Das ist ein Beweis, daß es der Sowjetunion weitgehend gelungen ist, die Abschreckung gegenüber der Abschreckung zu mobilisieren,
das heißt, ein Gefühl zu erzeugen, eine Gefühlswelle, besser gesagt, eine Stimmungswoge, die es ihr ermöglichen soll, den Nachholbedarf auf dem Gebiete der Sicherheitspolitik, der bei Scheitern der Genfer Verhandlungen unabweisbar wird, verhindern zu können und damit, genau durch diese Form der psychologischen Abschreckung, die Politik der Abschreckung zu unterlaufen.
Das zweite, was ich Ihnen dazu nicht ersparen kann, ist die Tatsache, daß Sie selbst aus wahlpolitischen Gründen zur Schürung der Angst in der Bundesrepublik persönlich sehr viel beigetragen haben.
Denken Sie an den Wahlkampf der SPD in Nordrhein-Westfalen mit dem schamlosen Mißbrauch der persönlichen Leiden und Opfer von Kriegerwaisen und Kriegerfrauen! Denken Sie auch daran, daß Sie immer versucht haben, der CDU/CSU die Plakette „Kriegsgefahr" aufzudrücken, um sich selber dann die Plakette „Friedensgarantie" an Ihr Rockrevers zu heften! Damit haben Sie beigetragen, und zwar mit der Autorität des Kanzleramtes, bei jungen Menschen eine Grundwoge der Angst zu erzeugen.
Und deshalb habe ich Ihnen einmal gesagt: Der Herr Schmidt soll nicht in die Feuerwehruniform schlüpfen, wenn er vorher als Brandstifter tätig gewesen ist.
Zu diesem Stil der Großspurigkeit gehören auch diese Ankündigungen, Dolmetscher Schmidt wolle
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Breschnews Frage weiterreichen, was man davon halte, alle auf europäische Ziele gerichteten Kernwaffen, also auch die britischen und französischen, wegzunehmen, auch taktische kleine Atomwaffen. Glauben Sie mir, daß die Amerikaner das wissen, ohne daß Sie diese Frage weiterzureichen brauchen, daß die Sowjets dieses Problem der britischen und französischen Waffen, die bei Ihrem Besuch in Moskau überhaupt nicht erwähnt worden sind, in Genf auf den Tisch legen werden. Damals hat man sogar die Großzügigkeit der Moskauer Verhandlungspartner gelobt, weil sie die britischen und französischen Atomwaffen in ihre Rechnung überhaupt nicht einbezogen hätten. — Ich habe dem Frieden damals nicht getraut. Das war auch richtig.
Dann haben Sie weiterhin geäußert, es bestehe kein Zweifel an Moskaus Wunsch nach erfolgreichen Abrüstungsgesprächen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich teile Ihre Meinung, bloß, das hat nicht viel zu sagen. Ich habe bei meinem letzten Gespräch mit Herrn Breschnew und unter Bezugnahme auf meine Äußerungen im Bundestag nach dem ersten Gespräch mit Herrn Breschnew hier vor diesem Hohen Hause, damals noch als Mitglied dieses Hohen Hauses, erklärt, daß ich Herrn Breschnew für einen großen Staatsmann der Sowjetunion halte, allerdings einen Mann mit anderer Wertordnung als wir. Ein Staatsmann mit unserer Wertordnung könnte sich nicht an dem Genocid in Afghanistan beteiligen. Aber ich halte ihn trotzdem für einen großen Staatsmann, eben nur mit anderer Wertordnung. Und ich habe mehrmals erklärt — ich möchte das nicht hundertmal wiederholen müssen —, daß ich Herrn Breschnew nie die Absicht unterstellt habe oder unterstelle, einen großen militärischen Konflikt zwischen West und Ost, nicht einmal einen europäischen Krieg, auslösen zu wollen. Ich bin fest davon überzeugt, daß er das nicht will. Deutlicher kann ich mich nicht ausdrücken. Das ist auch meine feste Überzeugung. Ich bin wegen dieser Überzeugung nunmehr sogar von der anderen Seite her gescholten worden. Aber das ist gar nicht das Thema.
Ich nehme hier vier, fünf Begriffe der Kürze wegen zusammen. Die Begriffe Koexistenz, Entspannung, Abrüstung, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle werden in sowjetischer und demokratischer Sicht — diesen Gegensatz zu sagen, ist hoffentlich erlaubt — völlig verschieden eingesetzt. Für uns sind, unabhängig, wie man manche Aspekte der Entspannungspolitik beurteilt — ich habe keine Zeit, das darzulegen; ich habe es oft genug getan —, Koexistenz, Entspannung, Abrüstung, Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle Ziele für sich selber, Güter in sich. Wenn Koexistenz, Entspannung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung erreicht werden können, dann ist das für uns in sich schon ein großes Ziel, ein hohes Gut und wert, um seiner selbst willen mit allen Mitteln verfolgt zu werden.
In der sowjetischen Sicht — und, bitte, täuschen Sie sich doch nicht darüber hinweg! — lauten die Bekenntnisse zu diesen fünf Zielen genauso wie in unserem Munde, aber die Gedanken dahinter sind naturgemäß anders. Das ist auch nicht eine böse Unterstellung von mir, sondern es geht aus sämtlichen Bekundungen, Dokumenten und Reden hervor, daß für die Sowjetunion der Einsatz dieser fünf Begriffe auch in Verhandlungen einem Ziel dient, nämlich die Überlegenheit auf militärischem Gebiet zu erringen, sie auszubauen und eine wachsende strategische Manövrierfähigkeit zu erreichen, den Spielraum der anderen Seite, der jeweiligen Gegenseite, mit Einschüchterung der Völker bis zur strategischen und politischen Lähmung einzuengen. Es gibt doch eine ganze Reihe von Äußerungen von kompetenter und authentischer Seite, die die Politik der Entspannung als psychologisches Instrument im Dienste der sowjetischen Friedens- und Sicherheitspolitik so definiert.
Darum sollte man hier endlich einmal nicht nur immer auf der Oberfläche schürfen und dabei über die wirklichen Probleme in der Tiefe hinweggehen, entweder weil man ihnen nicht gewachsen ist oder weil man sie nicht wahrnehmen will oder weil die intellektuelle Kraft dazu fehlt, sie tatsächlich zu durchdenken.
Auch dieses sollte man hier einbeziehen. Man soll doch nicht glauben, daß Herr Breschnew hier ein Einzelgänger ist. Herr Breschnew ist ein großer Stratege im Dienste der gesamtsowjetischen Politik, die ja seit dem Jahre 1917 einen roten Faden aufweist. Herr Breschnew ist doch nicht der Einzelgänger, der hier verzweifelt Bonner Hilfe anruft, um den bedrohten Frieden zu retten. Herr Breschnew ist hier die Spitze des Establishments, die Spitze der Nomenklatura, in der es sicherlich Varianten, Unterschiede und Schattierungen gibt. Auch er ringt um die Anerkennung seiner eigenen Poklitik innerhalb der sowjetischen Führungsschicht und innerhalb des Kreises der — wie man sagt — Verbündeten.
Es gibt doch nach der atlantischen Militärdoktrin zwei Arten von Kriegen. — Ich darf dem einen Satz vorausschicken: Die ganze Atlantische Allianz — Herr Möllemann hat das so deutlich gesagt, daß ich es nicht zu wiederholen brauche; das gilt für jedes Mitglied, vornehmlich für die Vereinigten Staaten von Amerika — wünscht den Frieden, den Frieden und den Frieden und ist gegen jedes militärische Abenteuer.
Sie ist absolut dagegen, militärische Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele einzusetzen. Das ist meine feste Überzeugung, und das gilt auch trotz der häßlichen Töne, die man gegenüber Reagan und seinen wirlichen Absichten im Laufe der letzten Zeit, im Laufe der Monate seit seiner Wahl immer wieder anklingen ließ.
Sonst unterteilt die atlantische Militärdoktrin Kriege — wahrscheinlich irreal — in zwei Gruppen, nämlich in konventionelle Kriege — gut, die werden geführt auf der Welt, aber nicht zwischen Atommächten — und atomare Kriege. Ich war immer sehr skeptisch, ob man einen Krieg zwischen Atommächten auf eine konventionelle Auseinandersetzung begrenzen kann, höchstens wenn man rechtzeitig
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Schluß macht und die Ausgangslage wiederherstellt; sonst kommt immer die Versuchung, j a fast der Zwang, zur nächsthöheren Waffe zu greifen.
Ich beteilige mich nicht an dem intellektuellen Spiel, ob ein Krieg auf Europa begrenzt werden kann, an dem Streit um dieses Reizwort, das der amerikanische Präsident in die Diskussion geworfen hat. Aber lassen Sie mich aus ureigener Erfahrung sagen: Wir haben ja gerade damals im Jahre 1957 die Strategie der totalen Vergeltung und der totalen Abschreckung für jeden Fall abgelehnt, und wir haben dann in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die Strategie der flexible response eingeführt, um den Einsatz der strategischen Waffen — wenn es dieses lateinische Wort gäbe: auf die Ultimissima ratio — auf die Ultima ratio zu beschränken. Wir haben die taktischen Atomwaffen dazwischen, damit nicht das Inferno des „nuclear Holocaust" ausbrechen kann, und darunter dann eine starke konventionelle Bewaffnung, um die Schwelle auch zu den taktischen Atomwaffen möglichst hochzuheben. Das war doch die Entwicklung der Militärdoktrin der NATO.
Die Sowjetunion — ich werfe ihr das nicht vor; das ist immanent mit ihrem System verbunden — hat eine andere Vorstellung von Kriegen, nämlich von „gerechten" und von „ungerechten" Kriegen. Die militärstrategischen Überlegungen sind auch nicht geheim; sie sind ja veröffentlicht worden. Man braucht sie nur zu lesen. Ich habe erlebt, wie wir nach dem Zweiten Weltkrieg beschimpft worden sind, weil wir angeblich Hitlers „Mein Kampf" nicht gelesen hatten. Jetzt sollte man lesen, was es hier an Unterlagen gibt, und man sollte sie analytisch prüfen und Schlußfolgerungen daraus ziehen.
Der ehemalige sowjetische Verteidigungsminister Gretschko schrieb:
Wir haben und werden niemals die fundamentalen Überlegungen unserer Militärdoktrin verheimlichen.
Darum habe ich auch große Skepsis gegenüber der Äußerung des Generalsekretärs Breschnew in seinem Interview und in Bonn, daß es keinen begrenzten Atomkrieg geben könne, und noch größere Skepsis gegenüber seiner sicherlich hier gut wirkenden Äußerung, daß ein Atomkrieg nicht gewonnen werden könne, sondern beiderseitig totale Vernichtung bedeute. Ich bin dieser Meinung, aber die sowjetische Militärdoktrin differenziert hier.
Die sowjetische Militärdoktrin genießt einen hohen politischen Stellenwert; denn sie wird — so erklärt das sowjetische Handbuch für Offiziere — vom Zentralkomitee der KPdSU höchstpersönlich ausgearbeitet. Die sowjetische Militärdoktrin differenziert zwischen „gerechten" und „ungerechten" Kriegen. Gerechte Kriege sind nach ihrer Lehre der bewaffnete Kampf der Marxisten-Leninisten mit dem Ziel der Vernichtung des Kapitalismus sowie der antiimperialistische Freiheitskampf.
Der sozialistische Staat, so doziert Generalleutnant I. Sawjalow, könne seinem Wesen nach nur „ge-rechte" Kriege führen. Diese seien die „Fortsetzung der revolutionären Politik mit anderen Mitteln". Ich bin nicht der Meinung, daß man Politik nur mit ideologischen Doktrinen, Prinzipien und Voreingenommenheiten betreiben kann. Ich warne aber auch sehr davor, angesichts der inneren Logik und Konsistenz der Staatsraison der Sowjetunion und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung diese Dokumente etwa als theoretische Spinnereien abzutun. Das ist die theoretische Grundlage, auf der die sowjetische Politik in der Praxis aufgebaut ist, wozu auch die Täuschung der anderen Seite ein erlaubtes Mittel ist.
Warum diese Unterscheidung gemacht wird, erklärt der sowjetische Militärtheoretiker V. Izmalov: „Sie hilft uns Kommunisten, unseren Standpunkt zu jedem Krieg zu finden." Ich sage mit anderen Worten: Jeder Krieg, auch ein massenvernichtender Atomkrieg, ist für die in ihn verwickelte sowjetische Armee „gerecht", da er der marxistisch-leninistischen Machtpolitik nützlich ist.
Oberst V. V. Larinonov, ein prominenter Bearbeiter des dreibändigen Standardwerks „Militärstrategie" enthüllt auch die Verbindungslinie von Abrüstung und Führung von „ungerechten" Kriegen, d. h. Kriegen, die der Westen im westlichen Verteidigungsinteresse führen müsse.
Die Sowjetunion hat sich stets resolut solchen internationalen Abkommen widersetzt, die „ungerechte" Kriege legalisieren würden. Unser Land kämpft stets für allgemeine und komplette Abrüstung, d. h. für die Vernichtung all der Mittel, die man zur Führung solcher Kriege braucht.
— Nämlich „ungerechter" nach ihrer Meinung.
Der Westen soll also einseitig abrüsten, denn nur er kann seinem politischen Wesen nach „ungerechte" Kriege führen. Die Sowjetunion bleibt gerüstet, denn die Kriegsführung ist von ihr aus „gerecht".
Ich darf Sie an die Äußerungen eines Mannes des zweiten Gliedes erinnern, des Armeegenerals Hoffmann, der auch den Einsatz sowjetischer Atomraketen gegen Westeuropa als „gerecht"-fertigt erklärt.
Bei allem Leid, — so schreibt er —
das in diesem letzten und entscheidenden Konflikt zwischen Fortschritt und Reaktion über die Völker käme — insbesondere in den kapitalistischen Ländern — das wäre von unserer Seite ein gerechter Krieg.
So schreibt er in der Zeitschrift „Einheit" im Jahre 1976.
Jetzt kommt noch ein Mann aus dem ersten Glied, den der Bundeskanzler, wenn ich mich recht erinnere, in Moskau persönlich kennengelernt hat, als er Marschall Ustinow und seinen ersten Mitarbeiter besuchte. Marschall der Sowjetunion N. V. Ogarkow, Erster stellvertretender Verteidigungsminister und Generalstabschef, der die gesamte nukleare Zielplanung der Roten Armee bestimmt, bekräftigt in der sowjetischen Militär-Enzyklopädie den festen Glau-
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ben seiner Raketengenerale an den Sieg im Atomkrieg. Die sowjetische Militärstrategie basiere auf der Realität, daß, sollte man der UdSSR einen Nuklearkrieg aufzwingen, das Sowjetvolk und seine Streitkräfte auf die „härtesten Belastungen" vorbereitet sein müßten. In dieser Hinsicht hätten die Sowjetunion und die brüderlichen sozialistischen Staaten — im Vergleich zu den Imperialisten — „gewisse Vorteile", die sich aus den „gerechten" Kriegszielen und der fortentwickelten Natur ihres Staatssystems ergeben. Das verschaffe ihnen, so sagt er, „objektive Möglichkeiten, den Sieg zu erzwingen". Um jedoch die Möglichkeit eines Atomsieges zu verwirklichen, bedürfe es „rechtzeitiger und umfassender Vorbereitungen des Landes und seiner Streitkräfte".
Die sowjetische Zielsetzung geht auch bei den kommenden Verhandlungen dahin — ich sage das nicht aus Polemik und aus Gehässigkeit, sondern aus Ernst und Sorge —, als Ergebnis der Abrüstungsverhandlungen eine solche sowjetische Überlegenheit beizubehalten, daß in absehbarer Zeit auch ein atomarer Krieg gewinnbar ist, vor allen Dingen ein atomarer Krieg, der sich nicht auf den Einsatz der strategischen Waffen auf beiden Seiten bezieht, sondern der — nach dieser Doktrin — auch auf Europa unter Einsatz von atomaren Waffen begrenzt werden kann. Hier haben wir ein legitimes Interesse daran, nicht nur unsere Friedfertigkeit zu betonen — das ist allmählich geradezu eine Zumutung angesichts unseres Menschenbildes —
gegenüber totalitären Ideologien — ob nationalsozialistischen oder kommunistischen —,
sondern alles zu tun, um Moskau einen Sieg im Atomkrieg als aussichtslos erscheinen zu lassen, uns aber auch so zu verhalten, daß Moskau keinen politischen Erpressungssieg im Atomfrieden erringen kann. Das ist die Maxime, um die es hier geht.
Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, daß ich Sie noch strapazieren muß. Aber was haben Sie denn heute wieder gesagt?!
Sie haben einmal gesagt: Wer militärisches Übergewicht erstrebt und erreicht, der braucht nicht zu verhandeln, der kann diktieren. Das stimmt für die Sowjetunion. Ich bin auch für das Gleichgewicht, weil es das Geschäft erleichtert. Die Amerikaner haben von ihrem Monopol der Atomwaffe, das zumindest bis zum Jahr 1949/50 bestand, weder durch Anwendung — außer gegen Japan; das war der gemeinsame Kriegsgegner — noch durch Androhung des Einsatzes den Sowjets jemals etwas diktiert.
Angenommen die Verhältnisse wären umgekehrt — Berlin sozusagen im Spiegelbild gesehen — und die Amerikaner hätten eine russische Enklave total blockiert. Glauben Sie, daß die Sowjetunion dann nicht mit dem Einsatz der Atomwaffe gedroht hätte, wenn die Amerikaner nicht unverzüglich die
Blockade Berlins aufgegeben hätten? Das Ganze ist nun einmal seitenverkehrt dargestellt. Die Amerikaner, im Alleinbesitz der Atomwaffe, hätten sicherlich keinen Angriff mit ihr unternommen, hätten aber die Expansion der Sowjetunion in andere Räume damit schon durch die Existenz dieser Waffe verhindert. Aber Sie hätten niemals das System und den Staat der Sowjetunion durch Einsatz Ihrer Monopolatomwaffe beseitigt. Darum ist hier ein Unterschied. Ich wehre mich auch im Interesse der Bündnispsychologie dagegen, daß hier in der Bundesrepublik, vor allem auf seiten der SPD, immer mehr der Unfug und die Unsitte einreißen, Moskau und USA als Gleichwertige,
gleich zu beurteilende und deshalb beide mit Äquidistanz zu behandelnde Mächte anzusehen und sich demgemäß zu verhalten. Ich kann verstehen, warum Sie das getan haben; denn wer in seiner Partei mit solchen Problemen zu kämpfen hat — es heißt: in der Not frißt der Teufel Fliegen —, der kommt dann auf die angeblichen Differenzen in der Union zu sprechen.
Sie haben behauptet, ich hätte auf dem CSU-Parteitag die Gleichrangigkeit von Verteidigungsanstrengungen und Verteidigungsbereitschaft einen Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses genannt, der taktisch bedingt, aber in der Sache leider unlogisch sei. Sie haben wieder, wie es häufig Ihre Art ist, einen Abschnitt daraus zitiert, ohne den Zusammenhang zu nennen, und damit den Eindruck erweckt, auch heute vor dem Fernsehpublikum: Der Strauß hält nichts von Verhandlungen; er setzt nur auf die Rüstung. Sie sollten den Text lesen — ich schicke ihn Ihnen, und bitte lesen Sie ihn ganz, wenn es Ihre Zeit erlaubt —, denn daraus geht eindeutig hervor, daß nach meiner Überzeugung, die wie jede Überzeugung richtig oder falsch sein kann, der Beschluß, das Gleichgewicht herzustellen, wenn die Sowjetunion ihre Raketen nicht abbaut, ohne diese langen, quälenden Auseinandersetzungen in Ihrer Partei und in Europa die Sowjets schneller als mit diesem Verfahren an den Verhandlungstisch gebracht hätte. Das ist der Sinn meiner Äußerungen. Das heißt, ich stelle die Verhandlungen über die Aufrüstung; aber der schnellste, sicherste und kürzeste Weg zum Verhandlungstisch wäre nach meiner Auffassung eine geschlossene Haltung der Europäer und der Amerikaner zu diesem Thema gewesen.
Darum bitte ich Sie, mir das nicht mehr zu unterstellen, diese beleidigende Unwahrheit nicht zu verbreiten, indem Sie einen Satz herausgreifen — Ihre sattsam bekannte, üble Methode —, damit den Zusammenhang verfälschen und die wirklichen Absichten meiner Analyse und meiner Schlußfolgerung dann ins Gegenteil verkehren.
— Doch ein Geburtsfehler.
Das muß ich leider noch mit ein paar Sätzen aufgreifen. Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler hat doch
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in seinem Gespräch mit den amerikanischen Journalisten erklärt, daß bei dem Treffen auf einer kleinen Insel — er wußte im Augenblick den Namen nicht; Guadeloupe muß es gewesen sein — Carter mit dem Vorschlag gekommen sei, angesichts der sowjetischen Vorrüstung nun das Gleichgewicht in Europa wiederherzustellen. Er hat dann darauf verwiesen, daß die drei europäischen Partner — der britische Premierminister, der französische Staatspräsident und er — diese Gefahr anerkannt, aber damit die Bedingung verbunden hätten, daß mit der Aufrüstung auch die Verhandlungen parallel dazu beschlossen werden sollten. — Gut. Er hatte dem amerikanischen Präsidenten Carter dann bestätigt — oder unterstellt —, daß er, Helmut Schmidt, mit seiner Rede im Jahre 1977 in London, in der er auf die Gefahr der sowjetischen Mittelstreckenraketenrüstung hingewiesen habe, gar keine Gegenmaßnahmen der NATO verlangt habe, sondern die Amerikaner zu Verhandlungen habe ermuntern wollen. So ist es jedenfalls vor kurzem zur Rechtfertigung der damaligen Rede gesagt worden.
Die Bereitschaft zu Verhandlungen liegt im Interesse aller Beteiligten und braucht nicht eigens betont zu werden. Ich kann Ihnen verlesen, was ich in meiner Parteitagsrede gesagt habe. Die Amerikaner wollten die Nachrüstung und haben als Ergebnis der Nachrüstung sowjetische Verhandlungsbereitschaft erwartet. Die Europäer — das gilt in besonderem Maße für die SPD; denken Sie an Ihren Parteitag im Jahre 1979 mit Ihrer Doppelformulierung, mit Ihrer Gummiformulierung, mit Ihrer Sowohl-Als-auchEntschließung —
dachten nur an Verhandlungen und glaubten, damit schon das Problem der Nachrüstung erledigen zu können. Auch für Sie kommt die Stunde der Wahrheit Ende 1983, wenn sie nicht schon früher kommt.
Hier ist meine Meinung: Hätte man den Sowjets gesagt „Wir müssen nachrüsten, und wir werden nachrüsten, wenn diese Ungleichheit nicht beseitigt wird",
hätte man nicht dieses lange, quälende Spiel der europäischen Regierungen veranstaltet — einmal ja, einmal halb j a, einmal halb nein, einmal ganz nein, dann wieder ganz ja —, wäre es besser gewesen. Das Ganze ist zu einem Horrorstück innerhalb der SPD ausgestaltet worden.
Die Sowjets wissen genau, was ihre Interessen sind. Die brauchen keinen Helmut Schmidt, um ihre Interessen zu erkennen. Die wissen ganz genau, daß sie verhandeln müssen, wenn ihre Interessen auf dem Spiel stehen. Das haben sie noch immer getan. Dazu brauchen sie weder einen Dolmetscher noch einen Vermittler noch einen Makler.
Meine Auffassung geht dahin, daß auf diesem Wege am schnellsten und am sichersten Verhandlungen erreicht worden wären. Bis jetzt gibt es für mich keinen Grund, Herr Brandt, diese Meinung zu korrigieren.
Nehmen Sie doch das Beispiel, als vor einigen Monaten Präsident Reagan einige harte Worte an die Adresse Moskaus richtete, etwa: Kommunisten lügen und betrügen, wenn es um die Weltherrschaft geht.
Wie war denn da die Reaktion? Ein vernichtendes Urteil: daß nunmehr dieser unerfahrene, tölpelhafte amerikanische Präsident als Cowboy mit der Hand am Colt in High-noon-Stimmung den Westernsaloon betritt, die Lichter herunterschießt, die Landschaft verdunkelt. Dann kamen Kommentare: Nun wird Breschnew beleidigt sein, verstimmt sein, verärgert sein; jetzt ist die Tür zugeschlagen; die wird sehr lange nicht mehr aufgehen! — Wenige Tage später hat Herr Breschnew in einer bemerkenswert staatsmännischen Rede erklärt, er lege größten Wert darauf, sich so schnell wie möglich mit Herrn Reagan zu treffen, um mit ihm über die strittigen Probleme zu verhandeln.
Sie müssen endlich einmal aufhören, Ihre eigene Mentalität in die Herzen von Kreml-Führern zu verpflanzen und sie danach zu beurteilen. Das ist doch Ihr Hauptfehler.