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ID0902625600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/26 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 26. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 1151 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft — Drucksache 9/124 — Frau Dr. Wex CDU/CSU 1151 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 1154 B Eimer (Fürth) FDP 1157 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 1159 C Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 1161 C Frau Verhülsdonk CDU/CSU 1165 A Frau Fromm FDP 1167 D Frau Steinhauer SPD 1169 C Schmidt, Bundeskanzler 1171 C Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 1174 B Frau Matthäus-Maier FDP 1176 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 1179 B Frau Karwatzki CDU/CSU 1181 A Dr. Diederich (Berlin) SPD 1183 C Frau Dr. Wilms CDU/CSU 1185 B von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI . 1187 D Frau Dr. Timm SPD 1188 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Klein (Göttingen), Dr. Wittmann, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Dregger und der Fraktion der CDU/CSU Auswirkungen rechtspolitischer Entscheidungen oder Unterlassungen — Drucksache 9/183 — Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . . .1207 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . .1215 B Dr. Emmerlich SPD 1221 B Kleinert FDP 1226 A Dr. Hillermeier, Staatsminister des Freistaates Bayern 1230 A Dr. Herzog, Minister des Landes BadenWürttemberg 1237 A Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 1240 D Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1246 D Schmidt, Bundeskanzler 1250 C Dr. Kohl CDU/CSU 1256 C Engelhard FDP 1262 A II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/210 — 1264 D Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/162 — 1265 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dollinger, Pfeffermann, Bühler (Bruchsal), Neuhaus, Linsmeier, Lintner, Maaß, Weirich, Dr. Riedl (München), Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Wörner, Sauter (Epfendorf), Dr. Jenninger, Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 9/128 — Dr. Linde SPD 1265 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1981 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1981) — Drucksache 9/228 — 1265 C Fragestunde — Drucksache 9/226 vom 13. 03. 1981 — Benachteiligung der Versicherten in Großstädten durch die geplante neue Regionalstruktur der Kraftfahrzeughaftpflichtprämien MdlAnfr 68, 69 13.03.81 Drs 09/226 Fischer (Hamburg) CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . 1191 A, C, D, 1192 A, B ZusFr Fischer (Hamburg) CDU/CSU . 1191 B, C, 1192 A Wettbewerbsnachteile der deutschen Stahlindustrie durch den EG-Ministerratsbeschluß MdlAnfr 70 13.03.81 Drs 09/226 Menzel SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 1192 B, D, 1193 A, B, C, D, 1194 A ZusFr Menzel SPD 1192 D ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . . 1193 A ZusFr von der Wiesche SPD 1193 B ZusFr Dr. Lammert CDU/CSU 1193 B ZusFr Meininghaus SPD 1193 C ZusFr Urbaniak SPD 1193 D Einführung einer Grenzabgabe für einreisende Autobusse und Erhöhung der Abfertigungsgebühren für Lastzüge in Dänemark MdlAnfr 72, 73 13.03.81 Drs 09/226 Stutzer CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1194 A, B, C, D, 1195 A ZusFr Stutzer CDU/CSU . . . . 1194 C, D, 1195 A Vorfinanzierung der Kraftwerke in Cattenom durch Stromabnahmeverträge deutscher Energieversorgungsunternehmen mit der Electricité de France MdlAnfr 74 13.03.81 Drs 09/226 Schreiner SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1195 A, B, C, D ZusFr Schreiner SPD 1195 B, C ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . .1195 C ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1195 D Rückgang der Zahl der Genehmigungen zur Ausreise aus Polen und der Sowjetunion seit 1978 MdlAnfr 39, 40 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Bötsch CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1196 B, D, 1197 A, B, C ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1196 C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1197 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1197 B Pflege deutscher Kriegsgräber in der Sowjetunion MdlAnfr 44 13.03.81 Drs 09/226 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1197 C, 1198 A, B, C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 1197 D, 1198 A ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1198 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1198 B ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1198 C Festnahme von vier deutschen Staatsbürgern nach einem Gewerkschaftstreffen in Santiago de Chile MdlAnfr 45 13.03.81 Drs 09/226 Weisskirchen (Wiesloch) SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1198 D, 1199 A ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 1198 D ZusFr Hansen SPD 1199 A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 III Verzicht auf die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa MdlAnfr 46 13.03.81 Drs 09/226 Thüsing SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1199 A, D ZusFr Hansen SPD 1199 D Störung der Entspannungspolitik durch Sendungen von Radio Free Europe und Radio Liberty MdlAnfr 47, 48 13.03.81 Drs 09/226 Hansen SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1200 A, B, D, 1201A,C,D, 1202A,B ZusFr Hansen SPD 1200 B, C, D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1201 A, B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1201 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . 1201 C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1201 D ZusFr Thüsing SPD 1202 A ZusFr Dr. Schöfberger SPD 1202 B Reaktion der Bundesregierung auf die Festnahme des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw sowie Folgerungen für den Akademikeraustausch und das Kulturabkommen mit der CSSR MdlAnfr 49 13.03.81 Drs 09/226 Engelsberger CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1202 C, D, 1203 A, B ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1202 D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1203 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 A Protest gegen die Inhaftierung des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw bei der tschechoslowakischen Regierung MdlAnfr 50 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . .1203 C Überreichung von Listen mit Härtefällen der Familienzusammenführung und Ausreise an osteuropäische Delegationen während des KSZE-Nachfolgetreffens in Madrid MdlAnfr 51 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 D, 1204 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . . 1203 D, 1204 A Vereinbarkeit der Anwesenheit des Wachbataillons „Feliks Dzierzynski" in Ost-Berlin mit dem entmilitarisierten Status GroßBerlins MdlAnfr 52 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 A, B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . 1204 B ZusFr Thüsing SPD 1204 C Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen des fünf Jahre in Warschau inhaftierten Deutschen Achim Rösch gegenüber der polnischen Regierung MdlAnfr 53 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 C, 1205 A ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . .1205 A Benachteiligung von Bundeswehroffizieren aus der Truppe gegenüber Bundeswehrhochschulabsolventen durch das geänderte Punktesystem für die Einstellung von Berufsoffizieren MdlAnfr 75, 76 13.03.81 Drs 09/226 Daweke CDU/CSU Antw StSekr Dr. Hiehle BMVg . 1205 B, 1206 C, D, 1207 A ZusFr Daweke CDU/CSU 1206 B, C, D Nächste Sitzung 1265 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1266* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 1151 26. Sitzung Bonn, den 19. März 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Böhme (Freiburg) 20. 3. Büchner (Speyer) * 20. 3. Dr. Enders * 20. 3. Fellner 20. 3. Dr. Geißler 20. 3. von der Heydt Freiherr von Massenbach 20. 3. Dr. Hubrig 20. 3. Jung (Kandel) 20. 3. Kiehm 20. 3. Kittelmann * 20. 3. Korber 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Männing 20. 3. Dr. Mitzscherling 20. 3. Dr. Müller * 20. 3. Müller (Wadern) * 20. 3. Picard 20. 3. Reddemann ** 19. 3. Frau Roitzsch 20. 3. Frau Schlei 20. 3. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 20. 3. Voigt (Frankfurt) 20. 3. Dr. Wendig 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Will-Feld 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Ich bin gerade dabei, auf diese Frage zu sprechen zu kommen, weil mir hier nämlich ein wesentlicher Unterschied zwischen Ihnen und uns zu bestehen scheint.

    (Pensky [SPD]: Zwischen Herrn Späth und mir?)

    — Nein, zwischen Ihnen und uns! Mit Herrn Späth bin ich völlig einer Meinung.

    (Pensky [SPD]: Danach hatte ich gefragt! — Zurufe von der SPD)

    — Lassen Sie es mich doch ausführen! Wir sind im Augenblick so nett beieinander.
    Meine Damen und Herren, wo gesellschaftliche Probleme bestehen, da ist es unsere Aufgabe als Politiker, uns damit auseinanderzusetzen, und da ist es im übrigen auch das Recht jüngerer und älterer Menschen, sich mit diesen Fragen zu befassen und auf sie hinzuweisen, meinetwegen auch in der Form der Demonstration. Um jetzt bei den Hausbesetzern zu bleiben: Ich sehe mit großem Interesse dem entgegen, was der Herr Bundesjustizminister heute hier vorgelegt hat. Ich halte es auch für einen Mißstand — und ich habe das immer deutlich gesagt, auch Lothar Späth hat es deutlich gesagt, weil Sie ihn gerade zitieren —, daß in unserem Land Häuser leerstehen, während viele Menschen nicht genug Wohnraum haben. Auch ich halte das für einen Mißstand.
    Aber jetzt möchte ich dann doch unterscheiden und die Frage darauf zuspitzen, ob das ein Grund ist, den massiven und offenen Rechtsbruch zuzulassen. Meiner Überzeugung nach gibt es nur eine Antwort
    — und das ist weder in der Regierungserklärung des Herrn Bundesjustizministers noch in der Rede von Herrn Kollegen Emmerlich deutlich gesagt worden —: Die Antwort „sowohl — als auch". Wo ein
    Mißstand besteht, ist er zu beseitigen, und wer glaubt, einen Mißstand auf gewaltsame Weise in einem freiheitlichen Rechtsstaat beseitigen zu müssen, der ist mit allen Mitteln der staatlichen Gewalt daran zu hindern.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Pensky [SPD]: Es ist die Frage des Sowohl-Als-auch. Lassen Sie mich, weil ich nebenher auch Wohnungsbauminister bin, wenigstens auf ein paar Kleinigkeiten eingehen, die hier aufgetreten sind. Da sollen also in Berlin oder auch im Bundesbaugesetz Nutzungsgebote kommen. Ich lasse die Frage, ob das so kommt und ob das der richtige Weg ist, einmal beiseite. Ich will Ihnen nur eine Geschichte dazu erzählen. So etwas kennen wir doch aus dem Bundesbaugesetz. Darin stehen Baugebote. Das ist etwas Ähnliches. Ich habe kürzlich mit einem Oberbürgermeister aus Baden-Württemberg, der der FDP angehört, darüber gesprochen, ob man nicht solche Baugebote mobilisieren könnte. Wir haben ja auch unsere Probleme im Bereich von Grund und Boden. Wissen Sie, was der mir darauf gesagt hat? Er hat gesagt: Es kann doch kein Zweifel darüber bestehen: Wenn ich das versuche, werde ich von meinen Bürgern abgewählt, oder aber ich verliere einen Prozeß. — Ich muß sagen: Der Mann hat geirrt; wahrscheinlich tritt beides ein: Er wird von seinen Bürgern abgewählt und sein Nachfolger verliert einen Prozeß bei dieser Gelegenheit. Wir haben das doch erprobt, und ich habe meinen Zweifel, daß das auf diese Weise funktionieren wird. Ich bin gespannt, was die Bundesregierung und was die Kollegen in Berlin da zutage fördern würden. Im übrigen stehe ich auf dem Standpunkt des CDU-Abgeordneten Kleinert, der heute hier gesprochen hat. — Sie dürfen unterstellen, daß ich das weiß. Nur zu Ihrer Erläuterung: Das war ein Witz. Im übrigen stehe ich auf dem Standpunkt: Lassen Sie uns doch das tun und dort ansetzen, wo wir können. Ich will Ihnen ein paar Geschichten erzählen. — Aber natürlich, weil es die Wahrheit ist. Wir hatten im letzten Herbst eine Besetzung einer Kaserne in Tübingen. Nun frage ich Sie: Wer läßt denn da eine Kaserne leerstehen? Ich bin nicht ganz dahintergekommen, ob es die Bundesvermögensverwaltung oder die Bundeswehrverwaltung gewesen ist, jedenfalls stand die Kaserne leer, und wir haben dann dazwischengefunkt. Ich funke auch — darauf können Sie sich verlassen — in Baden-Württemberg bei allen landeseigenen Gebäuden dazwischen. Wir werden es nach und nach auch bei den kommunalen Gebäuden, obwohl uns hier die Hände teils rechtlich gebunden sind, so tun. Ich will nur — genau wie der Herr Kleinert vorher — sagen: Es ist doch völlig sinnlos, zunächst ein Gesetz gegen „böse Kapitalisten" zu machen, wenn man in den meisten Fällen selbst den bekannten Dreck am nicht weniger beMinister Dr. Herzog kannten Stecken hat, nicht wahr? Ich empfehle uns allen, hiermit anzufangen. Ein anderes Beispiel. Ich habe in Baden-Württemberg noch vier Hausbesetzungen, und zwar nur deswegen, weil die Eigentümer dort keinen Räumungsantrag gestellt haben. Warum haben sie wohl keinen Räumungsantrag gestellt? Ich habe die Leute nicht gefragt, aber im wesentlichen ist es so: Das sind Leute, die das Haus in zwei bis drei Jahren brauchen, und sagen: Laßt doch die jungen Leute so lange drin. — Meine Damen und Herren, wenn wir hier ordentliches Mietrecht hätten, dann könnten die befristete Verträge abschließen und wir hätten dann nicht einen quasi illegalen, sondern einen legalen Zustand. Das liegt also nicht immer nur an irgendwelchen Leuten draußen, das liegt auch an uns selber. Ich halte nichts davon, daß wir jetzt darüber rechten, ob die CDU da wohl zugestimmt hat oder nicht. Wir könnten uns doch alle an die bekannte Nase packen und dann mit diesen Dingen fertig werden. Aber die Problemlösung ist das eine und die Auseinandersetzung mit Gewalttätern, die unter dem Vorwand, sie müßten hier ein Problem lösen, auf die Rechtsordnung losgehen, das andere. Mit Rechtsbrechern muß man sich im Sinne des Sowohl-Alsauch, das ich bei der SPD und bei der Bundesregierung nicht gehört habe, so auseinandersetzen, wie es das Polizeirecht verlangt. Ich komme jetzt noch einmal auf die 95% unserer Jugend zurück, meine Damen und Herren. Wir reden immer nur von denen, die da protestierend durch die Gegend gehen, und zu der Legitimität und Legalität ihres Verhaltens habe ich vorher das Nötige gesagt. Jetzt fragen wir doch einmal, wie das mit den 95% ist. Die werden doch möglicherweise irre an einem ständig schwankenden Staat, meine Damen und Herren. Die werden doch möglicherweise irre an Verwaltungen, an Regierungen und Parlamenten, die nur noch eine Kunst perfekt beherrschen, nämlich die Kunst, nach sämtlichen Seiten gleichzeitig zu schwanken. Ich meine, da muß man sich halt auseinandersetzen, wie es das Gesetz vorsieht: zunächst mit der Polizeigewalt, dann mit dem Strafrecht, soweit das im Rahmen unserer Rechtsstaatlichkeit nachweisbar ist, und — wenn nötig — auch mit Schadensersatzforderungen. Meine Damen und Herren, unsere Mitbürger verstehen genausowenig, warum sie, wenn sie irgendwo versehentlich eine Glasscheibe einschlagen, dafür Ersatz bezahlen müssen, wenn andere in 20 Minuten durch zwei Straßen der Stadt Freiburg rennen dürfen und dort für 300 000 oder 500 000 DM Schaden an Schaufenstern und dergleichen anrichten dürfen. Wir sollten alle miteinander versuchen, in diesen Dingen wieder klarere Begrifflichkeiten, klarere Unterscheidungen herbeizuführen, damit wir wissen, wovon wir reden. Wir sollten versuchen, die Dinge so deutlich zu machen und so deutlich zu sehen, daß wir uns nicht immer mit begrifflichen Vertauschungen gegenseitig an den Wagen fahren, sondern daß wir an die Dinge herankommen. Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu den Rechtsänderungen machen, die die CDU seit unvordenklichen Zeiten immer wieder anregt und fordert. Wir sind es auch der Polizei schuldig, dort für sie klarere Verhältnisse zu schaffen. Rechtsprobleme, die wir miteinander nicht lösen können, können nicht immer und ewig auf dem Rücken unserer Polizeibeamten ausgetragen werden, die bei Gott keinen angenehmen, sondern einen immer gefährlicher werdenden und einen schweren Dienst haben. Da müssen wir über einiges wieder reden können. Eine Frage, die wir nicht miteinander zu verhandeln haben, die aber jeder sich selber zu stellen hat, ist die Frage der politischen Deckung dieser Polizeibeamten. Ich will Ihnen deutlich sagen: hier haben wir CDUund CSU-Innenminister es leichter als die SPD-Innenminister. Das will ich ganz deutlich sagen. Wenn wir ein ganz normales Verhalten unserer Polizeibeamten politisch decken, dann tut uns niemand etwas, abgesehen davon, daß wir vielleicht da und dort Kritik von außen bekommen. Meine Kollegen von der SPD tragen bei jeder dieser Maßnahmen innerhalb ihrer Partei ihre Haut zu Markte. Über die Frage können wir uns zwar nicht unter uns und zwischen uns auseinandersetzen, aber ich will sie hier einmal nennen. Nun höre ich beispielsweise, daß die größte Entrüstung im Lande, in der Bundesrepublik Deutschland entsteht, weil es einer meiner Kollegen gewagt hat, über die Frage einer zusätzlichen Bewaffnung der Polizei zu reden. (Lambinus [SPD]: Die die Polizei gar nicht will!)


    (Heiterkeit — Zurufe)


    (Heiterkeit)


    (Zurufe von der SPD)





    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nach dem Stand meiner Waffenexperten wird sich Baden-Württemberg wohl nicht für die Gummigeschosse entscheiden.

    (Beifall des Abg. Lambinus [SPD])

    Nur, machen Sie sich das nicht so leicht! Die Situation verändert sich doch ständig. Wir haben es doch zum Teil mit Leuten zu tun, die Molotow-Cocktails, d. h. Brandbomben, auf lebende Menschen, auf lebende Polizeibeamte werfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da wird man doch in aller Ruhe und Gelassenheit darüber nachdenken können, wie man bei Konfrontationen mit solchen Leuten zu Methoden kommt, um einen cordon sanitaire zwischen die Angreifer und die verteidigende Polizei in einem Umkreis von 30, 40 Meter zu legen, damit das nicht mehr möglich ist.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: In Ordnung!)




    Minister Dr. Herzog (Baden-Württemberg)

    Das ist zunächst doch gar nicht die Frage von Gummigeschossen. Darüber wird man sich doch unterhalten können.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Natürlich! Wir fordern Sie dazu auf!)

    Es ist dann auch legitim, in dem Zusammenhang auf die Notwendigkeit und die Gefahr des Schußwaffengebrauchs hinzuweisen. Das ist doch alles nichts Rechtswidriges, sondern es geht doch genau darum, diese letzte Maßnahme der Notwehr durch eine gute Bewaffnung, durch eine gute Ausstattung der Polizei so weit hinauszuschieben wie nur irgend möglich. Darum geht es doch in diesem Zusammenhang.
    Lassen Sie mich zu der Frage der Vermummung kommen. Da wird immer wieder die GdP zitiert. Wissen Sie, wenn ich mit fünf führenden Funktionären der GdP über diese Frage rede, dann ist es im allgemeinen eine Frage des Zufalls, ob zwei dafür und drei dagegen sind oder drei dafür und zwei dagegen. Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Versuch des Herrn Bundesjustizministers, in seiner Regierungserklärung mit Schwierigkeiten der Abgrenzung das Ganze ad absurdum zu führen, überzeugt mich auch noch nicht.

    (Abg. Dr. Hirsch [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Ich möchte gern zum Schluß kommen — ich will die Diskussion nicht abwürgen, Herr Hirsch —, um die Debatte nicht zu lang werden zu lassen. — Aber der Versuch überzeugt mich auch nicht. Das ist ein alter Juristentrick. Man zeigt immer die Grenzfälle und die Abgrenzungsschwierigkeiten auf und sagt: Infolgedessen geht es überhaupt nicht. Dazu habe ich zu viele tausend Juristen ausgebildet und auch auf diesen Trick hingwiesen, um das zu wissen und zuzugeben.

    (Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Das macht Schule!)

    Der Herr Schmude hat bei mir nicht gelernt. Aber es kann j a noch werden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann lassen Sie uns doch in aller Ruhe über eine Eingrenzung reden! Es geht doch im Bereich des Polizeirechts immer nur um das Opportunitätsprinzip, um die Möglichkeit, einzugreifen, und nicht um die Notwendigkeit, einzugreifen. Und selbst beim strafprozessualen Legalitätsprinzip könnte man j a noch zu anderen Lösungen kommen. Lassen Sie uns doch unvoreingenommen darüber reden!
    Fest steht jedenfalls das eine: Bei einer bestimmten Art von Demonstrationen ist die Tatsache, daß einer vermummt kommt, zunächst einmal ein starkes Indiz dafür, daß er nicht in friedlicher Absicht kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und es ist auch ein alter Juristentrick, zu sagen, daß ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung erleichtert. Ein Blick ins Grundgesetz zeigt, daß das Versammlungs- und Demonstrationsrecht nur dann und nur
    insoweit gewährleistet ist, als es friedlich und ohne Waffen in Anspruch genommen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Darüber kann man doch einmal in aller Ruhe reden.
    Meine Damen und Herren, ich habe jetzt 20 Minuten gesprochen, und es ist eine meiner Tugenden, möglichst nicht über 20 Minuten vor Parlamenten und auch sonst zu sprechen. Man sollte die Leute im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzip auch nicht verbal zu erschlagen versuchen. Aber ich will auf eines noch hinweisen und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auffordern, darüber nachzudenken.
    Wissen Sie, es gibt die Geschichte von dem Rechtsanwalt, dessen erster Mandant wegen Diebstahls strafschärfend verurteilt worden ist, weil er es bei hellem Tageslicht getan hat und darin eine besondere Frechheit liegt. Sein zweiter Mandant wird dann wegen der besonderen Feigheit und Hinterhältigkeit strafschärfend behandelt — in der alten Zeit, wo es das noch gab —, weil er es bei tiefer und düsterer Nacht getan hat. Der Anwalt hat mit einem gewissen Recht die Frage gestellt: Ja, wann soll mein Mandant denn eigentlich stehlen?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn ich die Ausführungen — auch des Bundesjustizministers — zur Frage der Gesetzesänderungen höre, kommt mir eine ähnliche Frage, obwohl ich weiß, daß jetzt die Replik kommt, daß ich mich auf der Seite der Diebe befinde. Wenn es um die Verschärfung des geltenden Demonstrationsrechtes geht, meine Damen und Herren, dann wird uns gesagt: Es reicht doch das geltende Recht. Setzen wir das geltende Recht ein, dann heißt es: die wollen die Muskeln spielen lassen, die wollen jetzt hart durchgreifen, jetzt kommen die „Falken" usw. Gestern nachmittag in der Landtagsdebatte ist mir das von der Opposition alles gesagt worden. Allerdings haben wir drei Oppositionsparteien, und die sind nie ganz einig, worin sie uns kritisieren. Aber immerhin.
    Ich stelle Ihnen jetzt in allem Ernst eine Frage. Soll das Gesetz verschärft werden, heißt es: das geltende Gesetz reicht. Okay, ich glaube es zwar nicht, aber darüber kann man reden. Wenn wir das geltende Gesetz anwenden, heißt es: Die lassen die Muskeln spielen und sind für blindwütige Anwendung der staatlichen Gewalt. Was meinen Sie eigentlich? Meinen Sie vielleicht, wir sollten das Gesetz nicht verschärfen, es dafür aber auch nicht anwenden? Ich will es Ihnen nicht unterstellen, nur finde ich, wir sollten auch darüber wieder ganz entkrampft und vernünftig, wie es sich unter demokratischen Politikern gehört, sprechen. — Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Dr. Vogel.

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    Frau Prä-



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehrere Redner, darunter insbesondere mein bisheriger Landsmann Herr Staatsminister und Kollege Hillermeier, haben in ihren heutigen Beiträgen ein lebhaftes Interesse für Berlin gezeigt. Als Regierender Bürgermeister von Berlin kann ich das nur positiv würdigen. Ich hoffe allerdings, daß dieses Interesse auch in anderen Zusammenhängen anhält, z. B. demnächst bei der Beratung eines Berliner Initiativantrags, im Bundesrat schon eingebracht, zum verbesserten Schutz der Mieter vor Eigenbedarfsklagen nach Umwandlung von Altbaumietwohnungen in Eigentumswohnungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Da kann man vielen Menschen — nicht nur in Berlin — Besorgnisse nehmen und ihnen statt dessen Hoffnungen geben. Weiter könnte dieses Interesse für Berlin bei der Verlängerung des Schwarzen Kreises in Berlin bis 1990 — übrigens einer übereinstimmenden Willensbildung der Berliner Parteien folgend — oder auch bei der Beratung bodenrechtlicher Vorschläge bekundet werden. Ich bin zwar ganz sicher, daß Sie auch dann, Herr Kollege Hillermeier, das Wort ergreifen, allerdings bin ich mir über den Inhalt Ihrer Ausführungen dann nicht im gleichen Maße sicher, wie ich heute sicher sein konnte.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier — das darf ich dem Kollegen Erhard in Erinnerung an manche frühere Debatten vielleicht sagen — geht es wirklich um die Gestaltung, nein, um die Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse mit den Mitteln des Rechts. Das ist nämlich die Aufgabe der Rechtspolitik, das ist der Sinn der Rechtspolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier geht es um Prävention, um Vorbeugung, hier geht es darum, Schäden erst gar nicht entstehen zu lassen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Sie sind aber doch eingetreten! Sie waren doch Justizminister, Sie waren Wohnungsbauminister! Das ist doch unter Ihrer Führung eingetreten!)

    — Das ist unstreitig, das stelle ich doch gar nicht in Abrede.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Nur die Folgen wollen Sie nicht wahrhaben!)

    Ich glaube, da ist das ganze Haus einig, daß ich das war.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Mit welch schlechten Ergebnissen!)

    Ich höre keinen Widerspruch.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gegenstand der Erörterungen ist heute die Rechtspolitik, und zwar auf der Grundlage einer Regierungserklärung des Herrn Kollegen Schmude. Ich darf die Gelegenheit benützen, um meinem Nachfolger im Amt zu dieser Erklärung zu beglückwünschen. Sie zeigt ein hohes Maß an Kontinuität und einen umfassenden Zugang zur Fülle der rechtspolitischen Probleme.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Manche verengen allerdings diese notwendige Breite der Rechtspolitik und beschränken sich auf die Stichworte Polizei, Räumung, Verhaftung, neue Polizeiwaffen, Verschärfung des Strafrechts. Sie meinen, wenn von Rechtspolitik die Rede ist, in erster Linie seien für die Probleme, die uns alle mit Sorgen erfüllen, schärfere Strafen notwendig. Andere — so habe ich Sie heute wieder verstanden, Herr Kollege Hillermeier — meinen, in erster Linie mangele es an neuen Polizeiwaffen, z. B. an den Gummigeschossen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht gesagt worden, Herr Vogel, das stimmt doch gar nicht! Ich war doch hier im Saal!)

    — Herr Kollege Kohl, meine Aufmerksamkeit war ungeteilter als die Ihre. Sie hatten noch Nebengespräche zu führen; das verstehe ich gut.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Sie zitieren doch bewußt falsch! — Rawe [CDU/CSU]: Lesen Sie doch das Protokoll! Unverschämt!)

    Im übrigen, lieber Herr Kollege Kohl, gibt es eine sehr einfache Verfahrensweise, das entstandene Mißverständnis, das ich dann selbstverständlich bedauere, zu beheben, indem Herr Kollege Hillermeier nach mir an dieses Pult tritt und sagt, daß er keine Gummikugeln und keine Brechreiz verursachenden Mittel befürworte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sie behaupten jetzt die Unwahrheit, und dann soll Herr Hillermeier sich äußern? — Wehner [SPD]: Lassen Sie Ihr Geschrei sein, Herr Kohl!)

    — Herr Kollege Kohl, wenn Sie jetzt schon aufgeregt sind, wie soll das denn in zehn Minuten werden?

    (Heiterkeit bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/ CSU]: Herr Kollege Vogel, Sie werden in den nächsten Wochen aufgeregt sein!)

    — Herr Kollege Kohl, Sie fallen da einer Verwechselung zum Opfer; ich jedenfalls nicht. — Also, ich höre mit Interesse, daß sich der Herr Kollege Hillermeier — unter dem lebhaften Zuruf des Herrn Kollegen Kohl — von Gummikugeln und Brechreiz verursachenden Mitteln distanziert. Das halte ich für einen Fortschritt, das begrüße ich. —

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Andere sagen, in Berlin sei der Rechtsstaat gefährdet, es gebe dort rechtsfreie Räume. Gut, auch diese Sorge muß, vor allen Dingen dann, wenn sie in ernsthaftem Ton und ohne ein überflüssiges Maß an Emotionen vorgetragen wird, ernst genommen werden. Aber was ist denn die Wahrheit? Ist es wahr, daß in Berlin Gewalttaten nicht verfolgt werden? Ist es wahr, daß dort das Recht, die Verfassung, wie behauptet wurde, partiell außer Kraft gesetzt sei?



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    Meine Damen und Herren, das ist natürlich nicht wahr. Wahr ist vielmehr, daß in Berlin Gewalt und Straftaten ebenso verfolgt werden wie anderswo, allerdings Taten, für die ein konkreter Verdacht besteht. Kollektive Festnahmen, bei denen man auch bewußt die Festnahmen Unschuldiger, wie man hinterher hört, in Kauf nimmt, finden in Berlin nicht statt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Im übrigen: Für den Juristen ist, Herr Kollege Hillermeier, die Wahl des Begriffes „Festnahme" — also nicht „Verhaftung", sondern „Festnahme" — zu bedenken.
    Das sind die Berliner Fakten: In Berlin sind seit dem 23. Januar 1981 168 Personen wegen Straftaten, die im Zusammenhang mit Ausschreitungen anläßlich von Demonstrationen begangen worden sind, festgenommen worden. Von diesen 168 Personen befinden sich noch 11 in Haft, darunter — das wird das Haus insgesamt und insbesondere auch Sie, Frau Präsidentin, interessieren — die beiden Personen, die dringend verdächtig sind, in einer Ausstellung im Reichstag einen Brand gelegt zu haben. Dem Wachbeamten, der umsichtig und mit persönlicher Gefährdung die beiden festgenommen hat, habe ich inzwischen in meinem Amtszimmer die Anerkennung ausgesprochen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    52 Personen sind wegen Straftaten, die in oder aus besetzten Häusern begangen worden sind, festgenommen worden. Davon sind 47 Personen in besetzten Häusern festgenommen worden. Davon ist noch eine Person auf Grund richterlicher Entscheidung in Haft.
    Ich frage Sie, meine Damen und Herren, wo sind angesichts dieser Zahlen und dieses Berichtes die rechtsfreien Räume?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Über 100 Häuser!)

    Richtig ist, daß in Berlin keine sinnlosen Aktivitäten unternommen werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es gibt dort über 800 leerstehende Häuser. Es ist gar nicht möglich, sie alle — —

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wem gehören die?)

    — Aber, meine Damen und Herren, das habe ich doch wiederholt erklärt — Herr Kollege von Weizsäcker hat dies auf der Zuhörertribüne des Berliner Abgeordnetenhauses gehört und kann es bestätigen —: Zu über der Hälfte gehören sie landeseigenen Gesellschaften, weil sie von denen erworben worden sind. Das ist doch eine Tatsache, da gibt es doch gar keinen Streit. Es gibt über 800 leerstehende Häuser. Es ist gar nicht möglich, alle diese 800 Häuser durch die Polizei zu sichern, d. h. genauer: durch die Polizei zu besetzen; anders können Sie sie nicht sichern. Das wäre sogar eine ganz gefährliche Verzettelung der Polizeikräfte, das würde zu einer Vernachlässigung der eigentlichen Aufgaben der Polizei führen.
    Wir befolgen auch bei der Frage der Räumung das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit. Wir räumen bei jeder neuen Besetzung dann, wenn ein Strafantrag gestellt ist und gleich nach der Räumung Instandsetzungsarbeiten beginnen oder ein legaler Abriß im Sinne der geänderten Modernisierungspolitik stattfindet. Wir räumen nicht, wenn das geräumte Haus dann weiter Wochen, Monate und Jahre leersteht oder die Betroffenen nur von einem leeren Haus in ein anderes gejagt werden. Nach diesen Leitlinien hat bislang die Besetzung von acht Objekten ein Ende gefunden. Die Berliner Polizei — einschließlich ihrer Führung — verdient für diese besonnene und engagierte Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch von dieser Stelle aus Dank, Lob und Anerkennung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich frage das Haus: Was ist denn daran eigentlich zu kritisieren? Der designierte Landesvorsitzende der Berliner CDU, mein sehr verehrter Gegenkandidat, Herr von Weizsäcker, hat selber wörtlich folgendes gesagt:
    Es hat keinen Sinn, unter den heutigen Bedingungen in Berlin-Kreuzberg mit staatlicher Gewalt ein Haus räumen zu lassen, wenn 50 leere danebenstehen. Gerade im Falle Kreuzberg läßt sich die Durchsetzung des Rechts nur mit einer kurz- und mittelfristig geänderten Wohnungspolitik erreichen.
    Er hat vollständig recht. Was also ist daran zu kritisieren?

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Die Wohnungsbaupolitik!)

    — Ja, aber selbstverständlich, die kritisiere ich ja mit Ihnen. Aber nun frage ich Sie: Warum ist denn das in den Städten, in denen Sie Verantwortung tragen, genauso?

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: In Berlin aber doch nicht!)

    — Entschuldigung, aber Berlin ist doch bei aller Bedeutung nicht die einzige Großstadt der Republik. Ich darf noch weitere, zumindest bei dem Teil der CDU sicher ganz unverdächtige Zeugen zitieren: Oberbürgermeister Rommel, der amtierende Präsident des Deutschen Städtetages. Er sagt wörtlich:
    Es ist meist falsch, ein Haus mit polizeilichen Mitteln räumen zu lassen, wenn es monatelang leersteht, also möglicherweise von der Polizei selbst besetzt werden muß.
    Gilt das oder gilt das nicht?
    Neuerdings nähert sich Herr Kollege von Weizsäcker — ich bedauere das — eher den einfacheren Parolen und spricht auch seinerseits von rechtsfreien Räumen, Abbau des Rechtsstaates und dergleichen mehr.
    Ich habe die Sorge — und dies meine ich ernst, sehr ernst —, Liberalität ist offenbar in der Union

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Ach, Herr Vogel, hören Sie doch auf mit diesen scheinheiligen Reden, die Sie hier führen!)




    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    in kritischen Situationen schwer durchzuhalten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das weiß — und Herr von Weizsäcker kennt den Zeugen, den ich jetzt dafür aufrufe —

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das sagt einer der größten Opportunisten der deutschen Sozialdemokraten!)

    auch Herrn Professor Kewenig. Das ist der Angehörige des CDU-Teams, der vorübergehend — bis zu seiner Befragung — für parteilos gehalten wurde. Herr Professor Kewenig schrieb wörtlich folgendes
    — und nun, Herr Kohl, darf ich Sie bitten, vielleicht in großer Ruhe die Auseinandersetzung nicht mit mir, sondern mit Herrn Kewenig zu führen —:
    Zwar hat sich inzwischen auch in eher konservativ gesinnten CDU-Kreisen herumgesprochen, daß man in jeder von der CDU gebildeten Regierung oder auch im Parteivorstand nicht nur eine Frau und einen Arbeitnehmervertreter, sondern auch einen liberalen Kopf vorweisen können sollte. Man schmückt sich mit ihm wie mit einem Aushängeschild, macht ihm sogar möglicherweise Konzessionen in der Regierungserklärung oder im Parteiprogramm; aber
    — das sagt nicht Vogel, sondern Kewenig —
    wenn es konkret um die Durchsetzung politischer Absichtserklärungen innerhalb von Regierung oder Partei geht, dann erfahren die Wähler immer wieder, daß die Liberalen in der Union erhebliche Schwierigkeiten haben. Dieser Befund kann eigentlich nur den politisch Unerfahrenen überraschen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe der Abgeordneten Dr. Kohl [CDU/CSU] und Dr. Jenninger [CDU/CSU])

    So unerfahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind Sie doch gar nicht.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Aber Entschuldigung; wenn ich noch nicht einmal ein Mannschaftsmitglied von Herrn Weizsäcker zitieren darf, j a, was soll ich denn dann noch?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sie können doch zitieren, was Sie wollen; kümmern Sie sich doch um Ihre Dinge in der Sozialdemokratischen Partei und überlassen Sie uns unsere Diskussion!)

    — Also, lieber Herr Kollege Kohl, solange ich im Hause war, waren Sie viel ruhiger. Ich weiß nicht, was da mit Ihnen passiert ist.

    (Heiterkeit bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich frage also: Was soll eigentlich gelten, die Berliner Linie oder die Nürnberger Linie, die wir gerade erläutert bekommen haben, wobei Nürnberg nicht für die Stadt, sondern eher für die Linie der Bayerischen Staatsregierung steht, wenn ich das richtig verstanden habe?

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Was die Sicherheitsorgane in Berlin tun, das ist rechtmäßig; mehr noch, es ist verfassungsgemäß. Denn zu unserer Rechtsordnung, zu unserer verfassungsmäßigen Ordnung gehört auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit. In den Auseinandersetzungen wird ja gelegentlich so getan, als wenn die Beachtung der Verhältnismäßigkeit Opportunismus wäre, als wenn die Beachtung der Verhältnismäßigkeit ein Ausweichen vom Recht wäre. Dem muß mit Deutlichkeit und Festigkeit entgegengetreten werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verhältnismäßigkeit eines der konstituierenden Prinzipien unserer Rechtsstaatlichkeit.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Zweifel zieht oder gar spöttisch verächtlich macht, der setzt sich mit der geltenden Verfassungsordnung auseinander; lassen Sie mich das hinzufügen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Im übrigen: auch andere, die Verantwortung haben, handeln doch nach diesem Grundsatz. Der Herr Kollege Stoltenberg hat in einer sehr eindrucksvollen Rede am vergangenen Freitag im Bundesrat über seine Brokdorfer Erfahrungen berichtet und hat ein Gesprächsangebot gemacht, das von anderen Ministerpräsidenten und auch von mir gerne aufgenommen worden ist. Er hatte die Erfahrung, daß es verhältnismäßig war, die Durchbrechung des vom Verfassungsgericht bestätigten Verbots, daß kein Demonstrant näher als 5 Kilometer an Brokdorf heran darf, zu dulden und die Machtmittel des Staates richtigerweise dann um die Baustelle herum einzusetzen. Man hat ein vom Gericht bestätigtes Verbot unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit nicht durchgeführt und hat großes Unheil abgewendet. Ich stimme dem zu.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Das ist ein überragender Liberaler!)

    Ich sehe meinen alten Kollegen und auch — ich sage das freundschaftlich — Widersacher Herrn Professor Klein. Er ist Professor an der Universität Göttingen. Herr Kollege Klein, mit Zustimmung des niedersächsischen Innenministers und des niedersächsischen Justizministers — es ist mir neuerdings von einem der beiden Herren bestätigt worden — ist eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsanordnung in Göttingen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu dem angeordneten Zeitpunkt nicht vollzogen worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Für wen reden Sie eigentlich?)

    — Ich rede für die, die zuhören, und für diejenigen, die aufmerksam meinen Gedanken folgen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich bin dem Herrn Kollegen Herzog, den ich insbesondere auch als Staatsrechtler sehr schätze und der zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit sicher keine abweichende Meinung vertritt, dankbar dafür, daß er hier differenziert hat. Er hat auch selbst Leit-



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    Linien für Großeinsätze der Polizei erlassen, mit Datum vorn 2. Februar 1981. Da sagt er — ich zitiere wörtlich und bitte sofort um ein Zeichen, wenn es nicht korrekt sein sollte —:
    Besondere Abwägung erfordert die Situation bei illegalen Hausbesetzungen. Maßnahmen gegen Besetzungen, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung in nicht vertretbarer Weise beeinträchtigt wird
    — der Jurist könnte hier herauslesen, daß es auch Besetzungen gibt, die in vertretbarer Weise beeinträchtigen, sonst macht der Satz keinen Sinn; aber das ist nicht mein Punkt —
    sind mit den zuständigen Stellen oder Berechtigten abzusprechen.
    Jetzt kommt der für mich entscheidende Satz:
    Art und Umfang der polizeilichen Maßnahmen können abhängig sein von den Motiven der Besetzer,
    — man höre! —
    von der voraussichtlichen Dauer der Besetzung, dem Personenkreis der Besetzer und der Art, der Lage und dem Zustand des Objekts.
    Sehr vernünftig; dies wenden wir in Berlin auch an. Das ist ausgezeichnet.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das eigentlich der Kern der Sache, die wir heutehier verhandeln? Ist das das eigentliche Problem? Ich meine, was wir hier erörtern, ist wichtig genug. Es ist auch wichtig genug, daß wir den Mißständen im Bereich der Sanierung und Modernisierung nachgehen und sie überwinden. Wir versuchen das in Berlin.
    Wir haben an den Anfang ein klares Eingeständnis von Fehlentwicklungen in Berlin gestellt, die es übrigens in allen Metropolen gibt, noch nicht einmal allein in den deutschen, sondern quer durch Europa in allen Metropolen, die uns vergleichbar sind. Das Eingeständnis des Fehlers, das Sie so begierig erwarten, Herr Kohl, haben wir von uns aus ohne Aufforderung an den Anfang gestellt.

    (Zuruf des Abg. Rawe [CDU/CSU])

    Ich habe mich für meinen Zeitraum der Verantwortung als Wohnungsbauminister — vom Dezember 1972 bis zum Juni 1974 — in dieses Eingeständnis des Fehlers mit einbezogen.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das geschieht bei jedem Wechsel in Berlin!)

    — Sie hatten noch keine Gelegenheit, dieses Bekenntnis abzugeben. Es wird auch so bleiben, Frau Kollegin.

    (Beifall bei der SPD)

    Das zweite ist eine Kurskorrektur in der Sanierungs- und Modernisierungspolitik. Außerdem sind auch Schritte eingeleitet, um die bestehenden Besetzungen in rechtlich korrekte Verhältnisse überzuleiten.
    Auch wir sehen ganz deutlich, daß wir nicht nur an die denken können, die jetzt in diesen Häusern sitzen, sondern auch an diejenigen, die ihren Wohnungsbedarf nicht in dieser Weise auf eigene Faust befriedigen können. Das gehört auch zur Lösung unseres Problems. Das sprechen wir auch aus, das fügen wir hinzu.
    Für all das brauchen wir Geduld und die Kraft zur Überwindung von Rückschlägen. Fehlentwicklungen von Jahren, die sich doch nicht in dieser primitiv-vordergründigen Weise einzelnen Parteien oder Regierungen zuordnen lassen, können wir nicht in Wochen beheben. Wer etwas anderes behauptet, der täuscht den Bürger.
    Aber auch das ist nur ein Teilaspekt. Unsere eigentliche Sorge müßte im Grunde einer weiteren Frage gelten, einer Frage, die in die Tiefe dringt. Meine Sorge jedenfalls gilt dieser Frage.
    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß es Kriminelle gibt, die in diesen Bereichen ihre kriminellen Aktivitäten zur Entfaltung bringen, ist unstreitig. Daß es in diesen Bereichen auch solche gibt, die diese Gesellschaftsordnung insgesamt in militanter und gewalttätiger Weise kaputt haben wollen, das wird doch nicht bezweifelt; von einem, der sieben Jahre Justizminister war, am allerwenigsten.
    Das ist schlimm, besorgniserregend. Aber essentiell ist doch die Frage, woher es denn kommt, daß Tausende junger Leute, die nicht der Gruppe der Kriminellen, in die sie vorschnell eingereiht werden, die nicht der Gruppe der Staatszerstörer, in die sie ebenso vorschnell etikettiert eingereiht werden, zuzurechnen sind, ihren Protest gegen bestimmte Erscheinungen, ihren Protest gegen die Lebensverhältnisse, in denen sie geboren worden sind, in denen sie groß geworden sind, auch mit den Mitteln der Duldung von Gewalt und der — leider muß man es sagen — zumindest passiven Unterstützung, da und dort sogar der aktiven Unterstützung von Gewalt, zum Ausdruck bringen. Jede Diskussion, die diesen Punkt nicht erreicht, meine Damen und Herren, bleibt an der Oberfläche.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Und wieso reden wir nur von den Vorgängen bei uns? Ich kenne Herren, die sicherlich die Schweiz und hier wieder die Stadt Zürich als Inbegriff all dessen sehen, was sie an Festigkeit, an konservativer Stabilität auch bei uns im Auge haben. Ich liebe die Stadt selbst. Dort gibt es eine feste Polizei, die nicht zögert. Dort gibt es Strafdrohungen, die selbst über das noch hinausgehen, was der Herr Kollege Spranger zu meiner Zeit hier ständig verlangt hat.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Dort gibt es eine Regelmäßigkeit von Polizeieinsätzen, die jeder Beobachter von uns aus nachvollziehen kann.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Ist das eigentlich eine Demokratie?)

    Aber auch dort, meine Damen und Herren, gibt es
    Hunderte, ja, eine wachsende Anzahl, Tausende junger Menschen, die ihren Protest in der Weise zum



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    Ausdruck bringen, wie ich es gerade beschrieben habe.
    Im übrigen ist das doch auch gar nicht auf die Schweiz zu beschränken. Schauen Sie nach Holland! Da sehen Sie, wie simpel diese Zuordnung ist: sozialdemokratische Regierung, christlich-demokratische Regierung.
    Wenn wir etwas unter die Oberfläche blicken — und Herr von Weizsäcker und ich können das von Berlin aus vielleicht ein bißchen besser als andere —, dann stellen wir fest, daß ähnliches, wenn auch aus anderen Voraussetzungen heraus, für osteuropäische Länder gilt.
    Wenn wir zu diesem Punkt vorstoßen, meine Damen und Herren, dann geht es mit ein paar Redensarten nicht ab, dann ist es mit der Kritik und Selbstgerechtigkeit, hin und her, nicht getan,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    dann müssen wir, meine, unsere gemeinsame Generation, Herr Kollege, wir Politiker, uns auch fragen, was wir denn selber etwa falsch gemacht haben, daß eine solche Entwicklung Platz gegriffen hat. Forschen wir doch einmal nach — und vielleicht ohne diesen Ausdruck von hämischer Rechthaberei, den ich an diesem Punkt sehr störend finde —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

    aus welchen Familien denn die kommen, von denen ich da eben sprach! Das ist inzwischen, wenn ich an Nürnberg denke — und der Herr Kollege Hillermeier kennt doch die Lebensläufe — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: SPD-Abgeordnete! Fräulein Lutz!)

    — Ich hoffe, daß dieser selbstgerechte Zwischenruf festgehalten ist. Soll ich Ihnen die Namen von CDU-Angehörigen nennen, die ähnliche Probleme haben? Was soll denn diese Selbstgerechtigkeit?

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Kollege Hillermeier weiß, aus welchen Familien die 141 Festgenommenen in Nürnberg kommen. Das ist doch inzwischen ein repräsentativer Querschnitt der Nürnberger Bevölkerung. Das sind doch keine reisenden Krawallbrüder alle miteinander. Und wenn der bayerische Ministerpräsident das auch behauptet, im Nachdruck eines Wortinterviews zu lesen. Es ist schon heute widerlegt, daß es sich hier um 141 Gewalttäter und den Kern eines neuen Terrorismus handle.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt!)

    — Herr Kollege Vogel, ich stelle Ihnen die wörtlichen Zitate gerne zur Verfügung. Die „Welt am Sonntag" wird von Ihnen im allgemeinen für zuverlässig gehalten. Bitte lesen Sie es nach. Es wird keine Schwierigkeiten geben.
    Ich meine, wir sollten durchstoßen zu den eigentlichen Problemen. Wir sollten fragen, wie wir diese jungen Menschen wieder zurückholen können, ohne falsche Anbiederung, ohne falsches — oft genug aus schlechtem Gewissen fließendes — Nachbeten ihrer Schlagworte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer macht denn das?)

    aber mit Mitteln, die nicht Tausende und Abertausende, auf die wir als Volk und Gesellschaft nicht verzichten können, aus unserer Gemeinschaft hinausdrängen und sie erst zu Bundesgenossen der beiden Gruppen machen, die ich eingangs erwähnt habe, ohne jede Polemik, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der Bürgermeister von Berlin hat niemandem vordergründig Ratschläge zu geben. Er hat zu sehen, wie er mit den Verantwortungsbewußten in allen Lagern der Stadt mit der Situation fertig wird, und er bittet dabei um Unterstützung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gilt das auch für den bayerischen Ministerpräsidenten?)

    -- Ich habe noch keine Unterstützungsbitte von ihm zu diesen Punkten gehört. Wenn er in diese Tiefe der Probleme vordringt, wird er sicher Unterstützung bekommen. Aber seine Äußerungen sind meist einfacherer Art und nicht gerade bittend und reflektierend.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich darf mir die Frage erlauben, ob man wirklich meint, durch massenhafte Verhaftungen von Minderjährigen, durch neue Polizeiwaffen das, worum es wirklich geht, ein Stück zum Guten zu bewegen. Ich glaube, wir Politiker haben andere Mittel, Mittel, die für diesen entscheidenden Teil der jungen Menschen — ich rede nicht von den Kriminellen und von denen, die man auch Staatszerstörer nennen könnte
    — wesentlich sind, sei es das Beispiel, das wir den Jungen geben können, sei es die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir uns geduldig zuhören, Herr Kollege Kohl.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das Beispiel Ihrer Rede!)

    Es wäre wünschenswert, daß wir noch mehr für die Einheit von Reden und Handeln und von Leben und Tun als Politiker sorgen

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    — ein Punkt, den die Jungen sehr skeptisch und sehr allergisch betrachten —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat der Herr Schöfberger Sie auch immer vornehm behandelt?)

    daß wir uns ernsthafter mit der Frage auseinandersetzen, welche Maßstäbe eigentlich für Erfolg und Mißerfolg unserer Gesellschaft, der Gruppen und der einzelnen, maßgebend sind und daß wir auch einmal fragen, was denn die breite Jugend — nicht nur ein kleiner Teil — schon mit dem Leistungsbegriff anfangen kann, den wir praktizieren oder erläutern. Hier schließe ich viele mit ein. Ich gehe doch nicht entlang den simplen Parteilinien.
    Ich frage: Haben wir nicht einen Leistungsbegriff, der sich fast ausschließlich an Intelligenz, techni-



    Regierender Bürgermeister Dr. Vogel (Berlin)

    scher Fertigkeit und sozialem Durchsetzungsvermögen orientiert?

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist doch Ihre Bildungspolitik in diesem letzten Jahrzehnt gewesen, Herr Vogel!)

    — Herr Kollege Kohl, freuen Sie sich doch, wenn Sie mir zustimmen können. Das ist doch kein Grund zu derartiger Erregung. Ich verstehe Sie gar nicht.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Absurd! Das ist doch Ihre Bildungspolitik!)

    Menschlich wertvolle und gesellschaftlich wichtige Fähigkeiten wie Phantasie, Originalität,

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Was soll denn dieser Striptease?)

    gesellschaftlich-politisches Verantwortungsgefühl, Kooperationsfähigkeit, moralische und soziale Empfindsamkeit werden zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Wenn Sie meinen, dies sei ein Grundzug Ihrer Politik, dann stelle ich ein Maß an Übereinstimmung fest, das mich tief beeindruckt. Das sind nämlich wörtliche Zitate aus dem Orientierungsrahmen '85 der Sozialdemokratischen Partei.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, täuschen wir uns — damit komme ich zum Schluß — im übrigen nicht. Manche beruhigen sich mit der Rede von der kleinen Minderheit, von der sehr kleinen Minderheit. Es werden auch Prozentzahlen genannt. Man ist vielleicht im Rathaus den Problemen wieder ein ganzes Stück näher. Manches hier wirkt, wenn man wieder hereinkommt, merkwürdig, wie unter einer isolierten Käseglocke, hin wie her. Auf Grund dieser näheren Kenntnis sage ich Ihnen: Das reicht weiter. Wenn Herr Boenisch in der Ausgabe der „Welt" vom Samstag und Herr Leicht in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" dies übereinstimmend ebenso sehen wie ich, dann ist dies ein deutliches Zeichen, fast schon ein Alarmzeichen für das, was dort im Gange ist.
    Dazu gibt es auch aus Berlin eine bemerkenswerte Stimme. Herr Kollege Kohl, jetzt möchte ich bitten, erst ganz bis zum Schluß zuzuhören — Herr Weizsäcker weiß schon, wer unterschrieben hat, aber Sie wissen es noch nicht —; sonst gibt es Divergenzen. In einer Erklärung, die dort am vergangenen Montag veröffentlicht wurde — nun lese ich ganz langsam — heißt es wörtlich:
    Hausbesetzungen und Unruhen, mögen sie auch von radikalen Minderheiten geschürt oder genutzt werden,
    — richtig! —
    sind Erscheinungsformen eines tiefer und weiter reichenden Unbehagens einer Generation, die sich angesichts von Arbeitslosigkeit, Bürokratisierung, Zentralisierung, Spezialisierung, Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und
    — vielleicht haben Sie auch das hier heute schon ein bißchen im Auge gehabt —
    des wortreichen Leerlaufs unseres Politikerbetriebs überflüssig, der sinnvollen Lebensziele
    beraubt, hilflos und nicht ernst genommen fühlt. Deshalb sind Mut und Fähigkeit zum Dialog, Selbstkritik und Reform für alle demokratischen Parteien überlebenswichtig und überlebensnotwendig. Wer nichts als pauschale Massenverhaftungen und neue Polizeiwaffen anzubieten hat, der offenbart erschreckende Hilflosigkeit.
    Die Erklärung stammt allerdings nicht, wie Sie vielleicht meiner Andeutung am Anfang fälschlich hätten entnehmen können, von meinem sehr verehrten Gegenkandidaten, Herrn von Weizsäcker. Sie stammt von der Jungen Union Berlin und ist vom Landesvorsitzenden und vom stellvertretenden Vorsitzenden dieser Jugendorganisation unterzeichnet, der ich hier meinen Respekt und meine Anerkennung für diese Aussage ausspreche.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Was haben die Jusos für Erklärungen abgegeben?)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie in der Verfestigung Ihres Gefühls, alles richtig gemacht zu haben, alles richtig zu wissen, wenn Sie in der Verhärtung dieses Gefühls auf mich, auf uns nicht hören wollen, dann hören Sie bitte auf die Stimme Ihrer eigenen Jugendorganisation.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Nur kein Neid!)

    Es ist die Stimme der Vernunft. Wir werden der Vernunft, die auch aus diesen Zeilen spricht und die sich nicht nach Parteien sortiert, in Berlin auch weiterhin folgen; wenn es sein kann, mit Ihrer Unterstützung, Herr von Weizsäcker — ich bin auch deshalb hierher gekommen, damit wir uns jetzt einmal in Rede und Widerrede im selben Saal begegnen können —, aber wenn es sein muß, auch ohne diese Unterstützung, weil die Vernunft es gebietet. — Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Langanhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)