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    Plenarprotokoll 9/26 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 26. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 1151 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft — Drucksache 9/124 — Frau Dr. Wex CDU/CSU 1151 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 1154 B Eimer (Fürth) FDP 1157 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 1159 C Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 1161 C Frau Verhülsdonk CDU/CSU 1165 A Frau Fromm FDP 1167 D Frau Steinhauer SPD 1169 C Schmidt, Bundeskanzler 1171 C Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 1174 B Frau Matthäus-Maier FDP 1176 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 1179 B Frau Karwatzki CDU/CSU 1181 A Dr. Diederich (Berlin) SPD 1183 C Frau Dr. Wilms CDU/CSU 1185 B von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI . 1187 D Frau Dr. Timm SPD 1188 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Klein (Göttingen), Dr. Wittmann, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Dregger und der Fraktion der CDU/CSU Auswirkungen rechtspolitischer Entscheidungen oder Unterlassungen — Drucksache 9/183 — Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . . .1207 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . .1215 B Dr. Emmerlich SPD 1221 B Kleinert FDP 1226 A Dr. Hillermeier, Staatsminister des Freistaates Bayern 1230 A Dr. Herzog, Minister des Landes BadenWürttemberg 1237 A Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 1240 D Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1246 D Schmidt, Bundeskanzler 1250 C Dr. Kohl CDU/CSU 1256 C Engelhard FDP 1262 A II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/210 — 1264 D Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/162 — 1265 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dollinger, Pfeffermann, Bühler (Bruchsal), Neuhaus, Linsmeier, Lintner, Maaß, Weirich, Dr. Riedl (München), Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Wörner, Sauter (Epfendorf), Dr. Jenninger, Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 9/128 — Dr. Linde SPD 1265 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1981 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1981) — Drucksache 9/228 — 1265 C Fragestunde — Drucksache 9/226 vom 13. 03. 1981 — Benachteiligung der Versicherten in Großstädten durch die geplante neue Regionalstruktur der Kraftfahrzeughaftpflichtprämien MdlAnfr 68, 69 13.03.81 Drs 09/226 Fischer (Hamburg) CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . 1191 A, C, D, 1192 A, B ZusFr Fischer (Hamburg) CDU/CSU . 1191 B, C, 1192 A Wettbewerbsnachteile der deutschen Stahlindustrie durch den EG-Ministerratsbeschluß MdlAnfr 70 13.03.81 Drs 09/226 Menzel SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 1192 B, D, 1193 A, B, C, D, 1194 A ZusFr Menzel SPD 1192 D ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . . 1193 A ZusFr von der Wiesche SPD 1193 B ZusFr Dr. Lammert CDU/CSU 1193 B ZusFr Meininghaus SPD 1193 C ZusFr Urbaniak SPD 1193 D Einführung einer Grenzabgabe für einreisende Autobusse und Erhöhung der Abfertigungsgebühren für Lastzüge in Dänemark MdlAnfr 72, 73 13.03.81 Drs 09/226 Stutzer CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1194 A, B, C, D, 1195 A ZusFr Stutzer CDU/CSU . . . . 1194 C, D, 1195 A Vorfinanzierung der Kraftwerke in Cattenom durch Stromabnahmeverträge deutscher Energieversorgungsunternehmen mit der Electricité de France MdlAnfr 74 13.03.81 Drs 09/226 Schreiner SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1195 A, B, C, D ZusFr Schreiner SPD 1195 B, C ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . .1195 C ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1195 D Rückgang der Zahl der Genehmigungen zur Ausreise aus Polen und der Sowjetunion seit 1978 MdlAnfr 39, 40 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Bötsch CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1196 B, D, 1197 A, B, C ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1196 C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1197 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1197 B Pflege deutscher Kriegsgräber in der Sowjetunion MdlAnfr 44 13.03.81 Drs 09/226 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1197 C, 1198 A, B, C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 1197 D, 1198 A ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1198 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1198 B ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1198 C Festnahme von vier deutschen Staatsbürgern nach einem Gewerkschaftstreffen in Santiago de Chile MdlAnfr 45 13.03.81 Drs 09/226 Weisskirchen (Wiesloch) SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1198 D, 1199 A ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 1198 D ZusFr Hansen SPD 1199 A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 III Verzicht auf die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa MdlAnfr 46 13.03.81 Drs 09/226 Thüsing SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1199 A, D ZusFr Hansen SPD 1199 D Störung der Entspannungspolitik durch Sendungen von Radio Free Europe und Radio Liberty MdlAnfr 47, 48 13.03.81 Drs 09/226 Hansen SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1200 A, B, D, 1201A,C,D, 1202A,B ZusFr Hansen SPD 1200 B, C, D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1201 A, B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1201 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . 1201 C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1201 D ZusFr Thüsing SPD 1202 A ZusFr Dr. Schöfberger SPD 1202 B Reaktion der Bundesregierung auf die Festnahme des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw sowie Folgerungen für den Akademikeraustausch und das Kulturabkommen mit der CSSR MdlAnfr 49 13.03.81 Drs 09/226 Engelsberger CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1202 C, D, 1203 A, B ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1202 D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1203 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 A Protest gegen die Inhaftierung des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw bei der tschechoslowakischen Regierung MdlAnfr 50 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . .1203 C Überreichung von Listen mit Härtefällen der Familienzusammenführung und Ausreise an osteuropäische Delegationen während des KSZE-Nachfolgetreffens in Madrid MdlAnfr 51 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 D, 1204 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . . 1203 D, 1204 A Vereinbarkeit der Anwesenheit des Wachbataillons „Feliks Dzierzynski" in Ost-Berlin mit dem entmilitarisierten Status GroßBerlins MdlAnfr 52 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 A, B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . 1204 B ZusFr Thüsing SPD 1204 C Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen des fünf Jahre in Warschau inhaftierten Deutschen Achim Rösch gegenüber der polnischen Regierung MdlAnfr 53 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 C, 1205 A ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . .1205 A Benachteiligung von Bundeswehroffizieren aus der Truppe gegenüber Bundeswehrhochschulabsolventen durch das geänderte Punktesystem für die Einstellung von Berufsoffizieren MdlAnfr 75, 76 13.03.81 Drs 09/226 Daweke CDU/CSU Antw StSekr Dr. Hiehle BMVg . 1205 B, 1206 C, D, 1207 A ZusFr Daweke CDU/CSU 1206 B, C, D Nächste Sitzung 1265 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1266* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 1151 26. Sitzung Bonn, den 19. März 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Böhme (Freiburg) 20. 3. Büchner (Speyer) * 20. 3. Dr. Enders * 20. 3. Fellner 20. 3. Dr. Geißler 20. 3. von der Heydt Freiherr von Massenbach 20. 3. Dr. Hubrig 20. 3. Jung (Kandel) 20. 3. Kiehm 20. 3. Kittelmann * 20. 3. Korber 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Männing 20. 3. Dr. Mitzscherling 20. 3. Dr. Müller * 20. 3. Müller (Wadern) * 20. 3. Picard 20. 3. Reddemann ** 19. 3. Frau Roitzsch 20. 3. Frau Schlei 20. 3. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 20. 3. Voigt (Frankfurt) 20. 3. Dr. Wendig 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Will-Feld 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Benno Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Hirsch, ich habe gewußt und gehe davon aus,



    Erhard (Bad Schwalbach)

    daß unser Strafrecht einheitlich für die ganze Bundesrepublik gilt.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Ist denn schwerer Diebstahl nicht mehr strafbar?)

    Ich weiß ganz genau. daß die Tatsache der Gesamtentwicklung von dem Klima, das von der Bundesregierung ausgeht, mehr beeinflußt wird als von einer Gemeindeverwaltung oder einem Land.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Jetzt kommt das mystische „Klima"!)

    Das Problem in dieser Sache ist nur, daß wir diese Entwicklung in unserem Volk sehen müssen und nicht so tun dürfen, als wäre das alles für uns eine Sache, die uns nichts angeht.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wer will denn das?)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

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    Rede von Benno Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein.
    Sind die rühmenswerten Fortschritte etwa das Ergebnis von rechtspolitisch richtigen Entscheidungen oder von falschen Entscheidungen? Ich glaube, daß sich hier ganz deutlich zeigt, wohin es führt, wenn Recht und Gesetz als „law and order" diffamiert werden. Und ich frage den Bundesminister der Justiz: Sind Sie sich eigentlich der Problematik der jeweiligen Ausgangsbeschreibungen bewußt, wenn Sie den Übergang von der bloß formalen Rechtsgleichheit zur inhaltlichen Chancengleichheit, wenn Sie die Fortentwicklung des bloß bürgerlichen Rechts zum sozialen Recht zur Maxime der regierungsamtlichen Rechtspolitik erklären, wie das auch der Herr Vogel getan hat? Ist das geltende Recht wirklich in erster Linie ein bloß bürgerliches Recht, in dem weitgehend eine bloß formale Rechtsgleichheit besteht? Ist dies nicht ein Zerrbild unserer Rechtsordnung? Verdient das bürgerliche Recht, verdient die formale Rechtsgleichheit, also die Gleichheit vor dem Gesetz, herablassende Geringschätzung? Sehen Sie nicht die Gefahr, Herr Minister, daß Redewendungen wie „bloß bürgerliches Recht", „bloß formale Rechtsgleichheit" als Alibi mißverstanden werden, das positive Recht in Teilen nicht mehr ernst zu nehmen und sich gar darüber hinwegzusetzen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Sind die um sich greifenden Hausbesetzungen nicht bereits ein Beweis dafür, wohin solche Äußerungen führen müssen? Haben wir nicht in den hessischen Rahmenrichtlinien genau dieselben Vorstellungen, indem da steht, das „bloß demokratische Recht", das „bloß bürgerliche Recht" kann geändert werden, wenn es nicht paßt, oder vorübergehend ausgesetzt werden?

    (Zuruf von der SPD: Die sollten Sie einmal lesen, die Rahmenrichtlinien!)

    Worauf zielt denn die These von der „bloß formalen Rechtsgleichheit", vom „bloß bürgerlichen Recht", etwa auf die rechtspolitische Umsetzung der gesellschaftsphilosophischen Postulate des Marxismus der heutigen Lehre? Welches Ziel verfolgt denn die evolutionäre Gesellschaftsveränderung durch Rechtsetzung? Welche Wertvorstellungen liegen dieser Rechtspolitik denn zugrunde?

    (Dr. Emmerlich SPD: Mehr soziale Gerechtigkeit! Mehr Achtung vor der Menschenwürde!)

    — Das habe ich Ihnen gerade bewiesen, wohin das führt.

    (Zuruf von der SPD: Bewiesen haben Sie gar nichts!)

    Wir sollten uns gemeinsam nach den Wertvorstellungen des Grundgesetzes richten. Das Menschenbild des Grundgesetzes ist ein anderes als das des Marxismus. Konkret heißt das: Wir sollten wieder gemeinsam von einem Menschen ausgehen, der selbstverantwortlich, vernunftbegabt und zur Einsicht fähig ist.

    (Wehner [SPD]: Haben Sie eine dieser Eigenschaften?)

    Dazu gehört die Bejahung der Einzigartigkeit der menschlichen Person, aus der ihre natürlichen Menschenrechte folgen. Zu diesem Menschenbild gehört die Anerkennung des bindenden Charakters freiwillig eingegangener Gemeinschaften. Zu ihm ist die Notwendigkeit einer Rechtsordnung zu zählen, die die Grenzen zwischen den Individuen und der Gemeinschaft zieht und beiden gerecht wird. Beide haben Pflichten.
    Dazu gehört auch die Überzeugung, nach der die Arbeit in dieser Welt einschließlich der körperlichen Arbeit ein wesentliches Element der Chance und Sinnerfüllung des Lebens ist und nicht nur ein notwendiges Übel. Dazu gehört auch die Schuldfähigkeit des Menschen, ja, sogar die mögliche Bosheit eines Menschen. Weil die Menschen so sind, wie sie sind, versucht das Grundgesetz, die öffentliche Machtbalance durch Gewaltenteilung zu sichern.
    Daraus folgt: Der Gesetzgeber — ich wiederhole: der Gesetzgeber — muß die politisch wesentlichen Entscheidungen fällen. Er darf sie nicht den Gerichten überlassen. Er darf die Rechtsprechung nicht verunsichern, ebensowenig darf er sie überfordern. Da ist der Appell an die Selbstdisziplin der Gerichte bei weitem nicht ausreichend, Herr Minister.
    In Teilen unseres Volkes werden die von mir eben skizzierten Grundüberzeugungen, die wir im Grundgesetz ja wohl übereinstimmend einmal festgeschrieben haben, schwächer. Sie zerbröseln, wofür auch der um sich greifende Pazifismus ein deutliches Indiz bildet.
    Als Beispiel für dieses Zerbröseln nenne ich einen Beitrag in dem von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen „Kursbuch", das dem Thema der Moral gewidmet ist. Der Autor, Hennatsch heißt er, mit K-Gruppen-Karriere — K-Gruppen, wissen Sie, was das ist? —, jetzt Chirurg in Köln, schreibt unter anderem: Sei dir selbst der nächste, tu dir soviel Gutes an wie möglich, lebe und arbeite, wie es dir Spaß macht usw. usf. Hier spricht der blanke Egoismus. Rücksichtnahme und Verzichtbereitschaft, Pflicht



    Erhard (Bad Schwalbach)

    und Opferbereitschaft um des anderen willen werden zugunsten des eigenen Vorteils ausgeblendet.
    Eine allein vom Eigeninteresse gesteuerte Handlungsfreiheit ist für die Gesellschaft unerträglich. Sie führt letztlich zum Chaos, zur Anarchie.
    Sicher ist: Unsere Verfassung toleriert den Pluralismus der Meinungen und Werte.

    (Zuruf von der SPD: Das ist gut!)

    Es werden auch widerstreitende Moral- und Wertsysteme geduldet. Ein Mindestkonsens hinsichtlich bestimmter Werte, eben der des Grundgesetzes, ist aber die Voraussetzung für staatliches Handeln in der Form der Gesetzgebung. Das Grundgesetz verlangt in Art. 2 Abs. 1 ausdrücklich die Beachtung des Sittengesetzes. Wenn der Kanzler auf eine Politik der Wertpflege verzichtet — Wertpflege ist geistige Führung —, dann stellt sich die Frage, ob er sich damit nicht bereits am Grundgesetz vorbei verhält oder seine Pflicht verletzt.

    (Zuruf von der SPD: Das ist aber sehr gewagt!)

    Gesetze müssen für alle verbindlich und deshalb auch für alle hinnehmbar sein. Sicher ist es schwer, in Toleranz die Pluralität zu bejahen und dennoch durch den Staat moralische, also sittliche Werte zu pflegen. Gehlen schrieb dazu: „Der Übergang von der Toleranz in den Nihilismus des Geltenlassens von schlechthin allem läßt sich schwer abgrenzen. Diese friedliche Tugend ist daher im öffentlichen Bereich ungewöhnlich zweideutig." Ich meine, wir alle — ich nehme mich in diese Aussage mit hinein — haben in den letzten Jahren zwischen dem in unserer Verfassung angelegten Wertpluralismus und einem moralischen Relativismus zuwenig unterschieden. Denn „wenn für die Menschen oder gar den Staat alle beliebigen Wertsysteme gleichermaßen gültig sind, dann sind sie letztlich gleichgültig", schreibt schon Karl Popper. Der polnische Papst Johannes Paul II. hat zum Weltfriedenstag am 1. Januar dieses Jahres geschrieben: „Die Behauptung, der Mensch sei frei, sein Leben unabhängig von sittlichen Werten zu gestalten, und die Gesellschaft brauche diese Werte nicht zu schützen und zu fördern, ist eine Karikatur der Freiheit. Eine solche Haltung zerstört Freiheit und Frieden."
    Von welchen Grundsätzen gehen Sie, die Regierung und die Koalition, aus, wenn ich Ihre Postulate immer wieder höre? Nach den offenen Fragen müssen sich die Regierung und die sie tragende Koalition vorhalten lassen, daß sie in der Rechtspolitik offensichtlich zwischen dem Wertrelativismus einerseits und andererseits der Absicht, bestimmte ideologisch begründete Vorstellungen mit den Mitteln der Gesetzgebung durchzusetzen, schwanken. In dieses Feld gehört nach meiner Ansicht die Gesetzgebung zum Eherecht, insbesondere das in ihr angelegte Verständnis der Ehe als einer nahezu beliebig aufkündbaren Gemeinschaft auf Zeit,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Na, na!)

    ein Eherecht, das denjenigen, der das Gebot der ehelichen Treue verletzt, dafür unter Umständen auch noch wirtschaftlich belohnt.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Pfui!)

    Das muß geändert werden. Erst recht gilt das natürlich für die im Schoß der FDP gehätschelten Pläne zu einer Gleichstellung sogenannter alternativer Lebensformen zur Ehe oder auch die merkwürdigen inhaltsverändernden Definitionen über Familie bei der SPD oder die Absicht, den Schutz Jugendlicher im Sexualstrafrecht abzuschwächen. In diesem Fall scheint die SPD der FDP offenbar nicht folgen zu wollen. Ich begrüße das. Wir erkennen die gleiche Haltung in der Weigerung, den immer zügelloser werdenden kollektiven Gewaltaktionen, wie sie um die Jahreswende und bis in diese Tage hinein in Göttingen, in Freiburg, in Berlin, in Nürnberg beobachtet wurden, entgegenzutreten.
    Hausbesetzungen sind zivilrechtlich verbotene Eigenmacht und strafrechtlich Hausfriedensbruch. Jede Art von Duldung zerstört rechtsstaatliches Grundbewußtsein und ist Rückzug des Rechtsstaates vor der Gewalt, ist Duldung von Willkür.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das war beinahe eine Legaldefinition!)

    Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, der Herr Professor Zeitler — alle Eingeweihten wissen, daß er ein langjähriges Mitglied der Sozialdemokratischen Partei ist —, hat vor dem Deutschen Juristentag darauf hingewiesen, daß ein Staat, der seine Bürger schutzlos dem Verbrechen überläßt und Zonen der Willkür duldet, nicht viel anders zu bewerten ist als ein Staat, der selber Unrecht begeht. Unmittelbare Folge der zuletzt genannten Entwicklung ist übrigens die rasche Zunahme privater Schutzeinrichtungen, die eine der wichtigsten Errungenschaften moderner Staatlichkeit, das Monopol der legitimen Gewaltausübung, in Frage stellt.
    Wer wollte eigentlich übersehen, daß eine tiefe, breite Resignation in unserem Volk um sich greift.
    Die ideologische Tendenz der sozialistischen und pseudoliberalen Vorstellungen ist sichtbar in der Reform des elterlichen Sorgerechts und im dazu gehörigen Jugendhilferecht. Wer die Familie als Herrschaftssystem begreift, als ein System der Fremdbestimmung durch Eltern über das Objekt Kind, zerstört die Familie und ihr Recht. Aufschlußreich und für uns nur bestätigend waren die Äußerungen der Direktorin des Hamburger Amtes für Jugend. Sie diffamiert das in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes verankerte Grundrecht der Eltern als ein „Stück individualistischer Nostalgie". Boshafter meinte sie: „Eine Idealisierung von historischer Erfahrung in der Herausbildung des Bürgertums als Klasse und als Typus sozialer Existenz, nämlich als bürgerliches Individuum von Besitz und Bildung."
    Wie schrieb doch Habermas — Habermas gehört ja wohl auch zu den Theoretikern der linken Szene der Bundesrepublik —:
    Die Zweideutigkeit des reformerischen Eingriffs in die Beziehung zwischen Eltern und



    Erhard (Bad Schwalbach)

    Kindern liegt darin, daß er gleichzeitig eine Abkopplung von traditional eingelebten Normen, aber auch von Wertorientierungen überhaupt bedeutet.
    Ich wiederhole: ,,... eine Abkopplung von ... Wertorientierungen überhaupt bedeutet"; das ist das, was Ihnen überraschenderweise jetzt allmählich klarzuwerden scheint. Ich gehe davon aus, daß das, was die Theoretiker inzwischen schreiben, langsam auch bei Ihnen zur Kenntnis genommen wird.
    Statt den Werteinhalt des Grundgesetzes sorgsam zu pflegen, erleben wir immer wieder die konkretisierte Absicht, die Belastbarkeit der Verfassung zu prüfen und ihre Inhalte umzuinterpretieren. Das jüngste Beispiel wird im Radikalenproblem geliefert. Wir alle erleben doch die Folgen des Verzichts des Staates auf klare Wertentscheidungen. Wenn Verweigerung des Wehrdienstes den gleichen moralischen Wert hat wie seine Ableistung — oder gar einen höheren —, wenn man sich mit einfachen Schreiben sozusagen von seinen Pflichten ,,abmelden" kann, dann wird das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Bundeswehr und des Wehrdienstes zur Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zerstört. Man darf sich dann eben nicht wundern, wenn immer mehr Wehrdienstverweigerer ihre Moral entdecken oder gar Krawalle um die Gelöbnisfeier den tiefen Graben im Grundbewußtsein unseres Volkes offenbaren. Hat der Bundeskanzler etwa diese Veränderungen gemeint, als er feststellte: Die Rechtspolitik hat wichtige Veränderungen bewirkt? Sind das die Folgen der erklärten Absicht, mit Mitteln des Rechts evolutionäre Gesellschaftspolitik zu betreiben? Die Diskussionen und Entscheidungen hier im Parlament werden Gelegenheit bieten, diesen Fragen nachzugehen.
    Wir werden einer ganzen Reihe von Vorstellungen zustimmen können. Ich habe mir sie an sich aufgeschrieben; die Zeit läuft ab. Ich muß mir das schenken. Aber: Ist im Drogenbereich wirklich die Krankheit, die nun eingetreten ist, ein unabwendbares Ereignis? Muß es so behandelt werden wie unverschuldetes Schicksal?
    Wir stellen unsere Einzelwünsche unter das Gebot der Notwendigkeit, und wir stellen das Wünschbare zurück. Nach unseren Vorstellungen muß die Rechtspolitik vor allem neue Konflikte in der pluralistischen Gesellschaft aufgreifen und Entscheidungen in eindeutig rechtlicher Fassung treffen. Die Gesetze müssen gerecht, anwendbar, notwendig und klar sein. Die Regelungen müssen unter dem Leitgedanken erfolgen: das Notwendige und das Wichtigste zuerst und dann vielleicht auch das Wünschbare. Die Koalition hat der Konfliktlösung die Konfliktverschiebung vorgezogen und dabei eine Verzerrung des grundgesetzlich garantierten Prinzips der Gewaltenteilung ebenso in Kauf genommen wie eine Verminderung des effektiven Rechtsschutzes. Die Gerichte sind überlastet und überfordert, die Prozesse dauern zu lange, und die Justiz muß entscheiden, wo der Gesetzgeber gekniffen hat.
    Ich möchte dazu einige Beispiele nennen.