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    Plenarprotokoll 9/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Inhalt: Bericht zur Lage der Nation in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wangen), Graf Huyn, Sauer (Salzgitter), Böhm (Melsungen), Lintner, Werner, Frau Roitzsch, Lowack, Diepgen, Schwarz, Würzbach, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Niegel und der Fraktion der CDU/ CSU Politische Häftlinge in den Haftanstalten der DDR — Drucksache 9/198 — Schmidt, Bundeskanzler 1541 B Dr. Zimmermann CDU/CSU 1549 B Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister von Berlin 1555C Ronneburger FDP 1562 C Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1566 D Franke, Bundesminister BMB 1573 C Dr. Barzel CDU/CSU 1578 B Hoppe FDP 1586 A Dr. Ehmke SPD 1588 D Lorenz CDU/CSU 1593A Junghans SPD 1597 B Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Beschleunigung des Asyslverfahrens — Drucksache 9/221 — Frau Leithäuser, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg 1600 B Dr. Bötsch CDU/CSU 1602 D Dr. Schöfberger SPD 1604 D Dr. Wendig FDP 1607 A Dr. de With, Parl. Staatssekretär BMJ . . 1609 C Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und FDP Ächtung der Todesstrafe — Drucksache 9/172 — Klein (Dieburg) SPD 1610 B Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 1612 A Bergerowski FDP 1613 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Spranger, Dr. Miltner, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Dr. Laufs, Dr. George, Neuhaus, Dr. Bötsch, Broll, Biehle, Linsmeier, Regenspurger und der Fraktion der CDU/CSU Prüfung der Notwendigkeit von Gesetzgebungsvorhaben — Drucksache 9/156 — Dr. Miltner CDU/CSU 1615A Dr. Kübler SPD 1616 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 1618A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz) — Drucksache 9/279 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 Engholm, Bundesminister BMBW 1620 A Rossmanith CDU/CSU 1622 B Weinhofer SPD 1624 D Popp FDP 1628 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Windelen, Dr. Dollinger, Pfeffermann, Weirich, Neuhaus, Bühler (Bruchsal), Linsmeier, Maaß, Lintner, Dr. Riedl (München), Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Köhler (Wolfsburg), Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Dr. Stavenhagen, Niegel, Röhner, Spilker, Dr. Bugl und der Fraktion der CDU/CSU Aufhebung des sogenannten Verkabelungsstopps der Bundesregierung — Drucksache 9/174 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" — Drucksachen 9/245, 9/314 — Weirich CDU/CSU 1630 C Paterna SPD 1632 D Dr. Hirsch FDP 1634 D Becker, Parl. Staatssekretär BMP . . . 1635 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/68 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/298 — 1636 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und des Europäischen Übereinkommens vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland — Drucksache 9/69 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 9/299 — 1636 C Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Wiener Abkommen vom 12. Juni 1973 über den Schutz typographischer Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung (Schriftzeichengesetz) — Drucksache 9/65 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/301 — Dr. Klejdzinski SPD 1636 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 13. Mai 1977 unterzeichneten Fassung des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken — Drucksache 9/70 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 9/302 — 1637 A Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes — Drucksache 9/246 — 1637 B Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 9/289 — 1637 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Reichseigenes Grundstück Berlin 52 (Reinickendorf), Ollenhauerstraße 97/99; hier: Verkauf an das Land Berlin — Drucksachen 9/101, 9/261 — 1637 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 III Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die Gemeinsame Marktorganisation für Getreide — Drucksachen 9/108 Nr. 13, 9/274 — . . .1637 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Durchsetzung von internationalen Normen für die Sicherheit im Seeverkehr und die Verhütung von Meeresverschmutzung in bezug auf den Schiffsverkehr in den Häfen der Gemeinschaft — Drucksachen 9/87, 9/300 — 1637 D Nächste Sitzung 1638 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1639* A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. April 1981 1541 31. Sitzung Bonn, den 9. April 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 9. 4. Dr. Ahrens ** 10. 4. Amrehn 10. 4. Brandt * 9. 4. Burger 10. 4. Dr. Enders ** 9. 4. Francke (Hamburg) 10. 4. Franke 10. 4. Dr. Geißler 10. 4. Gilges 9. 4. Haase (Fürth) 10. 4. Hauser (Krefeld) 10. 4. Herterich 10. 4. Hoffie 10. 4. Dr. Holtz ** 10. 4. Dr. Hubrig 10. 4. Jungmann 10. 4. Kiep 9. 4. Kleinert 10. 4. Korber 10. 4. Dr. Kreile 10. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Krone-Appuhn 10. 4. Landré 10. 4. Lenzer ** 10. 4. Mahne 10. 4. Matthöfer 10. 4. Meinike (Oberhausen) 10. 4. Dr. Mitzscherling 10. 4. Dr. Müller ** 10. 4. Neuhaus 10. 4. Frau Noth 10. 4. Petersen *** 10. 4. Picard 10. 4. Pieroth 10. 4. Dr. Pohlmeier 9. 4. Schäfer (Mainz) 10. 4. Scheer 10. 4. Frau Schlei 10. 4. Schreiber (Solingen) 10. 4. Schröder (Wilhelminenhof) 10. 4. Schwarz 10. 4. Dr. Schwarz-Schilling 10. 4. Sick 10. 4. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 9. 4. Spilker 10. 4. Frau Dr. Timm 10. 4. Dr. Unland ** 10. 4. Dr. Vohrer ** 10. 4. Dr. von Weizsäcker 10. 4. Wischnewski 10. 4. Baron von Wrangel 10. 4.
Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 und 4 auf: Bericht zur Lage der Nation
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wangen), Graf Huyn, Sauer (Salzgitter), Böhm (Melsungen), Lintner, Werner, Frau Roitzsch, Lowack, Diepgen, Schwarz, Würzbach, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Niegel und der Fraktion der CDU/CSU
Politische Häftlinge in den Haftanstalten der DDR
— Drucksache 9/198 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist verbundene Debatte für die Tagesordnungspunkte 3 und 4 bis gegen 16.30 Uhr vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle dem diesjährigen „Bericht zur Lage der Nation" ein Wort der Schriftstellerin Christa Wolf voran — viele werden sie kennen als Autorin von „Kindheitsmuster", einem Buch, das im letzten Winter bei uns erschien. Als sie im Herbst in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis erhielt, hat sie vom Gang der Deutschen durch die Geschichte als von einem mühsamen, oft schleppenden und manchmal wüsten Gang gesprochen.
    Es war in der Tat ein Gang vieler Generationen auf einem sehr schwierigen Terrain; der Weg eines Volkes, dessen Land wenige natürliche Grenzen, das aber ungewöhnlich viele Nachbarn hat; ein Gang voller Sorgen und Irrtümer, aber auch voller Leistungen, die zu Hoffnung und zu Mut berechtigen.
    Zum zweiten zitiere ich einen Arbeiter, 32 Jahre alt, Maschinenfahrer in einem volkseigenen Betrieb, der einem Fernsehjournalisten von seiner Arbeit erzählt, von seinem Alltag, von seiner Familie, stolz auch auf den Aufbau des Sozialismus und des Staates dort in 31 Jahren. Und dann fügt er hinzu: „... in der Geschichte, was sind 31 Jahre; das ist ja noch nicht einmal eine Hundertstel- oder Tausendstelsekunde."
    Dieser Sinn für Geschichte, für unseren langen, mühsamen, gemeinsamen Gang durch die Geschichte ist wichtig. Der Sinn für geschichtliche Dimensionen, für die Kürze der Zeit, in der wir leben, ist wichtig, wenn wir über die Nation nachdenken.
    Das Interesse an Geschichte hat zugenommen. Man liest Biographien. Man geht in die Museen. Millionen von Menschen haben „Tut-ench-Amun" gesehen, „Die Witteisbacher", „Die Staufer". In einigen Monaten wird in Berlin die „Preußen-Ausstellung" eröffnet, mit dem bescheidenen Untertitel „Versuch einer Bilanz". Hier deutet sich ein Suchen und Tasten an — nach den Wurzeln unserer Existenz, unserer Geschichte, unserer Kultur.
    Wir Deutschen können und wollen die historischen Gemeinsamkeiten unseres Volkes und unserer Nation nicht leugnen. Niemand kann sich auch aus der Geschichte wegstehlen.
    Ich begrüße es, wenn auch in der Deutschen Demokratischen Republik jetzt parteiamtlich die Forderung nach Erschließung des gesamten historischen Erbes und nach einer differenzierten Bewertung unserer Geschichte erhoben wird. Die Menschen dort merken schon, wohin der Wind weht. Ein Beispiel: In der Lausitz mußte der Wirt eines Gasthauses, das „Zum Alten Fritz" hieß, nach dem Krieg seine Kneipe auf Weisung der SED umbenennen. Er hat dann einfach das Wort „Alten" mit Brettern zugenagelt. Die Leute nannten das Gasthaus daraufhin „Zum Bretter-Fritz". Jetzt hört man, daß der Wirt die Bretter entfernt hat, ohne daß er Anstoß erregte. Man geht wieder „Zum Alten Fritz".
    Meine Damen und Herren! Viele werden sich demnächst wohl noch ein bißchen mehr mit Preußen beschäftigen — hoffentlich nicht, um es einfach zu glorifizieren, auch nicht, um uns von Preußen abzuwenden, wie ich ebenso hoffe, sondern um über das Schwarz-Weiß-Bild hinaus eine differenziertere Sicht von Preußen zu gewinnen; Geschichte kann man nicht mit Brettern zunageln.
    Gleichzeitig bereiten wir uns auf das Luther-Jahr 1983 vor. Ich begrüße es, daß die Kirchen in beiden



    Bundeskanzler Schmidt
    deutschen Staaten dabei zusammenarbeiten; ebenso begrüße ich es, daß die Kirchen in beiden Teilen damit zum Friedensgedanken beitragen.
    Unsere Politik für Deutschland ist — sie bleibt es, sie muß es j a bleiben — ein Teil unserer Bemühungen um Friedenssicherung in Europa und in der Welt. Diese Politik muß sich gegenwärtig in einer außerordentlich schwierigen internationalen Umwelt bewähren. Der weltpolitische Horizont hat sich am Ende der 70er Jahre verdunkelt, vor allem weil die Sowjetunion wichtige Prinzipien des internationalen Zusammenlebens außer acht gelassen hat.
    Ihre fortlaufende Hochrüstung auf dem Felde der eurostrategischen Waffen verstößt gegen das Prinzip des militärischen Gleichgewichts. Der Einmarsch und der Krieg in Afghanistan verstoßen gegen das Völkerrecht. Die Schaffung neuer militärischer und politischer Abhängigkeiten in Afrika und anderswo verstößt gegen das Prinzip der Unabhängigkeit und Blockfreiheit der Länder der Dritten Welt. Und jeder weiß: Ein etwaiger Versuch, in die Auseinandersetzungen um die innere Erneuerung in Polen mit Gewalt einzugreifen, könnte die Welt verändern und damit auch manche Positionsbeschreibungen ungültig machen, die wir heute vornehmen.
    Das friedliche Gelingen in Polen liegt im Interesse aller Völker in Europa.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Jedes Anheizen der Situation von außen, ob aus dem Osten oder aus dem Westen, ist gefährlich.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Soziale Reformen ohne gefährliche internationale Verwerfungen zu ermöglichen — auch das gehört zur Friedenssicherung. Nur wenn ein Klima der Zusammenarbeit in Europa erhalten bleibt, können wir im Westen den Polen auch weiterhin bei der Überwindung ihrer sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Hilfe leisten, die sie brauchen.
    In der heutigen Lage müssen wir zunächst erhalten, was unsere Deutschlandpolitik erreicht hat, nämlich das Vertrauen unserer Partner im Westen, aber auch das Vertrauen der Sowjetunion und unserer Nachbarn in Osteuropa darauf, daß jedenfalls von der Entwicklung in Deutschland keine zusätzlichen Spannungen ausgehen. Das Vertrauen, das uns heute entgegengebracht wird, ist Ergebnis einer stetigen und berechenbaren Politik, einer Politik ohne Doppelbödigkeit. So haben wir bei unseren Verbündeten und Freunden Verständnis für unsere Deutschlandpolitik erworben. Auf dieser Grundlage haben wir auch mit der Sowjetunion und mit den Ländern Osteuropas die begrenzte, aber verläßliche Zusammenarbeit entwickelt, die unter Staaten möglich ist, welche nach gesellschaftlicher Struktur, nach politischer Zielsetzung Konkurrenten bleiben. Das gilt auch für die DDR.
    Kontinuität und Verläßlichkeit unserer Außenpolitik im Westen und gegenüber dem Osten sind und bleiben Grundlage unserer Deutschlandpolitik. In der gegenwärtigen Situation heißt das folgendes:
    Erstens. Die Bundesrepublik gehört zum Westen. Nur unsere Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis kann unsere Sicherheit, unsere Freiheit, d. h. unsere Handlungsfähigkeit gewährleisten. Nur sie kann das Gleichgewicht bewahren.
    Zweitens. Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es keine Sicherheit in Europa. Präsident Reagan und seine Administration wissen, daß sie sich auf die Bereitschaft der Bundesregierung zu umfassender und kontinuierlicher Zusammenarbeit verlassen können, so wie wir uns auf sie verlassen.
    Ein intensiver, vielversprechender Konsultationsprozeß ist in Gang gekommen. An den Ergebnissen der Gespräche, welche die Herren Bundesminister Genscher und Apel in Washington geführt haben, läßt sich der schon jetzt erreichte hohe Grad von Übereinstimmung in allen wesentlichen Fragen ablesen. Ich sehe der Fortsetzung dieser engen Abstimmung bei meinem Besuch in den Vereinigten Staaten im Mai mit Zuversicht entgegen.
    Drittens. Neben dem Atlantischen Bündnis bleibt die Europäische Gemeinschaft ein Grundpfeiler unserer Politik. Wir haben in der Europäischen Gemeinschaft eine schwierige Periode vor uns, wenn wir gemeinsam mit den Herausforderungen der gewandelten wirtschaftlichen und politischen Umwelt fertig werden wollen.
    Viertens. Mit unseren Bündnispartnern stehen wir vor der Aufgabe, das militärische Gleichgewicht zwischen Ost und West zu gewährleisten und — wo dies nötig ist — es wiederherzustellen. Wie es in der deutsch-französischen Erklärung vom Februar heißt, schließen wir dabei die Hinnahme einer Position der Schwäche ebenso aus wie das Streben nach militärischer Überlegenheit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich sage dies und das Nachfolgende, meine Damen und Herren, vor allem und gleich noch etwas ausführlicher für die DDR und für die Bürger in der DDR, die uns heute in besonderem Maße zuhören, weil es ihnen nämlich angesichts vielfältiger Propaganda schwerfällt, sich ein zutreffendes Bild zu machen.
    Fünftens. Bei den Mittelstreckenwaffen ist das Gleichgewicht durch sowjetische Aufrüstung wesentlich beeinträchtigt worden. Besonders eindrucksvoll sind etwa die Zahlen im Bereich der nuklearen Mittelstrecken- oder eurostrategischen Raketen auf dem Lande. 1960 standen in Europa 50 amerikanische Waffen dieser Art 290 sowjetischen Waffen dieser Art gegenüber. Zehn Jahre später — schon seit 1963 — waren die amerikanischen Raketen abgezogen; die Zahl der sowjetischen Raketen war 1970 auf 610 Waffen dieser Art gestiegen.
    Heute, wieder zehn Jahre später, verfügt die Sowjetunion über mehr als 600 eurostrategische Raketen — darunter inzwischen schon mehr als 200 SS 20, von denen jede drei Sprengköpfe hat — mit insgesamt über 1000 nuklearen Gefechtsköpfen. Auf westlicher Seite steht dem in Europa, abgesehen von 18 französischen Raketen, nichts Vergleichbares gegenüber.



    Bundeskanzler Schmidt
    Dieses Mißverhältnis kann so nicht bleiben!

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

    Es wird keineswegs durch Flugzeuge oder durch seegestützte Waffen ausgeglichen. Dieses erhebliche militärische Übergewicht stellt eine erhebliche politische Gefährdung dar.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Das Bündnis hat vor anderthalb Jahren mit dem sogenannten Doppelbeschluß eine neue Komponente in die Sicherheitspolitik eingeführt. Wir wollen nicht zuvor amerikanische Nachrüstung, um erst danach über Rüstungsbegrenzung zu verhandeln. Vielmehr suchen wir, und zwar auf deutschen Vorschlag, schon bevor die erste neue amerikanische Waffe in Stellung gebracht wird, Verhandlungen mit dem Ziel eines militärischen Gleichgewichts auf einem möglichst niedrigen Niveau.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diese Gleichzeitigkeit beider Anstrengungen entspricht dem Grundprinzip des Harmel-Berichts aus dem Jahre 1967, nämlich: den Frieden durch militärische Sicherheit zu wahren und zugleich Rüstungskontrolle und Zusammenarbeit zu betreiben.
    Ich darf auf Grund der jüngsten Beratungen innerhalb des Bündnisses und auf Grund der Eindrükke, die Herr Außenminister Genscher in Moskau gesammelt hat, davon ausgehen, daß die Gespräche zwischen den beiden Großmächten, die im Oktober letzten Jahres zur beiderseitigen Begrenzung der eurostrategischen Raketen begonnen haben, in relativ naher Zukunft wieder aufgenommen werden. Damit diese Verhandlungen dann zu einem akzeptablen und frühen Ergebnis führen, bleibt es unerläßlich, die Verwirklichung beider Teile dieses Doppelbeschlusses tatkräftig zu fördern. Wenn einer jetzt sagt, die Entspannungspolitik habe an alledem schuld, erst sie habe die sowjetische Hochrüstung gefördert, dann muß der sich die Frage gefallen lassen, wie wohl die sowjetische Rüstung unter den Bedingungen des Kalten Krieges ausgefallen wäre.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich setze hinzu: Wer in Perioden der Entspannung seine Anstrengungen zur Wahrung des militärischen Gleichgewichts vernachlässigt — was übrigens die Bundesregierung nie getan hat, die sozialliberale Koalition nie getan hat —, der hat die zwingende Wechselwirkung zwischen Gleichgewicht und West- Ost- Zusammenarbeit nicht verstanden — die zwingende Wechselwirkung!
    Wer umgekehrt meint, Entspannung und Zusammenarbeit könnten bewahrt werden, wenn man nur bereit wäre, hohe östliche Überlegenheit hinzunehmen, der würde eines Tages möglicherweise grausam aus seiner Illusion aufgeweckt werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Sechstens. Nach der Invasion in Afghanistan hat die sozialliberale Bundesregierung keinen Zweifel daran gelassen, daß nach unserer Überzeugung der Dialog mit der Sowjetunion gerade in Krisenzeiten nicht abreißen darf. Hierüber war ich auch vor wenigen Tagen, am 30. März dieses Jahres, erneut einig mit Präsident Reagan und Präsident Giscard. Die Gespräche von Herrn Außenminister Genscher in Moskau in der vorigen Woche fügen sich in dieses Konzept ein, auch in schwierigen Zeiten den Dialog um Gottes willen nicht abreißen zu lassen. Herrn Genschers Gespräche haben wichtige Klarstellungen sowjetischer Positionen im Rüstungskontrollbereich und zur Fortsetzung des KSZE-Prozesses einschließlich der von allen Seiten ins Auge gefaßten Konferenz über Abrüstung in Europa erbracht. Die Sowjetregierung hat ihre Bereitschaft zu Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen ohne Vorbedingung bestätigt.
    Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ich schon im letzten Sommer bei Gelegenheit unseres gemeinsamen Besuchs in Moskau Generalsekretär Breschnew zum Gegenbesuch nach Bonn eingeladen habe. Der Generalsekretär und ich sind jetzt darüber im Gespräch, wann dieser Arbeitsbesuch im Laufe dieses Jahres stattfinden sollte.
    Wir begrüßen, daß auch die sowjetische Führung ihr Interesse an der Fortführung des Gedankenaustauschs erneut bekräftigt hat. Wir wissen beide, daß Gespräche zwischen dem sowjetischen Generalsekretär und mir den Kontakt zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Führung nicht ersetzen können und nicht ersetzen sollen. Aber in Kenntnis der Standpunkte unserer Partner und in enger Abstimmung mit ihnen können wir gute Beiträge zum Ost-West-Dialog leisten, so wie unsere Freunde es von uns erwarten.
    Siebentens. Der letzte Punkt: Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß wir unseren Beitrag zur Fortführung des notwendigen Dialogs nicht nur leisten können, sondern daß wir ihn auch leisten müssen — nicht zuletzt im Interesse des ganzen eigenen Volkes, nicht zuletzt im Interesse des deutschen Volkes.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Je intensiver die Beziehungen zwischen West und Ost, je besser die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion, desto besser für uns Deutsche.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Nun haben gleichzeitig die Strukturkrise der Weltwirtschaft und die Folgen der zweiten Ölpreisexplosion Westeuropa wie Osteuropa wie auch unser eigenes Land hart getroffen. Wir in der Bundesrepublik haben Mühe, die seit 1978 eingetretene abermalige Verdoppelung unserer jährlichen Ölrechnung auf 60 Milliarden DM zu verkraften. Unter dem Druck von außen werden auch bei uns Bruttosozialprodukt und Volkseinkommen in diesem Jahr real etwas zurückgehen. Das gilt für Industrieunternehmen, das gilt für Banken, das gilt für die Landwirtschaft -- und es trifft auch die Arbeitnehmer. Die Sorge um Arbeitsplätze hat zugenommen.
    Immerhin: In kaum einem Land Europas sind die Preise so stabil wie hier, in kaum einem Land Europas ist die Arbeitslosigkeit niedriger als bei uns, und außerhalb Europas stehen natürlich die Entwicklungsländer vor noch viel schwerer wiegenden Pro-



    Bundeskanzler Schmidt
    blemen. Die kommunistischen RGW-Länder sind ebenfalls von dieser Strukturkrise erfaßt worden. Nur in Polen ist das für die Außenwelt völlig offenbar geworden; aber es gilt auch für die Deutsche Demokratische Republik und für andere Staaten in Osteuropa.
    Unter dem Druck weltweit zunehmender Arbeitslosigkeit wächst weltweit die Gefahr von Rückfällen in handelspolitisch regelwidrigen Ringkampf, in Protektionismus. Auch die Europäische Gemeinschaft oder ihre Mitgliedstaaten kommen in solche Versuchungen. Wir wollen dem widerstehen. Wir alle in Europa haben große Vorteile durch die europäische Gemeinschaft, auch durch das Europäische Währungssystem, und wir wollen gerade in kritischen Zeiten dies alles sehr sorgfältig erhalten — aus wirtschaftlichen und aus weltpolitischen Gründen.
    Dabei sind gegenwärtig allgemeine Konjunkturprogramme zur Stimulierung der Nachfrage kein brauchbares Rezept. Das gilt übrigens für Osteuropa genau so, wie wir es gemeinsam für die Europäische Gemeinschaft festgestellt haben und wie es damit auch für uns gilt.
    Für uns kommt es vor allem darauf an, unser Leistungsbilanzdefizit zu verringern, es abzubauen. Auf Hochdeutsch: Wir können nicht auf die Dauer höhere Rechnungen an das Ausland bezahlen, als wir selber an Zahlungen aus dem Ausland erhalten. Dies bedeutet vor allem, unsere Einfuhr an Öl weiterhin zu drosseln. Es bedeutet ebenso allgemeine Einsparung von Energie, und es bedeutet ebenso, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Produkte am Weltmarkt nochmals zu verbessern, um mehr verkaufen zu können.
    Dieser Kurs wird von allen große Anstrengungen fordern. Aber er wird Arbeitsplätze bewahren und neu schaffen, und er wird die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes sichern. Ich bin zuversichtlich, daß die deutsche Volkswirtschaft diese schwierige Zeit erfolgreich durchstehen wird — besser als die meisten anderen Volkswirtschaften —, und ich will diese Zuversicht begründen:
    Erstens. Unsere deutschen Unternehmensleitungen haben zuletzt in der Mitte des letzten Jahrzehnts — nach der ersten Ölpreisexplosion — gezeigt, welch hohe Anpassungsfähigkeit sie angesichts neu sich öffnender Märkte, angesichts veränderter Marktlagen und angesichts der zu Lasten der europäischen Industrieprodukte veränderten Terms of trade aufbringen können. Sie werden auch diesmal ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern durch Energieeinsparung, durch neue Techniken oder Technologien, durch neue Produktionsprozesse, durch neue Produkte, durch besseren Service, durch Innovation, insgesamt durch Pünktlichkeit.
    Das gestern in Paris und Bonn beschlossene Programm zeigt dafür nicht nur die Richtung auf, sondern es wird auch bei der Verwirklichung helfen, zumal für mittlere und kleinere Unternehmen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Franzosen und wir stehen vor sehr ähnlichen, fast vor den gleichen Notwendigkeiten, und deshalb tun wir das gleiche.
    Zweitens. Unsere Arbeitnehmer, ihre Betriebsräte und Gewerkschaften, haben bewiesen, daß sie solche Umstellungsprozesse mittragen, weil sie deren Notwendigkeit anerkennen, weil die Betriebsräte für eine sozial verträgliche Durchführung sorgen können, weil sie wissen, daß dies der Sicherung ihrer Arbeitsplätze dient. Die gestern von der Bundesregierung angekündigten Nach- und Umqualifizierungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt dienen ebenfalls dieser Umstellung der Arbeitnehmer.
    Drittens bin ich auch deshalb optimistisch, weil das soziale Netz eine hervorragende Sicherung solcher Umstellungsprozesse ermöglicht und weil sich Gewerkschaften und Arbeitgeber als freie, als autonome Verhandlungs- und Vertragspartner gegenüberstehen.
    Ich füge hinzu: man muß aufpassen, daß das soziale Sicherungsnetz nicht hier oder dort mißbraucht wird. Ich füge auch hinzu, Tarifverhandlungen, bei denen man in Wahrheit nur noch um Zehntelprozente auseinander ist — auch wenn es öffentlich anders dargestellt wird —, sollten sich nicht wie ein endloser Mehltau über alle und über alles ausbreiten. Die rechtzeitig zum 1. Mai geschaffene Klarheit in Sachen Montan-Mitbestimmung und der diesbezügliche Meinungskampf in der CDU/CSU bis hier in das Plenum des Bundestages hinein mag eine Hilfe sein, so hoffe ich.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Wer in allen Lebensfragen von den Stimmen der Opposition lebt, sollte dazu schweigen!)

    — Das werden Sie ertragen, Herr Kohl. Sie haben auch die Rede Ihres gestrigen Unternehmervertreters hier ertragen müssen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es gibt keinen strukturellen Wandel ohne Risiko, nicht für Unternehmensleiter und nicht für Arbeitnehmer. Jeder muß mitwirken und mittragen. Es gibt keine Rückkehr zu hoher Beschäftigung, ohne daß alle mitwirken, auch die Tarifpartner. Dabei sollte heute keine Gruppe versuchen, dauerhafte Vorteile zu Lasten anderer Gruppen aus dieser Lage herauszuschlagen.
    Es kann sich angesichts der gegenseitigen Abhängigkeiten aller Länder heute auch kein Staat dauerhafte Vorteile zu Lasten anderer Länder verschaffen. Zur internationalen Zusammenarbeit gibt es in dieser weltwirtschaftlichen Lage keine vernünftige Alternative! Das gilt auch gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik und gegenüber Osteuropa!
    Bei uns — und ähnlich in der DDR — gibt es manchen, der sich Sorgen um seine wirtschaftliche Zukunft macht. Angst um den Frieden, Angst um Sicherheit insgesamt kommen hinzu, und dies keineswegs nur unter jüngeren Menschen. Gewiß kann niemand ihnen Sicherheit gegen alle Fährnisse des



    Bundeskanzler Schmidt
    Lebens bieten. Es gibt Gott sei Dank kein automatisiertes oder unfallfrei durchprogrammiertes Leben; denn das wäre ganz schrecklich und ganz unmenschlich. Gewiß soll auch keiner die Probleme anderer, zumal ihre Sorgen und Ängste, kleiner schreiben, als sie sind.
    Aber es bleibt auch richtig, daß die allermeisten Menschen auf der ganzen Welt ihren Platz gern mit einem Deutschen tauschen würden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Auch sollte keiner übersehen, daß im letzten Jahr die Beschäftigung in unserem Land mit 25,8 Millionen Menschen den absolut höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erreicht hat.
    Jeder, der sich um unseren Frieden und um unsere Sicherheit Sorgen macht, der darf wissen: das Bündnis, die Partnerschaft mit unseren Verbündeten, mit den Vereinigten Staaten, gibt uns Sicherheit. Er darf wissen, der Friede ist nicht akut bedroht, und er braucht keinem Angstmacher anheimzufallen, weder den friedenspolitischen Angstmachern noch den wirtschaftspolitischen Angstmachern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es müssen aber zwei Dinge hinzugefügt und verstanden werden: Der Beginn der 80er Jahre stellt an die Gesellschaft Anforderungen von größerer Bedeutung und von anderer Bedeutung, anderer Qualität als der Beginn der 70er Jahre. Die Bürger müssen sich aus dem einseitigen Anspruchsdenken befreien, das die Wachstumsgesellschaft zunächst mit sich gebracht hat.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Wer hat die verwöhnt?)

    Sie müssen lernen, ihre Lebenschancen wirklich zu nutzen, die im Kern etwas wesentlich anderes und wesentlich mehr als nur die Chance zur fortlaufenden Steigerung des Lebensstandards darstellen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich möchte dazu ermutigen, zum Beispiel den Konsumzwang abzuschütteln, den manche sich selbst auferlegt oder dem sie sich unterworfen haben; aber zum Beispiel auch ermutigen, den Fernsehzwang abzuschütteln, der das Gespräch töten kann.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir haben in der heutigen Gesellschaft große Möglichkeiten zur Verwirklichung jener Entfaltungsideale der Person, wie sie von der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie, wie sie vom freiheitlichen Bürgertum und vom Liberalismus verstanden wurden und verstanden werden. Wer seine Chance zur Selbstverwirklichung bewußt nutzt, der muß keine Angst haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Allerdings kann er dabei nicht allein bestehen. Der Grundwert der Brüderlichkeit ist als Solidarität der Arbeitenden untereinander und der Arbeitenden mit den sozial Schwachen in unsere umfassende
    Sozialgesetzgebung weitgehend eingegangen. Aber damit ist er allein noch nicht gesichert. Es gibt zum Beispiel Auswüchse, die bei einigen auf eine verkümmernde Sozialfähigkeit und Sozialverantwortung hinweisen. Das Verhältnis zu den bei uns lebenden und bei uns arbeitenden Ausländern gibt dafür mancherorts beredte Beispiele.
    Manche Minoritäten werden bisweilen ziemlich brutal von der Solidarität ausgeschlossen. Sicherlich mangelt es bisweilen auch an der Solidarität gegenüber der Jugend und auch gegenüber künftigen Menschen, die erst noch geboren werden sollen, wenn die Heutigen die natürliche Umwelt bisweilen unbedacht zerstören lassen.
    An Solidarität mangelt es bisweilen auch gegenüber Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik, wenn zum Beispiel Bundesbürger, weil es ihnen besser geht, jenen herablassend auf die Schulter klopfen. Unsere Landsleute drüben haben an Hitler und haben am Zweiten Weltkrieg ganz gewiß nicht mehr Schuld als die Bundesbürger; aber sie tragen viel schwerer an den Folgen dieser Ereignisse.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    In der DDR gibt es gewiß mehr Deutsche als bei uns, die zwar im wirtschaftlichen Standard relativ beschränkt sind, dafür aber ein großes persönliches, wenn auch privat bleibendes geistiges Wachstum vollbracht haben.
    Ohne Solidarität mit den Bürgern in der DDR und mit anderen in Ost und West und Süd blieben wir oberflächliche Zeitgenossen. Und unter der Oberfläche könnte sich in der Tat Angst ausbreiten. Wenn wir uns aber bewußt selbst entfalten, wenn wir brüderlich handeln, wenn wir unsere Pflichten auf uns nehmen, dann ist in der Tat Grund zu Hoffnung und zu Mut.
    Wir Deutschen — besonders die jungen Deutschen — können dabei nicht wie manche anderen Völker sehr viel Sicherheit aus der Bindung an die Nation schöpfen. Einigen erscheint der Begriff Nation sogar unhandlich und sperrig. Aber das ist kein Anlaß, diesen Begriff oder gar die Sache selbst beiseite zu stellen. Wer dies täte, nähme die Gefahr späterer nationalistischer Reaktion in Kauf.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich sehe umgekehrt keinerlei Gefahr, daß etwa wir als Nationalisten mißverstanden werden, wenn wir hier im Bundestag von der Nation reden. Wir haben unsere Lektionen in diesem Kapitel gelernt. Wir würden uns jedoch unsicher machen, geschichtslos machen, gesichtslos machen, wollten wir aus der Nation aussteigen. Und wir handelten sehr selbstsüchtig und sehr unsolidarisch gegenüber den Landsleuten in der DDR, für die die Selbstidentifikation mit der einen Nation in höherem Maße als hier eine Lebensnotwendigkeit ist.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich zitiere, was Willy Brandt als Bundeskanzler im Bundestag 1970 in seinem „Bericht zur Lage der Nation" gesagt hat:



    Bundeskanzler Schmidt
    25 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Reiches bildet der Begriff der Nation das Band um das gespaltene Deutschland. Im Begriff der Nation sind geschichtliche Wirklichkeit und politischer Wille vereint. Nation umfaßt und bedeutet mehr als gemeinsame Sprache und Kultur, als Staat und Gesellschaftsordnung. Die Nation gründet sich auf das dauernde Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen eines Volkes. Niemand kann leugnen, daß es in diesem Sinne eine deutsche Nation gibt und geben wird, solange wir vorauszudenken vermögen.
    Das war 1970.
    Ich selbst habe auf dem Hamburger Historikertag vor drei Jahren gesagt: Einheit der Nation bedeute jedenfalls eine gemeinsame geschichtliche Vergangenheit, darin sowohl Stationen, die Anlaß sind zum Stolz, als auch Stationen, die Anlaß sind zum Bedauern oder derentwegen wir uns schämen müssen; und Nation sei ein Anspruch an die Zukunft, den wir stellen, der uns aber auch selbst verpflichtet; und Nation sei auch ein Stück Wirklichkeit in unserer Gegenwart.
    Ich füge hinzu: Nation hängt allein vom Willen derjenigen ab, die Nation sein wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Insofern ist Nation ein fortwährendes Plebiszit. Oder anders gesagt: Die deutsche Nation wird weiterbestehen, solange die Menschen in beiden Teilen Deutschlands dies wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ebenso gilt weiterhin das, was ich damals auf dem Historikertag hinzugefügt habe:
    Was die Zukunft der deutschen Nation betrifft, so müssen wir nüchtern feststellen, daß die politischen Konstellationen in der Gegenwart keine Möglichkeit bieten, die Teilung Deutschlands in zwei Staaten zu überwinden ... Es gibt keinen anderen Weg, für die Einheit der deutschen Nation politisch Sinnvolles zu tun, als die Politik des Friedens und der Entspannung fortzusetzen und die Wiederherstellung der geistigen, kulturellen, ökonomischen Einheit ganz Europas zu betreiben. Dies war durch Jahrhunderte immer eine Einheit aus der Vielfalt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wenn ich schon beim Zitieren bin, möchte ich noch sehr viel weiter zurückgreifen. Walter Ulbricht hat auf einem SED-Parteitag im Jahre 1954 gesagt:
    Wir sind für die Einheit Deutschlands, weil die Deutschen im Westen unserer Heimat unsere Brüder sind, weil wir unser Vaterland lieben, weil wir wissen, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands eine unumstößliche historische Gesetzmäßigkeit ist und jeder zugrunde gehen wird, der sich diesem Gesetz entgegenzustellen wagt.
    So Walter Ulbricht 1954!
    In den allerletzten Wochen hat nun der Staatsratsvorsitzende der DDR, Herr Erich Honecker, von einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten unter sozialistischen Vorzeichen gesprochen.
    Die beiden kommunistischen Zitate zeigen — trotz ideologischer Verpackung —, daß die Idee der deutschen Einheit auch in der DDR nicht so tot ist, wie die Abgrenzungspolitiker es uns glauben machen wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Weil die Bürger in der DDR ohne Identifikation mit der deutschen Nation nicht leben können, können SED-Führung und Staatsführung drüben an dieser Notwendigkeit nicht vorbeisehen, wie oft sie es auch in den vielen Jahren dazwischen immer wieder versucht haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Vor Jahr und Tag hat der Gedanke an Annäherungen zwischen Ost-Berlin und Bonn, zwischen den beiden deutschen Staaten, häufig den Argwohn Dritter ausgelöst: Die deutsche Frage schien den Status Europas zu beunruhigen; sie schien den Frieden Europas zu gefährden. Heute ist das eher umgekehrt: Unruhe und Angst in der Welt und in Europa gefährden das inzwischen erreichte Maß an deutsch-deutscher Zusammenarbeit.
    Die von der Regierung der DDR unter diesen Weltumständen im letzten Herbst verfügte Erhöhung und Ausweitung der Mindestumtauschsätze im Reiseverkehr ist dafür ein Beispiel. Sie hat den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten einen erheblichen Rückschlag versetzt. Der Reiseverkehr in die DDR, der sich bis zum Oktober normal entwickelt hatte, ist danach drastisch zurückgegangen, besonders in Berlin. Die Bundesregierung erwartet, daß die Führung der DDR diesen Eingriff in den Bestand an menschlichen Kontakten korrigiert.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dies ist wieder einmal ein Rückschlag; es ist kein Ende, kein Scheitern unserer Politik der Minderung von Spannungen und des Interessenausgleichs. Wir haben uns auch früher durch Rückschläge nicht aus dem Gleis werfen lassen, und wir werden auch zukünftig Abgrenzung nicht unsererseits mit eigener Abgrenzung beantworten.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP)

    Wir bieten vielmehr auch für die Zukunft den Ausbau der Zusammenarbeit und der Beziehungen mit der Deutschen Demokratischen Republik an.
    Ich lese mit Aufmerksamkeit bei Generalsekretär Honecker, daß die DDR danach strebe, die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu normalisieren, und daß Möglichkeiten zur Weiterentwicklung dieser Beziehungen durchaus vorhanden seien.
    Tatsächlich ist die Weiterentwicklung der Beziehungen von entscheidender Bedeutung — im Sinne



    Bundeskanzler Schmidt
    der gutnachbarlichen Beziehungen, wie wir sie im Grundlagenvertrag gewollt haben.
    Nun hat Herr Honecker kürzlich in Gera gefordert, daß wir in einigen Grundsatzfragen die von der DDR seit langem vertretenen Positionen akzeptieren sollen. Ich muß mich dazu heute nicht im einzelnen äußern.
    Zu einem Punkt will ich aber in einem Exkurs unsere Position erneut umreißen, nämlich in der Staatsangehörigkeitsfrage. Sie ist durch den Grundlagenvertrag bekanntlich nicht berührt worden. Die Bundesregierung hält unverändert und klar an der deutschen Staatsangehörigkeit fest.
    Überall in der Welt gehört es zu den Rechten des Staates, die Bedingungen des Erwerbs, des Besitzes und des Verlustes der Staatsangehörigkeit zu bestimmen. Dementsprechend lassen wir uns nicht das Recht bestreiten, an der deutschen Staatsangehörigkeit festzuhalten, wie sie uns durch das Grundgesetz vorgegeben ist.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Wir beeinträchtigen damit keine Rechte anderer Staaten, insbesondere keine Rechte der DDR. Es bleibt dabei, daß alle Deutschen, die — woher auch immer in der Welt — zu uns kommen, die Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes und den Schutz der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland erhalten sollen.
    Wir wissen, daß die DDR 1967 ein eigenes Staatsbürgerschaftsgesetz erlassen hat. Aber die DDR muß wissen, daß ihre Staatsbürgerschaftsgesetzgebung weder die deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne unseres Grundgesetzes noch unsere Gesetzgebung berühren kann. Unsere Seite wird — damit will ich den Exkurs abschließen — diese beiden Gesichtspunkte bei ihrem Verhalten in der Praxis berücksichtigen.
    In der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik wird die besondere Pflicht der Deutschen zur Erhaltung des Friedens erkannt. Beide deutsche Staaten tragen Verantwortung dafür, daß von ihrem Verhältnis zueinander keine zusätzlichen Belastungen für das West-Ost-Verhältnis in Europa ausgehen. Dazu gehört auch, daß an den Grenzen durch Deutschland nicht mehr geschossen wird.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Außenminister Genscher hat jüngst bei der Eröffnung des KSZE-Treffens in Madrid mit Recht gesagt: „Uns bedrückt, daß die Sperranlagen an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten fortbestehen und weiter perfektioniert werden. Wir können und wollen uns damit nicht abfinden." Ich selbst habe am letzten Wochenende im Landkreis LüchowDannenberg an mehreren Stellen den schier unglaublichen technischen und militärischen Aufwand der DDR an der Grenze erneut in mich aufgenommen. Das ist ein wahrlich abstoßendes Erlebnis.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Es hilft aber nichts, beide deutschen Staaten müssen sich gleichwohl in ihrem politischen Handeln in besonderer Weise mäßigen, und sie müssen auch in schwierigen Zeiten miteinander reden.
    Nach einer Reihe politischer Begegnungen in der ersten Jahreshälfte 1980 und nach einem sehr nützlichen längeren Gespräch zwischen Herrn Honecker und mir in Belgrad mußte mein für August vorbereitetes Treffen mit dem Generalsekretär verschoben werden. Das hatte seinen Grund in erregenden außerdeutschen Entwicklungen in Europa, Entwicklungen, die auch heute noch andauern, die uns heute genauso besorgt machen. Der Entschluß zur Verschiebung dieses Besuchs ist mir um so schwerer gefallen, als das ursprünglich schon für die ersten Monate des Jahres 1980 verabredete Treffen wegen der Zunahme der Spannungen zwischen West und Ost nach dem Einmarsch in Afghanistan auf Wunsch von Herrn Honecker schon einmal hatte verschoben werden müssen. Ich halte daran fest, daß das Gespräch über den Gesamtkomplex der Beziehungen zwischen unseren Staaten und über aktuelle internationale Fragen zu einem für beide Seiten besser geeigneten Zeitpunkt geführt wird. Dieser Zeitpunkt hängt offenkundig von der internationalen Entwicklung ab.
    Wir haben in den letzten zehn Jahren mit der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition, mit dem Grundlagenvertrag und den anderen Vereinbarungen, ein umfangreiches Netz von Gesprächen und Kontakten zwischen beiden deutschen Staaten entwickelt. Durch diese Politik ist vieles erreicht worden. Manches ist sogar schon selbstverständlich geworden, ohne daß wir uns noch der Veränderungen bewußt sind.
    Auch der Handel hat sich im letzten Jahr positiv entwickelt. Beide Seiten können mit der im vergangenen Jahr erreichten Zuwachsrate und mit dem Volumen zufrieden sein. Es ist ganz gut, daß die bilateralen Handelsströme ausgeglichen waren. Das eröffnet günstige Aussichten für die Zukunft. Die Bundesregierung hat den Willen, die Entwicklung und den Ausbau des innerdeutschen Handels auch weiterhin zu fördern.
    Auch 1980 haben uns viele Rentner und Rentnerinnen aus der DDR besucht. Millionen von Telefongesprächen werden geführt. Ich betone auch die nichtstaatlichen Kontakte zwischen Sportverbänden, Gewerkschaften, im kirchlichen und kulturellen Bereich, beispielsweise bei den Filmwochen. Wir möchten, daß alle diese Kontakte ausgebaut und verbreitert werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Vor einer langen Zahl von Jahren — im März 1968 bei der ersten Debatte über die „Lage der Nation", die im Bundestag stattgefunden hat — habe ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sprechen dürfen. Ich habe mich damals an die Jugend der DDR gewandt und festgestellt, daß diese Jugend in der DDR unserer Bundesrepublik Deutschland ziemlich kritisch gegenüberstehe, daß ihr oft das Verständnis oder das Einfühlungsvermögen in unsere Gesellschaft, in unsere Gesellschaftsordnung ebenso fehle wie uns hier oft die Maßstäbe, die Begriffe fremd sind, die in der DDR gelten. Ich wies auf



    Bundeskanzler Schmidt
    die Gefahr solcher Entwicklungen hin und sagte: „Beide Teile müssen sich befähigen, einander zu begreifen ... Auch dies gehört zur innerdeutschen Friedenspolitik."
    Das bleibt auch heute richtig und wichtig: einander gegenseitig zu begreifen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich weiß, daß aus mancherlei Gründen viele Menschen bei uns kaum je in die DDR reisen. Aber ich bitte alle, die dort Verwandte und Freunde haben — und man muß nicht unbedingt Verwandte und Freunde haben —, ich bitte alle, die sich interessieren, vor allen Dingen unsere jüngeren Mitbürger: Lassen Sie sich nicht entmutigen, reisen Sie bitte auch zukünftig in die DDR, hören Sie zu und sprechen Sie auch selbst!

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Deutschland zwischen Riesengebirge und Ostsee, das ist auch eine Fülle sehr schöner Landschaften und Städte — vor allem aber: die Mecklenburger, die Pommern, die Brandenburger, die Sachsen, die Thüringer, die Berliner, sie müssen im Gespräch unsere Zuneigung spüren können!

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Berlin und den Berlinern gilt das ganz unmittelbare politische, wirtschaftliche und menschliche Engagement des Bundestages und der Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Mauer in Berlin wurde vor 20 Jahren gebaut. Immer noch wirft sie einen schlimmen Schatten auf unser Land. Und wir werden uns nicht mit dieser Mauer abfinden.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Vor zehn Jahren, im Herbst 1971, wurde das Viermächteabkommen unterzeichnet, an dem wir festhalten, so wie bisher. Es hat wesentlich zur Stabilisierung der Lage in und um Berlin beigetragen. Die Zahl der Transitreisen hat sich seitdem verdoppelt. Besuche in Ost-Berlin und in der DDR gehören wieder zum Berliner Alltag, und jeden Tag, jeden Abend führen die Berliner Tausende von Telefongesprächen mit Verwandten und Freunden im Ostteil der Stadt und in der DDR.
    Maßstab unserer Berlin-Politik ist die sorgfältige Abwägung zwischen dem, was rechtlich zulässig ist, und dem, was politisch vernünftig ist. Wir handeln dabei im engen Einvernehmen mit den Drei Mächten, die auf der Grundlage ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten die Sicherheit und die Freiheit Berlins garantieren.
    Die Stabilität Berlins ist auch über Deutschland hinaus wichtig. Der Regierende Bürgermeister Dr. Vogel hat in seiner Regierungserklärung gesagt, Berlin brauche vor allem Hoffnung, Zuversicht und
    Selbstbewußtsein. Er hat recht. Und dies gilt für das ganze Volk! Es gilt für Berlin, und es gilt für uns!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich denke, der neue Regierende Bürgermeister und sein Stellvertreter, Bürgermeister Brunner, und der ganze neue Senat können den Berlinern Hoffnung, Zuversicht und Selbstbewußtsein geben,

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Ha, ha, ha! — Kittelmann [CDU/CSU]: Daran glauben Sie doch selber nicht!)

    ähnlich wie früher Louise Schröder oder Ernst Reuter oder Willy Brandt. Diese drei waren auch nicht in Berlin geboren — aber sie sind zu Berlinern geworden, als wären sie mit Spreewasser getauft.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Der arme Schütz! Und Albertz! Und Stobbe! 15 Jahre Geschichte werden ausradiert! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Unruhe ist mir verständlich, und sie macht mir Freude.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Warten Sie mal ab!)

    Bundesregierung und Bundestag werden den Berlinern weiterhin helfen. Wir haben das Instrumentarium der Bundeshilfe und der Berlinförderung verbessert. Berlin braucht vor allem aber

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine neue Regierung!)

    das fortwährende Engagement der privaten Wirtschaft. Und wir brauchen wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Beiträge für Berlin. Und wir brauchen ebenso wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Beiträge aus Berlin für uns alle.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Stadt und ihre Menschen tragen nicht nur die Lasten der Vergangenheit, sie tragen nicht nur Probleme der Gegenwart, sondern sie tragen auch unsere Hoffnungen für die Zukunft. Deshalb stehen wir zu den Berlinern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, die Gesamtlage der Welt und die Lage der Deutschen Nation insgesamt ertragen heute weniger denn je große Worte; vielmehr brauchen wir Mäßigung — auf beiden Seiten. Wir Deutsche müssen behutsam miteinander umgehen, das Erreichte bewahren und ausbauen. Wir müssen beharrlich sein, und wir müssen füreinander berechenbar bleiben. Das gilt für die Bundesrepublik und die Deutsche Demokratische Republik gleichermaßen: füreinander berechenbar bleiben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Mäßigung, Beharrlichkeit und Berechenbarkeit sind nicht gerade traditionelle Tugenden der Deutschen. Vielmehr müssen wir sie zu deutschen Tugenden entwickeln, wenn wir in unserer sehr besonde-



    Bundeskanzler Schmidt
    ren geschichtlichen und sehr besonderen geographischen Situation bestehen wollen. In dieser Situation — nach Hitler, nach Auschwitz, an der Nahtstelle zwischen West und Ost, im Zentrum Europas — können wir Deutsche Europa als Ganzem mehr nützen als viele andere, aber wir Deutsche können Europa auch mehr schaden als viele andere. Wenn es gut geht in Europa, dann können wir Deutsche einen großen Vorteil davon haben. Wenn es schlecht geht, wird die Deutsche Nation am meisten leiden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir erkennen: Aus unserer geographischen Lage, aus unserer geschichtlichen Situation folgert in besonderem Maße die Pflicht zum Frieden; nicht als illusionärer Pazifismus, sondern als Pflicht zu einer konkreten Politik, die den Frieden nicht als paradiesischen Zustand versteht, auch nicht als Friedhof s-ruhe! Wir erkennen den Frieden vielmehr als einen Zustand, der unter den Staaten immer neu gestiftet werden muß

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    durch Erhaltung und Wiederherstellung des Gleichgewichts auf möglichst niedrigem militärischem Niveau, durch Verhandlungen und Verträge, durch die Schaffung gegenseitigen Vertrauens, durch Zusammenarbeit, das heißt: durch die gemeinsame Gestaltung des Friedens.
    Gleichgewicht ist eine unerläßliche Voraussetzung. Es wäre ja auch kein Rüstungsbegrenzungsvertrag ohne Gleichgewichtsprinzip, ohne Gleichheitsprinzip vorstellbar. Aber Gleichgewicht allein reicht für den Frieden keineswegs aus. Man muß auch miteinander reden, wenn man den Frieden will. Man muß aufeinander hören. Man muß die Interessen zum Ausgleich und zum Kompromiß bringen. Man muß nach Fortschritten in Richtung auf dauerhafte Lösungen suchen.
    Dies war der Inhalt des Harmel-Berichts, den das Nordatlantische Bündnis 1967 angenommen hat. Dies ist auch heute immer noch richtig. Es ist auch heute richtig — für die beiden deutschen Staaten und für die eine deutsche Nation.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)