Rede von
Rudolf
Bindig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Dies ist nur ein Punkt in Ihrem Antrag. Mir ist ansonsten in der Tat aufgefallen, daß in diesem Antrag eine Vielzahl von Widersprüchlichkeiten und Oberflächlichkeiten enthalten ist, so daß ich sagen muß: Die Überschrift ist an dem Antrag fast noch das Beste für die praktische Arbeit. Es fällt auf, daß der Antrag die Binnensituation der Entwicklungsländer weitgehend ausklammert. Wenn man Vorschläge zur Bekämpfung der absoluten Armut machen will, und zwar konkrete Vorschläge, und sie in Anträgen hier im Bundestag einbringen will, dann kann man dieses doch nicht übergehen.
Es wird von „Ländern" geredet und nicht zwischen Regierungen und Völkern, insbesondere nicht zwischen der armen Bevölkerung in den ländlichen und den urbanen Bereichen unterschieden. Die ungleiche Einkommensverteilung in den Entwicklungsländern und vor allem die Erkenntnisse über die Einkommensentwicklung bei der ärmsten Bevölkerung bei wachsender Wirtschaft werden in Ihrem Antrag nicht angesprochen. Ich weiß, daß Sie sie grundsätzlich auch sehen und untereinander diskutieren.
Das Gefälle zwischen den höheren und den Durchschnittseinkommen auf der einen und den Einkommen der ärmeren Schichten auf der anderen Seite wird durch ein einfaches Wirtschaftswachstum tendenziell noch verstärkt. Sie sagen, daß eine spürbare Verbesserung des Pro-Kopf-Versorgungsniveaus für die unterstützten Länder erreicht werden soll. Ich dachte, daß es inzwischen gesicherte Einsicht aller Entwicklungspolitiker ist, daß das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes kaum ein geeigneter Indikator für die Situation der breiten Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern darstellt. Die
Erhöhung des Bruttosozialprodukts ist im wesentlichen ein Maßstab für den Wohlstand dieser oberen Einkommensschichten. Sie operieren in Ihrem Antrag dennoch zweimal mit diesem Begriff „Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens", und zwar einmal, indem Sie von der Verbesserung des Pro-Kopf-Versorgungsniveaus sprechen, und dann, indem Sie von einer Wirkung auf das Entwicklungsniveau pro Kopf sprechen. Ich habe so ein bißchen das Gefühl, daß Sie zwar die Problematik kennen, aber trotzdem diese nicht voll aufnehmen, weil Sie auf die innenpolitische Situation in den Ländern der Dritten Welt nicht hinreichend eingehen.
Wo und in welchen Bereichen soll in den LLDCs die von Ihnen geforderte Mittelkonzentration ansetzen? Hier empfehlen Sie, daß die Hilfe bei der Lösung von Engpaßproblemen ansetzen soll. Vermutlich verwenden Sie den Begriff „Engpaß", weil schon im Wort angelegt ist, daß ein Engpaß beseitigt werden muß oder kann. Hat uns aber nicht die entwicklungspolitische Diskussion in den letzten zwei Entwicklungsdekaden gelehrt, daß Unterentwicklung eben gerade kein Engpaßproblem ist, welches einfach beseitigt werden kann? Unterentwicklung ist nicht nur eine Folge von Kapitalmangel oder fehlendem Know-how oder mangelhalfter Infrastruktur. Unterentwicklung ist durch vielfältige soziale, historische, ökonomische, politische Faktoren bedingt. Deshalb läuft der Trend eher von Engpaßüberlegungen hin zu Programmüberlegungen für integrierte ländliche Programme, Grundbedarfsprogramme. Die herkömmliche Entwicklungstheorie hat geglaubt, daß Unterentwicklung ein Ausdruck von Kapitalmangel sei. Heute wissen wir, daß es vor allem auf die Mobilisierung der Selbsthilfefähigkeit der armen Bevölkerung in breit angelegten Ansätzen ankommt. Sie haben das in Ihrer Begründung auch nachgeschoben.