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    Plenarprotokoll 9/52 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 52. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 17. September 1981 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Collet 2901 A Begrüßung einer Delegation der Nationalversammlung der Republik Togo 2901 A Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1982 (Haushaltsgesetz 1982) — Drucksache 9/770 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1981 bis 1985 — Drucksache 9/771 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz) — Drucksache 9/795 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Kiep, Dr. Jahn (Münster), Dr. Schneider, Dr. Möller, Hauser (Krefeld), Müller (Remscheid), Dr. Waffenschmidt, Dörflinger, Günther, Dr.-Ing. Kansy, Link, Magin, Niegel, Frau Pack, Frau Roitzsch, Ruf, Sauter (Epfendorf), Zierer, Dr. Blüm, Clemens, Erhard (Bad Schwalbach), Faltlhauser, Herkenrath, Kolb, Linsmeier, Dr. Pinger, Rühe, Sick, Repnik und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen zur Förderung des Wohnungsbaus — Drucksache 9/467 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Investitionstätigkeit im Baubereich und zum Abbau ungleichmäßiger Besteuerung in der Wohnungswirtschaft — Drucksache 9/796 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (Verbrauchsteueränderungsgesetz 1982) — Drucksache 9/797 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz) — Drucksache 9/799 — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1981 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung — Drucksache 9/800 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Elftes Anpassungsgesetz-KOV) — Drucksache 9/801 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung (Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz) — Drucksache 9/798 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lammert, Kiep, Dr. Waigel, Müller (Remscheid), Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Müller (Wadern), Dr. Warnke, Frau Pack, Ganz (St. Wendel), Günther, Frau Hürland, Link, Löher, Prangenberg, Sauer (Salzgitter), Stutzer, Gerstein, Metz, Vogel (Ennepetal), Borchert, Kittelmann, Vogt (Düren), Frau Fischer, Frau Karwatzki, Reddemann, Schwarz, Breuer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU Strukturkrise der deutschen Stahlindustrie — Drucksache 9/612 — Dr. Häfele CDU/CSU 2902 C Walther SPD 2910 B Hoppe FDP 2916 D Dr. Kohl CDU/CSU 2920 C Genscher, Bundesminister AA 2934 C Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 2941 C Dr. Posser, Minister des Landes NordrheinWestfalen 2957 C Westphal SPD 2968 A Dr. Riedl (München) CDU/CSU 2977 B Gärtner FDP 2982 B Dr. Kreile CDU/CSU 2986 C Dr. Spöri SPD 2990 B Frau Matthäus-Maier FDP 2993 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2997 B Glombig SPD 3002 C Cronenberg FDP 3008 B Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 3011 D Dr. Lammert CDU/CSU 3015 A Reuschenbach SPD 3017 B Beckmann FDP 3020 B Nächste Sitzung 3022 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3023* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1981 2901 52. Sitzung Bonn, den 17. September 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 18. 9. Dr. Ahrens ** 18. 9. Amrehn **** 18. 9. Bahr 18. 9. Dr. Bardens ** 17. 9. Becker (Nienberge) 18. 9. Böhm (Melsungen) ** 17. 9. Brandt * 18. 9. Büchner (Speyer) ** 18. 9. Burger 18. 9. Fellner 18. 9. Frau Fischer **** 18. 9. Gobrecht **** 18. 9. Hartmann 18. 9. Hauck 18. 9. Herterich **** 18. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung **** für die Teilnahme an der 68. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich- Dr. Holtz **** 18. 9. Graf Huyn 18. 9. Ibrügger *** 18. 9. Klein (München) **** 18. 9. Köhler (Wolfsburg) **** 18. 9. Frau Krone-Appuhn 18. 9. Lemmrich ** 17. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 18. 9. Frau Dr. Lepsius **** 18. 9. Möllemann **** 18. 9. Dr. Müller ** 17. 9. Müller (Wadern) ** 18. 9. Niegel **** 18. 9. Frau Pack ** 17. 9. Rösch ** 18. 9. Dr. Schachtschabel 18. 9. Frau Schlei 18. 9. Schluckebier **** 18. 9. Schröer (Mülheim) 18. 9. Schulte (Unna) ** 17. 9. Dr. Schwarz-Schilling 17. 9. Dr. Schwörer 18. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 18. 9. Graf Stauffenberg 18. 9. Dr. Wendig 18. 9. Dr. Wittmann (München) 18. 9. Würzbach 18.9. Zink 18. 9.
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    Ich nehme das sehr gern zur Kenntnis. Das habe ich auch gelesen. Aber dieser Auftrag ist doch sicherlich schon lange erteilt worden, bevor sich der Wirtschaftsminister z. B. am letzten Wochenende vor der gewerblichen Wirtschaft wieder lauthals und lautstark gegen diese Belastung und für die Notwendigkeit ihres raschen Abbaus eingesetzt hat.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir sind ja bereit, über dieses Thema zu reden, denn die Deutschen sind doch nicht das kränkste Volk der Welt. Das müßte man nämlich aus dem durchschnittlichen Krankheitsstand schließen. Ich weiß auch sehr wohl, warum z. B. im bayerischen Grenzgebiet mit der höheren Gefärdung der Arbeitsplätze der durchschnittliche Krankenstand 5 % beträgt oder warum er auch bei Kellnern und Friseuren nicht höher ist — weil da nämlich das Trinkgeld nicht in die Bemessungsgrundlage eingeht.
    Ich stelle an Sie die Frage, Graf Lambsdorff: Halten Sie eine Überprüfung der Knappschaftsrente für erforderlich, und zwar in dem Sinne, daß selbstverständlich unter Tage verbrachte Arbeitszeit in vollem Umfange auf eine bessere Rentengestaltung — Stichwort: früher und höher — angerechnet wird?

    (Zuruf von der SPD)

    Halten Sie es aber für richtig, daß Zeiten, die nicht unter Tage verbracht werden oder Beschäftigte, die nie unter Tage arbeiten, bei der Gewährung dieser Vergünstigungen ebenfalls berücksichtigt werden. Man muß doch bedenken, daß die Knappschaftsversicherung im Jahr 11,5 Milliarden DM auszahlt und davon etwa 8,5 Milliarden DM aus Bundeszuschüssen kommen. Das sind doch Fragen, die man hier stellen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das deutet doch an, auf welchen Gebieten man Überlegungen anstellen kann.
    Wir haben uns einen Vorschlag der Arbeits- und Sozialminister zu eigen gemacht, wonach die Rentenversicherungsbeiträge der Nürnberger Anstalt für die Arbeitslosen nicht nach dem letzten Bruttoverdienst, sondern nach dem gewährten Arbeitslosengeld bezahlt werden. Das war ein einstimmiger Beschluß aller Arbeits- und Sozialminister der unionsregierten Länder.

    (Bundesminister Dr. Ehrenberg: Aha!)

    - Ich habe den Satz nur zu Ende gesagt, Herr Kollege Ehrenberg.
    Aber wenn Sie mich fragen, wo denn noch Möglichkeiten seien, dann bitte ich, mir doch zugute zu halten, daß wir in Steuererhöhungen nicht der Weisheit letzten Sinn und schon gar keinen Anstoß für



    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft erblikken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich deute doch diese Problembereiche, die im Detail überprüft werden müssen, nicht aus purer Lust zu streichen an, sondern weil uns die bittere Notwendigkeit dazu zwingt, hier im offenen Karten zu spielen, statt Agitationsmaterial für Wahlkämpfe daraus zu gewinnen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Das ist eine Reihe von Einzelproblemen. Ich will ihre Behandlung nicht im einzelnen fortsetzen.

    (Zuruf von der SPD)

    Sie wissen, was ich damit gemeint habe.
    Aber wenn man alle die von mir hier angedeuteten Problembereiche in die Überprüfung einbezieht, dann ergibt sich im Sinne der geforderten Wende — Wende des Denkens, Wende des Handelns — ein, wenn auch schmerzlich auszufüllender, aber trotzdem möglicher Spielraum dafür, unser Haus wenigstens finanziell und wirtschaftlich — und das ist eines der Hauptprobleme der Gesamtordnung des Hauses — wieder in einen normalen Zustand zu versetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU— Conradi [SPD]: Wir sind tief beeindruckt!)

    Der Herr Kollege Kohl hat eingehend zu den Problemen der Friedensbewegung, des Pazifismus, des Verhältnisses Bundesrepublik Deutschland — USA hier Stellung genommen. Der Herr Kollege Genscher hat darauf geantwortet: Ich will nur mit wenigen Worten auf die Antwort des Kollegen Genscher auf den Kollegen Kohl eingehen.
    Herr Kohl hat doch nicht Zweifel an der subjektiven Überzeugung der Bundesregierung, am Bündnis mit den USA unverrückbar festzuhalten, die sich aus diesem Bündnis ergebenden Pflichten getreulich zu erfüllen, geäußert. Aber das war auch nicht das Thema. Das Thema war und ist

    (Zuruf von der FDP: Der Haushalt!)

    diese Wanderdünenbewegung, wie sie sich in der SPD und Teilen der FDP, nicht nur anläßlich der Berliner Ereignisse, gezeigt hat.

    (Zuruf von der SPD)

    Man kann doch nicht daran vorbeigehen, daß regierungsamtliche Erklärungen, auch subjektiv ehrliche Überzeugungen des Herrn Außenministers das eine sind — das bestreiten wir gar nicht —, daß aber die Klimaveränderung in der SPD, in der FDP, in Teilen der deutschen Öffentlichkeit gegen die Vereinigten Staaten von Amerika einfach eine Tatsache sind. Und Klimaveränderungen leiten dann auch Wetterveränderungen ein.
    Wenn der Herr Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika — und Herr Genscher, Sie sind lange genug in der Außenpolitik, um das so zu würdigen, wie ich es meine — erklärt, die deutschamerikanischen Beziehungen seien dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, so ist das eine objektiv und subjektiv ehrliche Äußerung des Außenministers Haig, aber in einer Demokratie spielt die öffentliche Meinung eine größere Rolle als regierungsamtliche Erklärungen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gerade in Amerika!)

    Die Bilder, die in den Vereinigten Staaten im Fernsehen, in der Tages-, Wochen-, Bilderpresse auf 200 Millionen Amerikaner geradezu herunterregnen, führen doch zu einem Beginn des Umschwungs der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten von Amerika.
    In der Sowjetunion — früher war es im Nationalsozialismus unter Hitler so — kann die Regierung ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung Kursänderungen vollziehen. Nehmen Sie z. B. den HitlerStalin-Pakt. Dazu sind Diktaturen, jedenfalls eine Zeitlang in der Lage, Demokratien gottlob nicht. Demokratien müssen auf die öffentliche Meinung und, was die Regierungsparteien betrifft, auch auf die Vorgänge innerhalb dieser Regierungsparteien Rücksicht nehmen.
    Herr Kollege Genscher, ich habe mit großem Interesse vernommen, daß Helmut Schmidt — ich lasse ihm gerne den Gebrauchsmusterschutz dafür oder das ius primae noctis —

    (Heiterkeit)

    als erster auf die Tatsache der Vorrüstung der Sowjetunion 1977 in seinem Vortrag in London aufmerksam gemacht hat und daß er damit nach der Bekundung seines Vertreters und Außenministers den Prozeß der Nachrüstung eingeleitet hat. Er braucht diesen Prozeß jetzt nur in seiner Partei zu vollziehen. Uns braucht er von der Notwendigkeit dieses Prozesses nicht zu überzeugen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zweitens. Die Themen Nachrüstung und Neutronenwaffe beinhalten zwei verschiedene Dinge, aber sie gehören in den Gesamtkomplex der Verteidigung hinein. Wenn Helmut Schmidt im Jahre 1978 die Neutronenwaffe für notwendig befunden hat, um damit auf westlicher Seite einen Ausgleich für die Überlegenheit der sowjetischen Panzerverbände, vor allem die Überlegenheit der Masse nach zu finden, muß ich fragen: Haben die Russen in der Zwischenzeit so viel Panzer abgezogen, daß dieses Thema nicht mehr existiert, oder macht er jetzt aus parteiinterner Rücksichtnahme die berühmten Schleiertänze um das Problem Neutronenwaffe herum,

    (Dr. Spöri [SPD]: Das ist eine Haushaltsdebatte!)

    obwohl er vor drei Jahren klipp und klar ja zu diesem Thema und ja zu ihrer Einführung gesagt hat? Das heißt aber doch, daß sich bei objektiv gleichbleibenden Bedingungen die Überzeugungen und Äußerungen des Bundeskanzlers mit Rücksicht auf parteiinterne Veränderungen und Verschiebungen in einer für unsere Sicherheit gefährlichen Weise verschoben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß (Bayern)

    Wir wollen doch nicht massive sowjetische Panzerverbände vernichten, wir wollen verhindern, daß sie in Marsch gesetzt werden. Das ist der Sinn der Gegenrüstung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier kann man zwei Methoden anwenden. Ich bezeichne mich nicht mehr als Fachmann, aber eine Methode wäre, wir rüsten unsere eigene Panzerwaffe und Panzerabwehr so stark aus — vor allen Dingen mit Hilfe des heutigen Bundeshaushalts —, daß man ohne Neutronenwaffe das Gegengewicht zu den russischen Panzerverbänden hat. Das wäre eine denkbare Lösung. Genau das Gegenteil ist aber der Fall, und deshalb muß die Unterlegenheit an Quantität durch eine an Qualität überlegene Waffe ausgeglichen werden, die dem Angreifer schadet und dem Verteidiger zugute kommt. Dies ist doch das Thema, und hier sollte man mit innerparteilichen Rücksichtnahmen aufhören. Man sollte aufhören, diese Schleiertänze aufzuführen. Hier geht es um unsere gemeinsame Sicherheit, um die Glaubwürdigkeit des westlichen Bündnisses.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe 1958 als Bundesminister der Verteidigung die Atomtodkampagne erlebt. Die Argumente sind heute wie damals die gleichen. Was ist anders geworden? Heute marschiert eine andere Generation auf den Straßen. Ich muß allerdings sagen, die alten Initiatoren und Drahtzieher im Hintergrund sind die gleichen geblieben.
    Ich sage Ihnen eines mit allem Nachdruck: Wer aus der Geschichte nicht lernen will, wird sie eines Tages nachvollziehen müssen. Ich habe damals als junger Mensch die Wirkung der Pazifismuspropaganda, wie sie in den 30er Jahren in Frankreich und in Großbritannien ständig an Boden gewann, als besorgter Zeitgenosse erlebt. Wer die Literatur kennt, wer als mitleidender und mithandelnder Zeitgenosse davon erfaßt war, der weiß, wie leicht Hitler der Entschluß zum Kriege gefallen ist — moralische Skrupel hatte dieser pathologische Verbrecher ohnehin nicht —, wie leicht Hitler seine Bedenken überwinden konnte. Er hat sich täglich nach dem Fortschritt der Pazifismusdebatte, täglich nach dem Fortschritt der Pazifismusbewegung in Frankreich und in England erkundigt. Wer damals bei den Westmächten aus gutem Grund den Pazifismus gegenüber Hitler gepredigt hat, der hat eine entscheidende Mitschuld daran, daß die Diktatur die Hemmnisschwelle überschreiten konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Was wir heute wollen, ist nicht Aufrüstung, sondern lieber Abrüstung, allgemeine Abrüstung. Über dieses Thema haben wir uns doch schon oft und lange unterhalten.
    Herr Genscher, wir sollten aufhören, uns in Wunschträumen mit Null-Optionen zu ergehen. Die Null-Option hieße, daß die Sowjets, die trotz aller Angebote auf Moratorium jede Woche ein neues SS-20-
    System aufstellen, ihre 250 Systeme nicht nur an die chinesische Grenze verlegen, von wo aus sie jederzeit wieder hierher verlegt werden können, sondern einmotten. Sie müssen Ihre eigenen Anhänger in den Regierungsparteien, Ihre jungen Leute darauf vorbereiten, daß die Null-Option zwar ein schönes Verhandlungsziel ist, daß aber die Wirklichkeit, auf die wir uns einrichten müssen, etwas anders aussehen wird als die Null-Option.
    Sie können auch nicht erwarten, daß die Sowjets ihre Panzerüberlegenheit soweit abbauen, daß die Panzer im Westen und die Panzer im Osten eine Parität darstellen. Man soll nicht immer auf Verhandlungen allein starren und von ihnen Wunder erwarten. Je mehr man auf Verhandlungen drängt, je mehr man auf Verhandlungen starrt, je mehr man die Amerikaner unter Druck setzt, unter allen Umständen Verhandlungen zu führen, desto schwieriger werden die Verhandlungsaussichten, desto fragwürdiger wird das Verhandlungsergebnis. Darin sollten wir im Interesse unserer gemeinsamen Sicherheit einig sein.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Posser.

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    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe innerhalb eines Zeitraums von weniger als acht Monaten erneut Gelegenheit, unmittelbar nach meinem Bundesratskollegen, dem bayerischen Ministerpräsidenten, zu sprechen. Wie auch damals Ende Januar dieses Jahres war seine Rede ein zitatengespicktes, weit ausgreifendes und wortgewaltiges Referat mit gelegentlichen Seitenhieben auf die „Staatsschauspieler" und „Gaukler", eine „Micky Maus" und die „heuchlerischen Beteuerungen", die aus den Reihen der Koalition zu hören seien.
    Herr Kollege Strauß, alle Oppositionsredner in allen Industriestaaten haben es heute leicht, die Regierung zu attackieren; denn in der Tat sind die Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind, groß. Der Fehler, den Sie nach meiner Meinung machen, ist der, so zu tun, als gäbe es diese Schwierigkeiten nur oder hauptsächlich in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der SPD)

    Tatsächlich aber ist das, was wir an Schwierigkeiten anzupacken und zu bewältigen haben — niemand leugnet diese Schwierigkeiten —, eine Erscheinung, die Sie in allen Industrienationen finden. Sie müssen einmal nachlesen, was die Sprecher der Oppositionsparteien in Großbritannien, in Italien, in Belgien oder in anderen Industriestaaten sagen. Dann werden Sie dieselben Vorwürfe von der Inflation der Versprechungen bis zur Inflation des Geldwerts finden, die wir heute zu hören bekommen haben.
    Sie verweisen immer sehr gern darauf, daß es früher nicht solche Preissteigerungsraten gegeben habe, wie wir sie heute auch in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben. Dieser Hinweis ist richtig. Aber er muß doch in ein Gesamtbild ein-



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    gefügt werden. Die OECD führt seit dem 1. Januar 1950 eine Statistik über die Preissteigerungsraten in 24 Industriestaaten. Darunter sind alle wichtigen Industriestaaten der westlichen Welt. In diesen nunmehr über 30 Jahren hat es vier Jahre gegeben, in denen die Bundesrepublik Deutschland die geringste Preissteigerungsrate hatte, also die günstigste Position. Das waren die Jahre 1967, 1969, 1974 und 1975. Das waren Jahre, in denen nicht Konrad Adenauer Kanzler war, in denen auch nicht Ludwig Erhard Kanzler war, sondern das waren zwei Jahre der Großen Koalition und zwei Jahre der sozialliberalen Koalition.
    Rechnet man die Jahre 1970 bis 1976 als einen Zeitraum, dann steht die Bundesrepublik Deutschland an erster Stelle in der ganzen Welt — soweit überhaupt Daten veröffentlicht werden; aus den osteuropäischen Staaten erfahren wir ja nichts. 1978 — um zu den letzten Jahren zu kommen — hatten wir die beste Position nach der Schweiz. 1979 hatten wir eine etwas schlechtere Position. Aber 1980 hatten wir wieder die zweite Position nach der Schweiz, und wir haben die Schweiz im ersten Halbjahr dieses Jahres, 1981, wieder übertroffen, was die Preisstabilität angeht.
    Ich bitte Sie also, bei einer einigermaßen unvoreingenommenen Beurteilung nicht zu übersehen, daß wir nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland — das ist unbestreitbar — mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, sondern daß das schon seit Jahren eine allgemeine Erscheinung ist, mit der sich die Industrienationen auseinanderzusetzen haben, und das auch unter schmerzlichen Einschränkungen, die anderwärts noch deutlich spürbarer sind als bei uns.
    Vor weniger als drei Wochen hatte ich Gelegenheit, an einer internationalen kirchlichen Konferenz in Frankreich teilzunehmen. Wir haben dort auch über die Berichte der Staaten, aus denen Delegierte erschienen waren, gesprochen. Ich sagte: Wir haben im August 1981 in der Bundesrepublik Deutschland eine Preissteigerungsrate von 6 %, und wir finden, das ist sehr hoch. Darauf antwortete der Leiter der amerikanischen Delegation: Wir haben gerade die Nachricht bekommen, daß sie bei uns 15 % beträgt. Das ist das Zweieinhalbfache.
    Und der amerikanische Delegationsleiter fügte hinzu: Was die Entwicklung des Lebensstandards angeht, so haben wir in dem Zehnjahreszeitraum der 50er Jahre eine Steigerung von 37 %, in dem Zehnjahreszeitraum der 60er Jahre von 34 % und in dem Zehnjahreszeitraum der 70er Jahre von 4% gehabt. In den USA hatten wir Jahre mit negativer Entwicklung des Lebensstandards zu verzeichnen. Wenn Sie damit die Zehnjahreszeiträume unserer Entwicklung vergleichen, kommen Sie zu einem wesentlich günstigeren Bild. Das darf man bei einem Urteil, das man über die Lage in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1981 abgibt, doch nicht übersehen.
    Oder: Ich berichtete in meinem Länderbericht davon, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland leider schon 1,3 Millionen Arbeitslose hätten. Jeder Arbeitslose ist einer zuviel, wenn er arbeitswillig ist — und davon gehen wir nach wie vor aus. Darauf sagte mir der Vertreter der britischen Delegation resignierend: Ach, wissen Sie, in dem Augenblick, in dem wir zusammen sprechen, am letzten Augusttage dieses Jahres, werden wir wohl bei den Arbeitslosen in Großbritannien die 3-Millionen-Grenze überschreiten. Nach den Zahlen ist diese Voraussage leider eingetroffen, wobei zu bedenken ist, daß Großbritannien eine geringere Bevölkerung als die Bundesrepublik Deutschland hat. Der Franzose sagte: Wir haben 1,8 Millionen Arbeitslose. Auch dabei ist zu bedenken, daß Frankreich eine geringere Bevölkerungszahl hat.
    Deshalb gehen Sie in die Irre, wenn Sie Ihren Einsatz darauf richten, diese Regierung und die sie tragenden Parteien als unfähig hinzustellen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn es Versäumnisse oder Unfähigkeit geben sollte, dann gibt es sie in allen Industrienationen. Wir sind mit den Schwierigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren besser fertig geworden, als es anderwärts möglich war. Das veranlaßt uns nicht zu Schadenfreude, aber es zeigt doch, daß das Bemühen, die auch von Ihnen genannten vier Zielwerte des Stabilitätsgesetzes mindestens annähernd zu erreichen, erfolgreich war. Das macht uns weder selbstgerecht noch selbstzufrieden.
    Es bleibt eine Menge zu tun. Aber gerade das, was jetzt als ein Paket vorgelegt worden ist, zeigt doch, daß wir der Verantwortung nicht ausweichen und auch unpopuläre und leicht ins Lächerliche zu ziehende Forderungen aufstellen bzw. Maßnahmen vorschlagen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist heute morgen, wie ich am Radio mithören konnte, teilweise wieder gesagt worden, ein Ergebnis der Politik, die diese Regierung treibe, sei es, daß die Menschen, die arbeitenden Menschen um die Früchte, die Erfolge ihrer Arbeit betrogen würden. Das soll angeblich durch eine unzumutbar hohe Steuer geschehen. Nun, auch hier will ich gern etwas geraderücken: Der Anteil der gesamten Steuereinnahmen am Bruttosozialprodukt liegt seit vielen Jahren unverändert bei etwa 24 %.

    (Walther [SPD]: Das ist wahr!)

    Wenn man die Sozialabgaben hinzurechnet, kommt man zwar auf eine höhere Abgabenquote; aber auch die liegt — international gesehen — immer noch außerordentlich günstig.
    Es ist hier das Stichwort „Vermögensteuer" gefallen. Da wird so getan, als sei diese ertragsunabhängige Steuer, die Vermögensteuer, eine schreckliche Sache, die man in Deutschland erfunden habe und die die Vermögensbildung, die Erreichung von Wohlstand erschwere. Ich kann das gar nicht verstehen. Sollte vielleicht übersehen worden sein, daß die Vermögensteuer bei natürlichen Personen zur Zeit 0,5 — 0,5 %! — und bei juristischen Personen 0,7 % beträgt und in Ihrer Zeit doppelt so hoch war? Da betrug sie 1 % und war damit noch immer relativ gering. Nun werden Sie mir entgegenhalten: Ja, aber



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    damals konnte man die gezahlte Vermögensteuer von der Einkommensteuer abziehen. Das ist richtig. Wir waren übrigens das einzige Land, das Vermögensteuer hatte, in dem der Abzug von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer überhaupt möglich war. Jetzt haben wir einen Vermögensteuersatz von 0,5 %. Aber — und dies ist entscheidend —: Wir haben in den letzten Jahren hohe Freibeträge gerade im Interesse der Familien beschlossen; die sind wesentlich höher, als das früher war. In den 50er Jahren betrugen die Freibeträge 10 000 DM für jeden Ehegatten und 5 000 DM je Kind. Heute wird Vermögensteuer überhaupt erst bei 70 000 DM für den Ehepartner, also für Mann oder Frau, je nachdem, wem das Vermögen zugerechnet wird, und 70 000 DM für jedes Kind erhoben. Dies zeigt, in welch einem Maße wir, gerade aus Gründen der Familienfreundlichkeit, geringer verdienenden Menschen Vermögensbildung dadurch ermöglichen, daß wir die Vermögensteuer, die ja ohnehin gering ist, durch die im Verhältnis zu früher mehr als siebenfach angehobenen Freibeträge so niedrig halten.

    (Beifall bei der SPD)

    Oder nehmen Sie die Mehrwertsteuer. Da ist der Regelsteuersatz — es gibt j a auch die Ermäßigungen auf die Hälfte — seit dem 1. Juli 1979 auf 13 % angehoben worden. Italien hat einen Mehrwertsteuersatz von 15%, ebenso Großbritannien. Belgien hat einen Mehrwertsteuersatz von 16 %, Frankreich von 17,6 %, die Niederlande von 18 %, Irland von 25 %.
    Nun muß ich j a zugeben, verehrter Herr Kollege Strauß: Bayern hat damals gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht nur gestimmt, sondern im Bundesrat auch noch einen Gesetzesantrag mit Datum vorn 29. März 1979 mit dem Ziel einer Rücknahme der Umsatzsteuererhöhung zum 1. Juli 1979 eingebracht, der allerdings keine Mehrheit gefunden hat, wie ich hier gern hinzufüge. Auch die CDU- regierten Länder haben da nicht mitgemacht. Wenn Ihr Antrag durchgekommen wäre, dann wären die Einnahmen 1981 nämlich um 7,6 Milliarden DM niedriger gewesen. In den beiden voraufgegangenen Jahren, nämlich im Restteil des Jahres 1979 und im Jahre 1980, wären sie zusammen 10 Milliarden DM niedriger gewesen. In den Kassen des Gesamtstaates wäre dann ein weiteres Defizit von 17,6 Milliarden DM auf Grund verminderter Umsatzsteuereinnahmen zu verzeichnen gewesen.
    Sie mögen sich noch nachträglich darüber freuen oder darauf stolz sein, daß Sie dem damals widersprochen und ein Rückgängigmachen dieser Steueranhebung gefordert haben. Dennoch meine ich: Es sollte nicht zur Übung werden, daß wir in den Ländern mitteilen, wie wir bei einzelnen Bundesgesetzen abgestimmt haben.
    Ich habe hier ein amtliches Formular von einem Finanzamt des Freistaats Bayern mit der Aufforderung, die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1980 abzugeben. Da ist ein Hinweis für Land- und Forstwirte, die erstmals eine Einkommensteuererklärung abgeben. Er beginnt mit den Worten:
    Das von den gesetzgebenden Körperschaften in Bonn gegen die Stimme Bayerns beschlossene Gesetz

    (Heiterkeit bei der SPD)

    zur Neuregelung der landwirtschaftlichen Einkommensbesteuerung macht es erforderlich,
    daß ...
    Dann heißt es:
    Zu Ihrer Information: Die Bayerische Staatsregierung, die dem Gesetz zur Neuregelung

    (Walther [SPD]: Unerhört!)

    der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft im Gesetzgebungsverfahren die Zustimmung versagt hat, wird sich um eine Änderung des beschlossenen Gesetzes bemühen, wenn im Vollzug des Gesetzes besondere Härten für bestimmte Personengruppen offenbar werden.
    Ich meine, das ist immer unsere Aufgabe, daß wir dann, wenn wir feststellen, daß in der Durchführung eines Gesetzes besondere Härten auftreten, sie zu ändern oder zu mildern versuchen. Nur, wenn dies Übung werden sollte, dann können wir was erleben, wenn auf den amtlichen Vordrucken gleich eine Übersicht mitgeliefert wird, wie das einzelne Land im Bundesrat, vielleicht noch im Vermittlungsverfahren, gestimmt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich war über diesen Hinweis in den amtlichen Vordrucken des Freistaats Bayern auch deshalb etwas überrascht, weil das j a eine etwas merkwürdige Sache gegenüber den Bundesratskollegen Späth und Stoltenberg ist, die diesem Gesetz nämlich zugestimmt haben.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

    Nicht jedermann, aber doch viele Leute wissen, daß ununterbrochen seit 1969 die Mehrheit im Bundesrat anders als die Mehrheit des Deutschen Bundestages ist und daß jedes Gesetz über Steuern, an deren Aufkommen nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Gemeinden beteiligt sind, zustimmungsbedürftig ist, also die Zustimmung der Mehrheit vorgelegen haben muß. Deshalb glaube ich auch nicht, daß Sie damit Freude bei Ihren CDU-Kollegen im Bundesrat erwecken konnten. Ich meine, wir sollten einig sein, daß wir solche Übungen nicht miteinander fortsetzen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Mickymaus! Noch kleiner als eine Mickymaus!)

    Nun ist natürlich die wichtigste Steuer neben der mehrfach als ertragsunabhängig genannten Vermögensteuer sowie der Mehrwertsteuer die Lohn- und Einkommensteuer. Auch hier wird den Bürgern ein Eindruck vermittelt, als wären wir ein Steuersaugerstaat.
    In Wirklichkeit ist die steuerliche Belastung bei uns ausgesprochen maßvoll, wenn ich an vergleichbare Industrienationen denke. Bei uns in der Bun-



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    desrepublik Deutschland ist der niedrigste Höchstsatz bei der Einkommensteuer 56 %, und er beginnt bei Ledigen mit 130 000 DM Jahreseinkommen und bei Verheirateten mit 260 000. In Frankreich beträgt er 60 % ab — umgerechnet — 58 509 DM, in Großbritannien 60 % ab 134 000 DM; in den USA ist er 75,3 %, allerdings erst ab 217 000; aber das ist immerhin noch schlechter als bei uns bei Verheirateten.
    Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Erwecken Sie doch bitte nicht den Eindruck, als wäre bei uns die Steuerbelastung unerträglich groß. Zudem haben wir einen mehrmals angehobenen Grundfreibetrag, der sozusagen eine Null-Zone bei der Lohn- und Einkommensteuer darstellt. Überdies haben wir eine Proportionalzone. Früher hatten wir ja mal den durchgängigen progressiven Tarif. Jetzt haben wir eine Proportionalzone, die immerhin bei Ledigen bis 18 000 DM und bei Verheirateten bis 36 000 DM Jahreseinkommen geht. Darunter fällt mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerschaft; sie wird nur mit einem konstant bleibenden Steuersatz von 22 % innerhalb der Proportionalzone getroffen. Ich erwähne das deshalb, weil das nachher noch bei einem Vorschlag, den das Land Nordrhein-Westfalen machen will, eine besondere argumentative Rolle spielen wird. Insgesamt aber: Abgabenlast, Steuern und Sozialabgaben, international günstig für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger.
    Nun höre ich immer wieder von Sprechern der Opposition und auch von Kollegen im Bundesrat aus den CDU/CSU-regierten Bundesländern, das Steuersystem dürfe nicht leistungsfeindlich sein, und Leistung dürfe nicht durch zu hohe Steuern bestraft werden. Das ist ein richtiger und verständlicher Grundsatz. Nur frage ich: Was ist denn Leistung? Ist denn dieser Begriff nur auf Hochverdienende anwendbar?

    (Beifall bei der SPD)

    Erbringen denn der Arbeiter im Hüttenbetrieb, der Bergmann vor Ort, die Krankenschwester in einer Intensivstation, die Lehrerin an einer Sonderschule für geistig behinderte Kinder nicht auch eine Leistung, die steuerlich nicht bestraft werden darf?

    (Beifall bei der SPD)

    Und ist das nicht vielleicht doch eine etwas gedankenlose Formulierung von dem „Bestrafen durch Steuerzahlen"? Ist denn Steuerzahlen eine Strafe? Oder ist es nicht unverzichtbar, daß diejenigen, die arbeiten und tätig sein können, ihren nach sozialen Gesichtspunkten ausgerichteten Beitrag leisten, damit der Staat, der Bund, die Länder und die Gemeinden, die Aufgaben erfüllen können, die für das Lenben der Menschen zu erfüllen unerläßlich ist?

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Wenn wir diesen Gedanken der Steuergerechtigkeit so deutlich nach vorn rücken, dann trifft uns auch nicht der Vorwurf — obwohl er immer wieder an unsere Adresse gerichtet wird —, wir betrieben so etwas wie Klassenkampf zu Lasten der Besserverdienenden oder weckten Neidgefühle. Das ist ganz falsch. Die Besteuerung der hohen Einkommen und der Vermögen ist, wie ich eben durch Zahlen belegt habe, gemessen an den Verhältnissen in anderen Industrieländern, maßvoll. Vor allem gilt für uns die Erfahrung: Wenn die Höherverdienenden, die Bessergestellten zuwenig an Steuern entrichten, dann muß die Masse der Arbeitnehmer mehr an Steuern zahlen, mehr, als ihnen eigentlich auferlegt werden sollte.
    Deshalb haben wir auch in den vergangenen Jahren Stück für Stück die Vorrechte der Einkommenstarken abgebaut, ohne ihre Rechte anzutasten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Darum geht es, daß Vorrechte abgebaut werden, ohne in Rechte einzugreifen.
    Da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen in der Vergangenheit und auch in dem Paket, über das wir jetzt die parlamentarischen Beratungen beginnen. Wir haben z. B. das Außensteuergesetz geändert, um die Wiederholung eines bekannten Falles zu verhindern, wo der Betreffende mit einem Veräußerungsgewinn von mehreren 100 Millionen DM aus dem Verkauf von Warenhäusern in die Schweiz übersiedeln konnte, ohne einen Pfennig Steuern davon zahlen zu müssen. Wir haben das geändert.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben zusätzlich Doppelbesteuerungsabkommen, die angeblich früher nicht erreichbar, nicht erzielbar waren, durchsetzen können, damit sich so etwas nicht wiederholt; nicht aus klassenkämpferischen Motiven, sondern weil wir meinen, wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber den Bürgern, die weniger haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Es geht darum, daß einige nicht durch unberechtigte Privilegien bessergestellt werden.
    Oder wir haben in der Vergangenheit — das ging ja bis in den Vermittlungsausschuß — so ein Schlupfloch für ganz, ganz Reiche geschlossen, nicht aus Neidgefühlen, sondern aus sozialer Gerechtigkeit und Steuergerechtigkeit. Mehr und mehr haben sehr reiche Familien Familienstiftungen gegründet und damit die Erbschaftsteuer sparen wollen. Erbschaftsteuer fällt ja nur an, wenn ein Mensch stirbt. Man wollte durch die Gründung solcher Stiftungen vermeiden, daß man alle 30 oder 40 Jahre beim Tode des jeweiligen Inhabers des Familienvermögens Erbschaftsteuer zahlen müßte. Da kam man auf den Gedanken, Familienstiftungen zu gründen. Das sind natürlich keine gemeinnützigen Stiftungen — damit kein Mißverständnis aufkommt —, sondern das sind Familienstiftungen, deren Erträgnisse nur Mitgliedern der betreffenden Familien zufließen. Wir haben gesagt: Das geht nicht. Nach langen Kämpfen haben wir dann eine sogenannte Erbschaftersatzsteuer eingeführt, die jetzt alle 30 Jahre entrichtet werden muß. Das hat übrigens auf weitere Anträge auf Einrichtung solcher Familienstiftungen sehr beruhigend gewirkt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)




    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    Manchmal ist der Zeitraum bei normalen Ablauf des Geschehens ja länger als diese 30 Jahre.
    Wir haben eine Vorschrift im Einkommensteuergesetz eingefügt, die das Betätigungsfeld sogenannter Verlustzuweisungsgesellschaften einschränkt, welche sehr gut verdienenden Steuerbürgern mittels der Konstruktion des sogenannten negativen Kapitalkontos ungerechtfertigte Steuervorteile von erheblichem Umfang verschafft haben. Ich nenne ferner die Eingriffe beim Entwicklungsländer-Steuergesetz und die BAföG-Novelle vom 13. Juli dieses Jahre. Das sind alles Schritte in Richtung Steuergerechtigkeit und mehr sozialer Gerechtigkeit. Es war auch so eine Besonderheit, daß man als Hochverdienender, als jemand, der eine Million oder mehr im Jahr verdient, legal — das sage ich ausdrücklich; es geht hier nicht um Steuerhinterziehungen — durch Verlustzuweisungen sein Einkommen so senken konnte, daß die Kinder eines solchen Einkommensmillionärs BAföG bekamen. Die Änderung, mit Wirkung vom 14. Juli dieses Jahres in Kraft getreten, besagt in § 21 nunmehr: „Als Einkommen ... gilt die Summe der positiven Einkünfte ... Ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des zusammenveranlagten Ehegatten ist nicht zulässig." — Ein solcher Ausgleich war bis dahin zulässig. Wir haben da groteske Sachen erlebt, z. B. das Leute, die Millionen und mehr verdienen, für ihre Kinder BAföG bezogen, weil sie rein rechnerisch, fiktiv trotz eines Rieseneinkommens Minus machten.
    Deshalb sind die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf dem richtigen Weg, wenn jetzt auch in Bezug auf § 6 b Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes etwas unternommen wird, nämlich in der Frage, ob bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften der Gewinn weiterhin dann steuerfrei bleiben soll, wenn er wieder in Anteilen an Kapitalgesellschaften verwertet wird. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Reihe von bedauerlichen Fällen, die man beim besten Willen, auch im Interesse des Mittelstandes — ich sage das ausdrücklich —, nicht akzeptieren kann. Ich wiederhole, daß das Verfahren in diesen Fällen durchaus legal war. Aber eben weil es rechtmäßig ist und diese negativen Folgen hat, muß es geändert werden. Das ist der Grund.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier ist jetzt ein Einstieg gemacht worden. Der Vorschlag sieht vor, daß die Übertragung der stillen Reserven auf insgesamt 80 % beschränkt wird, die Rücklage bei Auflösung verzinst werden muß und die Übertragung auf Anteile an Kapitalgesellschaften von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Ich sage offen, mir scheint das noch ein bißchen zuwenig zu sein. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen prüft zur Zeit, ob man hier noch einen ergänzenden Vorschlag machen kann. Wir werden uns beim ersten Durchgang im Bundesrat am Freitag nächster Woche wahrscheinlich näher dazu äußern können.
    Nun hat es ein weiteres Stichwort gegeben, und zwar den angeblichen Investitionsstau, der hier bestehe und der natürlich die Schuld dieser Bundesregierung sei. Da sind wieder drei Punkte genannt worden: Wohnungsbau, Errichtung von Kraftwerken und neue Medien. Ich meine, es ist auch nützlich, daß wir hier einer Legendenbildung entgegentreten. Wie war denn das?
    Nehmen wir einmal den Wohnungsbau. Da ist ja nun in dem Paket einiges. Ich nenne das Stichwort „degressive Abschreibung". Da ist die Erhöhung des Betrages, von dem abgeschrieben werden kann, um 50 000 DM, bei Einfamilienhäusern von 150 000 DM auf 200 000 DM, bei Zweifamilienhäusern entsprechend. Wir haben große Anstrengungen unternommen, um auch von Länderseite — denn der Wohnungsbau ist j a nicht in erster Linie eine Bundesaufgabe, sondern auch eine Länderaufgabe — Zusätzliches zu tun. Obwohl auch die Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen, wie ich schon mehrfach öffentlich gesagt habe, sehr, sehr kritisch ist, übrigens kritischer als die des Bundes — auch das habe ich mehrfach gesagt —, haben wir, weil da ein Schwerpunkt für Investitionstätigkeit liegt und man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, im Haushaltsentwurf 1982 557 Millionen DM mehr eingesetzt als 1981. Mit der Gesamtsumme von etwa 2,8 Milliarden DM leisten wir bei dem, was an Barmitteln fließt, über 44 % des Mitteleinsatzes aller Bundesländer bei einer Bevölkerung von knapp unter 28 %. Wir haben dies also erkannt. Es ist richtig, wenn gesagt wird, hier müsse ein größerer Mitteleinsatz erfolgen. Wir tun es bis an die Grenze, ja vielleicht sogar bis über die Grenze unserer finanziellen Möglichkeiten unter Zurückdrängung anderer auch durchaus wichtiger Aufgaben.
    Aber was ist mit dem Investitionsstau bei Kraftwerken? Nehmen wir einmal die konventionellen Kraftwerke. 1979 betrug die — das ist die letzte für mich verfügbare Zahl — Nettokraftwerks- und Bezugsleistung im Bundesgebiet 77 000 Megawatt, die Nettohöchstlast, die angefallen ist, betrug 53 500 Megawatt. Das heißt, es war eine Reserveleistung von 23 500 Megawatt übrig. Natürlich muß man das für Störfälle vorhalten — das ist selbstverständlich —, aber darin steckt doch eine erhebliche freie Kapazität.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir bauen zur Zeit in Nordrhein-Westfalen Kraftwerke mit einer Leistung von knapp 4 000 Megawatt. Wir haben positive Vorbescheide für Kraftwerke mit Leistungen von 2 250 Megawatt, ohne daß von den Betreibern bisher eine weitere Teilerrichtungsgenehmigung beantragt worden ist — die wir erteilen würden. Geplant sind in Nordrhein-Westfalen Kraftwerke mit einer Leistung von 6 142 Megawatt. Da haben die Betreiber die sofortige Vollziehung der von Bürgern angefochtenen, von uns erteilten günstigen Bescheide nicht beantragt. Ich kann daraus nur den Schluß ziehen — ich rede jetzt vom Bau konventioneller Kraftwerke —: Statt von einem Genehmigungsstau können wir aus unserer Sicht bei konventionellen Kraftwerken eher von einer Genehmigungshalde sprechen.

    (Zustimmung bei der SPD und der FDP)




    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    Die Betreiber revidieren — das sage ich ohne Vorwurf - ihre früheren Angaben über den ständig rasch steigenden Stromverbrauch; er stagniert, manchmal ist er ein bißchen rückläufig, aber er hat bei weitem nicht mehr diese Zuwächse, die gewünscht oder befürchtet worden sind. Deshalb liegt bei uns viel auf Halde. Da kann sofort gebaut werden, aber die zuständigen Herren sagen — das sage ich wiederum ohne Vorwurf —: Es hat keine Zweck; wir können das nicht absetzen. Wir würden gern z. B. in Siersdorf bei Aachen — für den Eschweiler Bergwerksverein eine fast existentielle Frage — ein Kohlekraftwerk errichten. Wir helfen, wir geben jede Hilfe, Herr Kollege Strauß, aber wir wissen nicht, wer den Strom abnehmen soll. Es ist tatsächlich so.
    Aber nun bleibt natürlich die Frage: Wie ist es bei Kernkraftwerken? Ich habe schon am 28. Januar gesagt, daß in Nordrhein-Westfalen ein einziger Antrag auf Prüfung für die Errichtung eines Leichtwasserreaktors vorliegt. Ohne der Prüfung vorgreifen zu wollen, da ich nicht zuständig bin, möchte ich doch so viel sagen: Nach all dem, was ich höre, wird diese Prüfung auf Grund der neuen „Baulinie 80" positiv ausgehen. Wir wissen doch alle, worauf die Verzögerungen beruhen. Das erleben wir in fast allen Bundesländern. Das Problem von Kalkar liegt doch nicht darin, daß die Landesregierung nach ordnungsgemäßer Prüfung da etwas nicht vorangetrieben hätte, sondern darin, daß unser oberstes Verwaltungsgericht einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht gerichtet hat mit der Behauptung, das Bundesatomgesetz sei möglicherweise verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht verneint. Die Sache hat aber mit allem Hin und Her über mehrere Instanzen Jahre gedauert.
    Oder nehmen Sie Wyhl! Seit sechs Jahren schwebt der Prozeß. Jetzt soll die zweite Instanz darüber entscheiden.
    Oder nehmen Sie Mülheim-Kärlich bei Koblenz! Auch da befassen sich die Verwaltungsgerichte mit den Fragen des Berstschutzes und der Entsorgung.
    Wir müssen diese Fragen ernst nehmen. Wenn die Gerichte sagen, sie hielten die Voraussetzungen der Betriebssicherheit und der Entsorgung für nichtgelöst, dann können wir uns als Exekutive unmöglich darüber hinwegsetzen. Bei uns ist das im übrigen weitgehend kein Problem.
    Oder nehmen Sie die letzte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt, daß in Kernkraftwerken nur kleine Mengen abgebrannter Brennstäbe gelagert werden dürfen. Diese Entscheidung ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber es ist eine Entscheidung gegen Kompaktlager, die ja einige von uns — auch das sage ich ohne Vorwurf — als eine mittelfristige Lösung angesehen haben.
    Oder denken Sie an die Erklärung eines — wenn auch vielleicht nur vorübergehenden — Aufnahmestopps für abgebrannte Brennstäbe aus der Bundesrepublik Deutschland in Frankreich.
    Oder nehmen Sie die Meldungen über Gorleben! Ist der Salzstock, wie auch ich persönlich immer geglaubt habe, wirklich die am besten geeignete Endlagerstätte?
    Diese Fragen, verehrter Herr Kollege Strauß, beschäftigen nicht nur die Bürger und die Behörden in unserem Land. Denken Sie einmal an die von ihrer Industriekapazität her sehr auf billige und rationelle Energieversorgung angewiesenen Vereinigten Staaten. Seit 1978 ist in den USA kein einziger Antrag mehr auf Errichtung eines Kernkraftwerks gestellt worden. 39 bestellte Kernkraftwerke sind abbestellt worden. Allein dieses eine Beispiel zeigt, daß alle Erklärungen, hier werde durch eine uneinsichtige Politik der Koalition irgend etwas versäumt, doch nicht richtig sein können.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Lassen Sie mich nun zu dem Thema Investitionsstau im Bereich neuer Medien kommen. Ich hatte das wirkliche Vergnügen, bei der diesjährigen Internationalen Funkausstellung zu sein. Man ist geradezu überrascht von dem, was da an technischen Neuheiten geboten wird. Es ist wirklich beeindrukkend. Man muß dafür natürlich die Kunden finden. Da gibt es inzwischen Videorecorder, die sich hervorragend verkaufen und bei denen es erfreulicherweise einen großen Produktionsauftrieb gibt; da gibt es Videokameras, mit denen man selber Filme machen kann, die man sich dann mit dem Fernseher vorspielen kann; da kann man von ARD und ZDF Videotext haben; da gibt es einen Bildschirmtext, den die Post mit Service versieht; da gibt es die Bildschirmplatte. Die Frage ist — alle Hersteller haben sie aufgeworfen —: Kaufen die Bürger das denn? Denn das ist natürlich mit Kosten verbunden.
    Nun kann man natürlich fragen: Wie ist es mit dem Kabelfernsehen? Hat da die Bundesregierung etwas versäumt und einen Investitionsstau verursacht oder gar verschuldet? Richtig ist, daß die Bundesregierung ursprünglich den Plan hatte, in zwölf Großstädten Verkabelungen mit Kupferkabeln vorzunehmen. Dieser Plan ist im September 1979 gestoppt worden, weil sich inzwischen eine sehr viel bessere Möglichkeit ergibt. Sie wissen, Kupfer müssen wir einführen, weil wir es nicht in ausreichender Menge zur Verfügung haben. Aber jetzt gibt es die Möglichkeit, das Breitbandglasfaserfernmeldenetz auszubauen. Das ist sehr viel günstiger, sehr viel weniger von Rohstoffeinfuhren abhängig.
    Es ist doch vernünftig, wenn die Bundesregierung sagt: Wir haben jetzt eine neue Technologie zur Verfügung,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    die die Industrie entwickelt hat und die wir jetzt einsetzen wollen. Deshalb hat die Bundesregierung am 8. April dieses Jahres den Beschluß gefaßt— der zu unterstützen ist —, jetzt solche Glasfaserfernmeldenetze einzurichten. Daß es im übrigen Verkabelungen in sogenannten Abschattungsgebieten schon immer gegeben hat, ist ja bekannt.
    Diese Kabelpilotprojekte, an denen sich die öffentliche Hand neben den Rundfunk- und Fernsehanstalten stark beteiligen soll, sind auf einige Städte



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    begrenzt, aber mit erheblichen Kosten verbunden. Weil das in Nordrhein-Westfalen initiiert worden ist, möchte ich Ihnen nur sagen, daß das Kabelpilotprojekt Dortmund für 7 000 Teilnehmer eine Investitionssumme von 300 Millionen DM erforderte. Aber wir haben noch gar keine 7 000 Bürger in Dortmund, die bereit sind, sich daran anschließen zu lassen, weil sie natürlich einen gewissen Eigenbeitrag bezahlen müssen, der, gemessen an dieser gewaltigen Investitionssumme, natürlich sehr niedrig ist.
    Ich bin also skeptisch, wenn ich höre, hier hätten die Bundesregierung, die politischen Parteien oder die Behörden versagt, weil sie für die neuen Medien zuwenig getan hätten. Wir werden immer wieder — das halte ich für ein gutes Zeichen — durch den Ideenreichtum unserer Ingenieure mit immer neuen Planungen und Projekten vertraut gemacht. Es ist doch selbstverständlich, daß wir, ehe wir Geld für ein technisch schon fraglich gewordenes oder gar überholtes Projekt einsetzen, die jeweils neueste Entwicklung nehmen. Da bietet sich z. B. jetzt verstärkt das Satellitenfernsehen an.
    Nachdem das einige Zeit unklar war, ist nunmehr der Vertrag zwischen der Bundesregierung und der Regierung der französischen Republik vor einigen Wochen darüber geschlossen worden, daß zwei Satelliten gebaut werden, die in 36 000 km Höhe über dem Äquator stehen. Der deutsche Satellit wird übrigens drei Monate vor dem französischen fertig. Es ist faszinierend, mitzuerleben, wie die Techniker den Ablieferungstag, 15. August 1984 für den deutschen, drei Monate später für den französischen Satelliten, nennen. Ich habe dazu von der recht bemerkenswerten Firma Euro-Satellit GmbH einen Vortrag gehört, die in der bayerischen Landeshauptstadt München ihren Sitz hat. Man kann nicht bestreiten, daß gute Leute in dieser Euro-Satellit GmbH tätig sind. Sie haben gesagt: Mit diesem einen deutschen Satelliten, der ganz Mitteleuropa bedienen kann, machen wir 5 000 Sender überflüssig. Ich meine, es wäre durchaus sinnvoll, wenn wir das unterstützen, was die Bundesregierung ohnehin getan hat. Dann wird sich manches, was lange Zeit als letzter Schrei innovativen Ideenreichtums gegolten haben mag — das ist nicht gegen die, die das erdacht haben, gerichtet —, als schon überholt zeigen.
    Ich möchte also sagen: Investitionsstau durch falsche Entscheidungen oder nicht getroffene Entscheidungen ist nicht nachweisbar.
    Lassen Sie mich nun einen Punkt aufgreifen, bei dem das Land Nordrhein-Westfalen nicht den Vorschlägen folgen kann, die hier gemacht worden sind. Ich meine die Frage des Kindergelds. Beim Kindergeld ist die nordrhein-westfälische Landesregierung der Meinung — sie hat schon beschlossen, das im Bundesrat auch als Antrag vorzulegen —, daß die jetzigen Sätze beim Kindergeld beibehalten werden sollten, daß also keine Kürzung beim zweiten und dritten Kind um je 20 DM vorgenommen werden sollte. Es soll also das festgeschrieben werden, was seit 1. Februar dieses Jahres gilt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Natürlich sehen wir vollauf, daß hier erhebliche Belastungen auf den Bund zugekommen sind. Ich möchte an die Beträge erinnern. 1974 zahlte der Bund ein Kindergeld in Höhe von 3,1 Milliarden DM. Daneben gab es einen steuerlichen Kinderfreibetrag; aber an dessen Aufbringung war der Bund damals nur mit 43 % beteiligt. Die Länder waren ebenfalls mit 43 % und die Gemeinden mit 14 % beteiligt. Mit anderen Worten, da war eine Lösung gefunden worden, von den Nachteilen des dualen Systems einmal abgesehen, die den Bund finanziell nicht allein belastete. Dann kam 1975, mit breiter Mehrheit in beiden gesetzgebenden Häusern beschlossen, eine Neuordnung des Kinderlastenausgleichs, durch die die Zweiteilung, einmal bar gezahltes Kindergeld, zum anderen steuerrechtliche Kinderfreibeträge, abgeschafft worden ist und die Förderung ausschließlich durch das Kindergeld vorgenommen wurde, das dann — wenn man will — bis zu diesem Jahr ausschließlich der Bund gezahlt hat. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, sind für 1981 19 Milliarden DM eingesetzt worden.

    Der Gedanke, der uns damals — nicht alle, das gebe ich zu, aber doch die ganz überwiegende Mehrheit — bei dieser Entscheidung zur Neuordnung des Kinderlastenausgleichs getragen hat, war, daß unabhängig von der Vermögens- und Einkommenssituation der Familie, in der das Kind lebt, für jedes Kind dasselbe gezahlt werden sollte. Das Prinzip war: Jedes Kind bekommt dasselbe Kindergeld. Daran möchten wir festhalten, selbstverständlich darum wissend, daß es zu bequem wäre, wenn die Länder jetzt sagten: Bund, bleib du bei deinen Lasten, und wir beteiligen uns daran — abgesehen von der Milliarde, über die ich gleich noch etwas sagen muß - nicht.
    Wir haben einen Vorschlag zu machen, von dem ich hoffe, daß er nicht sofort auf Ihr Nein stoßen wird; jedenfalls bitte ich Sie sehr darum, zu prüfen, ob Sie nicht mit uns diesen Weg gehen können.
    Bei der Einführung der Kinderbetreuungskosten hatten wir ja fest vor, daß wir nicht auf einem Umwege die 1974 abgeschafften Kinderfreibeträge wieder ins Steuerrecht einführen wollten. Das war unsere Überzeugung.

    (Beifall bei der SPD)

    Um da auch ganz sicher zu sein, haben wir den Betreuungsbetrag nicht als Freibetrag deklariert, sondern ihn beim § 33 a des Einkommensteuergesetzes, nämlich bei den außergewöhnlichen Belastungen, angesiedelt.

    (Westphal [SPD]: Für Flötenkurse usw.!)

    Wir müssen sagen, daß die Entwicklung in den Ländern ganz uneinheitlich verlaufen ist. In einigen Bundesländern werden die Kinderbetreuungskosten heute praktisch wie ein Kinderfreibetrag behandelt, jedenfalls was die Hälfte des Betrages anlangt, d. h. 600 DM je Kind, wenn beide Eltern noch leben. Dies ist nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)




    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    Der zweite Punkt: Die Verwaltungsschwierigkeiten sind groß. Ich möchte Sie jetzt nicht damit langweilen, daß ich einmal wiedergebe, welche Erlasse die einzelnen Oberfinanzdirektionen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema herausgegeben haben. Die Abgrenzungen sind schwierig, und die Handhabung ist uneinheitlich. Nach derzeitigem Stand gelten als Kinderbetreuungskosten
    — nicht überall, aber teilweise geht es so weit —: Nachhilfeunterricht, Einzelmusikunterricht, Tanzkurse, Reitunterricht, Beiträge zu Sportvereinen, Bezahlung eines Tennistrainers, Skikurse — —

    (Westphal [SPD]: Junge, Junge!)

    — Das alles entnehme ich Erlassen von Oberfinanzdirektionen an ihre nachgeordneten Behörden.
    Alle, die damals am Vermittlungsverfahren beteiligt waren, werden sagen: Das war nicht der Sinn. Aber dies waren Originalbeiträge aus den Erlassen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Frau Dr. Timm [SPD]: Eine Fehlentwicklung!)

    Die Abgrenzung ist also schwierig.

    (Westphal [SPD]: Und das noch mit besseren Absetzungsmöglichkeiten für die Höherverdienenden!)

    Diese uneinheitliche Handhabung ist also der zweite Punkt. Wir haben uns dann damit geholfen — das ist, wenn man so will, ein Ausweg, und zwar ein vielleicht bequemer, aber doch nicht redlicher Ausweg —, daß wir gesagt haben: Gut, die Hälfte des Betrages decken wir mit einer Nichtbeanstandungsgrenze ab; da braucht der Betreffende fast nichts zu sagen, er braucht nur zu sagen, ich habe drei Kinder, die bis 18 Jahre alt sind. Das ist die einzige Voraussetzung. Dann wird das von vielen Finanzämtern anerkannt. So ist es leider. Das ist nach meiner Meinung und auch nach der ganzen Entstehungsgeschichte nicht richtig.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: So war es von uns gemeint!)

    — So war es nicht gemeint!
    Jetzt kommt der dritte Punkt. Diese Kinderbetreuungskosten, die steuerlich berücksichtigt werden können, begünstigen nun wieder — wie ich einräume, wegen der Steuerprogression zwangsläufig
    — die Besserverdienenden.

    (Frau Dr. Timm [SPD]: Natürlich!)

    Im ganzen Bereich der Proportionalzone, also bei Verheirateten mit bis zu 36 000 DM Jahreseinkommen, beträgt die maximale Entlastung — bei dem Betrag von 600 DM, d. h. der Nichtbeanstandungsgrenze — 22 %, während sie bei höheren Einkommen bis zu 56 % dieses Betrages hinaufgeht. Und wenn man Reitkurse usw. mit einbezieht, kann man schon die 1 200 DM als Grundlage nehmen; das führt schon zu einem Betrag, der ins Gewicht fällt.
    Gerade dies sollte durch den einheitlichen Kindergeldbetrag ausgeschaltet werden. Das ist der dritte Punkt, der gegen die Kinderbetreuungskosten spricht.
    Ein vierter Punkt: Sie wissen, daß der Bund im Vermittlungsverfahren erklärt hat, er könne die angehobenen Kindergeldbeträge für zweite, dritte und folgende Kinder nicht mehr allein zahlen und daß sich die Länder beteiligen müßten. Dann ist es zu einer Vereinbarung gekommen — sie betrifft allerdings nicht nur das Kindergeld —, wonach die Länder an den Bund insgesamt eine Milliarde DM zahlen. Da gibt es nun Meinungsunterschiede. Mehrere Bundesratskollegen sagen: Wenn der Bund hier Kürzungen vornimmt, dann wird auf jeden Fall diese eine Milliarde DM, die die Länder an den Bund entrichten, entsprechend gekürzt. Ich habe Zweifel, ob das richtig ist, was da gesagt wird; denn die Vereinbarung lautet:
    Die Länder zahlen dem Bund zum Ausgleich der finanziellen Folgen des Steuerentlastungsprogramms und zur Verbesserung des Familienlastenausgleichs im Jahre 1981 eine Milliarde.
    Das wurde am 3. April 1980 vereinbart.
    Ob also die Meinung einiger Bundesratskollegen, das sei eine Milliarde DM, die ausschließlich als Ausgleich für die Erhöhung des Kindergeldes gezahlt werde, zutreffend ist, ist mindestens zweifelhaft.

    (Westphal [SPD]: Falsch!)

    — Ich sage vorsichtig: Sie ist mindestens zweifelhaft.
    Der Wortlaut spricht jedenfalls für die Auffassung des Bundesfinanzministers. Mit Gesetzesauslegung beschäftigte Leute — solche habe ich hier vor mir sitzen — wissen: Für Auslegungen gibt es eigentlich gar keinen Raum, wenn der Wortlaut klar und eindeutig ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Wo der Wortlaut klar ist, da ist kein Raum mehr für
    Überlegungen, was denn wohl teleologisch oder final
    — und wie das alles so heißt — gemeint gewesen sein könnte. Der Wortlaut ist klar. Da steht ein „und". Es heißt: „... der finanziellen Folgen des Steuerentlastungsprogramms und zur Verbesserung des Familienlastenausgleichs ..."
    Ich meine deshalb, daß die Mehrheit im Bundesrat gut beraten wäre, nicht so zu tun, als könnte sie dem Bund — wie sie meint — 75 % dieser einen Milliarde DM, also 750 Millionen DM, vorenthalten, wenn es zu einer Kürzung des Kindergeldes käme.
    Wäre es da nicht besser, sich auf diesen von mir vorgeschlagenen Kompromiß einzulassen, das Kindergeld unverändert zu lassen, diese eine Milliarde DM weiter zu bezahlen und vor allen Dingen auf die Kinderbetreuungskosten zu verzichten,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    hinsichtlich derer noch ein fünfter Grund hinzukommt?
    Dieser fünfte Grund ist folgender: Beim Bundesverfassungsgericht wird zur Zeit auf Grund einer Verfassungsbeschwerde geprüft, ob denn diese Regelung mit den Kinderbetreuungskosten insoweit überhaupt verfassungsgemäß sei, als sie eine Beschränkung des Höchstbetrages für Ein-Eltern-Fa-



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    milien auf 600 DM festlegt. Wenn beide Ehegatten leben und Kinder haben, können für jedes Kind Kinderbetreuungskosten in Höhe von 1 200 DM abgesetzt werden. Ist aber eine Frau oder ein Mann verwitwet, kann sie oder er für das Kind nur die Hälfte absetzen, selbst wenn Belege für den vollen Betrag beigebracht werden. Ob das richtig ist, ist in der Tat nicht so eindeutig zu beantworten. Das Kindergeld, das bar bezahlt wird, ist eindeutig. Da ist Kind gleich Kind. Ob es eine Waise, Halbwaise oder Vollwaise, ist oder ob beide Eltern leben, das Geld wird für das Kind gezahlt. Bei der Regelung der Kinderbetreuungskosten ist der Anknüpfungspunkt nicht mehr das Kind, sondern die Frage, ob beide Eltern leben oder ob es eine Ein-Eltern-Familie ist.
    Es gibt zwar viele Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht — und die meisten bleiben erfolglos —, aber ich weiß nicht, ob diese im Dreier-Ausschuß als offensichtlich unbegründet verworfen wird. Ich weiß es nicht. Darin liegt jedenfalls ein Risiko.
    Diese fünf Gründe veranlassen das Land Nordrhein-Westfalen, dafür einzutreten, daß das Kindergeld unverändert in dem seit 1. Februar dieses Jahres geltenden Umfang gezahlt wird,

    (Beifall bei der SPD)

    unter Beteiligung der Länder, und daß auf die Kinderbetreuungskosten verzichtet wird. Das Volumen der Minderung der Steuereinnahmen, das wir uns da gemeinsam vorgestellt haben, ist nämlich wesentlich überschritten. Wir hatten gedacht, maximal würden es vielleicht zwei Milliarden. Bei voller Anwendung als quasi Kinderfreibetrag betragen die Ausfälle für die einzelnen Ebenen bis zu 3,5 Milliarden DM.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Wir können zur Zeit nicht überblicken, in welchem Umfange es voll angewendet wird. Darin liegt wiederum ein Risiko, das zu 42 % von den Ländern mitgetragen werden muß.
    Nun ist bei dem sogenannten sozialen Netz oft gesagt worden, es gebe zu viele Mißbräuche, es gebe zu viele Ungereimtheiten und ähnliches mehr. Es läßt sich nicht bestreiten, daß es auch dort Mißbräuche gibt. Ich möchte irgendeine Einrichtung in unserem Gemeinschaftsleben sehen, die nicht mißbräuchlich benutzt werden kann. Wir wissen alle, viele der besten Heilmittel werden, wenn sie in Überdosis genommen werden, zu einer schädlichen, manchmal tödlichen Wirkung führen. So ist auch hier selbstverständlich ein Mißbrauch möglich und denkbar, und manche haben solche Mißbräuche schnell zur Hand.
    Lassen Sie mich zum sozialen Netz dies sagen: Das soziale Netz, das in Jahrzehnten geknüpft worden ist — es ist doch zu einem ganz erheblichen Teil mit breiten Mehrheiten geknüpft worden —, ist nicht, wie aus Unmut über einzelne Mißbrauchsfälle behauptet wird, eine Hängematte für Faulpelze, sondern dieses soziale Netz leitet sich aus dem auf dem
    Grundsatz der Solidarität beruhenden Sozialstaatsprinzip der Bundesrepublik Deutschland her.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Mißbrauchsfälle müssen abgestellt werden. Es gibt in den Vorschlägen, die jetzt vorgelegt worden sind, Ansatzpunkte. Ich stimme bis auf die Höhe — das glaube ich nicht mitvertreten zu können — voll 'mit Ihnen überein, Herr Kollege Strauß. Bemessungsgrundlage, Mobilität und Zumutbarkeit bilden — da haben Sie recht — in der Tat ein Einfallstor für Mißbräuche, zwar nicht bei allen, bei weitem nicht, aber hier gibt es Ungereimtheiten. Es kann nicht richtig sein, daß ein Arbeitsloser, der acht Monate im Jahr gearbeitet hat, unter Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes über den Lohnsteuerjahresausgleich mehr zur Verfügung hat als der, der das ganze Jahr hindurch Tag für Tag gearbeitet hat. Das kann nicht akzeptiert werden und soll durch die Vorschläge der Koalition abgestellt werden. Wenn man eine solche Ungereimtheit erkannt hat, muß man sie beseitigen, und dazu sind wir bereit.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    Glauben Sie nicht, Arbeitslosengeld sei eine Sache, die generös vergeben und die in einer von vielen gar nicht richtig erkannten Höhe gezahlt würde. Arbeitslosengeld wird doch nur dann gezahlt, wenn der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren mindestens ein halbes Jahr lang versicherungspflichtig beschäftigt war. Je nach Beschäftigungsdauer innerhalb dieses Zeitraums von drei Jahren besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von drei bis maximal zwölf Monaten. Die Höhe des Arbeitslosengeldes entspricht 68 % der in den letzten drei Monaten vor der Arbeitslosigkeit erzielten durchschnittlichen Nettovergütung — Nettovergütung, nicht 68 % des Gehalts oder des Lohns. Die Arbeitslosenhilfe, die spätestens nach einem Jahr einsetzt, beträgt nur noch 58 %. Da wird vieles eingerechnet, auch Einkommen oder Vermögen des Ehegatten und ähnliches mehr. Die Beitragsbemessungsgrenze für dieses Arbeitslosengeld beträgt 4 400 DM im Monat. Das ist die Bruttogrenze. Davon wird der Nettobetrag genommen und davon dann 68 %. Das ist das Arbeitslosengeld. Das sind nicht etwa riesige Summen, wie man sie sich da vorstellt. Ich habe das einmal ausgerechnet. Bei einem Verheirateten in Steuerklasse III beträgt das denkbar höchste Arbeitslosengeld, das für höchstens ein Jahr gezahlt wird, 1 912,80 DM, egal wieviel er vorher verdient hat. Das ist das maximal erreichbare Arbeitslosengeld bei dem, der viel verdient hat. Das gilt nicht für die Masse derjenigen, die arbeitslos werden.
    Sicher gibt es Mißbräuche, sicher gibt es Fehlverhalten bei denen, die Schwarzarbeit machen. Das wollen wir ja auch abschaffen. Das ist auch ein Teil der Vorschläge: Kampf gegen die Schwarzarbeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir sagen auch, daß das nicht in Ordnung ist.

    Aber ist die Schwarzarbeit nur eine Sache der Arbeitnehmer? In der Regel können diese ja nicht ohne



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    Einschaltung eines Unternehmers auf einer Baustelle tätig werden. Da liegt wohl nicht nur auf Arbeitnehmerseite ein Mißbrauch vor.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir dürfen uns nicht von dem Gedanken leiten lassen, als hätten wir nicht beim Abstellen der Mißbräuche die tatsächliche energische Unterstützung der Arbeitnehmer selbst und der Gewerkschaften auf unserer Seite; denn die leiden ja gerade darunter.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Zahlungen in die Arbeitslosenversicherung werden doch zur Hälfte vom jeweiligen Arbeitgeber, zur anderen Hälfte aber vom Arbeitnehmer geleistet und nicht von den vielen, die den angeblich zu großen Umfang des Arbeitslosengeldes so heftig und so wortschnell beklagen. Die zahlen nämlich überhaupt nichts in die Arbeitslosenversicherung.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb haben die Arbeitnehmer ein Interesse daran, daß wir Mißbräuche aufspüren, ihnen nachgehen und sie abstellen. Dies soll ja geschehen: Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs, der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, der Schwarzarbeit. Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, sondern ausdrücklich sagen: Dem stimmen wir zu.
    Lassen Sie mich noch ein Stichwort nennen: Mißbrauch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Damit wird auch sehr viel gearbeitet, und es wird so getan, als hätten die Arbeiter das Vertrauen nicht verdient gehabt, das damals Bundestag und Bundesrat in sie gesetzt haben, als sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für die Arbeiter beschlossen und damit endlich einen sozialpolitischen Skandal beendet haben, nämlich daß die Angestellten — oft ist die Abgrenzung zwischen Angestellten und Arbeitern fließend — diesen Anspruch hatten, die Arbeiter aber nicht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Die gesetzliche Regelung, die freilich durch tarifvertragliche Vereinbarung abgeändert werden kann, sieht vor, daß die Arbeiter nach wie vor sofort zum Arzt gehen und sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen lassen müssen. Diese Bescheinigung muß bereits den ersten Tag der Erkrankung umfassen. Angestellte und Beamte brauchen diese Bescheinigung erst vom vierten Tag ihrer Erkrankung ab vorzulegen. Ich glaube, dies muß man sehen, und das hätte ich gern in die Debatte eingeführt.
    Nehmen Sie als Beispiel einen pflichtbewußten Angestellten — wir haben sehr viele pflichtbewußte Angestellte und Beamte, wie ich ausdrücklich hinzufüge —, der am Donnerstag krank wird. Aber diese Erkrankung ist leichter Art. Donnerstag und Freitag fehlt er. Samstag und Sonntag sind sowieso frei. Am Montag, am fünften Tag, meldet er sich wieder gesund. Er braucht für diese beiden Tage keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Mit anderen Worten: er taucht nicht in der Statistik auf.
    Aber der Arbeiter, der krank wird, muß eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, und er taucht immer in der Statistik auf, selbst dann, wenn er nach zwei Tagen, wenn er für sieben Tage krankgeschrieben sein sollte, wieder im Betrieb erscheint. Der Arbeiter steht in der Statistik.
    Die Angestellten, die, was ich lobend erwähnen will, ihre leichte Erkrankung nicht zu einer Dauerkrankheit werden lassen und wieder in den Betrieb zurückkehren, können, wenn man das Wochenende einrechnet, fünf Tage ohne eine solche ärztliche Bescheinigung der Arbeit fernbleiben. Das für uns wichtige Ergebnis ist, daß sie in der Statistik nicht erfaßt sind, denn für sie ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erteilt worden. Deshalb ist die Schlußfolgerung, die aus derartigen Statistiken gezogen wird, als seien die Arbeiter eher als andere bereit, „blau zu machen", oder eine Erkrankung vorzutäuschen, falsch. Die Statistik gibt aus dem Grund, den ich soeben geschildert habe, diese Aussage nicht her.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bin sehr froh darüber, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei gesagt hat: Wenn der Gedanke der Karenztage überhaupt aufgegriffen wird, dann muß er für alle Gruppen von Arbeitnehmern gelten. Ich bin nicht dafür; ich habe die Gründe genannt. Aber wenn, dann muß diese Gleichbehandlung beibehalten werden. Sie ist einer der ganz wichtigen sozialpolitischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Der Bund erwartet Zustimmung des Bundesrates zu wichtigen finanzpolitischen Entscheidungen für den Zeitraum 1982 bis 1985, die — das ist von einigen meiner Kollegen im Bundesrat öffentlich kritisiert worden — zu sehr unterschiedlichen Haushaltsentlastungen führen. Es wird — richtig — vorgerechnet, daß der Bund in diesem Zeitraum 1982 bis 1985 eine Entlastung von 78 Milliarden DM, die Länder von 9,5 Milliarden DM und die Gemeinden von 1,5 Milliarden DM haben oder, wie das in Prozenten ausgerechnet worden ist: 88 % : 10 % : 2 %.
    Es ist die Frage gestellt worden, ob es für Länder und Gemeinden nicht unzumutbar sei, wenn die Entlastung durch diese finanzpolitischen Entscheidungen zu fast 90% beim Bund lägen. Dieser Hinweis ist verständlich. Aber er geht fehl; denn es liegt in der Natur der Sache, daß die Entlastung beim Bund sehr viel höher sein muß als bei den Ländern und Gemeinden, wenn Einschränkungen bei Bundesgesetzen erfolgen, für deren Finanzierung der Bund entweder ganz — wie bei den Arbeitslosen — oder zu einem ganz überwiegenden Teil die Mittel bereitstellt. Deshalb sage ich: Der Hinweis ist richtig, aber er besagt nicht viel. Wenn der Bund Maßnahmen zu 100 % bezahlt hat, dann ist es doch selbstverständlich, daß er bei Einschränkungen in diesem Bereich auch zu 100 % entlastet wird.
    Ich darf die verehrten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU daran erinnern: Wenn Sie mit Ihrem Vorschlag, den ich nicht unterstütze, durchkämen,



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    bei der Arbeitslosenversicherung Entlastungen vorzunehmen, käme diese Entlastung zu 100% dem Bund zugute, d. h. die Länder und Gemeinden würden mit keiner Mark entlastet. Ich wollte das nur verdeutlichen.

    (Westphal [SPD]: Und die Sozialhilfe würde mehr belastet!)

    — Richtig. Ich komme gerade darauf zu sprechen, verehrter Herr Kollege Westphal.
    Eins ist sicherlich richtig — der Bundesrat muß sich da auch wirklich einbeziehen —, und das wollen wir als Grundprinzip unseres gesamtstaatlichen Verantwortungsbereiches gelten lassen: Es führt uns nicht auf den richtigen Weg, wenn eine Gebietskörperschaft — sei es der Bund, seien es die Länder oder Gemeinden — Entlastungen beschließt, die mehr oder weniger unvermeidlich zu Belastungen einer anderen Gebietskörperschaft führen.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: So ist es!)

    Das muß ein Grundsatz sein. Deshalb sage ich — das sage ich auch im Bundesrat, übrigens in umgekehrter Richtung zum Bund hin; es ist immer leicht zu sagen, Bund bezahle, dann ist die Sache gelaufen, dann machen wir mit; so geht es nicht —: Wir haben alle eine gesamtstaatliche Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland. Wir müssen daher darauf achten, daß Entlastungen, die durch dieses Paket entstehen, nicht zu Mehrbelastungen der Länder und der Gemeinden etwa im Bereich der Sozialhilfe führen. Das wird in den weiteren parlamentarischen Beratungen sorgfältig zu beachten sein.
    Ich habe mit großem Interesse gelesen, daß der Herr Bundesfinanzminister gestern bei Einbringung des Haushalts 1982 gesagt hat, er sehe für 1982 eine Nettokreditermächtigung von 26,5 Milliarden DM vor. Man kann natürlich sagen, auch jene Summe sei zu hoch. Dafür kann man Gründe nennen. Aber das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ich kann wirklich nur von ganzem Herzen wünschen, daß diese Zahl annähernd erreicht wird. Um einmal deutlich zu machen, wie ehrgeizig dieses Ziel ist und was es für den Haushaltsvollzug 1982 bedeutet, darf ich daran erinnern, daß die Nettoneuverschuldung des Bundes 1975 bei einem unvergleichlich niedrigeren Etatvolumen 29,9 Milliarden DM betrug. Wenn mich jemand fragt, ob es Anzeichen dafür gibt, daß der Bund erkennt, daß man Ausgaben — unter Beteiligung aller, die dazu beitragen können — zurückdrehen muß, dann antworte ich: Ein Anzeichen dafür ist, daß der Bund eine Nettokreditermächtigung für 1982 vorsieht, die um 3,4 Milliarden DM unter der liegt, die — bei einem wesentlich geringeren Haushaltsvolumen — 1975 tatsächlich erforderlich war. Ich wünsche dem Bundesfinanzminister von Herzen, daß er dieses ehrgeizige Ziel erreicht.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Wer glaubt dies?)

    In der Öffentlichkeit ist durch die Fülle der Einzelvorschläge, die — nicht zuletzt während der Sommerpause — gemacht worden sind, weitgehend Unsicherheit, j a Verwirrung entstanden. Man sollte, glaube ich, für die Öffentlichkeit noch einmal deutlich machen — dies gehört nun auch zu den gemeinsamen Bemühungen —, wie diese Einzelvorschläge zu sehen sind. Man darf sie nicht addieren, und vor allen Dingen darf man sie nicht mit gefaßten Beschlüssen verwechseln, über die allein wir jetzt debattieren müssen: Es gibt keinen Vorschlag mehr zur Erhöhung der Heizölsteuer. Es gibt keinen Vorschlag mehr zur Einführung einer Erdgassteuer. Es gibt keinen Vorschlag zur Kürzung der Renten der Kriegsopfer bzw. zur Begrenzung auf eine maximal 2%ige Erhöhung. Es gibt in dem Paket keinen Vorschlag zur Kürzung der Arbeitslosenunterstützung von 68 % auf 63 % oder irgendeinen anderen Betrag. Es gibt keinen Vorschlag zur Verdoppelung der Mehrwertsteuer bei Büchern und Zeitschriften.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gibt keinen Vorschlag, bei Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Karenztage für Arbeiter oder Arbeitnehmer überhaupt einzuführen. Dies ist nicht Gegenstand des Paketes, über das jetzt debattiert und schließlich auch entschieden werden muß.
    Das andere ist, daß wir dem Bürger gegenüber Offenheit mit Wissensvermittlung verbinden in dem ständigen Bemühen, dem Bürger Angst zu nehmen. Ein Stichwort: In den vergangenen Jahren war dem Bürger die Angst vor der Währungsreform sehr drastisch dargestellt worden, heute aber weiß jedermann, daß er Angst vor einem Wertverfall der Deutschen Mark nicht zu haben braucht.

    (Beifall bei der SPD)

    Das Geld, die deutsche Währung war selten so wertvoll wie heute. Um deutsche Währung zu bekommen, muß man viel Geld aufwenden. In den vergangenen Jahren ist immer wieder beklagt worden, der Sparer werde auf kaltem Wege enteignet, weil der Sparzins — einige Jahre war es tatsächlich so — geringer sei als die Preissteigerungsrate. Heute, so stelle ich fest, ist der Sparer sehr begehrt. Um sein Geld bemühen sich auch die Banken und Sparkassen. Die Deutsche Mark ist eine wertvolle Währung. Ich bin froh, daß — allerdings nach langem Zögern — die Sachverständigen diesen Punkt in ihrem Sondergutachten vor einigen Monaten einmal herausgegriffen und gesagt haben: Dieses Gerede von der drohenden dritten Währungsreform in Deutschland muß vom Tisch; es ist völlig falsch.
    Wenn wir das Programm, meine Damen und Herren, das wir nun im Bundestag und im Bundesrat beraten, durchziehen wollen — wenn auch in dem einen oder anderen Punkt vielleicht geändert oder ergänzt —, dann bin ich sicher, daß wir in unserem Volk auf viel Einsicht stoßen werden. Wir müssen nur den Mut haben, es den Bürgern zu sagen und Vorbild zu sein. Deshalb schließe ich mit einem Dank an die Fraktionen des Deutschen Bundestages, mit Dank für ihren Beschluß, 1981 und 1982 auf eine Diätenerhöhung zu verzichten,

    (Beifall bei der SPD)

    obwohl es — dies sage ich hier vor Ihnen und in der Öffentlichkeit als Mitglied des Bundesrates — gute Gründe dafür gibt, die seit 1977 unverändert gebliebenen Diäten im Hinblick auf die Einkommensentwicklung in anderen Bereichen anzuheben; das sage



    Minister Dr. Posser (Nordrhein-Westfalen)

    ich ausdrücklich. Ich meine, dies ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir werden in der Öffentlichkeit viel Unterstützung finden, wenn die Bürger merken, daß es uns Ernst mit dem ist, was wir vorhaben. Wir selber sind bereit, bei diesem Sparpaket, bei diesen Sparmaßnahmen soziale Gerechtigkeit ganz vorrangig als Wert zu erkennen und soweit wie möglich durchzuhalten.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)