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    Plenarprotokoll 9/53 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 53. Sitzung Bonn, Freitag, den 18. September 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3025 A Wahl des Abg. Merker als ordentliches Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost 3025 B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Sachverständigenkommission der Bundesregierung — Zusammenfassender Bericht — über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland — Dritter Familienbericht — sowie Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht Bericht der Sachverständigenkommission der Bundesregierung über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland — Dritter Familienbericht —— Drucksache 9/822 — 3025 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 (Haushaltsgesetz 1982) — Drucksache 9/770 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1981 bis 1985 — Drucksache 9/771 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz) — Drucksache 9/795 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Kiep, Dr. Jahn (Münster), Dr. Schneider, Dr. Möller, Hauser (Krefeld), Müller (Remscheid), Dr. Waffenschmidt, Dörflinger, Günther, Dr.-Ing. Kansy, Link, Magin, Niegel, Frau Pack, Frau Roitzsch, Ruf, Sauter (Epfendorf), Zierer, Dr. Blüm, Clemens, Erhard (Bad Schwalbach), Faltlhauser, Herkenrath, Kolb, Linsmeier, Dr. Pinger, Rühe, Sick, Repnik und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen zur Förderung des Wohnungsbaus — Drucksache 9/467 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Investitionstätigkeit im Baubereich und zum Abbau ungleichmäßiger Besteuerung in der Wohnungswirtschaft — Drucksache 9/796 — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1981 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (Verbrauchsteueränderungsgesetz 1982) — Drucksache 9/797 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz) — Drucksache 9/799 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung — Drucksache 9/800 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Elftes Anpassungsgesetz-KOV) — Drucksache 9/801 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung (Kostendämpfungs- Ergänzungsgesetz) — Drucksache 9/798 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lammert, Kiep, Dr. Waigel, Müller (Remscheid), Dr. Freiherr Spies von Billiesheim, Müller (Wadern), Dr. Warnke, Frau Pack, Ganz (St. Wendel), Günther, Frau Hürland, Link, Löher, Prangenberg, Sauer (Salzgitter), Stutzer, Gerstein, Metz, Vogel (Ennepetal), Borchert, Kittelmann, Vogt (Düren), Frau Fischer, Frau Karwatzki, Reddemann, Schwarz, Breuer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU Strukturkrise der deutschen Stahlindustrie — Drucksache 9/612 — Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 3026 C Kiep CDU/CSU 3032 D Schmidt, Bundeskanzler 3037 D Dr. Barzel CDU/CSU 3048 A Wehner SPD 3056 A Engelhard FDP 3058 D Dr. Dregger CDU/CSU 3060 C Matthöfer, Bundesminister BMF 3066 C Nächste Sitzung 3071 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 3073* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 3073* C Anlage 3 Finanzielle Hilfen für die deutsche Eisen- und Stahlindustrie; Hilfsmaßnahmen für die notleidenden Stahlwerke in Dortmund MdlAnfr 38, 39 11.09.81 Drs 09/808 Meininghaus SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 3073* D Anlage 4 Behinderung deutscher Agrarexporte nach Italien durch Beibehaltung der Bardepotregelung MdlAnfr 43 11.09.81 Drs 09/808 Susset CDU/CSU SchrAntw PStSekr Gallus BML . . . . 3074* D Anlage 5 Sicherstellung der Graduiertenförderung nach Auslaufen des Graduiertenförderungsgesetzes am 31. Dezember 1981 MdlAnfr 87, 88 11.09.81 Drs 09/808 Catenhusen SPD SchrAntw PStSekr Kuhlwein BMBW . . 3075* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1981 3025 53. Sitzung Bonn, den 18. September 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 18. 9. Dr. Ahrens ** 18. 9. Amrehn **** 18. 9. Bahr 18. 9. Dr. Bardens 18. 9. Becker (Nienberge) 18. 9. Brandt * 18. 9. Bredehorn 18. 9. Büchner (Speyer) ** 18. 9. Burger 18. 9. Fellner 18. 9. Frau Fischer *"* 18. 9. Frau Geier 18. 9. Dr. von Geldern 18. 9. Gobrecht **** 18. 9. Handlos 18. 9. Hartmann 18. 9. Hauck 18. 9. Herterich **** 18. 9. Dr. Holtz **** 18. 9. Graf Huyn 18. 9. Ibrügger *** 18. 9. Klein (München) **** 18. 9. Köhler (Wolfsburg) **** 18. 9. Frau Krone-Appuhn 18. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 18. 9. Frau Dr. Lepsius **** 18. 9. Frau Dr. Martiny-Glotz 18. 9. Möllemann **** 18. 9. Müller (Wadern) ** 18. 9. Neuhaus 18. 9. Niegel **** 18. 9. Dr. Pohlmeier 18. 9. Rappe (Hildesheim) 18. 9. Reschke 18. 9. Rösch ** 18. 9. Dr. Schachtschabel 18. 9. Frau Schlei 18. 9. Schluckebier **** 18. 9. Schmidt (Würgendorf) 18. 9. Dr. Schroeder (Freiburg) 18. 9. Schröder (Wilhelminenhof) 18. 9. Schröer (Mülheim) 18. 9. Dr. Schwörer 18. 9. Dr. Solms 18. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 18. 9. Graf Stauffenberg 18. 9. Dr. Wendig 18. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung **** für die Teilnahme an der 68. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Wieczorek 18. 9. Frau Dr. Wisniewski 18. 9. Dr. Wittmann (München) 18. 9. Baron von Wrangel 18. 9. Würzbach 18. 9. Zink 18. 9. Anlage 2 Amtliche Mitteilung Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung nach Vereinbarung im Ältestenrat die nachstehende Vorlage überwiesen: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Berichten der fünf an der Strukturberichterstattung beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute (Drucksache 9/762) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Haushaltsausschuß Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Fragen des Abgeordneten Meininghaus (SPD) (Drucksache 9/808 Fragen 38 und 39): Ist die Bundesregierung der Meinung, daß angesichts der auch noch in den nächsten Jahren zu erwartenden Wettbewerbsverzerrungen in der Eisen- und Stahlindustrie - hervorgerufen durch die Milliardensubventionen, mit denen unsere EG-Nachbarn ihre Stahlindustrie am Leben erhalten - die von der Bundesregierung vorgesehene finanzielle Hilfe für die deutsche Stahlindustrie ausreicht, um deren Bestand zu sichern und die Probleme zu lösen? Ist die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß in Dortmund die Arbeitslosenquote inzwischen 9 v. H. beträgt und eine steigende Tendenz hat, nicht ebenfalls der Meinung, daß die von ihr vorgesehenen Hilfsmaßnahmen für notleidende Stahlstandorte hier dringend und baldmöglichst eingesetzt werden müssen, um Arbeitsplätze zu schaffen? Zu Frage 38: Die Probleme der deutschen Stahlindustrie haben eine Reihe von Ursachen: In Europa bestehen in erheblichem Umfang nicht mehr wettbewerbsfähige Überkapazitäten, die in den Nachbarländern teilweise mit Hilfe hoher Subventionen aufrechterhalten wurden; die absetzbaren Stahlmengen haben sich infolge der weltweiten Konjunkturabschwächung und des Aufbaus neuer Kapazitäten in Drittländern nicht so entwickelt, wie dies die Europäische Stahlindustrie erwartet hatte; aufgrund des Verhaltens zahlreicher Unternehmen kam es über lange Zeiträume zu beträchtlichem Preisverfall, so daß im großen und ganzen selbst für moderne Anlagen keine kostendeckenden Erträge mehr möglich waren. Allerdings gibt es in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen EG-Ländern auch Stahlunternehmen, die keine Subventionen erhalten und trotzdem kostengünstig arbeiten. In ihrem Beschluß vom 30. Juli 1981 hat die Bundesregierung die Bedeutung einer wettbewerbsfähi- 3074* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1981 gen deutschen Stahlindustrie für unsere Wirtschaft und die Stahlstandorte unterstrichen. Die Bundesregierung hat sich vor diesem Hintergrund mit Erfolg für die Einführung preisstabilisierender Maßnahmen im Rahmen der EG eingesetzt, um ein auskömmliches Preisniveau auf dem Stahlmarkt zu erreichen. Bisher zeigen diese Maßnahmen erste Erfolge. Die vom Rat beschlossene Verschärfung des Subventionskodex bietet eine gute Basis für die Kommission, die Subventionen in den EG-Nachbarstaaten zurückzuführen und schließlich abzubauen und somit die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen zu vermindern. Die Kommission hat bereits gegen mehrere Subventionsvorhaben (z. B. in Belgien und Großbritannien) Verfahren eingeleitet und Subventionszahlungen untersagt. Auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung verschiedene Finanzmaßnahmen zur Flankierung der Umstrukturierungsbemühungen der deutschen Stahlunternehmen und zur Sicherung der Arbeitsplätze in Stahlstandorten beschlossen: — Gesetzentwurf über Investitionszulage von 10 % für Umstrukturierungsmaßnahmen — Fortführung des Stahlforschungsprogramms — Verbesserung der Hilfen für ausscheidende Stahlarbeiter nach Art. 56, 2 b EGKS-Vertrag — Unterstützung von Anträgen der Länder für Sonderprogramme zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in Stahlstandorten. Es wird wesentlich von den eigenen Anstrengungen der Unternehmen zur Rationalisierung und Modernisierung abhängen, ob dieses Angebot zur Hilfe zum Tragen kommt. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß alle diese Maßnahmen im Zusammenspiel eine wirksame Hilfe für die deutsche Stahlindustrie darstellen und geeignet sind, die Situation der deutschen Stahlindustrie nachhaltig zu verbessern. Sie können aber nur erfolgreich sein, wenn die Unternehmen die im europäischen Rahmen zu beachtende Disziplin wahren und hinsichtlich der finanziellen Stützung tragfähige Umstrukturierungskonzepte entwickeln. Die Bundesregierung erwartet darüber hinaus, daß die Eigentümer ihre Möglichkeiten ausschöpfen und ihre Reserven mobilisieren. Außerdem wird erwartet, daß sich auch die Länder, die z. B. an den vorgesehenen Hilfen nach dem Stahlforschungsprogramm und den Sozialhilfen nach Art. 56 EGKS-Vertrag nicht mitwirken, die aber auch an der Erhaltung von Arbeitsplätzen interessiert sind, wesentlich an den notwendigen Maßnahmen beteiligen. Zu Frage 39: Die Bundesregierung hat sich mit ihren Beschlüssen vom 30. Juli 1981 auch zu einer regionalen Flankierung der Strukturmaßnahmen der deutschen Stahlindustrie bereiterklärt. Ihr Ziel ist es, in Regionen, die von Arbeitsplatzverlusten in der Stahlindustrie besonders bedroht sind, die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen durch Gewährung einer zeitlich befristeten Investitionszulage in Höhe von 8,75 % zu fördern. Eine solche Maßnahme setzt voraus, daß die betreffenden Länderregierungen entsprechende Anträge im Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" einbringen und dieser Ausschuß entsprechend dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe mit einer 3/4-Mehrheit von Bund und Ländern feststellt, daß die jeweilige Region durch den Strukturwandel in der Stahlindustrie in einem erheblichen Umfang betroffen ist. Bisher liegen detaillierte Anträge von Länderseite noch nicht vor. Jedoch haben Nordrhein-Westfalen und Bremen bereits solche Anträge angekündigt. Die Bundesregierung geht davon aus, daß eine erste Beratung dieser Frage bereits in der Sitzung des Unterausschusses des Planungsausschusses am 21./ 22. September 1981 stattfindet. Ohne diesen Erörterungen zwischen Bund und Ländern vorgreifen zu wollen, möchte ich bemerken, daß aus der Sicht der Bundesregierung für die Einbeziehung einer Region in diese Förderung zweifellos dem Ausmaß einer aufgrund von Arbeitsplatzverlusten in der Stahlindustrie zu befürchtenden Zunahme der Arbeitslosigkeit großes Gewicht zukommt. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gallus auf die Frage des Abgeordneten Susset (CDU/CSU) (Drucksache 9/808 Frage 43): Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, daß die für den 30. September 1981 vorgesehene Abschaffung des Bardepots für Exporte nach Italien nun doch nicht erfolgt, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die dauraus entstehenden Exporterschwernisse der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft zu verhindern? Die italienische Regierung hat der EG-Kommission und den Mitgliedstaaten ihre Absicht mitgeteilt, die am 27. Mai 1981 eingeführte Bardepotregelung nicht wie vorgesehen am 30. September 1981 zu beenden, sondern sie zwischen dem 1. Oktober 1981 und dem 30. März 1982 schrittweise abzubauen. Das Bardepot, das zur Zeit in Höhe von 30 % des Lira-Wertes hinterlegt werden muß, soll am 1. Oktober 1981 auf 25 %, am 1. Januar 1982 auf 20 % und am 1. März 1982 auf 15 % des Lira-Wertes zurückgeführt werden. Ab 1. April 1982 soll kein Bardepot mehr erhoben werden. Die von der italienischen Regierung beabsichtigte Regelung wird zur Zeit von der EG-Kommission geprüft. Es ist zu erwarten, daß sich auch der EG-Währungsausschuß sowie der Rat des Wirtschafts- und Finanzministers mit der beabsichtigten Regelung befassen werden. Das Bardepot behindert den innergemeinschaftlichen Warenverkehr. Die Bundesregierung lehnt deshalb eine Verlängerung der Bardepotregelung ab. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1981 3075* Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Kuhlwein auf die Fragen des Abgeordneten Catenhusen (SPD) (Drucksache 9/808 Fragen 87 und 88): Gedenkt die Bundesregierung, für das zum 31. Dezember 1981 auslaufende Graduiertenförderungsgesetz eine neue gesetzliche Regelung zur Förderung Graduierter folgen zu lassen, und wenn ja, in welcher Form und mit welchem finanziellen Volumen? Wie gedenkt die Bundesregierung in jedem Fall sicherzustellen, daß alle nach dem bisherigen Graduiertenförderungsgesetz Geförderten, die ihre Arbeit nicht bis zum 31. Dezember 1981 abschließen werden, da ihr Förderungszeitraum erst nach dem 1. Januar 1980 begann, ihre begonnenen Arbeiten nicht abbrechen müssen, sondern in dem vorgesehenen Rahmen von insgesamt zwei Jahren abschließen können? Zu Frage 87: Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat bereits 1979 ein erstes Konzept für die Neuordnung der staatlichen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vorgelegt und mit den Ländern und Wissenschaftsorganisationen erörtert, in dem Vorstellungen für den Inhalt eines Nachfolgegesetzes zum Graduiertenförderungsgesetz, dessen Finanzierungsregelung zum Ende 1981 ausläuft, entwickelt worden sind. Wegen der angespannten Haushaltslage sah sich die Bundesregierung bisher nicht in der Lage, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Zu Frage 88: Das Problem einer Abschlußfinanzierung von Stipendien nach dem Graduiertenförderungsgesetz, die vor dem 31. Dezember 1981 ihre Regellaufzeit noch nicht erreicht haben, kann für die Bundesseite als gelöst betrachtet werden. Mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen sollen die erforderlichen Beträge für 1982 und 1983 durch eine parlamentarische Initiative bereitgestellt werden. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat den Ländern hierzu einen Verfahrensvorschlag unterbreitet und sie um ihre Zustimmung gebeten. Damit würde sichergestellt, daß kein Stipendiat nach dem Graduiertenförderungsgesetz seine laufende Arbeit abbrechen muß.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte der letzten Tage



    Bundeskanzler Schmidt
    und der letzten Woche über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die jetzige Debatte über den Haushalt und die damit verbundenen Gesetze haben beide eine eigenartige innenpolitische Wetterlage beleuchtet. Die Opposition hatte geglaubt und gehofft, die beiden Koalitionsparteien in einem Tief anzutreffen. Letzten Donnerstag glaubte sie deshalb, sich mit ein paar kalten Kriegern als Rednern begnügen zu dürfen. Die Wirkung auf die Öffentlichkeit jedoch war negativ, und die Wirkung auf die Koalitionsparteien war natürlicherweise stimulierend.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Gestern nun haben CDU und CSU jeweils ihren ersten Mann ins Gefecht geschickt, aber die beiden Herren haben eigentlich bloß ihre Zettelkästen geleert, und zur Sache haben wir wenig gehört.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Wirkung auf die Koalition war abermals stimulierend, eine Regierungskoalition übrigens, Herr Kohl, die längst aus ihrem Tief herausgekommen war.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    Ihre Worte und die des Herrn Strauß wie „unerträglich", „zerrüttet", „grotesk", „feige", „betrogen", „Ignoranz", „Hypokrisie" usw. sind noch kein Ersatz für ein finanzpolitisches Konzept der Opposition.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich kann Herrn Strauß nicht mehr ansprechen; er ist schon wieder weg. Er ist eine Eintagsfliege geblieben.

    (Heiterkeit bei der SPD und der FDP)

    Aber ich muß doch sagen: Zitate aus Springers „Welt", aus „ddp", aus Balzac, aus Karl Marx und aus Murks — was es alles war — haben zwar viel Gelächter ausgelöst, aber noch keine Aha-Erlebnisse. Wir hätten alle gerne einmal „aha" gesagt: Das also ist das Konzept, das ist des Pudels Kern. Nichts von „aha", bloß Zettelkasten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist klargeworden, warum das Konzept ausgeblieben ist,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen haben wir auch kein Aha-Erlebnis gehabt!)

    obwohl beide von Ihnen über eineinhalb Stunden gesprochen haben. Es ist klargeworden, daß Sie in den eineinhalb Stunden das Konzept nicht vorlegen wollten, weil Herr Strauß dagegen war. Er hat es auch geschrieben; wir haben es gelesen. Das ist ja auch ganz glücklich für ihn. Wenn er nicht dagegen gewesen wäre, hätte er ein Konzept offenbaren müssen. So konnte er sagen: Es lag in meiner Strategie, es nicht zu offenbaren.
    Sie haben zusammen nichts, fast überhaupt nichts darüber gesagt — auch Herr Kiep eben nicht; die Hamburger werden es mit Ihnen, Herr Kiep, leicht haben, und auch Herr von Dohnanyi —, wie Sie denn handeln würden, wenn Sie eine Mehrheit besäßen. Sie müssen sich infolgedessen jetzt und in Zukunft allerhand Vermutungen über das gefallen lassen, was Sie wohl täten.
    Sie sind mit Ihren Reden dem Maßstab nicht gerecht geworden, den Minister Matthöfer mit seiner Rede gesetzt hatte. Frau Matthäus, Herr Westphal, Herr Posser und viele andere haben Sie mühelos überboten, was sachliche Konzeption und Darstellungskraft angeht.

    (Beifall bei der SPD und FDP — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Und Herr Lambsdorff?)

    — Ja, ich schließe Graf Lambsdorff ein. — Nun war es ja für die Sprecher der Opposition gar nicht so selbstverständlich, sie daß von den Sprechern der Koalition überboten wurden; denn die letztere war in der Tat mehrere Wochen lang in einer sehr miesen Verfassung gewesen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie bewerten Sie Ihre eigene Rede?)

    Die Koalition hat für ihr Konzept die Zeit von Montag, den 27. Juli 1981, bis Donnerstag, den 3. September 1981, gebraucht. Dazwischen lag eine längere Unterbrechung durch eine Sommerpause, was sich in der Tat als ein eindeutiger Fehler herausgestellt hat.
    Wir hatten in dieser Zeit insgesamt drei erhebliche Probleme zu lösen. Erstens: Wir hatten bei der Erarbeitung der Regierungserklärung nach der Bundestagswahl im letzten Herbst das Ausmaß der inzwischen eingetretenen weltwirtschaftlichen Rezession und der rezessiven Auswirkungen auf unser Land weit unterschätzt. Wir waren übrigens nicht die einzigen, die das unterschätzt haben.

    (Franke [CDU/CSU]: Wie 1976!)

    Die Auswirkungen, insbesondere die Arbeitslosigkeit, haben in diesem Sommer erheblich zugenommen. Es bedurfte jetzt also in umgekehrter Richtung einer erheblichen Korrektur.
    Zweitens: Die Frage nach dem einzuschlagenden Weg setzte ein übereinstimmendes Urteil über die Ursachen dieser Rezession voraus. Das war noch relativ einfach. Auch die Zielsetzung gemeinsam zu finden, nämlich Arbeitslosigkeit eindämmen, Aufschwung einleiten, Leistungsbilanzdefizit senken, Zinsen senken, war noch relativ einfach.
    Drittens: Sehr viel schwieriger war es, die Übereinstimmung über die anzuwendenden Mittel und Instrumente zu finden, steuerliche Instrumente zum Anreiz von Investitionen, Abbau von steuerlichen und Haushaltssubventionen, Kürzungen von Ausgaben und Leistungen. Mir hat es leid getan, daß von diesen zum Teil sehr engagiert geführten Debatten innerhalb der Koalition etwas zuviel in die Öffentlichkeit gekommen ist; denn das hat vorübergehend Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Koalition erlaubt. Aber das liegt nun alles hinter uns.
    Ich sehe am Anstieg der D-Mark-Devisenkurse, daß die internationalen Märkte unsere Meinung teilen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Bundeskanzler Schmidt
    Ich will das gern erläutern: Der Anstieg der D-Mark beträgt seit dem Tag der Kabinettsbeschlüsse, seit dem 3. September, gegenüber dem Dollar und gegenüber dem Pfund 6 %. Gegenüber anderen Währungen findet er auch statt — dies alles in bloß zwei Wochen, dies alles trotz der Tatsache, daß Geldanleger in New York in Dollar, in London in Pfund, in Paris in Franc natürlich nach wie vor sehr viel mehr Zinsen verdienen können als in D-Mark in Frankfurt oder in Düsseldorf.
    Herr Kohl, Sie haben davon gesprochen, daß der deutschen Volkswirtschaft Vertrauen not tue. Ich stimme Ihnen zu; das ist vollständig richtig. Aber ich fordere Sie dann auf, der Deutschen Mark und der hinter ihr stehenden deutschen Volkswirtschaft wenigstens ebensoviel Vertrauen zu schenken wie die internationalen Märkte der ganzen Welt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich erinnere mich an die teils Schadenfreude, teils Häme, als die D-Mark in diesem Hochsommer gegenüber dem Dollar sehr schwach erschien. Der Dollar stieg auf 2,57 DM; gestern war er schon wieder auf 2,27 DM gefallen. Die D-Mark hat in wenigen Wochen 30 Pfennig gewonnen. Die „FAZ" schreibt heute morgen dazu:
    Auf den internationalen Finanzmärkten ... setze sich mehr und mehr eine positive Beurteilung der Entwicklung der deutschen Wirtschaft durch. Immer mehr Anleger zögen daher eine Anlage ihrer Mittel in D-Mark anderen Währungen vor.
    Nun heißt es j a, hinter der „FAZ" stecke immer ein kluger Kopf. Herr Dr. Kohl, Ihrer war es diesmal nicht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Billig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das ist nicht billig, sondern das sind Tatsachen, und Sie machen dagegen hier den Nebelwerfer, Herr Barzel.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die von Herrn Strauß herausgegebene Wochenzeitung schrieb heute von einer — ich zitiere — „seit Jahren zu beobachtenden Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft". Welch eine schwarzmalerische Verzerrung, die Angst auslösen soll!

    (Wehner [SPD]: Und das vor dem Oktoberfest!)

    — Richtig. — Und welche Angstmacherei in Ihren Reden gestern bei Herrn Kohl, bei Herrn Strauß! Gewiß haben wir große Probleme, aber unsere deutschen Probleme sind doch nun weiß Gott nicht größer als die der anderen EG-Länder oder der Länder Nordamerikas, der anderen großen Industriestaaten. Im Gegenteil, sie sind etwas kleiner. Und wir werden sie lösen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich höre, Herr Barzel, Sie werden nach mir reden, wie meistens. Ist es denn etwa nicht wahr, Herr Barzel, daß wir — vom Großherzogtum Luxemburg einmal abgesehen — in der ganzen Europäischen Gemeinschaft und gegenüber Kanada, gegenüber Amerika die geringste Arbeitslosigkeit und den geringsten Preisanstieg gehabt haben und heute haben und daß dazu — unter damals anderen weltwirtschaftlichen, weltkreditpolitischen Bedingungen — unsere bisherige Haushalts- und Kreditpolitik sehr wesentlich und wohltuend beigetragen hat? Ist es denn nicht wahr, daß unsere Reallöhne hier in Deutschland, unsere realen Sozialleistungen, unsere realen Renten im Vergleich zu den soeben genannten Ländern zur Spitze der ganzen Welt gehören? Ist es denn nicht wahr, daß die von Herrn Strauß dramatisch, künstlich beweinte Staatsquote — ich spreche von den Ausgaben des Staates, von Bund, Ländern und Gemeinden, und der Sozialversicherung — in Deutschland fast gleich hoch ist wie in Frankreich, Italien und England, nämlich etwa 44 % des Sozialprodukts? Was sollen denn alle diese Übertreibungen, als ob es bei uns schlecht gehe? Was soll dieses Schreckensgemälde über die angeblich zerrütteten Staatsfinanzen? Ist es denn nicht wahr,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Nein!)

    daß wir mit den Zinsen, die unser Staat alljährlich zu zahlen hat, deutlich unter England und Italien und Japan und den USA liegen, und zwar immer als Anteil an den jeweiligen Staatsausgaben dieser Staaten gerechnet?

    (Zuruf des Abg. Kiechle [CDU/CSU])

    Ähnlich ist es beim öffentlichen Schuldenstand pro Kopf der Bevölkerung. Es gibt ein großes westliches Industrieland, das besser dasteht. Das ist Frankreich. Das wollen wir anerkennen — mit einem bißchen Neid im Hintergrund. Das müssen wir anerkennen. Frankreich hat eine solidere Finanzwirtschaft betrieben. Das ist wahr.
    Aber Sie sollen uns doch nicht erzählen, daß wir mehr Arbeitslose als Frankreich hätten oder daß wir niedrigere Löhne oder schlechtere Sozialleistungen hätten. Wir haben also etwas anderes, etwas Positives dafür eingehandelt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Noch eines will ich hier deutlich sagen. Wenn wir gegenwärtig wesentlich mehr Staatsausgaben kürzen wollten, wie einige Ihrer Redner in den letzten Wochen in der öffentlichen Debatte verlangt haben, dann könnten wir in der Tat auch die Gefahr deflationistischer Entwicklungen auslösen. Auch das wollen wir nicht. Ich stimme mit der Brüsseler Kommission und ihrem Präsidenten Thorn überein, der mir vor wenigen Wochen in dieser Richtung einen besorgten und mahnenden Brief geschrieben hat.
    Wenn wir heute die Staatsausgaben so weit bremsen, wie es durch den Haushaltsgesetzentwurf und die übrigen Gesetzentwürfe, die wir vorgesehen haben, geschehen soll, so tun wir das nicht wegen Ihres törichten Worts vom Staatsbankrott. Sondern wir begrenzen den Zuwachs der staatlichen Kreditaufnahme, weil wir den Kapitalmarkt von Kreditnachfrage entlasten müssen und weil bei den heutigen weltwirtschaftlichen Bedingungen ein zusätzliches Defizit unsere Beschäftigungsprobleme nicht lösen könnte. Ich gebe ausdrücklich Herrn Matthöfer,



    Bundeskanzler Schmidt
    Frau Matthäus-Maier und Graf Lambsdorff recht, die diesen Punkt vorgetragen haben.
    Warum? Weil wir ermöglichen wollen, daß die Zinsen in Deutschlnd fallen können, damit die Unternehmen und Gewerbebetriebe, die Bauherren und die Häuslebauer wieder zu normalen Zinsen Kredite und Hypotheken aufnehmen können, damit mehr gebaut wird, damit mehr investiert wird, damit unsere Wirtschaft weiter modernisiert wird, damit sie sich den wandelnden Strukturen der Weltwirtschaft noch schneller anpassen kann, damit noch weniger Öl verbraucht wird, damit insgesamt noch weniger Energie verbraucht wird, damit wir unsere Leistungsfähigkeit an den Weltmärkten stärken, und dies alles, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
    Billiger als gestern können wir gegenüber dem Ausland nicht liefern. Unsere Löhne und unsere Sozialleistungen sind zu hoch dafür; wir wollen sie auch nicht senken. Das heißt also: unsere Lohn- und Lohnnebenkosten sind zu hoch dafür. Billiger werden wir also nicht. Aber wir müssen moderner als gestern werden, leistungsfähiger; wir müssen andere, neue Produkte anbieten, schneller, pünktlicher, einen besseren Service bieten. Bitte, Herr Dr. Kohl, schauen Sie sich doch die Exportzahlen an. Sie steigen doch sehr schön. Verschließen Sie doch bitte nicht immer Ihre Augen, und nehmen Sie einmal die schwarze Brille ab, ehe Sie dieses Pult betreten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diese Modernisierung, diese Anpassung der Struktur unserer Volkswirtschaft an das, was die Weltwirtschaft von uns verlangt, geschieht letztlich zu dem Ziel, daß wir unseren Lebensstandard halten, damit wir mehr Arbeitsplätze und wieder höhere Beschäftigung erreichen können.
    Nun stehen wir alle unter starkem wirtschaftlichen Druck, nicht nur in allen westlichen Ländern, sondern auch in allen südlichen Ländern, übrigens auch in den östlichen Ländern. Es gibt gegenwärtig keine Gruppe von Staaten ohne schwerste wirtschaftliche Probleme. Es gibt tatsächlich eine WeltWirtschaftsrezession.
    In vielen uns vergleichbaren Ländern haben in den letzten zehn Jahren unter diesem Druck der sich wirtschaftlich verschlechternden Umstände viele Regierungen gewechselt: in Frankreich, in England, in Italien, in Norwegen, in Dänemark, in Holland, in Belgien, in Luxemburg, in Irland, in Schweden, in Kanada, in den USA. In vielen Staaten haben die Regierungen sogar zweimal, ja mehrere Male gewechselt. Ob das in jedem Falle gerecht war, haben wir nicht zu beurteilen. Ob es den Staaten wirtschaftlich genützt hat, will ich auch nicht beurteilen. Bei uns — zum Leidwesen der Christlichen Demokraten — und übrigens auch in Österreich, auch in Japan hat bisher ein solcher Regierungswechsel nicht stattgefunden. Er ist auch nicht nötig und wird auch so bald nicht eintreten, Herr Kiep, auch nicht in Hamburg.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie hatten dieser Tage eine Chance, meine Damen
    und Herren von der Opposition. Wenige Augustwochen lang hatten Sie eine Chance, sich als ökonomisch besser beschlagen darzustellen. Nun ist die Chance vorbei. Aber das ist auch gut so. Denn sonst würden Sie durch Spargewaltaktionen möglicherweise doch noch das soziale Netz und vor allem den sozialen Grundkonsens gefährden.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Ja, ich meine, was ich sage. — Sie könnten auch die wirtschaftliche Erholung gefährden.
    Sie tun bei allen Reden so, als ob wir ein isoliertes Land seien. Aber wir verkaufen ein Viertel unseres Sozialprodukts auf den Märkten der Welt; fast ein Viertel ist Export. Wir können uns aus der Weltwirtschaft nicht abkoppeln. Wir sind fest verflochten, im Guten wie im Bösen, auch mit unseren Arbeitsplätzen. Wer für den Export arbeitet, hängt von den Märkten der Welt ab, und wer mit dem Import sein Geld verdient nicht minder. Wir können uns aus dem Geleitzug nicht entfernen. Was wir aber können und mit Erfolg tun und in der Vergangenheit mit großem Erfolg getan haben, ist, in dem Geleitzug der Industrieländer das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit und der geringsten Inflation zu sein. Das bleibt auch in Zukunft auf unserem mittleren Weg erreichbar, dem mittleren Weg zwischen einer reinen Angebotsökonomie, wie das heute heißt, auf der einen Seite und einer reinen Nachfrageökonomie auf der anderen Seite. In der heutigen inflationistischen Weltlage müssen wir an einem vernünftigen mittleren Weg zwischen Friedman hier und Keynes dort festhalten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Gewiß enthalten unsere Gesetzentwürfe und unser Haushaltsgesetz vielerlei schmerzliche Details. Darüber ist schon ausführlich gesprochen worden. Auf zwei Details möchte ich noch einmal eingehen.
    Ich weiß, daß die Kürzung des Kindergeldes für die zweiten und die dritten Kinder um jeweils 20 DM für viele schwer zu akzeptieren ist. Ich muß hier allerdings einfügen: Nach der Kürzung wird im ganzen Land für keine Familie das Kindergeld geringer sein als bis zum Jahre 1980 einschließlich. Kinderreiche Familien werden mehr haben als im Jahre 1980. Es scheint so, als ob die CDU/CSU im Bundesrat an Stelle dieser Kürzung beim Kindergeld eine Kürzung beim Bundesausbildungsförderungsgesetz — beim BAföG — für Schüler anvisiert. Das wäre jedenfalls ein härterer Eingriff, und die Bildungschancen der sozial Schwächeren würden betroffen — im Gegensatz zu dem gleichen Kindergeld, gleich für alle.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber wir werden sehen, was Sie im Bundesrat dazu vortragen. Ich will für meine Person sagen: Mir wäre an Stelle von Eingriffen in das Kindergeld am liebsten gewesen, die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten wieder zu beseitigen, die Sie im Bundesrat eingeführt haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)




    Bundeskanzler Schmidt
    Das hat nämlich mit Gerechtigkeit wirklich nicht viel zu tun, was Sie da eingeführt haben, und es kostet viel Geld.
    Die zweite Bemerkung zu einem wichtigen Detail betrifft den Verteidigungshaushalt. Der Etat des Bundesministeriums der Verteidigung wird im nächsten Jahr um dieselbe Rate ansteigen wie der Bundeshaushalt insgesamt: um 4,2 %. Das heißt, daß der reale Anstieg geringer sein wird als in den vergangenen zehn Jahren. Allerdings sind auch die ökonomischen Voraussetzungen schlechter als damals. Allerdings sehen sich auch andere Staaten — auch die Vereinigten Staaten von Amerika — gezwungen, aus denselben Gründen ihre Verteidigungsetats, ihre Planungen etwas zu revidieren und zurückzuführen.
    Ich möchte hier aber mit aller Deutlichkeit sagen: Die Verteidigungsfähigkeit eines Landes hängt nicht allein von der Höhe der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel ab. Sie hängt davon ab, ob diese Finanzmittel zweckentsprechend und vernünftig eingesetzt werden. Vor allem hängt sie aber davon ab, daß es junge Männer gibt, die Soldat sein wollen — auch wenn sie dazu keine große Lust und daran keine große Freude haben —, und daß es eine Gesamtgesellschaft gibt, die diese Motivation trägt und bestätigt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist bei uns tatsächlich der Fall. Kleine Ausnahmen am Rande bestätigen die Regel. Niemand von uns sollte so tun, als ob eine Million oder eine Milliarde mehr oder weniger für die Bundeswehr auch nur zu einem kleinen Teil so entscheidend sein könnte wie — ich sage es noch einmal — die Motivation und die Ausbildung der jungen Männer und die Motivation der Gesamtgesellschaft, die sie tragen muß.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Flugstunden der Piloten!)

    Für den Haushalt gilt dasselbe wie für jeden Privatmann: Man kann dieselbe Mark nicht zweimal ausgeben. Das, was wir z. B. für unsere polnischen Nachbarn in diesem Jahr tun und im nächsten Jahr wiederum tun müssen — für die Umschuldung, für die Lieferung von Nahrungsmitteln, für die Lieferung von gewerblichen Gütern —, muß natürlich an anderer Stelle eingespart werden. Wir halten diese über eine Milliarde DM pro Jahr hinausgehende Hilfe für Polen für notwendig, weil es den Menschen dort unvergleichlich viel schlechtergeht, weil es für sie unvergleichlich viel schwieriger ist als für jeden von uns und weil wir nicht so tun können und wollen, als ginge uns das Schicksal der Polen nichts an.

    (Beifall bei der SPD und der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das haushalts- und finanzwirtschaftliche Gesamtkonzept, das der Bundesfinanzminister vorgetragen hat, kann sich, wie ich meine, internationaler Kritik durchaus stellen. Es kann sich sehen lassen. Selbstkritisch müssen wir zugestehen, daß wir das, war wir zustande bringen, bis zum Mittwoch eigentlich deutlich unter Wert verkauft haben. Das war Ihr
    Glück, Herr Kohl. Das war Ihre Chance, aber Sie haben die Chance nicht genutzt. Wer Ihnen und Herrn Strauß gestern über drei Stunden zugehört hat, hat immer noch keine Ahnung davon, ob Sie ein anderes Konzept haben und wie dieses eventuell aussieht. Herr Kiep hat uns eben auch nicht schlauer gemacht. Die Sache mit dem Weihnachtsmann, den Sie am 23. Dezember nicht erschießen wollen, Herr Kiep, habe ich nicht verstanden. Was ich angeblich im Bundestag zu Ludwig Erhard gesagt haben soll, Herr Kiep, ist eine Erfindung Ihrer Propagandastelle. Zeigen Sie mir im Protokoll, was Sie meinen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ich habe ja nicht gesagt: im Bundestag! Auf dem Parteitag in Bremen haben Sie es gesagt!)

    — Auch das bleibt Ihre Propaganda, Herr Kohl.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ich kann es Ihnen ja vorlesen! — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wir haben es da!)

    — Sie lesen eine Meldung aus einer Bremer Zeitung vor, die ich seinerzeit dementiert habe. Das ist über zehn Jahre her. Sie haben heute nichts zu bieten. Deswegen wühlen Sie in den Zettelkästen der 60er Jahre.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Der streitet aber auch alles ab!)

    Ein Wort an die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften. Hier weiß jedermann, daß ich bei großer Wertschätzung für tüchtige Unternehmensleiter und selbständige Handwerker, Gewerbetreibende, Freiberufler zeit meines beruflichen Lebens Mitglied einer DGB-Gewerkschaft bin und bleibe. Daß der Papst mit seiner neuen Enzyklika die Notwendigkeit freier Gewerkschaften überzeugend begründet, erfüllt mich mit Genugtuung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Arbeitnehmer tragen in der jetzigen Wirtschaftslage eine schwere Last. Das gilt besonders in einigen Branchen, die in besondere Strudel der weltwirtschaftlichen Krise geraten sind: früher schon der Schiffbau — Herr Kohl wird ja wohl nicht sagen, die Sozialliberalen in Bonn hätten die Schiffbaukrise gemacht —, heute der Stahl — da werden Sie wohl auch nicht sagen, daß wir das gemacht hätten — oder die Textilindustrie.
    Ich möchte gern Herrn Strauß nachrufen — nach dem, was er gestern über Arbeitslosigkeit sagte —: Die Stahlkocher — von Duisburg bis Dortmund und in Bremen oder Salzgitter oder in Niederbayern oder in Siegen oder in der Georgsmarienhütte oder an der Saar — werden wenig Verständnis dafür haben, daß wir zwar einerseits im Bundeshaushalt erhebliche Mittel für die Stahlindustrie zur Verfügung stellen, auch für soziale Zwecke, daß aber zum anderen die Uneinigkeit der Vorstände der deutschen Stahlunternehmen unnötig die roten Zahlen verlängert. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe zu dem Urteil des IG-Metall-Vorstandsmitglieds Judith in dieser Sache mehr Vertrauen als zu manchem Vorstand



    Bundeskanzler Schmidt
    manches sehr großen, weltangesehenen deutschen Stahlunternehmens.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Meinen Sie Herrn Rohwedder?)

    Es ist nicht einfach für eine sozialliberale Bundesregierung, der ganzen Stahlbranche zu sagen — das sagt Graf Lambsdorff —: Wir erwarten von euch, daß ihr alles tut, um die Preise zu erhöhen. — Es fällt einem nicht leicht, für Preiserhöhungen einzutreten. Aber wir haben das getan, wir tun das auch heute, weil wir wissen, daß Preise notwendig sind, die die Kosten decken. Ich habe kein Verständnis dafür, daß Quengelei und Eifersucht unter verschiedenen Vorständen dies unnötig verzögern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ein arbeitslos werdender Stahlkocher hat wenig Verständnis für die Überlegungen, die der Ministerpräsident Strauß gestern zum Arbeitslosengeld angestellt hat. Der Stahlkocher hat nämlich sein Leben lang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Und er ist auch nicht freiwillig ohne Arbeit, sondern er ist arbeitslos gegen seinen eigenen Willen und manchmal trotz seiner Verzweiflung. Ich stehe auf seiner Seite.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Seine Kollegen, auch seine Gewerkschaft, die Gewerkschaften insgesamt werden sich manches anders erhofft haben. Wir hören ihnen zu, wir sprechen mit ihnen. Wir erklären ihnen auch in Tausenden von Belegschaftsversammlungen, was wir tun, warum wir es tun und warum wir es tun müssen.

    (Gerstein [CDU/CSU]: Was ihr nicht tut!)

    Wir haben dabei allenthalben eine Einsicht gespürt: Die Bürger und zumal die Arbeitnehmer sind zu Opfern durchaus bereit, aber sie wollen wissen, ob es alle trifft, ob es sorgfältig geprüft und abgewogen wurde und ob es Erfolg haben wird. Den Erfolg kann niemand garantieren. Schließlich stehen ganz Europa und ganz Nordamerika in diesem Winter vor der höchsten Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten. Aber daß wir uns anstrengen, daß wir mit aller Kraft um diesen Erfolg ringen, das spüren sie.
    Ich gehöre zu denen, die wissen, daß es neben den Drückebergern und den Schwarzarbeitern Hunderttausende echter arbeitswilliger arbeitsloser Frauen und Männer in Deutschland gibt. Die Sorge um sie ist heute für mich die größte innenpolitische Sorge. Ich habe als Junge und als junger Mann miterlebt, wie mein behinderter Schwiegervater von 1929 bis 1936, sieben Jahre lang, arbeitslos war. Ich habe es jede Woche miterlebt. Ich weiß, was es damals bedeutete und was es heute bedeutet.
    Menschliche Arbeit ist der archimedische Punkt im Leben des Menschen, der archimedische Punkt, aus dem übrigens auch in der neuen Sozialenzyklika der Papst seine Soziallehre, die Soziallehre der Kirche entwickelt. Menschliche Arbeit wird dort zum Schlüsselproblem der sozialen Frage erklärt. Wer da
    glaubt, er könne die Lösung des Beschäftigungsproblems allein den selbstheilenden Marktmechanismen überlassen — wobei natürlich die Marktpartner auch gefordert sind —, der könnte sich jedenfalls auf dieses Lehrdokument des Papstes nicht berufen.

    (Beifall bei der SPD)

    Da wird das ganze ursprüngliche Bekenntnis der Soziallehre der katholischen Kirche zur Interventions- und Gestaltungspflicht des Staates ausdrücklich bekräftigt. Mir liegt es sehr fern — ich bin ein Protestant —, den Papst und seine Enzyklika für meine politischen Auffassungen zu vereinnahmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es genügt ja, wenn Sie damit Propaganda machen!)

    Wer aber allemal ideologische Krämpfe primitiv-kapitalistischer Art vorführt — das ist ein Ausdruck, den ich der Enzyklika entnehme: Primitivkapitalismus —, wer kritisiert, wenn ein Sozialdemokrat dem Staat den dem Staat zukommenden Teil der Verantwortung zuweisen will, der hat es noch ein bißchen notwendiger als ein Sozialdemokrat, Herr Kohl, diese Enzyklika zu lesen und sie sich innerlich zu eigen zumachen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sage dies auch an bestimmte unternehmerische Adressen.

    (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ CSU]: Was heißt „auch"?)

    Die Unternehmensleiter in Deutschland sollten anerkennen — viele tun es auch —, was sie an den Belegschaften, an den Betriebsräten in ihren Unternehmen, was sie an den deutschen Gewerkschaften haben. Viele von Ihnen sind klüger, als die zweckpessimistischen Jeremiaden von BDI oder DIHT vermuten lassen, die Graf Lambsdorff eben apostrophiert hat. Viele der deutschen Unternehmensleiter leisten Vorzügliches. Gerade in diesen Tagen beweisen der gute Anstieg unserer Exportziffern und die Zielländer dieses Exportes diese Leistung.
    Bitte — das sage ich auch den Unternehmern —, lassen Sie es den Herrn Strauß wissen, daß entgegen seiner gestrigen Rede ihr „Unternehmergeist" keineswegs „getötet" ist, wie er behauptet hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Lassen Sie Herrn Strauß auch die unternehmerische Erfahrung hören, daß soziale Sicherung, Betriebsverfassung und Mitbestimmung in den deutschen Unternehmen eine größere Stabilität geschaffen haben als in vielen anderen Unternehmen vieler anderer Länder in Europa.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    An die Unternehmer, spezieller noch an die Bankiers, wende ich mich mit der Bitte: Sagen Sie Herrn Strauß laut und deutlich, was Sie von seinem Geschwätz über eine neue Währungsreform tatsächlich halten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich nehme heute ein Wort wieder auf, das ich nach dem Ausbruch der ersten Ölkrise vor siebeneinhalb



    Bundeskanzler Schmidt
    Jahren gebraucht habe. Wir setzen unseren Kurs stetig fort, aber wir konzentrieren uns auf das, was jetzt vordringlich geworden ist: Kontinuität und Konzentration. Ich bin sicher: Das, was wir tun, wird wirken, wenn auch erst im weiteren Verlauf des kommenden Jahres. Unser Export steigt bereits, unsere Leistungsbilanz normalisiert sich bereits, unsere Zinsen werden sinken, unsere Investitionen werden steigen, und ebenso wird dann die Zahl der Arbeitsplätze steigen.
    Nun hat Herr Dr. Kohl, der Übung des Hauses entsprechend, die Haushaltsdebatte gestern auch auf andere als Haushaltsthemen ausgeweitet. Seine ernsten und von mir ernst genommenen Passagen zu unserem Freundschafts- und Bündnisverhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika finden, wie Sie wissen, die Zustimmung der Bundesregierung und beider Koalitionsparteien, ebenso Ihre Worte, Herr Dr. Kohl, über die amerikanische Schutzmachtrolle in Berlin. Herr Genscher hat, für die ganze Bundesregierung sprechend, gestern schon darauf geantwortet; aber ich möchte heute ausdrücklich auch mein eigenes Wort hinzufügen.
    Ich habe Herrn Minister Haig für seine Bekräftigung des amerikanischen Engagements in Berlin ausdrücklich gedankt und habe ihn gebeten, das auch Präsident Reagan zu übermitteln. Herr Haig hat in Berlin in vorbildlicher, in gelassener Weise auf die ihn betreffenden Demonstrationen reagiert. Er hat in Berlin übrigens eine bedeutende Rede gehalten, in der, neben nachdenkenswerten Passagen, die Aufbruchstimmung in den Vereinigten Staaten von Amerika und der spezifisch amerikanische Optimismus ohne Kraftmeierei zum Ausdruck gekommen sind. Ich freue mich, feststellen zu können, daß das Gleichgewicht der Angelpunkt der amerikanischen Sicherheitspolitik bleibt. Der Haig-Besuch in Berlin und übrigens auch hier in Bonn war eine eindrucksvolle Bestätigung deutsch-amerikanischer Freundschaft, der gemeinsamen westlichen Politik des Gleichgewichts und des Dialogs mit dem Osten, einer gemeinsamen Politik, der wir unsere Sicherheit, unsere Freiheit, auch unsere Weltoffenheit verdanken.
    Auf unsere amerikanischen Freunde ist Verlaß, und die amerikanische Nation kann sich auf uns Deutsche verlassen.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich stimme Ihnen zu, beides hat tiefe Wurzeln in gemeinsamen Überzeugungen und Werten, die wir nicht vergessen machen lassen dürfen, auch wenn es bisweilen natürlicherweise Meinungsverschiedenheiten und Interessengegensätze gibt und geben muß. Die gemeinsamen Werte tragen auch das Bündnis, das uns Schutz gewährt, zu dem wir nach unseren Kräften beitragen. Ich sage hier: Die Grundrechte in unserem Grundgesetz — manchem ist das nicht bewußt — stammen nur zum Teil aus deutscher und europäischer Tradition, zum ganz großen Teil stammen sie aus der Freiheitstradition, die in den Vereinigten Staaten von Amerika vor etwas über 200 Jahren begründet worden ist. Wir sind uns dessen bewußt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir haben mit dem amerikanischen Außenminister vor seinen wichtigen Begegnungen mit seinem sowjetischen Kollegen intensiv über die gemeinsame westliche Linie für die Rüstungskontrollverhandlungen über die eurostrategischen Waffen gesprochen. Die Konsultation darüber wird, wenn die eigentlichen Verhandlungen zu diesem Spezialthema im November beginnen, intensiv fortgesetzt werden, ebenso wie wir unsererseits konsultieren werden, wenn wir mit der sowjetischen Seite in Gespräche eintreten.
    Ich habe übrigens — das möchte ich dem Hause sagen — Präsident Reagan bei dieser Gelegenheit offiziell zu einem Besuch in unserem Land eingeladen. Wenn er kommt, wird er erfahren, daß es stimmt, was Herr Kohl gesagt hat, was Herr Genscher gesagt hat und was ich sage: daß Deutsche und Amerikaner Freunde sind.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich will hier hinzufügen, daß wir die Gewaltakte gegen Angehörige der amerikanischen Streitkräfte und deren Einrichtungen zugleich als Anschläge gegen unsere eigene Sicherheit und unsere Freiheit ansehen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir verabscheuen ganz besonders die dabei erneut sichtbar gewordene Absicht zum Mord.
    Die Bundesregierung wird gemeinsam mit unseren amerikanischen und all unseren europäischen Freunden alle Anstrengungen unternehmen, um den Kampf gegen den Terrorismus erfolgreich fortzusetzen. Wir wissen uns darin einig mit der überwältigenden Mehrheit aller Deutschen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Deswegen hatte und hat der Terrorismus in den vergangenen Jahren und auch in der Zukunft in unserem Land keine Chance.
    Nicht nur mit Amerika, auch mit den übrigen Staaten in Westeuropa ist das Netz unserer Partnerschaft eng geknüpft. Konsultationen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Spadolini vor wenigen Tagen haben ein beiderseits großes Vertrauenskapital und eine Übereinstimmung in allen entscheidenden sicherheitspolitischen und außenpolitischen Interessen und in ihrer Bewertung offenbart. Dem italienischen Staatspräsidenten Pertini, einem europäischen Staatsmann von ganz überragender moralischer Autorität, habe ich für ein wichtiges Gespräch zu danken.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich denke aber auch mit Bewegung an die Begegnung mit Papst Johannes Paul II. zurück, dem ich die Wünsche aller Deutschen, der Katholiken wie der Protestanten wie der Freidenker, zur Genesung



    Bundeskanzler Schmidt
    und zur Fortsetzung seiner Friedensmission überbracht habe.

    (Beifall bei der SPD, bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die jüngsten Gespräche in Norwegen, in Dänemark und demnächst mit dem österreichischen Bundeskanzler sind nur andere Beispiele des engen Kontaktes mit unseren Nachbarn, andere Beispiele des europäischen Zusammenhalts auch außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Und, Herr Kohl, in Norwegen beruft sich nicht nur die sozialdemokratische Seite, sondern auch die konservative Seite, die nun vermutlich die Regierung bilden wird, auf unsere Außen- und Sicherheitspolitik, nicht auf Ihre Schwarzmalerei.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf damit!)

    Von größter Bedeutung bleibt natürlich die deutsch-französische Zusammenarbeit — nach dem Willen beider Regierungen. Ich werde demnächst den französischen Staatspräsidenten besuchen. Die englische Ministerpräsidentin wird hierher kommen. In all diesen Gesprächen zeigt sich die Selbstverständlichkeit der engen Zusammenarbeit und der dauernden Konsultationen, die gewachsene Übereinstimmung in allen wichtigen Fragen.
    Wir können auf diesem europäischen Kapital weiterhin bauen, auch bei den schwierigen Diskussionen über Anpassungen und Reformen in der Europäischen Gemeinschaft, die das Bundeskabinett heute nachmittag beraten wird. Wir haben auf der Grundlage dieser umfassenden engen Beziehungen und Konsultationen sowie der guten Nachbarschaft in den letzten 12 Jahren der sozialliberalen Außen-und Sicherheitspolitik viel erreicht bei der Herstellung von Friedenssicherung, von Zusammenarbeit in Europa. Aus dem schmalen Weg der Ostpolitik von 1969 ist inzwischen eine breite, zweispurige Straße geworden. Und es steht dahinter eine gemeinsame westliche Politik, wie sie vor anderthalb Jahrzehnten im Harmel-Bericht beschrieben wurde: Militärische Sicherheit und Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch dar, sondern eine gegenseitige Ergänzung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Zuletzt wurde dies in der Erklärung der sieben Regierungschefs in Ottawa bestätigt — unter Hervorhebung der Prinzipien des Gleichgewichts, der politischen Mäßigung, des Dialogs mit dem Osten und der Zusammenarbeit mit dem Osten. Wir werden alles tun, um die Bedrohung Mitteleuropas zu vermindern und zu einem militärischen Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau zu gelangen. Ein notwendiger Schritt auf diesem Wege, Herr Dr. Kohl, ist der Doppelbeschluß über die europäischen Waffensysteme: Nachrüstung soweit wie nötig zur Herstellung des ungefähren Gleichgewichts, aber soweit wie möglich gegenseitig vereinbarte Rüstungsbegrenzung zur Herstellung eines ungefähren Gleichgewichts. Konkrete Verhandlungsergebnisse werden wir nur erreichen, wenn wir an beiden Teilen
    dieses Beschlusses festhalten und nicht, wie Herr Strauß es möchte, nur an dem einen Teil.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Schwarz-Schilling [CDU/CSU]: Unglaubliche Unterstellung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Er hat auf dem Parteitag der CSU so gesprochen. Und wer so spricht, der stellt die Übereinstimmung der Allianz in Frage. Herr Strauß sollte dies nicht tun, er sollte das unterlassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ihnen, Herr Dr. Kohl, sage ich: Ich denke nicht daran, mich von dieser Haltung zu entfernen, die ich seit 1977 eingenommen habe, von diesem Doppelbeschluß, den ich mit initiiert habe. Bitte, unterlassen Sie solche mißverständlichen, unterschwelligen Verdachtszuweisungen!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen Sie doch jetzt auch!)

    - Ich habe ja genau zugehört, was Herr Dr. Kohl, mich adressierend, in dem Punkt gesagt hat. Ich bitte Sie, auch zur Kenntnis zu nehmen, Herr Dr. Kohl — im Gegensatz zu dem, was Sie gestern über die sogenannte Null-Option ausgeführt haben; ich stelle mich hier an die Seite des Außenministers Genscher —, daß ebenso Herr Außenminister Haig öffentlich die beiderseitige Null-Option als eine, vielleicht nicht sehr wahrscheinliche, aber an die Spitze der Verhandlungsziele zu setzende Option bezeichnet hat.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich muß Ihnen auch zur Neutronenwaffe antworten. Die vieldiskutierte Frage einer möglichen Stationierung in Europa ist nicht aktuell. Darin sind wir uns mit den Verbündeten in Washington einig. Wir werden auch hier an der gemeinsamen Bündnislinie festhalten. Rüstungskontrollpolitik ist Teil unserer Sicherheitspolitik. Die Bundesregierung hat am 13. April 1978 hierzu im Bundestag Ausführungen gemacht: Stationierung nur nach ernsthaften Rüstungsbegrenzungsverhandlungen, einstimmiger Bündnisentscheidung, nur, wenn wir nicht das einzige Stationierungsland in Europa wären.
    Auch hierzu bin ich — nicht von Ihnen, aber von Herrn Kollegen Strauß — in unzulässiger Weise falsch zitiert worden. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich meine Meinung nicht geändert habe. Aber ich sage noch einmal: Es liegt überhaupt kein Anlaß vor, diese Sache heute zu debattieren. Sie ist absolut nicht aktuell und wird es auch morgen nicht werden.
    Andererseits bitte ich, die Bundesregierung seitens der Opposition zu unterstützen,

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Die brauchen Sie doch nicht, haben Sie erklärt!)

    wenn wir auf der Erfüllung eines Anspruchs bestehen, den wir Deutschen gemeinsam mit anderen Nichtnuklearwaffenstaaten und ihren Völkern im Atomwaffensperrvertrag gegenüber den Nuklearwaffenstaaten erworben haben, des Anspruchs näm-



    Bundeskanzler Schmidt
    lich, daß sie ihre nukleare Rüstung vermindern. Ich füge hinzu: im Gleichgewicht vermindern, damit es realistisch möglich wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich bin überzeugt, das Gespräch der Großmächte darf nicht abreißen. Dialog, Zusammenarbeit sind gerade in schwierigen Zeiten dringendes Gebot der Friedenswahrung. Alle Möglichkeiten dafür müssen genutzt werden. Deswegen sind der Außenminister und ich letzten Sommer zum sowjetischen Generalsekretär und seinen Mitarbeitern gefahren — um Positionen zu klären, Ansatzpunkte herauszufinden. Deshalb werden wir den Dialog mit der sowjetischen Seite beim Besuch von Generalsekretär Breschnew hier in Bonn im November fortsetzen. Und ich muß Ihnen sagen: Ich bin froh über diesen Besuch.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir werden vorher auch den ungarischen Premierminister hier sehen — natürlich liegt die größere Bedeutung beim sowjetischen Generalsekretär. Ich hoffe, daß wir auch ein Treffen zwischen dem Staatsratsvorsitzenden der DDR und dem Bundeskanzler zustande bringen. Das muß aus zwei Gründen so sein: Zum einen, weil von uns Deutschen keine zusätzlichen Störungen der Lage in Europa ausgehen dürfen. Im Gegenteil: Wenn wir uns gemeinsam um die Entwicklung vernünftiger und gutnachbarlicher Beziehungen bemühen, dann können wir zu Zusammenarbeit und Vertrauensbildung beitragen. Es ist deshalb wichtig, daß es nun endlich zu dieser — aus nicht von uns und auch nicht von ihm zu verantwortenden Gründen — verschobenen Begegnung kommt, einer Begegnung ohne Vorbedingungen. Die etwaigen Vorbedingungen, die einige schon formulieren wollen, lasse ich mir auch von niemandem vorschreiben.
    Zweitens ist es darum notwendig, weil Beispiele dafür gegeben werden müssen, daß Deutsche mit Deutschen reden und daß Deutsche auf Deutsche hören.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Mit dieser Gesprächsbereitschaft und mit diesem Friedenswillen, dem Willen zu guter Nachbarschaft gegenüber dem Osten, fühlen wir uns ganz fest und sicher auf der Grundlage, die in unseren Westbindungen durch die Europäische Gemeinschaft und die Nordatlantische Allianz gegeben ist. Ich bitte Sie sehr, Herr Abgeordneter Dr. Kohl, im Interesse unseres Volkes diese Gemeinsamkeit nicht durch polemische Verzerrungen in Frage zu stellen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Das sagt der Mann, der uns die Friedensfähigkeit absprach!)

    Ich verstehe Ihre Sorge — und ich teile sie — über manche Verirrung, außenpolitische Verirrung, zumal, die man hier und da in unserem Land erlebt, gerade auch bei jungen Menschen, die für Unruhe und Verführung natürlich anfälliger sind als andere. Man spürt diese Anfälligkeit auch in anderen Ländern Europas, übrigens nicht nur Westeuropas. Die deutsche Jugend ist wahrscheinlich noch aus einem anderen Grunde in einer anderen Situation als die skandinavische oder die westeuropäische Jugend. Ein Mensch wächst normalerweise auf in der Geborgenheit durch die Familie, durch die Heimat. Viele von uns haben diese Geborgenheiten nach dem Kriege durch die Kriegsereignisse, durch die Vertreibung, durch die Flucht verloren und haben sie neu aufbauen müssen. Normalerweise wächst ein Mensch auch auf in der Geborgenheit in der eigenen Nation, in der selbstverständlichen Bindung an die eigene Nation. Diese ist aber für die heutige deutsche junge Mannschaft sehr schwer zu erleben. Ich verstehe, daß hier etwas fehlt. Ich verstehe, daß die jungen Leute eine besondere Verantwortung der Deutschen für den Frieden erkennen. Aber ich möchte ihnen auch sagen, daß sie sich bitte nicht einreden sollen, die Deutschen wüßten besser als alle anderen, was dem Frieden in der Welt frommt.
    Es gibt die Versuchung, die ich zu spüren glaube, die Wiederauferstehung alter falscher Vorstellungen, als ob am deutschen Wesen, diesmal am deutschen Friedenswillen die Welt genesen solle. Sie möchten bitte auch nicht aus der eigenen Lebensangst eine Tugend machen, und sie möchten bitte die Lebensangst, die sie selber haben, nicht auf andere zu übertragen suchen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es gibt allzu viele, die eine Zukunft ohne Hoffnung malen, viele, die die Demokratie verunglimpfen, auch manche, die einäugig die Gefahren nur im Westen sehen wollen. Alexander Haig hat dazu gesagt:
    Wir müssen vorsichtig sein, damit wir nicht die dünne Linie zwischen Freiheit und Anmaßung überschreiten.
    Er hat das in Berlin gesagt — ein nachdenkenswertes Wort.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich selbst habe vor einigen Wochen bei einer im Fernsehen übertragenen Diskussion mit vielen Jugendlichen in einer Kirche in meiner Vaterstadt, in Hamburg-Altona, zu zeigen versucht, wie man zuhören muß, wenn junge Menschen ihre Ängste um den Frieden aussprechen, zum Teil herausschreien, weil man unsere Politik des Gleichgewichts, des Dialogs, der Zusammenarbeit geduldig dagegenstellen und begründen muß und wie man Ängste abzubauen helfen kann, indem man die Vernunft, die Gott in jeden Menschen eingepflanzt hat, in Arbeit setzt. Aber bitte: nicht einfach jeden als Kommunisten oder als Chaoten abtun, der seine Angst herausschreit. Es sind Ihre Söhne und Töchter genauso wie unsere.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ganz gewiß, Herr Abgeordneter Kohl, sind auch Kommunisten und Chaoten darunter. Den Politikern, die auf solchen Kundgebungen reden und damit ein Grundrecht aus Art. 5 unserer Verfassung in Anspruch nehmen, möchte ich sagen, daß sie immer auch die unerwünschten Folgen mit bedenken müssen, daß sie ausreichende organisatorische Vorsorge gegen den Mißbrauch ihrer Demonstration treffen



    Bundeskanzler Schmidt
    müssen, um verantworten zu können, was insgesamt aus der Sache wird.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP — Wehner [SPD]: Das gilt auch für den 10. Oktober hier in Bonn!)

    — Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Wehner.
    Ich bin mit vielen Einseitigkeiten und Verfälschungen solcher Reden und solcher Demonstrationen zutiefst nicht einverstanden. Es muß immer wiederholt werden, daß z. B. die SS-20- und Backfire-Rüstung der Sowjetunion seit vier Jahren längst läuft — seit 1977 —, während die Pershing-Nachrüstung des Westens frühestens Ende 1983 beginnen kann.
    Ich sagte: Haigs Gelassenheit in Berlin war groß. Ich füge hinzu: Sie war beispielgebend; ein Beispiel auch für den einen oder anderen gestrigen Oppositionsredner. Bitte lassen Sie solche Verdächtigungen, die Sozialdemokraten führten Deutschland in die Neutralisierung, und lassen Sie die Verdächtigung, wir seien auf dem Wege zu einem deutsch-sowjetischen Bündnis!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich lese Ihnen, Herr Abgeordneter Kohl, die „International Herald Tribune" von gestern vor, die von Ihnen spricht. Es ist eine der angesehensten Zeitungen der Welt. Der Artikel beginnt mit dem Bericht über den terroristischen Angriff auf den amerikanischen General Kroesen bei Heidelberg und sagt:
    Wenn Politiker wie der christlich-demokratische Führer Helmut Kohl diesen Anschlag in denselben Zusammenhang stellen wie die Demonstration gegen Minister Alexander Haig in Berlin vor ein paar Tagen, dann helfen sie den Terroristen, das zu erreichen, was eines ihrer vördersten Ziele sein könnte, nämlich einen Keil zu treiben zwischen die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre europäischen Verbündeten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP)

    Der gestrige Leitartikel der „International Herald Tribune" schließt:
    Es ist deshalb notwendig, daß der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, daß der Präsident Reagan und daß die übrigen NATO-Führer diese Anschläge für das nehmen, was sie sind, nämlich die Arbeit einer winzigen Bande von Fanatikern, und daß sie sich nicht in überflüssige Auseinandersetzungen durch fälschlicherweise aufgeregte öffentliche Meinung treiben lassen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sage Ihnen das, Herr Dr. Kohl, weil Sie davon geredet haben, der Kredit als Bündnispartner werde verspielt. Welch ein Zerrbild!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Welch ein Zerrbild des Antiamerikanismus haben
    Sie hier entrollt, und welch falsches Bild haben Sie
    damit sogar von der inneren Haltung Ihrer eigenen Partei gegeben!
    Wenn von Friedensbewegung die Rede ist — nicht alles, was sich so etikettiert, verdient diesen Namen —, lesen Sie bitte den Friedensappell des Deutschen Gewerkschaftsbundes! Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist seit drei Jahrzehnten auf das engste mit den amerikanischen Gewerkschaften, mit der AFL/CIO verbunden, früher insbesondere mit der Person George Meanys und heute Lane Kirklands, beides Männer, die ich bei jedem Besuche, den ich in Washington gemacht habe, aufgesucht habe. An seiner Verbundenheit mit Amerika kann niemand einen Zweifel haben.
    Wenn Sie den Appell lesen, werden Sie auch seine Ausgewogenheit erkennen und akzeptieren. Ich begrüße diesen Appell. Ich frage: Wie viele Abgeordnete Ihrer Fraktion haben diesen Appell der deutschen Einheitsgewerkschaft, der größten deutschen Friedensbewegung, inzwischen auch unterschrieben?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist kein einäugiger Appell wie manch andere. Er ist nicht verblendet, er ist gleichgewichtsorientiert. Heinz Oskar Vetter zeigt damit gerade der gewerkschaftlich organisierten Jugend, wo es lang gehen muß. Es muß gehen in Richtung auf Gleichgewicht der Abschreckung, auf Gleichgewicht der militärischen Mittel, auf Begrenzung dieser militärischen und Abschreckungsmittel im Gleichgewicht, auf Begrenzung der Rüstungen im Gleichgewicht, auf Dialog mit dem Osten zu diesem Zweck und zum Zwecke weiterer Zusammenarbeit, auf Sicherheit, auf Partnerschaft mit dem Osten, auf Zusammenarbeit. Nur so kann der Frieden gefestigt werden.
    Zu diesem Zweck treffen wir dieses Jahr erneut Leonid Breschnew, zu diesem Zweck treffen wir dieses Jahr — zum dritten Mal in diesem Jahr — Präsident Ronald Reagan. Ich weiß, daß Reagan verhandeln will und daß er verhandeln wird. Ich weiß ebenso, daß Breschnew verhandeln will und daß er verhandeln wird. Beide wollen verhandeln, weil beide davor Angst haben, daß der Frieden zum Teufel gehen könnte. Und sie haben recht, davor Angst zu haben, sie haben recht zu verhandeln.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Trotzdem bleibt das ein schwieriges Verhandlungsgeschäft — nicht zuletzt deshalb, weil so viel Vertrauen verlorengegangen ist.
    Wir Deutsche können und wollen mithelfen, Vertrauen zu bilden — nicht nur durch die vertrauensbildenden Maßnahmen, über die wir in Madrid reden —, Vertrauen neu zu bilden. Wir gehören zum Westen, aber wir können mithelfen, daß sich West und Ost verstehen. Wir gehören zum Westen, aber für uns hört Deutschland nicht an der Elbe auf, und Europa hört nicht an der Oder oder an der Weichsel auf. Wir ringen darum, daß sich die Europäer in West und Ost begegnen können. Auch darin sind sich FDP und SPD vollständig einig.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Bundeskanzler Schmidt
    Ich darf zusammenfassen. Der Haushalt 1982 und die dazu vorgelegten Gesetzentwürfe zeigen: Sozialdemokratie und Freie Demokratische Partei bleiben eine handlungsfähige Partnerschaft. Partnerschaft heißt nicht, in allen Punkten einer Meinung zu sein. Partnerschaft heißt in fairer und sachlicher Zusammenarbeit die Probleme lösen, die gelöst werden müssen, heißt notfalls auch sich zusammenraufen, heißt vor allem anderen: gemeinsam Verantwortung tragen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diese Partnerschaft hat sich seit zwölf Jahren bewährt.
    Hans-Dietrich Genscher hat kürzlich auf die Frage, was denn von dieser Koalition noch zu erwarten sei, die kürzeste — übrigens die einzig mögliche — Antwort gegeben. Er hat nämlich gesagt: die Verwirklichung der Regierungserklärung vom November des Jahres 1980.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In jener Regierungserklärung haben wir die großen Schwierigkeiten dargestellt, vor denen unser Land steht. Sie sind seither nicht kleiner, sondern größer geworden, sowohl in der Weltpolitik als auch in der Weltwirtschaft. Wir brauchen unsere Kraft, wir müssen sie zusammennehmen, um durch diese Schwierigkeiten durchzukommen: beharrlich in der Sache, aber auch behutsam im Umgang miteinander. Dazu gibt es keine Alternative. Wir haben sie auch gestern nicht, wir haben sie heute nicht gehört. Ich weiß, Herr Barzel wird anschließend, wie schon häufiger, das vermissen, was er die „geistige Führung" nennt.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    — Da können Sie einmal sehen, wie gut ich Sie inzwischen kenne, Herr Barzel. —

    (Lachen bei der SPD und der FDP — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sie werden das noch merken! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Und wir Sie!)

    Ich liebe Ihr anspruchsvolles Wort von der „geistigen Führung" nicht; ich begnüge mich mit politischer Führung. Ich habe übrigens in den Reden von Herrn Kohl und von Herrn Strauß keine Spur von geistiger Führung entdecken können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber ich verlange sie von Ihnen auch nicht, Herr Kohl, Herr Barzel verlangt sie von Ihnen, die geistige Führung.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/ CSU]: Das liegt doch bloß an Ihnen!)

    Ich würde mich an Ihrer Stelle, Herr Dr. Kohl, mit der politischen Führung begnügen; das wäre auch schon sehr viel.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich stelle fest: Erstens. Wir sind auf dem richtigen Weg.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) — Ja, Sie nicht, Sie nicht,


    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    die Opposition gewiß nicht, aber die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Unternehmer, die Arbeitnehmer und die Verbraucher haben fabelhaft schnell und richtig reagiert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Unsinn!)

    Sie haben weniger Heizöl und weniger Benzin verbraucht, damit wir uns an die neue Lage der Weltwirtschaft anpassen, damit wir mehr exportieren, damit wir uns am Weltmarkt behaupten, ohne daß unsere sozialen Sicherungen Schaden leiden. Der Haushalt 1982 weist unter verschärften äußeren Bedingungen die nächsten Schritte. Dies ist ein mittlerer Weg; von dem lassen wir uns nicht abbringen. Wir werden auch keine neuen Theorien, die draußen in der Welt vorgetragen werden, am Leibe der eigenen Wirtschaft und Gesellschaft experimentell ausprobieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Zweitens. Wir werden den sozialen Frieden bewahren. Dazu ist dieser Haushalt ein Beitrag. Frieden und Stabilität nach innen sind notwendige Bedingungen auch für den äußeren Frieden.
    Drittens. Wir dürfen Selbstvertrauen haben, nicht weil wir übermütig wären oder weil wir die Schwierigkeiten geringschätzten, sondern weil wir realistisch das hoch einschätzen, was wir in Deutschland bisher erreicht und aufgebaut haben, weil Politik und Wirtschaft reaktionsfähig, weil sie handlungs-
    und leistungsfähig sind. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieses Landes auf der ganzen Welt ist unverändert groß, und mit Recht ist dieses Vertrauen in Deutschland groß.
    Viertens. Wir sind handlungsfähig und handlungsbereit, in der Wirtschaftspolitik wie auch in der auswärtigen Politik. Wir sind und bleiben Partner im westlichen Bündnis, aus Überzeugung, aus Notwendigkeit; beide können von Tagesereignissen nicht unterhöhlt werden.
    Fünftens. Wir sind zur guten Nachbarschaft nach West und Ost, nach Norden und Süden bereit, fähig und willens. Ich appelliere an jedermann in unserem Staat, an alle Bürgerinnen und Bürger, an ihre Vernunft: Das, was wir heute ins Werk setzen, ist sachgerecht und zweckmäßig, es ist zielstrebig und aussichtsreich. Ich appelliere an ihre Einsicht, daß bloße Bekenntnisse zu hohen Zielen niemandem nützen, schon gar nicht, wenn sie mit Miesmacherei verbunden werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich appelliere an jedermanns Zuversicht und Beharrlichkeit. So wie bisher werden wir auch dieses Mal mit unseren Problemen fertig werden — vielleicht abermals ein bißchen besser als die anderen. Lassen Sie sich nicht eine moralische Krise der Ge-



    Bundeskanzler Schmidt
    sellschaft aufschwatzen, sondern bewahren Sie sich Ihren Mut und Ihr Selbstvertrauen!

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mir ist nach dem bisherigen Gang der Debatte danach, ein Kompliment zu verteilen — freilich nicht an Ihre Adresse, Herr Bundeskanzler. Ich möchte den bisherigen Rednern der Opposition, allen voran dem Vorsitzenden, Helmut Kohl, ein Kompliment machen: Es ist nämlich gelungen, den Kanzler, wenn auch nach 24stündiger Vorbereitungszeit, endlich zum Reden zu bringen,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    und dann auch noch zum Reden mit Energie zu bringen.
    Stellen Sie sich mal vor, er würde mit dieser Energie die Bundesregierung führen, in seiner Fraktion sagen, wo es langgehen soll! Ja, das wäre doch gar nicht mehr auszuhalten.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Seit der Wahl, Herr Bundeskanzler, sind Sie doch eigentlich mehr auf Tauchstation gegangen. Und nun gehen Sie gleich ins andere Extrem und kommen energisch gegen die Opposition hierher. Als ich Sie hier so stehen sah, habe ich an manche gemeinsame Stunde zu Ende der 60er Jahre, als wir mit der APO und solchen Sachen zu tun hatten, und an ihre Sätze damals gedacht. Da fiel mir das ein. Damals haben Sie irgendwelchen jungen Leuten an den Kopf geworfen, sie seien voll „elitärer Arroganz". Warum ist mir das wohl vorher eingefallen?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, nun stellen Sie sich mal vor, Sie wären bei den ersten innerparteilichen Nachrichten — denn wenn die. Jusos in Berlin etwas veranstalten, muß es doch innerparteiliche Nachrichten geben, die den stellvertretenden Parteivorsitzenden erreichen — über die Absicht, dort etwas zu initiieren und etwas zu veranstalten gegen die Politik der USA und natürlich auch gegen Ihre eigene Politik, ins Flugzeug gestiegen und hätten dort mit dieser Energie gewarnt, das Falsche zu tun, Herr Bundeskanzler!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann hätten wir heute doch gar nicht diesen Teil dieser Debatte hier.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe auch schon mal die „Herald Tribune" gelesen. Die kriegt man j a im Flugzeug ziemlich leicht; in Deutschland und der Welt. Was meinen Sie, was ich da alles schon über Ihre Politik und über Mitglieder Ihrer Regierung gelesen habe! Aber ich habe eigentlich immer gedacht: Wenn ich etwas zu kritisieren habe, sage ich das mit meinen schlichten Worten. Denn wer da nun gerade als Artikelschreiber in „Herald Tribune" dran ist, hat doch auch nicht jeden
    Tag den Heiligen Geist bei sich. Das ist doch nicht eine Quelle, mit der man nun den Westen insgesamt eigentlich hier zitieren kann. Nein, ich finde, das war eigentlich — verzeihen Sie, Herr Bundeskanzler — nicht das Niveau, wie Sie den Oppositionsführer angreifen sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da müssen Sie schon etwas anderes als „Herald Tribune" zur Hand haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun zu den wenigen Punkten Ihrer langen Rede, auf die zu antworten sich lohnt.
    Der erste Punkt war: Die D-Mark stehe seit dem Kabinettsbeschluß besser. Herr Bundeskanzler, lesen Sie heute die Zeitung mit dem letzten Bundesbankbericht. Dann werden Sie das nicht aufrechterhalten können.
    Zweitens haben Sie lange ausgeführt, hier sei eigentlich alles gut. Sie haben später in einer anderen Passage das selber dementiert, als Sie mit guten Worten über die Arbeitslosigkeit sprachen. Aber Sie können doch nicht sagen, hier sei alles gut, wenn keines der vier Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erreicht ist.
    Dann haben Sie etwas Neues geboten — ein Widerspruch natürlich auch zu Ihrem Finanzminister —: es sei der Sinn dieser Politik, die hier beschlossen sei und die Sie großartig „Operation" oder so nennen, die Zinsen zu senken, und die Zinsen seien ein großes Wachstumshemmnis. Dann ist doch erst einmal zu fragen: Wie sind denn die Zinsen zustande gekommen? Wir haben doch bisher von Herrn Matthöfer immer nur gehört, die Hochzinspolitik in der Bundesrepublik Deutschland sei die automatische Folge der bösen Hochzinspolitik der Administration in Washington. Jetzt plötzlich ist es hier möglich, die Zinsen durch hausgemachte Politik zu senken? Also sind ja wohl die deutschen Zinsen auch durch hausgemachte Politik, z. B. Verschuldungspolitik, in die Höhe gekommen, in der sie sind, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Jeden Tag eine andere Wahrheit. Nein!

    Nun der dritte Punkt aus Ihrer Rede, Herr Bundeskanzler. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob Sie das aufrechterhalten wollen. Das war so böse wie Ihr Wort von der mangelnden Friedensfähigkeit. Gucken Sie mich hier an, ja — ich bin nicht friedensfähig!? Würden Sie wagen, mir hier das zu sagen? Oder einem von uns? Aber schreiben, nicht, Herr Kollege Wehner! Es ist ja so leicht, andere zu verleumden. Kommen Sie doch her und sagen Sie das hier!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen mal sehen, was dann hier los ist.

    So böse wie dieses Wort war das, wir seien nicht imstande, den sozialen Grundkonsens zu halten, wir würden ihn zerstören. Herr Bundeskanzler, Ihre Po-



    Dr. Barzel
    litik der Schulden, der Inflation, der Arbeitslosigkeit, die zerstört diesen Konsens.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will mich nicht ereifern, Herr Bundeskanzler. Sie haben gesagt, ich sei berechenbar. Das finde ich ganz gut.
    Ich habe gestern abend gedacht: Du hast einen freien Abend, weil der Kanzler nicht gesprochen hat; eigentlich sollte er ja gestern kommen. Ich sagte: Was machst du mit dem freien Abend? Ich wollte mich nicht verabreden. Ich sagte mir: Der kommt aus Rom und liest bestimmt was aus der neuen Enzyklika vor. Da habe ich mir gestern abend die Enzyklika zur Hand genommen.

    (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, „Laborem exercens" — Lateinstudium machen wir ja lieber unter vier Augen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Sehen Sie, meine Damen, meine Herren, da kommt nun ein fundamentaler Satz in diesem neuen Lehrschreiben. Daran würde ich Sie doch gerne mal erinnern, Herr Bundeskanzler, wenn Sie das so loben. Da lobt der Papst in diesem neuen Lehrschreiben, aus dem Sie nur einen polemischen Satz zitierten, den ich noch gar nicht gefunden habe — aber ich habe nur einen Auszug, vielleicht haben Sie als Bundeskanzler den vollen Text —, da lobt er ausdrücklich eine Gesellschaftspolitik, die das Miteigentum an den Produktionsmitteln, die Mitbestimmung, die Gewinnbeteiligung, die Arbeitnehmeraktien und ähnliches bewirkt. Das könnte geradezu, verehrte Damen und Herren, aus einem Erfolgskatalog der CDU/CSU-Regierung 1961 entnommen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Denn diese Dinge haben wir doch geschaffen. Das sind doch Sozialreformen, die Konrad Adenauer 1957 in Auftrag gab und zum Zeichen dessen das Ministerium umbenannte in „Arbeit und Sozialordnung". Was haben Sie denn in den zwölf Jahren aus der „mehr Sozialordnung" gemacht? Sie haben ein bißchen Mitbestimmung daraufgesattelt und den Betrag des 312-DM-Gesetzes erhöht. Was haben Sie denn mit dem Miteigentum gemacht? Fehlanzeige in dieser Koalition. Wenn Sie sich also hier auf die Enzyklika berufen wollen, finde ich das ganz gut, nur nützen auch da nicht die Worte, nur die Taten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ludwig Erhard: Nicht an ihren Sprüchen sollt ihr sie erkennen, sondern an ihren Früchten.
    Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, auf diesem Weg einer aus den Werten gestaltenden Gesellschaftspolitik weiter tätig wären, dann brauchten Sie hier nicht so alberne Sätze über geistige Führung zu sagen — darauf komme ich zurück —, sondern dann würden Sie auch eine ganz andere Situation gegenüber jungen Menschen haben. Sie haben doch jetzt keine Perspektiven. Sie haben doch das Gefühl, daß Sie für den Tag werkeln und daß Sie nicht einmal mehr am Sonntag eine Rede halten, die eine Perspektive gibt.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben dann das Zitat bestritten, daß Ludwig Erhard ins Gefängnis gehört. Eilfertige Helfer der Bundestagsfraktion haben mir zwei Quellen gegeben, einmal den „Spiegel" vom 28. November 1966 mit diesem Zitat und dann den vom 12. Dezember 1966. Wenn es ein Dementi im „Spiegel" gegeben hätte, hätte es am 12. Dezember dort sicher nicht mehr gestanden, Herr Bundeskanzler.
    Wenn Sie Franz Josef Strauß unterstellen, er wolle nur einen Teil des Doppelbeschlusses, dann sage ich ganz ganz schlicht: Dies ist infam!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben durch unseren Antrag das Haus veranlaßt — und auf unserer Seite herrschte Einstimmigkeit —, für beide Teile einzutreten. Sie haben Herrn Strauß gehört, Sie haben Herrn Kohl gehört, Sie haben andere gehört. Sie kennen auch unsere subtilen Einlassungen aus dem Auswärtigen Ausschuß. Distanzieren Sie sich deshalb von dieser Unterstellung. Es ist immer Größe, wenn man sich entschuldigt oder einen Fehler zugibt. Sie haben ja auch zugegeben, daß es ein Fehler war, über den Sommer hinweg eine Vertagung vorzunehmen. Es war auch ein Fehler. Kommen Sie her, und bringen Sie die Sache wieder in Ordnung. Das würde die Zusammenarbeit erleichtern.
    Herr Bundeskanzler, auf die USA und Berlin komme ich nachher in anderem Zusammenhang noch einmal zurück. An dieser Stelle nur eine Frage. Sie waren im Vorfeld der jüngsten Initiativen nicht in Berlin. Ich verstehe etwas von den Protokollregeln. Ich verstehe auch etwa von den — so will ich es einmal formulieren — Bildbedürfnissen Ihres Nachbarn zur rechten in solchen Zusammenhängen. Ich weiß, wie schwierig es mit Berliner Protokollfragen ist. Aber hätte es Ihnen nicht gut angestanden, wenn Sie sich als deutscher Bundeskanzler im Hinblick auf diese Lage in Berlin und auf eine angekündigte Grundsatzrede des Außenministers der USA schlicht und einfach als der wichtigste Zuhörer in die erste Reihe gesetzt hätten, um so zu zeigen: „Jawohl, ich bin einfach hier, wenn Sie hier etwas zu sagen haben. Diese Geste will ich mir nicht nehmen lassen."? Ich glaube, das hätte Ihnen gut angestanden, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    — Herr Ehmke, guten Morgen! Ich freue mich, daß Sie sich melden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, nun kommt etwas, bei dem Sie sich nun endlich einmal zu dem durchringen müssen, was Sie wirklich wollen. Sie haben die Opposition in einer längeren Passage, die an den Kollegen Kohl gerichtet war, um Unterstützung in sicherheitspolitischen Fragen gebeten. Das ist dieselbe Opposition, von der Sie behaupten, sie sei „nicht friedensfähig". Das ist dieselbe Opposition, von der Sie vor ein paar Wochen — ich glaube, auch an dieser



    Dr. Barzel
    Stelle — gesagt haben: „Ich brauche die Opposition nicht." — Es hat doch keinen Zweck, Kanzlerworte so zum Blech eines Bauchladens zu degenerieren. Was wollen Sie nun eigentlich?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie brauchen viele von uns nicht zu ermuntern, den DGB-Appell zu unterschreiben. Warum verpaßt der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach dem, was er in Berlin an mangelnder vorsorglicher energischer Befassung erlebt hat, im Bundestag die Chance, in dieser Richtung zu sagen: Ihr alle unterschreibt bitte den Krefelder Appell nicht!? Warum hat er das denn eigentlich nicht gesagt?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, über die Frage der geistigen Führung werden wir uns doch nicht verständigen. Ich möchte Sie aber doch einladen, mir noch einmal eine Unterscheidung zu erlauben. Wir gehören beide der Kriegsgeneration an. Wenn Sie — das verstehe ich sehr gut — für einen Politiker, für einen Staatsmann, für einen Bundeskanzler geistige Führung im Sinne von Weltanschauung, von Religion, von Geschmack, von Kultur ablehnen, dann findet das meine Unterstützung. Das bedeutet doch aber nicht, daß Politik eine ungeistige Sache wäre. Die geistige Führung, die ich von Ihnen einfordere, Herr Bundeskanzler, ist doch, daß Sie sich auf die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die Grundentscheidungen unserer Außen- und Innenpolitik stützen und diese Entscheidungen kraftvoll nach vorne vertreten und allen entgegentreten, die z. B. Äquidistanz zwischen USA und UdSSR, Äquidistanz zwischen DDR und uns wollen. Wenn man das jungen Menschen nicht vermittelt, die Gott sei Dank nicht unsere Erfahrungen haben machen müssen, kommen sie doch eines Tages und fragen: Wofür eigentlich Bundeswehr und Wehrpflicht? Sehen Sie sich einmal Ihren Bericht zur Lage der Nation an. Das ist doch die große Verschweige. Sie müssen von diesen Wertvorstellungen reden.
    Herr Bundeskanzler, nun noch ein paar Worte zunächst zu Ihrem Haushalt. Wir bekommen einen Haushalt vorgelegt, durch den die Schuldenlast des Bundes, die zur Zeit 264 Milliarden DM beträgt, um weitere 26,5 Milliarden DM auf über 290 Milliarden DM erhöht wird. Das nennen Sie Sparen.
    Herr Bundeskanzler, Sie legen eine mittelfristige Finanzplanung vor, die ausweist, daß ab 1983 die Zinsaufwendungen des Bundes die Neuverschuldung übersteigen, daß also ab 1983 die neuen Schulden nicht ausreichen, die Zinsen für die alten Schulden zu zahlen. Das nennen Sie dann Konsolidieren. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht leugnen, daß Sie dabei bleiben, den Haushaltsausgleich weiterhin Jahr für Jahr durch neue Schulden zu suchen. Das ist doch nicht die Wende, meine Damen und meine Herren.
    Sie senken die investiven Ausgaben von 17 % im letzten Jahr unserer Regierung — übrigens zusammen mit Ihnen — im Jahre 1982 auf 13,7 %. Das nennen Sie „Mut zur Zukunft". Sie legen einen Haushalt vor, durch den Sie das Kindergeld kürzen und lassen
    spüren — das ist Ihre Reaktion auf unsere eigene Zurückhaltung in der Diäten-Frage —, daß Sie bereit sind, die Ministergehälter zu erhöhen. Das nennen Sie dann sozial, meine Damen, meine Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie legen einen Haushalt vor, in dem der Staatsanteil fast 11 Prozentpunkte höher ist als in den 60er Jahren. Das nennen Sie dann liberal. Verzeihen Sie, das alles — ich muß dies sagen — ist unredlich. Ich finde, die Regierung motiviert ja nicht den Wirtschaftsaufschwung, sie frustriert; sie bewirkt nicht, sie hemmt. Ich kann nur auf das verweisen, was mein Kollege Waigel in einer der letzten Debatten aufs Trefflichste dazu hier vorgetragen hat.
    Herr Bundeskanzler, jetzt sprechen Sie selbst von Schulden. Vor einem Jahr — da hatten wir noch nicht einmal den Wahltag — war ungefähr der Tag, als die Beschimpfung der katholischen Bischöfe durch den Bundeskanzler erfolgte, weil die gewagt hatten, von Schulden zu sprechen.

    (Wehner [SPD]: Das war ja wohl keine Beschimpfung, nicht? Es war doch wohl eine kritische Anmerkung!)

    — Dann war es ein brüskes Poltern.

    (Wehner [SPD]: Wählen Sie sich bitte aus!)

    — Herr Kollege Wehner, wenn Sie jetzt so reagieren, ermuntert mich das, daß vielleicht wir beide den Bundeskanzler bitten, sich bei den Herren für das zu entschuldigen, was er damals gesagt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Das habe ich schon getan, Herr Barzel!)

    — Ich höre und akzeptiere gern, Sie hätten' das schon getan, Herr Wehner.

    (Wehner [SPD]: Ja!)

    — Dann stünde es dem Bundeskanzler gut an, Ihnen nachzufolgen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber das schlimme ist eigentlich — das werden Sie nicht ganz gerne hören —, daß doch diese Bundesregierung, gehemmt durch einen Teil dieser Fraktion, nicht das tut, was sie weiß und was sie eigentlich könnte. Sie tut das, was ihr jetzt noch gerade möglich ist, aber das ist weniger als das Nötige und das objektiv Mögliche.
    Herr Kollege Matthöfer, Sie haben doch hier in der letzten Haushaltsdebatte vorgetragen — ich zitiere —:
    Entscheidend sind nicht staatliche Ausgaben, sondern unternehmerische Entscheidungen und Initiativen, Investitionen und Innovationen.
    Da kann ich nur sagen: Wie wahr! Nur: Was haben Sie eigentlich getan, um das hier zu verbessern? Ich wünschte, Ihre Taten auf dem Gebiet wären so, wie Ihre stramme Haltung vorgestern hier in Ihrer Rede. Stramme Haltung, in der Lage, Donnerwetter! Aber Ihre Worte sind doch keine Taten. Das sind wieder weitere Absichtserklärungen.



    Dr. Barzel
    Herr Kollege Genscher, Herr Kollege Kiep hat aus Ihrem Wahlprogramm vorgetragen: Senkung der Gewerbesteuer, Privatisierung, Abbau der Bürokratisierung; das steht doch da alles. Das sollte man viel mehr unter die Leute bringen als diesen Brief; denn von diesem Programm, Herr Kollege, ist doch auch nicht viel übriggeblieben. Wenn ich nun sehe, wie Sie hier gestern Ihren Brief, auf den Herr Kohl mit Recht abgehoben hat, interpretiert haben, dann haben Sie doch die Wende vom Horzizont in einen ungewissen Nebel vertagt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist doch alles nicht die Realität. Sie machen doch weiter: Haushaltsausgleich — ungewisse Risiken — nur auf dem Papier durch Schuldaufnahme. Das soll weitergehen.
    Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben doch hier im Januar einen guten Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt. Wir haben dem doch zugestimmt. Darin steht all das, was jetzt geschehen müßte. Sie nennen das nicht „Beschäftigungsprogramm", aber Sie sagen: Wir müssen wieder Wachstum und Vollbeschäftigung erzeugen. Das ist doch prima! Sie brauchen sich doch nicht über ein Wort zu streiten, aber dort steht doch: mehr Initiative, mehr Anreiz für Private. Warum machen Sie denn das nicht?
    Da kommen Sie mit einem Programm her, das Sie heute morgen loben. Nun nehmen Sie einmal die Größenordnung, die Sie für Inzentivs, für Anreize zur Verfügung stellen, und vergleichen Sie die mit den Schulden oder mit den höheren Belastungen usw. Dann können Sie doch nun wirklich nicht sagen, dies sei Ihre Priorität. Das stimmt doch einfach nicht. Das, was als Begründung der mittelfristigen Finanzplanung angegeben ist, stimmt eben damit auch nicht überein.
    Wenn Sie guten Rat brauchen — nicht von der Opposition —: Der Wissenschaftliche Beirat bei Ihnen hat Ihnen doch im Februar — Datum: 23. Februar 1983 — konkrete Vorschläge gemacht. Er fordert eine „Neuorientierung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik". Er wird dann ganz konkret und sagt auch, „ein Klima vorurteilsfreier rationaler Diskussion muß geschaffen werden". Das gibt es also nicht. Wir haben heute von der Regierung nichts erlebt, was in diese Richtung geht.
    Der Wissenschaftliche Beirat sagte:
    Am Beispiel der Energiepolitik wird erkennbar werden, ob die Bundesrepublik Deutschland weiterhin den wirtschaftspolitischen Weg eines Industrielandes gehen will.
    Wir hören von Ihrer Seite mit Recht, daß dieses Industrieland Vollbeschäftigung braucht, weil wir von der Arbeit leben. Wenn dieser Zusammenhang geboten ist, dann ist Ihre schlappe Energiepolitik doch unverantwortlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Sachverständigenrat hat etwas früher, nämlich Ende 1980 gesagt, ihm sei es nicht möglich gewesen, sich ein klares Bild über die energiepolitische Planung der Regierung zu verschaffen. Das ist der
    Sachverständigenrat, den Sie berufen haben, Herr Bundeskanzler.
    Jetzt, im August, brachten die fünf Institute, die die Strukturberichterstattung machen, ihre Gutachten heraus. Da haben nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern auch die Regierung laut gesagt: Wir stimmen zu. Da steht drin: Wir brauchen ein „Mehr an marktwirtschaftlicher Steuerung". Wo bleibt denn die Verwirklichung dieser Forderung? Was haben Sie denn in Ihrer praktischen Politik gemacht, um das wirklich in Ordnung zu kriegen?
    Herr Kollege Matthöfer, Ihre Politik kann doch nicht sein, daß wir den Rotstift zum nationalen Statussymbol erheben. „Rotstift, Rotstift über alles" löst doch nicht die Probleme. Die Frage ist doch: Wie werden wir wieder flott? Mit welcher Wirtschaftspolitik kriegen wir wieder Arbeit und volle Kassen in der Sozialversicherung und im Staatshaushalt?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundesfinanzminister, ich höre dann auch noch Ihre faulen Ausreden, wie am 26. Juli dieses Jahres im ZDF. Er sagte — ich zitiere —, daß wir praktisch keine ökonomischen Probleme hätten, wenn wir unser Hauptproblem, das Leistungsbilanzdefizit, und die hohen amerikanischen Zinsen, nicht hätten.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Sie sind doch der Erfinder von Märchen, Herr Kollege. Wir hatten doch die Probleme vor diesen Zinsen. Wir hatten die Probleme vor diesem Defizit. Die Zinsen — das habe ich eingangs dargetan — haben etwas mit Ihrer Politik zu tun. Das Defizit hat doch etwas mit Ihrer Energiepolitik zu tun. Sie können doch nicht so tun, als gäbe es hier keinen Zusammenhang. Das ist gegenüber dem deutschen Volk nicht aufrichtig, Herr Kollege Matthöfer. Ich könnte ein anderes Wort sagen, aber ich mag es nicht.
    Als Willy Brandt, der leider nicht hier ist — ob absichtlich, weiß ich nicht; ich gucke da noch nicht so ganz durch —

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Gestern nicht, heute nicht! Er will sich nicht damit identifizieren! — Zurufe von der SPD)

    — Ehmke lacht, also bin ich auf einer guten Spur.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Als Brandt noch Kanzler war, da wußte der Bundesminister Schmidt die Krankheitsursache der Bonner Politik noch genau zu erkennen und auch zu benennen. „Unsicherheit ist Gift", sagte er, und er schrieb so. Brandt ging, Schmidt kam, das Gift blieb.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Es bekam nur einen anderen Namen. Jetzt sind immer alle anderen schuld. Es kommt alles von draußen. Manchmal frage ich mich: Wozu haben wir eine deutsche Regierung? Lassen wir doch da, auf der Regierungsbank, einen Computer aufstellen, wo wir abfragen können, wo die Zahlen anders sind als bei



    Dr. Barzel
    uns. Sie betreiben doch nicht genügende deutsche Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    — Ich räume doch ein, Herr Ehmke, daß von daher Probleme kommen, aber doch bitte keine Katastrophe. Übersehen Sie doch nicht den hausgemachten Teil der Probleme, die wir haben.
    Sie können doch nicht die Multis und die OPEC dafür verantwortlich machen, wenn hier eine Million Wohnungen fehlen. Sie müssen doch diese Regierungsbank da verantwortlich machen. Sie können doch niemand verantwortlich dafür machen, wenn wir durch mangelnde Energiepolitik immer erpreßbarer werden, und zwar im Preis wie sozial wie auch politisch. Das geschieht doch nicht durch die Saudis, sondern durch diese Regierung. Wir hindern Sie doch gar nicht daran.
    Niemand hindert Sie daran, die Investitionshemmnisse abzubauen. Herr Posser hat dazu gestern eine ganz komplizierte Rede gehalten. Ich bin aber viel hausbackener. Ich denke immer noch an den Kanzler der vorvorigen Regierungserklärung, der die Formulare nicht lesen konnte und über Bürokratie und solche Sachen gesprochen hat. Warum können Sie denn dagegen nichts machen? Sie sind doch lange genug im Amt. Sie tun es aber nicht, Herr Bundeskanzler.

    (Westphal [SPD]: Sie wollen soziales Mietrecht abbauen! Das ist Ihr Investitionshemmnis!)

    — Verehrter Herr Kollege Westphal, das, was Sie jetzt machen, daß gerade jungen Menschen nicht genügend Sozialwohnungen zur Verfügung stehen, ist doch das Unsozialste, was es überhaupt gibt. Das hat mehr mit staatspolitischen Fragen und auch mit dem Verhalten von jungen Menschen zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, vielleicht erklären Sie doch einmal — nicht nur mit den abstrakten Worten des Bundesfinanzministers von vorgestern, sondern ganz praktisch — und rechnen aus, was Sie in den letzten zehn Jahren für öffentliche angebliche Investitionsprogramme ausgegeben haben. Dann legen Sie dem deutschen Volk vor, was diese gekostet haben. Fragen Sie dann, ob die Arbeitslosigkeit heute größer oder kleiner ist als damals. Fragen Sie, was Sie eigentlich mit dem ganzen öffentlichen effekthascherischen Strohfeuer erreicht haben. Wenn Sie von diesem Betrag einen kleinen Teil genommen hätten und für Steueranreize oder Prämien verwendet hätten, dann sähe die Sache doch ganz, ganz anders aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die öffentliche Hand kann es nicht, und das ist kein Vorwurf an die öffentliche Hand. Ich komme aus dem Stand der Beamten. Beamte haben die Rechtsvorschriften anzuwenden, die wir beschließen. Rechtsvorschriften sind die Summe der Erfahrungen bis gestern, und wirtschaftliches Wagnis ist Mut in die Zukunft.
    Lesen Sie folgendes vielleicht in der Debatte bei Ihnen nach, bevor Sie neue Milliarden verlangen! Herr Kollege Roth — ich sehe ihn nicht — sollte das einmal studieren, da er wohl dafür zuständig ist. Es gibt in Niedersachsen ein Mittelstandsinstitut, das dieser Tage ein Forschungsergebnis vorgelegt hat. Ich lese nur einen Satz vor:
    Allgemein ergab die Untersuchung, daß öffentliche Hilfstätigkeiten im Schnitt kurzfristig um 86 %, langfristig um 108 % teurer als entsprechende private Leistungen sind.
    Am Schluß heißt es:
    Nach unserer Schätzung dürfte die Privatisierungsreserve
    — das haben Sie doch versprochen, Herr Kollege Genscher —
    auf Bundesebene zwischen 10 und 20 % des Bundeshaushalts (nicht hoheitliche Tätigkeiten) umfassen.

    (Zuruf des Abg. Westphal [SPD])

    Das sollten Sie wenigstens einmal ernsthaft prüfen, bevor Sie das aus irgendwelchen ideologischen Gründen abtun.
    Statt dies alles zu machen, bleiben Sie einfach zusammen und tun nicht das Richtige. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Meine Damen, meine Herren, das ist dann eben unverantwortlich. Herr Bundeskanzler, es wird dann noch mehr Arbeitslose geben.
    An einem Punkt kann ich Sie überhaupt nicht verstehen. Sie haben doch nicht eine Koalitionszusage von der FDP an die SPD, sondern eine Koalitionszusage unter Ihrer Kanzlerschaft. Der Kollege Wehner hat zur Zeit keinen Nachfolger für Sie im Ärmel. Warum regieren Sie da eigentlich nicht, Herr Bundeskanzler?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum lassen Sie sich alles das Vernünftige, was aus Ihren eigenen Papieren kommt, abhandeln, weil es da irgendwo Coppik und Co. oder irgendwelche Ideologen in der Wirtschaftfrage, Herr Roth vielleicht, gibt? Herr Bundeskanzler, das wäre, glaube ich, etwas Gutes.
    Ich muß — ich will das aus einer großen Besorgnis sehr gern tun — denselben Tatbestand, den wir innenpolitisch alle kennen, daß etwas gemacht werden müßte, was wegen der Hemmnisse dort nicht geht, auch auf dem Gebiet der Außenpolitik feststellen. Auch auf dem Gebiet der Außenpolitik empfängt die Bundesregierung aus der Koalition mehr Hemmnisse, als es uns guttut. Herr Kollege Wehner, bevor Sie über den sonntäglichen Skandal in Berlin nörgeln, sollten Sie einmal prüfen, was Herren aus Ihrem Lager im Vorfeld der geistigen Aufbereitung geleistet haben.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Dieser Sonntag wird uns allen teuer zu stehen kommen. Da genügt es nicht, wenn sich der Außenminister und der Kanzler hier nun hinstellen und nun



    Dr. Barzel
    PR-Millionen suchen. Politische Haltung ist durch keine PR zu ersetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Realität der Koalition schadet — ich schließe hier nahtlos an Herrn Kohl an — unserer Geltung wie unserem Ansehen. Unser Wort wird bezweifelt, unsere Standfestigkeit und unsere Berechenbarkeit werde mit Fragen versehen. Da erklärt ein veritables Mitglied der Bundesregierung, Minister Engholm — Herr Kohl hat das zitiert —, der Kanzler werden wohl in der Sicherheitsfrage auf dem kommenden Parteitag keine Mehrheit mehr haben. Was geschieht? Nichts. Energisch läßt man wieder die Flügel schleifen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Der SPD-Vorsitzende ist gegen und der Bundeskanzler ist für den Beitritt Spaniens zur NATO. Beides bleibt so stehen, zur freien Auswahl und zur Stärkung der Klarheit des deutschen Worts in aller Welt.
    Der SPD-Vorsitzende, auch hier — es tut mir leid, das sagen zu müssen — der Moskauer Meinung näher als der heimischen Regierung, ermuntert die Skandinavier, den Erwägungen zur atomwaffenfreien Zone näherzutreten. Die Bundesregierung will Sicherheitsfragen allein im Bündnis lösen. Herr Bahr sucht — illoyal und an uns hier vorbei — den Kontakt über Sicherheitsfragen in der Volkskammer. Die Bundesregierung beschließt, den Bau und den Export eines U-Boots nach Chile zu genehmigen, dann widerruft sie das wegen Gegenwind aus der Koalition.
    Die Bundesregierung stärkt saudiarabische Erwartungen auf deutsche Panzer, läßt aber dann die stolzen Herren im Burnus wie Bittsteller allein, wieder wegen Widerspruchs aus den eigenen Reihen. Der König war hier zum Staatsbesuch, der Kanzler war drüben, und nun sitzen wir hier den vierten Monat ohne einen Botschafter aus Riad. Das ist nicht mehr Verärgerung, das ist Protest. Das kommt uns, Graf Lambsdorff und Herr Bundeskanzler, teuer zu stehen — wegen mangelnder Tatkraft, Führung und Voraussicht!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unser neuer Botschafter in Israel könnte sich glücklich schätzen, wenn er dort auf der grünen Wiese neu anfangen könnte. Meine Damen und Herren, er wird sich bei den dortigen politischen Tempa-raturen ganz warm anziehen müssen. Das war eben ein „Glanzstück"; es ist das „Glanzstück", sich auf beiden Seiten Verärgerung zu verschaffen, sich zwischen die Stühle zu setzen und sich herauszumanövrieren.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ja!)

    Das ist kein Glanzstück von Außenpolitik! Herr Kollege Genscher, ich kann mir nicht vorstellen, daß das stimmt, daß Sie sich da und so „wohl" fühlen.
    Dann kam das nächste Exempel negativer Staatskunst: Griechenland und Türkei. Hü und hott, einer so, der andere so — wieder wegen Hemmnissen aus dieser Koalition.
    Über all dem schwebt dann — nebelverbreitend — Ihr Herr Vorgänger, der zugleich der Vorsitzende Ihrer Partei ist, Herr Bundeskanzler. Er macht sich weltweit zum öffentlichen Bürgen des Friedenswillens der in Afghanistan gerade einen Angriffskrieg führenden Sowjetunion: Der rote Zar „zittere" um den Frieden.
    Sehen Sie, Herr Kollege Wehner, das alles hat Methode: über Reagan die Augenbrauen erheben, Weinberger und Haig kritisieren, uns die Friedensfähigkeit absprechen und den Moskauern das Zittern um den Frieden bescheinigen. Meine Damen und Herren, das hat doch Methode!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Dann kommt es eben dazu, daß Ihre jungen Leute sagen, das müsse man eben selbst in die Hand nehmen, das seien j a gar keine Verbündeten, sondern — der Kollege Kohl hat das Zitat von Bahr gebracht —„Besatzer". — Ja, wir haben Besatzer in Deutschland: die rote Armee; die ist ungebeten da.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Aber die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen sind unsere Freunde, die wir hier gerne begrüßen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So denke ich — und ich hoffe, daß Sie das so aufnehmen, wie ich es meine —, der Kollege Brandt müßte sich einmal darüber klarwerden — ich hätte ihn härter gefragt, wenn er hier säße —, ob er sich nicht manchmal selbst fragt, daß er das erzeugt, was er bestimmt fürchtet, nämlich deutschen Nationalismus.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Ich könnte hierzu heute den sozialistischen „Matin" zitieren, aber ich brauche gar nicht ausländische Stimmen heranzuziehen. Ich habe hierzu die Besorgnis des Bundesaußenministers im Ohr, die ich seinem Interview mit der „Zeit" entnommen habe, und im Ohr habe ich auch den Ton dessen, was er hier in der vergangenen Woche sagte — ich zitiere nach dem Protokoll —:
    Die Annahme, deutsche Interessen im Alleingang vielleicht besser verfolgen zu können, würde die Grundlagen unserer gesamten Politik in Frage stellen.
    Auch die Sicherung unserer besonderen Belange in der deutschen Frage und im Rahmen der Entspannungspolitik ist nicht trotz des Zusammenwirkens mit unseren westlichen Partnern, sondern nur im Zusammenwirken mit ihnen überhaupt erst möglich geworden.
    Ohne Grund redet doch der Vizekanzler nicht so! Und von uns hat doch keiner Anlaß gegeben, uns so anzusprechen und zu ermahnen. Das geht an Ihr Lager! Das ist eine Besorgnis, die der Bundesaußenminister hat, aber der Kanzler schweigt, verschweigt sich, verschweigt sich der Nation. Im Grundgesetz steht, er habe die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Die Wirklichkeit, Herr Bundeskanzler, läßt uns



    Dr. Barzel
    das nicht wahrnehmen! Und das ist eine höfliche Formulierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Bei Gott!)

    Dieses Stück Sprachlosigkeit statt Führung — ich beschreibe das, was wir wahrnehmen, wieder höflich — wirkt dann auch auf die Lage junger Menschen ein, die wiederum Sie zu verantworten haben. Auf dem politischen Felde ist es doch — wie auch auf dem sozialen und ökonomischen — nicht so, daß uns der Himmel eine Prüfung unserer Leidensfähigkeit verordnet hätte. Da läßt sich doch eine Menge machen! Z. B. dies — ich bin auch hier konkret, Herr Bundeskanzler —:
    Erstens. Sie haben vom Besuch von Herrn Breschnew gesprochen. Ich glaube, es ist notwendig, die Häufigkeit dieser Besuche öffentlich zu erklären und zu begründen; sonst entstünde leicht der Eindruck, daß die Quantität dieser Besuche in die Qualität unserer Politik umschlägt, und solche fragenden Vermutungen bekämen der deutschen Sache schlecht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ich sähe es gern, wenn wir diesen hohen Besuch als Ausweis guter Nachbarschaft werten könnten. Leider ist dem nicht so. Der Besucher ist verantwortlich für die Realität „DDR",

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut! So ist es!)

    für die Mauer, für die Abgrenzung.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Richtig!)

    Auch bemüht er sich darum, das westliche Bündnis zu zersetzen, die militärische Übermacht der Sowjetunion zu stabilisieren und unseren Nachrüstungswillen zu beseitigen. Die Einmischung der Sowjetunion in unsere inneren Angelegenheiten ist offenkundig. Man denke nur an die Rede des Moskauer Delegierten auf dem letzten KP-Parteitag hier.
    Es wird an Ihnen liegen, Herr Bundeskanzler, das alles in gehöriger Form zur Sprache zu bringen und darauf hinzuweisen

    (Schwarz [CDU/CSU]: Der braucht Hilfe!)

    — und diesen Hinweis nehmen Sie bitte ganz ernst —, wie sehr die internationale Lage entspannt würde, wenn die Sowjetunion den Plan der EG zum Frieden in Afghanistan annähme. Auch muß der Besucher den festen Eindruck mitnehmen, daß wir weiter nachrüsten werden, wenn nicht Gegenleistungen der Sowjetunion das erübrigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zweitens. Herr Bundeskanzler, Sie sprachen davon, daß Sie Herrn Honecker sehen werden. Sie haben früher dazu erklärt — und ich unterstütze dies ausdrücklich —, das habe dann einen Sinn, wenn dabei etwas herauskomme. Herauskommen muß — und das ist keine Vorbedingung, sondern das Selbstverständliche —

    (Schwarz [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler hört gar nicht zu!)

    — er liest das nach, ich bin sicher —

    (Schwarz [CDU/CSU]: Er sollte lieber zuhören!)

    zunächst die verläßliche Vertragstreue der DDR.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Schändlich ist das, was der Kanzler macht!)

    Was da drüben hinsichtlich der Journalisten geschieht, entspricht nicht den Verabredungen. Der Zwangsumtausch errichtet eine Finanzmauer und betrifft deshalb nicht nur den Geist, sondern den Gegenstand der Vereinbarungen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Elitäre Arroganz!)

    54 % weniger Berliner können dieser Kosten wegen von ihrem Recht noch Gebrauch machen. — Das ist die Auskunft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, was Herr Honecker im Oktober 1980 in Gera gefordert hat — Staatsbürgerschaft, Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter und Botschafteraustausch — bedeutet, um es beim Namen zu nennen, die Forderung nach Revision des Grundlagenvertrages zugunsten der DDR.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wir können das nicht gewähren und haben hier nichts zu verschenken, auch nicht beim Bau der Autobahn Berlin-Hamburg. Ich habe dazu im April das Nötige gesagt.
    Herr Bundeskanzler, das dritte, was ich Ihnen sagen möchte: Sie können auch in Europa etwas machen. Da schimpfen wir immer alle über die Umständlichkeit des Verfahrens. Natürlich ist das umständlich, weil man da einen Einstimmigkeitsfetischismus aufgebaut hat. Aber der Kompromiß von Luxemburg — der Vertrag sieht Mehrheitsentscheidungen vor; Frankreich hat gesagt: Das wollen wir eigentlich nicht; andere dachten ähnlich, haben es aber nicht gesagt — sieht vor, daß sich keines der Länder in wesentlichen Fragen überstimmen lassen soll. Und de Gaulle ließ wissen, wesentliche Fragen seien vielleicht zwei pro Jahr, sicher nicht fünf.
    Wie wäre es denn, wenn Sie anregten, daß sich alle Regierungen verpflichten, die vorher erkennbaren Fragen vorher als im nationalen Interesse besonders zu unterstreichen. Dann könnte nicht in irgendeiner Sitzung ein Beamter kommen und sagen: Wir sind noch nicht soweit, wir mögen noch nicht. Dann gibt es nicht das große Liegenlassen. Sie könnten Europa allein durch diesen Verfahrensvorschlag wieder ein ganzes Stück flottmachen, meine Damen und meine Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Vierte: Und das liegt mir nun besonders am Herzen; da würde ich, Herr Bundeskanzler, doch sehr herzlich darum bitten, daß ich vielleicht
    Schwarz [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler
    hört nicht zu! „Elitäre Arroganz" war noch
    ein harmloses Wort!)



    Dr. Barzel
    das geneigte Ohr der beiden Herren vorn auf der Regierungsbank finde. Ich möchte also versuchen, Ihnen das Vierte nahezubringen. Ich will die Frage stellen, die uns alle angeht, wenn wir draußen im Lande sind: Warum eigentlich ist der Westen, warum sind wir draußen in der Friedensfrage oft in der Devensive? Die Moskauer kämpfen doch in Afghanistan. Sie verantworten weitgehend die blutige und traurige Spur ihrer Politik, die 15 Millionen Flüchtlinge z. B. zeichnen. Und sie haben doch vor- und übergerüstet.
    Warum ergreift nicht das Bündnis die Initiative mit einem lauten und sichtbaren konkreten Friedensplan? Warum tut es das nicht? Es käme so in die Vorhand und drehte die Beweislast um. Das, zum Beispiel das, könnten Sie tun, Herr Bundeskanzler. Es stünde Ihnen wohl zu Gesicht. Wie sonst — verzeihen Sie — wollen Sie eigentlich mit Ihrer Kanzlerschaft in die Geschichte eingehen?

    (Schwarz [CDU/CSU]: Tut er sowieso nicht mehr!)

    Zerbröselt zwischen roten Zahlen? In den Sand getreten von Eppler, Coppik und Genossen?

    (Wehner [SPD]: Was soll denn dies Geschwätz? Irgendwann sollte man auch eine Form von Anstand wahren! Es steht Ihnen schlecht an, daß Sie so herummosern!)

    — Herr Kollege Wehner, es ist sehr interessant, an welcher Stelle Sie losgehen.
    Die Friedfertigen sitzen doch im Westen, verehrte Damen und Herren. Die USA haben nach dem Krieg, Herr Kollege Wehner, die Macht, welche ihnen über Jahre der alleinige Besitz der Atomwaffe gab, weder eingesetzt noch mißbraucht. Sie haben in den letzten Jahren in Abrüstungsfragen vorgeleistet: keine Wehrpflicht, kein B-1-Bomber, keine Neutronenwaffe unter Carter. Die Antwort der Sowjetunion war Überrüstung. Warum sucht nicht der Westen die geistige und politische, auch die psychologische Initiative? Sie liegt doch auf der Straße, man muß sie nur greifen.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Dann man los!)

    — Das im Bündnis durchzusetzen, Kollege Ehmke, wäre sicher eine bessere Politik für uns Deutsche, als Herrn Breschnew küssen und das Weiße Haus bekritteln.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das wäre auch besser, als im Anflug eines neuen Größenwahns unserer verletzbaren Republik die „Brückenfunktion zwischen Ost und West" zuordnen zu wollen. Das ist eine lebensgefährliche Utopie, so gefährlich wie der Versuch, eine „Friedensgarantie" für den Nahen Osten anzubieten.
    Herr Kollege Wehner, Marxisten sind immer bemüht, im Gegner ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Das ist die Methode des nationalen wie des internationalen Klassenkampfes. Und so bemühen sie sich, in uns der Nachrüstung wegen ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Sie haben bei vielen Erfolg, die da schon sauertöpfisch mit dem schlechten Gewissen herumlaufen. Ich frage mich manchmal, ob alle die, die da mit Transparenten „Frieden" herumlaufen, wissen, daß sie ihn mehr gefährden als der Nachrüstungsdoppelbeschluß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier finde ich nun gegen Schluß doch eine Möglichkeit, wenigstens in einer Sache dem Herrn Bundeskanzler zuzustimmen. Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, wenn Sie vor einiger Zeit in Ihre Partei hineinriefen:
    Hört endlich auf, euch suggerieren zu lassen, als ob die Amerikaner unsere Feinde und die Russen unsere Freunde seien.
    Das haben Sie einmal gesagt. Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten das den Initiatoren in Berlin direkt ins Gesicht gesagt, und Sie würden so öfter sprechen. Sie würden ja nicht so reden, Herr Bundeskanzler, wenn Sie nicht wüßten, daß in Ihrem Lager auch so gedacht wird.
    Meine Damen und Herren, um Deutschland wird gekämpft, um seine innere Ordnung wie um seine außenpolitische Zuordnung. Herr Bundeskanzler, Herr Kollege Schmidt, da geht es um mehr als um Ihren verdienstvollen Einsatz bei der Hamburger Hochwasserkatastrophe. Die Geschichte wird Sie an dem messen, was Sie in dieser Zeit für Deutschland, in Deutschland und um Deutschland getan haben.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Da kommt er aber gut weg!)

    Das wird der Maßstab sein.
    Meine Damen, meine Herren, ich habe einige konkrete Punkte genannt, innen- und außenpolitisch. Man könnte also, wenn man wollte, aber man kann nicht, weil man sich nicht traut. Wenn man sich der Kanzlermehrheit sicher wäre, würde es hier wohl anders aussehen. Dann ginge es auch leichter. Aber, verehrte Damen und Herren, wer es leicht haben will, soll nicht Bundeskanzler werden.

    (Wehner [SPD]: Wenn Ihnen das heute schon des Spottes wert ist: Wollten Sie das nicht mal?)

    — Es ist doch eine ganze Weile her, Herr Kollege Wehner, und Sie haben ja einiges dazu getan, das auf verschiedenen Wegen zu verhindern.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, überlegen Sie einmal, ob Sie nicht dem Bild zustimmen können, das ich einmal gebraucht habe: „Eine Mütze macht noch keinen Lotsen, und ein Lotse ist noch kein Kapitän." Das Schiff Bundesrepublik Deutschland ist in rauher See. Es braucht einen Kapitän, der nicht sagt, morgen kämen die Wellen noch höher, und der sich nicht unter Deck zum Schweigen verzieht. Da bedarf es eines Kapitäns, der Zuversicht gibt und Kraft ausstrahlt und der zeigt, wo es langgeht. Sie sollten sich einmal prüfen, Herr Bundeskanzler, ob Sie seit dem Tage der Bundestagswahl diesem Anspruch genügt haben.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)