deutlich in der Sache, aber persönlich im Ton und beiderseits verbindlich, an dem gemeinsamen Friedensinteresse orientiert. Jenseits wichtiger Meinungsverschiedenheiten, jenseits sehr grundlegender divergierender Vorstellungen von Gesellschaft und Politik war der gemeinsame Nenner dieser Gespräche unsere gemeinsame Sorge um den Frieden.
Ein solches Gespräch war möglich und bleibt möglich, weil es die Grundlage persönlichen Vertrauens gibt, die während vieler Begegnungen im Laufe langer Jahre zwischen Herrn Breschnew und mir und zwischen den Herren Genscher und Gromyko gewachsen ist. Dazu hat auch geholfen, daß wir das Gespräch zwischen Bonn und Moskau in der sehr schwierigen Epoche der Beziehungen zwischen Ost und West nach dem Einmarsch in Afghanistan nicht haben abreißen lassen.
Wir wissen auf beiden Seiten, was wir voneinander zu halten haben, und ich bin sehr befriedigt darüber, daß Herr Breschnew mir im Angesicht beider Delegationen bestätigt hat, ihn noch nie getäuscht zu haben.
Es hat bei dieser Begegnung auch keinen Versuch gegeben, einen Keil zwischen unsere Bündnispartner und uns zu treiben. Herr Breschnew und Herr Gromyko haben vielmehr erwartet, daß wir auf der Grundlage der gemeinsamen Bündnispositionen sprechen würden. Sie wußten natürlich auch, daß wir in Bonn die Formulierung der gemeinsamen Positionen unseres Bündnisses maßgeblich mitbestimmt haben und daß wir unsere Stimme im westlichen Bündnis auch in Zukunft erheben würden, daß sie dort gehört werden würde, eben weil unser Gewicht voll in der westlichen Waagschale liegt und dort zur Wirkung kommt.
Die sowjetische Führung weiß und sie hat erneut gespürt: Die Bundesregierung und das ganze Volk wollen mit aller Kraft zur Festigung des Friedens beitragen. Sie weiß: Unserer exponierten Lage im Herzen Europas wegen wollen wir alles tun, damit Konflikte zwischen Ost und West nicht ohne Not verschärft werden.
Ich habe unser besonderes Interesse an den Genfer Verhandlungen erläutert, ein Interesse, das sich, wie gesagt, unmittelbar aus unserer geographischen und politischen Lage ergibt. Auf unser Land sind die sowjetischen Mittelstreckenraketen in erster Linie gerichtet. Bei uns würde ein großer Teil der westlichen Mittelstreckenwaffen stationiert, falls die Verhandlungen in Genf ohne Ergebnis bleiben sollten.
Deshalb haben wir das uns Mögliche getan, um diese Verhandlungen zustande zu bringen. Jetzt geht es uns darum, zu helfen, daß diese Verhandlungen zügig geführt werden und greifbare Ergebnisse erbringen.
Ich habe dem sowjetischen Gast mein Verständnis für seine Sorge, für die Sorge der Sowjetunion vor der Stationierung amerikanischer Mittelstrekkenwaffen in Westeuropa zum Ausdruck gebracht. Aber ich konnte und wollte auch meinen Gesprächspartnern diese Sorge nicht nehmen. Ich habe vielmehr meinerseits dem Generalsekretär erläutert, daß wir die Sorge sehr gut verstehen, weil wir j a und weil wir uns schon lange durch das ständig wachsende sowjetische Potential an Mittelstreckenraketen unmittelbar bedroht fühlen; wir kennten also solche Sorge.
Für uns wären daher auch Versuche, das heute bestehende Ungleichgewicht, so wie es ist, durch Verhandlungen festschreiben zu wollen, nicht annehmbar. Die Sorgen und die Ängste beider Seiten können nur dann entfallen, wenn auch die Sowjetunion ihren Beitrag zu den laufenden Verhandlungen in solcher Weise leistet, daß bis Ende des Sommers 1983 konkrete Ergebnisse vorliegen.
Wir haben dabei die beiderseitige Null-Lösung in den Vordergrund gestellt. Wenn jedoch Ende 1983 konkrete Ergebnisse nicht vorliegen sollten — so habe ich deutlich zum Ausdruck gebracht —, würde die Bundesregierung, würde jede Bundesregierung die im eigenen deutschen Sicherheitsinteresse und die im gemeinsamen Sicherheitsinteresse des Bündnisses eingegangenen Verpflichtungen aus dem Doppelbeschluß einhalten. Das heißt: die Stationierung würde in dem geplanten Umfang erfolgen.
Ich habe in diesem Zusammenhang vor einer Fehleinschätzung der Friedensbewegungen in Westeuropa gewarnt und davor, Politik zwischen Regierungen durch den Versuch der Einwirkung auf die öffentliche Meinung des anderen Landes ersetzen zu wollen.
Auf sowjetischer Seite äußerte sich erhebliche Unsicherheit über die Absichten unserer amerikani-
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schen Verbündeten. Hier haben wir mit allem Nachdruck die Gesprächspartner zu überzeugen versucht, daß Präsident Reagan mit der festen Absicht in die Genfer Verhandlungen geht, zu konkreter Rüstungsbegrenzung, zu Rüstungsverminderung zu gelangen. Ich hatte den Eindruck, daß diese Klarheit von unseren sowjetischen Gästen sehr gewürdigt worden ist.
Ich habe meinerseits keinen Zweifel an der Bereitschaft der Sowjetunion, in Genf ernsthaft zu verhandeln, um zu wesentlichen Reduzierungen bei den Mittelstreckenwaffen zu kommen. Auch wenn es während unserer Gespräche wesentliche neue Vorschläge nicht gegeben hat, so sehe ich in diesen Gesprächen doch ermutigende Ansätze, z. B. in der sowjetischen Bereitschaft, auch während der Verhandlungen ihren Bestand an Mittelstreckenraketen zu reduzieren; z. B. auch in der angedeuteten Möglichkeit eines stufenweisen Vorgehens in den Verhandlungen selbst. Dem letzteren entspricht ja der westliche Vorschlag, sich in einer ersten Phase der Verhandlungen auf die Mittelstreckenraketen der beiden Seiten zu konzentrieren.
Mit Befriedigung haben wir vermerkt, daß auch auf sowjetischer Seite großes Interesse geäußert wurde sowohl an Fortschritten bei den laufenden MBFR-Verhandlungen über gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen in Wien als auch an einem befriedigenden Abschluß des KSZE-Folgetreffens in Madrid mit einem klar definierten Mandat für eine Konferenz über vertrauensbildende und sicherheitsfördernde Maßnahmen und über Abrüstung in ganz Europa. Begrüßt habe ich auch die Bekräftigung des Grundsatzes der Zurückhaltung, der Mäßigung in den Beziehungen aller Staaten untereinander.
Die bilaterale Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion wird wegen des hohen wirtschaftlichen Nutzens für beide Seiten, aber auch wegen ihrer Bedeutung für die politische Entspannung in Europa von uns beiden hoch eingeschätzt. Wir haben festgestellt, daß sich seit dem Moskauer Vertrag, den vor elf Jahren Bundeskanzler Brandt und Außenminister Scheel in Moskau mit denselben Führungspersonen, die noch heute dort Generalsekretär und Außenminister sind, ausgehandelt haben, und durch ihn eine feste Grundlage der Zusammenarbeit entwickelt hat, auf der wir aufgebaut haben und weiterbauen werden.
1978 ist das langfristige Wirtschaftsabkommen hinzugekommen. Wir wollen unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausweiten. Dies geschieht auch in der beiderseits ausgesprochenen Einsicht, daß wir in einer Zeit weltwirtschaftlicher Schwierigkeiten und jeweils eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten — auch drüben! — uns tatsächlich gegenseitig helfen können. Ein gutes Beispiel dafür ist das vor einigen Tagen abgeschlossene Erdgas-Röhren-Geschäft, das zu unserer Befriedigung auch die Möglichkeit sowjetischer Erdgaslieferungen an Berlin vorsieht.
Natürlich haben wir auch Fragen der Familienzusammenführung angesprochen. Wir haben dabei sowohl auf die menschlichen Auswirkungen für die Betroffenen als auch auf die politischen Auswirkungen hingewiesen. Mein Eindruck ist, daß diese Fragen am erfolgreichsten behandelt werden können, wenn und soweit dies diskret geschieht.
Was ist nun das Gesamtergebnis dieses Besuchs?
Erstens. Wir haben dem Gespräch zwischen Ost und West einen weiteren Anstoß gegeben. Schon im vorletzten Sommer waren Herr Genscher und ich nach Moskau gefahren und hatten von dort die Bereitschaft der Sowjetunion mitgebracht, nun doch über die Mittelstreckenwaffen zu verhandeln.
Diesmal haben wir zweitens dazu geholfen, die inzwischen erarbeiteten Positionen und Haltungen des westlichen Lagers dazu zu verdeutlichen.
Wir haben drittens sehr aufmerksam auf das gehört, was uns von sowjetischer Seite gesagt worden ist, und wir haben es nach Washington, nach Paris, nach London usw. sorgfältig weitergegeben.
Das Wort vom Dolmetschen ist gebraucht worden; ich halte das nicht für falsch. Wir haben in der Tat gedolmetscht. Aber wir haben darüber hinaus eine wichtige Rolle dabei zu spielen, daß die beiden Weltmächte den Dialog miteinander nicht abreißen lassen und daß sie mit Mäßigung und Augenmaß bei der Verfolgung ihrer jeweils eigenen Interessen einander gegenübertreten.
Wir können das tun, weil wir fest im westlichen Lager stehen. Das ist dem Osten und ebenso unseren Freunden und Verbündeten klar. Sie verlassen sich auf uns, und sie können das auch.
Es liegt im Lebensinteresse aller Deutschen, daß die zu einem wesentlichen Teil von der sozialliberalen Koalition in Bonn herbeigeführte Zusammenarbeit zwischen West und Ost im allgemeinen lebendig bleibt. Diese Zusammenarbeit muß sich zu einer politischen Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost entfalten.
Wir sind und wir bleiben dabei verläßliche Verbündete, allerdings Verbündete, die ihre eigene Stimme innerhalb unseres Bündnisses zu Gehör bringen können. Wir tun dies, und zwar zugunsten einer stabilen Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West, zugunsten großer Bemühungen und Anstrengungen, die weltweite Rüstungsspirale nach unten zu drehen. Wir tun dies im Interesse des eigenen Volkes.
Papst Johannes Paul II. hat sich zum Sprecher von Abermillionen in der ganzen Welt gemacht, die alle Angst haben, als er seine persönliche Botschaft an die Führung der USA und der Sowjetunion gesandt hat. Diese Botschaft soll, in seinen eigenen Worten, Ermunterung sein, die Chance der Genfer Verhandlungen voll zu nutzen.
Wir im Bundestag sind verpflichtet, sehr deutlich darauf zu hören, wenn die Kirchen, aber auch wenn
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die Gewerkschaften und andere große Gruppen uns Ratschläge für die Festigung des Friedens geben.
Die öffentliche Meinung hat in den letzten Monaten vielerlei Ratschläge zur Friedensfrage gehört. Manche davon waren sorgfältig durchdacht, andere Ratschläge waren konfus, wieder andere Ratschläge waren direkt der Angst entsprungen, vor allem der Angst junger Menschen. Einer von ihnen hat geschrieben, er habe Angst, weil der Bundeskanzler oder weil die Bundesregierung keine Angst habe. Woher weiß er, daß wir keine Angst haben?
Ich habe viele Male in meinem Leben Furcht und auch Angst gehabt. Das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her. Als die Weltmächte Anfang 1980 nach dem militärischen Einmarsch in Afghanistan nicht mehr miteinander redeten und nicht mehr miteinander reden wollten, da hatte ich Angst vor den unkalkulierbaren weltpolitischen Folgen solcher Sprachlosigkeit.
Als Hanns Martin Schleyer entführt war, hatten wir alle wochenlang Angst um sein Leben, und die Angst stellte sich am Schluß als sehr gerechtfertigt heraus. Ich hatte Angst um die Menschen in dem Lufthansa-Flugzeug „Landshut", die von Terroristen entführt und mit dem Tode bedroht waren.
Wir hatten Angst um die Angehörigen unserer Botschaft in Stockholm, als diese von bewaffneten Terroristen besetzt war. Und Herr Kollege Genscher hatte Angst um das Schicksal der israelischen Sportler damals während der Münchner Sommer-Olympiade 1972, die von bewaffneten Gangstern als Geiseln gefangengehalten wurden und die schließlich bei diesem Verbrechen ums Leben gekommen sind.
Ich habe während des Krieges viele Male Angst gehabt um das eigene Leben, das Leben meiner Eltern und meiner Frau in der Heimat, im Luftschutzkeller und an der Front.
Leonid Breschnew hat die gleiche Angst gekannt, im gleichen Krieg.
Wenn wir uns heute um die Stabilisierung des Friedens bemühen, dann aus der klaren eigenen Erfahrung mit den Schrecklichkeiten des Krieges, den wir j a doch kennen. Krieg ist immer schrecklich.
Der letzte Krieg hat in Europa über 50 Millionen Tote gekostet — übrigens ohne daß dabei eine einzige Atomwaffe gebraucht worden wäre. Adolf Hitler hat 6 Millionen Juden ermorden lassen; er hat dazu übrigens keine Atomwaffen gebraucht. Die Angst ist nicht erst mit den Atomwaffen auf die Welt gekommen. Fragen Sie die Juden, die damals überlebt haben!
Aber wir im Parlament, wir in der Bundesregierung dürfen uns von Angst nicht überwältigen lassen.
Wir sind dem Volk verantwortlich dafür, daß wir auch im Zustand der Ängstigung vernünftig handeln.
Die Erinnerung an die Ängste im Kriege und die Angst vor einem abermaligen Krieg sind es, die uns zwingen, unter äußerster Anspannung der Vernunft mit aller Kraft für den Frieden zu arbeiten. Die Angst um Hanns Martin Schleyer zwang uns, mit aller Vernunft und Umsicht den Versuch seiner Rettung zu machen. Die Angst zwang uns, mit sorgfältiger Umsicht die Rettung der Menschen in der Botschaft von Stockholm, die Rettung der Menschen in jenem Flugzeug zu betreiben.
Natürlich haben wir bei all diesen Gelegenheiten unsere Ängste nicht über das Fernsehen jedermann mitgeteilt; denn wir hatten sie ja überwunden, um vernünftig handeln zu können!
Die Bundesregierung will das auch in Zukunft so halten. Vor einer Regierung, die sich selbst der Angst hingäbe, müßte man in der Tat Angst haben!
Viele von uns hat es wohl überrascht und auch betroffen gemacht, mit welch leidenschaftlicher Heftigkeit sich in den Friedensbewegungen — die es nur in Westeuropa gibt, nicht in Osteuropa - Angst ausdrückt und ausbreitet und wie oft dabei dort die Vernunft in Gefahr gerät.
Wenn einer einfach seiner Angst nachgibt, handelt er deswegen nicht schon moralisch. Wenn einer allerdings seiner Angst nachgibt, obgleich er öffentliche Verantwortung trägt, dann läuft er große Gefahr, unmoralisch zu handeln.
Ganz gewiß hat die Friedensbewegung nicht nur mit Angst, sondern auch mit Moral zu tun, und ganz gewiß fordern die heutigen Massenvernichtungswaffen das moralische Nachdenken in besonderer Weise heraus.
Vor mehr als einem Vierteljahrhundert hat unser verehrter verstorbener Kollege Carlo Schmid diesen Satz formuliert:
So, wie es keine Politik mit Dauerwirkung geben kann, der das moralische Fundament fehlt, wird keine Politik im Atomzeitalter uns zu etwas führen können, wenn sie nicht tief im moralischen Bewußtsein des Volkes fundiert ist.
Das war 1955. Carlo fuhr fort:
Wenn es ums Moralische geht, muß man immer bei sich selber anfangen.
Wenn man betroffen ist, darf man bei der eigenen Betroffenheit oder Beklommenheit nicht bloß verharren. Man muß sich vielmehr den Fragen stellen, die sich aus der Betroffenheit ergeben, z. B. der Frage: Haben wir Politiker alles getan, um Ziel und Weg unserer Politik „moralisch bewußt" zu machen?; z. B. der Frage: Nehmen wirklich alle, die heute ihre Äng-
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ste laut verkünden, die Gefährdung des Friedens so ernst, daß sie sich mit aller Kraft um Einsicht in die Chancen, in die Möglichkeiten und in die Wege zur Friedensbewahrung bemühen?
Solchen Fragen darf sich keiner entziehen. Zwar kann Friedenssehnsucht zu illusionärer Schwärmerei werden, zwar kann sie mißbraucht werden — und für beides haben wir weiß Gott Beispiele —, aber in ihrem Kern bleibt sie eine ganz wichtige Triebkraft und ein Kernmotiv unserer Politik.
Viele Menschen, zumal jüngere, erheben heute den Anspruch oder äußern die Bitte, von der Angst, die sie beherrscht, befreit zu werden. Zum Teil ist es j a eine durchaus begründete Zukunftsangst, die sie beherrscht. Und weil Politik für den Menschen da sein soll, so glauben sie, die Politiker müßten ihnen die Angst nehmen können.
Zu dieser Frage hat mir mein Freund Siegfried Lenz in diesem Jahr geschrieben:
Angst ist zumindest in der Politik ein schlechter Ratgeber. Ein Politiker, der von Angst besetzt ist und sie zu erkennen gibt, wird sich bald mittellos vorfinden. Jeder hat erfahren, daß Angst nachgiebig macht, gefügig, am Ende sogar erpreßbar. Die Welt liefert uns alltäglich Beispiele, wie Herrschaft sich befestigt, indem sie Angst weckt und diese dann ausbeutet.
Etwas später heißt es:
Es ist j a nicht so, daß es lediglich ein paar Überempfindliche sind . . ., die sich zu ihrer Furcht bekennen, es sind Millionen in etlichen Ländern, eine Bewegung, die sehr wohl in der Lage ist, eine Politik von unten einzuleiten — eine unübersehbare Politik ..., weil ja irrationale Ausschläge möglich sind.
Der heutige Politiker dürfe sich nicht scheuen, so schließt Lenz, dieses Dilemma anzupacken:
Der Politiker muß sich einerseits unserer Angst annehmen und darf sich andererseits nicht durch Angst gefügig machen lassen.
Jeder weiß, daß ein Zeitalter vollkommener Angstlosigkeit nicht denkbar ist. Jeder weiß: Wer unter Angst steht, der ist nicht frei. Aber ich kann verstehen, daß manche Menschen, die in ihrer Angst zusammenfinden, an das Motto glauben, geteilte Angst sei halbe Angst.
Solcher Schritt, aus der Vereinzelung herausführend, kann ein Schritt der Tapferkeit sein. Aber Ängste können auch zerstörerisch werden, wenn sie nicht gemeinschaftlich und zugunsten der Gemeinschaft abgebaut werden. Wer aber gemeinschaftliche, das heißt solidarische Bewältigung der Angst will, wer mit Tapferkeit die Bewältigung seiner Angst sucht, der muß prüfen, ob der Boden trägt, auf dem er vorangehen will; und er muß vorher wissen, wo er denn steht, damit er den ersten Schritt tun kann, ohne zu straucheln.
Der Standort der Bundesregierung, der Ausgangspunkt unserer friedenspolitischen Initiativen ist eindeutig. Ich habe das ausgeführt. Der Gegensatz zwischen den beiden Weltmächten und ihren Bündnissystemen ist auch ein Gegensatz von Anschauungen über die Ordnung der Gesellschaft, vor allem über die Grundrechte, die Freiheitsrechte der Person und des einzelnen Menschen.
Wir wollen die Freiheitsangebote unseres Grundgesetzes bewahren: nicht nur die Freiheit des Marktes, so wichtig sie für unseren Wohlstand ist; nicht nur die Freiheit des Intellektuellen, so wichtig sie für Gedankenfreiheit und Kritik ist; sondern vor allem auch die Freiheit arbeitender Menschen, sich zusammenzuschließen und ihre Interessen gemeinschaftlich zu vertreten.
Dies alles wird im Osten ganz anders postuliert.
Wer aber einfach beim Widerspruch dieser Wertsysteme stehenbleibt, wer Bekenntnisse an die Stelle der Politik setzt, wer keinen Kompromiß dulden will, der macht sich unfähig zur Politik, unfähig auch, das zu gestalten, was das gemeinsame Interesse der Völker ist: nämlich den nuklearen Krieg zu vermeiden.
Man könnte, etwas vergröbert gesprochen, von drei Grundphilosophien der Kriegsvermeidung reden:
Der erste Weg strebt nach Übermacht der eigenen Waffen als Garant der eigenen Sicherheit. Sein Motto lautet: „Wir müssen die Stärksten sein und es den Russen zeigen." Oder umgekehrt: „Wir müssen die Stärksten sein und es den Amerikanern zeigen." Dieser Weg führt zwangsläufig in die Rüstungsspirale. Er gefährdet den Frieden, statt ihn zu erhalten.
Der zweite Weg zielt auf einseitige Abrüstung. Dies ist die Haltung des sittlich begründeten Pazifismus — aber oft auch eine Haltung, die aus Wunschdenken oder Naivität entspringt. Auch dieser Weg führt in jedem Falle auf gefährliches Glatteis. Denn einseitige Ohnmacht — das haben wir zu unseren Lebzeiten vielfältig erfahren — verhindert nicht die Aggression und Überwältigung durch die Übermacht.
Der Entwaffnete, der sich selbst Entwaffnet-Habende, verliert die Fähigkeit, politischer Erpressung zu widerstehen und damit die Fähigkeit, die Interessen des eigenen Volkes zu vertreten.
Und drittens gibt es den Weg des Gleichgewichts der militärischen Kräfte und der gleichen Sicherheit für beide Seiten. Keine Regierung einer Weltmacht kann einen ungleichen Abrüstungsvertrag unterschreiben. Weder der amerikanische Senat noch der Oberste Sowjet würden einen ungleichgewichtigen Vertrag ratifizieren. Das Gleichgewichtsprinzip ist unabdingbarer Grundbestandteil jeder vereinbar-
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ten, jeder vertraglich gesicherten Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungspolitik. Anders sind Rüstungsverminderung und Rüstungsbegrenzung völkerrechtlich nicht zu sichern.
Dies wird auch von der Sowjetunion anerkannt. So haben es Generalsekretär Breschnew und ich schon vor drei Jahren gemeinsam schriftlich erklärt.
— Ja, und daran soll man sie festhalten.
Wer dagegen militärisches Übergewicht erstrebt und erreicht, der braucht nicht zu verhandeln, der kann diktieren. Und wer sich umgekehrt mit militärischem Untergewicht abfindet, der kann in die Lage kommen, vergebens um Verhandlung und Gespräch zu bitten.
Gleichgewicht hingegen schafft für beide Seiten die Chance zum zivilisierten Umgang miteinander. Gewiß wird Sicherheit nicht allein durch das Gleichgewicht der Waffen geschaffen, sondern es gehört der zivilisierte Umgang miteinander dazu — der Dialog, die Kooperation, die Sicherheitspartnerschaft.
Man muß miteinander reden wollen. Man muß aufeinander hören wollen.
Der Friede ist nicht allein ein Produkt von Abschreckung und Gegenabschreckung. Der Friede ist nicht gesichert durch beiderseitige Angst vor dem Kriege. Er kann nur gesichert werden durch Interessenausgleich, durch Verhandlungen und Verträge. Er muß insbesondere gesichert werden durch Verträge über die gleichgewichtige Begrenzung und die gleichgewichtige Reduzierung der beiderseitigen Rüstung. Nur bei Gleichgewicht kann vermieden werden, daß einer aus Angst vor dem anderen seine Zuflucht zu immer neuer Rüstung nimmt.
Vor 30 Jahren hat Albert Einstein mit Recht gesagt:
Letzten Endes beruht jedes friedliche Zusammenleben der Menschen in erster Linie auf gegenseitigem Vertrauen und erst in zweiter Linie auf Institutionen wie Gericht und Polizei; dies gilt ebenso für Nationen wie für Individuen. Das Vertrauen aber gründet sich auf eine loyale Beziehung des „Gebens und Nehmens".
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zur Abschreckungsstrategie. Es liegen aus dem Bereich der beiden großen Kirchen aus den letzten Wochen Äußerungen zur Friedensfrage vor. Die Bundesregierung kann und will diese Äußerungen oder Teile daraus nicht für ihren Kurs beanspruchen, aber sie nimmt die moralische Mitverantwortung der Kirchen auch in dieser Frage ernst.
Bei allen, zum Teil erheblichen Unterschieden in Gewichtung und Nuance stimmen beide Erklärungen in einer Grundüberlegung überein, die ich folgendermaßen zusammenfassen darf: Ein Sicherheitssystem, das auf Abschreckung beruht, stellt in christlicher Sicht ein erhebliches moralisches oder ethisches Problem dar. Ethisch zu rechtfertigen oder überhaupt erträglich ist es nur dann, wenn mit aller Kraft auf wirkliche Abrüstungsschritte hingearbeitet wird; dazu ist der Wille zu Verhandlungen unerläßlich. Ich glaube, das darf man so als Kern aus den Erklärungen der beiden großen Kirchen herausdestillieren.
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Das heißt: Die beiden Kirchen beziehungsweise die kirchlichen Laiengremien haben deutlich gemacht: Die existierende Sicherheitskonstellation der Welt von Abschreckung und Gegenabschrekkung macht aus moralischem Grunde politisches Handeln und Verhandeln notwendig. Ich füge hinzu: Diese moralische Pflicht kann nicht durch eine Politik bloßer Bekenntnisse abgelöst oder verdrängt werden.
Ein Wort an die Adresse der Opposition. Bis heute scheint mir, daß sich die Opposition nicht ganz darüber im klaren ist, ob sie den Weg der sozialliberalen Bundesregierung mitgehen oder ob sie in dieser Frage einen anderen Weg gehen will.
Das Erscheinungsbild der CDU/CSU in der Fric dens- und Sicherheitspolitik ist diffus.
Da gibt es durchaus Zeichen der Einsicht in die friedenspolitischen Notwendigkeiten. Aber es gibt auf der anderen Seite auch andere Signale.
Der nordrhein-westfälische Oppositionsführer, unser früherer Kollege Herr Professor Biedenkopf, hat jüngst in einem bemerkenswerten intellektuellen Alleingang die Frage aufgeworfen, ob die nukleare Abschreckungsstrategie langfristig konsensfähig sei. Der unmittelbar anschließende Bundesparteitag der CDU hat sich der Frage Biedenkopfs nicht angenommen; diese Frage ist aber einer Antwort wert, Herr Dr. Kohl!
Etwa gleichzeitig lese ich, daß Herr Ministerpräsident Späth den Friedensappell des Deutschen Gewerkschaftsbundes unterschrieben habe. Ich begrüße das; aber es würde mich schon interessieren, was sein Münchner Amtskollege, Herr Strauß, dazu denkt.
Der Herr Ministerpräsident Strauß hat auf seinem CSU-Parteitag die Gleichrangigkeit von Verteidigungsanstrengung und Verhandlungsbereitschaft einen „Geburtsfehler des NATO-Doppelbeschlusses" genannt, „der taktisch bedingt, aber in der Sache leider unlogisch war". Das hat er in einer Parteitags-
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rede gesagt. Dies, Herr Ministerpräsident, ist ein klarer Gegensatz nicht nur zur Politik der Bundesregierung, sondern auch zur Politik der Vereinigten Staaten von Amerika und aller im Bündnis vereinigten Staaten.
Noch stärker war ich betroffen, Herr Ministerpräsident, als Sie anläßlich des Breschnew-Besuches hier in Bonn das von dem Bündnis gemeinsam für Genf gesetzte Verhandlungsziel einer Null-Lösung Ihrerseits einen „baren Unsinn" genannt haben
und das in einem Augenblick, in dem die Vereinigten Staaten von Amerika, die dort doch einer der beiden Verhandlungspartner sind, dieses Ziel der Null-Lösung ausdrücklich zu ihrem Verhandlungsziel gemacht haben.
Herr Abgeordneter Kohl und Herr Ministerpräsident Strauß: ich bitte die Opposition um Klarstellung ihres Kurses und ihrer Absichten.
Sie müssen dabei allerdings in Rechnung stellen, daß der friedenspolitische Kurs der sozialliberalen Bundesregierung von der überwältigenden Mehrheit der Menschen in unserem Lande mitgetragen wird
und daß er der tiefen Sehnsucht der Deutschen und der tiefen Sehnsucht der anderen europäischen Völker nach Frieden und nach gutnachbarlichen Beziehungen entspringt.
Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, habe ich gestern eine offizielle Einladung des Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, des Herrn Erich Honecker, zu einem Treffen am 11., 12. und 13. Dezember mit Dank angenommen. Das Treffen findet am Werbellinsee statt.
Ich halte diese erste Begegnung auf deutschem Boden seit den Treffen von Erfurt im März und Kassel im Mai 1970 zwischen Willy Brandt und Willi Stoph für ein wichtiges Zeichen der beiden deutschen Staaten, vor allem für den Zusammenhalt zwischen den Menschen in Deutschland, aber auch für die Entspannung in Europa.
Ich beabsichtige einen umfassenden Meinungsaustausch mit Herrn Honecker über den Stand und den Ausbau der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und über die internationalen Fragen, besonders der Friedenssicherung. Die sozialliberale Koalition ist sich einig darin, daß dieses Treffen Zeichen dafür setzen soll, daß der gute Wille auf beiden Seiten vorhanden ist, eine Phase der Rückschläge in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu überwinden. Ich hoffe, daß die-
ses Treffen allen Deutschen erfahrbare Ausblicke eröffnet und daß es ihnen Mut machen kann.
Im Vordergrund stehen das Gespräch und der Dialog zwischen den beiden deutschen Staaten. Es wird — wie kürzlich auch bei dem Besuch des sowjetischen Generalsekretärs — bei dieser Gelegenheit keine Unterzeichnung von neuen Abmachungen geben. Das Gespräch findet ohne Vorbedingungen statt. Es liegt mir daran, daß es nicht im Vorfelde durch Spekulationen oder durch öffentlich geäußerte Erwartungen und hochgehängte Meßlatten unnötig erschwert wird.
Einen Katalog von vielen Forderungen aufzustellen, wäre für denjenigen sehr leicht, der selbst nicht willens ist, in geduldigem Dialog den Konsens herbeizuführen. Einige hängen noch an der Praxis der 60er Jahre: Konfrontation statt Kooperation, Druck und Gegendruck statt Entspannung und Interessenausgleich. Das gibt es auf beiden Seiten — in der DDR wie hier bei uns. Beide Seite dürfen sich aber nicht gegenseitig blockieren, indem sie unerfüllbare Forderungen stellen. Beide Seiten sollten sich darauf konzentrieren, in schwieriger Zeit das Erreichte zu bewahren und das praktisch Mögliche zu tun und hinzuzufügen.
Wenn beide Staaten aufeinanderzugehen, dann tragen sie dazu bei, ihrer großen Mitverantwortung für die Sicherung des Friedens im Herzen Europas gerecht zu werden. Dazu gehört mehr Stetigkeit und mehr Regelmäßigkeit im deutsch-deutschen Dialog. So hoffe ich auf einen Weg zu vernünftigen gutnachbarlichen Beziehungen.