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    Plenarprotokoll 9/26 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 26. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 1151 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft — Drucksache 9/124 — Frau Dr. Wex CDU/CSU 1151 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 1154 B Eimer (Fürth) FDP 1157 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 1159 C Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 1161 C Frau Verhülsdonk CDU/CSU 1165 A Frau Fromm FDP 1167 D Frau Steinhauer SPD 1169 C Schmidt, Bundeskanzler 1171 C Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 1174 B Frau Matthäus-Maier FDP 1176 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 1179 B Frau Karwatzki CDU/CSU 1181 A Dr. Diederich (Berlin) SPD 1183 C Frau Dr. Wilms CDU/CSU 1185 B von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI . 1187 D Frau Dr. Timm SPD 1188 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Klein (Göttingen), Dr. Wittmann, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Dregger und der Fraktion der CDU/CSU Auswirkungen rechtspolitischer Entscheidungen oder Unterlassungen — Drucksache 9/183 — Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . . .1207 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . .1215 B Dr. Emmerlich SPD 1221 B Kleinert FDP 1226 A Dr. Hillermeier, Staatsminister des Freistaates Bayern 1230 A Dr. Herzog, Minister des Landes BadenWürttemberg 1237 A Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 1240 D Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1246 D Schmidt, Bundeskanzler 1250 C Dr. Kohl CDU/CSU 1256 C Engelhard FDP 1262 A II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/210 — 1264 D Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/162 — 1265 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dollinger, Pfeffermann, Bühler (Bruchsal), Neuhaus, Linsmeier, Lintner, Maaß, Weirich, Dr. Riedl (München), Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Wörner, Sauter (Epfendorf), Dr. Jenninger, Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 9/128 — Dr. Linde SPD 1265 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1981 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1981) — Drucksache 9/228 — 1265 C Fragestunde — Drucksache 9/226 vom 13. 03. 1981 — Benachteiligung der Versicherten in Großstädten durch die geplante neue Regionalstruktur der Kraftfahrzeughaftpflichtprämien MdlAnfr 68, 69 13.03.81 Drs 09/226 Fischer (Hamburg) CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . 1191 A, C, D, 1192 A, B ZusFr Fischer (Hamburg) CDU/CSU . 1191 B, C, 1192 A Wettbewerbsnachteile der deutschen Stahlindustrie durch den EG-Ministerratsbeschluß MdlAnfr 70 13.03.81 Drs 09/226 Menzel SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 1192 B, D, 1193 A, B, C, D, 1194 A ZusFr Menzel SPD 1192 D ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . . 1193 A ZusFr von der Wiesche SPD 1193 B ZusFr Dr. Lammert CDU/CSU 1193 B ZusFr Meininghaus SPD 1193 C ZusFr Urbaniak SPD 1193 D Einführung einer Grenzabgabe für einreisende Autobusse und Erhöhung der Abfertigungsgebühren für Lastzüge in Dänemark MdlAnfr 72, 73 13.03.81 Drs 09/226 Stutzer CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1194 A, B, C, D, 1195 A ZusFr Stutzer CDU/CSU . . . . 1194 C, D, 1195 A Vorfinanzierung der Kraftwerke in Cattenom durch Stromabnahmeverträge deutscher Energieversorgungsunternehmen mit der Electricité de France MdlAnfr 74 13.03.81 Drs 09/226 Schreiner SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1195 A, B, C, D ZusFr Schreiner SPD 1195 B, C ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . .1195 C ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1195 D Rückgang der Zahl der Genehmigungen zur Ausreise aus Polen und der Sowjetunion seit 1978 MdlAnfr 39, 40 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Bötsch CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1196 B, D, 1197 A, B, C ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1196 C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1197 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1197 B Pflege deutscher Kriegsgräber in der Sowjetunion MdlAnfr 44 13.03.81 Drs 09/226 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1197 C, 1198 A, B, C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 1197 D, 1198 A ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1198 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1198 B ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1198 C Festnahme von vier deutschen Staatsbürgern nach einem Gewerkschaftstreffen in Santiago de Chile MdlAnfr 45 13.03.81 Drs 09/226 Weisskirchen (Wiesloch) SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1198 D, 1199 A ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 1198 D ZusFr Hansen SPD 1199 A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 III Verzicht auf die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa MdlAnfr 46 13.03.81 Drs 09/226 Thüsing SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1199 A, D ZusFr Hansen SPD 1199 D Störung der Entspannungspolitik durch Sendungen von Radio Free Europe und Radio Liberty MdlAnfr 47, 48 13.03.81 Drs 09/226 Hansen SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1200 A, B, D, 1201A,C,D, 1202A,B ZusFr Hansen SPD 1200 B, C, D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1201 A, B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1201 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . 1201 C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1201 D ZusFr Thüsing SPD 1202 A ZusFr Dr. Schöfberger SPD 1202 B Reaktion der Bundesregierung auf die Festnahme des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw sowie Folgerungen für den Akademikeraustausch und das Kulturabkommen mit der CSSR MdlAnfr 49 13.03.81 Drs 09/226 Engelsberger CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1202 C, D, 1203 A, B ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1202 D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1203 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 A Protest gegen die Inhaftierung des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw bei der tschechoslowakischen Regierung MdlAnfr 50 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . .1203 C Überreichung von Listen mit Härtefällen der Familienzusammenführung und Ausreise an osteuropäische Delegationen während des KSZE-Nachfolgetreffens in Madrid MdlAnfr 51 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 D, 1204 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . . 1203 D, 1204 A Vereinbarkeit der Anwesenheit des Wachbataillons „Feliks Dzierzynski" in Ost-Berlin mit dem entmilitarisierten Status GroßBerlins MdlAnfr 52 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 A, B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . 1204 B ZusFr Thüsing SPD 1204 C Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen des fünf Jahre in Warschau inhaftierten Deutschen Achim Rösch gegenüber der polnischen Regierung MdlAnfr 53 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 C, 1205 A ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . .1205 A Benachteiligung von Bundeswehroffizieren aus der Truppe gegenüber Bundeswehrhochschulabsolventen durch das geänderte Punktesystem für die Einstellung von Berufsoffizieren MdlAnfr 75, 76 13.03.81 Drs 09/226 Daweke CDU/CSU Antw StSekr Dr. Hiehle BMVg . 1205 B, 1206 C, D, 1207 A ZusFr Daweke CDU/CSU 1206 B, C, D Nächste Sitzung 1265 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1266* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 1151 26. Sitzung Bonn, den 19. März 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Böhme (Freiburg) 20. 3. Büchner (Speyer) * 20. 3. Dr. Enders * 20. 3. Fellner 20. 3. Dr. Geißler 20. 3. von der Heydt Freiherr von Massenbach 20. 3. Dr. Hubrig 20. 3. Jung (Kandel) 20. 3. Kiehm 20. 3. Kittelmann * 20. 3. Korber 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Männing 20. 3. Dr. Mitzscherling 20. 3. Dr. Müller * 20. 3. Müller (Wadern) * 20. 3. Picard 20. 3. Reddemann ** 19. 3. Frau Roitzsch 20. 3. Frau Schlei 20. 3. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 20. 3. Voigt (Frankfurt) 20. 3. Dr. Wendig 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Will-Feld 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Frau Prä-



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehrere Redner, darunter insbesondere mein bisheriger Landsmann Herr Staatsminister und Kollege Hillermeier, haben in ihren heutigen Beiträgen ein lebhaftes Interesse für Berlin gezeigt. Als Regierender Bürgermeister von Berlin kann ich das nur positiv würdigen. Ich hoffe allerdings, daß dieses Interesse auch in anderen Zusammenhängen anhält, z. B. demnächst bei der Beratung eines Berliner Initiativantrags, im Bundesrat schon eingebracht, zum verbesserten Schutz der Mieter vor Eigenbedarfsklagen nach Umwandlung von Altbaumietwohnungen in Eigentumswohnungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Da kann man vielen Menschen — nicht nur in Berlin — Besorgnisse nehmen und ihnen statt dessen Hoffnungen geben. Weiter könnte dieses Interesse für Berlin bei der Verlängerung des Schwarzen Kreises in Berlin bis 1990 — übrigens einer übereinstimmenden Willensbildung der Berliner Parteien folgend — oder auch bei der Beratung bodenrechtlicher Vorschläge bekundet werden. Ich bin zwar ganz sicher, daß Sie auch dann, Herr Kollege Hillermeier, das Wort ergreifen, allerdings bin ich mir über den Inhalt Ihrer Ausführungen dann nicht im gleichen Maße sicher, wie ich heute sicher sein konnte.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier — das darf ich dem Kollegen Erhard in Erinnerung an manche frühere Debatten vielleicht sagen — geht es wirklich um die Gestaltung, nein, um die Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse mit den Mitteln des Rechts. Das ist nämlich die Aufgabe der Rechtspolitik, das ist der Sinn der Rechtspolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier geht es um Prävention, um Vorbeugung, hier geht es darum, Schäden erst gar nicht entstehen zu lassen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Sie sind aber doch eingetreten! Sie waren doch Justizminister, Sie waren Wohnungsbauminister! Das ist doch unter Ihrer Führung eingetreten!)

    — Das ist unstreitig, das stelle ich doch gar nicht in Abrede.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Nur die Folgen wollen Sie nicht wahrhaben!)

    Ich glaube, da ist das ganze Haus einig, daß ich das war.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Mit welch schlechten Ergebnissen!)

    Ich höre keinen Widerspruch.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gegenstand der Erörterungen ist heute die Rechtspolitik, und zwar auf der Grundlage einer Regierungserklärung des Herrn Kollegen Schmude. Ich darf die Gelegenheit benützen, um meinem Nachfolger im Amt zu dieser Erklärung zu beglückwünschen. Sie zeigt ein hohes Maß an Kontinuität und einen umfassenden Zugang zur Fülle der rechtspolitischen Probleme.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Manche verengen allerdings diese notwendige Breite der Rechtspolitik und beschränken sich auf die Stichworte Polizei, Räumung, Verhaftung, neue Polizeiwaffen, Verschärfung des Strafrechts. Sie meinen, wenn von Rechtspolitik die Rede ist, in erster Linie seien für die Probleme, die uns alle mit Sorgen erfüllen, schärfere Strafen notwendig. Andere — so habe ich Sie heute wieder verstanden, Herr Kollege Hillermeier — meinen, in erster Linie mangele es an neuen Polizeiwaffen, z. B. an den Gummigeschossen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht gesagt worden, Herr Vogel, das stimmt doch gar nicht! Ich war doch hier im Saal!)

    — Herr Kollege Kohl, meine Aufmerksamkeit war ungeteilter als die Ihre. Sie hatten noch Nebengespräche zu führen; das verstehe ich gut.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Sie zitieren doch bewußt falsch! — Rawe [CDU/CSU]: Lesen Sie doch das Protokoll! Unverschämt!)

    Im übrigen, lieber Herr Kollege Kohl, gibt es eine sehr einfache Verfahrensweise, das entstandene Mißverständnis, das ich dann selbstverständlich bedauere, zu beheben, indem Herr Kollege Hillermeier nach mir an dieses Pult tritt und sagt, daß er keine Gummikugeln und keine Brechreiz verursachenden Mittel befürworte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sie behaupten jetzt die Unwahrheit, und dann soll Herr Hillermeier sich äußern? — Wehner [SPD]: Lassen Sie Ihr Geschrei sein, Herr Kohl!)

    — Herr Kollege Kohl, wenn Sie jetzt schon aufgeregt sind, wie soll das denn in zehn Minuten werden?

    (Heiterkeit bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Herr Kollege Vogel, Sie werden in den nächsten Wochen aufgeregt sein!)

    — Herr Kollege Kohl, Sie fallen da einer Verwechselung zum Opfer; ich jedenfalls nicht. — Also, ich höre mit Interesse, daß sich der Herr Kollege Hillermeier — unter dem lebhaften Zuruf des Herrn Kollegen Kohl — von Gummikugeln und Brechreiz verursachenden Mitteln distanziert. Das halte ich für einen Fortschritt, das begrüße ich. —

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Andere sagen, in Berlin sei der Rechtsstaat gefährdet, es gebe dort rechtsfreie Räume. Gut, auch diese Sorge muß, vor allen Dingen dann, wenn sie in ernsthaftem Ton und ohne ein überflüssiges Maß an Emotionen vorgetragen wird, ernst genommen werden. Aber was ist denn die Wahrheit? Ist es wahr, daß in Berlin Gewalttaten nicht verfolgt werden? Ist es wahr, daß dort das Recht, die Verfassung, wie behauptet wurde, partiell außer Kraft gesetzt sei?



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    Meine Damen und Herren, das ist natürlich nicht wahr. Wahr ist vielmehr, daß in Berlin Gewalt und Straftaten ebenso verfolgt werden wie anderswo, allerdings Taten, für die ein konkreter Verdacht besteht. Kollektive Festnahmen, bei denen man auch bewußt die Festnahmen Unschuldiger, wie man hinterher hört, in Kauf nimmt, finden in Berlin nicht statt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Im übrigen: Für den Juristen ist, Herr Kollege Hillermeier, die Wahl des Begriffes „Festnahme" — also nicht „Verhaftung", sondern „Festnahme" — zu bedenken.
    Das sind die Berliner Fakten: In Berlin sind seit dem 23. Januar 1981 168 Personen wegen Straftaten, die im Zusammenhang mit Ausschreitungen anläßlich von Demonstrationen begangen worden sind, festgenommen worden. Von diesen 168 Personen befinden sich noch 11 in Haft, darunter — das wird das Haus insgesamt und insbesondere auch Sie, Frau Präsidentin, interessieren — die beiden Personen, die dringend verdächtig sind, in einer Ausstellung im Reichstag einen Brand gelegt zu haben. Dem Wachbeamten, der umsichtig und mit persönlicher Gefährdung die beiden festgenommen hat, habe ich inzwischen in meinem Amtszimmer die Anerkennung ausgesprochen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    52 Personen sind wegen Straftaten, die in oder aus besetzten Häusern begangen worden sind, festgenommen worden. Davon sind 47 Personen in besetzten Häusern festgenommen worden. Davon ist noch eine Person auf Grund richterlicher Entscheidung in Haft.
    Ich frage Sie, meine Damen und Herren, wo sind angesichts dieser Zahlen und dieses Berichtes die rechtsfreien Räume?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Über 100 Häuser!)

    Richtig ist, daß in Berlin keine sinnlosen Aktivitäten unternommen werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es gibt dort über 800 leerstehende Häuser. Es ist gar nicht möglich, sie alle — —

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wem gehören die?)

    — Aber, meine Damen und Herren, das habe ich doch wiederholt erklärt — Herr Kollege von Weizsäcker hat dies auf der Zuhörertribüne des Berliner Abgeordnetenhauses gehört und kann es bestätigen —: Zu über der Hälfte gehören sie landeseigenen Gesellschaften, weil sie von denen erworben worden sind. Das ist doch eine Tatsache, da gibt es doch gar keinen Streit. Es gibt über 800 leerstehende Häuser. Es ist gar nicht möglich, alle diese 800 Häuser durch die Polizei zu sichern, d. h. genauer: durch die Polizei zu besetzen; anders können Sie sie nicht sichern. Das wäre sogar eine ganz gefährliche Verzettelung der Polizeikräfte, das würde zu einer Vernachlässigung der eigentlichen Aufgaben der Polizei führen.
    Wir befolgen auch bei der Frage der Räumung das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit. Wir räumen bei jeder neuen Besetzung dann, wenn ein Strafantrag gestellt ist und gleich nach der Räumung Instandsetzungsarbeiten beginnen oder ein legaler Abriß im Sinne der geänderten Modernisierungspolitik stattfindet. Wir räumen nicht, wenn das geräumte Haus dann weiter Wochen, Monate und Jahre leersteht oder die Betroffenen nur von einem leeren Haus in ein anderes gejagt werden. Nach diesen Leitlinien hat bislang die Besetzung von acht Objekten ein Ende gefunden. Die Berliner Polizei — einschließlich ihrer Führung — verdient für diese besonnene und engagierte Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch von dieser Stelle aus Dank, Lob und Anerkennung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich frage das Haus: Was ist denn daran eigentlich zu kritisieren? Der designierte Landesvorsitzende der Berliner CDU, mein sehr verehrter Gegenkandidat, Herr von Weizsäcker, hat selber wörtlich folgendes gesagt:
    Es hat keinen Sinn, unter den heutigen Bedingungen in Berlin-Kreuzberg mit staatlicher Gewalt ein Haus räumen zu lassen, wenn 50 leere danebenstehen. Gerade im Falle Kreuzberg läßt sich die Durchsetzung des Rechts nur mit einer kurz- und mittelfristig geänderten Wohnungspolitik erreichen.
    Er hat vollständig recht. Was also ist daran zu kritisieren?

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Die Wohnungsbaupolitik!)

    — Ja, aber selbstverständlich, die kritisiere ich ja mit Ihnen. Aber nun frage ich Sie: Warum ist denn das in den Städten, in denen Sie Verantwortung tragen, genauso?

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: In Berlin aber doch nicht!)

    — Entschuldigung, aber Berlin ist doch bei aller Bedeutung nicht die einzige Großstadt der Republik. Ich darf noch weitere, zumindest bei dem Teil der CDU sicher ganz unverdächtige Zeugen zitieren: Oberbürgermeister Rommel, der amtierende Präsident des Deutschen Städtetages. Er sagt wörtlich:
    Es ist meist falsch, ein Haus mit polizeilichen Mitteln räumen zu lassen, wenn es monatelang leersteht, also möglicherweise von der Polizei selbst besetzt werden muß.
    Gilt das oder gilt das nicht?
    Neuerdings nähert sich Herr Kollege von Weizsäcker — ich bedauere das — eher den einfacheren Parolen und spricht auch seinerseits von rechtsfreien Räumen, Abbau des Rechtsstaates und dergleichen mehr.
    Ich habe die Sorge — und dies meine ich ernst, sehr ernst —, Liberalität ist offenbar in der Union

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ach, Herr Vogel, hören Sie doch auf mit diesen scheinheiligen Reden, die Sie hier führen!)




    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    in kritischen Situationen schwer durchzuhalten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das weiß — und Herr von Weizsäcker kennt den Zeugen, den ich jetzt dafür aufrufe —

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das sagt einer der größten Opportunisten der deutschen Sozialdemokraten!)

    auch Herrn Professor Kewenig. Das ist der Angehörige des CDU-Teams, der vorübergehend — bis zu seiner Befragung — für parteilos gehalten wurde. Herr Professor Kewenig schrieb wörtlich folgendes
    — und nun, Herr Kohl, darf ich Sie bitten, vielleicht in großer Ruhe die Auseinandersetzung nicht mit mir, sondern mit Herrn Kewenig zu führen —:
    Zwar hat sich inzwischen auch in eher konservativ gesinnten CDU-Kreisen herumgesprochen, daß man in jeder von der CDU gebildeten Regierung oder auch im Parteivorstand nicht nur eine Frau und einen Arbeitnehmervertreter, sondern auch einen liberalen Kopf vorweisen können sollte. Man schmückt sich mit ihm wie mit einem Aushängeschild, macht ihm sogar möglicherweise Konzessionen in der Regierungserklärung oder im Parteiprogramm; aber
    — das sagt nicht Vogel, sondern Kewenig —
    wenn es konkret um die Durchsetzung politischer Absichtserklärungen innerhalb von Regierung oder Partei geht, dann erfahren die Wähler immer wieder, daß die Liberalen in der Union erhebliche Schwierigkeiten haben. Dieser Befund kann eigentlich nur den politisch Unerfahrenen überraschen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe der Abgeordneten Dr. Kohl [CDU/CSU] und Dr. Jenninger [CDU/CSU])

    So unerfahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Sie doch gar nicht.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Aber Entschuldigung; wenn ich noch nicht einmal ein Mannschaftsmitglied von Herrn Weizsäcker zitieren darf, j a, was soll ich denn dann noch?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sie können doch zitieren, was Sie wollen; kümmern Sie sich doch um Ihre Dinge in der Sozialdemokratischen Partei und überlassen Sie uns unsere Diskussion!)

    — Also, lieber Herr Kollege Kohl, solange ich im Hause war, waren Sie viel ruhiger. Ich weiß nicht, was da mit Ihnen passiert ist.

    (Heiterkeit bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich frage also: Was soll eigentlich gelten, die Berliner Linie oder die Nürnberger Linie, die wir gerade erläutert bekommen haben, wobei Nürnberg nicht für die Stadt, sondern eher für die Linie der Bayerischen Staatsregierung steht, wenn ich das richtig verstanden habe?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was die Sicherheitsorgane in Berlin tun, das ist rechtmäßig; mehr noch, es ist verfassungsgemäß. Denn zu unserer Rechtsordnung, zu unserer verfassungsmäßigen Ordnung gehört auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit. In den Auseinandersetzungen wird ja gelegentlich so getan, als wenn die Beachtung der Verhältnismäßigkeit Opportunismus wäre, als wenn die Beachtung der Verhältnismäßigkeit ein Ausweichen vom Recht wäre. Dem muß mit Deutlichkeit und Festigkeit entgegengetreten werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verhältnismäßigkeit eines der konstituierenden Prinzipien unserer Rechtsstaatlichkeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Zweifel zieht oder gar spöttisch verächtlich macht, der setzt sich mit der geltenden Verfassungsordnung auseinander; lassen Sie mich das hinzufügen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Im übrigen: auch andere, die Verantwortung haben, handeln doch nach diesem Grundsatz. Der Herr Kollege Stoltenberg hat in einer sehr eindrucksvollen Rede am vergangenen Freitag im Bundesrat über seine Brokdorfer Erfahrungen berichtet und hat ein Gesprächsangebot gemacht, das von anderen Ministerpräsidenten und auch von mir gerne aufgenommen worden ist. Er hatte die Erfahrung, daß es verhältnismäßig war, die Durchbrechung des vom Verfassungsgericht bestätigten Verbots, daß kein Demonstrant näher als 5 Kilometer an Brokdorf heran darf, zu dulden und die Machtmittel des Staates richtigerweise dann um die Baustelle herum einzusetzen. Man hat ein vom Gericht bestätigtes Verbot unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit nicht durchgeführt und hat großes Unheil abgewendet. Ich stimme dem zu.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Das ist ein überragender Liberaler!)

    Ich sehe meinen alten Kollegen und auch — ich sage das freundschaftlich — Widersacher Herrn Professor Klein. Er ist Professor an der Universität Göttingen. Herr Kollege Klein, mit Zustimmung des niedersächsischen Innenministers und des niedersächsischen Justizministers — es ist mir neuerdings von einem der beiden Herren bestätigt worden — ist eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsanordnung in Göttingen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu dem angeordneten Zeitpunkt nicht vollzogen worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Für wen reden Sie eigentlich?)

    — Ich rede für die, die zuhören, und für diejenigen, die aufmerksam meinen Gedanken folgen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich bin dem Herrn Kollegen Herzog, den ich insbesondere auch als Staatsrechtler sehr schätze und der zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit sicher keine abweichende Meinung vertritt, dankbar dafür, daß er hier differenziert hat. Er hat auch selbst Leit-



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    Linien für Großeinsätze der Polizei erlassen, mit Datum vorn 2. Februar 1981. Da sagt er — ich zitiere wörtlich und bitte sofort um ein Zeichen, wenn es nicht korrekt sein sollte —:
    Besondere Abwägung erfordert die Situation bei illegalen Hausbesetzungen. Maßnahmen gegen Besetzungen, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung in nicht vertretbarer Weise beeinträchtigt wird
    — der Jurist könnte hier herauslesen, daß es auch Besetzungen gibt, die in vertretbarer Weise beeinträchtigen, sonst macht der Satz keinen Sinn; aber das ist nicht mein Punkt —
    sind mit den zuständigen Stellen oder Berechtigten abzusprechen.
    Jetzt kommt der für mich entscheidende Satz:
    Art und Umfang der polizeilichen Maßnahmen können abhängig sein von den Motiven der Besetzer,
    — man höre! —
    von der voraussichtlichen Dauer der Besetzung, dem Personenkreis der Besetzer und der Art, der Lage und dem Zustand des Objekts.
    Sehr vernünftig; dies wenden wir in Berlin auch an. Das ist ausgezeichnet.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das eigentlich der Kern der Sache, die wir heutehier verhandeln? Ist das das eigentliche Problem? Ich meine, was wir hier erörtern, ist wichtig genug. Es ist auch wichtig genug, daß wir den Mißständen im Bereich der Sanierung und Modernisierung nachgehen und sie überwinden. Wir versuchen das in Berlin.
    Wir haben an den Anfang ein klares Eingeständnis von Fehlentwicklungen in Berlin gestellt, die es übrigens in allen Metropolen gibt, noch nicht einmal allein in den deutschen, sondern quer durch Europa in allen Metropolen, die uns vergleichbar sind. Das Eingeständnis des Fehlers, das Sie so begierig erwarten, Herr Kohl, haben wir von uns aus ohne Aufforderung an den Anfang gestellt.

    (Zuruf des Abg. Rawe [CDU/CSU])

    Ich habe mich für meinen Zeitraum der Verantwortung als Wohnungsbauminister — vom Dezember 1972 bis zum Juni 1974 — in dieses Eingeständnis des Fehlers mit einbezogen.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das geschieht bei jedem Wechsel in Berlin!)

    — Sie hatten noch keine Gelegenheit, dieses Bekenntnis abzugeben. Es wird auch so bleiben, Frau Kollegin.

    (Beifall bei der SPD)

    Das zweite ist eine Kurskorrektur in der Sanierungs- und Modernisierungspolitik. Außerdem sind auch Schritte eingeleitet, um die bestehenden Besetzungen in rechtlich korrekte Verhältnisse überzuleiten.
    Auch wir sehen ganz deutlich, daß wir nicht nur an die denken können, die jetzt in diesen Häusern sitzen, sondern auch an diejenigen, die ihren Wohnungsbedarf nicht in dieser Weise auf eigene Faust befriedigen können. Das gehört auch zur Lösung unseres Problems. Das sprechen wir auch aus, das fügen wir hinzu.
    Für all das brauchen wir Geduld und die Kraft zur Überwindung von Rückschlägen. Fehlentwicklungen von Jahren, die sich doch nicht in dieser primitiv-vordergründigen Weise einzelnen Parteien oder Regierungen zuordnen lassen, können wir nicht in Wochen beheben. Wer etwas anderes behauptet, der täuscht den Bürger.
    Aber auch das ist nur ein Teilaspekt. Unsere eigentliche Sorge müßte im Grunde einer weiteren Frage gelten, einer Frage, die in die Tiefe dringt. Meine Sorge jedenfalls gilt dieser Frage.
    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß es Kriminelle gibt, die in diesen Bereichen ihre kriminellen Aktivitäten zur Entfaltung bringen, ist unstreitig. Daß es in diesen Bereichen auch solche gibt, die diese Gesellschaftsordnung insgesamt in militanter und gewalttätiger Weise kaputt haben wollen, das wird doch nicht bezweifelt; von einem, der sieben Jahre Justizminister war, am allerwenigsten.
    Das ist schlimm, besorgniserregend. Aber essentiell ist doch die Frage, woher es denn kommt, daß Tausende junger Leute, die nicht der Gruppe der Kriminellen, in die sie vorschnell eingereiht werden, die nicht der Gruppe der Staatszerstörer, in die sie ebenso vorschnell etikettiert eingereiht werden, zuzurechnen sind, ihren Protest gegen bestimmte Erscheinungen, ihren Protest gegen die Lebensverhältnisse, in denen sie geboren worden sind, in denen sie groß geworden sind, auch mit den Mitteln der Duldung von Gewalt und der — leider muß man es sagen — zumindest passiven Unterstützung, da und dort sogar der aktiven Unterstützung von Gewalt, zum Ausdruck bringen. Jede Diskussion, die diesen Punkt nicht erreicht, meine Damen und Herren, bleibt an der Oberfläche.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Und wieso reden wir nur von den Vorgängen bei uns? Ich kenne Herren, die sicherlich die Schweiz und hier wieder die Stadt Zürich als Inbegriff all dessen sehen, was sie an Festigkeit, an konservativer Stabilität auch bei uns im Auge haben. Ich liebe die Stadt selbst. Dort gibt es eine feste Polizei, die nicht zögert. Dort gibt es Strafdrohungen, die selbst über das noch hinausgehen, was der Herr Kollege Spranger zu meiner Zeit hier ständig verlangt hat.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Dort gibt es eine Regelmäßigkeit von Polizeieinsätzen, die jeder Beobachter von uns aus nachvollziehen kann.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Ist das eigentlich eine Demokratie?)

    Aber auch dort, meine Damen und Herren, gibt es
    Hunderte, ja, eine wachsende Anzahl, Tausende junger Menschen, die ihren Protest in der Weise zum



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    Ausdruck bringen, wie ich es gerade beschrieben habe.
    Im übrigen ist das doch auch gar nicht auf die Schweiz zu beschränken. Schauen Sie nach Holland! Da sehen Sie, wie simpel diese Zuordnung ist: sozialdemokratische Regierung, christlich-demokratische Regierung.
    Wenn wir etwas unter die Oberfläche blicken — und Herr von Weizsäcker und ich können das von Berlin aus vielleicht ein bißchen besser als andere —, dann stellen wir fest, daß ähnliches, wenn auch aus anderen Voraussetzungen heraus, für osteuropäische Länder gilt.
    Wenn wir zu diesem Punkt vorstoßen, meine Damen und Herren, dann geht es mit ein paar Redensarten nicht ab, dann ist es mit der Kritik und Selbstgerechtigkeit, hin und her, nicht getan,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    dann müssen wir, meine, unsere gemeinsame Generation, Herr Kollege, wir Politiker, uns auch fragen, was wir denn selber etwa falsch gemacht haben, daß eine solche Entwicklung Platz gegriffen hat. Forschen wir doch einmal nach — und vielleicht ohne diesen Ausdruck von hämischer Rechthaberei, den ich an diesem Punkt sehr störend finde —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

    aus welchen Familien denn die kommen, von denen ich da eben sprach! Das ist inzwischen, wenn ich an Nürnberg denke — und der Herr Kollege Hillermeier kennt doch die Lebensläufe — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: SPD-Abgeordnete! Fräulein Lutz!)

    — Ich hoffe, daß dieser selbstgerechte Zwischenruf festgehalten ist. Soll ich Ihnen die Namen von CDU-Angehörigen nennen, die ähnliche Probleme haben? Was soll denn diese Selbstgerechtigkeit?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Hillermeier weiß, aus welchen Familien die 141 Festgenommenen in Nürnberg kommen. Das ist doch inzwischen ein repräsentativer Querschnitt der Nürnberger Bevölkerung. Das sind doch keine reisenden Krawallbrüder alle miteinander. Und wenn der bayerische Ministerpräsident das auch behauptet, im Nachdruck eines Wortinterviews zu lesen. Es ist schon heute widerlegt, daß es sich hier um 141 Gewalttäter und den Kern eines neuen Terrorismus handle.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt!)

    — Herr Kollege Vogel, ich stelle Ihnen die wörtlichen Zitate gerne zur Verfügung. Die „Welt am Sonntag" wird von Ihnen im allgemeinen für zuverlässig gehalten. Bitte lesen Sie es nach. Es wird keine Schwierigkeiten geben.
    Ich meine, wir sollten durchstoßen zu den eigentlichen Problemen. Wir sollten fragen, wie wir diese jungen Menschen wieder zurückholen können, ohne falsche Anbiederung, ohne falsches — oft genug aus schlechtem Gewissen fließendes — Nachbeten ihrer Schlagworte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer macht denn das?)

    aber mit Mitteln, die nicht Tausende und Abertausende, auf die wir als Volk und Gesellschaft nicht verzichten können, aus unserer Gemeinschaft hinausdrängen und sie erst zu Bundesgenossen der beiden Gruppen machen, die ich eingangs erwähnt habe, ohne jede Polemik, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Bürgermeister von Berlin hat niemandem vordergründig Ratschläge zu geben. Er hat zu sehen, wie er mit den Verantwortungsbewußten in allen Lagern der Stadt mit der Situation fertig wird, und er bittet dabei um Unterstützung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gilt das auch für den bayerischen Ministerpräsidenten?)

    -- Ich habe noch keine Unterstützungsbitte von ihm zu diesen Punkten gehört. Wenn er in diese Tiefe der Probleme vordringt, wird er sicher Unterstützung bekommen. Aber seine Äußerungen sind meist einfacherer Art und nicht gerade bittend und reflektierend.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich darf mir die Frage erlauben, ob man wirklich meint, durch massenhafte Verhaftungen von Minderjährigen, durch neue Polizeiwaffen das, worum es wirklich geht, ein Stück zum Guten zu bewegen. Ich glaube, wir Politiker haben andere Mittel, Mittel, die für diesen entscheidenden Teil der jungen Menschen — ich rede nicht von den Kriminellen und von denen, die man auch Staatszerstörer nennen könnte
    — wesentlich sind, sei es das Beispiel, das wir den Jungen geben können, sei es die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir uns geduldig zuhören, Herr Kollege Kohl.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das Beispiel Ihrer Rede!)

    Es wäre wünschenswert, daß wir noch mehr für die Einheit von Reden und Handeln und von Leben und Tun als Politiker sorgen

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    — ein Punkt, den die Jungen sehr skeptisch und sehr allergisch betrachten —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat der Herr Schöfberger Sie auch immer vornehm behandelt?)

    daß wir uns ernsthafter mit der Frage auseinandersetzen, welche Maßstäbe eigentlich für Erfolg und Mißerfolg unserer Gesellschaft, der Gruppen und der einzelnen, maßgebend sind und daß wir auch einmal fragen, was denn die breite Jugend — nicht nur ein kleiner Teil — schon mit dem Leistungsbegriff anfangen kann, den wir praktizieren oder erläutern. Hier schließe ich viele mit ein. Ich gehe doch nicht entlang den simplen Parteilinien.
    Ich frage: Haben wir nicht einen Leistungsbegriff, der sich fast ausschließlich an Intelligenz, techni-



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    scher Fertigkeit und sozialem Durchsetzungsvermögen orientiert?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist doch Ihre Bildungspolitik in diesem letzten Jahrzehnt gewesen, Herr Vogel!)

    — Herr Kollege Kohl, freuen Sie sich doch, wenn Sie mir zustimmen können. Das ist doch kein Grund zu derartiger Erregung. Ich verstehe Sie gar nicht.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Absurd! Das ist doch Ihre Bildungspolitik!)

    Menschlich wertvolle und gesellschaftlich wichtige Fähigkeiten wie Phantasie, Originalität,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Was soll denn dieser Striptease?)

    gesellschaftlich-politisches Verantwortungsgefühl, Kooperationsfähigkeit, moralische und soziale Empfindsamkeit werden zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Wenn Sie meinen, dies sei ein Grundzug Ihrer Politik, dann stelle ich ein Maß an Übereinstimmung fest, das mich tief beeindruckt. Das sind nämlich wörtliche Zitate aus dem Orientierungsrahmen '85 der Sozialdemokratischen Partei.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, täuschen wir uns — damit komme ich zum Schluß — im übrigen nicht. Manche beruhigen sich mit der Rede von der kleinen Minderheit, von der sehr kleinen Minderheit. Es werden auch Prozentzahlen genannt. Man ist vielleicht im Rathaus den Problemen wieder ein ganzes Stück näher. Manches hier wirkt, wenn man wieder hereinkommt, merkwürdig, wie unter einer isolierten Käseglocke, hin wie her. Auf Grund dieser näheren Kenntnis sage ich Ihnen: Das reicht weiter. Wenn Herr Boenisch in der Ausgabe der „Welt" vom Samstag und Herr Leicht in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" dies übereinstimmend ebenso sehen wie ich, dann ist dies ein deutliches Zeichen, fast schon ein Alarmzeichen für das, was dort im Gange ist.
    Dazu gibt es auch aus Berlin eine bemerkenswerte Stimme. Herr Kollege Kohl, jetzt möchte ich bitten, erst ganz bis zum Schluß zuzuhören — Herr Weizsäcker weiß schon, wer unterschrieben hat, aber Sie wissen es noch nicht —; sonst gibt es Divergenzen. In einer Erklärung, die dort am vergangenen Montag veröffentlicht wurde — nun lese ich ganz langsam — heißt es wörtlich:
    Hausbesetzungen und Unruhen, mögen sie auch von radikalen Minderheiten geschürt oder genutzt werden,
    — richtig! —
    sind Erscheinungsformen eines tiefer und weiter reichenden Unbehagens einer Generation, die sich angesichts von Arbeitslosigkeit, Bürokratisierung, Zentralisierung, Spezialisierung, Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und
    — vielleicht haben Sie auch das hier heute schon ein bißchen im Auge gehabt —
    des wortreichen Leerlaufs unseres Politikerbetriebs überflüssig, der sinnvollen Lebensziele
    beraubt, hilflos und nicht ernst genommen fühlt. Deshalb sind Mut und Fähigkeit zum Dialog, Selbstkritik und Reform für alle demokratischen Parteien überlebenswichtig und überlebensnotwendig. Wer nichts als pauschale Massenverhaftungen und neue Polizeiwaffen anzubieten hat, der offenbart erschreckende Hilflosigkeit.
    Die Erklärung stammt allerdings nicht, wie Sie vielleicht meiner Andeutung am Anfang fälschlich hätten entnehmen können, von meinem sehr verehrten Gegenkandidaten, Herrn von Weizsäcker. Sie stammt von der Jungen Union Berlin und ist vom Landesvorsitzenden und vom stellvertretenden Vorsitzenden dieser Jugendorganisation unterzeichnet, der ich hier meinen Respekt und meine Anerkennung für diese Aussage ausspreche.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Was haben die Jusos für Erklärungen abgegeben?)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie in der Verfestigung Ihres Gefühls, alles richtig gemacht zu haben, alles richtig zu wissen, wenn Sie in der Verhärtung dieses Gefühls auf mich, auf uns nicht hören wollen, dann hören Sie bitte auf die Stimme Ihrer eigenen Jugendorganisation.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Nur kein Neid!)

    Es ist die Stimme der Vernunft. Wir werden der Vernunft, die auch aus diesen Zeilen spricht und die sich nicht nach Parteien sortiert, in Berlin auch weiterhin folgen; wenn es sein kann, mit Ihrer Unterstützung, Herr von Weizsäcker — ich bin auch deshalb hierher gekommen, damit wir uns jetzt einmal in Rede und Widerrede im selben Saal begegnen können —, aber wenn es sein muß, auch ohne diese Unterstützung, weil die Vernunft es gebietet. — Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Langanhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Weizsäkker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard von Weizsäcker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zutreffenderweise hat Herr Dr. Vogel davon gesprochen, daß in dieser Debatte viel Interesse sich Berlin zugewandt hat, aber die Gründe dafür hat er unzutreffend gedeutet. Herr Vogel hat eine ganze Reihe von Zeugen dafür aufzubieten versucht, um darzulegen, daß in Berlin alles nicht so schlimm sei, daß man in Berlin in der dortigen Koalition nicht vor der Gewalt zurückschrecke, daß keine Unsicherheit verbreitet werde, daß keine rechtsfreien Räume entstanden seien oder zugelassen würden, und anderes mehr.
    Lassen Sie mich nur am Anfang einige Zitate bringen, die in eine ganz andere Richtung gehen.
    Der Innensenator von Berlin, Herr Dahrendorf, wurde vor einigen Tagen in einer Berliner Zeitung gefragt, wie lange denn der Zustand noch hinnehmbar sein solle, daß der Rechtsstaat erpreßbar sei.



    Dr. von Weizsäcker
    Herr Dahrendorf antwortete — ich zitiere ihn wörtlich —:
    Nur beschränkt lange und nur, wenn gleichzeitig abzusehen ist, daß es Wege zur Lösung gibt ... Wir haben nicht beliebig lange Zeit, auf den Erfolg zu warten. Wenn sich der Zustand
    — also der heutige Zustand —
    noch auf Monate verfestigt, daß wir nicht in jedes Haus hineinkönnen, dann allerdings würde auf die Dauer die Rechtsordnung sicher Schaden nehmen.
    Herr Dahrendorf geht also von einem völlig anderen Bild der Wirklichkeit aus als von dem, das Herr Vogel hier heute dargelegt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Rommel, ebenfalls von Herrn Vogel zitiert, äußert sich in einem heute veröffentlichten Artikel u. a. wie folgt:
    Die Gelassenheit kann nicht so weit gehen, daß die öffentliche Hand am Ende gelassen zusieht, wenn der demokratische Rechtsstaat zerbrökkelt.
    Und er fügt hinzu:
    Ich kann keine Freude darüber empfinden, daß in einigen Städten, etwa in Berlin, das Ordnungsgefüge ins Wanken zu kommen droht, denn dadurch entstehen Risse in unserem demokratischen Staatswesen.
    Das ist ganz anders, als Herr Vogel Herrn Rommel zitiert hat.
    Oder Herr Vogel bezieht sich darauf, daß in Berlin die Gewalt nicht geduldet, die Straftaten verfolgt und Häuser geräumt würden, wenn Strafantrag gestellt werde. Ich beziehe mich auf eine Äußerung, die die Handswerkskammer Berlin offiziell vor wenigen Tagen publiziert hat. Da hat sie in einer scharfen Erklärung die offiziell verkündete und von Herrn Vogel heute wieder gewissermaßen als Vorhang vorgezogene Senatspolitik in Frage gestellt, wonach besetzte Häuser geräumt würden. Immer häufiger, so sagt die Handwerkskammer, werden Gebäude unmittelbar vor oder kurz nach Beginn von vertraglich vereinbarten Arbeiten zur Instandsetzung, Sanierung und Modernisierung illegal besetzt. Die vom Innensenator geäußerte Absicht, besetzte Häuser durch die Polizei räumen zu lassen, wenn Strafantrag gestellt wird, wird entweder nicht ausgeführt oder wird dadurch gegenstandslos, daß die gemeinnützigen Sanierungsträger solche Strafanträge gar nicht stellen, und das sind bekanntlich ungefähr 80 % der Eigentümer der von Ihnen genannten Häuser.
    Wie wollen Sie sich auf eine Politik berufen, wonach Sie Häuser räumen, wenn Strafantrag gestellt wird, wenn Sie den Hebel in der Hand haben, um solche Strafanträge zu stellen, es in den 80 % der Fälle aber nicht tun?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Schließlich berufen Sie sich auf die Liberalität unseres Kollegen Kewenig und sagen, er habe damit doch solche Schwierigkeiten. Das lassen Sie einmal meine Sorge sein. Ich habe ihn ja berufen und nicht Sie. Ich habe ihn deswegen berufen, weil er die Meinung hat, die Sie wiedergegeben haben, und ich werde dabei helfen, daß er mit den Auffassungen, die er hat, auch wirklich zum Zuge kommt, und zwar in politischer Verantwortung und nicht nur in theoretischer Betrachtung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben schon einen späten Zeitpunkt des Tages erreicht, und ich muß deswegen so direkt wie möglich sagen, was ich auf dem Herzen habe. Unser heutiges Berliner Problem Nummer 1 ist das Syndrom von Wohnungsnot, Rechtsunsicherheit und Generationenkonflikt. Was in Wahrheit unter Ihrer Verantwortung, Herr Vogel, in Berlin geschieht, ist, daß Sie vor der Gewalt zurückweichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie verbreiten Unsicherheit über den Auftrag staatlichen Handelns. Sie lassen den rechtsfreien Raum anwachsen. Sie entmutigen die Treue zum Recht. Sie gefährden mit Ihrer Politik den liberalen Rechtsstaat, auf den Sie sich berufen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Damit verhindern Sie etwas, was auch mir sehr am Herzen liegt, worüber Sie sich in der zweiten Hälfte Ihrer Ausführungen länger verbreitet haben, nämlich sich mit friedlichen Mitteln über Mißstände in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen, den offenen Dialog unter den Generationen so führen zu können, daß keine Verhärtung und Verbitterung ihn verhindert,

    (Zurufe von der SPD)

    sich auf diesem Wege über Werte und Ziele für unser Zusammenleben zu verständigen. Herr Vogel, was Sie als Politik tun oder ausgeben, das blockiert gerade die wichtigste Kraft der freiheitlichen Demokratie, nämlich die Fähigkeit, einen Wandel der Verhältnisse ohne Gewalt herbeizuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es kann ja gar keinen Zweifel darüber geben, daß wir zu diesem friedlichen Wandel befähigt sein müssen, angesichts ständig neuer Herausforderungen der wissenschaftlichen und technischen Welt, neuer sozialer Notstände, verschuldeter oder unverschuldeter, und neuer ethischer Fragestellungen und Entscheidungen. Es ist gar kein Zweifel, daß wir alle in einem offenen Dialog die Aufgabe haben, Sprachlosigkeit zu überwinden. Dabei müssen wir mehr hören als reden. Wir müssen uns der Einsicht in eigene Fehler öffnen; da stimme ich Ihnen natürlich zu. Wir dürfen uns auch nicht gegen ungewohnte und fremde Gedanken verschanzen.
    Ich möchte weitergehen: Wir Älteren werden sagen müssen, wir haben selber abzubüßen dafür, daß unter unserer Mitverantwortung viel menschliche und gefühlsmäßige Armut entstanden ist, viel Vereinsamung und manche tiefen Gräben der Fremdheit unter den Generationen. Freilich gibt es in diesem Dialog auch ermutigende und positive Ansatzpunkte. Wir Älteren haben, um nur einige Beispiele



    Dr. von Weizsäcker
    zu nennen, mehr von den Jüngeren als aus unserer eigenen Generation gelernt, nämlich daß wir dem Raubbau am Gleichgewicht der Natur ein Ende setzen müssen, daß Wirtschaftswachstum notwendig, aber kein Selbstzweck sein darf, daß wir einen Kurs auf eine materiell anspruchslosere Lebensweise suchen sollen, daß eine Bereitschaft zu sozialen Diensten und zur mitmenschlichen Hilfe vorhanden ist und wir sie nicht ständig durch eine staatsverwaltende Politik verhindern, sondern durch Hilfe zur Selbsthilfe ermutigen sollen.
    Junge Menschen machen uns klar, ja, sie machen, wie ich meine, einer Partei, zu deren Kernpunkten der Grundsatz der Subsidiarität gehört, ausdrücklich Mut, wenn sie nach der überschaubaren menschlichen Lebensgemeinschaft an Stelle der perfektionistischen Fernsteuerung des großen Apparats verlangen. Wir haben, als wir jung waren, etwas empfunden, was wir bei unseren Kindern und bei den jungen Menschen zum Glück wieder erleben: Junge Menschen wollen leben; sie wollen nicht gelebt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber das alles wird doch in einem Dialog nur dann fruchtbar werden, so daß es in der Politik seine Folgen zeigt, wenn auch wir Älteren in diesem Dialog den Part wirklich ernst nehmen, den wir dabei zu spielen haben. Es würde niemandem, und zwar zu allerletzt den jungen Menschen, etwas nützen, wenn wir einfach mutlos oder kleingläubig darauf verzichten würden, uns zu dem zu bekennen, was wir als Wert und als Sinn in unserem Leben erfahren haben.
    Wenn wir uns in opportunistischer Unsicherheit zu nichts anderem mehr aufzuraffen vermögen als nur zu dem Versuch, das nackte Leben der Mitglieder unserer Gesellschaft zu schützen, aber alles andere an sittlichen Überzeugungen und an Werten der menschlichen Kultur zur Disposition zu stellen, dann allerdings würden wir unsere Verantwortung preisgeben.
    Wenn wir den Dialog suchen und den friedlichen Wandel wollen, dann müssen wir uns zu dem entscheidenden Fortschritt bekennen, der im Kampf gegen Willkür, im Kampf gegen die Macht des Stärkeren, auf dem Weg zum liberalen und sozialen Staat, zur Rechtsstaatlichkeit erreicht wurde. Jeder hat in dieser Rechtsstaatlichkeit das gleiche Recht, in gleicher Freiheit seine Belange zu vertreten. Jeder kann und jeder soll an der Überwindung sozialer Mißstände mitwirken. Der liberale und soziale Rechtsstaat schützt den Schwachen. Er verwehrt es den Starken, die anderen einfach zu verdrängen. Er läßt nicht zu, daß Rücksichtslosigkeit durch Nachgiebigkeit belohnt wird.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Und hier, Herr Vogel, versagt die derzeitige verantwortliche Führung in Berlin.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es leugnet ja niemand, daß Sie bei Ihrem Amtsantritt schwere Versäumnisse und Fehlentscheidungen Ihrer Vorgänger vorgefunden haben. Es ist doch kein Wunder, daß es zu Hausbesetzungen gekommen ist, wo sozialdemokratisches Führungsversagen dazu geführt hat, daß schwere Wohnungsnot herrscht und gleichzeitig 800 Häuser Leerstehen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Zum schlechten Erbe, das Sie übernommen haben, kommt nun aber das eigene, von Ihnen nicht ererbte, sondern von Ihnen herbeigeführte Versäumnis. Seitdem nämlich Sie die Verantwortung haben, und nicht vorher, ist der Eindruck entstanden, Berlin zeige, daß der Staat sich bei Gewalttätern nicht zu wehren wisse.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Unter Ihrer Führung sind Ermittlungsersuchen der Justiz gegen Rechtsbrecher so lange öffentlich verzögert worden, bis sie schließlich wirkungslos geworden sind. Es fällt unter Ihre Verantwortung, daß die notwendige Abstimmung zwischen den Anforderungen der Justiz und einer Polizei, die selbstverständlich nicht einfach blindlings auszuführen hat, unter den Augen der Berliner Öffentlichkeit zur Führungslosigkeit verkam.
    Meine Damen und Herren, nach dem, was der Innensenator Dahrendorf sagt, beläuft sich der militante Kern der Szene in Berlin auf ca. 500 Personen. Man weiß, daß dieser militante Kreis Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Zustandes in den besetzten Häusern getroffen hat. Es gibt mobile Einsatzkommandos, die bevorstehende Polizeiaktionen ausmachen. Das Informationssystem funktioniert gut; die Telefonkette arbeitet praktisch ungestört; ein Privatsender strahlt unregelmäßig Anweisungen zum Barrikadieren und zum Widerstand aus. In einem der ganz wenigen inzwischen geräumten Häuser fand man nicht nur Pflastersteine, sondern Stahlkugeln, Schlagstöcke aller Art, Azetonflaschen und Feuerlöscher mit ätzender Flüssigkeit. Dies alles haben Sie mit zwei, drei Sätzen in dieser Rede damit beschönigt, daß Sie gesagt haben, Gewalt würde sich nicht ausbreiten können, es gebe keine Ausweitung des rechtsfreien Raumes, in Berlin würde die Rechtsstaatlichkeit gewährleistet. Das Gegenteil, Herr Vogel, ist der Fall.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es bestreitet doch gar niemand, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angewandt werden muß. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in der Tat integraler Bestandteil unserer Rechtsordnung. Aber man kann sich doch nicht damit begnügen, sich einfach auf diesen Begriff zu berufen, sondern man muß ihn richtig anwenden. Das verfehlen Sie. Es ist die Folge dieser angeblichen Anwendung der Verhältnismäßigkeit, die in Wirklichkeit nur ein Vorhang ist, hinter der sich Untätigkeit, Wegducken verbirgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Das ist eine Unterstellung!)

    — Herr Wehner, hören Sie einmal bitte gut zu. Ich weiß, daß Sie das häufig nicht können.

    (Wehner [SPD]: Ich höre ganz gut zu!)




    Dr. von Weizsäcker
    Es ist eine Quittung für diese Untätigkeit, daß der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes von der Suspendierung des Rechtsstaates gesprochen hat,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Der das alles weiß!)

    wenn die Polizei unter Einwirkung der politischen Führung richterliche Anordnungen so lange nicht vollstreckt, bis sie ihr Ziel nicht mehr erreichen können, daß der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht aus Sorge um die Wahrung des Rechts die Polizeiführung öffentlich auffordern mußte, endlich Ermittlungshandlungen zu vollstrecken,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

    daß der Richterbund Berlin erklärte, Straftaten dürften nicht deshalb unverfolgt bleiben, weil andere Straftäter und deren Sympathisanten mit neuen Straftaten drohten, und daß der evangelische Landesbischof von Berlin, Kruse, erklärte, der rechtlose, rechtswidrige Zustand sei keine Lösung; nicht nur Häuser, sondern auch das Recht müsse in Berlin saniert werden.

    (Starker Beifall bei der CDU/CSU)

    Heute liegt die Abstimmung — die j a notwendig ist — zwischen den Belangen der Justiz und der Polizei in der Hand eines Mitglieds Ihrer Regierung, Herr Vogel, nämlich des Justizsenators. Das ist derselbe Mann, der einen Rechtsbrecher politisch auszeichnete, indem er ihn für den Landesvorstand seiner Partei vorschlug.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Thomas Dehler hat einmal mit Recht gesagt, daß Liberalität ohne das Recht nicht denkbar sei. Die Liberalen hätten ein besonders enges Verhältnis zum Recht. Gut so! Aber der Berliner Justizsenator macht eine opportunistische Verbeugung vor denen, die über genug Ellenbogen und über menschliche Unempfindlichkeit verfügen, um sich selbst durchzusetzen. Er hat aber seinen Schutz denen versagt, für die er im Amt ist, nämlich für diejenigen, die den Schutz der Rechtsordnung brauchen. Diesem Mann, Herr Vogel, haben Sie — selber früher Justizminister — Ihr Vertrauen ausgesprochen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Wir wissen, daß Sie intern Auseinandersetzungen über die Zweckmäßigkeit der Handlung Ihres Justizsenators hatten. Aber warum haben Sie nicht den Mut gehabt, sich dazu öffentlich zu bekennen? Das ist tief deprimierend.

    (Beifall bei der CDU/CSU)