Das war es ganz gewiß, Herr Dr. Köhler.
— Gut, wenn Sie das so meinen, wenn Sie das so interpretieren, dann sind wir gar nicht weit voneinander entfernt.
— Dann haben wir einen Fortschritt gemacht. Ich begrüße das j a, Herr Dr. Köhler. Ich weiß nur — Sie wissen es genauso —, daß es andere Mitglieder Ihrer Fraktion gibt, die das anders interpretieren. Aber wenn das Ihre Interpretation ist, kann ich mich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
Wenn wir über eine Konzentration unserer Hilfe auf die am wenigsten entwickelten Länder sprechen, dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren — das ist, glaube ich, auch ganz wichtig —, daß es nicht nur in diesen Ländern Massenarmut gibt. Wenn Sie die Kategorien der Weltbank nehmen, stellen Sie fest, daß etwa 80 % derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze, wie die Weltbank das nennt, leben, die praktisch langsam verhungern, außerhalb der am wenigsten entwickelten Länder leben. Allein in Indien gibt es mehr Massenarmut als in allen LLDCs zusammengenommen. Das heißt: Die Konzentration auf die am wenigsten entwickelten Länder darf uns nicht dazu führen, daß wir die Tatsache aus den Augen verlieren, daß es auch in anderen Ländern Massenarmut gibt, und darf uns nicht davon ablenken, daß in den am wenigsten entwickelten Ländern nur etwas über 10 % der Menschen der Entwicklungsländer leben. Das heißt mit anderen Worten: Die Konzentration auf die am wenigsten entwickelten Länder muß auch eine Grenze haben.
Wenn ich die für dieses Jahr vorgesehenen Zusagen an die LLDCs — sie machen insgesamt 32,5 % aus; das ist fast ein Drittel — betrachte und dabei berücksichtige, daß nur gut 10 % der Menschen der Entwicklungsländer — ohne China — in den am wenigsten entwickelten Ländern leben, dann, glaube ich, sollte man über diesen Rahmen von knapp einem Drittel in der Zukunft nicht mehr wesentlich hinausgehen. Wir sollten den Anteil, den wir in diesem Jahr erreicht haben — er wird im nächsten Jahr aus besonderen Gründen vielleicht wieder etwas zurückgehen — nicht mehr beträchtlich steigern. Ich glaube, daß wir, was den Anteil der LLDCs an unserer Entwicklungshilfe anbetrifft, insgesamt schon sehr weit sind. Das übertrifft bei weitem den Anteil vieler anderer Geber in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.
Eine letzte abschließende Bemerkung, meine Damen und Herren, bevor wir diesen Antrag dann im Ausschuß intensiver diskutieren. Es ist zur Zeit Mode, einen Entwicklungspessimismus zu verkünden, der in vielen Fällen bis zur Resignation geht. Die Gefahr der Resignation besteht bei denjenigen, die mit überspannten Erwartungen an die Entwicklungspolitik herangegangen sind, die nicht berücksichtigen, daß der Entwicklungsprozeß in Europa Jahrhunderte gedauert hat. Ich sage Ihnen: Wir haben, wenn wir die vergangenen 20 Jahre betrachten, erhebliche Fortschritte erreicht. Wir müssen berücksichtigen, wie stark die Bevölkerung in den Entwicklungsländern gewachsen ist. In 30 Jahren hat sie sich verdoppelt, und sie wird sich in den kommenden 30 Jahren wiederum nahezu verdoppeln. Angesichts dieser Steigerung der Bevölkerungszahl kann man sagen: Wir haben deutliche Fortschritte erzielt, die überhaupt nicht denkbar wären ohne die entwicklungspolitische Zusammenarbeit.
Wenn das durchschnittliche Bevölkerungswachstum auch in den ärmsten Entwicklungsländern deutlich zurückgegangen ist, so ist das mit ein Erfolg — direkt und indirekt — vor allem der Entwicklungspolitik. Wenn wir die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt zwischen 1960 und 1978 auch in den ärmsten Entwicklungsländern wesentlich steigern konnten, nämlich von 42 auf 50 Jahre, so ist auch das ein Erfolg der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und der Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer. Wenn es uns gelungen ist, die Kindersterblichkeit innerhalb dieser 18 Jahre, von 1960 bis 1978, deutlich zu reduzieren, nämlich von 30 unter 1 000 Kindern, die in den ersten vier Lebensjahren starben, auf 20 unter 1 000, dann ist das ein Erfolg. Natürlich ist diese Zahl noch viel zu hoch, aber es ist ein Fortschritt, ein Erfolg. Und wenn es uns gelungen ist — und das ist eine ganz wesentliche Zahl, eine Basis für jeden weiteren Fortschritt —, den Anteil der Menschen mit Lese- und Schreibkenntnissen in der Dritten Welt, auch in den ärmsten Entwicklungsländern, deutlich zu steigern — in den ärmsten Ländern von 29 auf 38 % bei einer wesentlichen Steigerung der absoluten Zahl der Menschen —, dann halte ich das für einen wesentlichen Erfolg.
Es gibt also keinen Anlaß zur Resignation. Es gibt allerdings auch keinen Anlaß zu einer Schilderung in den rosigsten Farben. Die Ölkrise hat zusätzliche Probleme geschaffen. Ich sage ganz offen, daß die Ölkrise die Gefahr mit sich bringt, daß wir uns in der Zukunft oft auf den Erhalt des gegenwärtigen Zustandes konzentrieren müssen und daß nur langsamere Fortschritte möglich sein werden, es sei denn, die OPEC-Staaten kommen zu einem noch stärkeren Engagement in der Entwicklungspolitik. Ich glaube, es gibt zu einem Entwicklungspessimismus keinen Anlaß. Allerdings müssen wir angesichts der Ölkrise eine verschärfte und schwierigere Situation vor allem der Entwicklungsländer konstatieren. Dies sollte uns aber nicht zur Resignation führen, sondern zu verstärkten Anstrengungen. — Danke schön.