Rede von
Dr.
Alois
Mertes
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Der Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihren Brief vom 10. Februar 1981 zu beantworten.
— Das Problem war das gleiche, wie eben dargestellt. —
Da Ihre Frage in die gleiche Richtung geht wie die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Zimmermann in der Debatte, bitte ich um Ihr Verständnis dafür, daß ich zusammengefaßt wiederhole, was der Bundeskanzler dazu in der Debatte gesagt hat:
1. Die Genfer Gespräche über eurostrategische Waffen sind ein Teil des SALT-Gespräches.
2. Ober diese Fragen möchte der Bundeskanzler kein polemisches Gespräch führen.
Ich habe nie gesagt, daß Verhandlungen über eurostrategische Waffen allein Sache der Amerikaner seien, nicht unsere Interessen berührten und nicht Konsultationsverpflichtungen auslösten. Ich habe mich bei dem eben aus dem Bundestagsprotokoll vorgelesenen Satz auf die Aussage beschränkt — das ist meine Meinung —, daß wir uns nicht in den Ratifizierungsprozeß von SALT II einmischen sollten. Sie haben es immer wieder getan. Das Ergebnis war negativ. Wer als Oberlehrer vom Rhein glaubt, die Amerikaner am Potomac belehren zu müssen, wird bemerken müssen, daß sie diese Ratschläge als sehr, sehr unerwünscht empfinden, auch wenn sie es auf Grund der international geltenden Höflichkeit nicht so deutlich sagen. Wir sollten es den Amerikanern überlassen, ob sie SALT II ratifizieren.
— Daß diese Meinung richtig ist, sehr verehrter Herr Kollege, geht doch daraus hervor, daß das gesamte SALT-Problem jetzt neu aufgerollt wird, daß sowohl SALT I als auch SALT II jetzt in die Genfer Gespräche als ein Punkt der vier Punkte Reagans einbezogen werden. Ich bin kein Fachmann von SALT, aber die SALT-Verträge haben ohne Zweifel einen Nachteil, den Herr Reagan mit seinem gesunden Instinkt sofort entdeckt hat: Sie führen das Aufrüsten der einen Seite statt das Abrüsten beider Seiten herbei. Das ist doch der Nachteil von SALT, das ist doch der Grund, warum der amerikanische Senat es abgelehnt hat, SALT II zu ratifizieren. Da brau-
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chen die amerikanischen Senatoren nicht den Ratschlag vom Rhein oder von der Elbe.
Nur so viel wollte ich gesagt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir noch, ein Wort der Sorge zum Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa, im besonderen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland zu sagen. Herr Rostow, Eugene Rostow, der Chef der amerikanischen Abrüstungsbehörde, ein Mann, den ich aus den 50er und 60er Jahren aus vielen Gesprächen kenne, ein hochrangiger Diplomat und Berater aller amerikanischen Administrationen in dieser Zeit — sonst wäre er jetzt j a nicht auch Chef der amerikanischen Abrüstungsbehörde —, sagte laut „Welt" vom 1. Dezember — das Ganze war ein Vortrag, den er vor wenigen Tagen in London gehalten hat — folgendes — ich darf ein paar Sätze zitieren —:
Die These, die ich heute abend vertrete, ist einfach: Der Frieden ist, nach den vor 45 Jahren geäußerten denkwürdigen Worten eines sowjetischen Außenministers,
— es muß Molotow gewesen sein —
wahrlich unteilbar geworden. Es ist wohl angebracht, daß wir uns am ersten Tag einer neuen Runde der sowjetisch-amerikanischen Gespräche über die Verringerung von Atomwaffen mit dieser These beschäftigen. Die allgegenwärtige Bedrohung durch das sowjetische Atomarsenal und die anscheinend unerbittliche Verbreitung von Atomwaffen schaffen tiefreichende politische Instabilitäten.
Ich gebe ihm recht. Das ist auch das, was der Kollege Biedenkopf in seiner theoretischen Analyse gemeint hat.
Aber Atomwaffen sind nicht die einzigen Faktoren des Ungleichgewichts in der Welt. Konventionelle Kriegführung, Unterwanderung und Terrorismus sind ebenfalls weit verbreitet und alltäglich geworden. Ihr Einfluß hat die Weltpolitik in ein Hexengebräu verwandelt aus einem Grund, der jeden Tag offensichtlicher und bedrohlicher wird: Die Schwelle zwischen konventionellem und atomarem Krieg ist nicht unüberwindlich, wie hoch sie auch sein mag. Kleine Kriege können ebenso schnell zu großen Kriegen ausufern wie in jenen Tagen, als Erzherzöge in Sarajevo ermordet wurden und als sich die Sorgen der Welt um Danzig drehten.
Das heißt: Übereinkünfte zur Waffenkontrolle haben kaum einen Wert, wenn sie nicht auch die Welt sicherer machen gegenüber konventionellen Kriegen, Terrorismus und die Bewegungen bewaffneter Banden über internationale Grenzen hinweg ...
Die vernünftige Antwort der westlichen Verbündeten auf den sowjetischen Vorschlag eines Verbots der Erstanwendung von Atomwaffen sollte deshalb ein Appell für eine erneute Verpflichtung der Weltgemeinschaft auf die Prinzipien der UNO-Charta und gegen jede Form der
Aggression sein, sei sie nun atomar, konventionell oder international-terroristisch. Dieser Appell sollte mit einer erneuten Verpflichtung zu dem Ziel verknüpft sein, die Atomenergie unter eine effektivere internationale Kontrolle zu bringen .. .
Wenn wir uns, vorsichtig und Schritt um Schritt, vom Abgrund zurückbewegen wollen, dann müssen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gemeinsam die Richtung bestimmen. Diese Pflicht dazu kann in zwei einfachen allgemeinen Grundsätzen formuliert werden: Zuerst müssen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion überprüfbare Abrüstungsvereinbarungen treffen, die jeder Seite gleiche Abschreckungskapazität verleihen, und zweitens sollte die öffentliche Ordnung der Welt in Übereinstimmung mit jenen Regeln wiederhergestellt werden, auf die sich die Vereinten Nationen in San Franzisko am Ende eines schrecklichen Krieges, den sie nur knapp gewannen, geeinigt hatten. Diese beiden Vorschläge sind eng miteinander verbunden. Zusammen definieren sie die Ziele der Vereinigten Staaten.
Was heißt das? Das heißt, daß sich die Sowjetunion mit dialektischen Zählmethoden und einseitiger Vorrüstung eine strategische Überlegenheit verschaffen und sie dann argumentativ wieder aus der Welt schaffen will, ohne sie materiell zu entfernen. Das heißt, daß sich die Sowjetunion endlich — das ist die Aufgabe unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik — zu dem Code of Conduct, d. h. zu den internationalen Verhaltensregeln, wie zivilisierte Völker miteinander umgehen, bekennen und danach handeln muß. Das ist doch das Problem!
Die endlosen Ströme von Waffen, verbunden mit dem Export revolutionärer Ideologien, und die verabredete Entsendung kubanischer Fremdenlegionäre haben doch Hekatomben von Blut hervorgerufen: in Lateinamerika, in Afrika, in Ostasien. Hier könne wir uns nicht auf ein Teilgebiet beschränken und unsere Augen im übrigen vor den sonstigen Vorgängen in der Welt verschließen.
Ich darf hier ein Wort zur Friedenspolitik so oder so sagen, und das ist auch nicht nur mein persönliches Bekenntnis, sondern mein Bekenntnis, das wir sowieso haben, das Bekenntnis der gesamten Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union. Für uns ist Krieg, d. h. die Anwendung militärischer Gewalt, unter keinen Umständen ein ethisch oder politisch erlaubtes Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele; erstens.
Zweitens, wir würden uns auch dann daran halten, wenn durch Vorgänge innerhalb des sowjetischen Bereiches die Schutzgarantie der Sowjetunion für ihre Zwangsverbündeten nicht mehr anhalten würde. Auch dann würden wir die daraus entstehenden Fragen niemals mit militärischen Mitteln lösen wollen und lösen dürfen, sondern ausschließlich mit dem Mittel der politischen Verhandlung, nicht der Konfliktstrategie, sondern der Konferenzstrategie,
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auch für diesen Fall; ob der jemals eintritt oder nicht, ist nicht meine Angelegenheit. Aber ich wollte diese hypothetische Aussage hier auch gemacht haben.
Aber das allein befreit uns nicht von den Sicherheitsproblemen. Wir haben seinerzeit, im Jahre 1955, damit begonnen, die Bundeswehr gegen schwerste Widerstände aufzubauen. Ich will diese Schlachten nicht wiederholen. Das waren geradezu Schlachten im Parlament wie auf den Katalaunischen Feldern. Die Geister der Erschlagenen haben noch im Himmel weitergekämpft, wie es in der Darstellung eines alten Geschichtsschreibers heißt.
Ausgelöst worden ist der Aufbau der Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt durch den Überfall Nordkoreas auf Südkorea. Nordkorea damals auch als eines der Agenten der sowjetischen Machtpolitik. Damals begannen im Jahre 1950 die Überlegungen. Im Jahre 1955 waren die Verträge abgeschlossen. Es gab in der Zwischenzeit manche Rückschläge, siehe das Nichtzustandekommen des EVG-Vertrages. Aber ab 1955 begann der Aufbau.
Erinnern Sie sich noch, meine Damen und Herren von der SPD — Herr Wehner müßte es noch wissen, Herr Brandt müßte es noch wissen —, daß damals auf einmal ein Stichwort in der militärpolitischen Landschaft auftauchte und heftigst umstritten war! Denn die Bundeswehr sollte eine rein konventionelle Armee von 500 000 Mann sein. Da tauchte das Stichwort „Radford-Theorie", auf, nämlich totale Abschreckung durch Androhung der totalen Vergeltung. Adenauer war erschrocken, schickte, wenn ich mich recht erinnere, die zwei Generäle Heusinger und Speidel in die USA, um gegen diese angebliche Auffassung der Amerikaner Widerspruch einzulegen. Sie kamen mit befriedigenden Erklärungen zurück. Kurze Zeit darauf wurde ich Verteidigungsminister, traf Admiral Radford bei der Weihnachtskonferenz der NATO im Dezember 1956 und fragte ihn: Herr Admiral, was ist denn eigentlich mit der Radford-Theorie los? Die Antwort war: „Es gibt keine Radford-Theorie. Wenn an meiner Stelle der General Meier wäre, dannn wäre es die Meier-Theorie. Was ich vertrete, ist die offizielle amerikanische und Atlantische Verteidigungsdoktrin; und ich sage es Ihnen, Herr Strauß, in einem Satz: Wann auch immer, wo auch immer, in welcher Stärke auch immer der Gegner einen NATO-Verbündeten angreift, wenn er sich bis zum Morgengrauen des nächsten Tages nicht auf seine Ausgangslinie zurückgezogen hat, werden wir mit allen Mitteln zurückschlagen, die wir haben." Ich darf es sogar englisch sagen, weil sich mir der Satz unvergeßlich eingeprägt hat: „We shall hit back with all retaliatory means we have." Das war damals die Aussage des amerikanischen Admirals mir gegenüber. Damals hat die SPD die Auffassung vertreten: Was sollen denn überhaupt noch 500 000 Mann konventionell bewaffneter Truppen; die können wir uns doch dann sparen, wenn es nur eine Atomstrategie dieser Art gibt!
Vor kurzem hat einer Ihrer Parteifreunde, ich möchte sagen: Ersatzreservist der Strategie, Herr Gaus, verlangt, daß man wieder zur Theorie und damit auch zur Praxis der totalen Abschreckung, der totalen Vergeltung zurückkommen solle.
Diese amerikanische Doktrin hielt nur bis zum Mai 1957. Im Mai 1957 hat Foster Dulles die europäischen Hauptstädte besucht — jedenfalls hat er Bonn besucht; ich war bei dem Gespräch zugegen — und gesagt: Diese Strategie können wir nicht mehr aufrechterhalten; wir müssen zwischen den konventionellen Waffen und den strategischen Waffen ein Zwischenglied einfügen, nämlich taktische Atomwaffen, und diese taktischen Atomwaffen müssen auch den Bundesgenossen zur Verfügung stehen. Die Bundesgenossen müssen taktische Atomwaffenträger einführen, und wir haben die Sprengkörper; die stellen wir zur Verfügung, aber under American custody and control und unter alleiniger Verfügungsgewalt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
Herr Bundeskanzler, Sie erinnern sich doch an die vier- oder fünftägige Aussprache im März 1958 in diesem Parlament. Lesen Sie einmal Ihre Rede darüber nach. Sie haben anerkennenswerterweise vor einigen Monaten gesagt: Strauß hat eben mehr gewußt, und ich — das nahmen Sie für sich in Anspruch — war damals falsch informiert. Wir haben damals mit Mehrheit die Einführung taktischer AWaffen-Träger bis zu einer Maximalreichweite der Pershing I beschlossen, und zwar um die Lücke zu schließen, die sich hier aufgetan hatte.
Und genau der gleiche Vorgang liegt jetzt bei dem Gleichgewicht der eurostrategischen Waffen zugrunde. Ich erinnere mich noch, daß damals die großen Demonstrationsmärsche kamen: Hamburg 100 000, Hannover 80 000, Frankfurt 50 000 oder 60 000, und in anderen Städten. Der damalige Chef der Hamburger Regierungsbehörde marschierte an der Spitze des Zuges — die städtischen Bediensteten hatten frei, die Schulen hatten frei — gegen die Einführung taktischer A-Waffen-Träger. Damals gab es genau dieselben Parolen wie heute, nämlich, daß die Einführung dieser A-Waffen-Träger zum Krieg führen werde, daß dieser Krieg die Zerstörung Deutschlands, die Vernichtung der Menschen in Deutschland bedeute, daß Europa in Schutt und Asche gelegt werde.
Diese Welle erlosch etwa Ende 1959, Anfang 1960. Seit dieser Zeit sind die Atomsprengkörper für die taktischen A-Waffen-Träger der Amerikaner und ihrer Verbündeten in der Bundesrepublik in erheblicher Zahl. Deutschland ist nicht untergegangen. Europa ist nicht zerstört worden. Kein Mensch hat es mehr gewußt. Keiner hat die damaligen Parolen überhaupt noch in Erinnerung gehabt. 20 Jahre haben die Menschen trotzdem in Ruhe geschlafen, in Frieden leben können. Ich sage: Sie haben nicht trotzdem, sondern deswegen in Ruhe arbeiten und in Frieden schlafen können.
Und ich darf hier noch ein Wort sagen. Für uns ändert sich mit der Aufstellung der SS-20, was die Bedrohung der Bundesrepublik betrifft, so gut wie nichts. Denn wir waren ohnehin immer in der Reich-
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weite der SS-4, der SS-5 und sind auch in der Reichweite selbstverständlich der SS-22 und der SS-23.
Daß aber ganz Europa jetzt von Mittelstreckenraketen der Sowjetunion bedroht ist, daß sie Ziele in jedem Quadratmeter Europas treffen können, hat eine neue strategische Lage im europäischen Teil der NATO geschaffen. Und das war der Grund — Sie haben es 1977 doch erkannt —, daß die Amerikaner hier auf Ausgleichsmaßnahmen gedrängt haben.
Lassen Sie mich dazu ein Letztes sagen. Ich habe mich über Herrn Breschnew hier geäußert. Ich habe ihn nicht herabgesetzt und nicht diffamiert. Aber ich habe mich bemüht, die Tatsachen zu nennen, wie ich sie sehe. Und das hat jedenfalls viel Wahrscheinlichkeit für sich.
Ich mache keinen moralischen Unterschied zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus. Aber in einem gibt es einen gravierenden Unterschied. Und darauf ist doch unsere ganze Sicherheitsstrategie aufgebaut. Der gravierende Unterschied, den wir machen, ist der, daß die Berliner Politik in den 30er Jahren risikoblind und risikobesessen war. Risikoblind und risikobesessen! Anders wären der Überfall auf Polen und die Führung des Zweiten Weltkriegs bis zur totalen Niederlage nicht möglich gewesen.
Haben nicht die pazifistischen Strömungen in West-Europa, in Frankreich und England,
die Protestmärsche der englischen Studenten „Wir werden nie mehr für König und Vaterland kämpfen" — derselben, die dann auf den Schlachtfeldern Flanderns im Jahr 1940 gefallen sind — bei dem Diktator damals die Gewißheit hervorgerufen: Der Westen ist so zermürbt, ist so dekadent, ist so degeneriert; um die brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern; mein Einmarsch in Polen wird nur Papierprotest hervorrufen wie alle anderen Maßnahmen — wie die Einführung der Wehrpflicht, wie der Einmarsch ins Rheinland, wie die Erpressung Österreichs, wie die Erpressung der Tschechoslowakei, wie der Einmarsch in Prag. Dann war der point of no return überschritten. Und so glitt die Welt in den Zweiten Weltkrieg hinein.
Hätte man ihm rechtzeitig gesagt „Bis hierher und nicht weiter!", und zwar schon das erste oder spätestens das zweite Mal — der größte Teil von 10 bis 20 Jahrgängen dieses Jahrhunderts würde heute noch leben.
Und darum bin ich ein leidenschaftlicher Anhänger dieser Politik, die eine Risikoschwelle schafft, über die keiner hinwegkommt, ohne Selbstmord zu wollen.
Und nun sage ich etwas über Herrn Breschnew und die Kreml-Führung. Die Kreml-Führung ist sehr risikobewußt und sehr risikoscheu. Sie hat nur dort zugegriffen, wo es sich um Räume handelte, in denen ihr kein atomar bewaffneter Gegner gegenübertrat. Ob sie Bürgerkriege in Lateinamerika, in Asien, in Afrika, in Ostasien oder den Einmarsch in Afghanistan betrieben hat, überall war das militärische Risiko für sie klein und leicht kalkulierbar,
nicht zuletzt deshalb, weil der Westen alle diese Etappen der 70er Jahre in einer falschen Entspannungseuphorie verschlafen hat und deshalb Vakuen geschaffen hat, in die die Sowjetunion — das gehört zum Gesetz ihres Wesens — dann zwangsläufig eingedrungen ist, ob Angola, ob Mozambique, ob Äthiopien, Südjemen usw.; die Liste könnte man noch fortsetzen.
Darum ist es meine und unsere feste Überzeugung, vom Westen wird nie eine Kriegsgefahr ausgehen. Was hier gesagt wird, ist ja nur psychologische Kriegführung, ist j a nur der Versuch, den amerikanischen Präsidenten in die Rolle des Kriegshetzers zu treiben und Herrn Breschnew das persilgeweißte Hemd des Friedensengels überzustreifen, ist eine Umkehrung der wirklichen Verhältnisse. Vom Westen geht nie eine Kriegsgefahr aus. Aber vom Westen geht ein so starker Verteidigungswille aus, daß das Risiko, das aus der Einführung der Mittelstrekkenraketen in Europa, falls die Verhandlungen zu keinem Erfolg führen, erwächst, für die Sowjetunion mit Sicherheit keinen Krieg an der NATO-Grenze jemals gewinnbar erscheinen läßt. Und genau auf das kommt es uns an: der Sowjetunion nicht unseren Willen aufzuzwingen, sondern ihr die Aussichtslosigkeit eines Krieges, die Aussichtslosigkeit der Erpressung ganz überzeugend und glaubwürdig darzustellen.
Das ist der Sinn unserer Friedenspolitik. Ich bin kein Dampfplauderer, der hier leere Phrasen macht. Dafür sind meine eigenen Fronterlebnisse, sicherlich auch die des Herrn Bundeskanzlers, zu deutlich gewesen, das Schicksal meiner geliebten Heimatstadt München, meiner Kameraden in meinen vielen Einheiten. Wir wissen, warum wir den Frieden wollen. Wir haben auch damals das richtige Urteil gehabt. Ich habe den Hitler-Stalin-Pakt nicht verursacht, den haben andere in jener Zeit verursacht und damit den letzten Stein des Hindernisses auf dem Weg zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beiseite geschafft. Um diese Strategie geht es uns. Diese Strategie durchzusetzen ist die alleinige Möglichkeit, unserer Bevölkerung eine sichere Friedensgarantie zu geben. Es war Herr Burns, der vor wenigen Tagen gesagt hat: „Wir ziehen unsere Truppen zurück, wenn sie hier nicht mehr willkommen sind." Wenn das die Russen in Polen, in der DDR, in Ungarn oder anderswo sagen würden! Das ist doch das Problem. Wie lange müssen wir diese Strategie aushalten? Die ist unbequem, das weiß ich. Das war auch meine freundschaftliche Antwort an Herrn Biedenkopf. Die müssen wir so lange aushalten, bis die Sowjetunion zum Code of Conduct, dem internationalen Verhaltenskodex der internationalen Umgangsformen, zurückkehrt.
Das erfordert einen langfristigen evolutionären Prozeß. Wenn der Westen einig, geschlossen und entschlossen bleibt, wird sich dieser evolutionäre Prozeß auch trotz des betrüblichen Rückschlags in Polen, der — siehe Zeitungsmeldungen — heute morgen eingetreten ist, unaufhaltsam vollziehen, weil nicht nur unsere Wirtschaftskraft stärker ist als die
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des Warschauer Paktes, weil auch die Idee der Freiheit auf die Dauer weder durch Panzer noch durch Bajonette niedergehalten werden kann.