Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herren Kollegen Brandt und Dr. Kohl haben in der Vormittagssitzung ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht über den Zustand der Europäischen Gemeinschaft, über die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Ich muß Ihnen sagen: Die Bundesregierung teilt diese Besorgnis.
Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag werden Beiträge leisten können, um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft wiederherzustellen. Wir werden diese Beiträge so lange realistisch leisten können, solange wir uns bewußt bleiben, daß wir eines von zehn Mitgliedern sind und nicht diejenigen, die die Politik der Europäischen Gemeinschaft allein bestimmen,
Wir stehen heute vor größeren Herausforderungen in dieser Europäischen Gemeinschaft als jemals zuvor. Die Bürger in Europa fragen mit Recht: Was unternimmt die Gemeinschaft, um den 10 Millionen Arbeitslosen in den zehn Mitgliedstaaten wieder Arbeit zu verschaffen? Was unternimmt sie, um Wachstumsschwäche und Inflation mit all ihren sozialen Folgen zu überwinden? Was tut die Europäische Gemeinschaft, um die Wirtschaft der Gemeinschaft international wettbewerbsfähig zu erhalten und zu verhindern, daß Europa zu einer Industrieregion zweiten Ranges absinkt? Was geschieht schließlich, um die Handlungsfähigkeit und den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken? Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden; denn die Alternative wäre eine zunehmende Abwendung von der Gemeinschaft und schließlich der Rückfall in einen engen nationalen Egoismus, an dem schließlich die Gemeinschaft zerbrechen müßte.
Daß der Europäische Rat in London alle Herausforderungen nicht in einem Zuge würde überwinden können, war für den, der die Schwierigkeit der Probleme kennt, einsichtig. Niemand kann das Ergebnis verwundern. Es ging bei diesem Europäischen Rat in London um politische Grundorientierungen für den inneren Ausbau der Gemeinschaft in so wichtigen Bereichen wie der Struktur-, Regional- und Sozialpolitik. Es ging um die Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik und um eine ausgewogenere Struktur des Gemeinschaftshaushalts. Wer weiß, was sich dahinter verbirgt, der konnte nicht erwarten, daß ein Rat diese Fragen der Lösung zuführt.
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Aber es ist auch nicht so, als wäre der Rat ohne Ergebnisse auseinandergegangen. Es sind eine Reihe von Fortschritten gemacht worden. Es wurde eine grundsätzliche Übereinstimmung erzielt, daß es eine Prioritätsaufgabe der Gemeinschaft ist, dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen. „Dauerhaft" bedeutet, nicht den Versuch zu unternehmen, diese Aufgabe mit kurzatmigen Programmen zu lösen, sondern durch produktive Investitionen, durch Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit die Gemeinschaftsländer tatsächlich auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu machen.
Man war sich einig darüber, daß die Sozial- und Regionalpolitik der Gemeinschaft stärker auf die zwei Aufgaben konzentriert werden muß, die heute vorrangig sind: 1. die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, 2. die Verminderung des wirtschaftlichen Gefälles in der Gemeinschaft. Wir müssen heute rückblickend alle erkennen, daß wir in den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa, daß wir in der Zeit, als nur das Europa der Sechs vorhanden war, es versäumt haben, die notwendigen und wirksamen Gemeinschaftsinstrumente zu schaffen, die gerade die Fragen der Überwindung des wirtschaftlichen Gefälles und der Herbeiführung annähernd gleicher Arbeitsverhältnisse hätten lösen können.
Der Europäische Rat hat im Hinblick auf das zu beschließende Gesamtpaket von Maßnahmen auch eine Einigung darüber in Aussicht genommen, daß die Gemeinschaft zusätzliche Darlehen in Höhe bis zu 7,5 Milliarden DM aufnehmen kann, um diese Mittel den Mitgliedsländern zur Förderung von Investitionen zur Verfügung zu stellen. Schwerpunkt dieser Investitionen soll der Energiebereich sein, um so die Abhängigkeit unserer Länder von Energieimporten zu vermindern.
Auch im Agrarbereich sind eine Reihe von Teilfragen wenigstens tendenziell entschieden worden, so z. B. die Akzeptierung des Prinzips einer vorsichtigeren Preispolitik. Bei den vor uns stehenden Verhandlungen wird es jetzt Aufgabe sein, in wichtigen Fragen der Agrarpolitik Fortschritte zu erzielen. Dabei kann es keinen Zweifel geben, Herr Dr. Kohl, daß für die Bundesregierung die Sicherung der Existenzgrundlage des bäuerlichen Familienbetriebes nicht nur eine Frage ökonomischer und agrarpolitischer Zweckmäßigkeit, sondern eine Frage von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung ist.
Wir müssen uns jetzt alle gemeinsam darum bemühen, daß die Agrarausgaben künftig weniger stark ansteigen als der Gesamthaushalt, um auf diese Weise Mittel für die Zukunftsaufgaben der Gemeinschaft freizubekommen. Gewachsene Strukturen lassen sich nur schrittweise anpassen. Worauf es ankommt, ist, daß wir die richtige Richtung einschlagen.
Der Europäische Rat hat sich auch mit dem deutsch-italienischen Vorschlag für eine Europäische Union befaßt. Er hat den Außenministern die Aufgabe übertragen, diesen Vorschlag zu beraten und dann das Ergebnis dieser Beratungen einem künftigen Rat vorzulegen.
Die Bundesregierung mißt dieser Initiative erhebliche Bedeutung zu. Herr Kollege Brandt kann versichert sein, daß nicht die Absicht besteht, sozusagen ein neues Etikett aufzukleben, ohne auch den Inhalt zu ändern. Nein, wir wissen, daß diese Initiative nicht die Anstrengungen für die Lösung der anstehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme ersetzen kann. Aber sie muß sie begleiten.
Uns geht es im Grundsatz um dreierlei: Erstens. Wir wollen mit dieser Initiative das umfassende politische Ziel der Einigung Europas weithin sichtbar vor unser aller Augen stellen. Einmal vollendet, wird die europäische Union ein Gemeinwesen eigener Art sein, das sich mit den traditionellen Begriffen des Bundesstaats und des Staatenbundes nicht fassen läßt. Die europäische Akte, die wir jetzt vorschlagen, hat deshalb die Aufgabe, für diesen viel verzweigten Prozeß der europäischen Einigung und des europäischen Handelns das Ziel der europäischen Union festzulegen.
Zweitens. Die europäische Akte soll für die fünf großen institutionellen Bereiche der Zusammenarbeit einen Gesamtrahmen schaffen. Ich glaube, es wäre heute verfrüht, darüber nachzudenken, ob diese Institutionen übrhaupt noch Bestand haben können, solange wir mit der europäischen Union nicht einen ernsthaften Versuch unternehmen, die Institutionen, die vorhanden sind, zu einem gemeinsamen, abgestimmten Verhalten zu veranlassen. Ich meine, die Wirtschaftsgemeinschaft in Brüssel, die Europäische Politische Zusammenarbeit, den Europäischen Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Gerichtshof.
Wir müssen das jetzt Erreichte festigen. Wir müssen ungeschriebene Praktiken der Zusammenarbeit formalisieren und sichern, Anstöße für eine Weiterentwicklung des Bestehenden geben, und wir wollen vor allen Dingen — ich wiederhole das — diese Institutionen in ihrem Handeln zusammenfassen. Die Akte enthält deshalb z. B. Vorschläge für den Ausbau der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, und sie fordert, die Entscheidungsstrukturen der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit unter der Verantwortung des Europäischen Rats zusammenzuführen.
Die Handlungsfähigkeit Europas nach innen und außen macht es notwendig, die Außenpolitik der Europäischen Politischen Zusammenarbeit und die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft zu einer umfassenden europäischen Politik zu integrieren. Es muß für uns alle, die wir hier im Deutschen Bundestag mit großem Nachdruck dafür eingetreten sind, daß das Europäische Parlament von den Bürgern Europas direkt gewählt wird, eine besondere Verpflichtung sein, alles dafür zu tun, daß die Mitwirkungs- und Kontrollfunktion des Parlaments gestärkt wird.
Wir werden sonst bei der nächsten Europawahl erleben, daß die Bürger ihr Urteil über das Parlament durch Wahlverweigerung fällen.
Wir müssen deshalb, meine Damen und Herren, ernst nehmen — das haben wir im Ministerrat sehr deutlich gemacht —, was das Parlament an Forde-
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rungen — ohne Änderung der Verträge — nach einer Verstärkung seiner Mitwirkungsmöglichkeiten erhoben hat. Hier geht es in Wahrheit um die demokratische Legitimation der Gemeinschaft. Wer die Arbeit des Europäischen Parlaments sieht, wer an seinen Beratungen teilnimmt — wir haben diese Europäische Akte dort präsentiert —, spürt, daß sich das Parlament als Motor für die europäische Einigung und als ein Zentrum europäischen Bewußtseins versteht.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, die europäischen Entscheidungsprozesse zu verbessern. Wir plädieren insbesondere dafür, in den Ministerräten die von den Verträgen vorgesehene Mehrheitsentscheidung auch in der Praxis wieder zur Regel
und die Berufung auf vitale Interessen zur Ausnahme zu machen.
— Herr Kollege Dr. Kohl, wenn Sie sagen „Hört! Hört!", dann muß ich das erwähnen, was ich eingangs sagte: Wir werden unsere Möglichkeiten bei der Aktivierung der europäischen Politik nur dann realistisch einschätzen, wenn wir niemals vergessen, daß wir nur einer von Zehn sind und daß wir auch schon für den Vorschlag, von dem ich hier spreche, die Mitwirkung aller neun anderen brauchen. Wir allein reichen nicht aus.
Wir können nur die Anstöße dazu geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen, daß in die Europäische Politische Zusammenarbeit, in unsere außenpolitische Zusammenarbeit auch Fragen der Sicherheitspolitik aufgenommen werden. Ich denke, daß wir gerade in den letzten Monaten gespürt haben, daß es notwendig ist, die Stimme Europas deutlicher zu Gehör zu bringen. Wir sind uns bewußt, daß wir dabei mit Umsicht vorgehen müssen. Wir kennen die Probleme, die darin bestehen, daß einer der Mitgliedstaaten dem westlichen Bündnis nicht angehört. Aber die Einbeziehung der politischen und wirtschaftlichen Dimensionen europäischer Sicherheit in die werdende gemeinsame Außenpolitik halten wir für unverzichtbar. Oder, um es anders auszudrücken: Es hilft nicht sehr viel weiter, wenn sich die Europäer permanent über mangelnde Berücksichtigung ihrer europäischen Interessen beklagen, aber nicht die Fähigkeit entwickeln, diese Interessen auch selbst zu definieren, und zwar gemeinsam und nicht gegeneinander.
Der Ordnung halber muß man hinzufügen, daß es zur Wahrnehmung dieser Interessen gewiß auch gehört, daß sich die europäischen Partner im westlichen Bündnis bewußt sind, daß die Vereinigten Staaten aus unserer Sicht niemals als eine Art Wach- und
Schließgesellschaft für Europa betrachtet werden dürfen, die man noch dazu kostenlos anmieten kann, sondern daß die Kraft des Bündnisses auch darauf beruht, was die Europäer selbst politisch, verteidigungspolitisch und ökonomisch in die gemeinsame westliche Position einbringen.
Meine Damen und Herren, zu unseren gemeinsamen Aufgaben gehören die gemeinsame Analyse weltweiter und regionaler Gefahren für die Sicherheit der Gemeinschaft, die Entwicklung aktiver, globaler Politiken der Zehn, die solchen Gefahren entgegenwirken und dabei auch die wirtschaftliche Sicherheit der Gemeinschaft und ihre Versorgung mit Energie und Rohstoffen gewährleisten, die Verbesserung der Fähigkeit der Zehn, in Abstimmung mit anderen auf Krisen in der Welt — den gemeinsamen Interessen entsprechend — zu reagieren, vor allem die Entwicklung einer initiativen, auch gesamteuropäischen Politik der Zehn, die trotz der Teilung unseres Kontinents durch Dialog und Kooperation, durch Vertrauensbildung, durch Rüstungskontrolle und Abrüstung zu vereinbarter Stabilität auf der Grundlage eines Kräftegleichgewichts führt, und schließlich eine Politik, die zu einer europäischen Friedensordnung hinführt, für die wir politische und wirtschaftliche Dimensionen zu entwickeln haben.
Bei allem, was wir an europäischer Politik tun, bei allem, was wir meinen, wenn wir von Europa sprechen, dürfen wir niemals vergessen — gerade wir als Deutsche —: Europa endet für uns nicht an den Grenzen der Gemeinschaft, auch nicht an den Grenzen der Staaten des Europarats. Europa, das ist das Schicksal aller europäischen Völker,
auch derjenigen, die nicht wie wir in demokratischer Verfassung leben können. Dieses Europa muß über ideologische Grenzen hinweg seine Aufgabe als eine Friedensaufgabe begreifen.
Meine Damen und Herren, auch heute morgen ist über Friedensbewegungen in Deutschland gesprochen worden. Ich möchte Ihnen dazu sagen, daß das kraftvolle Bekenntnis der jungen Generation — aber wahrlich nicht nur der Jüngeren — zum Frieden ein Zeichen europäischer Identität ist, und zwar einer europäischen Identität, die wächst, auch ungeachtet der politischen Ordnung, auch wenn sich dieser Wille zum Frieden jedes einzelnen nach seinen Vorstellungen hier bei uns in den europäischen Demokratien deutlicher artikulieren kann als in den anderen Staaten Europas, die nicht den Vorzug haben, in demokratisch verfaßten Staatsordnungen zu leben. Überall ist diese Form europäischer Identität im Wachsen.
Ein Voranschreiten der Außenpolitik der Staaten der Europäischen Gemeinschaft in die Bereiche der Sicherheitspolitik muß deshalb immer wieder mit dem Willen verbunden sein, das zu überwinden, was die Spaltung Europas bedeutet. Ein Voranschreiten der Außenpolitik der Staaten der Europäischen Gemeinschaft in die Bereiche der Sicherheitspolitik — das ist das andere — muß immer wieder verbunden sein mit einer engen, vertrauensvollen Zusammen-
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arbeit mit den nordamerikanischen Demokratien, mit denen wir im Atlantischen Bündnis nicht nur militärisch — wie in alten Allianzen —, sondern zu einer Wertgemeinschaft und zu einer Schicksalsgemeinschaft der Freiheit verbunden sind.
Auf dieser realistischen Grundlage muß es unser Ziel sein und bleiben, eine Sicherheitspartnerschaft für Europa zu entwickeln, eine Sicherheitspartnerschaft, die gemeinsam mit politischen und wirtschaftlichen Elementen eines Tages auch eine blockübergreifende und, wie wir hoffen, einmal in sehr, sehr weiter Zukunft auch eine blocküberwindende, dauerhafte europäische Friedensordnung möglich macht.
Wir werden für diese Ziel viel Geduld, Ausdauer und Realismus brauchen.
Nur, meine Damen und Herren, sehen wir uns noch einmal die Grundstimmung in Europa an. Hier wächst eine Generation heran, die verlangt, daß der Blick in die Zukunft gerichtet wird, daß man nach neuen Wegen sucht, um die Sicherheit der Völker durch einen Ausgleich, durch eine Verzahnung der Interessen zu gewährleisten, und eben nicht in dem Streben nach Überlegenheit oder gar nach ideologischer Missionierung. Das ist der Ausdruck europäischer Identität, von dem ich sprach. Hier ist etwas im Gange, das letztlich, wie wir hoffen, einmünden wird in eine Wiedergeburt Europas als Kraft des Friedens.
Wir müssen uns bewußt sein, Europa, das in der Vergangenheit der Menschheit große Leistungen durch den Fortschritt beschert hat, dessen kultureller, humanitärer und technischer Beitrag für die Menschheitsgeschichte unbestreitbar ist, dieses Europa hat sich — und nicht nur sich, sondern große Teile der Welt im übrigen — in der Vergangenheit immer wieder mit der Geißel des Krieges überzogen. Das gleiche Europa durchlebt — und dies angesichts zahlloser Kriege in anderen Teilen der Welt — seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine der längsten Friedensphasen seiner Geschichte. Das ist das Ergebnis einer realistischen Sicherheitspolitik, die betrieben wurde. Aber wir dürfen uns mit diesen befriedigenden Feststellungen als Europäer, wo immer wir stehen, wir dürfen uns mit dem Blick zurück nicht begnügen. Nein, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit diese Periode des Friedens eben keine Episode der europäischen Geschichte bleibt, sondern damit mit dieser Periode ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen wird.
So ist denn die Aufgabe, die wir uns heute stellen müssen, die, alles zu tun, damit hier in Europa wirklich eine realistische Sicherheitspartnerschaft möglich wird, und wir müssen alles tun, damit von Europa, von dem früher Kriege ausgingen, heute Initiativen des Friedens ausgehen können. Und ich glaube, daß hier im Blick auf die Dritte Welt für Europa, das unverdächtig ist, hegemoniale Interessen zu vertreten, eine große Aufgabe besteht.
Herr Kollege Brandt hat recht, wenn er sagt, daß die Nord- Süd- Beziehungen zuallererst eine Friedensaufgabe darstellen. Wir werden nicht erwarten können, daß die Welt stabil ist, wenn der Gegensatz zwischen Nord und Süd nicht gemindert werden kann. So wie die nationalen Gesellschaften am Ende des 19. Jahrhunderts von den eigenen nationalen sozialen Problemen erschüttert wurden, so werden wir das im Nord-Süd-Verhältnis weltweit erleben.
So gesehen, ist es sicher falsch, die Lage in der Dritten Welt nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Es ist sicher auch falsch, Einflußmöglichkeiten anderer nur unter militärischen Gesichtspunkten zu sehen. Ich behaupte, daß Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Stabilität in den Staaten der Dritten Welt am besten gefördert werden können, wenn wir konsequent den Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen Ländern weitergehen, ihnen die Möglichkeit geben, ihre sozialen Probleme zu überwinden, aber auf dem Weg, den sie für richtig halten, und ohne Versuch, von uns aus auf sie Einfluß zu nehmen.
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Von da gesehen war in der Tat der Nord-Süd-Gipfel in Cancún ein wichtiges Ereignis. Ich habe feststellen können, wie bedeutsam es für die dort anwesenden Führer der Dritten Welt war, mit Vertretern der Industriestaaten nicht nur über die ökonomischen Probleme, sondern sehr wohl auch über ihre politischen Sorgen zu sprechen.
Lange Zeit ist im Westen das mit großem Mißtrauen betrachtet worden, was wir heute sehr positiv sehen — manche mehr, manche weniger; die Bundesregierung sehr positiv —, nämlich die Bewegung der Blockfreien, eine Bewegung, die ihre Entstehung dem antikolonialen Kampf verdankt und die heute ihr großes Ziel hat, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Staaten der Dritten Welt, aber nicht nur dieser, zu bewahren und zu sichern.
Nicht jedes Land, das sich in seiner Anfangsphase von der Sowjetunion unterstützen ließ, ist deshalb ein marxistisch-leninistisches Land, von dem wir uns abzuwenden haben, und nicht jede politische Kraft, die sich in ihrem Befreiungskampf der Hilfe des Ostens bediente, weil der Westen sie verweigerte, ist deshalb schon Moskau anheimgefallen.
Das müssen wir bei der Betrachtung der Entwicklung in Namibia — darüber ist heute ja schon gesprochen worden — sehen. Ich erinnere mich sehr genau, daß wir sehr harte Worte im Deutschen Bundestag über das gehört haben, was in Simbabwe vor der Unabhängigkeit geschah. Die heute dort demokratisch frei gewählten politischen Kräfte waren einmal Gruppierungen, die hier im Deutschen Bundestag auch als marxistische Terrororganisationen bezeichnet wurden. Sie sind heute Partner einer konstruktiven Friedenspolitik für das südliche Afrika. Wir arbeiten mit ihnen zusammen, um Namibia genauso den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit zu öffnen.
Herr Kollege, ich glaube, daß die große Sorge, die wir uns um Angola machen, ganz erheblich gemil-
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dert werden könnte und würde, wenn es uns gelingt, Namibia endlich in die Unabhängigkeit zu führen. Sie werden spüren, wie sich manches in Angola ändert, wenn auch dieses Land keine Bedrohung von außen befürchten muß.
So liegt ganz sicher eine der Friedensaufgaben der Staaten der Europäischen Gemeinschaft nicht nur in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten des Südens, sondern sie liegt auch darin, zu friedlicher Konfliktlösung beizutragen. Und sie liegt auch darin, mit ihrem Beispiel einer regionalen Zusammenarbeit — und unsere Europäische Gemeinschaft ist ja ein besonders wirkungsvolles Beispiel regionaler Zusammenarbeit — zu zeigen, daß durchaus Staaten mittlerer und kleinerer Größe ihre Unabhängigkeit bewahren können, j a, daß sie eine aktive weltpolitische Rolle in einem guten Sinne spielen können. Und wir müssen Partner für regionale Zusammenarbeit dieser Art überall in der Welt sein. Auch das ist Teil unserer Friedenspolitik. Unsere Zusammenarbeit mit ASEAN ist eine solche Zusammenarbeit. Unsere Zusammenarbeit mit den Staaten des südlichen Afrikas, den Lusaka-Staaten, ist eine solche Zusammenarbeit. Unsere Bereitschaft, mit den Golfstaaten, der Golf-Cooperation, zusammenzuarbeiten, ist ein Beitrag zur Stabilität in dieser Region.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Sorgen, die wir uns machen z. B. um die Entwicklung in Zentralamerika, auch bei durchaus unterschiedlichen Vorstellungen über die Entwicklung und über die dort zu fördernden Kräfte, unser gemeinsames Ziel als Deutsche und unser gemeinsames Ziel als Europäer muß es eigentlich sein, die Staaten Zentralamerikas zu ermutigen, daß sie über alle Gegensätze hinweg auch den Versuch machen, sich regional zusammenzuschließen. Für diesen Zusammenschluß sind wir der geeignete Partner, weil wir die Sicherheit bieten können, daß wir den Ost-West-Konflikt nicht in diese Region hineintragen werden. Das muß unser Ziel sein.
Ich denke also, daß wir, wenn wir von Friedenspolitik reden, als Deutsche und als Teil der Europäischen Gemeinschaft eine große Verantwortung haben und sie erfüllen können. Und in der Tat, wie wir den Frieden sichern, das ist ja die Aufgabe, die uns auch bewegt hat bei dem Besuch, über den heute schon viel gesprochen worden ist, weil wir uns bewußt sind, daß das Ost-West-Verhältnis für die Stabilität und für die Sicherheit in der Welt eine Schlüsselbedeutung hat. Wenn es uns hier nicht gelingt, den Kurs auf Rüstungskontrolle, auf Stabilität und Zusammenarbeit zu gewinnen, dann sind auch alle anderen Fragen nicht oder nur schwer lösbar. Dann müssen wir sehen, daß die hoffnungsvolle Entwicklung der Ost-West-Beziehungen, die Ende der 60er Jahre begann, durch die Überrüstung der Sowjetunion in den 70er Jahren und schließlich durch die Invasion in Afghanistan im Dezember 1979 einen schweren Rückschlag erlitten hat. Aber wir können auch erkennen, daß die internationale Lage erneut in Bewegung geraten ist, daß neue Einsichten und
neue Möglichkeiten gegeben sind. Wir müssen jetzt um die Einsicht werben, daß Sicherheit nicht durch Überlegenheitsstreben zu erreichen ist, sondern wirklich nur auf der Grundlage des Gleichgewichts.
Die politische Verantwortung für West und Ost ist es, die Gefahren der jetzigen Situation unter Kontrolle zu halten. Dem dient der Ost-West-Dialog. Dem dienten die Begegnungen des amerikanischen Außenministers mit dem sowjetischen Außenminister in New York, dem dient die nächste vorgesehene Begegnung im Januar zwischen beiden, und dem diente der Besuch und die Begegnung mit der sowjetischen Führung hier in Bonn. Wir handeln dabei, ohne uns zu übernehmen, in dem Bewußtsein, daß unser Land eine aktive und wesentliche Rolle in den Bemühungen um eine Verbesserung der Ost-West-Beziehungen zu spielen hat. Es gibt keinen Zweifel, daß das deutsch-sowjetische Verhältnis von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für das WestOst-Verhältnis in seiner Gesamtheit ist und umgekehrt.
Das ist eine Rolle, meine Damen und Herren, die uns durch die Geschichte aufgegeben ist. Sie ist uns aufgegeben durch unsere geographische Lage an der Nahtstelle zwischen West und Ost, und sie ist uns aufgegeben durch unsere nationale Interessenlage, weil wir in einem Land leben, das geteilt ist.
— Es muß ja deshalb nicht falsch sein, Herr Kollege.
Die Reaktion der Verbündeten auf die Gespräche mit dem sowjetischen Generalsekretär zeigen, daß wir mit den Gesprächen einen wirkungsvollen Beitrag zur notwendigen Kommunikation zwischen West und Ost geleistet haben. Der klare Wille der Bundesregierung, die Beziehungen zur Sowjetunion auf der Grundlage der abgeschlossenen Verträge und Vereinbarungen langfristig zu gestalten, ist ein essentieller Teil unserer berechenbaren und vertrauensbildenden deutschen Außenpolitik. Diese Politik gründet sich auf die feste Einbindung in das westliche Bündnis und die Europäische Gemeinschaft. Wir dürfen uns bei jedem Schritt, den wir tun, niemals im unklaren darüber sein, daß diese Einbindung in den Westen unser Gewicht im Gespräche mit der Sowjetunion nicht vermindert, sondern im Gegenteil erhöht. Die am Montag begonnenen Verhandlungen haben die Möglichkeit eröffnet, eine überschaubare Verhandlungsmaterie in überschaubarer Zeit zu konkreten Ergebnissen zu bringen, nämlich die Frage der Mittelstreckenraketen mit der Möglichkeit, daß sich daraus Auswirkungen auf andere Bereiche der Abrüstung ergeben.
Ich glaube, daß die Gespräche und auch die gemeinsam zum Ausdruck gebrachte Haltung hier in Bonn dazu ihren Beitrag geleistet haben. Wir haben als Interpreten der westlichen Position erstens den aufrichtigen Willen des Westens zu konstruktiven Verhandlungen und konkreten Verhandlungsergeb-
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nissen unterstrichen. Wir haben zweitens keinen Zweifel daran gelassen, daß nur konkrete Verhandlungsergebnisse — nur konkrete Verhandlungsergebnisse! — die für Ende 1983 auf westlicher Seite vorgesehene Stationierung von Mittelstreckenraketen beeinflussen können. Wir haben das in dem Bewußtsein getan, daß Zweifel an einem Teil des Doppelbeschlusses auch dem anderen seine Grundlage entziehen. Das gilt in beiden Richtungen; es ist für beide Seiten wahr. Oder, um es anders auszudrükken: Zweifel an der Ernsthaftigkeit des westlichen Willens zur Stationierung verschlechtern die Aussichten für Verhandlungsergebnisse, von denen wir hoffen, daß sie dazu führen, daß diese Stationierung nicht notwendig ist.
Wir haben drittens die sogenannte Null-Lösung, d. h. den Verzicht auf landgestützte Mittelstreckenraketen der USA und der Sowjetunion, nicht nur als ein wünschbares, sondern auch als das von uns gewollte Ergebnis der Genfer Mittelstreckenverhandlungen bezeichnet. Ich unterstreiche noch einmal: Wir hoffen, das gibt eine Initialzündung auch für andere Bereiche.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir uns eigentlich bewußt, was es bedeutet, daß die Forderung der Bundesregierung nach einem beiderseitigen Verzicht auf Mittelstreckenraketen nicht nur von den im Westen verhandlungsführenden Vereinigten Staaten, sondern auch von den anderen Bündnispartnern akzeptiert worden ist und daß diese Forderung auch ihren Eindruck auf die Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes nicht verfehlt? Ich erinnere an die Erklärungen, die der rumänische Staatspräsident beim Besuch des Bundespräsidenten in Bukarest abgegeben hat.
Lassen Sie mich ein Wort zur Frage der deutschen Mitwirkung bei der Gestaltung der westlichen Politik sagen. Meine Damen und Herren, es entspricht dem Charakter des westlichen Bündnisses als eines Zusammenschlusses gleichberechtigter Partner, daß wie. in der Phase 1, d. h. bei der Erarbeitung des Doppelbeschlusses, auch in der Phase 2, bei der Vorbereitung des westlichen Verhandlungsmandats, die europäischen Bündnispartner und hier vor allem die Bundesrepublik Deutschland entscheidend und bestimmend mitgewirkt haben. Die Abrüstungsgruppe der NATO, die diese Arbeit leistet, wird in der dritten Phase, während der Verhandlungen, diese Verhandlungen begleiten. Auch da wird unsere Mitwirkung sichergestellt sein.
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, dem Abrüstungsbeauftragten der Bundesregierung, Botschafter Ruth, für die bisher in der Abrüstungsgruppe geleistete Arbeit zu danken.
Meine Damen und Herren, dem Deutschen Bundestag möchte ich versichern, daß die Bundesregierung daran interessiert ist, bei der Begleitung der Verhandlungen mit den zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages eng zusammenzuarbeiten. Ich bitte den Deutschen Bundestag in seiner Gesamtheit um Unterstützung der Verhandlungsposition der Bundesregierung.
Die Mittelstreckenverhandlungen in Genf müssen auch im Zusammenhang mit anderen Abrüstungsbemühungen, die auch in der beachtenswerten Rede des amerikanischen Präsidenten erwähnt sind, gesehen werden. Wir sind der Überzeugung, daß die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die strategischen Waffen, und zwar nicht nur mit dem Ziel ihrer Begrenzung, sondern auch mit dem Ziel ihrer Reduzierung, positive Auswirkungen auch auf die Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen haben wird. Meine Damen und Herren, wir haben uns immer dafür eingesetzt, daß der SALT-Prozeß weitergeführt wird. Wir halten es für wichtig, daß die Verhandlungen in diesem wesentlichen Bereich im kommenden Jahr weitergehen. Im Zusammenhang mit diesen beiden Verhandlungsbereichen, die die atomaren Waffen betreffen, müssen wir die Verhandlungen über die Truppenreduzierung in Mitteleuropa, die MBFR-Verhandlungen in Wien, sehen. Für diese drei Bereiche konkreter Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik erhofft sich die Bundesregierung von der Fortsetzung des KSZE-Prozesses, insbesondere von der Einsetzung einer Europäischen Abrüstungskonferenz eine Verbesserung der Rahmenbedingungen.
Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel, daß Mißtrauen — das hat Herr Kollege Brandt heute gesagt —, daß auch mangelnde Einsicht in Ziele, Planung und Möglichkeiten der jeweils anderen Seite die Atmosphäre vergiften und damit konkrete Abrüstungsschritte erheblich behindern. Das wird bei den Verhandlungen über die konventionellen Waffen und Truppen in Wien besonders deutlich.
Die Einsetzung einer Europäischen Abrüstungskonferenz mit vertrauensbildenden Maßnahmen für ganz Europa würde schon durch die Verabschiedung eines konkreten Verhandlungsmandats zu einem Akt politischer Vertrauensbildung selbst werden können. Jede konkrete Vereinbarung, die sich auf dieser Konferenz ergibt, wird einen Schritt sicherheitspolitischer Vertrauensbildung darstellen. Die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um auf der in Madrid tagenden KSZE-Folgekonferenz die Einsetzung einer solchen Europäischen Abrüstungskonferenz zu ermöglichen.
Fortschritte bei den vertrauensbildenden Maßnahmen würden der europäischen Sicherheitspolitik eine neue Qualität geben und die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung wesentlich erleichtern. Wenn wir den Stand der Konferenz in Madrid betrachten, so können wir das nicht ohne Sorge tun. Die Konferenz stagniert. Die finnische Regierung hat einen Vorschlag unterbreitet, der den Versuch unternimmt, einen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage zu zeigen. Die westliche Seite unter-
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stützt diesen Vorschlag. Eine positive Resonanz der östlichen Seite ist nicht oder noch nicht da.
Schon werden Stimmen laut, die vorschlagen, man solle doch die Konferenz unterbrechen. Man solle abwarten, ob sechs oder 12 Monate später bessere Voraussetzungen für ein günstigeres Konferenzergebnis vorhanden sind. Meine Damen und Herren, ich möchte keine Zweifel daran lassen, die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um diese Konferenz jetzt zu einem konstruktiven Ergebnis zu führen.
Wir möchten auf gar keinen Fall, daß wir bei denen sind, die von einem Verhandlungstisch aufstehen. Der 31. Dezember 1981 ist das Datum eines Jahresschlusses, ist aber kein logisches Datum für das Ende einer Verhandlung, wenn Aussichten bestehen, im neuen Jahr doch noch zu Ergebnissen zu kommen. Wir werden also alles unternehmen, daß diese Konferenz zu den Ergebnissen führt, die wir erwarten.
Meine Damen und Herren, was bedeutet das: vertrauensbildende Maßnahmen für ganz Europa? Der Kern der Sicherheitsproblematik in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges besteht darin, daß die Sowjetunion als eine der beiden Weltmächte selbst mit einem Teil ihres Territoriums zu Europa gehört und mit ihrem gewaltigen Militärpotential unmittelbar an das andere Europa grenzt, während die andere Weltmacht durch den Ozean von Europa getrennt ist. Die sicherheitspolitischen Auswirkungen dieser geographischen Disparität haben die Nachkriegsgeschichte in Europa bestimmt. Heute bietet sich mit der Einsetzung einer Europäischen Abrüstungskonferenz die Chance, einen Anfang bei der Lösung des Knotens gegensätzlicher Sicherheitsinteressen zu machen, indem wir für dieses ganze Europa vertrauensbildende Maßnahmen vereinbaren. Wenn dieser Schritt gelingt — und deshalb müssen wir so darum ringen —, dann können auch die Voraussetzungen für die Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost geschaffen werden, von welcher der Bundeskanzler gesprochen hat. Eine solche Sicherheitspartnerschaft mit dem Ziel bündnisübergreifender Sicherheitsvereinbarungen wird dann auch unsere Vorstellungen mehr darstellen als rüstungskontrollpolitisches Geflecht. Hier sind politische Schritte zur Herstellung von Vertrauen notwendig. Hier ist es notwendig, die beiderseitigen Interessen zu verzahnen. Dem dient ja auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen West und Ost. Auch wenn wir wissen, daß wir von diesem großen Ziel noch sehr weit entfernt sind, müssen wir alles tun, um darauf hinzuarbeiten.
Die konsequente Verwirklichung aller Teile der Schlußakte von Helsinki durch alle Partner ist neben der Vertrauensbildung im militärischen Bereich eine Voraussetzung politischer Vertrauensbildung. Wir müssen uns immer bewußt sein, daß entsprechend der Konstruktion der KSZE auch bei einer solchen Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost wegen der bestehenden Kräfteverhältnisse in Europa die Teilnahme der USA unverzichtbar ist.
Die Sowjetunion selbst versteht sich als Weltmacht und mißt sich auch bei ihren militärischen Anstrengungen mit der anderen Weltmacht, mit den Vereinigten Staaten. Und deshalb ist ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa nur denkbar, wenn auf westlicher Seite die USA daran teilnehmen. Das bedeutet, einem übergreifenden System europäischer Sicherheit stehen die USA nicht nur nicht entgegen, es macht ihre Teilnahme unentbehrlich. Aber Aufgabe der Europäer muß es sein — und das gilt für die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft genauso wie für die anderen —, daß sie, die Europäer, Vorstellungen entwickeln, wie eine West-Ost-Sicherheitspartnerschaft politisch und ökonomisch, wie sie durch Verfolgung gemeinsamer Interessen auch tatsächlich möglich gemacht werden kann.
Ich glaube, es wird im Interesse Europas und es wird im Interesse der Welt liegen, wenn die Sowjetunion im Blick auf ihre eigenen langfristigen Interessen die Wahrnehmung dieser Interessen nicht in einer weiter ausgreifenden Vergrößerung ihres Militärpotentials und den sich daraus ergebenden militärischen und politischen Ungleichgewichten sähe, sondern wenn die Sowjetunion bei voller Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen auf der Grundlage eines möglichst niedrigen Gleichgewichts die Option, die Chance einer festgefugten und breit angelegten Zusammenarbeit mit den westlichen Demokratien erkennen würde.
Meine Damen und Herren, die ideologischen Gegensätze sind nicht geringer geworden, aber sie dürfen uns nicht davon abhalten, diesen Weg zu beschreiten, der allen Völkern nur Vorteile bieten kann.
Auf diesem Wege und für diesen Weg ist das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander von entscheidender Bedeutung. Es gibt keinen Zweifel, wir haben eine gemeinsame Verantwortung, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, eine gemeinsame Verantwortung gegenüber unserem eigenen Volk und gegenüber den anderen Völkern Europas, daß sich aus unserem Verhältnis, aus dem Verhältnis der Bundesrepublik und der DDR zueinander, nicht spannungserzeugende, die Stabilität in Europa beeinträchtigende Einflüsse ergeben. Ich glaube, daß wir das bevorstehende Treffen des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, auch in diesem Licht sehen müssen.
Wir sollten im deutsch-deutschen Verhältnis das Erreichte, den Kernbestand der Entspannungspolitik, bewahren. Wir müssen es dort wiederherstellen, wo es beeinträchtigt ist, und wir müssen uns darum bemühen, die Zusammenarbeit auf der Grundlage der geschlossenen Verträge und Übereinkommen auszubauen.
Neben den bilateralen Beziehungen gehören auch die Probleme der internationalen Entwicklung zum Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten. Des-
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halb sprechen wir auch mit der DDR über die Fragen der Rüstungskontrolle und der Abrüstung - einfach deshalb, weil wir wissen, daß eine Beeinträchtigung des Ost-West-Verhältnisses niemanden mehr treffen würde als die Deutschen im geteilten Land. Aber niemand hat auch — das haben wir auch in den letzten zehn Jahren erfahren — unmittelbare Vorteile aus einer Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses zu erwarten als die Deutschen im geteilten Land. Ich bin deshalb, meine Damen und Herren, ganz sicher: Wenn der Bundeskanzler mit den Kollegen Graf Lambsdorff und Franke in der kommenden Woche in die DDR fährt, dann wird die ganz große Mehrheit der Deutschen hüben und drüben „ja" zu diesem Besuch sagen. Viele Wünsche, viele Erwartungen werden die Gespräche des Bundeskanzlers mit Herrn Honecker begleiten. Diese gemeinsame Unterstützung, diese gemeinsamen Erwartungen werden erneut deutlich machen, daß die Deutschen in West und Ost mehr verbindet als nur eine gemeinsame Vergangenheit.
Nein, was die Deutschen in West und Ost verbindet, ist das Bewußtsein einer gemeinsamen Gegenwart und das Bewußtsein der Verantwortung für eine gemeinsame Zukunft.
Dabei sind wir uns bewußt: Es gibt keinen isolierten Weg der Deutschen — weder der Deutschen im Westen noch der Deutschen im Osten; nicht nur, weil andere das nicht wollen, sondern weil das unseren nationalen Interessen nicht entsprechen würde. Es entspricht allein den Interessen der geteilten Nation, daß wir uns immer bewußt sind: Deutschlandpolitik ist zuallererst eine europäische Friedensaufgabe. Genauso gilt: Europa ist eine Friedensaufgabe für die Deutschen.
Dieses Bewußtsein, diese Einsicht muß unser Handeln bestimmen. Das ist der Weg, den wir weiter gehen wollen.
Herr Bundeskanzler, auch ich möchte Ihnen wünschen, daß Sie bei Ihrem Besuch in der DDR auf diesem Wege für die Deutschen im geteilten Land und für den Frieden in Europa einen Schritt vorankommen. — Ich danke Ihnen.