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ID0904301200

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    Plenarprotokoll 9/43 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 43. Sitzung Bonn, Freitag, den 5. Juni 1981 Inhalt: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksachen 9/50, 9/265, 9/471 bis 9/498 — Haase (Kassel) CDU/CSU 2455 B Westphal SPD 2461 D Hoppe FDP 2467 B Matthöfer, Bundesminister BMF 2471A Dr. Müller CDU/CSU 2474C Dr. Jenninger CDU/CSU 2476 D Wehner SPD 2477 C Gärtner FDP 2477 D Präsident Stücklen 2478 B Conradi SPD 2480 B Dr. Schneider CDU/CSU 2481 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 2483 A Dr. Müller CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 2483 D Namentliche Abstimmung 2484 C, D Nächste Sitzung 2486 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 2487*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 2487*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1981 2455 43. Sitzung Bonn, den 5. Juni 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1981 2487* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Francke (Hamburg) 5. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 5. 6. Korber 5. 6. Lenzer* 5. 6. Frau Dr. Lepsius 5. 6. Milz 5. 6. Frau Noth 5. 6. Frau Roitzsch 5. 6. Frau Schlei 5. 6. Dr. Schwarz-Schilling 5. 6. Dr. Stercken 5. 6. Dr. von Weizsäcker 5. 6. Windelen 5. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 1. Juni 1981 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Entwurf für eine Empfehlung des Rates betreffend die Strukturen der Elektrizitätstarife in der Gemeinschaft — Drucksache 9/37 Nr. 15 — Anlagen zum Stenographischen Bericht Die in Drucksache 9/515 unter Nummer 8 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Festlegung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms unter dem Leitgedanken „Wissenschaft und Technik im Dienste der Entwicklung" 1982-1985 wird als Drucksache 9/536 verteilt. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung nach Vereinbarung im Ältestenrat die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Entschließung des Europäischen Parlaments zur Umstrukturierungspolitik Stahl — Drucksache 9/454 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Stellungnahme der Bundesregierung zum Dritten Hauptgutachten der Monopolkommission 1978/1979 — Drucksache 9/460 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Entschließung des Europäischen Parlaments zum Neunten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik — Drucksache 9/464 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft
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    Rede von Heinz Westphal


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Also bitte; ich zähle es Ihnen hier gern noch einmal auf, Herr Carstens. Erstens. Ich habe miterlebt, was Herr Picard hier zum Haushalt des Einzelplans 05 gesagt hat. Er ist Haushälter, und er hat hier davon geredet, daß im Haushalt des Auswärtigen Amtes eigentlich mehr Mittel für die auswärtige Kulturpolitik bereitgestellt werden müßten.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Aber er hat nichts gefordert!)

    — Aber er hat nichts gefordert, das ist Ihre Art zu argumentieren. Ich habe Sie im Haushaltsausschuß ausgenommen.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sie bauen hier einen Türken nach dem anderen, Herr Westphal!)

    — Lassen Sie mich aufzählen. Zweitens. In welcher Art und Weise behandeln Sie denn den Verteidigungshaushalt? Lehnen Sie ihn ab, weil er zu hoch ist, weil wir dort nicht genügend sparten, oder ist es nicht so gewesen, daß Sie ihn abgelehnt haben, weil Sie meinten, er sei zu niedrig angesetzt?

    (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: Weil die Sicherheitspolitik nicht stimmt!)

    Drittens, Herr Carstens: Beim Sozialhaushalt: dieselbe Feier von Ihren Rednern; der Haushalt für Jugend, Familie und Gesundheit: dieselbe Feier. Haushalt für Bildung und Wissenschaft: dieselbe Sache. Sechs habe ich gezählt.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles nicht! — Kolb [CDU/CSU]: Ein ganzes Türkenheer bauen Sie auf! — Weiter Zurufer von der CDU/CSU: Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!)

    — Entschuldigung, es bleibt bei dieser Feststellung eines Vorgangs, der öffentlich im Plenum dieses Parlaments stattgefunden hat.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Barzel [CDU/ CSU]: Das dementiert sich selbst! — Glos [CDU/CSU]: Da klatscht ja nicht einmal der Koalitionspartner!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte dabei an die Tatsache erinnern, daß die Steuerentlastung für den Bürger ab Januar 1981 eine erhebliche Minderung der Steuereinnahmen des Staates zur Folge hat, die auch in diesem Haushalt aufgefangen werden mußte. Die Opposition — auch dies ist ein Punkt zu derselben Debatte — wollte bekanntlich diese Entlastung schon ein Jahr früher wirksam werden lassen. Nun stellen Sie sich einmal vor, wie dann die Haushaltsdeckungsprobleme bei Bund, Ländern und Gemeinden 1981 ausgesehen hätten. Verantwortungsbewußt und folgerichtig war das nicht, was CDU und CSU uns da ein Jahr lang — das war das Wahljahr — geboten haben.
    Zur Nachzeichnung der Entwicklungslinie gehört schließlich, daß diese Bundesregierung der sozialliberalen Koalition die bisher einzige ist, die ein Subventionsabbaugesetz vorgelegt hat. Wir haben ernstgemacht mit dem Einschneiden in erbittert verteidigte Vergünstigungen, weil wir sparen und weil wir unsere Ölabhängigkeit mindern müssen. Die Erfahrung, die wir dabei gemacht haben, ist eine dreifache. Erstens. Alle sagten: Das war zu wenig; ihr hättet kräftiger zulangen müssen. — Zweite Erfahrung. Alle Betroffenen sagten: Das ist zu hart für uns; unser Lebensnerv ist getroffen. — Drittens. Die Opposition hat beides gleichzeitig gesagt. Einerseits behauptete sie — unzutreffenderweise —, es sei kein Subventionsabbaugesetz, sondern ein Abgabenerhöhungsgesetz, und andererseits hat sie — wie auch die Bundesratsmehrheit — jede einzelne Kürzung einer Subvention von irgendeiner Seite her kritisiert und bekämpft. Am Schluß übte die Opposition dieses Hauses mutig Stimmenthaltung und nannte das einen konstruktiven Beitrag.

    (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: Wie hätten Sie es denn gemacht?)




    Westphal
    Aus all diesen hier noch einmal zusammenfassend dargestellten Teilschritten einer konsequenten auf Einsparung gerichteten Politik wurde ein äußerst eng geschneiderter' Haushalt. Er wurde sogar so eng, daß die geplagten Haushälter an einigen Stellen bei gesetzlich bedingten Ausgabepositionen, die auf Schätzansätzen beruhten, auf Grund des nun besser erkennbaren Jahresverlaufs nachschieben mußten. Wer würde sich nicht freuen, daß es mehr Babys gibt, als vorher angenommen wurde? Aber dies bedeutet doch, um ein Beispiel zu nennen, daß bei Mutterschaftsleistungen und Mutterschaftsurlaub eine Viertel Milliarde DM auf die Ausgaben draufgelegt werden müssen.

    (Vorsitz : Vizepräsident Leber)

    Haben denn nun diejenigen — auch dazu noch einmal ein Satz —, die uns hier so wortreich kritisierten, von sich aus Beiträge zur Einsparung, zur Ausgabenkürzung geleistet? Da wir dies in einem Zwischenspiel diskutiert haben, will ich diese Passage auslassen, weil ich deutlich gemacht habe, wie Sie sich hier verhalten haben. Es gibt keine auch nur in irgendeiner Weise für die Einschränkung des Haushaltsvolumens relevanten Vorgänge dieser Art von Einsparungsvorschlägen der Opposition während der gesamten fünfmonatigen Haushaltsberatungen, im Gegenteil. Was eigentlich Eindruck hinterlassen hat, war der umgekehrte Vorgang. Ich habe meine Meinung dazu schon gesagt.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das ist ja an der Wahrheit vorbei gerutscht!)

    Ich erinnere nur an die Ausgabenforderung, die mitten während unserer Haushaltsberatungen im April dieses Jahres bei einer Debatte über den Agrarbericht von Ihrer Seite hier in Antragsform vorgelegt wurde. Finanziell gerechnet, wären das 680 Millionen DM Mehrausgaben oder Mindereinnahmen geworden. Ich erinnere an das, was in den Fachausschüssen von der Opposition vorgebracht worden ist.
    Aber pikant wurde die Sache eigentlich erst, als der bayerische Ministerpräsident Strauß an alle Fraktionsvorsitzenden dieses Parlaments schrieb, um gleich drei Ausgabenerhöhungen für Bayern zu verlangen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt vorn und hinten nicht!)

    Damit nicht genug, er ließ auch im Finanzausschuß des Bundesrates die Verdoppelung des Bundeszuschusses für den Krankenhausbau beantragen und wollte den Vermittlungsausschuß anrufen lassen, um Teile des Subventionsabbaugesetzes zu verhindern. Ausgerechnet derjenige, der seit Sonthofen nichts anderes tut, als uns eine unsolide Ausgaben- und Kreditpolitik vorzuwerfen, scheut sich nicht, in der Endphase der Haushaltsberatungen Mehrforderungen zu stellen, ohne Deckungsvorschläge zu machen.

    (Beifall bei der SPD — Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

    Aber warum wundern wir uns eigentlich noch über
    die Bewußtseinsspaltung bei einem Manne, der noch
    im Mai dieses Jahres, also im vergangenen Monat, Steuersenkungen forderte,

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Richtig!)

    was ja zu zusätzlichem Staatsdefizit und neuen Schulden führen müßte,

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sozialisten lernen es nie!)

    solange er keine Einsparungsanträge stellt.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das begreifen Sie nie!)

    — Doch, ich begreife es. Ich will es Ihnen noch konkreter sagen, was ich meine. Die Steuersenkungen, die Herr. Strauß fordert, fordert er nicht etwa für Arbeitnehmer. Damit da gar keine Irrtümer etwa aufkommen können!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Für Kapitalisten?)

    — Jawohl, höchstens für solche, die mehr als 130 000 DM im Jahr verdienen. Er hat vor dem Kongreß der Steuerberater vorgeschlagen, er würde eine Politik für richtig halten, bei der man den Tarif flacher macht, damit die da oben weniger Steuern zu zahlen brauchen. Dies fordert in dieser Zeit Ihr Herr Strauß.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Fürwahr, das ist der deutsche Thatcher, so hat er sich selbst bezeichnet.

    (Beifall bei der SPD)

    Was den Arbeitnehmern und den kleinen Leuten dieses Landes bevorstehen würde, wenn die Parteien hier regierten, für die Herr Strauß die Politik formuliert, das wäre arg. Das wäre arg!

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich zunächst noch eine Bemerkung zu den Kosten für die Verteidigung machen. Hier wirkt sich — alle die inhaltlichen Dinge sind besprochen, ich kann sie nicht noch einmal aufzählen — der schnellere Zulauf aus der Produktion von neueren Waffensystemen aus, die in internationaler Kooperation hergestellt werden und für die Rechnungen bezahlt werden müssen. Hier wirken sich aber auch die beträchtliche Änderung des Wechselkurses gegenüber dem Dollar aus und das Problem, ausreichende Mittel für die Materialerhaltung und für Treibstoff zur Verfügung zu haben.
    Unsere Antwort war: Erstens. Das Tornado-Problem muß in 1981 für 1981 sauber geregelt werden. Wir selber nehmen uns vor, die Kontrollmechanismen zu verbessern. Zweitens. Die Bundeswehr muß funktionsfähig bleiben. Wir haben uns entschieden, der Bundeswehr ausreichende Geldmittel zur Verfügung zu stellen, damit die Soldaten ausreichend üben können. Aber drittens: dies alles hat unter dem Gesichtswinkel äußerster Sparsamkeit zu erfolgen. Es kann nicht alles bewilligt werden, was Militärs für wünschenswert halten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Westphal
    Auch die Militärs müssen die Enge spüren, die uns allen auferlegt ist. Wir wissen doch — lassen Sie mich das ruhig einmal so sagen —, daß Generäle zu allen Zeiten und in allen Weltgegenden immer für mehr und noch höher technisierte Waffen und damit für noch teurere Waffensysteme plädieren. Daraus einfach neue Fehlbeträge beim Einzelplan 14 für Verteidigung hochzurechnen, das geht mit uns Haushältern nicht.

    (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

    Es war der Finanzminister, der klarmachte, daß die zusätzlichen Ausgaben für Verteidigung nicht durch zusätzliche Kreditaufnahme finanziert werden dürfen. Eine nochmalige harte Sparaktion im Zusammenwirken von Kabinettssolidarität und Haushältern der Koalitionsfraktionen brachte die 850 Millionen DM auf.
    Die eigentliche finanzielle Zusatzbelastung gegenüber dem Entwurf vom Dezember 1980 ergab sich aber aus den gesetzlichen Verpflichtungen des Bundes zur Defizitdeckung bei den Kosten der Bundesanstalt für Arbeit. Meine Damen und Herren, wer uns an dieser Stelle kritisiert, muß sich sagen lassen, daß er die von der Wirtschaftsentwicklung aus dem Rennen geworfenen und um ihren Arbeitsplatz gebrachten Männer und Frauen im Regen stehen lassen will. Das tun wir nicht.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie bringen sie in den Regen!)

    Das von uns geschaffene soziale Netz hat uns geholfen, sozialen Frieden auch in schwieriger Zeit zu erhalten. Wem in diesem Zusammenhang nur einfällt, daß es leider auch Leute gibt, die es verstehen, sich ungerechtfertigte, egoistische Vorteile zu Lasten der Solidargemeinschaft zu verschaffen, der guckt eben zu kurz, der nützt womöglich auch die Gelegenheit, berechtigte Einzelkritik in eine generelle Politik des Abbaus sozialer Leistungen umzumünzen. Nein, wir zerstören das Netz nicht, das von uns ausgestaltet wurde,

    (Kolb [CDU/CSU]: Fragen Sie Herrn Hoppe!)

    aber wir wirken an Korrekturen mit, die den Mißbrauch verhindern. Der Arbeitsminister legt dazu, wie Sie wissen, bald seinen Gesetzentwurf vor. Danach werden wir erst einmal auf anderen Gebieten und bei anderen Empfängern staatlicher Leistungen — z. B. auch im steuerlichen Bereich — prüfen müssen, ob dort Einschränkungen vertretbar und notwendig sind.
    Meine Damen und Herren, auch wir wissen, daß das nächste und die folgenden Jahre unter dem Druck insbesondere weltwirtschaftlicher Probleme stehen werden. Nur mit großen Anstrengungen aller Beteiligten kann es gelingen, das Leistungsbilanzdefizit abzubauen, unsere Abhängigkeit vom 01 zu mindern und die negativen Folgen hoher Zinssätze abzumildern. Wir Sozialdemokraten haben das in unserer Willenserklärung vom 5. Mai offen gesagt. Wir haben deshalb die Bundesregierung aufgefordert, ein zweites Subventionsabbaugesetz vorzulegen. Wir haben darüber hinaus auch andere Felder notwendiger Einschränkungen angesprochen.
    Ich höre mit Interesse den Satz, daß es bei der Suche nach Möglichkeiten zum Abbau der Neuverschuldung keine Tabus geben darf. Einverstanden! Das schließt übrigens den Verteidigungshaushalt ein und schließt mechanistische Steigerungsraten aus.

    (Beifall bei der SPD)

    Die einzige Grundregel, die für uns alle gelten sollte, ist diejenige, daß die Verteilung von Belastungen am Maßstab sozialer Gerechtigkeit gemessen werden muß. Ich freue mich, daß auch Herr Kiep dies hier in seiner Rede gesagt hat. In dieser Frage werden auch wir bei ihm messen.

    (Kiep [CDU/CSU]: Das ist eine Ihnen bekannte Tatsache! — Zuruf von der CDU/ CSU: Er sagte aber „sozial" und nicht „sozialistisch"!)

    — Wir können erst nachher messen, weil Sie vorher ja leider keine eigenen Vorschläge machen.
    Dies ist jedenfalls unser sozialdemokratischer Maßstab. Ich denke, daß es in diesem Lande möglich sein müßte, ihn noch gemeinsam bestätigt zu bekommen.
    Lassen Sie mich hinzufügen, daß Leistungen anzuerkennen durchaus mit sozialdemokratischen Grundvorstellungen übereinstimmt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Toll!)

    Nur ist es nun einmal keine anerkennenswerte Leistung, wenn jemand sein Kapital nicht in den Wohnungsbau steckt, weil er dort zu geringen Gewinn erwartet, und es statt dessen ohne eigenes Engagement — ich sage das in Anführungsstrichen — amerikanische Zinsen verdienen läßt.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Mir fehlt jedes Verständnis dafür, daß den Nutznießern des Bauherrenmodells auch noch die sogenannte Mehrwertsteueroption belassen bleiben soll, statt dieses Geld für zusätzlichen öffentlich geförderten Mietwohnungsbau nutzen zu können.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wieviel Wohnungen haben Sie schon gekauft? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich komme zu meinen abschließenden Bemerkungen. Es wäre eine komplette Fehleinschätzung, diesen Haushalt nur unter den Notwendigkeiten der Nachfinanzierung in seiner Schlußphase zu sehen. Dieser Bundeshaushalt enthält die erforderlichen Ansätze, um der Wirtschaft zu ermöglichen, den Prozeß der Modernisierung und der Erneuerung voranzutreiben und die Durchführung unserer energiepolitischen Programme, vor allem zur Energieeinsparung, zu realisieren, um Wohnungs-, Straßen- und Hochschulbau auch bei knapper gewordenen Geldmitteln durchzuführen.
    Alle haben gesagt, daß Konjunkturprogramme in der Art, wie sie uns in den vergangenen Jahren bei der Sicherung von Arbeitsplätzen geholfen haben, nicht die zutreffende Antwort auf die gegebene strukturelle Wirtschaftssituation sind. Aber wir haben es nicht dabei belassen, die Folgen der Wirtschafts-



    Westphal
    schwäche zu finanzieren. Zu unseren Entscheidungen gehören Maßnahmen, die auf deren Überwindung zielen. Ich weise nur auf die Programme zur beruflichen Qualifizierung und auf das Kreditverbilligungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau für erneuernde, energiesparende Investitionen insbesondere im Bereich kleiner und mittleren Betriebe hin.
    Ich komme zum Schlußsatz. Meine Redezeit ist abgelaufen. —

    (Kolb [CDU/CSU]: Schon lange!)

    — Sie meinen: schon lange. Ich nicht. Ich würde gerne noch ein bißchen deutlicher etwas zu Ihnen sagen.

    (Zuruf des Abg. Carstens [Emstek] [CDU/ CSU])

    Als ein Parteiengebilde ohne eigenes Handlungskonzept, so wie Sie es uns hier in dieser Woche gezeigt haben, ist die Opposition durch diese Woche der Haushaltsberatungen gegangen,

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie lenken von den wahren Problemen ab!)

    immer nur nein sagend und wie beim Subventionsabbau Stimmenthaltung schon als konstruktives Handeln verkaufend. Darauf sollte sich der Bürger besser nicht einlassen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Warten wir ab, was Ihnen jetzt der Kollege Hoppe ins Stammbuch schreiben wird!)

    Da ist es schon sinnvoller, diejenigen kritisch zu begleiten, die sich im schwierigen Fahrwasser nicht scheuen, zu handeln, und die entschlossen sind, für das geradezustehen, was sie tun und was sie hier beschließen. Wir stehen zu unseren Entscheidungen und können dies, nachdem wir alles Für und Wider sauber abgewogen haben, auch vor dem Bürger vertreten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Haase hat sich bei seinen Mitstreitern im Haushaltsausschuß bedankt. Ich möchte ihm für die FDP-Fraktion diesen Dank zurückgeben: für seine heutige Rede mit Einschränkungen,

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Es bleibt noch genug übrig!)

    für die Leitung und den Vorsitz im Haushaltsausschuß uneingeschränkt.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Nur durch seine straffe und faire Leitung war es möglich, daß dieser Haushalt mit all seinen Problemen noch in dieser Woche beraten werden konnte und heute verabschiedet werden kann.
    Und so hat sich völlig reibungslos der Wechsel im Ausschußvorsitz von dem geachteten Kollegen Windelen, den wir zu einem stellvertretenden Präsidenten dieses Hauses wählen konnten, zu unserem neuen Vorsteher vollzogen.

    (Heiterkeit — Dr. Riedl [München] [CDU/ CSU]: Bei uns sind die Führungswechsel immer reibungslos!)

    Herr Kollege Haase hat hier gesagt, es habe im Haushaltsausschuß hektische Beratungen gegeben. Ich kann das nicht leugnen. Fairerweise — und da bleibe ich nun diskret — wollen wir allerdings sagen, daß wir uns diese Hektik zu einem Teil selbst beschert haben.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie waren oft nervös!)

    — Herr Kollege Riedl, soll ich doch etwas deutlicher werden? Ich lasse Sie gleichwohl mit Amerika in Ruhe.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Kollege Haase hat hier gesagt, die Minderausgaben seien eines der Probleme des Haushalts — in diesem und, solange wir Minderausgaben bei knapp bemessenen Haushaltszuweisungen haben, sicher auch im nächsten. Aber er hat daran die Aussage geknüpft und damit die Prämisse der Diskussion über die globale Minderausgabe verschärft, sie seien 1980 nicht erwirtschaftet worden.
    Hier muß ich korrigieren. Sie sind erwirtschaftet worden — allerdings mit dem Mittel der Haushaltsbeschränkung. Aber das ist genau das Mittel, das die Opposition, wenn ich ihre Entschließungsanträge richtig gelesen habe, auch für den Haushalt 1981 wieder fordert.
    Und dann hat der Kollege Haase seine früheren Lösungsmodelle für die Aufstockung des Verteidigungshaushalts über die Erhöhung des Nettokreditbedarfs noch einmal behandelt. Nun, das war ein Slalom rückwärts; ich gebe zu: gekonnt.
    Meine Damen und Herren, wir stehen miteinander vor der Frage: Wann heißt es „Hic Rhodos, hic salta"?

    (Kiep [CDU/CSU]: Das fragen wir Sie!)

    Herr Kollege Haase, mit Ihnen wiederhole ich noch einmal: Die Bundesregierung muß unverzüglich handeln, sie muß uns schnell die Voraussetzungen dafür liefern, daß wir nach der Sommerpause an die Beratungen des Haushaltes 1982 und an das notwendige, sie begleitende 2. Subventionsabbaugesetz herangehen können. Aber wenn ich sage „unverzüglich", also „ohne schuldhaftes Zögern", dann füge ich hinzu: Bei dieser für die Staatsfinanzen so existentiellen Frage muß Richtigkeit vor Fixigkeit gehen, und das sollte auch für die Opposition gelten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir brauchen in den nächsten Wochen und Monaten ein bis dahin noch nie benötigtes Maß an Courage, an Arbeitswut, an Gerechtigkeit und Augenmaß, wenn wir die anstehenden Probleme mit dem Haushalt 1982 verläßlich und unter Wahrung der sozialen Symmetrie in den Griff bekommen wollen. Was für Konrad Adenauer immer wieder mal gültig war, gilt



    Hoppe
    heute ohne Einschränkung: Die Lage war noch nie so ernst.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    — In der Tat, es geht nicht — ich sage es noch einmal —, sich hier noch einmal selbst etwas vorzumachen, sich etwas einzureden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ CSU]: Wie Sie das getan haben, Herr Kollege!)

    Ich wiederhole: Wer den Anlauf verkürzt, springt zu kurz.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Freie Demokraten und Sozialdemokraten haben daraus, glaube ich, bereits die Konsequenzen gezogen. Sie haben Arbeitsgruppen mit der intensiven Vorbereitung eines Entscheidungsprozesses beauftragt, an dessen Ende ein neustrukturierter Haushalt stehen muß. Es wird ein ungleich härteres Stück Arbeit sein, als wir es noch bei der Aufstellung des Haushalts 1981 erwartet haben. Wir wissen jetzt, daß wir uns mehr abverlangen müssen. Das Problembewußtsein, das sich in den letzten Jahren mühsam und sehr allmählich entwickelte, hat jetzt eine wachsende Mehrheit dieses Hauses erfaßt.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang muß ich in Richtung des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei und auch des Bundeskanzlers dankbar anmerken: Beide haben schon sehr frühzeitig davor gewarnt, das Netz der sozialen Sicherung als Hängematte mißzuverstehen: Willy Brandt in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" im Mai 1976 und der Bundeskanzler auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 1977 in Köln.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das ist aber sehr interessant!)

    Er rief dort aus: „Es darf eben nicht so sein, daß einige das soziale Netz als Ruhekissen mißverstehen!" — Was damals schon richtig war und als richtig erkannt wurde, drängt nun heute — unter dem unerbittlichen Zwang leerer Kassen — zu handfesten Schlußfolgerungen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Kolb [CDU/CSU]: Außer Reden nichts gewesen!)

    Meine Damen und Herren, dabei bleibt unumstritten, daß die unausweichlichen Opfer von allen Bürgern, von allen Gruppen zu erbringen sind. Ich habe zu Beginn der Haushaltsdebatte gesagt: Es darf keine Tabus geben. Das ist selbstverständlich eine Aufforderung an alle Parteien, auch an die Freie Demokratische Partei, und wir wollen sie so begreifen und haben sie so begriffen.
    Wenn wir diesen Grundsatz beherzigen, dann allerdings ist mir um ein gutes Gelingen nicht bange. Der oft zitierte Vorrat von Gemeinsamkeiten in einer Koalition

    (Zuruf von der CDU/CSU: Geht zu Ende!)

    kann hier durch ein entschiedenes Engagement von SPD und FDP neu ergänzt werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich möchte folgendes anfügen: Aufrichtige Worte zur rechten Zeit, so glaube ich, können dabei nur guttun.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das sagen Sie seit sechs Jahren, Herr Kollege!)

    „Pommern sind von natürlicher Offenheit", sagte einmal der Alte Fritz. Dies bedenkend, sollte der eine oder andere Sozialdemokrat nicht mißtrauisch zusammenzucken, wenn ich eine realistische Lagebeschreibung zu geben versuche; er sollte dies mehr als selbstkritische Aufmunterung verstehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren und meine Freunde in der sozialdemokratische Fraktion, vergessen Sie nicht: Die Axt im Haus erspart den Zimmermann — auch den von der CSU.

    (Heiterkeit und Beifall — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Aber wir haben den Zimmermann! Und den bräuchtet ihr! — Glos [CDU/CSU]: Den könnt ihr nicht verhindern!)

    Die Schwierigkeiten, vor denen wir objektiv stehen, werden nur noch von der Ratlosigkeit übertroffen, in der sich die CDU/CSU-Opposition bei der Präsentation eigener Lösungsvorschläge befindet.

    (Zustimmung des Abg. Walther [SPD])

    Verglichen mit der Ideenarmut der Opposition, hier in Sachen konkreter Haushaltspolitik etwas Alternatives vorzuzeigen, können FDP und SPD nicht nur neuen Mut schöpfen. Es gilt vielmehr auch, sich auf das Lösungsmodell „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott" einzustellen — die Opposition tut's ums Verrecken nicht!

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Heiterkeit — Kolb [CDU/CSU]: Ihr seid doch in den Schlamassel hineingeraten!)

    So wächst denn die Bereitschaft, nach dem gerade bewältigten Etat des Haushalts 1981, nun die Konsolidierung der Staatsfinanzen auch um den Preis schmerzhafter Operationen konkret voranzubringen. Das ist unser unbedingter Wille, und wir wollen ihn auch durchsetzen. Das Risiko, das in diesem Unternehmen liegt, will ich hier nicht leugnen. Wir werden so manche liebgewordenen Ansprüche zurückschrauben müssen, ja, wir werden bei der Beratung des aufgeschwemmten Etats bis an die Grenzen des Zumutbaren vorstoßen müssen, des Zumutbaren für den Bürger und auch des Zumutbaren für unser eigenes Selbstverständnis. Das gilt gleichermaßen für Freie Demokraten und Sozialdemokraten. Meine Damen und Herren, das geht nicht ohne Kampf und ohne Ärger ab.
    Ich bin aber sicher, daß die wachen und aufgeschlossenen Mitbürger in unserem Lande durchaus zwischen diskutierenden Aktiven und räsonierenden Passiven zu unterscheiden wissen.

    (Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!)




    Hoppe
    Die Generallinie der Opposition ist j a bekanntlich immer noch: abwarten und sich wohlfühlen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Unwohl fühlen!)

    So etwas vermittelt zunächst einen recht harmonischen Eindruck und ist sicherlich auch sehr bequem. Auf die Dauer werden wir damit aber keine empfehlenswerte Adresse abgeben.
    Diese manchmal doch etwas eingeklemmt wirkende Ausgangslage hat offenbar auch den CDU- Vorsitzenden dazu verleitet, die umfassende und offene Aussprache des jüngsten FDP-Bundesparteitages über die Sicherheitspolitik und den NATO-Doppelbeschluß mit der aburteilenden Wertung zu bedenken, die FDP sei in gefährliches Fahrwasser geraten. Nein, nicht die ehrliche und offene Auseinandersetzung über existentielle Fragen unserer Politik ist gefährlich, sondern das Unterdrücken und Verschweigen der Bedenken, die in allen Parteien und in weiten Kreisen der Bevölkerung wegen des drohenden Rüstungswettlaufs um sich greifen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich bin froh, daß die Freie Demokratische Partei nach innen wie nach außen ausschließlich dem Instrument der Überzeugungsarbeit vertraut.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das tun wir alle!)

    Wir wollen keine Jubel-Parteitage, auf denen Herz, Hirn und Hand der Delegierten vor allem zum höheren Ruhm des Vorsitzenden eingesetzt werden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Denken Sie an Ihren Münchener Parteitag, Herr Kollege!)

    Meine Damen und Herren, es kommt nicht von ungefähr, daß in dem vom CDU-Landesvorsitzenden Biedenkopf herausgegebenen „Westfalen-Echo" zu den Perspektiven der Jugendpolitik der Union jüngst zu lesen war, daß unter den gegebenen Umständen der nächste CDU-Parteitag unter dem Motto stehen könnte: „Es gibt viel zu tun, heften wir es ab!"

    (Heiterkeit bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon mal gehört!)

    Wer glaubt, er könne sich kritische Auseinandersetzungen ersparen, lügt sich selbst in die Tasche und auch das nur für kurze Zeit.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn damit? Das ist unglaublich!)

    — Ich hatte ein Wort aus einer Zeitschrift zitiert, die in der Verantwortung eines Ihrer Parteifreunde herausgegeben wird.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: In einer bestimmten Zielrichtung zitiert!)

    Wenn Sie von daher „unglaublich" sagen, meinen Sie offenbar Herrn Biedenkopf. Herr Mertes, ich gebe es an ihn weiter.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Nein, ich meinte Sie!)

    Meine Damen und Herren, ich sagte schon und wiederhole es, daß sich Freie Demokraten und Sozialdemokraten der unumgänglichen Schwerarbeit zur Sanierung der Staatsfinanzen nicht entziehen werden. Aber es geht doch um mehr. Es geht darum, daß die verantwortlichen Kräfte in Parlament und Regierung unter Beweis stellen, wie sehr ihnen gerade in dieser schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Krisen, der Verteilungskämpfe und der harten Sparmaßnahmen an der Verteidigung einer Gesellschaft gelegen ist, die offen für den Wandel bleibt. Wir werden sehr darauf zu achten haben, daß in dieser Phase des vielfältigen Umbruchs der Geist der Liberalität, der Offenheit und der Toleranz Einfluß behält und gewinnt.
    Auf konservativer Seite ist j a die Versuchung stets groß, auf irritierende Entwicklungen in der Gesellschaft, auf geistige Unruhen und auf politische Forderungen der nachwachsenden Generationen vorwiegend mit institutioneller Autorität zu reagieren. Es gibt aber wenig Sinn, Symptome zu unterdrücken und gleichzeitig der Auseinandersetzung um ihre Ursachen aus dem Wege zu gehen. Die Demonstrationen der Kernenergiegegner dürfen ebensowenig zu einer polizeitaktischen Frage werden wie die sogenannten Instandbesetzungen in vielen Städten unserer Republik. Es wird wenig zum inneren Frieden in unserem Land beitragen, wenn die aufbegehrenden Geister pauschal in die Extremisten-Ecke gestellt werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Nicht ein Klima der Aggression und der Ressentiments ist gefragt, sondern eine Atmosphäre, in der unterschiedliche und entgegengesetze Meinungen als normal ertragen und unterschiedliche Standpunkte ausgetragen werden.

    (Beifall bei der FDP — Glos [CDU/CSU]: Das müssen Sie der Frau Renger sagen!)

    Unsere Gesellschaft hat keine Dogmen zu verteidigen und keine auf Ungerechtigkeit beruhenden Machtpositionen. Nein, sie hat vor allem dies zu verteidigen: ihre Freiheit. Und dazu gehört ganz besonders die Freiheit des Andersdenkenden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    In diesem Prinzip steckt die wahre Kraft der Gesellschaft. In ihm liegen die Innovationsfähigkeit und die Chance zur vernünftigen Anpassung an die gewandelten Bedingungen.
    Einsatz für Liberalität heißt deshalb immer zugleich auch Einsatz für die Entfaltung geistiger, politischer und sozialer Kreativität.
    Karl-Hermann Flach hat vor genau zehn Jahren folgende Wahrheit niedergeschrieben:
    Wer Minderheiten in ihren Rechten einschränkt, zwängt die Gesellschaft in Formen der Erstarrung. Geistige Freiheit und Minderheitenschutz sind daher für die Entwicklung der Gesellschaft unverzichtbar. Ihre Voraussetzung ist Toleranz.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)




    Hoppe
    Meine Damen und Herren, das sollte auch für uns, das sollte auch hier im Deutschen Bundestag gelten!

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ralf Dahrendorf hat vor gut einem Monat in der „Zeit" definiert:
    Liberal ist zunächst eine Reaktion, die hinter Symptomen Ursachen sucht und sich dann bemüht, mit diesen fertig zu werden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Dann sind wir alle liberal!)

    Beide Feststellungen beschreiben eine politische Haltung, die für die Freien Demokraten unverändert ausschlaggebend ist. Das liberale Verständnis von Demokratie geht vom selbstverantwortlichen Handeln des einzelnen aus. Wir Liberalen erwarten vom Bürger, daß er sich seine Verantwortung nicht von anderen abnehmen läßt.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Monumentale Binsenwahrheiten!)

    Das muß aber auch umgekehrt heißen, daß jene, die sich in eigener Verantwortung auf die Gestaltung neuer Ideen und Lebensformen konzentrieren, nicht der gesellschaftlichen Häme und der politischen Unterstellung ausgeliefert werden.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Auch das ist selbstverständlich!)

    — Es ist fast selbstverständlich, Herr Mertes, und doch wird so viel dagegen gesündigt; auch das scheint selbstverständlich zu sein.

    (Dr. Möller [CDU/CSU]: Auch von Ihnen!)

    Ich halte es aber für ein ermutigendes Zeichen, wenn eine wachsende Zahl junger Menschen sich in praktischer Solidarität, in Selbsthilfe und Selbstverantwortung übt. Es wäre ein gewaltiges Versäumnis der Parteien des Deutschen Bundestages, wenn sie die Menschen, die sich für alternative Lebensformen engagieren, schlankweg mit Leistungsverweigerern und gesellschaftspolitischen Exoten gleichsetzten. Mit dieser Einstellung würden junge Mitbürger scharenweise in die Arme jener Gruppierungen getrieben, die sich als „Alternative" bezeichnen und damit just an Stelle der im Parlament vertretenen Parteien genau dort hinein gelangen wollen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch Ihre Berliner Politik!)

    Meine Damen und Herren, ich bezeuge all jenen meine Achtung, die aus den oft mißbrauchten Schlagworten von der Selbstverwirklichung, der Selbstbestätigung und der Selbstverantwortung handfeste Konsequenzen für ihr tägliches Leben ableiten. Sie rufen nicht nach dem Staat, sondern sie wollen ihre eigenen Kräfte ergründen und erproben.
    Ich bin sicher, daß die überwältigende Mehrzahl dieser jungen Mitbürger nicht gegen demokratische Spielregeln, sondern mit ihnen leben will. Es liegt aber im Interesse der Generationen, wenn die Grundregeln des Zusammenlebens, wie sie durch unsere Rechtsordnung vorgegeben sind, nicht zur Disposition gestellt werden. Es darf von seiten des Staates und der Politiker nicht der Eindruck entstehen, oder gar erweckt werden, als ob dies vorstellbar und praktikabel wäre. Wo Gewalt praktiziert wird, darf es kein augenzwinkerndes Verständnis geben.

    (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

    Toleranz kann sich immer nur auf Klarheit der eigenen Position gründen,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist gut!)

    nicht auf opportunistischer Beliebigkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Zeiten der unruhigen Entwicklung und Zeiten des knappen Geldes haben Doppeltes gemeinsam: Zu dem Risiko der Fehlentwicklung und der Fehlsteuerung kommt die Chance des substantiellen Neubeginns. Dies gilt für die Gesellschaftspolitik wie auch für die Finanz- und Haushaltspolitik.
    Ein neuer Anlauf ist zweifellos auch in der Deutschland- und Ostpolitik nötig. Ich knüpfe diese erklärte Absicht der Freien Demokraten zur Fortführung der Entspannungspolitik dabei nicht an die Hoffnung auf eine baldige Änderung zum Besseren. Da ist in letzter Zeit zuviel zwischen Ost und West ins Stocken geraten. Da sind auch zu viele atomare Mittelstreckenraketen auf russischem Boden stationiert worden, die auf Mitteleuropa gerichtet sind, als daß so einfach zur Tagesordnung übergegangen werden könnte. Das dadurch entstandene Ungleichgewicht muß korrigiert werden. In dem Maße, wie dies auf dem Verhandlungswege erreicht werden kann, dürfte auch die Dialogfähigkeit insgesamt zwischen West und Ost und die Zusammenarbeit über die Grenze der beiden Systeme hinweg wieder zunehmen. Dies wäre der Weg der Vernunft. Wir dürfen uns ihm nicht verschließen, und wir dürfen ihn uns nicht verbauen lassen. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben sich in den zurückliegenden Wochen und Monaten in den Hauptstädten der westlichen und östlichen Welt mit viel Nachdruck und mit Erfolg für die Wiederaufnahme von Gesprächen und Verhandlungen eingesetzt. Wir alle sind aufgefordert, auf diesem Kurs der Verständigung zu bleiben, und das heißt auch, jede Chance zum Meinungsaustausch zu nutzen. Für die Deutschen steht bei einer Ost-West-Konfrontation mehr als für jede andere Nation auf dem Spiel. Deshalb sollte niemand mit Unterstellungen, sondern jeder sollte mit Unterstützung begleitet werden, der im Ausland — ob in Washington oder Moskau — für unsere Position wirbt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Kern politischen Handelns heute und morgen bleibt für die Freien Demokraten: die Bewahrung des Friedens.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)