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ID0908017900

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    Plenarprotokoll 9/80 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 80. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4770 A Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 (Haushaltsgesetz 1982) — Drucksachen 9/770, 9/965 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 9/1191 — Dr. Friedmann CDU/CSU 4729 B Grobecker SPD 4734 C Cronenberg FDP 4737 C Franke CDU/CSU 4740 D Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA 4745 D, 4755 D Dr. Blüm, Senator des Landes Berlin . 4749 D Lutz SPD 4757 B Schmidt (Kempten) FDP 4759 C Erklärungen nach § 30 GO Dr. Friedmann CDU/CSU 4762 D Lutz SPD 4763 B Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 9/1195 — Dr. Rose CDU/CSU 4763 C Erklärungen nach § 32 GO Lutz SPD 4769 C Dr. Friedmann CDU/CSU 4769 C Hoffmann (Saarbrücken) SPD 4770A Eimer (Fürth) FDP 4774C Zander, Parl. Staatssekretär BMJFG . 4776 C Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksache 9/1201 — Dr. Stavenhagen CDU/CSU 4779 B Vosen SPD 4781C Dr. Zumpfort FDP 4784 D Dr. von Bülow, Bundesminister BMFT 4788 A Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksache 9/1186 — in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Drucksache 9/1206 — in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 9/1204 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Gerster (Mainz) CDU/CSU 4791 D Kühbacher SPD 4797 B Dr. Hirsch FDP 4800 B Borchert CDU/CSU 4803 D Dr. Nöbel SPD 4805 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 4807 B Baum, Bundesminister BMI 4808 D Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — Drucksache 9/1187 — 4816 B Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/1196 — 4816B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksache 9/1202 — Dr. Rose CDU/CSU 4816 C Wallow SPD 4819 D Frau von Braun-Stützer FDP 4822 D Engholm, Bundesminister BMBW . . . 4825 D Haushaltsgesetz 1982 — Drucksachen 9/1208, 9/1257 — . . . . 4829A Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Waigel, Dr. Köhler (Wolfsburg), Grunenberg, Ewen, Funke, Dr. von Geldern, Kittelmann, Dr. Klejdzinski, Rapp (Göppingen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus — Drucksache 9/1074 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 9/1176 — 4829A Nächste Sitzung 4829 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4831*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4729 80. Sitzung Bonn, den 21. Januar 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 77. Sitzung, Seite 4475, Anlage 1: In die Liste der entschuldigten Abgeordneten ist der Name „Dr. Böhme" und das Datum „15. 1." einzufügen. 78. Sitzung, Seite 4499 C: In Zeile 5 ist „26 770 000 000 DM" und in Zeile 8 ist „23 660 000 000 DM" zu lesen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Eimer 21. 1. Ertl 22. 1. Feinendegen 21. 1. Ganz 21. 1. Frau Huber 22. 1. Frau Krone-Appuhn 21. 1. Dr.-Ing. Laermann 22. 1. Liedtke 21. 1. Dr. Mertes (Gerolstein) 22. 1. Möllemann 22.1. Rohde 22. 1. Frau Roitzsch 22. 1. Dr. Solms 22. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 22. 1. Graf Stauffenberg 22. 1. Walther 22. 1. Baron von Wrangel 22. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Burkhard Hirsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich kann nicht begreifen, wie Sie eine pauschale Behauptung aufstellen können, ohne den mindesten Beleg dafür anzubieten.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich sage Ihnen: Ich bewundere die Sorgfalt, mit der dieser Innenminister den notwendigerweise schmalen Grat geht zwischen dem notwendigen Einsatz staatlicher Machtmittel und der Sorge, damit — in der Erkenntnis, daß der Staat mehr ist als nur eine Herrschaftsmaschine — nicht mehr Menschen von diesem Staat wegzutreiben. Das ist ein schmaler Grat, und ich sage Ihnen, daß er sehr sorgfältig gegangen werden muß.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Bei Parksündern habt Ihr Mut! Die werden mit aller Kraft verfolgt!)

    Wir werden demnächst an Hand eines Antrags, in dem Sie den Eindruck verbreiten, als ob wir am Ende der Weimarer Demokratie wären, darüber sprechen. Ich kann Herrn Kühbacher nur zustimmen. Ich frage mich, ob wir in demselben Staat leben. Es ist wirklich erschreckend, welche Schrekkenskammer Sie immer wieder hervorziehen. Wir sollten uns von Ihren Demonstrationen — nicht von wirklichen — nicht abhalten lassen; denn — auch das ist interessant — wenn Sie von Demonstranten reden, hat man den Eindruck, daß das alles Landfriedensbrecher sind. Daß jemand, der demonstriert, nur ein Grundrecht ausübt, scheint in Ihren Kopf überhaupt nicht hineinzugehen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)




    Dr. Hirsch
    Ich will Ihnen einmal sagen, wo die wirklichen Probleme der Polizei in unserem Lande liegen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sagen Sie doch diesem Hohen Hause bitte einmal, was Sie vor der Demonstration in Brokdorf der Öffentlichkeit gesagt und geraten haben!)

    — Ich will das gerne tun, wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Ich habe das schon mehrfach öffentlich klargestellt. Ich möchte als Sprecher meiner Fraktion im Innenausschuß in der Tat dorthin gehen können, wo sich jemand, wie ich annehme, falsch verhält. In meinen Augen haben sich die schleswig-holsteinische Landesregierung und der dortige Landrat damals falsch verhalten. Man kann nämlich nicht für ein Kirchspiel von ein paar hundert Quadratkilometern Größe für mehrere Tage ein Grundrecht außer Kraft setzen. Ich habe das für falsch gehalten, und die Erfahrung hat ja auch gezeigt, daß das Demonstrationsverbot nicht durchgehalten werden konnte. Ich habe gesagt: „Ich will dorthin gehen, um mir das anzusehen." Nicht als Demonstrant, das habe ich nicht nötig; ich kann hier demonstrieren.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Als mich ein Journalist fragte: „Wenn es dort aber nun zu Auseinandersetzungen kommt, weil die Demonstration verboten ist, wollen Sie auch dann dorthin gehen?", habe ich ihm geantwortet: „Natürlich! Dann muß ich es erst recht tun, um zu sehen, was sich dort abspielt und was dort richtig oder falsch gemacht wird." Das ist die Erklärung, die ich schon wiederholt gegeben habe. Ich lasse mir von Ihnen, von niemandem, auch nicht von der Presse, vorschreiben, ob es meine Pflicht ist oder nicht, irgendwohin zu gehen, wo ich mich als Sprecher meiner Fraktion im Innenausschuß darüber informieren muß, ob und wie die innere Sicherheit in diesem Lande gewahrt wird oder nicht.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein schwerwiegender psychologischer Fehler!)

    Sie lenken von den eigentlichen Problemen unserer Polizei ab; denn ohne Zweifel ist die Entwicklung der Kriminalität nicht gerade erfreulich. Das muß man sagen, aber auch hinzufügen, daß die Aufklärungsquoten ebenso wie die Ausrüstung und die Ausbildung der Polizei von Bund und Ländern keinen Vergleich mit denen der Polizei irgendeines anderen Landes zu scheuen brauchen. Wir müssen begreifen, daß es Veränderungen in der Kriminalität gegeben hat. Das gemeinsame Sicherheitsprogramm stammt aus dem Jahre 1972. Es wäre, glaube ich, sinnvoll, eine neue Anfangsbilanz zu ziehen, die stärkeren Anforderungen, insbesondere die Polizeidichte, angesichts der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung zu überprüfen und die Polizei auf die hohe Zahl der unter uns lebenden Ausländer sowie auf deren Lebensgewohnheiten besser einzustellen. Wir müssen das energisch tun, angesichts der Tatsache, daß über 60 % aller Straftaten Diebstähle sind. In Nordrhein-Westfalen ist jede zehnte Straftat ein Fahrraddiebstahl. Man sollte sich einmal überlegen, warum das so ist. Ich frage mich, was die Leute mit den Fahrrädern machen. Es ist notwendig, die Polizei von einer Fülle bürokratischen Leerlaufs zu befreien.
    Wir müssen unseren Polizeibeamten auch sagen, daß ihr Ansehen und ihre Anerkennung in der Gesellschaft ungebrochen und größer sind, als sie es selber annehmen, damit sie nicht glauben, daß wir politische oder soziale Auseinandersetzungen, die es natürlich in dieser Gesellschaft gibt, auf ihrem Rükken und mit Hilfe polizeilich-exekutiver Mittel austragen wollen.
    Was die Ausländerkriminalität angeht, muß man übrigens auch einmal darauf hinweisen, daß sie, abgesehen von einer Sonderentwicklung bei Jugendlichen, an der wir selber nicht unschuldig sind — das hängt mir der Frage der Integration ausländischer Jugendlichen zusammen —, keineswegs größer ist als die der deutschen Bevölkerung.

    (Spranger [CDU/CSU]: Das ist schlicht falsch!)

    In bezug auf die Verfassungstreue der Beamten werden Sie sehen — ich will hier aus Zeitgründen das überspringen, was ich dazu sagen wollte —, daß der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers diesen Grundsatz in keiner Weise antastet.

    (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Ausgehöhlt, untergräbt!)

    Nur, eines muß ich Ihnen auch sagen: Hier kann man eine unglaubliche Heuchelei beobachten, so als ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Praxis der Länder nie eine Rolle gespielt hätte. Sie müssen doch wissen, daß z. B. die Länder BadenWürttemberg und Bayern jahrelang bei der Einstellung — bei diesen Überlegungen geht es gar nicht um die Einstellung — von Beamten des mittleren Dienstes und von vergleichbaren Angestelltengruppen die Frage der Verfassungstreue im Sinne der hier so oft beschworenen Regelanfrage nie geprüft haben, weil man bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes offenbar vernünftig differenziert hat; denn es ist ungeheuer schwer, in den Kopf anderer Leute zu gucken. Das ist schon ungeheuer schwer, wenn es sich um Masseneinstellungen handelt.
    Was das Asylrecht angeht, kann ich nur sagen: da reden Sie unter souveräner Mißachtung der bekannten Tatsachen, daß die Zahl der Asylbewerber in den letzten Jahren auf Grund der Maßnahmen der Bundesregierung um nahezu 50 % zurückgegangen ist

    (Zuruf von der CDU/CSU: Maßnahmen der Bundesregierung?!)

    und daß seit Bestehen des Bundesamtes für die Anerkennung von Flüchtlingen insgesamt 375 000 Menschen in der Bundesrepublik um Asyl nachgesucht haben. Wir haben aber in der Bundesrepublik über viereinhalb Millionen Ausländer. Beide Probleme werden in einer kaum noch verstehbaren Weise miteinander verquickt.



    Dr. Hirsch
    Ich sage Ihnen: Hier ernten wir die Folge aus der Tatsache, daß der Lebensstandard auf dieser Erde in einer unvertretbaren Weise ungleich verteilt ist.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir versuchen im Grunde genommen, mit verwaltungsmäßigen Entscheidungen dieses Problems Herr zu werden. Wir tun so, als ob es nur um Wirtschaftsflüchtlinge ginge, so kleine Leutchen, die hier schmarotzen wollten, anstatt daran zu denken, daß es Menschen sind, die sich und ihre Familien in, wenn es irgend ginge, vernünftiger Weise ernähren wollen.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Aber nicht zu unseren Lasten!)

    Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß das so nicht geht. Aber wir müssen auch erkennen, daß die Flüchtlingsbewegung aus den Ländern der Dritten Welt, aus der Türkei, aus Pakistan — ich rede jetzt einmal nicht von Polen —, in der Tat die Folge der Tatsache ist, daß die Industrieländer westlicher und östlicher Prägung viele Jahrzehnte hindurch ihre humanitären Verpflichtungen diesen Menschen gegenüber nicht erfüllt haben. Das ist der Punkt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich meine, wir sollten unsere innenpolitischen Probleme mit etwas größerer Gelassenheit sehen und gemeinsam stolz darauf sein, daß diese Bundesrepublik 30 Jahre hindurch eine unglaubliche Stabilität bewiesen hat, die fast so groß geworden ist, daß manche Menschen an der Reformfähigkeit, an der Veränderungsfähigkeit zweifeln, weil die Parteien nach außen ein Harmoniebild verbreiten, als monolithische Blöcke erscheinen. Jeder Außenstehende, jeder neu Hinzukommende zweifelt, ob er überhaupt noch eine Chance hat, in diese scheinbar monolithischen Blöcke, in denen wir unsere Diskussionen um des schönen Bildes willen sorgfältig verbergen, seine Meinungen im parlamentarischen oder Parteienspiel einzubringen.
    Die Parteien — alle Parteien — täten sehr gut daran, einmal darüber nachzudenken, wie es kommt, daß sich neben ihnen etwas etabliert hat, was man als „Bewegungen" bezeichnet. Das liegt an vielen Problemen, über die wir heute zum Teil schon gesprochen haben: das Leben in einer technisierten und verwalteten Welt, in der viele junge Menschen daran zweifeln, ob sie einen sinnvollen Berufsweg finden können; die Sorge um den Frieden — nicht um den inneren Frieden —, die Sorge um unsere physische Existenz; die Frage, ob der Bürger die vielen kleinen Entscheidungen, die wir hier diskutieren, noch als sinnvoll ansieht, ob er erkennt, warum wir über solche Details sprechen. Der Sinn unserer Politik, den Menschen zu dienen, wird hinter den vielen technischen Details und hinter solchen Attakken, wie Sie sie geführt haben, nicht mehr deutlich. Das hängt davon ab, ob wir z. B. unsere ausländischen Mitbürger als Menschen oder als bewegliche Teile von Maschinen behandeln, ob wir den Ausländern der zweiten Generation eine faire Integrationschance in unserer Gesellschaft einräumen, ob wir unser Asylrecht in einer Art Hau-ruck-Verfahren organisieren oder die Verheißung dieses Grundrechtes wirklich erfüllen.
    Zur Innenpolitik gehört, ob wir trotz der Entwicklung moderner Datenverarbeitungstechnik durch wirksame Schutzregeln die Privatsphäre achten und wahren. Zur Innenpolitik gehört, daß wir trotz der Sorge um wirtschaftliche Belastungen nicht darin scheu werden und nicht vor dem Druck der Interessengruppen zurückweichen, wenn es darum geht, durch wirksame Umweltschutzmaßnahmen die Existenzgrundlagen unseres Lebens zu erhalten.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich hoffe, daß es im Laufe dieses Haushaltsjahres möglich sein wird, zu allen diesen Punkten ausführlich in diesem Haus zu reden, damit wir nicht außerhalb dieses Hauses darüber reden müssen. Dann würde nämlich eins sehr deutlich werden: daß die Sicherheit unseres Staates auf der Bewahrung seiner Liberalität beruht und auf der Überzeugung seiner Bürger, nicht zum bloßen Objekt einer staatlichen Maschinerie geworden zu sein, sondern als Bürger in einer freien Gesellschaft zu leben. Nicht „nieder in den Staub mit den Feinden Brandenburgs", sondern gemeinsam dafür sorgen, daß die Freiheit in diesem Lande erhalten bleibt!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Borchert das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jochen Borchert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Johannes Gerster hat darauf hingewiesen, Herr Baum, welchen Randgruppen Ihr politisches Interesse gilt. Er hat darauf hingewiesen, daß Sie die Polizei bei ihrer schweren Arbeit weitgehend allein lassen. Herr Kollege Hirsch, wir stimmen Ihnen sicher zu, daß die Polizei die Solidarität aller politischen Kräfte braucht. Nur, ich meine, Herr Kollege Gerster hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sie in erster Linie die Solidarität des zuständigen Fachministers braucht. Dies ist der Punkt, über den wir in diesem Bereich zu diskutieren haben. Ich spreche jetzt über einen Bereich, der ebenfalls zu den Bereichen Ihres Ministeriums gehört, die Sie weitgehend vernachlässigen, nämlich den Bereich der zivilen Verteidigung.
    Trotz der zahllosen Beteuerungen in den vergangenen zehn Jahren, daß die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik ohne eine ausreichende Zivilverteidigung nicht glaubwürdig und nicht überzeugend ist, wurde in den vergangenen Jahren kaum ein anderer Bereich der Politik von dieser Regierung so stiefmütterlich behandelt wie die zivile Verteidigung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

    Die Bundesregierung hat zwar im Weißbuch gefordert, daß die Ausgaben der Zivilen Verteidigung zu den Ausgaben der militärischen Verteidigung ein Verhältnis von 1 : 20 erreichen. Dieses Ausgabenverhältnis war auch schon 1962 mit 1 : 19 in der Bundesrepublik fast erreicht und wird in anderen Ländern — etwa in der Sowjetunion mit 1 : 20, in Schweden



    Borchert
    mit 1 : 20 und in der Schweiz mit 1 : 13 — auch heute erreicht oder übertroffen. Bei uns aber hat sich in den vergangenen Jahren dieses Verhältnis ständig verschlechtert. Wir haben im Haushaltsplan 1982 ein Verhältnis von 1 : 58.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

    Diese Zahlen zeigen, daß die Investitionen im militärischen Bereich auf Grund der NATO-Verpflichtungen in etwa fortgeschrieben sind, daß aber die nicht vertraglich gebundenen Aufgaben der zivilen Verteidigung in diesen Jahren unter die ideologischen Räder dieser Koalition geraten sind. Während die Bedeutung der Zivilen Verteidigung in vielen Erklärungen der Regierung immer wieder betont wird, zeigt aber der Anteil des Einzelplans 36 in dramatischer Weise, welche Bedeutung die gleichen Politiker diesem Bereich tatsächlich zumessen. Der Anteil des Einzelplans 36 am Gesamthaushalt ist von 1,47 % im Jahre 1961 über 0,52 % 1969 auf heute nur noch 0,32 % gesunken. Ich meine, diese Zahlen zeigen die skandalöse Vernachlässigung dieses wichtigen Bereiches.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Bei den Beratungen des Haushalts 1982 wurde von der Koalition der vergebliche Versuch einer Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen gemacht. Von der im Sommer viel zitierten Wende blieb dabei nur der Wendebrief. Man spitzte zwar die Lippen, aber man konnte nicht pfeifen. In dieser schwierigen Situation des Bundeshaushalts ist es dann gerade gelungen, den Einzelplan 36 um knapp den gleichen Prozentsatz steigen zu lassen wie den Gesamthaushalt. Trotz der zugegeben schwierigen Finanzlage des Bundes wäre es aber notwendig gewesen, mit einer deutlichen Steigerung ein Signal für den veränderten Stellenwert der Zivilverteidigung zu geben. So aber werden die Fehler der Vergangenheit fortgesetzt. Ich bin sicher, daß die Redner der Koalition bei dieser wie auch bei anderen Gelegenheiten immer wieder auf andere Länder verweisen, in denen dies alles j a noch sehr viel schlimmer und sehr viel schlechter sei. Wir kennen diese Argumentation aus der Behandlung vieler Etatansätze in diesen Tagen als offensichtlich ein Allheilmittel für eine Politik in der Sackgasse, aus der diese Regierung keinen Ausweg mehr weiß. Meine Damen und Herren, diese Argumentation, bei der man immer auf andere Länder verweist, erinnert mich in fataler Weise an die Situation des Tabellenletzten in der Bundesliga, bei dem der Präsident den Mitgliedern und Anhängern erklärt, der Verein sei doch in einer vergleichsweise blendenden Situation, denn es gebe schließlich noch Vereine in der Zweiten Liga, in der Landesliga, in der Bezirksklasse, in der Kreisklasse.

    (Löffler [SPD]: Hat Ihnen dies Erich Riedl aufgeschrieben?)

    — Der Unterschied zwischen dem Kollegen Riedl und dieser Bundesregierung ist, daß er auch in schwierigen Situationen immer den Mut hat, die Situation realistisch darzustellen — mit dem Ergebnis, daß München 1860 im Gegensatz zur Bundesregierung wieder im Aufwärtstrend ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist eben der Erfolg einer realistischen Situationsschilderung. Der Hinweis auf noch so viele andere Länder, denen es schlechter gehe, Herr Kollege Löffler, verbessert doch nicht die Situation, sondern beschleunigt den weiteren Abstieg.
    Die seit Jahren vergleichsweise bescheidene Bereitstellung von Haushaltsmitteln hat verständlicherweise Auswirkungen etwa auf den Warndienst, den Schutzraumbau, den Katastrophenschutz und vor allem auf die personelle Situation der Zivilen Verteidigung.
    Beim Warndienst wird seit Jahren in allen Beratungen die dringend notwendige Senkung der Postgebühren angesprochen. Wir unterhalten uns immer wieder über dieses Problem. Aber auch in diesen Haushalt sind wieder 60 Millionen DM eingesetzt worden. Die jahrelange Diskussion um diesen Bereich zeigt, daß der zuständige Minister nicht in der Lage ist, eine Einigung zwischen der zivilen Verteidigung, der Bundespost und dem Verteidigungsministerium herbeizuführen, um neue, kostensparende Technologien einführen und damit die Kosten senken zu können. In diesem Bereich wie auch in anderen Bereichen, Herr Baum, tagen zur Erarbeitung eines neuen Konzeptes in Ihrem Ministerium seit Jahren Arbeitsgruppen, ohne ein konkretes Ergebnis vorlegen zu können. Diese Tatsache, Herr Minister
    — daß keine Ergebnisse vorgelegt werden können
    — ist nicht ein Problem des Ressorts, sondern zeigt, daß der zuständige Minister nicht in der Lage ist, die unterschiedlichen Interessen seines Hauses auszugleichen. Die Einführung neuer, kostensparender Technologien und die Verbesserung des Warndienstes scheitert damit an der Führungsschwäche des zuständigen Ministers.
    Auch der Stand des Schutzraumbaus zeigt die Hilflosigkeit dieser Bundesregierung. Während in der Bundesrepublik nur für 3 % der Bevölkerung Schutzräume bestehen, gibt es in der Schweiz Schutzräume für 80 % und in Schweden für über 65% der Bevölkerung. In anderen Ländern werden die Schutzräume kontinuierlich ausgebaut, während die Bundesregierung in den vergangenen Jahren über Vollschutz oder Grundschutz debattiert hat und dabei die finanziell durchaus möglichen Maßnahmen vor dem Hintergrund der Alternative des „alles oder nichts" unterlassen hat. Durch diese Diskussion wurde im vergangenen Jahrzehnt versäumt, rechtzeitig mehr Mittel für den Schutzraumbau zur Verfügung zu stellen. Mit den jetzt im Bau befindlichen Schutzräumen und den geplanten Baumaßnahmen ist langfristig auch der erforderliche Grundschutz für die Bevölkerung nicht zu erreichen, auch wenn für diesen Titel 1982 eine Aufstockung um 21 Millionen DM vorgenommen wurde.
    Bei den endlich fertiggestellten Schutzräumen streitet der Minister in vielen Fällen mit den Ländern und Gemeinden, wer die Unterhaltung und Verwaltung der Schutzräume übernehmen soll, wie es z. B. bei dem Schutzbunker in Braunschweig nach wie vor der Fall ist. In mehreren Fällen sind Sie, Herr Minister, nicht in der Lage, die Übernahmevereinbarungen mit den Gemeinden abzuschließen. Ich meine, auch dies ist nicht gerade ein Zeichen für die



    Borchert
    überragende Führungsstärke dieses zuständigen Fachministers.
    Im Bereich des erweiterten Katastrophenschutzes wurde mit dem Konsolidierungsprogramm 1980 bis 1989 ein erster Schritt zur Modernisierung und zur weiteren Ausstattung für den Katastrophenschutz vorgenommen. Nach diesem Konsolidierungsprogramm sollen für zehn Jahre 1,2 Milliarden DM — unter Berücksichtigung des jährlichen durchschnittlichen Preisanstiegs — für Ersatzbeschaffungsmaßnahmen und den erweiterten Ausbau zur Verfügung stehen. Wenn dieses Programm in den nächsten Jahren Erfolg haben soll, meine Damen und Herren, dann ist eine Anpassung an die aktuelle Preisentwicklung dringend erforderlich. Wenn eine solche Anpassung nicht erfolgt, dann werden die positiven Ansätze dieses Programms in wenigen Jahren der Inflation zum Opfer gefallen sein.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das entspricht der Wahrheit!)

    Einen weiteren Schwerpunkt des Katastrophenschutzes stellt die Ausbildung von Leitungs- und Führungskräften dar. Für die Katastrophenschutzschulen auf Landesebene wird von ihnen überprüft, in welchem Umfang eine Kostenverpflichtung des Bundes besteht. Bei der Katastrophenschutzschule des Bundes ist die Organisationsfrage weitgehend ungeklärt. Hierdurch ist auch ungeklärt, wie der jetzige Personalbestand dieser Schule in Zukunft aufrechterhalten werden soll. Ebenfalls offen ist damit die zukünftige Einordnung dieser Schule und damit auch die tarifrechtliche Eingruppierung des Personals. Dies bringt für alle Betroffenen, für die Mitarbeiter an diesen Schulen eine unvertretbare Situation mit sich. Im Interesse der an der Katastrophenschutzschule Beschäftigten und aus Verantwortung ihnen gegenüber erwarten wir eine schnelle Klärung der zukünftigen Weiterentwicklung dieser Schule.
    Ohne die Hilfsorganisationen aber würden alle Maßnahmen der zivilen Verteidigung erfolglos bleiben. Allein im Technischen Hilfswerk wirken etwa 55 000 aktive Helfer mit. Diese ehrenamtlichen Helfer tun ihren Dienst an der Gemeinschaft unter Inkaufnahme persönlicher Opfer. Ohne die Bereitschaft dieser vielen Mitbürger, sich trotz aller Belastungen und Schwierigkeiten immer wieder für den Katastrophenschutz zur Verfügung zu stellen, wäre diese wichtige soziale und humanitäre Aufgabe nicht zu erfüllen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Noch immer aber sind die Unterkünfte in einem teilweise verheerenden Zustand.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Nur die Hälfte der rund 650 Gruppen ist gut untergebracht. Bei allen anderen Gruppen sind Aus-, Neuoder Umbauten dringend erforderlich. Bei den unzureichend untergebrachten Gruppen ist seit zwei Jahren keine Fortschreibung über den Stand der Situation erfolgt. Der Minister weiß also nicht einmal, wie diese Gruppen untergebracht sind, was und wie umgebaut werden müßte. In den meisten Fällen, in denen ein Umbau vorgesehen ist, ist es bisher beim Vorsatz geblieben.
    In den vergangenen Jahren, als diese Regierung das Geld in vielen Bereichen mit vollen Händen ausgegeben hat, hat die CDU vergeblich gefordert, mehr Mittel für die zivile Verteidigung, vor allem für die Helferorganisationen, zur Verfügung zu stellen.