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ID0904301400

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    Plenarprotokoll 9/43 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 43. Sitzung Bonn, Freitag, den 5. Juni 1981 Inhalt: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksachen 9/50, 9/265, 9/471 bis 9/498 — Haase (Kassel) CDU/CSU 2455 B Westphal SPD 2461 D Hoppe FDP 2467 B Matthöfer, Bundesminister BMF 2471A Dr. Müller CDU/CSU 2474C Dr. Jenninger CDU/CSU 2476 D Wehner SPD 2477 C Gärtner FDP 2477 D Präsident Stücklen 2478 B Conradi SPD 2480 B Dr. Schneider CDU/CSU 2481 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 2483 A Dr. Müller CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 2483 D Namentliche Abstimmung 2484 C, D Nächste Sitzung 2486 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 2487*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 2487*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1981 2455 43. Sitzung Bonn, den 5. Juni 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1981 2487* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Francke (Hamburg) 5. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 5. 6. Korber 5. 6. Lenzer* 5. 6. Frau Dr. Lepsius 5. 6. Milz 5. 6. Frau Noth 5. 6. Frau Roitzsch 5. 6. Frau Schlei 5. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Dr. Stercken 5. 6. Dr. von Weizsäcker 5. 6. Windelen 5. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 1. Juni 1981 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Entwurf für eine Empfehlung des Rates betreffend die Strukturen der Elektrizitätstarife in der Gemeinschaft — Drucksache 9/37 Nr. 15 — Anlagen zum Stenographischen Bericht Die in Drucksache 9/515 unter Nummer 8 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms unter dem Leitgedanken „Wissenschaft und Technik im Dienste der Entwicklung" 1982-1985 wird als Drucksache 9/536 verteilt. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung nach Vereinbarung im Ältestenrat die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Entschließung des Europäischen Parlaments zur Umstrukturierungspolitik Stahl — Drucksache 9/454 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Stellungnahme der Bundesregierung zum Dritten Hauptgutachten der Monopolkommission 1978/1979 — Drucksache 9/460 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Entschließung des Europäischen Parlaments zum Neunten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik — Drucksache 9/464 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Haase hat sich bei seinen Mitstreitern im Haushaltsausschuß bedankt. Ich möchte ihm für die FDP-Fraktion diesen Dank zurückgeben: für seine heutige Rede mit Einschränkungen,

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Es bleibt noch genug übrig!)

    für die Leitung und den Vorsitz im Haushaltsausschuß uneingeschränkt.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Nur durch seine straffe und faire Leitung war es möglich, daß dieser Haushalt mit all seinen Problemen noch in dieser Woche beraten werden konnte und heute verabschiedet werden kann.
    Und so hat sich völlig reibungslos der Wechsel im Ausschußvorsitz von dem geachteten Kollegen Windelen, den wir zu einem stellvertretenden Präsidenten dieses Hauses wählen konnten, zu unserem neuen Vorsteher vollzogen.

    (Heiterkeit — Dr. Riedl [München] [CDU/ CSU]: Bei uns sind die Führungswechsel immer reibungslos!)

    Herr Kollege Haase hat hier gesagt, es habe im Haushaltsausschuß hektische Beratungen gegeben. Ich kann das nicht leugnen. Fairerweise — und da bleibe ich nun diskret — wollen wir allerdings sagen, daß wir uns diese Hektik zu einem Teil selbst beschert haben.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie waren oft nervös!)

    — Herr Kollege Riedl, soll ich doch etwas deutlicher werden? Ich lasse Sie gleichwohl mit Amerika in Ruhe.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Kollege Haase hat hier gesagt, die Minderausgaben seien eines der Probleme des Haushalts — in diesem und, solange wir Minderausgaben bei knapp bemessenen Haushaltszuweisungen haben, sicher auch im nächsten. Aber er hat daran die Aussage geknüpft und damit die Prämisse der Diskussion über die globale Minderausgabe verschärft, sie seien 1980 nicht erwirtschaftet worden.
    Hier muß ich korrigieren. Sie sind erwirtschaftet worden — allerdings mit dem Mittel der Haushaltsbeschränkung. Aber das ist genau das Mittel, das die Opposition, wenn ich ihre Entschließungsanträge richtig gelesen habe, auch für den Haushalt 1981 wieder fordert.
    Und dann hat der Kollege Haase seine früheren Lösungsmodelle für die Aufstockung des Verteidigungshaushalts über die Erhöhung des Nettokreditbedarfs noch einmal behandelt. Nun, das war ein Slalom rückwärts; ich gebe zu: gekonnt.
    Meine Damen und Herren, wir stehen miteinander vor der Frage: Wann heißt es „Hic Rhodos, hic salta"?

    (Kiep [CDU/CSU]: Das fragen wir Sie!)

    Herr Kollege Haase, mit Ihnen wiederhole ich noch einmal: Die Bundesregierung muß unverzüglich handeln, sie muß uns schnell die Voraussetzungen dafür liefern, daß wir nach der Sommerpause an die Beratungen des Haushaltes 1982 und an das notwendige, sie begleitende 2. Subventionsabbaugesetz herangehen können. Aber wenn ich sage „unverzüglich", also „ohne schuldhaftes Zögern", dann füge ich hinzu: Bei dieser für die Staatsfinanzen so existentiellen Frage muß Richtigkeit vor Fixigkeit gehen, und das sollte auch für die Opposition gelten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir brauchen in den nächsten Wochen und Monaten ein bis dahin noch nie benötigtes Maß an Courage, an Arbeitswut, an Gerechtigkeit und Augenmaß, wenn wir die anstehenden Probleme mit dem Haushalt 1982 verläßlich und unter Wahrung der sozialen Symmetrie in den Griff bekommen wollen. Was für Konrad Adenauer immer wieder mal gültig war, gilt



    Hoppe
    heute ohne Einschränkung: Die Lage war noch nie so ernst.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    — In der Tat, es geht nicht — ich sage es noch einmal —, sich hier noch einmal selbst etwas vorzumachen, sich etwas einzureden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ CSU]: Wie Sie das getan haben, Herr Kollege!)

    Ich wiederhole: Wer den Anlauf verkürzt, springt zu kurz.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Freie Demokraten und Sozialdemokraten haben daraus, glaube ich, bereits die Konsequenzen gezogen. Sie haben Arbeitsgruppen mit der intensiven Vorbereitung eines Entscheidungsprozesses beauftragt, an dessen Ende ein neustrukturierter Haushalt stehen muß. Es wird ein ungleich härteres Stück Arbeit sein, als wir es noch bei der Aufstellung des Haushalts 1981 erwartet haben. Wir wissen jetzt, daß wir uns mehr abverlangen müssen. Das Problembewußtsein, das sich in den letzten Jahren mühsam und sehr allmählich entwickelte, hat jetzt eine wachsende Mehrheit dieses Hauses erfaßt.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muß ich in Richtung des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei und auch des Bundeskanzlers dankbar anmerken: Beide haben schon sehr frühzeitig davor gewarnt, das Netz der sozialen Sicherung als Hängematte mißzuverstehen: Willy Brandt in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" im Mai 1976 und der Bundeskanzler auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 1977 in Köln.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das ist aber sehr interessant!)

    Er rief dort aus: „Es darf eben nicht so sein, daß einige das soziale Netz als Ruhekissen mißverstehen!" — Was damals schon richtig war und als richtig erkannt wurde, drängt nun heute — unter dem unerbittlichen Zwang leerer Kassen — zu handfesten Schlußfolgerungen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Kolb [CDU/CSU]: Außer Reden nichts gewesen!)

    Meine Damen und Herren, dabei bleibt unumstritten, daß die unausweichlichen Opfer von allen Bürgern, von allen Gruppen zu erbringen sind. Ich habe zu Beginn der Haushaltsdebatte gesagt: Es darf keine Tabus geben. Das ist selbstverständlich eine Aufforderung an alle Parteien, auch an die Freie Demokratische Partei, und wir wollen sie so begreifen und haben sie so begriffen.
    Wenn wir diesen Grundsatz beherzigen, dann allerdings ist mir um ein gutes Gelingen nicht bange. Der oft zitierte Vorrat von Gemeinsamkeiten in einer Koalition

    (Zuruf von der CDU/CSU: Geht zu Ende!)

    kann hier durch ein entschiedenes Engagement von SPD und FDP neu ergänzt werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich möchte folgendes anfügen: Aufrichtige Worte zur rechten Zeit, so glaube ich, können dabei nur guttun.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das sagen Sie seit sechs Jahren, Herr Kollege!)

    „Pommern sind von natürlicher Offenheit", sagte einmal der Alte Fritz. Dies bedenkend, sollte der eine oder andere Sozialdemokrat nicht mißtrauisch zusammenzucken, wenn ich eine realistische Lagebeschreibung zu geben versuche; er sollte dies mehr als selbstkritische Aufmunterung verstehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren und meine Freunde in der sozialdemokratische Fraktion, vergessen Sie nicht: Die Axt im Haus erspart den Zimmermann — auch den von der CSU.

    (Heiterkeit und Beifall — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Aber wir haben den Zimmermann! Und den bräuchtet ihr! — Glos [CDU/CSU]: Den könnt ihr nicht verhindern!)

    Die Schwierigkeiten, vor denen wir objektiv stehen, werden nur noch von der Ratlosigkeit übertroffen, in der sich die CDU/CSU-Opposition bei der Präsentation eigener Lösungsvorschläge befindet.

    (Zustimmung des Abg. Walther [SPD])

    Verglichen mit der Ideenarmut der Opposition, hier in Sachen konkreter Haushaltspolitik etwas Alternatives vorzuzeigen, können FDP und SPD nicht nur neuen Mut schöpfen. Es gilt vielmehr auch, sich auf das Lösungsmodell „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott" einzustellen — die Opposition tut's ums Verrecken nicht!

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Heiterkeit — Kolb [CDU/CSU]: Ihr seid doch in den Schlamassel hineingeraten!)

    So wächst denn die Bereitschaft, nach dem gerade bewältigten Etat des Haushalts 1981, nun die Konsolidierung der Staatsfinanzen auch um den Preis schmerzhafter Operationen konkret voranzubringen. Das ist unser unbedingter Wille, und wir wollen ihn auch durchsetzen. Das Risiko, das in diesem Unternehmen liegt, will ich hier nicht leugnen. Wir werden so manche liebgewordenen Ansprüche zurückschrauben müssen, ja, wir werden bei der Beratung des aufgeschwemmten Etats bis an die Grenzen des Zumutbaren vorstoßen müssen, des Zumutbaren für den Bürger und auch des Zumutbaren für unser eigenes Selbstverständnis. Das gilt gleichermaßen für Freie Demokraten und Sozialdemokraten. Meine Damen und Herren, das geht nicht ohne Kampf und ohne Ärger ab.
    Ich bin aber sicher, daß die wachen und aufgeschlossenen Mitbürger in unserem Lande durchaus zwischen diskutierenden Aktiven und räsonierenden Passiven zu unterscheiden wissen.

    (Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)




    Hoppe
    Die Generallinie der Opposition ist j a bekanntlich immer noch: abwarten und sich wohlfühlen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Unwohl fühlen!)

    So etwas vermittelt zunächst einen recht harmonischen Eindruck und ist sicherlich auch sehr bequem. Auf die Dauer werden wir damit aber keine empfehlenswerte Adresse abgeben.
    Diese manchmal doch etwas eingeklemmt wirkende Ausgangslage hat offenbar auch den CDU- Vorsitzenden dazu verleitet, die umfassende und offene Aussprache des jüngsten FDP-Bundesparteitages über die Sicherheitspolitik und den NATO-Doppelbeschluß mit der aburteilenden Wertung zu bedenken, die FDP sei in gefährliches Fahrwasser geraten. Nein, nicht die ehrliche und offene Auseinandersetzung über existentielle Fragen unserer Politik ist gefährlich, sondern das Unterdrücken und Verschweigen der Bedenken, die in allen Parteien und in weiten Kreisen der Bevölkerung wegen des drohenden Rüstungswettlaufs um sich greifen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich bin froh, daß die Freie Demokratische Partei nach innen wie nach außen ausschließlich dem Instrument der Überzeugungsarbeit vertraut.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das tun wir alle!)

    Wir wollen keine Jubel-Parteitage, auf denen Herz, Hirn und Hand der Delegierten vor allem zum höheren Ruhm des Vorsitzenden eingesetzt werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Denken Sie an Ihren Münchener Parteitag, Herr Kollege!)

    Meine Damen und Herren, es kommt nicht von ungefähr, daß in dem vom CDU-Landesvorsitzenden Biedenkopf herausgegebenen „Westfalen-Echo" zu den Perspektiven der Jugendpolitik der Union jüngst zu lesen war, daß unter den gegebenen Umständen der nächste CDU-Parteitag unter dem Motto stehen könnte: „Es gibt viel zu tun, heften wir es ab!"

    (Heiterkeit bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon mal gehört!)

    Wer glaubt, er könne sich kritische Auseinandersetzungen ersparen, lügt sich selbst in die Tasche und auch das nur für kurze Zeit.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn damit? Das ist unglaublich!)

    — Ich hatte ein Wort aus einer Zeitschrift zitiert, die in der Verantwortung eines Ihrer Parteifreunde herausgegeben wird.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: In einer bestimmten Zielrichtung zitiert!)

    Wenn Sie von daher „unglaublich" sagen, meinen Sie offenbar Herrn Biedenkopf. Herr Mertes, ich gebe es an ihn weiter.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Nein, ich meinte Sie!)

    Meine Damen und Herren, ich sagte schon und wiederhole es, daß sich Freie Demokraten und Sozialdemokraten der unumgänglichen Schwerarbeit zur Sanierung der Staatsfinanzen nicht entziehen werden. Aber es geht doch um mehr. Es geht darum, daß die verantwortlichen Kräfte in Parlament und Regierung unter Beweis stellen, wie sehr ihnen gerade in dieser schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Krisen, der Verteilungskämpfe und der harten Sparmaßnahmen an der Verteidigung einer Gesellschaft gelegen ist, die offen für den Wandel bleibt. Wir werden sehr darauf zu achten haben, daß in dieser Phase des vielfältigen Umbruchs der Geist der Liberalität, der Offenheit und der Toleranz Einfluß behält und gewinnt.
    Auf konservativer Seite ist j a die Versuchung stets groß, auf irritierende Entwicklungen in der Gesellschaft, auf geistige Unruhen und auf politische Forderungen der nachwachsenden Generationen vorwiegend mit institutioneller Autorität zu reagieren. Es gibt aber wenig Sinn, Symptome zu unterdrücken und gleichzeitig der Auseinandersetzung um ihre Ursachen aus dem Wege zu gehen. Die Demonstrationen der Kernenergiegegner dürfen ebensowenig zu einer polizeitaktischen Frage werden wie die sogenannten Instandbesetzungen in vielen Städten unserer Republik. Es wird wenig zum inneren Frieden in unserem Land beitragen, wenn die aufbegehrenden Geister pauschal in die Extremisten-Ecke gestellt werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Nicht ein Klima der Aggression und der Ressentiments ist gefragt, sondern eine Atmosphäre, in der unterschiedliche und entgegengesetze Meinungen als normal ertragen und unterschiedliche Standpunkte ausgetragen werden.

    (Beifall bei der FDP — Glos [CDU/CSU]: Das müssen Sie der Frau Renger sagen!)

    Unsere Gesellschaft hat keine Dogmen zu verteidigen und keine auf Ungerechtigkeit beruhenden Machtpositionen. Nein, sie hat vor allem dies zu verteidigen: ihre Freiheit. Und dazu gehört ganz besonders die Freiheit des Andersdenkenden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    In diesem Prinzip steckt die wahre Kraft der Gesellschaft. In ihm liegen die Innovationsfähigkeit und die Chance zur vernünftigen Anpassung an die gewandelten Bedingungen.
    Einsatz für Liberalität heißt deshalb immer zugleich auch Einsatz für die Entfaltung geistiger, politischer und sozialer Kreativität.
    Karl-Hermann Flach hat vor genau zehn Jahren folgende Wahrheit niedergeschrieben:
    Wer Minderheiten in ihren Rechten einschränkt, zwängt die Gesellschaft in Formen der Erstarrung. Geistige Freiheit und Minderheitenschutz sind daher für die Entwicklung der Gesellschaft unverzichtbar. Ihre Voraussetzung ist Toleranz.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)




    Hoppe
    Meine Damen und Herren, das sollte auch für uns, das sollte auch hier im Deutschen Bundestag gelten!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ralf Dahrendorf hat vor gut einem Monat in der „Zeit" definiert:
    Liberal ist zunächst eine Reaktion, die hinter Symptomen Ursachen sucht und sich dann bemüht, mit diesen fertig zu werden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Dann sind wir alle liberal!)

    Beide Feststellungen beschreiben eine politische Haltung, die für die Freien Demokraten unverändert ausschlaggebend ist. Das liberale Verständnis von Demokratie geht vom selbstverantwortlichen Handeln des einzelnen aus. Wir Liberalen erwarten vom Bürger, daß er sich seine Verantwortung nicht von anderen abnehmen läßt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Monumentale Binsenwahrheiten!)

    Das muß aber auch umgekehrt heißen, daß jene, die sich in eigener Verantwortung auf die Gestaltung neuer Ideen und Lebensformen konzentrieren, nicht der gesellschaftlichen Häme und der politischen Unterstellung ausgeliefert werden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Auch das ist selbstverständlich!)

    — Es ist fast selbstverständlich, Herr Mertes, und doch wird so viel dagegen gesündigt; auch das scheint selbstverständlich zu sein.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Auch von Ihnen!)

    Ich halte es aber für ein ermutigendes Zeichen, wenn eine wachsende Zahl junger Menschen sich in praktischer Solidarität, in Selbsthilfe und Selbstverantwortung übt. Es wäre ein gewaltiges Versäumnis der Parteien des Deutschen Bundestages, wenn sie die Menschen, die sich für alternative Lebensformen engagieren, schlankweg mit Leistungsverweigerern und gesellschaftspolitischen Exoten gleichsetzten. Mit dieser Einstellung würden junge Mitbürger scharenweise in die Arme jener Gruppierungen getrieben, die sich als „Alternative" bezeichnen und damit just an Stelle der im Parlament vertretenen Parteien genau dort hinein gelangen wollen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch Ihre Berliner Politik!)

    Meine Damen und Herren, ich bezeuge all jenen meine Achtung, die aus den oft mißbrauchten Schlagworten von der Selbstverwirklichung, der Selbstbestätigung und der Selbstverantwortung handfeste Konsequenzen für ihr tägliches Leben ableiten. Sie rufen nicht nach dem Staat, sondern sie wollen ihre eigenen Kräfte ergründen und erproben.
    Ich bin sicher, daß die überwältigende Mehrzahl dieser jungen Mitbürger nicht gegen demokratische Spielregeln, sondern mit ihnen leben will. Es liegt aber im Interesse der Generationen, wenn die Grundregeln des Zusammenlebens, wie sie durch unsere Rechtsordnung vorgegeben sind, nicht zur Disposition gestellt werden. Es darf von seiten des Staates und der Politiker nicht der Eindruck entstehen, oder gar erweckt werden, als ob dies vorstellbar und praktikabel wäre. Wo Gewalt praktiziert wird, darf es kein augenzwinkerndes Verständnis geben.

    (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

    Toleranz kann sich immer nur auf Klarheit der eigenen Position gründen,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist gut!)

    nicht auf opportunistischer Beliebigkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Zeiten der unruhigen Entwicklung und Zeiten des knappen Geldes haben Doppeltes gemeinsam: Zu dem Risiko der Fehlentwicklung und der Fehlsteuerung kommt die Chance des substantiellen Neubeginns. Dies gilt für die Gesellschaftspolitik wie auch für die Finanz- und Haushaltspolitik.
    Ein neuer Anlauf ist zweifellos auch in der Deutschland- und Ostpolitik nötig. Ich knüpfe diese erklärte Absicht der Freien Demokraten zur Fortführung der Entspannungspolitik dabei nicht an die Hoffnung auf eine baldige Änderung zum Besseren. Da ist in letzter Zeit zuviel zwischen Ost und West ins Stocken geraten. Da sind auch zu viele atomare Mittelstreckenraketen auf russischem Boden stationiert worden, die auf Mitteleuropa gerichtet sind, als daß so einfach zur Tagesordnung übergegangen werden könnte. Das dadurch entstandene Ungleichgewicht muß korrigiert werden. In dem Maße, wie dies auf dem Verhandlungswege erreicht werden kann, dürfte auch die Dialogfähigkeit insgesamt zwischen West und Ost und die Zusammenarbeit über die Grenze der beiden Systeme hinweg wieder zunehmen. Dies wäre der Weg der Vernunft. Wir dürfen uns ihm nicht verschließen, und wir dürfen ihn uns nicht verbauen lassen. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben sich in den zurückliegenden Wochen und Monaten in den Hauptstädten der westlichen und östlichen Welt mit viel Nachdruck und mit Erfolg für die Wiederaufnahme von Gesprächen und Verhandlungen eingesetzt. Wir alle sind aufgefordert, auf diesem Kurs der Verständigung zu bleiben, und das heißt auch, jede Chance zum Meinungsaustausch zu nutzen. Für die Deutschen steht bei einer Ost-West-Konfrontation mehr als für jede andere Nation auf dem Spiel. Deshalb sollte niemand mit Unterstellungen, sondern jeder sollte mit Unterstützung begleitet werden, der im Ausland — ob in Washington oder Moskau — für unsere Position wirbt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Kern politischen Handelns heute und morgen bleibt für die Freien Demokraten: die Bewahrung des Friedens.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Finanzen das Wort.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Matthöfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Haase, ich bitte es nicht als unhöflich zu betrachten, wenn ich auf die einzelnen Punkte Ihrer Rede jetzt nicht in ausführlicher Widerlegung eingehe.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Aber auf den einen!)

    Eine Richtigstellung würde meine Redezeit ungebührlich verlängern. Ich will also nichts zu dem Vorwurf der unvollständigen Unterlagen zur Bereinigungssitzung, nichts zu dem Vorwurf, wir hätten die globale Minderausgabe nicht erwirtschaftet, nichts zu den zweifelnden Fragen zum Zeitplan und nichts zu dem Vorwurf sagen, wir hätten unzutreffende Zahlen vorgelegt.

    (Glos [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles!)

    — Ich warne Sie, Herr Glos. Sonst werde ich das hier alles in epischer Breite widerlegen, und das können Sie nicht wollen.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Halten Sie sich nicht zurück! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie ziehen zurück, ich bedanke mich.
    Aber auf eine Sache muß ich jetzt am Anfang eingehen. Das ist die angebliche Kreditsperre der Saudis oder, wie Sie sagten, aus dem Morgenland.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sehr vorsichtig! — Glos [CDU/CSU]: Die Sonne geht immer noch in der gleichen Richtung auf! — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Meinen Sie das mit der Karawane? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Kollege, ich will da nicht zu kritisch sein, aber schon durch die Terminologie bringen Sie zum Ausdruck, daß Sie die Bedeutung und die Schwierigkeit der Aufgabe unterschätzen, vor der wir stehen. Sie wissen, unsere Nettoölrechnung beträgt 1981 über 70 Milliarden DM oder 4,5 % des Bruttosozialprodukts. 1972 waren es 9,5 Milliarden DM oder 1 % des Bruttosozialprodukts.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind Ihre Konsequenzen?)

    Das heißt, wir müssen 3,5 % des Bruttosozialprodukts mehr für weniger Öl bezahlen, und das hat stark zu unserem Leistungsbilanzdefizit beigetragen. Als leistungsfähiges Industrieland ist es nun unsere Aufgabe, bei der Rückschleusung dieser Überschüsse, die sich in den Ölländern angesammelt haben, und der produktiven Verwendung in unserem Lande auch einen Beitrag der Bundesregierung zu leisten. Dies ist das gemeinsame Verständnis von Bundesbank und Bundesregierung.
    Sie haben das in der Tat vorsichtig vorgetragen. Ich bedanke mich dafür; denn es gibt auch ganz andere Dinge. Ich darf Ihnen — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — einmal kurz vorlesen, was „Die Zeit" von heute dazu schreibt, die sich auf diese Berichte bezieht:
    Jedenfalls überwog der Eindruck, daß einige Berichte über Unwillen und Bedenken der Saudis
    und anderer ausländischer Gläubiger eher dürftig recherchiert waren. Der Leser dieser Horrorberichte mochte sich gelegentlich an einen gewissen Hans Peter Holbach erinnert fühlen, der im vergangenen Jahr, offenbar um der besseren Auflage seiner neuerdings aus der Schweiz verschickten Postille „Geldbrief" willen
    — ich zitiere „Die Zeit" —,
    sich nicht entblödet hat, von einer bevorstehenden Währungsreform zu faseln.
    Einige Beteiligte des damaligen Bundestagswahlkampfes hatten dieses Stichwort dankbar aufgegriffen. Das ist auch ein Beitrag zum Entstehen von Gerüchten, auf die Sie auch eingegangen sind.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das war doch der „Spiegel", der das geschrieben hat!)

    Es heißt dann weiter — bitte hören Sie —:
    Alle diese Horrormeldungen werfen auf ihre Urheber ein trübes Licht. Denn wer ohne ausreichenden Grund über Währungsreform, Staatsbankrott und geschwundene Bonität der Bundesrepublik als Schuldnerland daherredet, strapaziert ein wenig sein Recht der freien Meinungsäußerung.
    Das ist eine Stimme.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun noch eine zweite Stimme, die „Börsenzeitung" vom 2. Juni:
    Die amtierende Bundesregierung hat sich in mehrfacher Hinsicht ganz sicherlich Fehler zuschulden kommen lassen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wir haben jetzt Pressestunde! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Bravo!)

    Das ist j a nicht erstaunlich; das ist bei Menschen so üblich.
    Sie muß sich deshalb Kritik gefallen lassen. Der Verfasser schreibt weiter:
    Was jedoch in gewissen Sonntagszeitungen und Informationsbriefen an Diffamierung und Fehlberichterstattung geleistet wird, hat mit der Erfüllung solcher Aufgaben nichts zu tun. Getroffen wird davon unser Staatswesen insgesamt und alle, die an einem stabilen Wert unserer Währung interessiert sind.
    Ich kann der „Börsenzeitung" nur zustimmen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/CSU])

    Die Debatte war in weiten Teilen von dem Bemühen gekennzeichnet — ich halte dieses Bemühen der Opposition für legitim —, wieder einmal das „vollständige Scheitern" der Politik der Koalitionsregierung der letzten zwölf Jahre herbeizureden. Ich habe wenig neue Elemente darin entdecken können. Es bleibt dabei, daß die CDU/CSU leider nicht bereit ist zu erkennen, daß sich die Welt in den 70er Jahren



    Bundesminister Matthöfer
    grundlegend gewandelt hat, und die richtigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
    Herr Kollege Haase hat den 5. Juni 1931 angeführt — ich bedanke mich für die historische Reminiszens —; ich frage mich jedoch: Was haben Sie denn eigentlich aus der großen Krise der 30er Jahre für die öffentliche Kreditaufnahme gelernt? Eine die Beschäftigung sichernde öffentliche Kreditaufnahme als Schuldenmacherei zu bezeichnen zeigt, daß nicht ganz verstanden worden ist, was hier vorgeht.
    Ich will einen anderen Vorwurf von Ihnen zurückweisen. Es ist nicht richtig, daß ich der Meinung bin, daß immer und für alle Zwecke öffentliche Kreditaufnahme die richtige Antwort auf Arbeitslosigkeit ist. Ich habe in meiner Einbringungsrede ganz ausführlich dargestellt, daß sich das in dem Moment ändert, wo man ein Leistungsbilanzdefizit von unserem jetzigen Umfang hat und daß deshalb kombinierte Werkzeuge eingesetzt werden müssen, die Strukturveränderungen herbeiführen. Dazu kann allerdings auch die Finanzierung durch Kreditaufnahme einen Beitrag leisten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dafür ist sie schädlich!)

    Sie haben uns als Zinstreiber bezeichnet. Ich weise das zurück. Ich habe aus früheren Debatten in Erinnerung, daß Sie sagten, Ihr Herz blute für die deutschen Sparer, die überhaupt keine Verzinsung mehr bekämen. Ich sage Ihnen: Die reale Verzinsung in den verschiedenen Sparformen ist wegen der niedrigen Preissteigerungsrate in der Bundesrepublik auf historischer Höhe. Das hat es in der Wirtschaftsgeschichte kaum jemals gegeben. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo es für normale Anlageformen eine reale Verzinsung von 4 bis 6 % gab.

    (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ CSU])

    Man muß doch einmal sagen, daß nicht nur negative Seiten der hohen Zinsen zu beklagen sind, sondern daß auch positive Wirkungen vorhanden sind, nämlich eine sehr hohe Realverzinsung für den Sparer.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das ist eine Wiedergutmachung gegen Ihren Willen! — Kiep [CDU/CSU]: Und die Gewinne der Bundesbank!)

    — Sie erwähnen die Gewinne der Bundesbank. Ich hoffe, sie sind in diesem Jahr sehr hoch. Da j a der Kurs des Dollars auf 1,72 festgesetzt ist und alle Verlustvorträge abgeschrieben sind, wird man sehen, was die Bundesbank nach ihrem gesetzlichen Auftrag an den Bundesfinanzminister überweist.

    (Kiep [CDU/CSU]: Ein Taschengeld!)

    Es gibt viele Faktoren, die das Zinsniveau bestimmen. Ich bin sicher, daß auch die öffentliche Kreditaufnahme einen Einfluß hat. Ich weiß, daß es sehr schwer ist, das empirisch festzustellen. 1974 hatten wir eine Nettokreditaufnahme von 9,5 Milliarden DM und eine Umlaufrendite der öffentlichen Anleihen im gewogenen Durchschnitt von 10,4 %. 1978 hatten wir eine Kreditaufnahme von 26 Milliarden
    DM und eine Umlaufrendite, die fünf Prozentpunkte niedriger war, nämlich 5,7 %.

    (Kiep [CDU/CSU]: Und jetzt?)

    Das heißt, der Zusammenhang zwischen Zinsen und öffentlicher Kreditaufnahme ist in keiner Weise so einfach, wie der Kollege Haase ihn hier dargestellt hat.

    (Kolb [CDU/CSU]: Herr Minister, das sind doch Schauermärchen, was Sie erzählen! 1978 war eine ganz andere Situation!)

    Sie haben in düsteren Farben ein Gemälde über die Lage in der Bundesrepublik Deutschland gemalt, das mit der Realität nun wirklich wenig zu tun hat. Sicher, unsere Lage ist nicht rosig; wie könnte das auch anders sein. Aber mit den Problemen, die wir haben, können wir fertig werden. Es wird Ihnen ja niemand glauben, daß sich die Probleme in Luft auflösen würden, wenn wir nur eine andere Regierung hätten.
    Herr Kollege Haase hat — dafür bedanke ich mich sehr, Herr Kollege Haase — die Bereitschaft seiner Fraktion erklärt, notwendige Beschlüsse mitzutragen. Ich will das gar nicht überstrapazieren, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns wie bisher beim Verfahren helfen würden. Es wird unter Umständen schneller sein. Ich will Sie gar nicht vergewaltigen. Schlagen Sie ruhig weiterhin Ihren kleinen parteipolitischen Nutzen aus unseren notwendigen Maßnahmen. Das deutsche Volk wird uns 1984 auf der Grundlage unserer Leistungen und nicht auf der Grundlage Ihrer Worte beurteilen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Dann steht's schlecht! — Zuruf des Abg. Dr. Möller [CDU/CSU] — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die tatsächliche Lage bei uns ist gekennzeichnet von tiefgreifenden strukturellen wirtschaftlichen Umwandlungen in der ganzen Welt. Dazu gehören die sprunghafte Verteuerung des Öls, die sich in der drastischen Verschlechterung unserer Leistungsbilanz auswirkt, und das gegenwärtig weltweit hohe Zinsniveau. Wann hat es jemals einen Deport von fast sieben Prozentpunkten gegenüber den Zinsen in Amerika gegeben? Man kann nicht so tun, als ob alle diese Faktoren unsere Wirtschaft nicht beeinflußten, also keine Wirkung im Innern hätten. Gerade die Bundesrepublik Deutschland mit einer Import- und Exportquote von ungefähr 30 % — sie ist wegen der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft in den letzten Jahren stark gestiegen — ist viel stärker als andere Länder in die internationale Arbeitsteilung integriert. Dem verdanken wir unseren hohen Lebensstandard. Aber das hat auch seine Nachteile, denn wir sind vom Ausland abhängiger als andere. Es hat sich nun einmal weltweit infolge dieser Ölpreiserhöhungen das Wachstum verlangsamt. Dazu kommt die harte Antiinflationspolitik in wichtigen Partnerländern, die ich gar nicht kritisieren will, wenn ich mir die Preissteigerungsraten dort ansehe. Aber darüber, ob man nur die hohen Zinsen als Ge-



    Bundesminister Matthöfer
    genmittel einsetzen muß, muß man sich ja wohl unterhalten dürfen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Die 1978 der Kanzler gefordert hat!)

    Die USA und Japan erwarten als einzige Länder ein positives Wachstum. Das hat seine Auswirkungen auf den Welthandel.
    Gleichwohl — das muß man immer wieder gerade wegen der Einseitigkeit Ihrer Debattenbeiträge wiederholen — ist die tatsächliche Lage in der Bundesrepublik anders, als Sie sie darstellen. Wir sind das Land mit den niedrigsten Preissteigerungen. Wir haben im Verhältnis zu den anderen eine sehr hohe Beschäftigung. Wir haben eine ausgezeichnete, leistungs- und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Wir haben ein funktionsfähiges und vorbildliches Netz der sozialen Sicherheit. Wir haben eine vorzügliche Infrastruktur. Unsere technologischen Kenntnisse können sich auf vielen Gebieten sehen lassen; wir liegen mit ihnen in der Welt in der Spitzengruppe. Wir haben inneren Frieden, und wir erfüllen unsere internationalen Pflichten. Sehen Sie sich doch einmal die Zuwachsraten bei den Ausgaben für Europa, bei der Entwicklungshilfe oder bei der Verteidigung an! Es nutzt doch überhaupt nichts, eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit verbreiten zu wollen. Man wendet Schaden vom deutschen Volk nur ab, indem man aus den gegebenen wirklichen Problemen die von der Sache her gebotenen Konsequenzen zieht. Die hinter uns liegende Debatte hat unterstrichen, daß die Koalition hierzu fest entschlossen ist.
    Wir werden sofort nach Verabschiedung dieses Haushalts 1981 darangehen, Eckwerte für den Haushalt 1982 zu erarbeiten, die den gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Notwendigkeiten Rechnung tragen und die das internationale Vertrauen in unsere gesunde Volkswirtschaft noch verstärken werden. Wir werden Einsparungen vornehmen, um die finanzpolitische Handlungsfähigkeit dieses Staates auch weiterhin zu erhalten. Wir werden aber zu verhindern wissen, daß die haushaltspolitischen Notwendigkeiten als Alibi benutzt werden, um eine Politik zu diskreditieren und zu bekämpfen, die den Menschen in unserem Lande zu guten Lebensbedingungen und zu einer vorbildlichen sozialen Sicherheit verholfen hat.
    Worauf es ankommt, ist zweierlei: Wir müssen erstens die Struktur des Haushalts verbessern: mehr Investitionen, Innovationen, zukunftsbezogene Ausgaben. Zweitens müssen wir die Dynamik der großen konsumtiven Ausgabenblöcke reduzieren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Volle Zustimmung!)

    Dies hängt beides zusammen, und das werden wir in sachgerechter Weise tun.
    Ich darf dann nur eine freundschaftliche Bemerkung zu Herrn Hoppe machen. Auch er sprach von den leeren Kassen. Auch Sie, Herr Hoppe, haben vom Diktat der leeren Kassen usw. gesprochen. So ist es ja nicht. Das ist doch grober Unsinn. Wir haben in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr Steuermehreinnahmen von 6,5 Milliarden DM, und wir werden auch im nächsten Jahr Steuermehreinnahmen gegenüber diesem Jahr haben. Das Problem ist doch nicht, daß unsere Einnahmen zurückgegangen sind, das Problem ist, daß die vor uns liegenden Aufgaben so dringlich sind, daß sie eigentlich mehr öffentliche Mittel erfordern, als wir dem Bürger abverlangen wollen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Daß wir zuviel ausgeben, das ist das ganze Problem! — Anhaltende starke Unruhe)