Problem! — Heiterkeit bei der SPD)

    — Das ist mir ganz klar, Herr Kollege, daß Sie alles begreifen. Das ist ein altes sozialistisches Postulat, und Giovanni Guareschi hat schon einmal einen Genossen dargestellt, der alles begriff, weil er im Parteivorstand war. Sie kennen das alle. Dazu brauche ich nichts zu sagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber ich wäre Ihnen schon dankbar, wenn Sie, der Sie ja offensichtlich alles wissen, mir und anderen und vor allem dem 18- oder 19jährigen Wehrpflichtigen, der j a sagt zur Bundeswehr und seiner Pflicht, einmal den Unterschied zwischen „Entspannung" und „wirklicher Entspannung" klarmachen könnten. Ob Sie bei dem nicht doch den Verdacht erwekken, daß Sie zwar Worte verwenden, aber die Inhalte ganz anders interpretieren?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir machen uns doch in diesem besonders schwierigen und besonders anfälligen Bereich völlig unglaubwürdig, auch für die Diskussion untereinander, wenn wir so die Worthülsen hin- und herschieben. Das ist doch eine Farce. Wenn wir „Entspannung" meinen, brauchen wir doch keine „wirkliche Entspannung".

    (Bindig [SPD]: Sie sind doch Worthülsenmeister!)

    Noch immer, meine Damen und Herren, bleibt die Einsicht, daß in einer Welt, die dazu verdammt bleibt, unter der Drohung ihrer Selbstzerstörung zu leben, Sicherheit nicht im Alleingang zu finden ist. Alte imperiale und hegemoniale Sicherheitsinstinkte täuschen, wie gerade das Beispiel der Sowjetunion zeigt, wo Hochrüstung und wirtschaftliche Dauerkrise einander bedingen. Realpolitik, meine Damen und Herren, muß letzten Endes darin bestehen, die überall drohenden Gegensätze und offenen Konflikte kontrollierbar zu halten und gemeinsam unter dem Imperativ des Überlebens zu handeln. Es mag darin sogar für die Zukunft die Chance von mehr Vernunft liegen. Dies ist, glaube ich, eine unserer Hoffnungen, an deren Verwirklichung wir gemeinsam arbeiten müssen.
    Für die Gegenwart aber, meine Damen und Herren, heißt das, daß es keine Sicherheit mehr gibt, die nicht letzten Endes auf dem Selbstinteresse der Weltmächte beruht, d. h. auf ihrer Verständigung. Die Drohung eines gemeinsamen Unterganges muß heute einen Stillstand der Mächtekonflikte erzwingen. Dies ist für uns alle zu einer Frage des Überlebens geworden — in einem Augenblick, in dem wir wissen, daß sich die Technik der Waffenentwicklung der Kontrolle der Politik zu entziehen droht.
    Meine Damen und Herren, die Werte- und Kulturkrise, die heute so viele, nicht zuletzt in der jungen Generation, als Entfremdung leidend empfinden, hat die Kluft zwischen Technik und Vernunft zum Inhalt. Sie zu überbrücken erfordert eine Verbindung von Staatskunst und praktischer Ethik.



    Dr. Kohl
    Das gilt für die Bundesrepublik Deutschland und überall in der Welt. Wir — und hier stimme ich Ihrem persönlichen Bekenntnis zu, Herr Bundeskanzler —, die Deutschen, haben in diesem Jahrhundert nach zwei Kriegen und all dem Elend, das über unser Volk gekommen ist, viel Erfahrung einzubringen. Das Lebensinteresse und die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland müssen vor allem aus diesem Punkt bestimmt werden. Wer auf tiefe Verständigung im Sinne christlicher Nächstenliebe hofft, nimmt vielleicht seine Chance wahr, enttäuscht zu werden; wer aber die Formel des Oberlebens sucht, die auf einen dauerhaften Frieden hinarbeitet, auf einen Frieden, der auf übergreifenden Lebensinteressen von Ost und West und auf dem Verzicht von Hegemonie- und Weltherrschaftszielen ruht, der muß den Satz hinnehmen, daß es die Teilung der nuklearen Apokalypse war, die bisher ihren Ausbruch verhindert hat. Meine Damen und Herren, so bitter das klingen mag, einfacher wird diese Lektion leider nicht gegeben. Wer sie einfacher gibt, der täuscht die Menschen und vielleicht auch sich selbst. Auch das müssen wir manchem Gutwilligen sagen, der da demonstriert.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Wer unseren Wunsch nach Frieden nicht teilt, der müßte blind sein gegenüber allen Erfahrungen der deutschen Geschichte und allen Gefahren der Zukunft. Wer diesen Wunsch aber mit einem beinahe vernunftlosen Radikalismus verfolgt, wer, meine Damen und Herren, die Gesinnungsethik an Stelle der Verantwortungsethik zum Maßstab der Politik machen will, der wird in die tragische Lage geraten, daß er das, was er gerade erhalten will, zerstören wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer nach der geschichtlichen Erfahrung unserer Generation die Logik des Gleichgewichts absichtlich oder unabsichtlich ignoriert, macht die Welt nicht sicherer; denn dieselben Bedingungen des bewaffneten Gleichgewichts, die in Europa mehr als 30 Jahre hindurch einen wenigstens leidlichen Friedenszustand erhielten, würden, wenn sie entfielen, eine Prämie auf Übermacht und Angriffswillen setzen.
    Meine Damen und Herren, auch wenn viele davon träumen — und es ist ein schöner Traum, das gebe ich zu —, der neue Mensch, die neue Ethik sind nicht in Sicht. Was bleibt, sind die Hilfsmittel der Politik, die Hoffnungen auf die Staatskunst. Die Flucht in die einfachen, in die großen Welterklärungen, für die Sie Ihre Sympathie bekundet haben, in die Gesinnungsethik derjenigen, die Frieden ohne Waffen wollen, enthält auch die größeren Gefahren. Dort, wo Ungleichgewicht entsteht, wo sich ein Machtvakuum auftut und die Disziplin der Realpolitik endet, beginnt nicht das Reich Gottes auf Erden, dort wächst praktisch täglich die Gefahr des Krieges.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir können, wie es Bismarck einst formuliert hat, unsere Uhren voranstellen. Er sagte zu Recht: Davon geht die Zeit nicht schneller. Das bedeutet für uns heute: Wir können die Unfriedlichkeit der Welt nicht durch unsere Wünsche verändern, sondern nur durch Augenmaß in der Politik und ein klares Begreifen unserer Lage und unserer Interessen als Deutsche, als Europäer, die an dem moralischen Widerspruch leiden, daß das Gleichgewicht des Schrekkens mehr bewirkt und den Frieden in Wahrheit effektiver sichert als die Friedenssehnsucht der Völker.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Entspannung, meine Damen und Herren, muß, wenn dieses Wort einen Sinn haben soll, Maß am Gegner nehmen, an jenem Gegner, der Afghanistan mit Krieg überzogen hat mit den Folgen, daß dort weit über 500 000 Menschen in zwei Jahren ihr Leben verloren haben; muß Maß nehmen an einem Gegner, der zehn Jahre westliche Zurückhaltung durch einen ungeheuren militärischen Aufbau honorierte, den er den eigenen Völkern unter Entbehrungen abpreßte; muß Maß nehmen an einem Gegner, der heute in Ost-Mitteleuropa ein Kriegspotential bereithält, das schon durch sein bloßes Vorhandensein die Politik und die Ängste der Menschen beeinflußt und das in Wahrheit doch alle östliche Friedensrhetorik dementiert.
    Wir, die Bürger des freien Teils unseres Vaterlandes, müssen den Führern der Sowjetunion dies immer wieder sagen, weil sie den Westen und sich selbst unter immer schärferen Zugzwang stellen und dabei immer höhere Risiken eingehen.
    Meine Damen und Herren, zur Aufrüstung gehört nur einer; zur Entspannung gehören immer mindestens zwei. Der Westen hat zehn Jahre lang Vorleistungen erbracht. In dieser Zeit hat die Sowjetunion gerüstet und gerüstet. Eine Entspannung aber, die zu sowjetischen Bedingungen zu haben ist, wäre keine Entspannung, sie wäre Diktat und damit Vorstufe zur Unterwerfung und zum Verlust unserer freiheitlichen Lebensform.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Entspannung als Position der Hoffnung muß nüchtern betrieben werden, zu klaren Geschäftsbedingungen, als fortlaufender Prozeß in ständiger Anstrengung und ohne rasche innenpolitisch, wahltaktisch auswertbare Aussicht auf einen dauerhaften, schnell erreichbaren, stabilen Zustand.
    Bevor wieder mehr Sicherheit in die Welt einkehrt, steht uns eine Phase der Ungewißheit und vor allem der geistig-moralischen Anstrengungen bevor. Deshalb wäre es besser und entspräche der Verantwortung einer Regierung mehr, anstatt unerfüllbare Hoffnungen zu wecken, von Kontrolle der Konflikte und Aufbau übergreifender Vernunft zu sprechen. Herr Bundeskanzler, das muß jene Vernunft sein, die aus der Einsicht kommt, daß Ost und West nur gemeinsam überleben werden oder gar nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Für uns heißt das, daß drei wichtige Elemente zusammentreffen.
    Erstens. Die NATO, die durch ihre bloße Existenz die Weltlage in Europa stabilisierte, wird auch im eigenen Lande nicht mehr als Bedingung des Friedens hinreichend wahrgenommen. Wir haben alle zu wenig dazu getan, daß vor allem die junge Generation



    Dr. Kohl
    die NATO begreift als eine Ideengemeinschaft und dann erst als ein Verteidigungsbündnis,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß sich hier Völker mit gleichen Vorstellungen von Bürgerfreiheiten, Verfassungsordnungen, Menschenrechten zusammengeschlossen haben. Gerade unser zögerliches Handeln hat es der Sowjetunion gestattet, dieses Bündnis zu denunzieren als ein Hindernis des Friedens. Viele — viel zu viele für meinen Geschmack — auch im eigenen Land reden diesen sowjetischen Desinformationsartisten einfach nach.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zweitens. Es gibt heute weltweit ein Erschrecken vor dem Selbstzerstörungspotential der technischen Zivilisation, das am stärksten zum Ausdruck kommt in der Vision einer durch Nuklearkriege zerstörten Welt. Und doch, meine Damen und Herren, müssen wir begreifen, daß es die Rechnung sicherer Selbstzerstörung war, die bisher den atomaren Krieg in Mitteleuropa und Gott sei Dank auch den konventionellen Krieg verhindert hat.
    Solange wir den Weltzustand dauerhaften Friedens nicht herstellen können — und nichts spricht dafür, daß unsere Generation dies noch erleben wird —, müssen wir das Kalkül des Schreckens und die Hoffnung auf die menschliche Einheit miteinander verbinden. Die große Aufgabe der kommenden Jahre wird es sein, Mündigkeit angesichts des Schreckens, Kaltblütigkeit angesichts der Bedrohung, Vertrauen zu erzeugen angesichts der Feindschaft, die im Wesen der kommunistischen, der Sowjetideologie liegt.
    Dies alles, meine Damen und Herren, ist für uns, die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, nicht möglich aus einer Position der Distanz, der Kälte, des Mißtrauens zu unseren Freunden in Europa und vor allem in den Vereinigten Staaten. Die deutschen Interessen sind nur aus einer Position der Sicherheit und der Wertebindung zu vertreten, aus der unsere Bundesrepublik aus den Erfahrungen der Nazizeit nach dem Krieg entstand. Außenpolitik und Staatsräson müssen übereinstimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Drittens. Die herkömmliche sowjetische Übermacht im konventionellen Truppenbereich, die die Sowjetunion als Erbschaft der Zaren übernommen hat, wurde immer weiter heraufgeschraubt. Man muß auch das einmal aussprechen, weil wir das in der Debatte über die nuklearen Gefahren fast nicht mehr sagen: Auch der Einsatz dieser konventionellen Mittel wäre für uns in Mitteleuropa tödlich. Darüber darf es keine Illusion geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Die Rote Armee hat auf Weisung des Kreml östlich unserer Grenzen ein Militärpotential aufgebaut, das sie zum Hebel der Politik machen will und machen wird, wenn die Gegenmaßnahmen der NATO ausbleiben.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Was die Lage gegenwärtig — Sie sprachen davon, Herr Bundeskanzler — militärisch ganz besonders bedrohlich macht und auch politisch instabilisiert, ist das Potential der über 700 auf Europa gerichteten SS-20-Sprengköpfe. Auch hier verbindet sich militärischer Druck mit politischer Einwirkung. Der Schrecken, der von diesen Raketen ausgeht, soll politische Reaktionen der Angst bei uns erzeugen. Das ist gewollt; das ist das Ziel dieser Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Jetzt bietet die Sowjetunion das Einfrieren dieses Rüstungsstands an. Militärisch heißt das: Sie hat alle Vorteile. Politisch würde sie weiterhin den Westen und die Bundesrepublik bedrohen.
    Die Kombination von konventioneller Übermacht und eurostrategischen Kernwaffen enthält für die sowjetische Führung immer wieder die Versuchung zu dem politischen Kalkül, die Deutschen aus der NATO herauszubrechen durch Angst, durch Drohungen, durch Versprechungen und Hoffnungen und damit das Kernstück der NATO in Kontinentaleuropa zu zerstören. Die SS-20 erlauben es, eine Bedrohung auf Europa zu richten, die zunächst keine Bedrohung der Amerikaner wäre. Das soll ein politischer Hebel sein, und in Krisenzeiten kann daraus ein Keil werden.
    Unsere Mitbürger, die voll Angst auf diese Schrekkensbilder atomarer Kriege schauen, müssen begreifen — und wir müssen darum kämpfen, daß sie es begreifen —, daß die sowjetische Rüstung einen Doppelcharakter hat: einen militärisch-technischen und einen politisch-psychologischen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Der politische Charakter der sowjetischen Rüstung ist im Grunde der gefährlichere, weil er bei minimalem Risiko der Führung der Sowjetunion die Gegenseite in Angst und Schrecken versetzen und zum tributpflichtigen Vorfeld machen soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es war die Sowjetunion, die durch ihre Überrüstung den Westen in eine Zwangslage versetzt hat; eine Zwangslage, die wir nicht wollten und auch in Zukunft nicht wollen. Wir stehen vor einer militärisch-politischen Doppelstrategie. Das Tragische daran ist, daß selbst die beschwichtigenden Reden der Sowjetführer doppeldeutig sind; gemünzt auf westliche Friedensbewegungen genauso wie auf westliche Staatskanzleien.
    Es gibt öffentlich geäußerte Gedanken aus dem Kreml, die zu Hoffnungen auf ihre Einsicht ermutigen. Aber man muß jetzt von den Worten zu den Taten kommen. Diese Taten sehen so aus, daß die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan abzieht;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß sie ihren osteuropäischen Verbündeten — wir
    denken dabei voller Sympathie an die Polen — das



    Dr. Kohl
    Recht einräumt, ihre eigenen Wege selbst zu bestimmen;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß die Unterdrückung der eigenen Bürgerrechtsbewegungen aufhört; daß sie ein Signal setzt, beispielsweise die Verbannung Sacharows aufhebt;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß sie die westlichen Verhandlungsangebote zur Abrüstung und Rüstungskontrolle ernsthaft aufgreift.
    Präsident Reagan sagte in seiner eindrucksvollen Rede hier bei uns im Bundestag, das „vornehmste Ziel" der diplomatischen Arbeit, die das westliche Bündnis leiste, sei die Aufgabe, den Gegner „auf den Pfad des Friedens zu bringen". Der erste Mann der westlichen Führungsmacht, der Präsident der Vereinigten Staaten — wir sind ihm dankbar dafür —, hat in den letzten Wochen und Monaten viel getan, um diese Aufgabe lösen zu helfen. Mit seinen Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle hat Präsident Reagan vor der Welt klargestellt, daß die Politik des Bündnisses eine Friedenspolitik ist. Er hat der Sowjetunion ein breit angelegtes Programm zum Abbau von Spannungen unterbreitet, vielleicht das weitestgehende Verhandlungsangebot, das die Amerikaner gegenüber der Sowjetunion in diesen Jahrzehnten jemals gemacht haben.
    Es ist nun an der Sowjetunion, die ausgestreckte Hand des amerikanischen Präsidenten zu ergreifen. Wenn die Sowjetunion diese Hand ergreift, könnte sich, wie Präsident Reagan in Berlin sagte, die Tür zu einer Konferenz über Abrüstung in Europa öffnen. Aber nur der feste, unbezweifelbare Wille aller Bündnispartner der Vereinigten Staaten, die Initiativen des Präsidenten zu stützen, kann die Machthaber im Kreml dazu bringen, auf diese Initiativen einzugehen.
    Wir alle wissen, daß es für Europa und die Welt bedeutsam ist, wenn der amerikanisch-sowjetische Dialog über Abrüstung und Rüstungskontrolle erfolglos verlaufen sollte. Wir können uns nur wünschen, Herr Bundeskanzler — ich wünsche das nicht zuletzt und auch Ihnen und Ihrer Regierung —, daß wir in diesem Hause nicht in die Lage kommen, in den nächsten 15 Monaten darüber abstimmen zu müssen, ob der Nachrüstungsbeschluß in Kraft treten muß; denn ich bin voller Zweifel, Herr Bundeskanzler, ob Sie in dieser Frage in Ihrer eigenen Partei noch mehrheitsfähig sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Politik der Sowjetunion ist klar, und wir müssen uns darauf einstellen. Sie verfolgt das Ziel der Isolierung der Bundesrepublik, der Auflösung der NATO und im Verfolg dieser Politik die Quasi-Kapitulation des Westens: aus Schwäche, aus mangelnder Überzeugung, aus wirtschaftlicher Krise und vor allem aus dem Wertezerfall.
    Für viele, die dem Friedensgedanken ehrlich ergeben sind — und auf deren Wort sollten wir hören —, und für manche andere, die es vorgeben, scheint damit ein Endzustand erreicht. Ist das aber wirklich ein Endzustand? Kann eine Macht wie die Sowjetunion, die vor jedem freien Gedanken zurückschreckt, vor jeder freien Gewerkschaft, vor jeder nationalen Regung, vor jedem selbstverständlichen Gefühl eigener Religiosität, die all diese Äußerungen der Menschlichkeit und der Freiheit als tödliche Bedrohung fürchtet, kann eine solche Macht wirklich Frieden bieten? Die Hoffnung auf den ewigen Frieden, eine der ganz großen Menschheitsideen, ist ferner gerückt denn je. Die Macht, die verantwortlich ist für das Archipel Gulag, kann Frieden nur denken — das ist doch die Erfahrung der Geschichte — als Ende aller Bewegungen der Freiheit und der Menschenwürde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Chance des Friedens auch für uns liegt darin, daß die Sowjetunion ihre großen Ressourcen auf die Werke des Friedens wendet, daß sie ihren Völkern jenen Wohlstand schafft und jene Würde erlaubt, die in ihrer Doktrin seit 60 Jahren vergeblich verheißen wird. Eine Sowjetunion, die ein verfehltes, verkrustetes, doktrinäres Wirtschafts- und Gesellschaftssystem menschenfreundlicher gestalten würde, dadurch auch berechenbarer würde, die die eigene innere Friedlosigkeit überwindet, eine solche Sowjetunion wäre in der Tat ein Hoffnungsfaktor der Welt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir in der Bundesrepublik sollten durchaus bereit sein, solche Prozesse zu unterstützen. Noch ist es nicht so weit. Die Gegenwart ist ganz anders. Gerade eine krisengeschüttelte Sowjetunion neigt dazu, instinkthaft aus der Geschichte Rußlands und zwanghaft aus ihrer Ideologie zuviel auf militärische Karten zu setzen. Das ist eine der Tragödien für die Völker in Ost- und Mitteleuropa, und — ich sage es noch einmal — es setzt den Westen und uns unter einen Handlungszwang, den wir gar nicht wünschen. Solange sich die sowjetische Führung weigert, das Postulat der wechselseitigen Abschreckung bei den Ost-West-Verhandlungen als Verständigungsgrundlage zu akzeptieren, sondern darauf besteht, die eigene Sicherheit durch Überlegenheit, durch die Fähigkeit zu siegreicher Kriegführung zu gewährleisten, gibt es keine Sicherheitspartnerschaft, Herr Bundeskanzler, mit der Sowjetunion, sondern eine Sicherheitsgegnerschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sicherheitspartnerschaft ist in hohem Maße erwünscht, aber man kann sie nicht herbeireden. Dazu sind konkrete Taten der Sowjetunion notwendig.
    Die deutschen Interessen sind mit dem Bündnis, mit der westeuropäischen Gemeinschaft und mit einer freien Weltwirtschaft essentiell verbunden. Hier läßt es sich nicht nach allen Seiten offen herumdoktern. Hier müssen wir Stellung beziehen, Partei nehmen für die westliche Wertewelt, für unsere Lebensform.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auch in Ihrer heutigen Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, ist die Malaise Ihrer Regierung wieder deutlich geworden, jene Malaise, die darauf beruht, daß die Kluft zwischen der Hand-



    Dr. Kohl
    lungsfähigkeit der Regierung und der Sorge der Menschen nicht mehr geschlossen werden kann. Die Lebens- und Zukunftsfragen unseres Landes als eines wichtigen integralen Bestandteils des Westens können im Krisenreparaturbetrieb des Kanzleramtes nicht mehr gelöst werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich sage es noch einmal: die Staatsräson der Bundesrepublik muß zur Einheit von Innen- und Außenpolitik führen. Dies kann nur in einer ganz unzweideutigen Anbindung und Einbindung in den Westen geschehen. Ihre Regierung steht in Gefahr, Herr Bundeskanzler, die Grundregeln von Bündnissen zu vergessen: Die Richtung läßt sich nur von innen und nicht von außen bestimmen. Unsere Bundesrepublik ist nur so stabil und nur so berechenbar und erhält bloß so lange Vertrauen, wie sie Kernbestandteil des westlichen Bündnissystems im Wirtschaftlichen und im Militärischen ist. Alles andere würde zu einer tiefen Krise der Bundesrepublik, zu einer inneren Spaltung führen. Die Bundesrepublik, die ein Teil dieses Gleichgewichtes ist, kann sich nicht irgendwo dazwischenstellen und abwarten, oder sie zahlt mit dem Preis ihrer freiheitlichen Existenz.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da wir unsere Geschichte, da wir die Geographie, da wir die Weltlage kennen, erinnern wir uns an diesen Grundsatz der Staatsräson.
    In der äußeren Sicherheit muß die Kombination von Vorwärtsverteidigung und Drohung mit der flexiblen nuklearen Antwort neu durchdacht und dem modernen Erkenntnisstand angepaßt werden.

    (Zuruf von der SPD: „Vorneverteidigung"!)

    Die Aufgabe des westlichen Bündnisses ist es, die Glaubwürdigkeit der Abschreckung zu erhöhen. Gleichzeitig müssen wir auch unsere amerikanischen Verbündeten daran erinnern, daß die meisten Westeuropäer und vor allem auch die jungen Deutschen die allgemeine Wehrpflicht tragen, aber die USA durch den Verzicht darauf in ihren eigenen konventionellen Möglichkeiten eingeengt bleiben. Meine Damen und Herren, im Blick auf Bundeswehr und Wehrpflicht muß eben wieder klar und deutlich werden, daß den Bürgerrechten auch Bürgerpflichten gegenüberstehen und daß die Wehrpflicht zu ihrem Kern gehört.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die militärische Sicherheitsdoktrin ist eng verbunden mit der Handhabung des außenwirtschaftlichen Instrumentariums. Die Ostexportinteressen unserer Industrie sind natürlich wichtig. Und es ist wichtig, gemeinsame Interessen mit der Sowjetunion und mit den anderen Staatshandelsländern auszuweiten und anzunehmen. Aber, meine Damen und Herren, am allerwichtigsten ist es, diese Handelspolitik, diese Kreditpolitik im Rahmen des Westens, im Rahmen des Bündnisses abzustimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Alleingänge, Wettläufe, nationale Egoismen sind zu
    vermeiden; diese stärken den Westen nicht, sondern
    entzweien ihn. Handelsbeziehungen zum Osten sind ihrer Natur nach weder gut noch schlecht, aber sie haben mehrere Dimensionen. Wo es um die Dimension strategischer Güter geht, sollte der Westen nach Lenins viel zitiertem Wort nicht den Strick liefern, an dem er hängen soll, und schon gar nicht auf Kredit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es gibt nationale Interessen, die mehr wiegen — ich hoffe, hier stimmen wir doch überein — als die Exportziffern notleidender Branchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zwischen den führenden Industrienationen ist nichts so wichtig — ich habe hier oft darüber gesprochen — wie die Abstimmung der Ziele. Wir werden unseren Wohlstand und unsere Lebensform nur gemeinsam bewahren oder gemeinsam verspielen. Über die Mittel muß jedes Land bis zu einem gewissen Grad allein entscheiden. Das hat die Bundesrepublik für sich in Anspruch genommen. Das haben andere für sich in Anspruch genommen. Voraussetzung dafür bleiben aber die gegenseitige Unterrichtung und Abstimmung.
    In diesem Zusammenhang bedauert die CDU/ CSU-Fraktion, daß nach unseren Informationen die jüngste Entscheidung der amerikanischen Regierung zum Erdgas-Röhren-Geschäft offenkundig ohne die notwendige Konsultation erfolgt ist, obwohl damit in geltende Vertragsrechte der Bündnispartner eingegriffen worden ist. Aber, Herr Bundeskanzler, zusammen mit dem Bedauern hierüber bringe ich auch mein Bedauern darüber zum Ausdruck, wie Sie heute dieses Ereignis kommentiert haben. Es kann doch keine Rede davon sein, daß jemand in Amerika eine neue Epoche des Kalten Krieges einleiten will; das ist doch absurd.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es kann doch gar keine Rede davon sein, daß ein neuer Handelskrieg vom Zaun gebrochen wird. Ich finde — das gilt für die Amerikaner und gilt für uns, gilt aber auch für Sie persönlich —, man sollte im Bündnis wieder zu einer alten Lebenserfahrung zurückkommen: mehr miteinander und weniger übereinander reden. Ich glaube, das ist das, was notwendig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Wirtschaftsgipfel — wir haben auch darüber heute einiges gehört — haben seit Rambouillet im Herbst 1975 eine lange Tradition. Die äußeren Erscheinungen dieser Gipfel sind immer pompöser geworden, wobei ich hier doch ironisch anfügen möchte, es ist offensichtlich ziemlich gleichgültig, welche parteipolitische Herkunft die Gipfelgastgeber haben; das Pompöse liegt in der Natur der Sache. Je geringer der Inhalt der Beschlüsse, um so pompöser das Auftreten bei solchen Gelegenheiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Conradi Das könnte rückwärts losgehen! — Weitere Zurufe von der SPD)




    Dr. Kohl
    — Herr Kollege, ich nehme an, da Sie sonst die Kargheit vertreten, daß Sie wenigstens an diesem Punkt zustimmen.
    Meine Damen und Herren, diese Art von Gipfeln soll Einigkeit, Geschlossenheit und Entschlossenheit im politischen Handeln der teilnehmenden Staats- und Regierungschefs demonstrieren. So war es auch in Versailles, wo die Staats- und Regierungschefs gemeinsam im Abschlußkommunique den Willen zur Gemeinsamkeit vorgetragen haben. Ich zitiere: Man stimmt darin überein, daß Wachstum und Beschäftigung verstärkt werden müssen. Ja, Herr Bundeskanzler, deswegen hätten Sie nicht nach Versailles fahren müssen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Das hören Sie in diesem Hause von uns seit vielen Jahren, und Sie haben Probleme, dieses Credo Ihrer eigenen Partei nahezubringen. Überlegen Sie einmal, wie Sie dieses Credo und die Münchener Beschlüsse der SPD in Übereinstimmung bringen wollen.
    Auf dem Weltwirtschaftsgipfel wurde mehr an Konflikten deutlich, als die Gemeinsamkeit der Abschlußerklärungen erkennen läßt. Den wohlklingenden Bekundungen in Versailles sind ja auch sofort nationale Maßnahmen gefolgt, die diesen Versprechungen diametral entgegenstehen.
    Sie, Herr Bundeskanzler, haben zu Protokoll gegeben — sozusagen zu Protokoll der Geschichte —, daß die Haushaltsdefizite nicht weiter ausgebaut werden dürfen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Siehe gestriger Nachtragshaushalt!)

    Nun, man wird doch wenigstens noch innerhalb eines Monats daran erinnern dürfen, daß Sie gestern hier doch wieder das genaue Gegenteil mit der Einbringung des Nachtragshaushalts betrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Jeder von uns weiß, daß gerade eine freie moderne Volkswirtschaft in der Form der Sozialen Marktwirtschaft vom Vertrauen lebt. Wie können Sie denn in diesen Zeiten erwarten, daß die Unternehmer Vertrauen in Ihre Politik haben, wenn Sie in Versailles so kluge Sätze unterschreiben, hier aber so falsche Beschlüsse fassen — und zwar binnen vier Wochen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben sich in Versailles zu einer Politik größerer Währungsstabilität bekannt. Ich kann nur bravo rufen. Kaum aber waren Sie zurück, mußte der hochempfindliche Seismograph des europäischen Währungssystems empfindlich reguliert werden. Das ist doch, meine Damen und Herren — ich richte das jetzt gar nicht primär als Vorwurf an Sie —, die Quittung für die wirtschaftlichen und politischen Unterschiede zwischen den Ländern der Gemeinschaft, die schon vor sieben Jahren eingeebnet werden sollten.
    Sie haben sich in Versailles nachdrüclich zur Stärkung eines offenen und unbehinderten Welthandels bekannt; wir unterstützen Sie dabei. Aber kaum waren Sie zurück, haben wir die Nachricht aus Amerika bekommen, über die ich gerade gesprochen habe.
    Ich glaube, Herr Bundeskanzler, Gipfeltreffen dieser Art — wir bejahen sie; sie sind notwendig — können nur erfolgreich sein und nur dann einen Sinn haben, wenn die Manifestationen, die dort getroffen werden, wirklich für alle — das gilt nicht nur für uns, sondern ich sage: für alle — zur Richtschnur nationaler Politik werden. Versailles ist dafür kein gutes Beispiel.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Kein Land ist mehr als wir auf den freien Welthandel angewiesen; kein Land hat ein größeres Interesse an der Sicherung der Europäischen Gemeinschaft als wir. Es ist alles wahr, Herr Bundeskanzler, was Sie vorhin über die Daten, soweit sie das Geld betreffen, im Blick auf die Europäische Gemeinschaft gesagt haben. Aber die Art und Weise, in der Sie hier ganz deutlich mit einem negativen Soupçon den Weg nach Europa begleiten, wird Europa bei seinem Weiterbau nicht helfen; diese Art und Weise hat auch gar nichts zu tun mit dem Genscher-ColomboPlan, der ja auch eine neue emotionale Welle zugunsten Europas fordert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir brauchen Europa mehr als andere, weil wir ein geteiltes Land sind und weil die deutsche Politik nach Osten vor allem auch im Blick auf die Zweiteilung unseres Vaterlandes dieses europäische Widerlager braucht. Wir wissen, daß noch Entscheidendes zu tun ist.
    Das Wichtigste, meine Damen und Herren, ist und bleibt für uns jene geistig-moralische Herausforderung, von der ich sprach: das ist die Fundierung des Bündnisses auf eine gemeinsame Wertordnung. Es ist Mode geworden — und Ihre Regierung hat ja viel Geld für eine eigene Studie ausgegeben, ich denke an die SINUS-Studie, um zu diesem Punkt, nicht gerade sehr aufbauend, tätig zu werden —, Begriffen wie „Freiheit" und „Verantwortung", „Pflicht" und „Vaterland" mit der Frage zu begegnen, wem das nütze.
    Meine Damen und Herren, ein technokratischer Regierungsstil, ein Regierungschef, der die geistige Führung verweigert, eine Regierung und ein Regierungsprogramm, das offensichtlich die moralische Komponente der Politik nicht mehr zur Kenntnis nehmen will, eine solche Politik muß vorhandene Krisenelemente zur Kluft erweitern.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Frage heißt — sie wird uns täglich von vielen im In- und Ausland gestellt —: Wo steht die Bundesrepublik, wohin treibt die Bundesrepublik?

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Die Frage ist für uns nicht zunächst — obwohl sie das auch ist — militärisch und wirtschaftlich gestellt; sie drückt Unruhe, sie drückt Besorgnis, ja, manchmal auch Angst bezüglich der Maßstäbe, der Ziele und der Werte aus, die die deutsche Politik bestimmen müssen.



    Dr. Kohl
    Meine Damen und Herren, diese Unruhe geht nicht nur durch die Hauptstädte des Westens, sie greift auch tief in die Substanz unseres eigenen Landes ein, in das gemeinsame Bewußtsein von Staat und Gemeinwesen. Die Standortbestimmung für die Bundesrepublik Deuschland im Westen haben wir vor über 30 Jahren entschieden. Daran wird nichts geändert, und daran ist nichts zu ändern.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Das, meine Damen und Herren, war militärisch und wirtschaftlich gedacht, aber auch und vor allem aufbauend auf der Wertordnung einer freien Welt, und ohne diese Wertordnung wäre das deutsche Haus, die Bundesrepublik Deutschland, auf Sand gebaut. Das ist die Herausforderung unserer Generation, und von der richtigen Antwort hängen der Friede und die Freiheit unseres Landes ab.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

(Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion verlassen ihre Plätze — Unruhe bei der SPD)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren!