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ID0903100800

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    Plenarprotokoll 9/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Inhalt: Bericht zur Lage der Nation in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wangen), Graf Huyn, Sauer (Salzgitter), Böhm (Melsungen), Lintner, Werner, Frau Roitzsch, Lowack, Diepgen, Schwarz, Würzbach, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Niegel und der Fraktion der CDU/ CSU Politische Häftlinge in den Haftanstalten der DDR — Drucksache 9/198 — Schmidt, Bundeskanzler 1541 B Dr. Zimmermann CDU/CSU 1549 B Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister von Berlin 1555C Ronneburger FDP 1562 C Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1566 D Franke, Bundesminister BMB 1573 C Dr. Barzel CDU/CSU 1578 B Hoppe FDP 1586 A Dr. Ehmke SPD 1588 D Lorenz CDU/CSU 1593A Junghans SPD 1597 B Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asyslverfahrens — Drucksache 9/221 — Frau Leithäuser, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg 1600 B Dr. Bötsch CDU/CSU 1602 D Dr. Schöfberger SPD 1604 D Dr. Wendig FDP 1607 A Dr. de With, Parl. Staatssekretär BMJ . . 1609 C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Ächtung der Todesstrafe — Drucksache 9/172 — Klein (Dieburg) SPD 1610 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 1612 A Bergerowski FDP 1613 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Spranger, Dr. Miltner, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Laufs, Dr. George, Neuhaus, Dr. Bötsch, Broll, Biehle, Linsmeier, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU Prüfung der Notwendigkeit von Gesetzgebungsvorhaben — Drucksache 9/156 — Dr. Miltner CDU/CSU 1615A Dr. Kübler SPD 1616 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 1618A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz) — Drucksache 9/279 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Engholm, Bundesminister BMBW 1620 A Rossmanith CDU/CSU 1622 B Weinhofer SPD 1624 D Popp FDP 1628 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Windelen, Dr. Dollinger, Pfeffermann, Weirich, Neuhaus, Bühler (Bruchsal), Linsmeier, Maaß, Lintner, Dr. Riedl (München), Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Köhler (Wolfsburg), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Stavenhagen, Niegel, Röhner, Spilker, Dr. Bugl und der Fraktion der CDU/CSU Aufhebung des sogenannten Verkabelungsstopps der Bundesregierung — Drucksache 9/174 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" — Drucksachen 9/245, 9/314 — Weirich CDU/CSU 1630 C Paterna SPD 1632 D Dr. Hirsch FDP 1634 D Becker, Parl. Staatssekretär BMP . . . 1635 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/68 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/298 — 1636 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und des Europäischen Übereinkommens vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/69 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/299 — 1636 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Wiener Abkommen vom 12. Juni 1973 über den Schutz typographischer Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung (Schriftzeichengesetz) — Drucksache 9/65 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/301 — Dr. Klejdzinski SPD 1636 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 13. Mai 1977 unterzeichneten Fassung des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken — Drucksache 9/70 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/302 — 1637 A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes — Drucksache 9/246 — 1637 B Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/289 — 1637 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Reichseigenes Grundstück Berlin 52 (Reinickendorf), Ollenhauerstraße 97/99; hier: Verkauf an das Land Berlin — Drucksachen 9/101, 9/261 — 1637 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 III Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide — Drucksachen 9/108 Nr. 13, 9/274 — . . .1637 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Durchsetzung von internationalen Normen für die Sicherheit im Seeverkehr und die Verhütung von Meeresverschmutzung in bezug auf den Schiffsverkehr in den Häfen der Gemeinschaft — Drucksachen 9/87, 9/300 — 1637 D Nächste Sitzung 1638 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1639* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 1541 31. Sitzung Bonn, den 9. April 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 9. 4. Dr. Ahrens ** 10. 4. Amrehn 10. 4. Brandt * 9. 4. Burger 10. 4. Dr. Enders ** 9. 4. Francke (Hamburg) 10. 4. Franke 10. 4. Dr. Geißler 10. 4. Gilges 9. 4. Haase (Fürth) 10. 4. Hauser (Krefeld) 10. 4. Herterich 10. 4. Hoffie 10. 4. Dr. Holtz ** 10. 4. Dr. Hubrig 10. 4. Jungmann 10. 4. Kiep 9. 4. Kleinert 10. 4. Korber 10. 4. Dr. Kreile 10. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Krone-Appuhn 10. 4. Landré 10. 4. Lenzer ** 10. 4. Mahne 10. 4. Matthöfer 10. 4. Meinike (Oberhausen) 10. 4. Dr. Mitzscherling 10. 4. Dr. Müller ** 10. 4. Neuhaus 10. 4. Frau Noth 10. 4. Petersen *** 10. 4. Picard 10. 4. Pieroth 10. 4. Dr. Pohlmeier 9. 4. Schäfer (Mainz) 10. 4. Scheer 10. 4. Frau Schlei 10. 4. Schreiber (Solingen) 10. 4. Schröder (Wilhelminenhof) 10. 4. Schwarz 10. 4. Dr. Schwarz-Schilling 10. 4. Sick 10. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 9. 4. Spilker 10. 4. Frau Dr. Timm 10. 4. Dr. Unland ** 10. 4. Dr. Vohrer ** 10. 4. Dr. von Weizsäcker 10. 4. Wischnewski 10. 4. Baron von Wrangel 10. 4.
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    Rede von Uwe Ronneburger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der Rede, die der Kollege Zimmermann heute morgen hier im Bundestag gehalten hat — oder richtiger sollte ich vielleicht sagen: trotz dieser Rede —, möchte ich noch einmal auf die Frage zurückkommen, Herr Kollege Zimmermann, wer denn eigentlich die von Ihnen zur Zusammenarbeit ausgestreckte Hand zurückgewiesen hat. Waren nicht Sie selbst es, der in der Debatte über die Regierungserklärung das, was Ihr Fraktionsvorsitzender vormittags erklärt hat, im Laufe des Nachmittags bereits wieder korrigiert hat?

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Haben Sie heute nicht abermals Ihrem Fraktionsvorsitzenden widersprochen? Wie verträgt sich denn das, was Sie über den Grundlagenvertrag heute hier gesagt haben, mit dem, was Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, in der Debatte über die Regierungserklärung ausgeführt haben?

    (Dr. Zimmermann [CDU/CSU]: Da ist überhaupt kein Unterschied! — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Zitieren Sie doch mal!)

    Ich darf zitieren: „Der Moskauer Vertrag, so hat Herr Kollege Kohl gesagt, der Warschauer Vertrag, der Grundlagenvertrag mit der DDR, der Brief zur deutschen Einheit, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, der UNO-Beitritt und die Schlußakte von Helsinki sind nicht nur geltendes Recht, an das wir uns halten, sie sind wesentliche Komponenten der deutschen Außenpolitik,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das hat er doch gesagt!)

    die völker- und verfassungsrechtlich richtig ausgelegt, aber auch politisch intensiv im Interesse unseres Volkes und des Friedens genutzt werden müssen."

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das hat Dr. Zimmermann heute auch gesagt!)

    Dies, Herr Kollege Zimmermann, sollten Sie einmal mit dem vergleichen, was Sie heute wörtlich zum Grundlagenvertrag ausgeführt haben.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Wir haben die ausgestreckte Hand nicht zurückgewiesen; aber ich sage Ihnen, daß es uns allerdings schwerfallen wird, dieses Angebot der Zusammenarbeit ernst zu nehmen und zu nutzen, wenn Sie, Herr Kollege Zimmermann, heute sagen, Sie könnten den Begriff der Entspannung nicht mehr hören.
    Ich sage Ihnen, ich bin bereit, mit jedem darüber zu sprechen, in welchen Zusammenhang von Realitäten wir das stellen, was wir als Politik der Entspannung, als Politik der Friedenssicherung auch weiter betreiben werden.
    Wenn aber hier die Rede davon war, die Opposition brauche nichts zurückzunehmen, sie habe keine Illusionen gehabt, frage ich: Wer hat denn eigentlich Illusionen aufgebaut?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie!)




    Ronneburger
    Und ist es nicht eine Illusion, von der Sie heute ausgegangen sind, als Sie davon gesprochen haben, wie es denn z. B. mit der Staatsbürgerschaftsfrage sei? Sie haben mich kritisiert, weil ich die deutsche Staatsangehörigkeit als ein Angebot bezeichnet habe, von dem jeder Deutsche Gebrauch machen kann.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Das ist falsch!)

    Aber Sie haben verschwiegen, was Sie denn mit einem Deutschen tun würden, der aus der DDR zu uns kommt und nichts anderes sein will als ein Staatsbürger der DDR. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das steht im Grundgesetz!)

    Diese Illusion geht genau in die gleiche Richtung, in der Herr Kollege Jäger (Wangen) vor kurzer Zeit mit einem Leserbrief an „Die Welt" herangetreten ist, in dem er dieser überparteilichen deutschen Tageszeitung

    (Wehner [SPD]: Na!)

    Mut bescheinigt hat, weil sie den Begriff DDR immer noch in Gänsefüßchen setzt.
    Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, es gehört mehr Mut dazu, die Gänsefüßchen wegzulassen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Es gehört mehr Mut dazu, sich zu den Realitäten zu bekennen, nicht, weil man diese Realitäten für alle Zeit als unveränderlich betrachtet, sondern weil man, Herr Kollege von Weizsäcker, nur dann Erfolg in seiner Politik haben wird, wenn man Realitäten in sein politisches Kalkül einbezieht

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Die FDP lebt das vor!)

    und mit diesen Realitäten arbeitet.
    Das, worum es uns geht, ist nicht, die deutsche Teilung hinzunehmen, sondern ist, sie zu überwinden, indem wir von dem ausgehen, was wir in unserer Umgebung, in unserer Welt heute vorfinden.
    Deswegen mache ich noch einmal den Versuch, zu definieren, was denn eigentlich die Ziele unserer Deutschlandpolitik sein könnten. Ich will versuchen, das in drei Punkten auszusprechen und aus diesen drei Punkten auch bestimmte Folgerungen, die wir bezüglich dieser Politik sehen, abzuleiten.
    Das erste Ziel ist nach meiner Überzeugung und der Überzeugung meiner Freunde ein Beitrag für eine friedliche Entwicklung in Mitteleuropa.
    Das zweite Ziel ist eine Milderung der Folgen der Teilung für die davon betroffenen Menschen. Hier geht es j a wohl vor allen Dingen um die Einwohner West-Berlins und um die Deutschen in der DDR, von denen der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung heute mit Recht gesagt hat, daß sie die Folgen des Krieges so viel schwerer, so viel nachdrücklicher haben spüren müssen als wir in der Bundesrepublik Deutschland.
    Das dritte Ziel scheint mir dann die Überwindung der deutschen Teilung zu sein — sicherlich ein langfristiges Ziel, von dem niemand von uns sagen kann, ob z. B. meine Generation seine Verwirklichung noch erleben wird. Das, was ich „Ziel 1" und „Ziel 2" genannt habe — Frieden in Mitteleuropa und Milderung, Erträglichmachen der Folgen der deutschen Teilung —, ist meiner Überzeugung nach allerdings die Voraussetzung dafür, daß wir dieses dritte Ziel überhaupt je erreichen können.
    Lassen Sie mich zunächst auf die Frage der Entspannung, des Abbaus von Spannungen in Mitteleuropa, eingehen. Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers hat hierzu mit vollem Recht gesagt, es sei Aufgabe der Bundesrepublik, aber auch aller Deutschen, in Europa dafür zu sorgen, daß von uns aus nicht eine zusätzliche Eskalation von Spannungen ausgeht, sondern die Lage hier in Mitteleuropa zu einer friedlichen Entwicklung auch über den engen europäischen Raum hinaus beitragen kann.
    Meine Damen und Herren, wenn ich dann versuche, die Koordinaten unserer Deutschlandpolitik auszumachen, möchte ich das folgendermaßen tun. Diese Koordinaten sind: die gesamte westliche Osteuropapolitik, die sowjetische Westeuropapolitik, der Stand der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen und der deutsch-sowjetischen Beziehungen, die Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses insgesamt, das Viermächteabkommen, die mit der DDR getroffenen Verträge und Vereinbarungen sowie der Auftrag unseres Grundgesetzes.
    Wenn es also wirklich unsere Aufgabe ist, wenn wir etwas dafür tun können, daß der Friede in Mitteleuropa gesichert bleibt, bedeutet das allerdings gleichzeitig, daß die Bundesrepublik nicht gewillt und auch noch nicht einmal in der Lage ist, zwischen den Großmächten eine Sonderrolle zu spielen. Die beiden deutschen Staaten sind in unterschiedliche Bündnissysteme des Westens und des Ostens eingebunden. Trotzdem ergibt sich aus der gemeinsamen deutschen Geschichte — gerade der jüngsten Geschichte mit ihren Belastungen — bis heute für uns Deutsche eine besondere Verantwortung für die Sicherung und Erhaltung des Friedens.
    Deswegen habe ich mit großen Bedenken die Stellungnahme des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 5. Januar gehört, in der er die Äußerung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung kritisierte, wo es geheißen hatte, er, der Bundeskanzler, habe gemeinsam mit Honecker für alle Deutschen feststellen können, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Wer schon diese Äußerung als eine Darstellung der deutschen Spaltung ansieht, wer dabei übersieht, daß hier in Wirklichkeit ein ganz wichtiger Punkt der Gemeinsamkeit der beiden deutschen Staaten angesprochen wird, der allerdings, meine Damen und Herren, erweist der gemeinsamen deutschen Sache einen schlechten Dienst.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es wird darauf ankommen, genau an diesem Brennpunkt weltpolitischer und in unserem besonderen Interesse liegender Ereignisse den Dialog



    Ronneburger
    nicht abreißen zu lassen. Dies ist mit dem Ziel der Friedenssicherung wohl Hauptkernpunkt unserer Politik.
    Ich meine, wir sollten an dieser Stelle auch einmal sehr deutlich die Bemühungen des Bundesaußenministers um den Dialog zwischen Ost und West würdigen. Seine Reisen nach Washington, nach Prag, nach Warschau, nach Moskau, sein Auftreten in Madrid bei der KSZE-Folgekonferenz — alles dies ist Bestandteil einer einheitlichen Politik, der es darum geht, eben dieses Gespräch nicht abreißen zu lassen oder es wieder in Gang zu bringen, wo es heute nicht mehr stattfindet.
    Ich bin der Auffassung, wir sollten auch einmal mit aller Vorbehaltlosigkeit anerkennen, daß unsere Solidarität im Bündnis uns die Gelegenheit bietet, den deutschen Standpunkt, die besonders prekäre Situation Deutschlands im Bündnis auch gegenüber der neuen Administration in den USA darzulegen. Zugleich bedeutet diese Solidarität, daß die neue Administration bereit ist, diese unsere Ausführungen, diese unsere Darlegungen anzunehmen und in ihre Gesprächsbereitschaft einfließen zu lassen.
    Der Bundeskanzler hat heute schon einmal aus der gemeinsamen Erklärung anläßlich der 37. deutsch-französischen Konsultationen zitiert. Ich möchte diesem Zitat, Herr Bundeskanzler, noch einige Sätze im Anschluß an das, was Sie zitiert haben, hinzufügen. Es ist da die Rede von der „Forderung nach sicherheitspolitischem Gleichgewicht". Ich zitiere:
    Diese Forderung — so heißt es hier —
    setzt voraus, daß die Bemühungen um Rüstungsbeschränkung und Rüstungsverminderung dem Prinzip des globalen Kräftegleichgewichts Rechnung tragen. Sie verlangt Wachsamkeit und Dialog gleichermaßen.
    Ich glaube, das ist genau das, was in der Außenpolitik dieser Bundesregierung immer wieder zum Ausdruck kommt. Daß unsere Stimme hörbar wird, bedeutet keine Überschätzung unserer eigenen Position. Aber ich würde genauso davor warnen, unsere eigenen Möglichkeiten zu unterschätzen.
    Das gemeinsame Kommuniqué, das nach dem Besuch von Bundesaußenminister Genscher bei Außenminister Haig in Washington herausgegeben worden ist, zeigt an einigen Punkten sehr deutlich das, was ich soeben darzulegen versucht habe. Es heißt dort:
    Beide Minister stimmten darin überein, daß substantielle und verifizierbare rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen ein wichtiger Faktor der Sicherheitspolitik sind. Die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland unterstützen beide Teile des Bündnisbeschlusses vom 12. Dezember 1979 betreffend Mittelstreckenraketen. Außenminister Genscher begrüßte die Zusicherung von Außenminister Haig, daß die Vereinigten Staaten beabsichtigten, auch weiterhin enge Konsultationen mit
    ihren Verbündeten über die Durchführung beider Teile dieses Beschlusses zu führen.
    Gerade mit einem Blick auf Berlin zitiere ich noch eine andere Stelle, die mir gerade in dem Jahr wichtig erscheint, in dem das Viermächteabkommen zehn Jahre besteht. Es heißt an dieser anderen Stelle:
    Beide Minister waren übereinstimmend der Auffassung, daß der Aufrechterhaltung der ruhigen Lage in und um Berlin besondere Bedeutung zukommt, was von entscheidender Wichtigkeit für die Sicherheit in Europa, das Ost-West-Verhältnis und die internationale Lage als Ganzes ist. Außenminister Haig bekräftigte erneut die unerschütterliche Verpflichtung der Vereinigten Staaten für die Sicherheit und das Wohlergehen West-Berlins.
    Dies mit unseren Verbündeten gemeinsam auszusprechen und als einen Kernpunkt unserer Deutschlandpolitik zu betrachten, Herr Dr. Vogel, ist, glaube ich, etwas, was an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich ausgesprochen werden sollte.
    Wenn wir so Friedenspolitik, eine Politik des Abbaus von Spannungen, als unser Ziel betrachten, dann sollten wir uns ebenso darüber klar sein, daß es nicht Ziel unserer Politik sein kann, den heute bestehenden prinzipiellen politischen und ideologischen Gegensatz zwischen Ost und West aufzuheben. Es kann auch nicht in unserem eigenen Interesse liegen, durch unsere Ost- und Deutschlandpolitik in Osteuropa eine innere politische Destabilisierung herbeizuführen. Denn sowohl alle Versuche, die bestehenden Gegensätze zu verwischen, als auch eine politische Destabilisierung durch unser eigenes Verhalten zu verursachen, würden für die Menschen in Osteuropa gefährliche Folgen haben und letztlich auch die Sicherheit der westlichen Welt erheblich beeinträchtigen.
    Ich sage dies, ohne zu verschweigen, daß in den Ländern des Ostblocks von der Schlußakte von Helsinki bestimmte Wirkungen ausgehen, die zu einer evolutionären Entwicklung in diesen Ländern führen können. Das Beispiel Polen zeigt aber sehr deutlich, daß unser Interesse darin liegen kann und liegen muß, mit unserer Politik dem Frieden zu dienen und den betroffenen Menschen zu helfen und damit mehr für eine gute Entwicklung zu tun, als wenn wir versuchten, mit Einwirkung von außen diese Entwicklungen zu beeinflussen.
    Es kann nach meiner Überzeugung kein Zeichen von Schwäche sein, wenn wir uns bei all unseren Initiativen zur Verbesserung der Lage der Menschen immer wieder klarmachen, von welchem Standpunkt unser jeweiliger Verhandlungspartner ausgeht, und wenn wir die Punkte sorgfältig analysieren, bei denen bei ihm besondere Empfindlichkeiten oder Schwierigkeiten vermutet werden müssen. Unsere Aufgabe in der Bundesrepublik Deutschland ist es, nicht nur Gemeinsamkeiten in Sonntagsreden zu suchen, sondern die gemeinsam definierten Interessen und Zielsetzungen in der täglichen Kärrnerarbeit in praktische Politik umzusetzen.



    Ronneburger
    Herr Kollege Zimmermann, dazu sage ich aus voller Überzeugung: Die bisherigen Erfolge der deutsch-deutschen Politik der letzten elf Jahre zeigen doch wohl, daß hier nicht von dem geredet werden kann, was Sie vorhin den Tiefpunkt der deutschdeutschen Beziehungen oder der Deutschlandpolitik genannt haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist in dieser Zeit, Herr Dr. Zimmermann, gelungen, weder durch Überheblichkeit, noch durch Druck oder Muskelspiel, sondern durch Verständnis, durch Blick für das in der jeweiligen Situation Machbare und durch Werben um ein Mindestmaß an Vertrauen weitgehend tragbare Lösungen für die Menschen zu finden. Ich sage dies auch angesichts der Tatsache, daß die Erhöhung des Zwangsumtausches einen Eingriff in das bisher Vereinbarte bedeutet und daß diese Erhöhung des Zwangsumtausches auch gleichzeitig eine Rücknahme bestimmter Vorstellungen auf beiden Seiten gebracht hat, eine unsoziale Maßnahme, durch die diejenigen besonders getroffen werden, die nur ein geringes Einkommen zur Verfügung haben. Die DDR sollte sich deswegen darüber im klaren sein, daß bei den wieder zu eröffnenden Gesprächen die Frage des Zwangsumtausches auf unserer Liste der Tagesordnungspunkte stehen wird.
    Auf jeden Fall sollten wir versuchen, durch eine konsequente, eine berechenbare Politik, die auch Rückschläge einkalkuliert, unsere Ziele weiter zu verfolgen. Denn wenn die Frage gestellt worden ist: „Wozu dieser jährliche Bericht, wozu diese jährliche Debatte?", dann geht es eben genau darum, die Frage der Deutschlandpolitik offenzuhalten, auch in unserer eigenen Bevölkerung das Bewußtsein dafür zu erhalten, daß es hier nicht nur um einen Rückgriff auf nationalstaatliche Überlegungen geht, sondern daß wir als Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland, die wir die Möglichkeit der freien Entscheidung haben, auch die Verpflichtung haben, eine Politik zu treiben, die diese deutsche Frage offenhält.
    Und dies ist mehr als eine Pflichtübung jedes Jahr; denn ich bin — leider — nicht so überzeugt wie der Kollege Zimmermann, daß alle Deutschen in Ost und West uneingeschränkt an der Idee der deutschen Einheit festhalten. Ich registriere zu meinem Bedauern, daß es immer mehr Menschen innerhalb Deutschlands, aber auch in unseren Nachbarstaaten gibt, die mit dem Begriff Deutschland auf einmal nur noch das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verbinden und für die die DDR ein Staat außerhalb dieser Grenzen ist. Wenn es uns nicht gelingt, das Bewußtsein dafür aufrechtzuerhalten, daß Deutschland nicht an der Elbe endet, sowenig wie Europa an der Oder-Neiße-Linie, meine Damen und Herren, dann werden alle Bemühungen der Deutschlandpolitik, die wir gemeinsam oder einzeln unternehmen, zum Scheitern verurteilt sein.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich sage an dieser Stelle noch einmal —, um nicht mißverstanden zu werden —, mit einem ganz besonderen Blick auf die Deutschlandpolitik, daß unsere
    Handlungsfähigkeit auf diesem Gebiet von unserer unbestrittenen und unbezweifelbaren Rolle im westlichen Bündnis abhängt. Die Vorstellung, die Deutschen könnten sozusagen eine Position zwischen den Blöcken einnehmen, ist eine Illusion und wäre ein Ende jedes vernünftigen Handlungsspielraums für uns in diesem Bereich. Alles, war wir deutschlandpolitisch tun, tun wir aus dem westlichen Bündnis heraus und als einer der Staaten, die ihre Solidarität in diesem Bündnis nicht bezweifeln lassen. Ich habe das, was ich in diesem Sinne unter Solidarität verstehe, eingangs bereits beschrieben.
    Aber zu unserer Handlungsfähigkeit gehören natürlich auch unsere wirtschaftliche Konsolidierung und unsere wirtschaftliche Situation. Es ist von dem Abbau des Handelsbilanzdefizits in der Erklärung der Bundesregierung die Rede gewesen. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich die Beschlüsse des Bundeskabinetts, die gestern zu diesem Bereich gefaßt worden sind. Ich will sie hier gar nicht im einzelnen erläutern, aber ich will sehr deutlich dazu sagen, daß wir sie deswegen begrüßen, weil wir davon überzeugt sind, daß sie nicht ein falsch verstandenes Konjunkturprogramm darstellen,

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Schattenhaushalt!)

    sondern eine Aufforderung zur Leistung, zum Handeln. Übrigens, Herr Kollege Dr. Barzel, war das keine überraschende Entscheidung der Bundesregierung in dieser Richtung. Man könnte aus dem Jahreswirtschaftsbericht zitieren, man könnte aus der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers zitieren, und man würde genau vorgezeichnet finden, was jetzt Inhalt dieser Beschlüsse ist. Unsere Handlungsfähigkeit ist gefragt und unsere Bereitschaft zur Leistung und dies besonders auch auf unserer Seite, weil wir damit überhaupt erst in die Lage versetzt werden, unserer Verantwortung gegenüber den Deutschen gerecht zu werden, die in einer schlechteren Situation sind als wir.
    Aber lassen Sie mich noch einmal auf die Frage zurückkommen, ob wir denn wirklich von einem Tiefpunkt des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten reden können oder von einem Scheitern der Entspannungspolitik. Wer so argumentiert, der übersieht völlig, daß von dem, was in den letzten elf Jahren zwischen den beiden deutschen Staaten vereinbart worden ist, etwa 90 % auch heute uneingeschränkt und unangetastet funktionieren und zum Besten der Menschen in beiden Teilen Deutschlands ablaufen.

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    Ich habe den Eingriff, den die Erhöhung des Zwangsumtausches gerade in dem Bereich menschlicher Beziehungen und Kontakte bedeutet, vorhin bereits dargestellt und unsere Haltung dazu unmißverständlich, wie ich meine, geschildert. Aber ist es denn nicht so, daß der Transitverkehr von und nach Berlin reibungslos verläuft? Gibt es nicht nach wie vor auch Ost-West-Reisen von Rentnern und in dringenden Familienangelegenheiten, teilweise sogar mit steigender Tendenz? Funktionieren nicht die Familienzusammenführung und — lassen Sie mich



    Ronneburger
    das nur am Rande sagen — die besonderen Maßnahmen? Werden die Gespräche über den Abschluß eines Abkommens über wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit fortgeführt? Ich nenne weiter die regelmäßigen Arbeitsbesprechungen der verschiedenen Kommissionen, Kontakte auf Grund spezieller Vereinbarungen, den weiteren Ausbau des Telefonverkehrs in die DDR, technische Gespräche über Verkehrsfragen, Abbau von Kali und Braunkohle, Vereinbarungen im Umweltschutz über die Werraversalzung und Elbeverschmutzung. Es gibt eine Fülle von Themen, wozu ich besonders sagen würde, daß es wichtig ist, daß das Viermächteabkommen unangetastet bleibt.
    Aber es ist auch wichtig, daß wir in Fragen des kulturellen Austausches, in Fragen der Bewältigung unserer Geschichte auf unserer Seite mehr tun, als wir in der Vergangenheit getan haben. Ich könnte mir vorstellen, daß ein solcher kultureller Austausch auch unterhalb der Ebene eines offiziellen Abkommens stattfinden könnte. Aber ich weiß nur zu genau — dies ist der Punkt, an dem die gegensätzlichen Zielsetzungen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland nur zu sichtbar werden —, daß die DDR zu einer solchen Zusammenarbeit zur Zeit nicht bereit ist. Dafür gibt es einen, wie sie meint, sehr einleuchtenden Grund. Die partielle, selektive Inanspruchnahme bestimmter Abschnitte der deutschen Geschichte durch die DDR hat ganz eindeutig das Ziel, das fehlende Nationalbewußtsein der DDR zu ersetzen.
    Für diese Inanspruchnahme gibt es ein sehr deutliches Beispiel. Wenn Sie an die Vorbereitungen der DDR für das Luther-Jahr denken, dann werden Sie nicht übersehen können, daß die DDR hier wiederum versucht, eine bestimmte Figur, eine Wurzel gemeinsamer Entwicklungen in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland für sich in Anspruch zu nehmen. Das beste, was nach deren Vorstellung dabei erfolgen kann, ist etwa das Schicksal, das damals dem Türken auf dem Kreuzzug Barbarossas geschah, nämlich daß Luther von oben bis unten durchgeteilt wird: zur Rechten wie zur Linken sieht man einen halben Luther heruntersinken.
    Ich meine, daß wir in der Zukunft hier mehr werden tun müssen und uns sorgfältiger mit der Frage befassen müssen, welche Wurzeln in der Vergangenheit mit Wirkungen in beide Teile Deutschlands hinein vorhanden sind. Luther kann weder von der einen noch von der anderen Seite für sich in Anspruch genommen werden. Sein Wirken zeigt bis in unsere Gegenwart, daß diese beiden Teile Deutschlands nicht etwa nur durch ein nationalistisches Denken miteinander verbunden sind, sondern daß es Gemeinsamkeiten gibt, die auch durch Argumentation, durch Erpressung oder was auch immer nicht aus der Welt geschafft werden können.
    Wir sollten uns um diese Fragen exakter kümmern. Wir sollten, auch wenn diese Zusammenarbeit mit der DDR im Augenblick nicht möglich ist, notfalls auch zu einem Wettbewerb in diesen Fragen bereit sein und unsere Position sehr deutlich machen.
    Realitäten zu erkennen, mit ihnen zu arbeiten ist die Aufgabe, vor der wir in der Deutschlandpolitik stehen. Ich habe auf die Ziele 2 und 3 hingewiesen: Erträglichmachung der Folgen der Teilung und ihre langfristige Überwindung. Aber ich möchte Ihnen an dieser Stelle keinen Zweifel darüber lassen, daß diese beiden Ziele in einem bestimmten Spannungsverhältnis zueinander stehen können. Wenn es uns nicht gelingt, den Deutschen im anderen Teil Deutschlands sichtbar und erkennbar zu machen, daß ihr Schicksal uns wichtiger ist als das Innehaben von Rechtsstandpunkten, als das Beharren auf gewissen überkommenen Vorstellungen, wenn uns dies nicht gelingt, dann werden wir den Willen zur Zusammengehörigkeit der Nation, den die Regierungserklärung des Bundeskanzlers noch einmal sehr deutlich herausgestellt hat, nicht aufrechterhalten. Und dann könnte alles das wirkungslos werden, was wir an Gemeinsamkeiten übernommen haben, an gemeinsamer Geschichte gemeinsam erlebt oder erlitten haben, was uns an gemeinsamer Tradition, Kultur und Sprache verbindet. Deswegen gibt es für uns nach unseren Vorstellungen eine Deutschlandpolitik nicht nur in der Frage der Regelung der Verhältnisse zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, sondern es gibt diese Aufgabe auch hier bei uns im Lande. Das Bewußtsein für das deutsche Problem wachzuhalten, ist sicherlich auch eine Frage der Bewältigung und der Behandlung der Geschichte. Es ist eine Frage, wie wir mit dem gemeinsamen Kulturerbe umgehen und wie wir deutlich machen, welches Gewicht ihm auch heute noch zukommt. Dies ist Zusammenarbeit oder Wettbewerb.
    Meine Damen und Herren, wir haben hier keine leichte Aufgabe vor uns und keine Aufgabe, von der wir exakt sagen könnten, wann wir sie gelöst haben werden. Möglicherweise wird es erst die Generation nach uns sein. Aber eines sage ich sehr deutlich: Wir sollten uns keine Illusionen machen, und wir sollten wissen, daß wir uns und daß sich unsere junge Generation mehr mit der deutschen Geschichte befassen müssen, als wir es getan haben, wenn es auch eine deutsche Zukunft geben soll.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Dies, meine ich, sollte unser gemeinsames Ziel sein. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete von Weizsäcker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte meinen Beitrag zu unserer heutigen Debatte über die Lage der Nation beginnen mit dem Blickpunkt, den wir von Berlin aus auf diese uns so bewegende Frage haben. In Berlin hat sich j a in der Nachkriegszeit immer wieder und unter wechselnden äußeren Bedingungen die Aufgabe gestellt, fertig zu werden mit den Herausforderungen, die nicht immer die gleichen waren und auch nicht immer die gleichen bleiben.



    Dr. von Weizsäcker
    In den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit waren es die harten Prüfungen der Blockade, der Ultimaten, des Mauerbaus — im wesentlichen Prüfungen in Verbindung mit von außen erzeugten Krisen. Das war die Zeit, in der sich die Berliner in ihrem Bollwerk der Freiheit bewährt, die Bewunderung, aber auch die Unterstützung der freien Welt errungen haben. Es war im wesentlichen eine Bewährung, die gar keine andere Wahl ließ, als sich in der Gegenwart zu sichern und zu behaupten.
    In der Lage, in der wir jetzt sind, meine ich, genügt eine solche Gegenwartssicherung nicht. Entscheidend müssen hinzutreten die Perspektive und die Gestaltung der Zukunft. Gerade deshalb ist eine Debatte über die Lage der Nation, ist ein Ausblick auf die Zusammenhänge der Berlin- und Deutschlandpolitik für uns in Berlin von so entscheidender Bedeutung.
    Die Perspektive für die Zukunft unserer Stadt ist etwas, was nach meinem Gefühl in der jüngsten Regierungserklärung des amtierenden Senats insoweit zu kurz gekommen ist, als dort gesagt wurde, im Bereich der Grundfragen und der kommunalpolitischen Fragen habe Berlin es mit Problemen zu tun, wie sie andere Metropolen auch hätten. Das ist, wie mir scheint, eine Betrachtung, die aus einer anderen als einer Berliner Erfahrungswelt stammt und die für Berlin nicht ausreicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Selbstverständlich gibt es Wohnungsnot, Generationenkonflikte, Suchtkrankheiten, Planungsprobleme und vieles andere mehr auch woanders. Aber die exponierte Lage Berlins, in der Mitte geteilt, ohne Umland, durch Hunderte von Kilometern von dem einen, durch Mauer und Stacheldraht vom anderen Teil Deutschlands getrennt, unter der Souveränität von Schutzmächten, ohne eigenen Beitrag zur Verteidigung — das alles ist ohne Beispiel in Deutschland, j a in der Welt.
    Es verändert die Lebensgewohnheiten. Es hat Einfluß auf die Bevölkerungsstruktur, auf die Altersentwicklung. Die Motive für Menschen, die Berlin verlassen, und umgekehrt für solche Menschen, die nach Berlin kommen — das alles unterscheidet sich gründlich gegenüber jeder anderen Stadt. Es gibt bei uns dieselben Probleme wie woanders auch. Aber sie bekommen bei uns ein qualitativ völlig anderes Gesicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn die Lösungen solcher Probleme in anderen Metropolen verfehlt werden, gibt es Ausweichmöglichkeiten im Umland und anderwärts. In Berlin ist es anders. Wir können eben nicht ausweichen; wir sind rings vom sowjetischen Einflußgebiet umgeben. Die langfristige Zielsetzung der Sowjetunion und der DDR gegenüber dem freien Teil Berlins hat sich, wie ich meine, nicht geändert.
    Herr Dr. Vogel hat mich vorhin zitiert, und ich will das von mir aus noch einmal aufgreifen: Ich bin der Überzeugung, man verfolgt das Ziel der Isolierung von Berlin (West) gegenüber der üblichen Bundesrepublik Deutschland zur Zeit nicht durch Berlin-Krisen von außen, sondern man setzt in der Tat auf eine langsame innere Auszehrung unserer Stadt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das heißt: Mit unseren Fehlentwicklungen und Mängeln im Inneren mit Hilfe unserer Stadtpolitik fertig zu werden ist zugleich auch Bedingung für unsere Sicherheit nach außen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nur in Berlin gibt es diesen untrennbaren Zusammenhang von der inneren Kraft und der äußeren Existenzmöglichkeit. Oder positiv gewendet: In der Aufgabe, die Anziehungskraft des Standortes Berlin so gut wie möglich zu lösen, tun wir nicht nur den Menschen, die davon profitieren, etwas zugute, sondern sichern wir zugleich die Bedingungen unserer Existenz in Berlin. Deswegen hat die derzeitige innerstädtische Situation auch unmittelbar etwas mit dem Thema der heutigen Debatte, mit der Berlin-und Deutschlandpolitik, mit der Lage der Nation im ganzen zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es entscheidet sich eben sehr viel für unsere Kraft zum Leben in Berlin, aber damit zugleich auch sehr viel für die Deutschen in bezug auf Berlin, wenn es um die Frage geht, wie es mit dem sozialen Frieden in unserer Stadt steht, wie wir mit Unruhen, die es natürlich auch woanders gibt, fertig werden und wie wir die Aufgabe der Rechtssicherheit bewältigen.
    Niemand leugnet, daß es zu den großen und schweren Aufgaben der heutigen Zeit gehört, sich auch mit Teilen einer jüngeren Generation darüber auseinanderzusetzen, wozu das Recht denn nötig und wozu es da ist. Wir Älteren begegnen j a gelegentlich im Gespräch mit jüngeren Menschen der Auffassung: Wie, das Recht? Das ist doch nur ein Instrument der Herrschenden gegen die freien Bürger. Manche jungen Menschen wissen gar nicht, daß es genau umgekehrt ist, daß es nämlich freie und demokratische Bürger waren, die ihrerseits das Recht gegen die Herrschenden und Diktatoren erkämpft haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Menschen in Ost-Berlin wissen das sehr wohl, denn sie spüren, was sie selber nicht an Recht haben. Um so wichtiger ist unsere Verantwortung, dieses Recht auch zu sichern, dieses Recht als den eigentlichen Fortschritt des liberalen Rechtsstaats hochzuhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir heute in Berlin über diese Fragen auch unter den demokratischen Parteien streiten, dann doch nicht über den Punkt, als ob wir nicht alle miteinander wüßten, daß wir die gemeinsame Aufgabe haben, mit der jungen Generation über diese Aufgabe des Rechts zu reden. Aber wir können nicht dieses Gespräch und seine Ergebnisse abwarten und in der Zwischenzeit mit der Handhabung des Rechts uns selber bremsen. Wir können nicht im Hinblick auf Verständigungsmöglichkeiten Konzessionen in bezug auf den Rechtsfrieden machen, die j a gerade darauf hinausliefen, daß eben der Fortschritt dieses



    Dr. von Weizsäcker
    demokratischen Kampfes um das Recht wieder in Frage gestellt würde. Wir können kein Faustrecht gebrauchen, bei dem sich der Stärkere rücksichtslos durchsetzt, sondern wir brauchen ein Recht, bei dem in erster Linie der Schwache den Schutz bekommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb ist die Mahnung von unserer Seite eine Mahnung, die zugleich auch der frühere Bürgermeister von Hamburg neulich mit den Worten ausgedrückt hat: daß es eine falsche Duldsamkeit wäre, um des Gesprächserfolgs willen mit der Handhabung des Rechts etwas kürzerzutreten. Wehret den Anfängen, hat er gesagt — ehe es zu spät ist in Berlin, muß man hinzufügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine. Damen und Herren, wir haben, was diese stadtpolitischen Probleme mit berlin- und deutschlandpolitischer Auswirkung anbetrifft, auch immer daran zu denken: Berlin war nicht nur die deutsche Hauptstadt, sondern Berlin war ein Mittelpunkt des Geisteslebens, und zwar eines Geisteslebens, das von vornherein eine universale europäische Ausrichtung hatte. Hieran mit unserem geistigen Leben in einem universalen europäischen Sinn wieder anzuknüpfen, erweitert durch die heutigen Horizonte in der Welt im ganzen, gehört zu den entscheidenden stadtpolitischen Aufgaben in Berlin, auch im Interesse der Lage der Nation und nicht nur der Menschen in Berlin selber.
    Wir haben, wie jedermann weiß, die Nofretete; wir haben, wie auch jedermann weiß, die Philharmoniker und vieles andere Gute mehr. Wir haben, um ein ganz anderes Beispiel zu nennen, ein Bundesamt für Materialprüfung, das auf einem sehr hohen Niveau arbeitet. Dorthin kommen viele Menschen aus den Ländern des Warschauer Paktes und erkundigen sich. Das ist gut so.
    Früher waren wir in Berlin auch ein Zentrum für Slawistik, für Osteuropaforschung, für die Geographie im ganzen. Die Technik und die Naturwissenschaft haben in Berlin eine ganz besonders starke Verankerung gefunden und eine Ausstrahlung zustande gebracht, die weit über Berlin und Deutschland hinaus ihre Bedeutung hatte.
    Das sind Dinge, die wir auch im Rahmen der heute gegebenen politischen Verhältnisse in Berlin stärken können. Es geht ja nicht in erster Linie um die große Zahl, sondern um die Qualität. Je größer die Qualität auch im Sinne einer auf universale europäische Zielsetzung gerichteten geistigen Lebendigkeit ist, desto größer die Lebenskraft und desto besser für die Lage der Nation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb dürfen wir uns im ganzen in Berlin nicht darin erschöpfen, einfach eine funktionierende moderne Großstadt zu sein. Damit verbundene Gefahren einer Provinzialität sind j a zum Glück dem Wesen des Berliners ohnehin zutiefst fremd.
    Meine Damen und Herren, ich habe, was die Lage der Nation anbetrifft, natürlich nicht die Absicht, hier die Dinge auszufechten, die wir, wie es sich unter Demokraten gehört, zur Zeit im Wahlkampf unter den Wettbewerbern austragen. Ich möchte nur auf eine Bemerkung von Herrn Dr. Vogel eingehen, die er hier gemacht hat. Ich wäre von mir aus nicht darauf gekommen. Das betrifft die Frage nach den möglichen Koalitionen und Minderheitsregierungen.
    Also, Herr Vogel, was Sie da über die Erwartungen in bezug auf einen Wahlausgang gesagt haben, hat j a mehr Heiterkeit als alles andere ausgelöst. Daß die Union um die Mehrheit kämpft, wissen Sie so gut wie ich. Daß Sie derjenige waren, der das Stichwort einer möglichen Minderheitenregierung in die Berliner Öffentlichkeit gebracht hat, auch das wissen Sie so gut wie ich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber das ist ja Ihr gutes Recht angesichts einer Situation, wo Sie eben auf andere Aussichten sich offenbar nicht einstellen zu können glauben.
    Nur, was die Koalitionen betrifft, möchte ich doch einmal ganz klarstellen, wie die Diskussionslage in Berlin wirklich ist. Mit Recht haben Sie darauf hingewiesen, daß Sie schon früher — das haben Sie jetzt hier wiederholt — gesagt haben: Nein, mit der Alternativen Liste wollten Sie nicht koalieren. Ihr Landesvorsitzender, Herr Glotz, hat dasselbe gesagt. Nur, Herr Glotz — Ihr Landesvorsitzender immerhin — hat eines hinzugefügt. Er hat nämlich gesagt: Ja, aber Arrangements mit der Alternativen Liste könnten doch vielleicht in Frage kommen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Das ist mehrfach veröffentlicht worden.


    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das will er doch auch! — Kunz [Berlin] [CDU/CSU]: Daran arbeitet er doch seit Wochen! — Weitere Zurufe)

    — Herr Dr. Vogel, Sie kennen das Thema doch. Sie können doch in aller Ruhe zuhören. — Und dann ist er gefragt worden: Was für Arrangements denn? Und dann hat er selber gesagt: Arrangements derart, daß ein Minderheitensenat von SPD und FDP durch Stimmen aus der Alternativen Liste getragen werden könnte.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Ich möchte Sie doch bitten, vor der Wahl vor den Berliner Wählern klarzustellen, was denn nun stimmt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ist die Alternative Liste, wie Sie sagen, Ihr politischer Gegner? Oder ist die Alternative Liste, wie Ihr Landesvorsitzender sagt, für Arrangements zur Stützung eines Minderheitensenats unter Ihrer Führung vorgesehen? Das müssen nämlich die Wähler wissen. Denn wenn es so bleibt, wie Herr Glotz sagt, kann ich nur sagen: Wer die Alternativen nicht will, der darf natürlich auch nicht SPD wählen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte nach diesem von Ihnen hervorgerufenen Ausflug zu der Ost-West-Beziehung im ganzen



    Dr. von Weizsäcker
    zurückkommen und von Berlin aus dazu noch folgendes sagen.
    Berlin hat in diesem Ost-West-Verhältnis hervorragende Bedeutung und ist immer wieder als Gradmesser für das Ost-West-Klima bezeichnet worden. Auch dies bedeutet doch eine ganz einzigartige Wechselwirkung. Einerseits wirken sich weltpolitische Entwicklungen oft genug unmittelbar auf unser Berliner Leben aus, auch hier ohne Vergleich zu irgend einer anderen Metropole. Andererseits wäre es von schwerwiegenden Folgen weit über unsere Stadt hinaus, wenn wir in Berlin unserer inneren Probleme nicht Herr würden. Berlin liegt geographisch, politisch und geistig mitten in Deutschland. Was uns in Berlin widerfährt, ist für das Schicksal aller Deutschen entscheidend.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daher kann sich auch niemand, der in Westdeutschland lebt, ohne eigenen Schaden von Berlin distanzieren. Eben deshalb haben wir in Berlin aber auch einen Vorrang an Verantwortung für die Zukunft aller Deutschen. Wir haben von Berlin aus ein Lebensinteresse besonderer Art an Frieden und Sicherheit. Deshalb sind wir in Berlin auch berufene Mahner, wenn jemand den untrennbaren Zusammenhang aus dem Auge verliert, der zwischen einer Entspannungsbemühung einerseits und der Sicherheit andererseits besteht. Der Bundeskanzler hat in seinem Bericht zur Lage der Nation vom Harmel-Bericht gesprochen. Mit Recht. Daran müssen wir immer wieder anknüpfen, vor allem deshalb, weil dieser Zusammenhang seit der Erstattung dieses Berichts allzu oft aus dem Gedächtnis entschwunden ist. Es kann Sicherheit eben nur geben, wenn das Menschenmögliche geschieht, um Spannungen abzubauen. Es kann aber nur Entspannung geben, wenn sie durch ein Gleichgewicht der Kräfte gesichert wird; sonst wird die Entspannung zur Unterwerfung. Für beides sind in Berlin vor allem unsere Beziehungen zu den Schutzmächten von entscheidendem Gewicht.
    Herr Dr. Vogel, ich freue mich, daß Sie sich in dieser heutigen Debatte zu den Schutzmächten und vor allem auch zu der Schutzmacht der Vereinigten Staaten von Amerika bekannt haben. Ich möchte nur hinzufügen, daß ich es bedaure, daß Sie auch heute nicht Gelegenheit genommen haben, eine Thematik klarzustellen, die uns in Berlin nicht nur als Deutsche bedrückt, sondern auf die man auch immer wieder von Amerikanern angesprochen wird; denn es ist nun einmal so, daß auf dem SPD-Landesparteitag in Berlin Ende Februar dieses Jahres unter Ihrer Anwesenheit in einem einstimmig angenommenen Beschluß der Moratoriumsvorschlag von Breschnew in der Nachrüstungsfrage ausdrücklich begrüßt wurde.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Wenige Tage später hat der deutsche Außenminister zusammen mit dem amerikanischen Außenminister ein Kommuniqué unterzeichnet, in dem das genaue Gegenteil steht — wie sich überhaupt die Bundesregierung in bezug auf dieses Moratorium in der genau umgekehrten Weise ständig und mit Recht ge-
    äußert hat. Ich kenne kein anderes Beispiel, bei dem sich die Haltung der Bundesregierung und die Haltung der zur Zeit noch führenden Berliner Koalitionspartei in einem wichtigen Punkt so diametral widersprochen haben.

    (Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich füge etwas anderes hinzu, was für das Bewußtsein der Berliner und unserer Schutzmächte auch von Gewicht ist. Es hat eine Unterschriftenaktion gegeben, die führende Mitglieder der Berliner SPD und auch ein Mitglied des derzeit amtierenden Berliner Senats unterzeichnet haben und worin es heißt, es sei zu befürchten, daß in den Vereinigten Staaten die Kräfte die Oberhand gewinnen könnten, welche eine Strategie des begrenzten Atomkrieges möglich machen und durchsetzen wollten.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!)

    Selbstverständlich ist es unser Recht und unsere Aufgabe, mit unseren Bündnispartnern über die beste Form der Sicherheit und infolgedessen auch über die beste Form der Bereitstellung von Waffenarsenalen zu sprechen und zu diskutieren. Wenn man aber — und das von Berlin aus und als ein Mitglied der Berliner Regierung! —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Anke Brunn, was?)

    erklärt, die Kräfte in Amerika könnten die Oberhand gewinnen, die einen begrenzten Atomkrieg nicht nur möglich machen, ja, die ihn durchsetzen wollten — welche Reaktion soll dies eigentlich bei unserer wichtigsten Schutzmacht in Berlin auslösen?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will die Motive von niemandem, der unterzeichnet hat, näher analysieren; was ich aber möchte, ist, daß die doch unter Parlamentariern und in der Demokratie gegebene Gelegenheit zur Ausräumung solcher Dinge genutzt wird, daß man sich hinstellt und sagt, was damit gemeint ist und was nicht, und daß man diese Sache — obwohl wir sie immer wieder vorbringen — nicht einfach mit Schweigen übergeht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte nun auf die innerdeutschen Beziehungen eingehen, wie sie sich uns, von Berlin her gesehen, darstellen. Wir haben einen besonders nahen, engagierten und betroffenen Blick dafür und sollten dazu unsere Beiträge, wie ich meine, auch geben.
    Über den erhöhten Zwangsumtausch ist schon gesprochen worden. Er betrifft natürlich uns Berliner in besonderem Maße, aber allgemein alle Westdeutschen und insbesondere auch den sogenannten kleinen Grenzverkehr. Er ist ein Verstoß nicht nur gegen Wort und Sinn von Vereinbarungen — von der Besuchsvereinbarung bis zum Dokument von Helsinki —, sondern er ist vor allem ein Verstoß gegen die Substanz der Beziehungen schlechthin. Ein System, das sich selber sozialistisch nennt, hat zu verantworten, daß wegen dieses erhöhten Zwangsumtausches Leute mit niedrigen Einkommen von dem



    Dr. von Weizsäcker
    Besuch von Ost-Berlin oder der DDR einfach ausgeschlossen sind, während Vermögende den erhöhten Zoll bezahlen können und manche Firmenvertreter überhaupt ganz umsonst hereingelassen werden.
    Wir wissen, daß die SED wegen der extrem unsozialen Tendenz dieser Maßnahme auch bei ihren eigenen unteren Parteiorganen schwere Vorwürfe aus ihrer eigenen Bevölkerung darüber zu hören bekommt. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hat sich laut und vernehmlich geäußert und darauf hingewiesen, daß die Menschenrechte, daß einmal eingeräumte Verbesserungen auf dem Gebiet der menschlichen Beziehungen insbesondere dann nicht einfach zurückgenommen werden dürfen, wenn sie im Zeichen einer Friedensförderung doch gemeint oder zumindest angekündigt gewesen sind. Aber die bisherige Hartnäckigkeit der SED, sich diesen Mahnungen nicht zu öffnen, nicht einfach nach dem altbekannten Prinzip zu verfahren, erst einmal eine Krise auszulösen und sich dann die Beilegung einer selbst ausgelösten Krise irgendwie bezahlen zu lassen, zeigt, daß es andere Gründe gibt, die für diesen erhöhten Zwangsumtausch maßgeblich sind.
    Da gibt es manche Leute bei uns, die meinen, es wäre besonders klug, jetzt ständig und vor allem auch öffentlich darüber nachzudenken, was wir vielleicht bieten könnten, um damit die Rücknahme dieser Erhöhung des Zwangsumtausches zu bewirken. Manche sprechen darüber, ob vielleicht mit einer möglichen Reise des Bundeskanzlers oder mit einer Erhöhung des Swings oder mit anderen Dingen hier etwas zu erreichen wäre. In Wahrheit gehen solche Spekulationen an der Wurzel, an der Ursache dieser Maßnahme völlig vorbei und sind nur geeignet, im Zwischenfeld drüben gespitzte Ohren anzutreffen, damit man solche Vorschläge vielleicht irgendwann einmal taktisch ausnützen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In Wahrheit möchte die SED gar nicht so gern so unsozial genannt werden, wie sie mit dieser Zwangserhöhungsmaßnahme unsozial ist. Aber sie hat wichtigere Gründe, um den damit verbundenen schlechten Ruf erst einmal in Kauf zu nehmen. Das sind Gründe, die durch Maßnahmen von unserer Seite nur schwer zu beeinflussen sind. Es ist in erster Linie die wachsende Sorge, wie die SED ihre eigene Herrschaft besser stabilisieren könne, wie sie sich gegenüber einem langsamen, stetigen Rückgang ihrer Autorität bei ihrer eigenen Bevölkerung, insbesondere bei der dortigen jungen Generation, schützen könne. Es hat ja durch einige Jahre hindurch so etwas wie eine relative Kompromißpolitik gegeben. Da hat die SED dann der eigenen Bevölkerung in Ermangelung wirksamer ideologischer oder gar nationaler Zielsetzungen, die die Bevölkerung der SED nicht abnimmt oder nicht dankt, dafür einen relativen wirtschaftlichen Vorsprung vor den anderen Warschauer-Pakt-Staaten angeboten. Daher rührt auch ein Grund für manche Vereinbarungen von Ost-Berlin mit uns, zu einem Austausch zwischen kräftigen, finanziellen Strömen in der einen Richtung und ein bißchen mehr Bewegung in der anderen zu kommen.
    Wenn wir uns heute die Lage in Ost-Berlin ansehen, so meine ich, muß festgestellt werden, daß in der SED offenbar mancher kalte Füße bekommen hat. Es ist so etwas wie eine rückläufige Wartestellung, eine relative Funkstille festzustellen. Von den Großprojekten, von denen schon viel die Rede war, die Elektrifizierung der Eisenbahn, ein Braunkohlenkraftwerk und anderes mehr, ist aus Ost-Berlin zur Zeit wenig zu hören. Gehen wir auf die Messen, so ist das, was uns dort von Ost-Berliner Gesprächspartnern begegnet, ein Interesse mehr an Lieferungen der DDR an uns als umgekehrt an Bezügen von uns nach drüben. Es gibt eine Art der abwartenden, der reservierten, auf Eigensicherung bedachten Haltung. Einerseits wird das mit dem bevorstehenden Parteitag der SED zusammenhängen, der ja am Sonnabend eröffnet wird. Auf der anderen Seite ist es, wie wir alle wissen, auch die Entwicklung in Polen. Es ist die Sorge bei der SED nicht nur im Hinblick auf mögliche Folgen einer etwaigen Intervention von außen in Polen, sondern es ist vielleicht erst recht eine Sorge vor dem Übergreifen eines Bazillus, wenn in Polen ohne Intervention Reformpläne durchgesetzt werden, an denen sich j a die polnische Arbeiterpartei selber, wie öffentlich zu lesen ist, beteiligt.
    Dies alles ist nicht durch unsere Angebote als ein Hemmschuh zu beseitigen; aber selbstverständlich haben wir über alle diese Dinge nun auch nicht unsererseits irgendwie mit Häme zu reden. Das wäre nicht die geringste Hilfe.
    Wir haben natürlich unsere Wünsche und Ziele, auch für die kürzere Frist. Ich möchte einige nennen, auch solche, von denen Herr Dr. Vogel schon gesprochen hat, also den Verbund von S- und U-Bahn in Berlin; jawohl. Die Berliner CDU hat das schon im Jahre 1971 vorgeschlagen, dann im Jahre 1979 in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Wenn die Koalition das jetzt übernommen hat, dann ist das gut. Wir können auf diese Weise zu einer sachgemäßen Behandlung dieser Probleme vorstoßen und werden, wie ich zuversichtlich hoffe, nicht etwa einen Wahlwettbewerb von gegenseitig sich überbietenden Angeboten an die Adresse der SED machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir müssen hier zu einer Lösung kommen, die unterhalb der Statusprobleme mit dem verkehrspolitischen und volkswirtschaftlichen Unsinn aufhört, S-Bahn und U-Bahn parallel zueinander auszubauen. Die Kosten werden dabei weit niedriger sein. Und wenn es Auswirkungen auf den Personen- und Güterfernverkehr von und nach Berlin gibt, so möchte ich dazu nur sagen: solche Auswirkungen wären mir willkommen.
    Weiter, Herr Vogel, haben Sie von den Fragen des Energieverbundes und der Erdgasversorgung und vom Grenzübergang Staaken gesprochen, den wir offenhalten müssen, nicht zuletzt aus Gründen unserer eigenen innerstädtischen Situation in Tegel. Ich denke, das sind alles Punkte, in denen wir gemeinsam weiter kommen werden als nur im Gegeneinander.
    Ich möchte noch hinzufügen: Die Bürokratisierung für die Berliner bei dem Antragsverfahren,



    Dr. von Weizsäcker
    wenn sie nach Ost-Berlin oder in die DDR wollen, ist immer wieder schrecklich und zermürbend; auch hier muß eine Verbesserung eintreten.
    Ich nenne weiter den Umweltschutz. Wir wollen halt das Schwefeldioxid aus Ost-Berliner Kraftwerken in Neukölln, wo wir ja beide kandidieren, nicht immer hinnehmen. Da können nämlich Filter draufgebaut werden. Sie sind bloß nicht darauf. Dies alles kann, wie ich meine, mit Phantasie, mit klaren Standpunkten und mit dem Willen zur Verständigung über Fragen dieser Art gefördert werden.
    Dennoch: ob sich etwas bewegt, was sich bewegt und in welcher Richtung sich etwas bewegen kann, das hängt weitgehend nicht davon ab, was wir anbieten können, was für Forderungen wir aufstellen oder wie wir uns verhalten, sondern das ist weitgehend bestimmt durch innere Vorgänge, innere Spannungen, innere Sorgen und Krisen, die das Verhältnis in der SED zu ihrer eigenen Bevölkerung kennzeichnen.
    Ich meine, es ist in diesem Zusammenhang wichtig, gerade bei einer Debatte über die Lage der Nation zu sehen, was unsere öffentliche Diskussion über die Fragen der deutschen Nation denn bewirkt und bedeutet. Das Selbstbewußtsein, das Selbstvertrauen, die Möglichkeit für die Deutschen in der DDR, sich mit dem eigenen Staat zu identifizieren, das alles hat immer zu den Hauptproblemen der SED gehört. Zwar gibt es einige Parallelen zwischen der SED und den anderen kommunistischen Herrschaftsparteien im Warschauer-Pakt-Bereich. Sie sind nämlich alle miteinander nicht durch Revolution und auch nicht durch Legitimation des Bürgerwillens an die Macht gekommen, schon gar nicht durch Legitimation derer, nach denen sie sich nennen, der Arbeiter und der Bauern. Aber anders als die Schwesterparteien im Warschauer-Pakt-Bereich hat die SED eine zusätzliche Schwierigkeit. Die kann sich nicht auf eine nationale Identität berufen. Sie kann also nicht — wenigstens an einem Punkt — die Distanz zwischen Bevölkerung und Führung etwas verringern, wie das anderen kommunistischen Führungen im Warschauer-Pakt-Bereich möglich ist. Die Ideologie schafft es für die SED gegenüber der eigenen Bevölkerung je länger, desto weniger. Aber der Gedanke an die eigene Nation kann es eben auch nicht schaffen, denn nicht nur wir sind, sondern auch die DDR ist Bestandteil einer geteilten Nation, und sie hat die Alternative täglich, jeden Abend, vor Augen.
    In dieser Lage gibt es nun immer wieder einige westdeutsche Politiker, die nach Wegen suchen, wie man innerdeutsche Fortschritte dadurch erzielen kann, daß man auch für diesen wunden Punkt der SED mehr Verständnis zeigt. Der Kollege Bahr, den ich hier heute nicht unter uns sehe, hat in den letzten Jahren häufiger davon gesprochen, selbstverständlich solle man die SED nicht lieben, aber man müsse sie gegebenenfalls stärken; denn nur durch die SED und folglich nur durch eine hinreichend selbstsichere SED ließen sich Fortschritte im innerdeutschen Verhältnis erzielen.
    In diesem Zusammenhang ist auch das zu nennen, was nach sechseinhalb Jahren der jetzige Hochschulsenator von Berlin, Herr Gaus, gemeint hat, als er sagte: Wir müssen unsere inneren Vorbehalte gegen diesen Staat aufgeben, wir dürfen ihm unsere Zuneigung nicht verweigern, auch wenn er uns mißfällt;

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    ja, überhaupt müßten wir darauf verzichten, den Begriff der Nation weiter zu verwenden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Unerhört!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte auch in diesem Zusammenhang nicht in eine Motivforschung eintreten. Was ich aber sagen möchte, ist dies: Was nutzen uns interessante, mit Teilwahrheiten ausgestattete Fragen, wenn die Antworten darauf falsch sind? Und diese beiden Antworten sind falsch, sie sind grundfalsch!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sind vor allem aus einem — dem, wie ich meine, nächstliegenden — Grunde falsch: Die Deutschen in der DDR selbst machen so nicht mit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Gewiß, diese Deutschen drüben müssen sich arrangieren. Diese Deutschen drüben wollen auch, daß wir uns ihrer ungeliebten Führung bedienen, um für sie, für diese deutschen Bürger drüben, etwas Nützliches zu erreichen. Aber eines wollen sie in ihrem eigenen Interesse nicht: nämlich daß wir mit einem solchen Entgegenkommen, wie es aus den Gedankengängen der Kollegen Bahr und Gaus spricht, den Grundwiderspruch aufheben, unter dem die SED dort leben muß.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich gibt es Fälle, wo die SED der eigenen Bevölkerung ein bißchen entgegenkommt. Sie muß es ja tun, z. B. durch etwas weniger ideologischen Druck da und dort, durch eine gewisse Erleichterung in den wirtschaftlichen Bedingungen, wenn auch mit großen Schwankungen, durch eine geringfügige Zunahme in der Bewegungsfreiheit, durch eine stärkere Ermöglichung, auch private Existenzen — in einer Nische — zu führen. Aber das alles ist doch nicht einfach die Folge einer selbstsicher gewordenen, von uns in ihrem Selbstbewußtsein gestärkten SED, sondern das ist doch in erster Linie Folge eines Drucks, unter dem die SED steht.
    Ich leugne doch nicht — und habe nie geleugnet —, daß das Schlußdokument von Helsinki wichtige und positive Auswirkungen mit sich gebracht hat, aber doch nicht in der Weise, daß es zu einer Stärkung der SED gekommen ist oder kommen würde, wenn wir auf die Nation verzichten.

    (Wehner [SPD]: In Helsinki haben Sie dagegen gestimmt!)

    Das Entscheidende ist, daß es mit den Menschenrechten weitergeht.
    Der Kontakt, den der Generalsekretär Honecker mit dem Bund der Evangelischen Kirchen im März 1978 aufgenommen hat, ist sehr bedeutungsvoll.



    Dr. von Weizsäcker
    Aber er ist doch nicht die Folge eines gestiegenen Selbstbewußtseins der SED.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

    Nein, umgekehrt, er ist die Folge einer wachsenden Problematik, in der sich die SED befindet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist der Versuch einer besseren Abstützung bei eigenen Problemen gegenüber der Bevölkerung durch einen wirklich unabhängigen Gesprächspartner, nämlich durch den Bund der Evangelischen Kirchen. Das ist schwer genug für alle Beteiligten, aber ein Vorgang, den wir doch richtig verstehen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich meine, wir sollten die Debatte über die Nation und über die Frage, wie es zu einer Einheit kommen kann, natürlich in aller Offenheit führen, aber wir müssen uns dabei doch auch deutlich unsere Meinungen sagen. Da gibt es eben in demselben Interview von Herrn Gaus noch einen anderen Satz, den ich überhaupt nur mit größtem Befremden gelesen habe. Er sagt:
    Wenn es nicht zu einer Katastrophe kommt, dann wird sich an der Tatsache, daß es zwei deutsche Staaten gibt, zu unseren Lebzeiten nichts ändern.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Unerhört!)

    Meine Damen und Herren, niemand von uns weiß, mit welchen Zeiträumen wir rechnen müssen, und niemand kann für sich in Anspruch nehmen, auch wenn er weit jünger ist als ich, daß sich eine grundlegende Veränderung zu seinen Lebzeiten vollziehen würde; nicht das ist es, was ich zu kritisieren habe. Aber wenn man davon ausgeht, daß, wenn es nicht zu einer Katastrophe kommt, sich an der Tatsache, daß es zwei deutsche Staaten gibt, in dem und dem Zeitraum nichts ändern wird — ja, bitte, das ist ja nicht so gemeint, aber das klingt doch so und wird in den falschen Mündern, falschen Köpfen und falschen Händen dann so benutzt, daß es in Wirklichkeit nur entweder den Frieden oder einen Weg zur Einheit gibt.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein anderes Zitat in diesem Zusammenhang von jemand vortragen, von dessen Parteizugehörigkeit ich gar nichts weiß, aber dessen Stimme ich häufiger, etwa in dem Organ der Berliner SPD, lese; ich meine Peter Bender, der sich im „Spiegel" vor einigen Wochen zu derselben Frage wie folgt geäußert hat — ich darf zitieren —:
    Als ob nicht jeder wissen müßte: Die deutsche Einheit gerät, sobald sie politisch oder auch nur rhetorisch verfolgt wird, mit den vorrangigen Zielen in Konflikt, mit dem Frieden und mit der Annäherung beider Teile Europas. Frieden wie Europa verlangen Entspannung, Entspannung verlangt Gleichgewicht, doch das Gleichgewicht verlangt die weitere Teilung Deutschlands.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Unglaublich!)

    Scharfe Betonung der deutschen Einheit, dauernde Beschwörungen der deutschen Nation und das ewige Reden vom „Offenhalten" der deutschen Frage bewirken das gerade Gegenteil ihres Zwecks. Sie stören die Entspannung und hemmen beides: Besserung in Europa und Besserung in Deutschland.
    Meine Damen und Herren, wir hatten hier im Deutschen Bundestag schon einmal eine kurze Aussprache über diesen Punkt, weil sich nicht mit denselben Worten, aber mit demselben Gedanken, daß es nämlich das Gleichgewicht sei, welches uns an der Verfolgung unserer deutschlandpolitischen Zielsetzung hindere, auch der frühere, im derzeitigen SPD-Geschichtsbewußtsein der Berliner SPD allerdings wegdividierte Regierende Bürgermeister Stobbe geäußert hatte.
    Ich möchte noch einmal sagen, weil mir das so wichtig erscheint: Unsere Politik zielt — dazu bekennen wir uns ohne Einschränkung — auf Überwindung der Trennung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies geschieht ausschließlich mit friedlichen Mitteln; denn wir wissen doch, daß wir des Friedens bedürfen, auch des Friedens in einem größeren, über unsere beiden deutschen Teilstaaten hinausweisenden Rahmen. Nicht zuletzt deshalb suchen wir als Deutsche Einfluß auf die internationale Lage, und zwar einen Einfluß durchaus im Sinne der Stärkung des Friedens. Mit anderen Worten: Eine Deutschlandpolitik, die der Überwindung der Gräben dient, eine Deutschlandpolitik, die Ausdruck des Gefühls der Zusammengehörigkeit der Deutschen ist, ist für uns wesentlicher Motor, um eine friedensfestigende Wirkung auf die internationalen Beziehungen anzustreben. Man kann das noch anders ausdrücken. Hätten wir nicht das elementare — —

    (Zurufe von der SPD)

    — Hören Sie mir doch bitte in Ruhe zu! Das wäre bei dieser Debatte viel vernünftiger. — Hätten wir nicht das elementare Bedürfnis, die Teilung Schritt für Schritt zu überwinden, und wären wir ohne besondere Zusammengehörigkeit über die Blockgrenzen hinweg, dann wäre unser Wille und wohl auch unsere Kraft, in Richtung auf den Frieden zu wirken, in Wahrheit schwächer und nicht stärker, und das heißt: Gleichgewicht ist Voraussetzung für den Frieden — das stimmt — , aber Gleichgewicht und damit Frieden ist nicht Ursache dafür, daß die Teilung fortbesteht. Vielmehr brauchen wir Frieden, um die Teilung von Stadt, von Land und von Kontinent schrittweise zu überwinden und damit dem Frieden Stück für Stück das zu geben, was ihn ausmacht, nämlich seine substantielle menschliche Gerechtigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sybille Wirsing hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gestern in einer Analyse der in erster Linie geistig-kulturellen Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Teilstaaten — bezeichnenderweise ist dieser Artikel im Feuilleton erschienen, obwohl er hochpolitischen Charakters war — u. a. gesagt — der Artikel war überschrieben „Die deutsche Mein-und -dein-Frage"; Herr Ronneburger,



    Dr. von Weizsäcker
    da ist wieder von den beiden Hälften Luthers die Rede; Luther ist kein Schwabe; ich fand das Bild nicht so glücklich, aber immerhin auch ganz anregend —,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    wir sollten uns doch nicht der Prestigepsychose der SED anschließen und sie uns zu eigen machen mit solchen Formulierungen wie denen, die Herr Gaus gebraucht hat. Wir dürfen die SED eben nicht so weit entlasten, sie nicht so weit aus der Vergangenheit und Zukunft der deutschen Nation freigeben, daß sie schließlich nicht mehr unter einem auch für die Bürger, auch für Deutsche in der DDR sich immer wieder als heilsam erweisenden Druck steht, sondern schließlich machen kann, was sie will. Der Druck der Teilung, die Alternative auf der anderen Seite zu haben, das ist auf der einen Seite eine große Sorge, aber es ist auch ein Zwang für die SED, ein Ansporn, der sich immer mal wieder im Interesse unserer Landsleute auswirkt.
    Meine Damen und Herren, unsere deutschen Landsleute drüben wissen, wie ihre SED mit dem Thema Nation als politischem Thema umgeht. Der Bundeskanzler hatte ein Zitat aus früherer Zeit von Walter Ulbricht genannt. Ich möchte ihm eines hinzufügen. Ulbricht hat auch gesagt: „Die Arbeiterklasse wird einst vereinen, was die Imperialisten gespalten haben." Sie alle kennen ja die Äußerungen von Honecker, die quasi mindestens zeitlich als Antwort auf Gaus kamen, als er gesagt hat: „Seid vorsichtig, der Sozialismus klopft eines Tages auch an eure Tür, und wenn der Tag kommt, an dem die Werktätigen der Bundesrepublik an die sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland gehen, dann steht die Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten vollkommen neu. Wie wir uns dann entscheiden, daran dürfte es wohl keinen Zweifel geben".
    Meine Damen und Herren, ich zitiere das doch nicht deshalb, weil ich der Meinung wäre, irgendeiner von uns oder gar ich wüßte, was daraus für die Frage der Nation in welcher Zeit die Folge ist. Aber was wir wissen, das ist, daß, wenn wir mit unserer Lebendigkeit und Zielsetzung auf diesem Gebiet nachlassen, andere dieses Thema übernehmen und dann in einem Sinn übernehmen, von dem wir dann nicht mehr sagen können, das würde sich mit unserem Ziel einer Einheit der Deutschen in Einklang bringen lassen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unsere deutschen Landsleute drüben leben von einer Perspektive in die Zukunft, zu der das Wort der deutschen Nation gehört. Auch wir in Berlin leben von der Perspektive, zu der der Begriff der Nation gehört. Berlin ist die Stadt der Hoffnung aller freiheits- und friedensliebenden Deutschen in Ost und in West. Berlin will Brücke und Klammer sein. Berlin will Symbol sein der nationalen Einheit.
    Niemand kennt den Inhalt und den Zeitpunkt einer Antwort auf die offene deutsche Frage. Wir werden eine europäische Architektur anstreben, bei der kein Nachbar vor den Deutschen Angst zu haben braucht. Aber niemandem sollten wir erlauben, sich über unsere Unbeirrbarkeit zu täuschen, daß in der geschichtlichen Perspektive die Teilung von Stadt, von Land und von Kontinent überwunden werden muß. Wir in Berlin haben und wir vertrauen auf diese Kraft. — Ihnen hier bei der Debatte über die Lage der Nation dies von Berlin aus zuzurufen, das ist unser Beitrag zu dieser Debatte, mit dem wir uns bekennen zu einer deutschen Nation des Friedens.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/ CSU)