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ID0903105800

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    Plenarprotokoll 9/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Inhalt: Bericht zur Lage der Nation in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wangen), Graf Huyn, Sauer (Salzgitter), Böhm (Melsungen), Lintner, Werner, Frau Roitzsch, Lowack, Diepgen, Schwarz, Würzbach, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Niegel und der Fraktion der CDU/ CSU Politische Häftlinge in den Haftanstalten der DDR — Drucksache 9/198 — Schmidt, Bundeskanzler 1541 B Dr. Zimmermann CDU/CSU 1549 B Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister von Berlin 1555C Ronneburger FDP 1562 C Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1566 D Franke, Bundesminister BMB 1573 C Dr. Barzel CDU/CSU 1578 B Hoppe FDP 1586 A Dr. Ehmke SPD 1588 D Lorenz CDU/CSU 1593A Junghans SPD 1597 B Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asyslverfahrens — Drucksache 9/221 — Frau Leithäuser, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg 1600 B Dr. Bötsch CDU/CSU 1602 D Dr. Schöfberger SPD 1604 D Dr. Wendig FDP 1607 A Dr. de With, Parl. Staatssekretär BMJ . . 1609 C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Ächtung der Todesstrafe — Drucksache 9/172 — Klein (Dieburg) SPD 1610 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 1612 A Bergerowski FDP 1613 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Spranger, Dr. Miltner, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Laufs, Dr. George, Neuhaus, Dr. Bötsch, Broll, Biehle, Linsmeier, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU Prüfung der Notwendigkeit von Gesetzgebungsvorhaben — Drucksache 9/156 — Dr. Miltner CDU/CSU 1615A Dr. Kübler SPD 1616 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 1618A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz) — Drucksache 9/279 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Engholm, Bundesminister BMBW 1620 A Rossmanith CDU/CSU 1622 B Weinhofer SPD 1624 D Popp FDP 1628 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Windelen, Dr. Dollinger, Pfeffermann, Weirich, Neuhaus, Bühler (Bruchsal), Linsmeier, Maaß, Lintner, Dr. Riedl (München), Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Köhler (Wolfsburg), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Stavenhagen, Niegel, Röhner, Spilker, Dr. Bugl und der Fraktion der CDU/CSU Aufhebung des sogenannten Verkabelungsstopps der Bundesregierung — Drucksache 9/174 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" — Drucksachen 9/245, 9/314 — Weirich CDU/CSU 1630 C Paterna SPD 1632 D Dr. Hirsch FDP 1634 D Becker, Parl. Staatssekretär BMP . . . 1635 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/68 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/298 — 1636 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und des Europäischen Übereinkommens vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/69 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/299 — 1636 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Wiener Abkommen vom 12. Juni 1973 über den Schutz typographischer Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung (Schriftzeichengesetz) — Drucksache 9/65 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/301 — Dr. Klejdzinski SPD 1636 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 13. Mai 1977 unterzeichneten Fassung des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken — Drucksache 9/70 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/302 — 1637 A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes — Drucksache 9/246 — 1637 B Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/289 — 1637 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Reichseigenes Grundstück Berlin 52 (Reinickendorf), Ollenhauerstraße 97/99; hier: Verkauf an das Land Berlin — Drucksachen 9/101, 9/261 — 1637 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 III Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide — Drucksachen 9/108 Nr. 13, 9/274 — . . .1637 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Durchsetzung von internationalen Normen für die Sicherheit im Seeverkehr und die Verhütung von Meeresverschmutzung in bezug auf den Schiffsverkehr in den Häfen der Gemeinschaft — Drucksachen 9/87, 9/300 — 1637 D Nächste Sitzung 1638 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1639* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 1541 31. Sitzung Bonn, den 9. April 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 9. 4. Dr. Ahrens ** 10. 4. Amrehn 10. 4. Brandt * 9. 4. Burger 10. 4. Dr. Enders ** 9. 4. Francke (Hamburg) 10. 4. Franke 10. 4. Dr. Geißler 10. 4. Gilges 9. 4. Haase (Fürth) 10. 4. Hauser (Krefeld) 10. 4. Herterich 10. 4. Hoffie 10. 4. Dr. Holtz ** 10. 4. Dr. Hubrig 10. 4. Jungmann 10. 4. Kiep 9. 4. Kleinert 10. 4. Korber 10. 4. Dr. Kreile 10. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Krone-Appuhn 10. 4. Landré 10. 4. Lenzer ** 10. 4. Mahne 10. 4. Matthöfer 10. 4. Meinike (Oberhausen) 10. 4. Dr. Mitzscherling 10. 4. Dr. Müller ** 10. 4. Neuhaus 10. 4. Frau Noth 10. 4. Petersen *** 10. 4. Picard 10. 4. Pieroth 10. 4. Dr. Pohlmeier 9. 4. Schäfer (Mainz) 10. 4. Scheer 10. 4. Frau Schlei 10. 4. Schreiber (Solingen) 10. 4. Schröder (Wilhelminenhof) 10. 4. Schwarz 10. 4. Dr. Schwarz-Schilling 10. 4. Sick 10. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 9. 4. Spilker 10. 4. Frau Dr. Timm 10. 4. Dr. Unland ** 10. 4. Dr. Vohrer ** 10. 4. Dr. von Weizsäcker 10. 4. Wischnewski 10. 4. Baron von Wrangel 10. 4.
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    Rede von Heinrich Klein


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Punkte 5 und 6 unserer Tagesordnung haben einen gewissen inneren Zusammenhang. In beiden Fällen — bei den Artikeln 16 und 102 GG geht es um die Unversehrtheit des Lebens. Die Koaltionsfraktionen fordern mit diesem Antrag die Bundesregierung auf, auch künftig die Abschaffung der Todesstrafe in allen Ländern zu betreiben, d. h., wir verdeutlichen mit unserem Antrag, daß dies nicht nur eine Sache der Bundesregierung, sondern auch unseres Parlaments ist. Wir wollen mit diesem Antrag unterstreichen, daß alle Absichten und alle Aktivitäten der Regierung in der Vergangenheit von uns, der Volksvertretung, voll mitgetragen werden. Unser Antrag ist also eine Ermunterung, auf dem bisherigen Wege aktiv weiterzugehen.
    Meine Damen und Herren, in einem Taschenbuch, das unser Bundestagskollege Freimut Duve herausgegeben hat, wird ein anschaulicher Überblick gegeben, wie die Realität der Todesstrafe in den rund 140 Ländern der Erde aussieht. Derzeit haben genau 18 Länder, in denen ca. 8 % der Weltbevölkerung leben, die Todesstrafe abgeschafft. Für mehr als 90 % der Weltbevölkerung ist also die Todesstrafe in Krieg und Frieden eine Realität und ein Bestandteil der jeweiligen Rechtsordnung.
    Auch die jungen Staaten Afrikas, die in den letzten Jahren ihre Selbständigkeit erlangt haben, kennen die Todesstrafe, haben sie eingeführt oder von früherer Zeit beibehalten. Das heißt, die Zahl der Länder, die in den letzten Jahren auf die Todesstrafe verzichtet haben, ist nicht geringer geworden. Aber eine deutliche Änderung trat im Inhalt, trat in der Praxis ein.
    Wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß beispielsweise in Italien, in Spanien und Liechtenstein Entwicklungen eingeleitet worden sind, die darauf hoffen lassen, daß es dort in absehbarer Zeit keine Todesstrafe mehr geben wird.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Liechtenstein ist dabei besonders wichtig!)

    — Verzeihen Sie, Herr Kollege Erhard, auch die kleinen Länder zählen in diesem Konzert von 140 Ländern mit. Liechtenstein ist in dieser Aufzählung enthalten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es hat aber noch die Todesstrafe!)

    Wir sollten auch den Respekt vor den Kleineren nicht vergessen.

    (Beifall bei der SPD — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Wann haben die denn die letzte vollstreckt?)

    Meine Damen und Herren, wenn wir verständlich machen wollen, welche quanititativen Entwicklungen eingetreten sind, dann zeigt sich ein Fortschritt auch in der Weise, daß eine ganze Reihe von Ländern, die die Todesstrafe beibehalten hat, sie auch verhängt, sie aber so gut wie nicht mehr vollstreckt. Darin sehen wir einen gewissen Fortschritt.
    Die Zahl von 18 : 122 verdeutlicht natürlich, daß sich Bundesregierung und Parlament bei uns eine Menge vorgenommen haben, wenn wir heute von diesem Hohen Hause aus den Appell an die Öffentlichkeit richten, auf die drakonischste Form der Bestrafung zu verzichten. Natürlich drängt sich auch die Frage auf, ob wir als Deutsche einen Anlaß haben, in dieser Weise initiativ zu werden — nach all dem, was geschehen ist. Ich vergesse nicht, daß Paul Celan vor rund 40 Jahren in der „Todesfuge" gedichtet hat: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland."
    Dennoch, wir haben Anlaß, aus der Praxis der letzten 32 Jahre seit der Abschaffung der Todesstrafe in unserem Lande aus den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, bestimmte Schlüsse zu ziehen und ganz bestimmte Empfehlungen und Ergebnisse weiterzugeben.
    Erstens. Dies gilt für die Einstellung der Bevölkerung zur Todesstrafe. Das gilt ebenfalls für die Entwicklung der Kriminalität gegen das Leben in den Ländern mit und ohne Todesstrafe. Das gilt schlicht auch für Erfahrungen, die ein Land in einer Indu-



    Klein (Dieburg)

    striegesellschaft mit mehr als 62 Millionen Bürgern sammeln kann.
    Bleiben wir zunächst einmal bei dem Meinungswandel im eigenen Land. Allensbach, das wie in vielen anderen Dingen auch hier Meinungen registriert hat, stellte fest, daß in den letzten 30 Jahren ein deutlicher Wandel im Meinungsbild eingetreten ist. Haben 1950 und 1952 — in einer Zeit, als auch in diesem Hause intensiv darüber diskutiert worden ist, ob der Art. 102 des Grundgesetzes wirklich so glücklich geraten ist — nur 30 % der Bevölkerung die Abschaffung der Todesstrafe bejaht, so waren es Ende der 70er Jahre mehr als 50 %. Das heißt, die Praxis in diesem Lande hat mitgeholfen, bestimmte Vorstellungen, bestimmte Meinungen der Bevölkerung zu verändern. Ich meine, wir können aus dieser Entwicklung einen Schluß ziehen und eine Empfehlung an andere geben.
    Wir haben erlebt, daß Teilnehmer des 6. UN-Kongresses über Verbrechensverhütung in Caracas im letzten Sommer erzählten, daß es durchaus eine ganze Reihe von reformwilligen und reformbereiten Ländern gibt, die aber mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung in ihrem Land sagen: wir können dies heute nicht durchsetzen. Wir meinen, daß eine Änderung der Rechtsordnung, die von bestimmten Informationsmöglichkeiten und überzeugenden Informationen begleitet ist, Schritt für Schritt dazu beitragen kann, daß sich dort ein Einstellungswandel vollziehen mag.
    Zum zweiten. In der Debatte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates im April letzten Jahres haben die Kollegen Reddemann von der CDU und Bardens von der SPD ganz deutlich nachgewiesen — ich will es mir versagen; das im Detail darzustellen —, daß die Todesstrafe jedenfalls nicht die Abschreckungswirkung hat, wie manche Verfechter glauben. Das zeigen viele Erfahrungen, das zeigen viele Beobachtungen.
    Schließlich: Wir als Bürger in der Bundesrepublik Deutschland, in der Industrie und verdichtetes Wohnen unsere Gesellschaft bestimmen, können auch aus dem Erleben dieser Zeit sagen, daß wir nach Brasilien das größte Land sind, das aus den letzten 30 Jahren Rückschlüsse ziehen kann. Deshalb ist es erlaubt — das mag die Begründung sein —, daß wir als Deutsche einen Ratschlag an andere geben — mehr als ein Ratschlag soll dieses ja nicht sein —, eben auf die Todesstrafe in absehbarer Zeit und Schritt für Schritt zu verzichten.
    Die Aktivitäten der Bundesregierung liegen auf verschiedenen Ebenen, nicht etwa in zweiseitigen Verhandlungen. Wir wissen, daß die Europäische Justizministerkonferenz schon eine Fülle bewegt hat und noch weiterhin bewegen wird. Wir wissen auch — ich will es mir angesichts der Zeitnot versagen, das im Detail darzustellen —, daß auf der Ebene der Vereinten Nationen eine Reihe von Aktivitäten mit unterschiedlichem Erfolg eingeleitet worden ist. Wir hoffen und setzen darauf, daß Bundesaußenminister Genscher auf der nächsten UN-Vollversammlung im Herbst dieses Jahres Erfolg haben wird mit dem neuen Anlauf, daß der Art. 6 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte im Sinne der Antragstellung geändert werden kann.
    Meine Damen und Herren, im Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe ist uns, ist den initiierenden Parteien im Parlament und der Bundesregierung eine ganze Reihe von Ermutigungen zugewachsen. Ich möchte daran erinnern, daß sich auch die Haltung des Vatikans in den letzten Jahren deutlich geändert hat, wie eine Erklärung von Monsignore Cardinale auf der letzten Europäischen Justizministerkonferenz im Mai 1980 in Luxemburg verdeutlichte. Er sagte — ich darf zitieren —:
    Die Kirche glaubt jedoch, daß die Politiker auf ihre Unterstützung zählen sollten, wenn es darum geht, die Strafjustiz menschlicher zu gestalten. Insbesondere sollten die sozialen, psychologischen und juristischen Bedingungen geschaffen werden, um die Todesstrafe überflüssig zu machen und ihre Abschaffung zu ermöglichen.
    An anderer Stelle heißt es:
    ... wenn auch bisher die allgemeine kirchliche Doktrin das Prinzip der Todesstrafe nicht verurteilt hat, ... so werden gegenwärtig theologische Studien betrieben, die erreichen sollen, daß diese Position noch überdacht wird.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Seit vielen Jahrzehnten betreiben die das!)

    — Herr Kollege Erhard, wir sehen also, daß Bewegung auch in den Kreisen vorhanden ist, die Ihnen näherstehen als mir, die Meinung mit beeinflussen und mit bewegen. Wir können hoffen, daß dort in der nächsten Zeit Veränderungen eintreten werden.
    Meine Damen und Herren, eine abschließende Bemerkung. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland jetzt 32 Jahre lang Erfahrungen mit der Abschaffung der Todesstrafe sammeln können. Gestatten Sie mir, daß ich hier einen Vergleich ziehe, auch auf die Gefahr hin, daß er etwas makaber wirkt.
    Wenn wir einmal die Praxis der Jahre 1947/48/49 zugrunde legen, ergibt sich, daß es im Gebiet der heutigen Bundesrepublik damals 125 Todesurteile und 24 Hinrichtungen gegeben hat. Auch auf die Gefahr hin, daß dieser Vergleich makaber wirkt, darf ich sagen: Wenn wir die Erfahrungswerte dieser Zeitspanne einmal zugrunde legen und auf die Jahre 1950 bis 1980 hochrechnen, ergibt sich, daß bei Fortdauern des alten Rechts in diesem Land möglicherweise 1 000 bis 1 200 Bürger zum Tode verurteilt worden wären und eine beträchtliche Zahl mit Sicherheit auch hingerichtet worden wäre.
    Meine Damen und Herren, diese rückschauende Betrachtung macht nicht nur die reale, sondern zugleich die moralische Dimension des Problems deutlich. Wenn auch nur ein einziger von diesen möglicherweise 1 200 Todeskandidaten Opfer eines Justizirrtums geworden wäre und wenn auch nur ein einziger den Weg in die Gesellschaft wieder zurückgefunden hätte, dann würde diese Zahl allein bestätigen, daß die Väter des Grundgesetzes vor mehr als 30 Jahren richtig entschieden haben, in-



    Klein (Dieburg)

    dem sie die Todesstrafe damals aus unserer Rechtsordnung verbannten.
    Unsere Rechtsordnung kennt viele Formen der Strafe, die sich an der Schwere der Tat und auch an ihrer Sozialschädlichkeit orientieren. Aber keine Tat kann so schwer und so verwerflich sein, daß sie dazu führen sollte, das Leben des Täters auszulöschen. Wenn wir, meine Damen und Herren, eine Lehre aus der verbrecherischen Praxis der Jahre 1933 bis 1945 nachhaltig gezogen haben, dann doch die, daß wir eine klare Regelung gefunden haben, nämlich die Todesstrafe in unserem Land nie mehr zuzulassen.
    Die Erfahrungen der letzten drei Jahrzehnte sollten auch andere Länder und andere Regierungen ermuntern, zu ähnlichen Schlüssen zu kommen und die nötigen Gesetze in der nächsten Zeit zu verabschieden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Heinrich Windelen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mertes.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alois Mertes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält den Gegenstand des uns zur Beratung vorliegenden Antrags, nämlich die Forderung nach weltweiter Abschaffung der Todesstrafe, nicht für ein Thema der deutschen Innen- und Rechtspolitik, sondern für ein Thema der auswärtigen Politik. Deshalb hat mich meine Fraktion als ihren außenpolitischen Sprecher beauftragt, hier zu diesem Tagesordnungspunkt Stellung zu nehmen.
    Wir schlagen vor, den Antrag dem Auswärtigen Ausschuß als federführendem Ausschuß zu überweisen. Unsere Gründe sind diese:
    Erstens. Art. 102 des Grundgesetzes bestimmt klar und deutlich: „Die Todesstrafe ist abgeschafft." Diese Entscheidung des Verfassungsgebers im freien Teil Deutschlands, an der hier niemand rütteln will und die auch niemand zum Thema machen will, beruht auch auf den schrecklichen Erfahrungen, die das deutsche Volk mit dem massiven politischen Mißbrauch der schärfsten aller strafrechtlichen Sanktionen gemacht hat.
    Zweitens. Wir als Fraktion haben Bedenken, ob es außenpolitisch klug und richtig ist, wenn wir das Thema „Weltweite Ächtung der Todesstrafe" — etwa nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" — über die deutsche Initiative bei den Vereinten Nationen und die Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats von 1980 hinaus — beides tragen wir mit — hierzulande an die große Glocke hängen. Warum? Die Erfahrungen des deutschen Volkes mit zwei Formen totalitärer Herrschaft auf deutschem Boden verpflichten uns, weltweit für die Achtung der Menschenwürde einzutreten. Aus demselben Grund aber dürfen wir auch nicht mit erhobenem Zeigefinger vor die Weltöffentlichkeit treten. Wir müssen unsere menschenrechtspolitischen Ziele klar und beharrlich, aber ohne schulmeisterliche Besserwisserei verfolgen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Wir dürfen nicht übersehen, daß viele Staaten mit demokratisch-rechtsstaatlicher Grundordnung, darunter auch zahlreiche mit uns befreundete und verbündete Länder, die Todesstrafe — wenn auch nur sehr restriktiv und aus Gründen, die wir zu respektieren haben — praktizieren. So zum Beispiel Frankreich: letzte Vollstreckung 1977; Belgien: letzte Vollstreckung 1918 — ausgenommen Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates und Vergehen gegen das Marinegesetz —; Griechenland: letzte Vollstreckung 1972; Irland: letzte Vollstreckung 1954 — beschränkt auf Kapitalverbrechen —; Kanada: seit 1976 nur noch für den Militärbereich, also wegen Spionage, Meuterei; Israel: beschränkt auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen das jüdische Volk; Japan: für 13 Straftaten, darunter Mord und Brandstiftung. In Australien haben drei von den sechs Staaten die Todesstrafe beibehalten — für Mord, Verrat, Piraterie. In den USA hat die Mehrheit der Einzelstaaten die Todesstrafe beibehalten. Der Supreme Court befand 1976 mit sieben gegen zwei Stimmen, daß die Todesstrafe für Mord nicht in allen Fällen eine „grausame und ungewöhnliche Betrafung" darstelle und daher die Verfassung der USA nicht unbedingt verletzen müsse.
    Diese Liste der Gesetzgebung und Praxis der Todesstrafe in demokratischen Staaten — nur von ihnen habe ich hier gesprochen — ist keineswegs vollständig.
    Meine verehrten Kollegen, wir müssen den Eindruck vermeiden, als rückten wir diese Staaten auch nur irgendwie in die Nähe derjenigen Länder, die die Menschenwürde auf Grund ihres politischen Systems täglich mit Füßen treten. Im Bereich der Justizgrundrechte gibt es erheblich Wichtigeres als das Verbot der Todesstrafe.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich denke etwa an die Garantie eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens, die schon seit langem im Völkerrecht verankert ist. Lesen Sie daraufhin die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 nach. Ich durfte für meine Fraktion die Zustimmung zu diesem Pakt hier begründen.
    Die Geschichte lehrt, daß überall dort, wo rechtsstaatliche Gerichtsverfahren nicht existieren, die Todesstrafe an der Tagesordnung ist. Umgekehrt — und bitte achten Sie darauf, verehrte Kollegen — gilt jedoch keineswegs, daß die Zulässigkeit der Todesstrafe automatisch mit Schreckensherrschaft gleichbedeutend ist. Auch die Kollegen der SPD und der FDP wissen sehr wohl, daß es Länder mit langer freiheitlich-demokratischer Tradition gibt, die am Institut der Todesstrafe festhalten und auch festhalten wollen. Wer macht uns Deutsche zum Ankläger und Richter dieser alten Demokratien?



    Dr. Mertes (Gerolstein)

    Drittens. Ein letzter Punkt: Das Problem der Todesstrafe ist — wie gesagt — infolge des Art. 102 des Grundgesetzes kein aktuelles Thema unserer Rechtspolitik und soll es auch nicht werden. Es geht vielmehr — wie es auch die Antragsbegründung in ihrem vorletzten Absatz deutlich macht — um eine völkerrechtspolitische, d. h. um eine außenpolitische Initiative.
    Immerhin hat sich noch kürzlich der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Französischen Nationalversammlung, der Kollege Foyer, gegen die Absicht des Europäischen Parlaments zu einer ähnlichen Initiative gewandt, und zwar mit dem Argument, das Strafrecht sei Sache der souveränen Staaten.
    Die Konvention des Europarats zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 spricht in Art. 2 davon, daß abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden dürfe. Diese Ausnahme garantierte erst die Zustimmung der Länder zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Todesstrafe noch haben.
    Eine unbestrittene weltweite Ächtung der Todesstrafe außerhalb des Rahmens der Europäischen Konvention von 1950 könnte von den befreundeten Staaten, die sie — sicherlich nicht aus Gründen mangelnder Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit — noch haben, als unfreundlicher Akt ausgelegt werden. Für wichtig halte ich auch den Hinweis, daß die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 keinen Hinweis darüber enthält, ob der Völkermord mit Todesstrafe geahndet werden darf. In Israel darf er es noch.
    Wir ersuchen die Bundesregierung, zunächst einmal den Auswärtigen Ausschuß über die Ergebnisse und Chancen der bisherigen Bemühungen in Sachen weltweiter Ächtung der Todesstrafe zu unterrichten, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt der außenpolitischen Opportunität einer Initiative des Deutschen Bundestages für eine grenzübergreifende, weltweite Ächtung der Todesstrafe. Wir werden konstruktiv mitwirken. Wir werden dann weitersehen. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)