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ID0903101300

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    Plenarprotokoll 9/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Inhalt: Bericht zur Lage der Nation in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wangen), Graf Huyn, Sauer (Salzgitter), Böhm (Melsungen), Lintner, Werner, Frau Roitzsch, Lowack, Diepgen, Schwarz, Würzbach, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Niegel und der Fraktion der CDU/ CSU Politische Häftlinge in den Haftanstalten der DDR — Drucksache 9/198 — Schmidt, Bundeskanzler 1541 B Dr. Zimmermann CDU/CSU 1549 B Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister von Berlin 1555C Ronneburger FDP 1562 C Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1566 D Franke, Bundesminister BMB 1573 C Dr. Barzel CDU/CSU 1578 B Hoppe FDP 1586 A Dr. Ehmke SPD 1588 D Lorenz CDU/CSU 1593A Junghans SPD 1597 B Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asyslverfahrens — Drucksache 9/221 — Frau Leithäuser, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg 1600 B Dr. Bötsch CDU/CSU 1602 D Dr. Schöfberger SPD 1604 D Dr. Wendig FDP 1607 A Dr. de With, Parl. Staatssekretär BMJ . . 1609 C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Ächtung der Todesstrafe — Drucksache 9/172 — Klein (Dieburg) SPD 1610 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 1612 A Bergerowski FDP 1613 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Spranger, Dr. Miltner, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Laufs, Dr. George, Neuhaus, Dr. Bötsch, Broll, Biehle, Linsmeier, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU Prüfung der Notwendigkeit von Gesetzgebungsvorhaben — Drucksache 9/156 — Dr. Miltner CDU/CSU 1615A Dr. Kübler SPD 1616 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 1618A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz) — Drucksache 9/279 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Engholm, Bundesminister BMBW 1620 A Rossmanith CDU/CSU 1622 B Weinhofer SPD 1624 D Popp FDP 1628 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Windelen, Dr. Dollinger, Pfeffermann, Weirich, Neuhaus, Bühler (Bruchsal), Linsmeier, Maaß, Lintner, Dr. Riedl (München), Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Köhler (Wolfsburg), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Stavenhagen, Niegel, Röhner, Spilker, Dr. Bugl und der Fraktion der CDU/CSU Aufhebung des sogenannten Verkabelungsstopps der Bundesregierung — Drucksache 9/174 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" — Drucksachen 9/245, 9/314 — Weirich CDU/CSU 1630 C Paterna SPD 1632 D Dr. Hirsch FDP 1634 D Becker, Parl. Staatssekretär BMP . . . 1635 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/68 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/298 — 1636 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und des Europäischen Übereinkommens vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/69 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/299 — 1636 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Wiener Abkommen vom 12. Juni 1973 über den Schutz typographischer Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung (Schriftzeichengesetz) — Drucksache 9/65 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/301 — Dr. Klejdzinski SPD 1636 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 13. Mai 1977 unterzeichneten Fassung des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken — Drucksache 9/70 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/302 — 1637 A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes — Drucksache 9/246 — 1637 B Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/289 — 1637 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Reichseigenes Grundstück Berlin 52 (Reinickendorf), Ollenhauerstraße 97/99; hier: Verkauf an das Land Berlin — Drucksachen 9/101, 9/261 — 1637 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 III Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide — Drucksachen 9/108 Nr. 13, 9/274 — . . .1637 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Durchsetzung von internationalen Normen für die Sicherheit im Seeverkehr und die Verhütung von Meeresverschmutzung in bezug auf den Schiffsverkehr in den Häfen der Gemeinschaft — Drucksachen 9/87, 9/300 — 1637 D Nächste Sitzung 1638 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1639* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 1541 31. Sitzung Bonn, den 9. April 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 9. 4. Dr. Ahrens ** 10. 4. Amrehn 10. 4. Brandt * 9. 4. Burger 10. 4. Dr. Enders ** 9. 4. Francke (Hamburg) 10. 4. Franke 10. 4. Dr. Geißler 10. 4. Gilges 9. 4. Haase (Fürth) 10. 4. Hauser (Krefeld) 10. 4. Herterich 10. 4. Hoffie 10. 4. Dr. Holtz ** 10. 4. Dr. Hubrig 10. 4. Jungmann 10. 4. Kiep 9. 4. Kleinert 10. 4. Korber 10. 4. Dr. Kreile 10. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Krone-Appuhn 10. 4. Landré 10. 4. Lenzer ** 10. 4. Mahne 10. 4. Matthöfer 10. 4. Meinike (Oberhausen) 10. 4. Dr. Mitzscherling 10. 4. Dr. Müller ** 10. 4. Neuhaus 10. 4. Frau Noth 10. 4. Petersen *** 10. 4. Picard 10. 4. Pieroth 10. 4. Dr. Pohlmeier 9. 4. Schäfer (Mainz) 10. 4. Scheer 10. 4. Frau Schlei 10. 4. Schreiber (Solingen) 10. 4. Schröder (Wilhelminenhof) 10. 4. Schwarz 10. 4. Dr. Schwarz-Schilling 10. 4. Sick 10. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 9. 4. Spilker 10. 4. Frau Dr. Timm 10. 4. Dr. Unland ** 10. 4. Dr. Vohrer ** 10. 4. Dr. von Weizsäcker 10. 4. Wischnewski 10. 4. Baron von Wrangel 10. 4.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die innerdeutschen Beziehungen befinden sich seit Oktober 1980 in einer schwierigen Phase. Es sind zwei Vorgänge, die eine insgesamt über zwölf Jahre positive Entwicklung schwer beeinträchtigt haben, nämlich die Neuregelung des Mindestumtausches und das Herausstellen von Grundsatzforderungen durch die DDR-Führung.
    Diese Beeinträchtigungen, so ernst sie auch sind, dürfen uns nicht dazu verleiten, die Deutschlandpolitik verärgert in die Ecke zu stellen oder gar abzuschreiben.
    Viele vergessen rasch, wie die Lage Mitte der 60er Jahre war, als die Sozialdemokraten in die Bundesregierung eintraten. War die Entfremdung zwischen den Deutschen in der DDR und hier bei uns nicht in erschreckendem Maße fortgeschritten? Hatte nicht der Bau der Mauer in Berlin 1961 vor aller Augen die Teilung Deutschlands besiegelt? Die Folgen waren Resignation und das Gefühl der Ausweglosigkeit. Die bis dahin betriebene Deutschlandpolitik war tatsächlich an ihr Ende gelangt. Sie steckte in der Sackgasse. Das war ein Tiefpunkt. Wenn Herr Dr. Zimmermann hier heute diesen Begriff schon einmal benutzt hat, dann mag er sich bitte an diese Zeit erinnern.
    Und wie sah es auf den Autobahnen nach Berlin aus? War es nicht angebracht, sich jedesmal vor und nach einer solchen Transitfahrt bei den Angehörigen telefonisch zu melden, um ihnen die Gewißheit zu geben, daß man ungeschoren hindurchgekommen war? Das war die Wirklichkeit in jenen Jahren, als die sozialliberale Koalition begann, sich mit der Praxis vertraut zu machen und an die Aufgaben heranzugehen, um die es ging, um wenigstens das zu erreichen, was möglich war.



    Bundesminister Franke
    Wie oft standen die Ampeln auf Rot! Langes Warten an den Grenzübergangsstellen gehörte zum täglichen Brot der Fernfahrer, so daß Überlegungen angestellt wurden, von welcher Stundenzahl an für Wartezeit Entschädigung gezahlt werden sollte, um dann die Fahrt nach Berlin antreten zu können. Das weiß heute kaum noch jemand. Es ist noch gar nicht so lange her.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Daran kann man ermessen, welche praktischen Bereiche erfaßt wurden, um das Geschehen der damaligen Zeit durch aktive Politik zu korrigieren.
    Herr Zimmermann sprach vorhin von einem „guten Erbe", das von der sozialliberalen Koalition zu Beginn ihres Wirkens übernommen und später vertan worden sei. Wenn das alles zu diesem „guten Erbe" gehört, dann spricht das für sich und läßt erkennen, wie sehr Herr Zimmermann bemüht ist, einen neuen Ton in die Debatte zur Deutschlandpolitik zu bringen. Ich möchte meinen, der Weg zur Gemeinsamkeit scheint noch sehr weit zu sein, wenn das so weitergehen soll.
    Mein Vorgänger im Amt, Herbert Wehner, hat vor Jahren von dieser Stelle aus von dem steinigen Gelände gesprochen, auf dem sich die Deutschlandpolitik bewegen müsse. Er hat hinzugefügt, es sei notwendig, notfalls mit den Fingernägeln nach den kleinsten Erfolgen zu kratzen. Meine Damen und Herren, das war die Relativierung dessen, was möglich war, und am Anfang stand keine Illusion, sondern die ganz nüchterne Einschätzung und Beurteilung der Wirklichkeit. Ich glaube, all jene, die während der Jahre bis heute versucht haben, uns nachzusagen, wir hätten Illusionen geweckt und wir hätten übertrieben, waren daran interessiert, falsch zu spielen, um Illusionen zu wecken und damit die Enttäuschung bei vielen Menschen hervorzurufen,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    die auf etwas warteten, indem man sagte: es gibt da noch irgend etwas, nur die jetzt Regierenden nutzen diese Möglichkeiten nicht.
    Nein, meine Damen und Herren, obwohl die Wirklichkeit so war — oder gerade darum —, sind wir Sozialdemokraten mit den Freien Demokraten zusammen an die Arbeit gegangen und haben uns auf den Weg gemacht — frei von Illusionen. Ab 1969 haben wir dann gemeinsam die Deutschlandpolitik aus dem Tiefpunkt, aus der Sackgasse herausgeführt und den Beitrag der Bundesrepublik dazu erbracht, daß die praktischen Lebensumstände in Deutschland und vor allem in Berlin entschieden verbessert werden konnten.
    Die Bundesregierung hat eine Menge Verträge und Vereinbarungen mit der DDR geschlossen — und fast alle gegen den erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Opposition. Auch in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, bis in den Oktober 1980 hinein, war das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten von einer weiteren Ausgestaltung der Beziehungen geprägt. Daran haben gelegentliche Stagnationen und Rückschläge nichts geändert. Probleme wurden geregelt, Vereinbarungen wurden abgeschlossen, die jedesmal wieder ein kleines Stück
    Normalität und vor allem den Menschen in beiden Staaten Nutzen brachten.
    Richtig ist: Wir hatten in dieser Zeit auch eine Menge Schwierigkeiten, Rückschläge und Enttäuschungen in den innerdeutschen Beziehungen. Das Ergebnis bleibt trotzdem: Wir Deutschen haben in diesen 70er Jahren erfahren, daß Entspannung zwischen Ost und West nicht nur ein Wort ist, sondern etwas Reales, etwas für die Menschen Nützliches, Greifbares und Wohltätiges.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Und die Menschen haben davon Besitz ergriffen. Sie bauen und hoffen darauf, bauen auf dieses erreichte Mehr an Kontakt und Verbindung.
    Nehmen wir als Beispiel für das erreichte Mehr den Telefonverkehr. 1980 wurden allein in West-OstRichtung 23 Millionen Gespräche geführt; das ist das 46fache gegenüber der Ausgangslage im Jahre 1969. — Damals alles noch handvermittelt, mit den Schwierigkeiten der Überprüfung, der Überwachung der Gespräche, den langen Wartezeiten; jetzt immer mehr im Selbstwählverkehr. Oder anders gesagt — diese Zahl läßt sich auch noch anders deuten —: 63 000 Gespäche pro Tag von West nach Ost. Das sind Zahlen! Und es lohnt sich, meine Damen und Herren, darüber zu sprechen und darüber nachzudenken, was in der Zwischenzeit alles zusätzlich gebaut wurde, um den Kontakt zwischen den Menschen zu festigen und weiter zu verbesseren. Das ist wichtiger als jede Theorie, die von noch so hohen und höchsten Begriffen durchdrungen sein mag.
    Nehmen wir für das erreichte Mehr auch die generelle Verbesserung des Reiseverkehrs in die DDR, beginnend mit 1972: Besuchs- und Reisemöglichkeiten für West-Berliner, Besuchsreisen nicht mehr nur zu Verwandten, sondern auch zu Bekannten! Bei den Besuchsreisen der Berliner ist noch besonders hinzuzufügen, daß die West-Berliner zehn Jahre lang überhaupt keine Möglichkeit hatten, in den Ostteil der Stadt zu kommen. Dieses sind doch wohl Ergebnisse,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    die wir zwar nicht übermäßig stolz feiern sollten, die wir aber wenigstens als ein gemeinsames Bemühen registrieren sollten,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    die Wunden, die uns durch den Zweiten Weltkrieg geschlagen worden sind, wenigstens für die Menschen auszuheilen und wieder etwas erträglicher werden zu lassen. Dem, was der großen Politik vorbehalten sein mag, um es einst zu überwinden, stehen wir nicht im Weg. Aber darauf zu warten, um hundert Jahre lang schöne Lieder zu singen und zu meinen, dann löse sich das Problem, um das es uns geht, das reicht nicht aus. Wir wollen etwas für die lebenden Menschen bewirken,

    (Beifall bei der SPD)

    und darum gehen wir auch immer wieder an diese so schwierige Aufgabe heran, bei der wir wirklich nicht davon sprechen können, daß wir dabei als Partner Freunde aufzuweisen haben. Aber das muß ich auch



    Bundesminister Franke
    sagen, damit das nicht verschüttet wird: Bei diesen Bemühungen gibt es kein Ergebnis, ohne daß auch die DDR dem zustimmt; denn sie hat über dieses Gebiet und über das, was es dort an Problemen gibt, ein gewichtiges Wort mitzureden.
    Nehmen wir als weiteres Ergebnis: Tagesaufenthalte mit Mehrfachberechtigungsscheinen für die Bewohner von Berlin (West) und die Bewohner der grenznahen Kreise der Bundesrepublik Deutschland, Touristenreisen, Reisen aus besonderen Anlässen wie Kultur- und Sportveranstaltungen, Öffnung von vier zusätzlichen Straßenübergängen, Erleichterung der Reisemodalitäten, mehrmalige Einreise im Rahmen des 30-Tage-Kontingents pro Jahr, Aufenthaltsgenehmigung in der Regel für die ganze DDR, nahezu freie Pkw-Benutzung und Pauschalierung der Straßennutzungsgebühr, Transit durch die DDR in andere Länder mit Übernachtungsmöglichkeit, in der Regel freie Wahl des Übergangs.
    Vergessen wir vor allem nicht: Entspannung in Deutschland war und ist entscheidend die Verbesserung für die Lebensbedingungen von West-Berlin.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist rechtlich gesicherter Zugang zu Wasser und zu Lande mit dem Ergebnis, daß im Transitmassenverkehr endlich Ruhe eingekehrt ist. Wer anderes behauptet, sollte seine Gläser putzen. Bei insgesamt 140 Millionen Transitreisenden seit 1972 hat es 1 060 Festnahmen — die meisten wegen Transitmißbrauchs — und 794 Zurückweisungen gegeben. Das sind dreizehn/Zehntausendstel Prozent. Mit anderen Worten: Auf eine Million Reisende entfallen sechs Zurückweisungen und sieben Festnahmen.
    Entspannung in und für Berlin — das ist größere Bewegungsfreiheit für die Bürger der Stadt in die nähere Umgebung, in den Ostteil Berlins und in die DDR zu Menschen und in die Landschaft; das ist Telefonieren von West-Berlin nach Ost-Berlin im Selbstwählverkehr, ab 1. April 1981 auch zum Billigtarif. Wohlgemerkt in Berlin, wo im Jahre 1952 alle Telefonleitungen, sogar die Telefonverbindungen der Feuerwehr, gekappt wurden, um den Abgrenzungsprozeß durchzuführen!

    (Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

    Das ist inzwischen wieder in einen relativ normalen Zustand gebracht worden, und zwar dadurch, daß beide Seiten dazu beigetragen haben; sonst könnte so etwas nicht gelingen.
    Gewöhnen wir uns doch bitte daran, daß auch andere ihre Interessen zu vertreten bemüht sind. Wir kriegen Ergebnisse nur zustande, wenn wir dieses Prinzip zu handhaben wissen.
    Entspannung in und für Berlin ist mehr Weltoffenheit für West-Berlin, mehr Einbeziehung in den internationalen Austausch von Wirtschaft, Kultur und Sport. Schließlich ist Entspannung in und für Berlin buchstäblich das Näherrücken Berlins an den Bund durch Ausbau und Verbesserung der Verkehrsverbindungen auf Straße und Schiene: Grunderneuerung der Autobahn Berlin-Hannover, Bau der Nordautobahn Berlin-Hamburg, Beschleunigung des Eisenbahnverkehrs durch Streckenverbesserungen.
    Das alles ist höchst sinnfällig und greifbar. Ich kann die Ängste und Sorgen gut verstehen, das mühsam genug Erreichte könne durch eine Verschlechterung der internationalen Lage wieder verlorengehen. Dabei wissen alle: Das Erreichte ist nicht der Idealzustand. Da kann man mit mir nicht konkurrieren. Ich könnte für mich viel bessere Zielvorstellungen entwickeln, als das jetzt so mancher in der öffentlichen Diskussion tut. Aber wenn wir schon, wie Herr Kohl das in einer Debatte gefordert hat, reale Grundlagen zur Leitlinie unserer praktischen Politik machen sollen, hat es keinen Zweck, auf der einen Seite Wunschschlösser und Träume zu entwikkeln, um auf der anderen Seite hinterher mit der Wirklichkeit konfrontiert zu werden und wieder ganz klein und bescheiden anfangen zu müssen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Bleiben wir gleich bei den realen Grundlagen, dann wecken wir keine Illusionen und enttäuschen vor allen Dingen nicht jene Menschen, die selber kaum in der Lage sind, sich an der offenen Diskussion zu beteiligen. Fühlen wir uns für sie mitverantwortlich!
    Ich weiß, wünschenswert ist sehr viel mehr. Aber wir sollten dabei nicht vergessen: selbst das Machbare mußte gegen starken Widerstand der Opposition durchgesetzt werden. Daran fühlte ich mich heute morgen lebhaft erinnert, als ich Herrn Zimmermann zuhörte. Der Weg zur Gemeinsamkeit, Herr Zimmermann — ich sagte es schon einmal; da waren Sie noch nicht hier —, scheint noch sehr lang und weit zu sein. Ich glaube, nicht die Bekundung der Gemeinsamkeit reicht aus, sondern eine erste Voraussetzung zur Gemeinsamkeit ist, die Realität, die wir beide nicht geschaffen haben, die uns aber zwingt, Politik zu betreiben, zu erkennen. Solange Sie die ignorieren, fehlt Ihnen die elementarste Voraussetzung, Ihren Anspruch auch umsetzen zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn ich sage, wir Deutsche haben das Gute der Entspannungspolitik erfahren, dann meine ich auch unsere Landsleute in der DDR. Wenn auch die Reisefreiheit unserer Landsleute in der DDR nach Westen nicht wesentlich ausgeweitet wurde, haben sie doch die Wirkungen der Entspannung zwischen Ost und West eher noch intensiver gespürt und erlebt als wir. Das ist aus ihrer ganzen Situation heraus nur allzu verständlich. Das bedeutet aber auch, daß die Deutschen in der DDR es wären, die von einer neuen Konfrontation und ihren Folgen am härtesten getroffen würden.
    Ich empfinde es so, daß dieser Sachverhalt allen politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik Deutschland die besondere moralische Verpflichtung auferlegt, die Ergebnisse der bisherigen Politik, der Vertragspolitik, die j a auch nach Herrn Kohls Worten ein wichtiges Instrumentarium für die Politik sein muß, nachdem wir sie haben, nach besten Kräften zu bewahren und nicht zu ignorieren. Es geht, um es deutlich zu sagen, nicht um die Frage des



    Bundesminister Franke
    Erfolgs der Politik der sozialliberalen Bundesregierung. Diese Frage hat sich inzwischen durch den meßbaren Erfolg erledigt. Die Notwendigkeit der neuen Deutschland- und Ostpolitik von 1969 ist längst von der großen Mehrheit in der Bundesrepublik Deutschland eingesehen, und zwar unter dem Eindruck der Ergebnisse, die diese Politik für die Menschen und insbesondere auch für Berlin gebracht hat.
    Das geht so weit — und ich begrüße das —, daß die ehemaligen Gegner dieser Politik um die Bewahrung ihrer Ergebnisse heute ebenso besorgt sind wie wir, also diejenigen, die diese Politik von Anfang an betrieben und durchgesetzt haben.
    Dies sind Gründe genug, an der Politik der Verständigung festzuhalten. Dies ist ein Gebot der nationalen und menschlichen Solidarität. Deshalb gilt es, die Bereitschaft und Fähigkeit zu dieser Politik zu behalten. Das sind die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Dialog und die Fähigkeit und Bereitschaft zum Ausgleich der Interessen.
    Das bedeutet wiederum zweierlei: 1. es ertragen zu können, daß auch die andere Seite mit ihren Interessen zum Zuge kommt; 2. zu den Kompromissen zu stehen, die einem selber etwas abverlangen.
    Wenn wir zur Entspannungspolitik weiterhin bereit und fähig bleiben sollen, müssen wir uns weiterhin ehrlich bemühen. Wir müssen bemüht sein und bleiben um eine Haltung des Entgegenkommens. Wir müssen unverdrossen nach Ansatzpunkten suchen, die es vielleicht ermöglichen, einen Schritt voran zu tun, mag er auch noch so geringfügig erscheinen.
    Ich bleibe bei dieser Formulierung, die ich seit 1969 ständig vertreten habe: Jeder, auch der geringste Fortschritt ist besser als das lauteste Wort, das überhaupt nichts bewegt, sondern nur den, der es ausschreit, von einem inneren Druck befreit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es muß nicht immer Neues, Spektakuläres, Umfangreiches wie eine 100-Kilometer-Autobahn auf der innerdeutschen Tagesordnung stehen. Wir haben den Grundlagenvertrag. Im Rahmen dieses Vertrages läßt sich, an das inzwischen Bestehende anknüpfend, noch vieles denken und wünschen, was die innerdeutsche Situtation weiter verbessern kann.
    Zu einer solchen Politik gehört es, die Interessen der anderen Seite zu bedenken und danach, wenn ich so sagen darf, die Zumutungen zu bemessen. Das kann allerdings nur funktionieren, wenn es gegenseitig geübt wird. So hat die DDR mit der Neuregelung des Mindestumtauschs die Grenzen des Zumutbaren überschritten. Unerläßlich ist es aber auch, die lebenswichtigen Interessen und Bindungen der jeweils anderen Seite in Rechnung zu stellen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Eine kooperative Nachbarschaft zwischen den beiden deutschen Staaten ist nur dann denkbar und möglich, wenn jede Seite die Bündniszugehörigkeit der anderen Seite nicht in Frage stellt. Da sollte sich niemand täuschen.
    Ich habe daran erinnert, was die Vertragspolitik seit 1969 für die Deutschen und insbesondere für die Berliner gebracht hat. Wir sind uns bewußt, daß wir dies nicht hätten erreichen können ohne die Einbindung in das westliche Bündnis. Wenn wir — wie es der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen beharrlich tun — im Bündnis unsere deutschen Gesichtspunkte und Anliegen einbringen, hat das ganz und gar nichts mit Neutralismus zu tun, wie man versucht, uns das zu unterstellen, sondern das sind die Besonderheiten, die wir im nationalen Interesse wahrzunehmen haben und mit unseren Partnern sehr fair und loyal besprechen können. Dieses Bündnis ist nicht schwächer, sondern stärker geworden. Mit Neutralismus würden wir an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.
    Es herrscht allgemeine Übereinstimmung, daß die Ursachen für den jüngsten Rückschritt außerhalb der innerdeutschen Beziehungen liegen. Wir müssen in der Tat feststellen, daß sich die unvermeidlich gegebene Verflechtung des innerdeutschen Verhältnisses mit der internationalen Gesamtlage noch nie so nachteilig ausgewirkt hat wie gegenwärtig. Zu Beginn der neuen Deutschlandpolitik Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre war es gerade umgekehrt. Damals hat sich die internationale Entspannungstendenz fördernd auf die Anbahnung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten ausgewirkt; fördernd auch für das Zustandekommen der Berlin-Regelung von 1971. Wir, die sozialliberale Bundesregierung, waren uns immer darüber im klaren und haben es auch schon damals, zum Beispiel in der Antwort auf eine Große Anfrage im Jahre 1974, ausgesprochen, daß die internationale Gesamttendenz die Politik der vertraglichen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten überhaupt erst ermöglicht habe und auch weiterhin bedinge.
    Wir dürfen uns dennoch nicht einfach mit der Feststellung abfinden, daß die internationale Lage der Politik des Ausgleichs in Europa und damit auch zwischen den beiden deutschen Staaten jeden Freiraum genommen hat. Nach meiner Überzeugung besteht auf östlicher Seite aus inneren Gründen heraus ein genügend starkes Interesse an Zusammenarbeit mit Westeuropa. Darauf können wir bauen und brauchen uns deshalb durch weitergehende Ansinnen nicht beirren zu lassen. Die Stabilisierung, die von einem guten innerdeutschen Verhältnis auf die Lage in Europa ausgeht, kommt beiden Seiten zugute.
    In dieser Debatte ist viel von der Nation die Rede. Ich darf daran erinnern, daß sich in der Debatte vor zwei Jahren das Wort „Wiedervereinigung" einer ähnlichen Aufmerksamkeit erfreute. Immerhin war die Diskussion damals nicht umsonst, denn sie brachte im Ende doch erfreuliche Klarstellungen über das, was wir unter der deutschen bzw. unserer nationalen Frage heute verstehen. Wir verstehen darunter das Problem der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts. Daraus folgt: Unsere nationale Frage ist primär weder ein territoriales Problem noch kann ihre Lösung nur in der Wiederherstellung des Bismarckschen Nationalstaats von 1871 gesucht werden.



    Bundesminister Franke
    Wir sollten diese Klarstellungen in die heutige Diskussion über die Nation mit herübernehmen. Im übrigen sehe ich keinen Grund, mich an selbstquälerischen Zweifeln, ob es überhaupt noch eine deutsche Nation gebe, zu beteiligen. Die deutsche Nation ist historisch ausgewiesen. Wir sind eine alte europäische Nation. So empfinden wir uns selbst, und so sehen uns auch unsere Nachbarn. Insoweit steht das historische Selbstbewußtsein, das wir Deutsche mit anderen europäischen Nationen teilen, auf festem Grund. Ferner ist es, so glaube ich, gemeinsame Überzeugung aller Demokraten, daß es ein nationales Interesse außerhalb von Freiheit und Demokratie nicht gibt. Das gilt selbst für das Interesse an der staatlichen Einheit. Niemals wieder dürfen es Demokraten zulassen, daß sich Nichtdemokraten oder auch nur demokratisch indifferente Kräfte zum Sachwalter dessen aufwerfen, was sie als die angeblich wahren nationalen Interessen postulieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sehe nicht, meine Damen und Herren, wie diese unsere Haltung Fortschritte im innerdeutschen Verhältnis verhindern oder auch nur behindern sollte. Die beiden deutschen Staaten haben zu einer Reihe von grundsätzlichen Fragen unterschiedliche Auffassungen, und zu diesen grundsätzlichen Fragen gehört die nationale Frage. Dennoch haben beide Staaten 1972 miteinander den Vertrag über die Grundlagen der gegenseitigen Beziehungen geschlossen. Mit anderen Worten: Unterschiedliche Auffassungen zur nationalen Frage haben weder den Abschluß des Vertrages verhindert, noch haben sie seitdem gemeinsame Fortschritte bei der Erfüllung des Vertrages verhindert, noch werden sie — wenn es nach uns geht — die beiden deutschen Staaten künftig daran hindern, wie vereinbart normale gutnachbarliche Beziehungen auf der Basis der Gleichberechtigung zueinander zu entwickeln.
    Wir, die Bundesrepublik Deutschland, und die Deutsche Demokratische Republik sind zwei deutsche Staaten auf deutschem Boden. Jeder dieser Staaten auf deutschem Boden ist vom anderen unabhängig; jeder ist als Staat vor dem Völkerrecht so souverän wie der andere.
    Wir lassen uns aber nicht abhandeln, in der Deutschen Demokratischen Republik den deutschen Nachbarstaat zu sehen. Dort leben Deutsche, die bis 1945 dieselbe Geschichte erlebt haben wie wir, die von dem Krieg ebenso betroffen sind wie wir und von dessen Folgen wohl noch schwerer. Das können und das wollen wir auch in unserer Einstellung gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik nicht vergessen.
    Die Bundesregierung redet und handelt so aus dem guten Gewissen heraus, damit dem Frieden in Europa einen Dienst zu erweisen. Dies erfordert nach unserer Auffassung, der Teilung dadurch Rechnung zu tragen, daß ihre menschlichen Folgen gemindert werden. Mehr Kontakte und Verbindungen machen die Teilung erträglicher, und nichts anderes ist unsere Absicht.
    Bei einer redlichen Bestandsaufnahme wird niemand bestreiten, daß wir in dieser Absicht in den letzten zehn Jahren vorangekommen sind. Niemand kann aber auch bestreiten, daß diese Absicht und ihre schrittweise Verwirklichung von großem politischem Gewicht sind; denn jedes Stück Normalisierung zwischen den beiden deutschen Staaten schafft ein Stück Befriedung für Deutschland und Europa. Diese friedenssichernde Wirkung ist von uns so gewollt; denn damit ziehen wir die angemessene Konsequenz aus unserer jüngsten nationalen Geschichte. Hitlers Eroberungskrieg im Osten Europas hat machtpolitische Tatsachen hinterlassen, an denen nicht nur wir Deutschen als Nation leiden. Einheit ist nicht alles; wichtiger sind Freiheit und Unabhängigkeit. In dieser Hinsicht haben die Folgen von Hitlers Krieg auch andere Völker getroffen, die nicht weniger europäisch sind als wir.
    Das besondere deutsche Normalisierungsziel, das die beiden Staaten untereinander laut Grundlagenvertrag anstreben, steht im Einklang mit dem KSZE-Konzept der Entspannung in Europa. Es könnte sein, daß der jüngste innerdeutsche Rückschlag Vorbote oder Ausdruck einer allgemeinen Krise der Entspannungspolitik zwischen West und Ost in ihrer bisherigen Ausprägung ist, wie wir sie exemplarisch in der KSZE-Schlußakte niedergelegt finden.
    Das KSZE-Modell verbindet zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit praktischen Verbesserungen für die Menschen. Wir halten es gerade im Hinblick auf die besonderen Notwendigkeiten der innerdeutschen Normalisierung für unverzichtbar. So verstanden, gibt es für diese Politik keine Alternative.
    Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige Worte zu zwei speziellen Themen.
    Ich trete seit Jahr und Tag für die besondere Förderung des Zonenrandgebietes ein. Es geht dabei erst in zweiter Linie um Fragen der regionalen Wirtschaftsförderung; in erster Linie ist die Zonenrandförderung als ein deutschlandpolitisches Anliegen zu sehen. Dieser Raum ist auf Grund der Teilung aus der Mitte Deutschlands an den Rand gerückt. Deutschlandpolitik für das Zonenrandgebiet will, daß dieses Gebiet nirgends zurückfällt, sondern zumindest sein Niveau behält, wo nötig sogar verbessert. Dieser Grundsatz muß meines Erachtens auch in Zeiten haushaltsmäßiger Verknappung gewahrt bleiben.
    Zum Schluß möchte ich einige Worte zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion über politische Häftlinge in den Haftanstalten der DDR sagen. In der Begründung zu dem Antrag heißt es, der Deutsche Bundestag habe einen Anspruch darauf, über die Situation dieser Häftlinge umfassend unterrichtet zu werden. Niemand bestreitet diesen Anspruch. Aber ich glaube, ich bin es meinem Amt schuldig, darauf hinzuweisen, daß auch die einsitzenden Häftlinge einen Anspruch haben: den Anspruch, daß auf unserer Seite das Effektivste und Nützlichste unternommen wird, um so vielen von ihnen wie möglich ihre Lage zu erleichtern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Zwischen diesen beiden Ansprüchen muß es einen Weg geben.



    Bundesminister Franke
    Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie die Methode der öffentlichen Anprangerung der DDR nicht für geeignet halten, die humanitären Probleme zu lösen. Darin bestärken uns auch die Ergebnisse, die wir 1980 wieder bei unseren besonderen Bemühungen erzielt haben. Das ist vielen von Ihnen, meine Damen und Herren, aus Ihrer Abgeordnetenerfahrung bestens bekannt. Ich darf an die Korrespondenz erinnern, die viele mit mir führen oder die ich mit Ihnen führe. Insgesamt, die Familienzusammenführung hinzugezählt, haben wir 1980 wieder mehreren tausend Menschen helfen können.
    Diese Zahl läßt sich exakt belegen. Auch das sollte uns immer bestimmen, wenn wir zu diesem Thema sprechen, damit wir nicht Wege verschütten, die sich bewährt haben. Darum, meine Damen und Herren — vor allen Dingen appelliere ich an Sie, meine Kollegen von der Opposition —, sorgen Sie darür, daß wenigstens dieser Bereich der innerdeutschen Beziehungen von öffentlichkeitswirksamen Profilübungen freigehalten wird!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sorgen Sie dafür, daß hier bewährte Wege intakt gehalten und nicht verschüttet werden! Es gereicht uns allen zum tätigen Erfolg, wenn wir diese Erkenntnisse berücksichtigen. Ich danke sehr.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Aus gegebenem Anlaß möchte ich, weil auch die Lage draußen hier eine Rolle spielt, mit dieser Feststellung beginnen: Wenn wir heute über den Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland diskutieren, in der längsten Zeit des Friedens seit langem und in freiheitlichem Wettbewerb der Meinungen um den besten Weg für das ganze Deutschland ringen können, dann ist dies möglich, weil wir mit dem Westen, im Westen und durch den Westen Frieden und Freiheit gesichert haben. Das aber heißt ganz zuerst, den USA zu danken und sich nicht in die Reihe derer einzureihen, die draußen eine üble Kritik an unserem Hauptverbündeten üben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eigentlich sollten sich alle Protestler und Demonstranten draußen diesem Dank anschließen; denn sie können sich nur entfalten, weil wir Frieden und Freiheit und mit beidem die Chance für Reform und friedliche Veränderung haben. Wäre es anders, so wären sie längst verstummt — wohl besser: verstummt worden. Freilich müssen wir alle wissen — dies sage ich mit dem Blick auf die Debatte über Berlin und andere Fragen —: Frieden — das ist die Rücksicht auf das Recht des anderen: und der Frieden nach außen beginnt zu Hause, verehrte Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit dem Blick auf die Debatte draußen erinnere ich an folgendes: Dies scheint mir notwendig, weil diese Debatte hier hineinschwappt. Über lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA allein Atomwaffen. Sie haben das aber nicht zu Krieg, zu Bedrohung oder Erpressung benutzt. Heute verleitet dagegen die Sowjetunion ihre militärische Überrüstung zum Krieg in Afghanistan, zur Gewaltandrohung gegen Polen, zu Druck und Subversion an vielen Plätzen der Welt, — und die DDR scheut sich nicht, sich dieser beschämenden Teilhaberschaft öffentlich zu rühmen.
    In der Zeit der US-Übermacht gab es z. B. den helfenden Marshall-Plan für Europa. Die Überrüstung der Sowjetunion ist begleitet u. a. von 15 Millionen Flüchtlingen überall in der Welt. Die Bundesregierung schweigt dazu.
    So will ich mich Ihnen, Herr Bundeskanzler — auch als Kollege auf dieser Bank —, nun direkt zuwenden. Sie haben heute morgen einen Arbeiter aus der DDR zitiert. Das finde ich ganz interessant. Ich will einen anderen Arbeiter zitieren, den Arbeiter Engelhard von den Hydrier-Werken von Zeiss zu Jena, der am 17. Juni 1953 den Funktionären zurief: „Wir wollen leben wie die Menschen, weiter wollen wir nichts!"
    Ich denke, dies ist das Thema des Tages: Wir wollen leben wie die Menschen; weiter wollen wir nichts.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der Herr Bundeskanzler hat unlängst eine Rede über Kant gehalten. Ich zitiere daraus nach dem Bulletin der Bundesregierung:
    Für mich besagt das nichts anderes, als daß der Politiker, der verantwortlich handeln will, zugleich die Folgen seines Handelns für die anderen berücksichtigen soll.
    Er fährt fort:
    Der Politiker trägt nicht nur Verantwortung für seine guten Vorsätze oder seine gute Gesinnung, sondern vor allem trägt er Verantwortung für die Folgen seines Handelns oder Unterlassens.
    Ich kenne, Herr Bundeskanzler, sehr gut Ihre Vorsätze; aber ich kenne auch sehr gut die Folgen Ihrer Politik, und ich kenne die Volksweisheit: Der Weg zur Hölle ist oft mit guten Vorsätzen gepflastert.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unser Grundgesetz legt uns fest auf Selbstbestimmung, Einheit und Freiheit und Vollendung dessen in Deutschland. Ich könnte den Brief zur deutschen Einheit zitieren, der Bestandteil des Moskauer Vertrages ist, unsere völkerrechtliche Entschließung, ohne die diese Verträge ja nicht zustande gekommen sind, die völkerrechtlich wirksam geworden ist. Ich zitiere sie:
    Das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung wird durch die Verträge nicht berührt. Die Politik der Bundesrepublik Deutschland, die eine friedliche Wiederherstellung der nationalen Einheit im europäischen Rahmen an-



    Dr. Barzel
    strebt, steht nicht im Widerspruch zu den Verträgen, die die Lösung der deutschen Frage nicht präjudizieren.
    Warum, Herr Bundeskanzler, kommt von alledem in Ihrer Regierungserklärung von heute morgen nichts vor? Dies ist doch um so bemerkenswerter, als wir in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31.7. 1973 die Passage, die ich hier zitiere, festzustellen haben:
    Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland darf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben, alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken — das schließt die Forderung ein, den Wiedervereinigungsanspruch im Inneren wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten — und alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde.
    Herr Bundeskanzler, haben Sie den Eindruck, daß Ihre Regierungserklärung heute dieser Forderung des Bundesverfassungsgerichts entspricht? Der Forderung, den Wiedervereinigungsanspruch im Inneren wachzuhalten, wenn dieses Wort im Bericht zur Lage der Nation 1981 nicht einmal vorkommt?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da gibt es doch andere Politiker — auch Staatsmänner und Kirchenfürsten —, die sehr wohl wissen, was die Bedingungen des Friedens heute sind, die sich aber nicht scheuen, Ziele zu nennen und Konzeptionen zu verkünden. Kennedy sagte: Frieden durch Menschenrechte. Warum kommt das bei der Regierung nicht vor? Der gegenwärtige Papst sagt: Frieden durch Freiheit — und der kennt und achtet doch die Grenzen der Rücksicht, die man auf regierende Kommunisten nimmt. Von der Vereinigung beider deutscher Staaten spricht Herr Honekker. Warum spricht der Kanzler nicht davon?
    Herr Bundeskanzler, Sie schulden der Nation, und besonders der Jugend, die volle Wahrheit; das Ja zum Richtigen wie das Nein zum Falschen; und das nicht irgendwie beurteilt, sondern nach dem, was uns alle bindet: Der Wertmaßstab unserer Ordnung ist die Würde des Menschen in der sozialen Wirklichkeit des Alltags.
    Der Kanzler lehnt — mein Kollege Zimmermann hat ihn heute früh darauf angesprochen; vielleicht hören wir dazu noch etwas —, wie man aus seinen Einlassungen hier, aber auch an anderen Stellen, weiß, „geistige Führung" im Sinne weltanschaulicher Wegweisung ab

    (Dr. Ehmke [SPD]: Halten Sie diesen Verbalismus für geistige Führung?)

    — Herr Ehmke —; das passe nicht zu unserem weltanschaulich neutralen Staat; und das möge er nicht wegen seiner Erfahrungen als Jüngling im „Dritten Reich". Diese Begründung, Herr Bundeskanzler, lasse ich insoweit ausdrücklich gelten. Nur: Unser Staat ist nicht wertneutral!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unsere Verfassung normiert verbindliche Ziele und Maximen, und dazu darf keiner schweigen, auch der Kanzler nicht! Diese geistig-politische Führung — wenigstens diese — ist er auch in unseren nationalen Fragen schuldig.
    Herr Bundeskanzler, in dem Bericht, den wir heute hörten, vermag ich beim besten Willen die reale Lage der ganzen deutschen Nation nicht wiederzuerkennen.

    (Zuruf von der SPD: Das liegt an Ihnen!)

    — Bitte, keine voreiligen Zurufe; warten Sie doch einmal ab!
    Der Bericht war, wie ich meine, pflichtwidrig, weil er dem Auftrage des Parlaments, einen Bericht zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland zu erstatten, nicht entsprach, weil er ihn willkürlich verengte und weil er auch das Gebot des Bundesverfassungsgerichts überging. Der Bericht war — verzeihen Sie — dürftig, weil er weder Horizonte noch Wege aufwies, und der Bericht war kaum eine halbe Wahrheit, weil er Unrecht verschwieg.
    Ich will das begründen. Für mich ist dieser Bericht, Herr Bundeskanzler, beschämend. Ich habe etwas aus einem anderen Lande, aus den USA, mitgebracht. In den USA ist eine Kommission von Experten im Auftrage des Auswärtigen Amtes tätig, die jedes Jahr beiden Auswärtigen Ausschüssen des Parlaments einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in der ganzen Welt erstattet. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler und verehrte Kolleginnen und Kollegen, diesen Bericht zur Hand nehmen und in diesem Bericht nur die Passagen über die DDR — die kommt nach dem Alphabet zuerst — und uns lesen, haben Sie mehr Bericht über die reale Lage der Nation, als uns die eigene Bundesregierung hier heute gegeben hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte nur aus der Einleitung zitieren. Man kann das nicht alles zitieren, aber vielleicht gibt es — etwa durch einen Antrag — einen Weg, wenigstens diese Passagen über Deutschland dem ganzen Hause zugänglich zu machen. Es heißt also in diesem Bericht der USA:
    Die Deutsche Demokratische Republik ist ein fest kontrollierter kommunistischer Staat mit wesentlichen Beschränkungen bei der Ausübung von Bürger- und politischen Rechten. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) kontrolliert alle Bereiche der Gesellschaft außer der Kirche, die noch über eine gewisse Autonomie verfügt.
    Ich zitiere nur verschiedene Passagen:
    Es gibt ca. 400 000 sowjetische Soldaten auf dem Territorium der DDR. Gleichzeitig gibt es tiefe geschichtliche, kulturelle und familiäre Bindungen zwischen den Menschen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, welche die 35 Jahre alte Teilung Deutschlands nicht ausrotten konnte.
    Ein anderer Satz:



    Dr. Barzel
    Wie die Berliner Mauer bezeugt, überwacht die DDR Auswanderung und Reisen sehr streng. Über das letzte Jahrzehnt hinweg
    — ich zitiere auch etwas Positives —
    hat es für die westlichen Besucher einen deutlich wachsenden Zugang zur DDR gegeben, obwohl die Devisenumtauschquoten in der DDR kürzlich kräftig erhöht wurden.
    Heute werden trotz Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte von Helsinki von 1975 die Möglichkeiten ihrer Bürger im arbeitsfähigen Alter zum Reisen in den Westen und zur Auswanderung von der DDR sehr streng begrenzt.
    Diejenigen, die die Grenze illegal zu überschreiten versuchen, riskieren Gefängnis oder Tod durch die Grenzposten und die automatischen Schußanlagen, obwohl die bewaffneten Grenzzwischenfälle in den letzten Jahren bedeutend weniger geworden sind.
    Es gibt eine vollständige Zensur der Medien und der Veröffentlichungen. DDR-Bürger werden regelmäßig inhaftiert wegen der Kritik an der Regierung oder an der Partei, und im Jahre 1979 verschärfte die DDR die Strafgesetzgebung, um Kritik am Staat oder Weitergabe von nicht nützlichen Ansichten oder Informationen an Menschen aus dem Westen durch Bürger der DDR zu entmutigen.
    Ich höre auf, Auszüge zu zitieren. Dies ist ein Teil der realen Lage im gespaltenen Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was uns — die Bundesrepublik Deutschland — betrifft, so ist das, was dort steht, fast schmeichelhaft. Deshalb zitiere ich nur einen Satz, damit man sieht, daß auch wir vorkommen:
    Folglich gibt es ein fundamentales Einvernehmen im Volk und eine klare politische Bestimmung in der Regierung, die Menschenrechte zu schützen und zu erhalten.
    Auch das sollte man einmal an die Adresse all derer sagen, die die Bundesrepublik Deutschland mieszumachen sich angewöhnt haben.
    Verehrte Damen und Herren, ich will ein anderes Dokument in die Debatte einbeziehen. Da gibt es andere, die nicht einmal Deutsche sind, die nicht einmal irgendwo einem Parlament politisch verantwortlich sind; es sind freie Bürger der Welt. Ich spreche von amnesty international. Den Vertretern dieser Organisation hören wir hoffentlich nicht nur dann zu, wenn sie uns etwas über Chile sagen. Diese Organisation hat uns im Februar aus London einen Bericht über die Menschenrechtslage in der DDR vorgelegt. Hieraus zitiere ich auch nur die Einleitung. Das andere ist alles schlimm genug. — Ich sehe den verehrten Kollegen Jahn; er wird das sicher in seinen Akten haben, wenn er demnächst zur UNO-Menschenrechtskommission fährt.
    — Das ist nicht zum Lachen; ich bin sicher, daß er das macht.
    amnesty international
    — so das Zitat —
    ist über eine Reihe von Menschenrechtsproblemen in der DDR besorgt, insbesondere über die folgenden:
    a) Die Existenz von Gesetzen, die für eine große Zahl von Handlungen, und zwar auch für die Ausübung von Menschenrechten (insbesondere des Rechts auf freie Meinungsäußerung, Informationsfreiheit und des Rechts, sein Land zu verlassen), Freiheitsentzug vorschreiben;
    b) die Anwendung dieser Gesetze, um Menschen ins Gefängnis zu bringen, die diese Rechte gewaltlos, aber in einer von den Behörden nicht gebilligten Weise ausüben;
    c) die Unzulänglichkeiten der Rechtsschutzgarantien für politische Gefangene;
    d) Fälle grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von politischen Gefangenen;
    e) die Beibehaltung der Todesstrafe für eine Reihe von Straftaten, darunter einige politische.
    Das wird dann seitenweise belegt. Ich hätte das sehr gerne von der eigenen Regierung gehört, denn die ist wohl für Deutschland verantwortlich, verehrte Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein drittes Dokument. — Herr Wehner, Sie gukken mich so grimmig an, es ist schon das letzte Dokument hierzu.

    (Wehner [SPD]: Ich gucke Sie nicht grimmig, sondern nachdenklich an, wie leistungsfähig Sie inzwischen geworden sind!)

    — Dann freut mich das sehr, Herr Kollege Wehner, ich war sonst andere Zwischenrufe von Ihnen gewöhnt.

    (Wehner [SPD]: Also war Ihre Einschätzung falsch! — Liedtke [SPD]: Nicht nur in diesem Fall!)

    — Ein drittes Dokument, meine Damen und Herren, kommt von Betroffenen selbst. Man konnte es hier in den Zeitungen lesen, sonst würde ich es nicht in die Debatte einführen. Die katholischen Bischöfe in der DDR haben Anfang März ein „Hirtenwort zur österlichen Bußzeit 1981" von den Kanzeln verlesen lassen. Daraus möchte ich zitieren in der Hoffnung, daß viele junge Menschen beider Konfessionen, die in diesen Tagen über Frieden und solche Dinge diskutieren, auch dies in die Hand nehmen und sich im Gewissen prüfen, bevor sie sich für irgend etwas in Anspruch nehmen lassen. Ich zitiere daraus auch nur ganz kurz diese Auszüge:
    Besorgt fragen uns christliche Eltern: Was nützt es, wenn Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Verfassung garantiert und durch Gesetzeskraft rechtlich gesichert sind, unsere Kinder aber trotzdem schutzlos der Zugluft atheistischer Erziehung ausgesetzt bleiben? Auch der Staat muß bei seinen Erziehungszielen den Wil-



    Dr. Barzel
    len der Eltern beachten. Entspricht es dem Elternrecht und der verfassungsmäßig garantierten Freiheit der Religionsausübung, wenn christliche Kinder, deren ethische Lebensnorm die Liebe ist, zum Haß erzogen werden? Wir können als Christen niemals j a sagen zum Haß. Haß schafft Feindschaft, und Erziehung zum Haß zerstört den Friedenswillen und den Frieden selbst. Noch schwerwiegender greift in das Recht der freien Religionsausübung ein die von tausenden katholischen Eltern und Kindern leidvoll erfahrene Praxis in der Frage der Jugendweihe. Immer wieder wird erklärt: Die Teilnahme an der Jugendweihe ist freiwillig. Nehmen aber katholische Eltern und Kinder diese Freiwilligkeit in Anspruch, sind sie meist seitens der Schule, der Betriebe, in denen die Eltern arbeiten, oder seitens anderer gesellschaftlicher Institutionen einem solchen moralischen Druck ausgesetzt, daß von Freiwilligkeit nicht mehr die Rede sein kann.
    Verehrte Damen und Herren, dies, denke ich, bedarf keines Kommentars.
    Für mich wenigstens sagen diese drei Dokumente mehr über die reale Lage der Nation im gespaltenen Deutschland als der dürftige Bericht der Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Gegenüber dieser Verhaltenheit, Herr Bundeskanzler, ist doch eine offensive Deutschlandpolitik der DDR zu registrieren. Sie verlangt jetzt von uns — ich mache das ganz konkret —, Salzgitter aufzulösen, die Elblinie neu zu ordnen und in der Staatsangehörigkeitsfrage dem Grundgesetz ade zu sagen.
    Weiß eigentlich die Bundesregierung davon nichts, oder — andernfalls — warum verschweigt sie die für die Menschen in der DDR hilfreiche und nützliche Tätigkeit dieser Einrichtung, der Erfassungsstelle für Unrecht drüben durch die Landesjustizverwaltung in Salzgitter? Zahlreiche Deutsche suchen in Salzgitter ihr Recht, melden ihr Recht wenigstens an, das sie in der DDR nicht finden, auf das sie aber als Deutsche — wann auch immer —, als Angehörige unseres Volkes, einen Anspruch haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist doch ein integrierender Bestandteil des Rechtsschutzes im ganzen Deutschland. Ich hoffe, hier sitzt niemand, dem es nicht schon zu Ohren gekommen ist, daß mancher Funktionär in der DDR sich scheut, Unrecht anzuwenden, weil der denkt: „Das geht nach Salzgitter, kommt dort in die Akten und wird eines Tages zu meiner Strafverfolgung führen."

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer Salzgitter abschafft — und ich weiß, warum ich das als erstes hier sage, Herr Bundeskanzler —, vermindert den Rechtsschutz der Menschenrechte im ganzen Deutschland und damit die Menschenrechte selbst.
    Das andere, die innerdeutsche Trennlinie an der Elbe, ist doch nach der Rechtslage Deutschlands keine Sache, über die wir zu befinden haben. Hier können wir bestenfalls feststellen, was die Siegermächte verfügt haben. Wer sich hier Rechte anmaßen will, etwas neu zu ordnen, der muß zuerst an Berlin denken, verehrte Damen und Herren. Wir haben hier keinen Handlungsspielraum. Dies soll ganz deutlich gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dasselbe gilt in der Frage der Staatsangehörigkeit. Da ist doch nicht nur auf das Grundgesetz hinzuweisen — da stimmen wir Gott sei Dank überein —, sondern es ist darauf hinzuweisen, daß wir mit der DDR wie mit den anderen Ländern nur einen „Modus vivendi" haben. Wer solche Fragen — wie die der Staatsangehörigkeit — lösen will, muß den deutschen Souverän fragen, und das ist das deutsche Volk.
    Ich finde Ihren Bericht, Herr Bundeskanzler, den ich über Mittag noch einmal gelesen habe, eben nicht in Ordnung, wenn Sie dieses Unrecht verschweigen, wenn das Selbstbestimmungsrecht da nicht vorkommt, wenn da von Wiedervereinigung, von deutscher Einheit nicht die Rede ist, ja nicht einmal von Menschenrechten, und wenn der HarmelBericht, der zweimal vorkommt, doch etwas verkürzt erscheint. Dies ist ein wichtiges Dokument, dem damals alle zugestimmt haben und, wie ich hoffe, auch heute noch alle zustimmen. Er ist aus der Zeit unserer Regierung. Er enthält das Paar „Abschreckung und Zusammenarbeit", aber Zusammenarbeit nicht einfach als Gespräch um des Gesprächs willen, sondern, wie es dort heißt, „Suche nach Fortschritten in Richtung auf dauerhafte Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können". Ziel von Zusammenarbeit ist also, Spannungsursachen abzubauen. Daran muß man doch erinnern, wenn man Beziehungen aufnehmen und Gespräche führen will, meine Damen und Herren. Da ist jetzt das ganze Zitat in der Debatte.
    Was ist nun zu tun, um die Lage zu verbessern? Gewiß, man muß mit der DDR reden, mit Moskau, mit Warschau usw. — da bauen Sie ja wohl keinen Popanz mehr auf, daß wir das nicht wollten —, aber doch bitte reden im Lichte unserer inzwischen gemachten Erfahrungen. Die Erklärung von Ihnen, Herr Bundeskanzler, bereit zu sein zur Reise in die DDR, auch ohne ein Ergebnis in der Sache Zwangsumtausch, ist doch nicht im Lichte unserer Erfahrungen gesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir dürfen doch nicht wieder, wie ich das hier einmal genannt habe, Kasse gegen Hoffnung machen. Das hat doch alles nur Sinn bei Leistung und Gegenleistung. Ich habe hier jetzt nicht von formalisierten, gar öffentlichen Vorbedingungen gesprochen.

    (Wehner [SPD]: Sie haben es aber nicht genau wiedergegeben, was er gesagt hat! Das müssen Sie wohl zugestehen!)




    Dr. Barzel
    — Herr Wehner, ich freue mich auf Ihren Diskussionsbeitrag hier. Sie werden das, was Sie mir eben zugerufen haben, nicht beweisen können.

    (Wehner [SPD]: Können Sie beweisen, was Sie jetzt behauptet haben? Können Sie nicht!)

    Ich möchte zu Inhalt und Methode dieser innerdeutschen Probleme an die Stufenpläne erinnern, die wir hier ausgebreitet haben. Der Kanzler kennt sie doch. Bei der Autobahn Berlin-Hamburg und zurück wollen wir z. B. wissen, bevor wir zahlen: Wer soll eigentlich darauf fahren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

    und in welcher Richtung soll dort gefahren werden? Dann wollen wir die Beträge in Tranchen aufteilen. Die Tranche Nr. 2 gibt es, wenn die Zusagen für Nr. 1 erfüllt sind. Das ist ein Stufenplan, verehrte Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann heißt es, von deutschem Boden dürfe kein Krieg mehr ausgehen. Gut so! Nur, verehrte Damen und Herren, er geht doch aus. Zwar nicht hier, aber überall in der Welt ist die DDR im Interesse Moskaus und des Weltkommunismus gewaltsam tätig und rühmt sich dessen auch noch. Die Regierung kennt das, sagt aber heute kein Wort dazu. Verehrte Damen und Herren, wen wundert es da, daß sich z. B. Afrikaner enttäuscht abwenden und dies auch in Bonn erklären?
    Dann haben Sie kürzlich, wie mit einer Siegesfanfare, einen erneuten Besuch des Herrn Breschnew in Bonn angekündigt. Herr Bundeskanzler, der Präsident der USA, Reagan, will da erst sprechen, wenn er vorher weiß, was dabei wann herauskommen soll. Er will nicht sprechen, solange die Realität in Afghanistan und Polen nicht durch die Sowjetunion verbessert ist. Hier aber soll nun der dritte Besuch in acht Jahren ins Haus stehen. Käme bei all dem mehr für Deutschland und die Deutschen heraus, dann könnte es meinetwegen schon ein Dutzend sein, aber das ist ja leider nicht der Fall. Ich habe einen schlechten Geschmack auf der Zunge, daß hier durch die Quantität, durch die Häufigkeit der Besuche, diese Quantität in Qualität umschlägt und Fragezeichen in bezug auf die Qualität unserer internationalen Einordnung und Politik entstehen können, verehrte Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich kann mir wenigstens nicht vorstellen, daß dieser Besuch stattfindet — mit dem Blick auf den Vorrang, wie ich hoffe, der westlichen Solidarität, mit dem Blick auf die Verletzung des Moskauer Vertrages durch den Krieg in Afghanistan — ich kann mir nicht vorstellen, daß er stattfindet, falls Drohung und Gewalt gegen Polen anhalten und ansteigen, falls der Krieg in Afghanistan andauert.
    Bevor wir über neue vertrauensbildende Maßnahmen diskutieren, würde ich gerne erst einmal sehen, daß die Sowjetunion ihre vertrauensverletzenden Maßnahmen einstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn deutsche Ostpolitik mehr sein soll als das Hinnehmen kommunistischer Westpolitik, wenn sie weiterkommen will, muß zuerst die Rechnung im Westen aufgehen. Wir wiegen in Moskau so viel, wie wir im Westen, im Bündnis und in der Gemeinschaft vornehmlich, gelten. Da ist vieles im argen: Im Bündnis fragt man nach der Verläßlichkeit des deutschen Partners. Die Gemeinschaft ist in einer Krise, nicht durch unsere Schuld. Wegen der Streichungen in unserem Verteidigungshaushalt drohen europäische Kooperationsprojekte Schaden zu nehmen. Frankreich zeigt das Ende der Zusammenarbeit in Fragen der friedlichen Verwendung der Kernenergie an, weil es bei uns zu einem abredewidrigen Defacto-Stopp des Ausbaus gekommen sei.
    Im Westen hört und liest man die immer häufigeren Warnungen des Herrn Vizekanzlers; das ist der Bundesminister des Auswärtigen. Ich nehme nur diese eine aus der Debatte vom vorigen Mittwoch, einen Satz nur:
    Unser Platz ist an der Seite des Westens und im Westen, aber nicht gleich weit entfernt von der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten.
    Wenn das jemand im Westen liest, fragt man sich, nachdem man das monatelang hört: Warum sagt der Bundesaußenminister das dauernd? Das sagt er nicht gegen Sie, Herr Kohl, das sagt er nicht gegen Herrn Strauß, das sagt er gegen keinen von uns, das sagt er auch nicht gegen Mitglieder seiner Partei. Wen meinen Sie, Herr Bundesaußenminister? Es kann sich doch nur um Ihren Koalitionspartner handeln.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ihre Sätze, Herr Bundeskanzler, liegen einfach auf dem Tisch. Ich habe sie öfter zitiert, über „Brükkenfunktion", Kölner Parteitag, Ihre Sätze nach Ihrem Triumph in Nordrhein-Westfalen erst im vorigen Jahr, „ausgleichend zwischen Ost und West zu wirken". Das sind doch diese Zwischengeschichten. Da würde es sehr kalt und sehr einsam und sehr gefährlich, wenn wir uns zwischen die Stühle setzen würden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wenn ich nun Ihr langes und — Sie verzeihen, ich finde — etwas säuerliches Interview in der „Süddeutschen Zeitung" ansehe und da Ihre Worte finde — ich zitiere:
    Wenn es etwa in diesem Jahr nicht zu Verhandlungen käme, würde es nicht nur innenpolitisch für mich schwieriger werden, es würden dann auch Schwierigkeiten im Verhältnis zur Regierung der Vereinigten Staaten eintreten. Aber ich sehe das nicht so kommen.
    Herr Bundeskanzler, das muß wohl heißen: innerparteilich.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier stellt sich doch nun die Frage: Ist Ihre Außen-, Verteidigungs- und Deutschlandpolitik also weitgehend eine Folge des Zustands Ihrer Partei, zumal Sie nach diesem Interview — das steht da ja — gegen einen Teil Ihrer Partei regieren?



    Dr. Barzel
    Verehrte Damen und Herren! So gehört zur Lage der Nation im gespaltenen Deutschland 1981 die Lage der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1981.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich gucke jetzt einmal den Kollegen Wehner und auch die älteren Mitstreiter in diesem Hause an. Herr Kollege Wehner, ich finde, Parteien sind Nachbarn. Ich sage das ohne Häme: Es gab eine Situation 1966, an die wir uns beide sehr gut erinnern. Damals waren, ehrlich gesgt, wir nicht in der besten Form unserer Zeit in diesem Hause. Da trat der Kollege Wehner hier auf und hielt eine Rede an uns, sehr ernst, nannte einige Namen — Sie kennen die Rede genau — und redete uns ins Gewissen. Darin kam der Satz vor, Herr Kollege Wehner — ungefähr so, wie ich mich erinnere —: „Sie müssen aufpassen, daß Sie nicht Ihre Krise auf den Staat übertragen."
    Wir haben das ganz ernst gehört. Ich habe das damals nicht polemisch zurückgewiesen. Und was machen Sie heute, Herr Kollege Wehner? Sie übertragen die Krise Ihrer Partei auf den Staat.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn heute, meine verehrte Kolleginnen und Kollegen, Wohnungen nicht gebaut, Investitionshemmnisse nicht beseitigt, energiepolitische Erpreßbarkeit produziert, so — zusätzlich — Arbeitslosigkeit und Finanzschwäche im System unserer sozialen Sicherheit bewirkt, soziale Sicherheit morgen finanziell in Frage gestellt, außenpolitische Verläßlichkeit und Berechenbarkeit sowie unser Handlungsspielraum wegen der galoppierenden Haushaltsprobleme verengt werden, so ist das alles kein uns vom Himmel auferlegtes Ereignis zur Prüfung unserer Leidensfähigkeit, sondern die Folge der weitgehenden bundespolitischen Handlungs- und Regierungsunfähigkeit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe hier, bevor sich jemand aufregt, den Originalton Wehner; aber ich verzichte darauf.
    Hier unterbleibt das Nötige wie das Mögliche. Die deutsche Politik schrumpft zusammen zu dem der Koalition Möglichen, korrekter: zu dem der Hauptregierungspartei Möglichen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)

    Das ist zuwenig für Deutschland, meine Damen, meine Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich leugne nicht, Herr Bundeskanzler, daß wir auf Grund der außenwirtschaftlichen Situation Schwierigkeiten haben; wer wollte das übersehen? Aber wenn hier Wohnungen nicht gebaut werden, hat das nichts mit der OPEC zu tun. Nötige und mögliche Entscheidungen werden vertagt: Wohnungsbau, Kernenergie, Abbau von Investitionshemmnissen. Frühere Entscheidungen werden zerredet und zerzweifelt, z. B. was Nachrüstung und Waffenexport angeht.
    Ihr neues ökonomisches Programm — im Ausland Geld pumpen und hier dann den Zins verbilligen — offenbart, daß der Haushalt nichts mehr hergibt, daß Sie am Parlament vorbei zum Schattenhaushalt als Strohhalm greifen, daß Sie steuerliche Anreize weder wollen noch geben zu können glauben, vor allem daß Sie sich außerstande sehen, das Vernünftige, z. B. das, was Graf Lambsdorff im Jahreswirtschaftsbericht und in seiner Rede dazu hier gesagt hat, zu tun. Was Sie vorlegen, ist eine Ausflucht, aber nicht ein neuer Anfang. Wer so regiert, verehrte Damen und Herren, verschlimmert die Lage der Nation.
    Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch etwas zur Situation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sagen. Wir sind nach dem Krieg eine neue und junge Partei gewesen. Wir haben damals auf Sie geguckt und gefragt: Wie machen die das eigentlich? Dann haben wir Lassalle gefunden: Ein Problem erst lernen, dann begreifen, dann diskutieren, dann entscheiden — mit Mehrheit entscheiden —, dann aber handeln, und zwar möglichst einmütig handeln. So haben wir es gelernt. Das ist die Identität der deutschen Sozialdemokratie in der deutschen Geschichte. Diese Identität, Herr Kollege Wehner, schulden Sie diesem freiheitlichen Rechtsstaat. Das ist doch auseinandergelaufen.
    Ich könnte jetzt Carlo Schmid von einem Parteitag zitieren. Aber ich habe mich hier mit meinen Zetteln vertan. Immerhin habe ich das Zitat dabei; ich gebe es Ihnen gern nachher. Er sagte, das Wesentliche dieser Partei sei, daß sie nach einer buntscheckigen Diskussion und Entscheidung dann miteinander handelt. — Diese Fähigkeit haben Sie verloren.
    Wir haben nach dem Grundgesetz die Aufgabe, an der Willensbildung mitzuwirken. Wer Willen bilden soll, muß einen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, dann lese ich, wie sich Ihr neuer Bundesgeschäftsführer, der verehrte frühere Kollege Glotz, rühmt, daß in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die Optionen dafür und dagegen zugleich möglich seien. Verehrte Damen und Herren, das kann nicht sein! Wenn man in der Phase des Handelns ist — z. B. beim NATO-Beschluß —, dann kann man das, was man einmal beschlossen hat, doch nicht wieder in Frage stellen. Wer soll sich international sonst darauf verlassen? Wo kommen wir eigentlich hin, wenn man die Option dafür mit der Option dagegen verbindet? Dann wird doch das Offenhalten der Optionen an und für sich zur politischen Tugend. Das aber hat mit politischem Handeln nichts mehr zu tun. Das ist der Weg, auf dem man sich, wenn man fair ist, freiwillig in die Opposition begibt, Herr Kollege Wehner.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich schulde an dieser Stelle dem Bundeskanzler noch ein Wort, weil ich mich, als er in der letzten Woche am Mittwoch sprach, für meine Verhältnisse hier sehr erregt habe. Herr Bundeskanzler, Sie sprachen da über die vier Minister Ihrer Regierung, die Sie wieder eingebunden hätten. Da habe ich Ihnen nach dem Proto-



    Dr. Barzel
    koll zugerufen: „Verbalakrobatik!" und: „Zwei Wahrheiten auf einmal!". Wenn ich mich bei der Durchsicht der Unterlagen vergaloppiert hätte, würde ich mich nicht scheuen, mich zu entschuldigen. Aber ich sehe keinen Anlaß dazu.
    Die entscheidende Passage im Beschluß des Landesvorstands der SPD von Baden-Württemberg, dem die vier Herren zugestimmt haben, zitiere ich nach dem „Sozialdemokratischen Pressedienst" vom 24. März, Seite 9:
    Ein zeitlich begrenztes Moratorium bezüglich der Stationierung eurostrategischer Waffen kann ein sinnvoller Bestandteil dieser Verhandlungen sein.
    Der NATO-Beschluß vom 12. Dezember 1979 lautet nach dem Bulletin — ich zitiere —:
    Der TNF-Bedarf der NATO wird im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft werden.
    Wenn ich Deutsch kann und den Bundesaußenminister bisher richtig verstanden habe, dann sind dies zwei fundamental verschiedene Welten. Dann kann man nicht in Stuttgart für das eine und hier in Bonn für das andere sein. „Hier stehe ich, ich kann auch anders" — das ist keine Politik, meine Damen und Herren!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Kollege Ronneburger, ich glaube, daß Sie heute eine ganz bemerkenswerte Rede gehalten haben. Sie sollten wirklich nicht versuchen, den Kollegen Zimmermann mißzuinterpretieren. Wenn Sie einen Vorwand, einen Popanz brauchen, um Ihren Wählern Ihre Koalitionsrealität weiter verkünden zu können, dann nehmen Sie bitte nicht diesen Teil der Politik. Denn das, was der Kollege Kohl für uns alle gesagt hat, gilt weiter. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir sagen nicht nur „pacta sunt servanda". Wir sind nicht bereit, diese Verträge, Ostverträge, unter der Überschrift „pacta sunt servanda" zum Verstauben in eine Schublade zu legen. Diese Verträge sind für uns alle, wenn sich die Seiten ändern werden, Instrumente der deutschen Politik. Legen Sie hier bitte nicht irgend etwas hinein, was nicht stimmt. Herr Kollege Ronneburger, ich wollte dies sagen. —

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir alle erleben — ich finde das erregend und habe das in anderen Debatten ja schon angedeutet — die Grenzen äußerer Gewalt und allein materieller Macht. Wir haben das in Persien und in Polen erlebt, und ich bin sicher, die deutsche Geschichte wird den Tag kennen, an dem wir das in Deutschland erleben.
    Ich habe hier früher in anderen Zusammenhängen davon gesprochen, daß man, obzwar groß, mächtig und stark, bei vollen Taschen gleichwohl mit leeren Händen dastehen könne. Ich habe von hier aus früher — das ist ja aufgegriffen worden — das christlich-jüdisch-islamische Gespräch angeregt. Die Dimension Geist hält also wieder Einzug in die Politik, und sie wird — dessen bin ich sicher — Deutschland auf Dauer nicht aussparen.
    Wieder wird sie die Frage herausfordern: Warum leben wir in Deutschland gegen unseren Willen in Dresden anders als in Köln? Warum dürfen wir als Volk nicht vereint in einem Staat, in dem wir selbst bestimmen, zusammenleben? Niemand hier und niemand draußen täusche sich: Die Frage lebt, und sie wird wirken. Sie kann man behindern, sie kann man verdrängen, sie kann man aber nicht erschießen. Auch die nächste Generation erfüllt diese Frage wie die Sehnsucht nach der Antwort. Ich bin sicher, daß sich die nationale Frage Gehör verschaffen und eine Antwort finden wird.
    Dann wird man zurückfragen, was die Verantwortlichen — zum Beispiel 1981 — getan und gewollt haben, um die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland zu mildern, zu verbessern, zu überwinden. Sicherlich ziemt uns eine Politik frei von Gewalt, voll von Friedfertigkeit und Geduld, aber ebenso eine Politik, die uns im Gewissen auf die Verantwortung für alle Deutschen festlegt.
    In dieser Dimension von Geist und Geschichte und Gewissen erscheinen mir Politik und Bericht der Bundesregierung — Verzeihung! — erbärmlich.
    Herr Bundeskanzler, Sie schrieben früher und reden heute gern vom Gleichgewicht als der Voraussetzung des Friedens. Dazu gehört jetzt und mehr noch in der Zukunft: Geist und Religion und Wille zur Selbstverwirklichung erweisen sich zunehmend als wirkkräftige Faktoren des internationalen Lebens. Die Dimension Geist hat — wie gesagt — die Weltpolitik deutlich erfaßt. Aus diesem Grunde sollte man mit Konsequenz erkennen, daß das Modewort „Gleichgewicht" keine feste, statische, allein materielle Größe aus Militär- plus Wirtschaftskraft ist, auch keine Größe, die man einmal für immer festlegen kann. Zum Gleichgewicht gehören heute auch Sozialordnung und moralische Verfassung der Völker, Überzeugungen und die Kraft immaterieller Werte, kulturelle Entfaltung und — nicht zu vergessen — politischer Wille, der keine weißen Flecken offenläßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So gehört zu unserer Ost-Politik und zu diesem sogenannten Gleichgewicht unser fortdauernd erkennbarer Wille auf Menschenrechte für alle Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der gegenteilige Wille ist ohnehin vorhanden; das haben wir unlängst von Herrn Honecker wieder gehört. Bleibt dieser Wille aus Bonn auf Dauer — ich formuliere vorsichtig — kaum wahrnehmbar — es tut mir leid, aber das ist mein Eindruck seit zehn Jahren —, so stört diese folgenschwere Unterlassung auch das Gleichgewicht zwischen Ost und West. Koexistenz ist nach Meinung von Kommunisten zugleich Zusammenarbeit und Kampf. Wer im Westen bestehen will, darf sich nicht nur auf Zusammenarbeit beschränken; sonst wird er verlieren.
    Die Unterlassung, die ich Ihnen eben vorgeworfen habe, zerstört zugleich unsere Glaubwürdigkeit nach draußen; denn niemand in aller Welt nimmt uns ab, daß wir nun etwa aufgegeben hätten, wo der



    Dr. Barzel
    Gedanke der Selbstverwirklichung eine ganz neue, positive Runde um die Welt macht. Man vermutet, wir betrieben — oder hätten es wenigstens vor — ganz finstere Dinge im Geheimen. Das ist nicht so, wie ich weiß. Aber wir müssen von dieser Frage wieder reden, wenn man uns draußen glauben soll. Das gehört auch zur Moral zu Hause, Herr Bundeskanzler.
    Damit komme ich wieder zu dem, was ich eingangs sagte: Wenn die amtliche Politik weder von der Bedrohung durch die Kommunisten noch von der wirklichen Lage der Deutschen in der DDR spricht, wenn Kommunisten hierzulande voll ins Geschirr gehen — subversiv, ideologisch, agitatorisch, demonstrierend —, dann erscheint jungen Menschen hierzulande, die unsere Erfahrungen Gott sei Dank doch nicht mehr haben — es tut mir leid, das überzeichnet sagen zu müssen — die Bundeswehr eben vielleicht eher als eine Einrichtung zum Nutzen vorwiegend von Politikern, Admiralen und Generalen statt das, was sie wirklich ist, nämlich die notwendige Anstrengung, um hier mit der sozialen Alltagswirksamkeit der Freiheit die Möglichkeit zu Kritik und Reform zu erhalten.
    Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koaliton, wenn man Kommunisten zu „kritischen Demokraten" befördert, um sie dann als Lehrer einzustellen, darf man sich nach geraumer Zeit doch weder wundern noch gar öffentlich entrüsten, daß junge Menschen nun lauthals dem Paradox des „aggressiven Pazifismus" anhängen, den Wehrdienst also verweigern und wegen Kernenergie zuschlagen.
    Dieser Tage legen Schriftsteller der freien Welt — ich gebrauche dieses Wort, weil es sie gibt — einen Aufruf vor. Darin heißt es — ich zitiere das zustimmend —:
    ... sind wir der Überzeugung, daß der Kampf für die Freiheit nicht auf dem Schlachtfeld verloren oder gewonnen wird, sondern in Büchern, Zeitungen, in den Massenmedien und im Schulzimmer sowie in allen öffentlichen Institutionen, wo der Wille, frei zu bleiben, gefestigt oder geschwächt wird.
    In Ihrem lesenswerten Interview in den „Evangelischen Kommentaren" haben Sie, Herr Bundeskanzler, nicht nur die bedauerliche völlige Fehlanzeige im Verständnis von Theologie und Kirche angemeldet, sondern Sie haben dort beherzigenswerte Sätze gesagt. Zwei davon will ich zitieren. Der eine lautet:
    Man muß in der Tat von den Regierenden Orientierung erwarten, ...

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Ich habe sie heute nicht vernommen oder vielleicht vergeblich gesucht, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der andere Satz aus diesem Interview lautet:
    Na sicher, reden kann jeder Politiker, aber man
    muß das auch fertigbringen, wovon man redet.
    So Ihr Wort, und so ist es, Herr Bundeskanzler. Ich
    frage Sie — ich tue das ganz verhalten —: Werden
    Sie, Herr Bundeskanzler, etwa nach diesem richtigen und selbst gewählten Maßstab scheitern, weil Sie die Rücksicht auf in die praktische Politik verirrte Resolutionäre ernster nahmen, als das für Deutschland jetzt Mögliche und Nötige zu sagen, zu wollen und durchzusetzen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich sehe die rote Lampe aufleuchten; also möchte ich mit diesen Sätzen zum Schluß kommen.

    (Zuruf von der SPD: Es wird Zeit!)

    — Das finde ich aber ganz liebenswert. Wissen Sie, zur Tugend der Demokratie gehört, einander zu ertragen. Was meinen Sie, wie schwer es mir heute fiel, eine Rede von 60 Minuten zu ertragen, in der nichts von der realen Lage der Nation im gespaltenen Deutschland enthalten war.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben hier j a manche Debatte geführt, seit Sie Bundeskanzler sind, früher auch in verschiedenen Funktionen und Positionen. Ich möchte gern aus der Debatte, die wir über Ihre erste Regierungserklärung am 20. Mai 1974 hatten, dies in Erinnerung rufen:
    In unserem demokratischen Gemeinwesen muß nicht nur die Kasse stimmen, so wichtig die Kasse ist!
    Sie reden vom Machbaren und vom Möglichen, ohne zu sagen, möglich wozu und machbar warum. Sie reden nirgendwo von einer Perspektive, von einer Konzeption, vom Sinngehalt von Einschränkungen und Opfern — zu all dem — warum Verzicht, wofür — kommt kein Wort. Kein kulturrelevantes Wort kommt in Ihrer Regierungserklärung über Ihre Lippen. Und der Stabilitätsbegriff schrumpft auf den rein materiellen Stabilitätsbegriff zusammen ...
    Ich hatte eigentlich ... vom ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der wie ich zur Kriegsgeneration gehört, etwas mehr erwartet: ein Wort zu den geistigen Spannungen dieser Zeit, zu unseren Erfahrungen, zu dem, was wir jungen Menschen hier und in der DDR über den Vorrang von Menschlichkeit vor jeder Politik zu sagen haben. Denn wir haben doch miteinander gelernt, daß einer der Punkte, an denen es mit der ersten Republik nicht so gut ist, die leider berechtigte Mahnung von Max Scheler aus dem Jahre 1925 war, wo er vom „konstitutiven Gegensatz von Macht und Geist"
    — in Deutschland —
    sprach. Herr Bundeskanzler, ich glaube, hier müssen Sie noch etwas nachholen.
    Ich stelle heute fest: Sie haben das nicht vermocht, Sie haben das in sieben Jahren nicht vermocht. Ich sage deshalb: Es tut mir leid, die deutsche Nation hat Anspruch, bei diesem historischen Tagesordnungspunkt ernster genommen und mit Qualität wie mit Perspektiven bedient zu werden.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)