Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es war einmal ein König, der regierte vor langen Jahren ein schönes und großes Reich. Eines Tages lustwandelte er in seiner Hauptstadt und betrachtete sich die Häuser seiner Bürger. Und er stellte fest, daß Wohlstand herrschte. Als er zurückkam, schaute er auf seinen Palast. Und da dünkte ihn dieser Palast, der ihm bis dahin bei seinen Regierungsgeschäften treulich gedient hatte, gering.
Da rief er die Baumeister des Reiches zusammen und holte die Berichte der Hofleute und der Gesandten ein. Es wurde ihm berichtet, daß es große Hallen gebe aus Gold, Elfenbein und Ebenholz im Lande Arabia, Hallen mit Alabaster-Kuppeln im Lande des Kaisers von Amerika. Und von Palästen mit goldenen Türmen im Lande des Zaren aller Reußen wurde berichtet. So wuchs der Wunsch.
Die Baumeister machten Vorschläge, und sie riefen alle: „Pfui, wie scheußlich ist dies alte Gebäude!"
Sie schlugen vor, eine grüne Mitte in der Hauptstadt vorzusehen.
Sie schlugen eine imperiale Lösung vor, bei der sich einige an ihre Perücken faßten, weil sie nicht so recht wußten, was sie darunter verstehen sollten. Andere schlugen eine gläserne Halle vor, von der aus der König zu seinem Volk sprechen sollte. Diese Halle sollte prächtig ausgestattet sein, damit die Worte des Königs überall zu vernehmen seien. Und schließlich sollte auch der Versammlungsort der Landesfürsten prächtig gestaltet werden. All dies wurde erörtert.
Schließlich feierte der Souverän eines Tages ein Regierungsjubiläum. Da traten 12 Feen auf. Die Feen wünschten dem Bau Genialität und Repräsentation und Ruhm und daß er weithin in alle Lande strahle, damit alle anderen Länder sehen könnten, wie mächtig der Souverän dieses Landes sei. Aber die zwölfte Fee -- ich glaube, es war die liberale Fee —, die wandte sich gegen die gläserne Halle. Sie sagte: Wir wollen direkt zum Volke sprechen, wir brauchen keine neue gläserne Halle; die alte tut es auch. Und sie wollte keine grüne Mitte, denn sie wollte keinen Abstand, sie wollte die Zugänglichkeit des alten Hauses behalten und verstärken. Auch wollte sie keinen Ersatz der vorhandenen Palastgebäude. Sie wollte überhaupt keinen Neubau, denn sie stellte fest: Das alte hat es lange Jahre getan, es wird es auch weiter tun. Wir wollen sorgsam mit dem Alten umgehen. — Sie wollte, daß Sparsamkeit und Einfachheit bleiben sollten, daß es trotzdem schön sein könnte. Darüber sollten sich die Baumeister Gedanken machen, wenn sie weiter planen würden.
Das war die Vorstellung der liberalen Fee.
Dann kam aber eine dreizehnte Fee. Wir wissen: die dreizehnte war nicht geladen. Sie hat sich aber leicht Zutritt verschaffen können, leichter, als das heute möglich ist. Plötzlich stand sie da. Sie war übrigens nicht die Opposition, Herr Kollege Kohl.
Damals gab es noch keine Opposition; ich weiß nicht, ob es sie heute gibt.
Sie wünschte dem König, dem Souverän und dem Palast einen hundertjährigen Schlaf, und während sie das sagte, wuchs schon eine große Hecke empor. — Und wenn sie dann aufgewacht sind, dann planen sie noch weiter.