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ID0902619700

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    Plenarprotokoll 9/26 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 26. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 1151 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft — Drucksache 9/124 — Frau Dr. Wex CDU/CSU 1151 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 1154 B Eimer (Fürth) FDP 1157 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 1159 C Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 1161 C Frau Verhülsdonk CDU/CSU 1165 A Frau Fromm FDP 1167 D Frau Steinhauer SPD 1169 C Schmidt, Bundeskanzler 1171 C Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 1174 B Frau Matthäus-Maier FDP 1176 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 1179 B Frau Karwatzki CDU/CSU 1181 A Dr. Diederich (Berlin) SPD 1183 C Frau Dr. Wilms CDU/CSU 1185 B von Schoeler, Parl. Staatssekretär BMI . 1187 D Frau Dr. Timm SPD 1188 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Klein (Göttingen), Dr. Wittmann, Dr. Stark (Nürtingen), Dr. Dregger und der Fraktion der CDU/CSU Auswirkungen rechtspolitischer Entscheidungen oder Unterlassungen — Drucksache 9/183 — Dr. Schmude, Bundesminister BMJ . . . .1207 B Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . . .1215 B Dr. Emmerlich SPD 1221 B Kleinert FDP 1226 A Dr. Hillermeier, Staatsminister des Freistaates Bayern 1230 A Dr. Herzog, Minister des Landes BadenWürttemberg 1237 A Dr. Vogel, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 1240 D Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 1246 D Schmidt, Bundeskanzler 1250 C Dr. Kohl CDU/CSU 1256 C Engelhard FDP 1262 A II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/210 — 1264 D Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 9/162 — 1265 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dollinger, Pfeffermann, Bühler (Bruchsal), Neuhaus, Linsmeier, Lintner, Maaß, Weirich, Dr. Riedl (München), Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Wörner, Sauter (Epfendorf), Dr. Jenninger, Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU Bessere Bedingungen für den CB-Funk — Drucksache 9/128 — Dr. Linde SPD 1265 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1981 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1981) — Drucksache 9/228 — 1265 C Fragestunde — Drucksache 9/226 vom 13. 03. 1981 — Benachteiligung der Versicherten in Großstädten durch die geplante neue Regionalstruktur der Kraftfahrzeughaftpflichtprämien MdlAnfr 68, 69 13.03.81 Drs 09/226 Fischer (Hamburg) CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . . 1191 A, C, D, 1192 A, B ZusFr Fischer (Hamburg) CDU/CSU . 1191 B, C, 1192 A Wettbewerbsnachteile der deutschen Stahlindustrie durch den EG-Ministerratsbeschluß MdlAnfr 70 13.03.81 Drs 09/226 Menzel SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 1192 B, D, 1193 A, B, C, D, 1194 A ZusFr Menzel SPD 1192 D ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . . 1193 A ZusFr von der Wiesche SPD 1193 B ZusFr Dr. Lammert CDU/CSU 1193 B ZusFr Meininghaus SPD 1193 C ZusFr Urbaniak SPD 1193 D Einführung einer Grenzabgabe für einreisende Autobusse und Erhöhung der Abfertigungsgebühren für Lastzüge in Dänemark MdlAnfr 72, 73 13.03.81 Drs 09/226 Stutzer CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1194 A, B, C, D, 1195 A ZusFr Stutzer CDU/CSU . . . . 1194 C, D, 1195 A Vorfinanzierung der Kraftwerke in Cattenom durch Stromabnahmeverträge deutscher Energieversorgungsunternehmen mit der Electricité de France MdlAnfr 74 13.03.81 Drs 09/226 Schreiner SPD Antw PStSekr Grüner BMWi . . . 1195 A, B, C, D ZusFr Schreiner SPD 1195 B, C ZusFr Hoffmann (Saarbrücken) SPD . .1195 C ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1195 D Rückgang der Zahl der Genehmigungen zur Ausreise aus Polen und der Sowjetunion seit 1978 MdlAnfr 39, 40 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Bötsch CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1196 B, D, 1197 A, B, C ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1196 C, D ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1197 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1197 B Pflege deutscher Kriegsgräber in der Sowjetunion MdlAnfr 44 13.03.81 Drs 09/226 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1197 C, 1198 A, B, C ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 1197 D, 1198 A ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 1198 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1198 B ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1198 C Festnahme von vier deutschen Staatsbürgern nach einem Gewerkschaftstreffen in Santiago de Chile MdlAnfr 45 13.03.81 Drs 09/226 Weisskirchen (Wiesloch) SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1198 D, 1199 A ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 1198 D ZusFr Hansen SPD 1199 A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 III Verzicht auf die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa MdlAnfr 46 13.03.81 Drs 09/226 Thüsing SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1199 A, D ZusFr Hansen SPD 1199 D Störung der Entspannungspolitik durch Sendungen von Radio Free Europe und Radio Liberty MdlAnfr 47, 48 13.03.81 Drs 09/226 Hansen SPD Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1200 A, B, D, 1201A,C,D, 1202A,B ZusFr Hansen SPD 1200 B, C, D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1201 A, B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1201 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . 1201 C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 1201 D ZusFr Thüsing SPD 1202 A ZusFr Dr. Schöfberger SPD 1202 B Reaktion der Bundesregierung auf die Festnahme des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw sowie Folgerungen für den Akademikeraustausch und das Kulturabkommen mit der CSSR MdlAnfr 49 13.03.81 Drs 09/226 Engelsberger CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1202 C, D, 1203 A, B ZusFr Engelsberger CDU/CSU 1202 D ZusFr Graf Huyn CDU/CSU 1203 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 A Protest gegen die Inhaftierung des Bayreuther Universitätsprofessors Konrad Löw bei der tschechoslowakischen Regierung MdlAnfr 50 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 1203 B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . .1203 C Überreichung von Listen mit Härtefällen der Familienzusammenführung und Ausreise an osteuropäische Delegationen während des KSZE-Nachfolgetreffens in Madrid MdlAnfr 51 13.03.81 Drs 09/226 Dr. Hupka CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1203 D, 1204 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . . 1203 D, 1204 A Vereinbarkeit der Anwesenheit des Wachbataillons „Feliks Dzierzynski" in Ost-Berlin mit dem entmilitarisierten Status GroßBerlins MdlAnfr 52 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 A, B, C ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . 1204 B ZusFr Thüsing SPD 1204 C Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen des fünf Jahre in Warschau inhaftierten Deutschen Achim Rösch gegenüber der polnischen Regierung MdlAnfr 53 13.03.81 Drs 09/226 Graf Stauffenberg CDU/CSU Antw StMin Frau Dr. Hamm-Brücher AA 1204 C, 1205 A ZusFr Graf Stauffenberg CDU/CSU . . . .1205 A Benachteiligung von Bundeswehroffizieren aus der Truppe gegenüber Bundeswehrhochschulabsolventen durch das geänderte Punktesystem für die Einstellung von Berufsoffizieren MdlAnfr 75, 76 13.03.81 Drs 09/226 Daweke CDU/CSU Antw StSekr Dr. Hiehle BMVg . 1205 B, 1206 C, D, 1207 A ZusFr Daweke CDU/CSU 1206 B, C, D Nächste Sitzung 1265 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1266* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1981 1151 26. Sitzung Bonn, den 19. März 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Böhme (Freiburg) 20. 3. Büchner (Speyer) * 20. 3. Dr. Enders * 20. 3. Fellner 20. 3. Dr. Geißler 20. 3. von der Heydt Freiherr von Massenbach 20. 3. Dr. Hubrig 20. 3. Jung (Kandel) 20. 3. Kiehm 20. 3. Kittelmann * 20. 3. Korber 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Männing 20. 3. Dr. Mitzscherling 20. 3. Dr. Müller * 20. 3. Müller (Wadern) * 20. 3. Picard 20. 3. Reddemann ** 19. 3. Frau Roitzsch 20. 3. Frau Schlei 20. 3. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 20. 3. Voigt (Frankfurt) 20. 3. Dr. Wendig 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Frau Will-Feld 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Jürgen Schmude


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der bisherigen Praxis des Deutschen Bundestages ist es eine seltene Ausnahme, daß ein Bundesminister auf Anregung von Fraktionen eine Erklärung abgibt. Das dürfte auch so bleiben. In diesem besonderen Fall folge ich Wünschen aus allen Bundestagsfraktionen und einer ausdrücklichen Bitte der Fraktionen von SPD und FDP.
    Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, ihre Rechtspolitik zu Beginn der Wahlperiode geschlossen und im Zusammenhang zu erläutern. Nur zu oft geraten in der parlamentarischen Tagesarbeit die Grundlinien der Rechtspolitik aus dem Blickfeld. Dieser Neigung, meine Damen und Herren, sollten wir auch in der heutigen Debatte angesichts der aktuellen Demonstrationsereignisse und Hausbesetzungen nicht nachgeben.
    Die Rechtsordnung als Einheit ist gerade durch die Rechtspolitik der sozialliberalen Bundesregierung im Wandel der gesellschaftlichen und technischen Bedingungen unseres Zusammenlebens bewahrt und gestärkt worden. Darum werden wir uns weiterhin bemühen. Auf dem Feld der Rechtspolitik haben die sozialliberalen Bundesregierungen seit 1969 erfolgreich und kontinuierlich gearbeitet. Noch in der Großen Koalition hat Gustav Heinemann als Justizminister die Grundlagen hierzu gelegt, z. B. für die Strafrechtsreform, das Strafvollzugsrecht und die Reform des Ehe- und Familienrechts. Horst Ehmke, Gerhard Jahn und Hans-Jochen Vogel haben diese Grundlagen konsequent und geradlinig ausgebaut. Eine Vielzahl bedeutsamer Reformwerke haben sie abgeschlossen. Das ist um so höher zu veranschlagen, als viele dieser Reformwerke seit langem überfällig gewesen waren.
    In keinem anderen Bereich herrschte ein so beklemmender Reformstau wie in der Rechtspolitik, als die sozialliberale Koalition 1969 ihre Arbeit aufnahm.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Dringliche Verfassungsaufträge waren lange verschleppt worden. Man hatte auf anderen Gebieten tatenlos zugesehen, wie sich zwischen Recht und gesellschaftlicher Wirklichkeit eine immer tiefere Kluft auftat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da war Ehmke Justizminister!)

    Ich nenne nur das alte Sexualstrafrecht einschließlich der inzwischen kaum mehr vorstellbaren weitreichenden Strafdrohungen gegen homosexuelle Betätigung. Es hat dem Ansehen des Rechts auch nicht gutgetan, daß noch 1969 der Ehebruch strafbar war. Nicht nur dem Strafrecht, sondern dem Recht insgesamt war es abträglich, daß Strafrechtsparagraphen, die ihren sozial-ethischen Sinn verloren hatten, vornehmlich zu Instrumenten der Erpressung geworden waren.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    Wir hätten den inneren Frieden und die soziale Stabilität, um die man uns in der Welt beneidet, nicht erreicht, wenn die sozialliberale Koalition die überfälligen grundsätzlichen Rechtsreformen nicht in Angriff genommen hätte.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Klein [Göttingen] [CDU/CSU]: Das sagen Sie vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse?)

    Sie hat nicht nur erkannt, sondern auch in die Praxis umgesetzt, daß es über technische Korrekturen hinaus des rechtspolitischen Handelns bedarf, wenn das Recht unter gewandelten Lebensbedingungen seine eigentliche Aufgabe erfüllen soll: die Aufgabe, den inneren Frieden zu garantieren und das men-



    Bundesminister Dr. Schmude
    schenmögliche Maß an Gerechtigkeit erfahrbar zu machen.

    (Beifall bei der SPD und FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Dem stimmen wir zu!)

    Wie überfällig manche Reformen waren, zeigt sich daran, daß sie, zunächst vor allem im Parlament heftig umstritten, in kürzester Zeit von der breiten Mehrheit der Bürger bereitwillig angenommen wurden und heute zum selbstverständlichen Besitzstand gerechnet werden. Das gilt — um einige Beispiele zu nennen — für die Reform des Sexualstrafrechts und für die Einführung des sozialen Mietrechts. Es gilt für die Reform des § 218 des Strafgesetzbuchs, zu deren Auswirkungen die Bundesregierung einen zweiten Erfahrungsbericht vorlegen wird, und für die grundlegenden Reformen des Bereichs des Ehe- und Familienrechts.
    Die Bundesregierung sieht ihre rechtspolitische Aufgabe für die 9. Wahlperiode in der Bewahrung des bisher Geleisteten und in seiner behutsamen Fortentwicklung. Sie hat sich in erster Linie die Konsolidierung und Abrundung, die Überarbeitung und Ergänzung des normierten Rechts zur Aufgabe gesetzt. Die Rechtspolitik hat darum keinen geringeren Stellenwert als bisher. Neugestaltung und anschließende Festigung des Erreichten ergänzen einander und sind gleichgewichtige Komponenten. Allerdings sollen darüber hinaus auch weitere drängende Reformaufgaben in Angriff genommen werden. Das werde ich im einzelnen noch darlegen.
    Meine Damen und Herren, im freiheitlichen demokratischen Staat darf die Rechtsordnung nicht ein Raubtierkäfig sein, wie Adolf Arndt es ausgedrückt hat. Eine freiheitliche Rechtsordnung könnte nicht bestehen, sie wäre nicht freiheitlich, wenn sie allein darauf angewiesen wäre, mit staatlichen Machtmitteln durchgesetzt zu werden. Unter unserer Verfassung jedenfalls beruht die Rechtsgeltung letzten Endes darauf, daß der Bürger staatliche Regelungen als angemessen und gerecht begreift. Recht ist auf diese Übereinstimmung angelegt und angewiesen, es kann sich ohne sie nicht entfalten.
    Selbstverständlich darf und kann der Staat auf die Durchsetzung des Rechts nicht verzichten. Er würde sich unglaubwürdig machen, wenn er Zonen der Illegalität duldete. Er ist an seine eigenen Gesetze gebunden.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ebenso selbstverständlich — und jetzt warte ich auf Ihren Beifall, meine Damen und Herren, nachdem ich das gesagt habe —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Erst einmal abwarten!)

    kommt es aber entscheidend darauf an, daß die Menschen ihr Recht nicht nur gleichgültig hinnehmen und den staatlichen Zugriff nicht nur dulden. Die Bürger müssen die Rechtsordnung im ganzen als gerecht empfinden und als für sich verbindlich annehmen können.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Vor allem bei der jüngeren Generation muß der Staat um diese Annahme werben. Es gibt bei Teilen der Jugend unserem Staat gegenüber eine Verdrossenheit, die uns bedrückt und zugleich herausfordert. Wir dürfen uns, wollen wir nicht unsere Staatsordnung selbst in Frage stellen, nicht auf Dauer mit der Absonderung großer Gruppen abfinden,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    großer Gruppen, die außerhalb des allgemeinen Rechtsbewußtseins stehen. Weit mehr als bisher müssen wir unsere Aufgabe darin sehen, unser Recht einsichtig und die Notwendigkeit seines Vollzuges begreiflich zu machen. Es genügt eben nicht, daß in den oft schwer durchschaubaren staatlichen Entscheidungsprozessen Recht geschieht, es muß sich auch in der Öffentlichkeit als Recht darstellen.
    Dazu müssen Verfassungsbezug und Wirklichkeitsbezug des Rechts gewahrt und immer wieder neu hergestellt werden. Beides zusammen heißt, daß die Rechtsordnung die Wertentscheidungen unserer Verfassung in einer Welt lebhafter Entwicklungen nicht in der scheinbaren Würde der Unabänderlichkeit zur Geltung bringen kann. Das Recht anzupassen und fortzuentwickeln bleibt deshalb Inhalt der Rechtspolitik der Bundesregierung, die sich dabei an folgenden Leitlinien sichtbar und nachvollziehbar orientiert.
    Es geht uns um die Verwirklichung und Bewährung der Grundrechte und Wertentscheidungen der Verfassung in allen Lebensbereichen. Die Verfassung muß sich im Leben des Staates und seiner Bürger immer von neuem verwirklichen. Das Grundgesetz ist nicht ein historisches Dokument, sondern eine wertgebundene Lebensordnung.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist in diesem Sinne Ausdruck des Respekts vor der Verfassung, wenn mein Amtsvorgänger Hans Jochen Vogel sagt:
    Wie alles Recht kann auch das Verfassungsrecht im geschichtlichen Wandel nicht bloß einen Status quo erhalten. Die Verfassung wird immer wieder neu, oder aber sie vergeht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es geht weiter um die sozialstaatliche Durchformung unserer Rechtsordnung. Das dynamische Verfassungsgebot der Sozialstaatlichkeit verlangt, daß wir die bloß formale Rechtsgleichheit aller Bürger zu einer inhaltlichen Chancengleichheit weiterentwickeln. Die ausgleichende Gerechtigkeit gebietet, dem Schwächeren zu helfen. Wir brauchen soziale Ausgewogenheit nicht nur im Zivilrecht,- sondern auch im Strafrecht und auch im Strafvollzug.
    Möglicherweise lassen sich die im Grundgesetz enthaltenen Staatszielvorstellungen mit Gewinn für unsere Verfassungsordnung weiter verdeutlichen und ergänzen. Die Bundesregierung prüft deshalb, ob detailliertere Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen, etwa die Sicherung des inneren und äußeren Friedens, der Schutz der Umwelt und



    Bundesminister Dr. Schmude
    der Gesundheit oder das Angebot ausreichender und menschenwürdiger Arbeit für alle.
    Schließlich geht es darum, die Rechtsstaatlichkeit und Freiheitlichkeit unserer demokratischen Ordnung zu festigen und zu verteidigen. Dabei gehört zur freiheitssichernden Funktion des Staates nicht nur seine Selbstbeschränkung, sondern auch der Schutz des Bürgers durch den Staat.
    Diese Leitlinien schließen es aus, mit dem Recht nach Belieben zu schalten und zu walten oder die Veränderung um der Veränderung willen zu betreiben. Sie legen vielmehr die Rechtspolitik auf die Aufgabe fest, Wertentscheidungen der Verfassung und auch politische Wertvorstellungen in die Wirklichkeit umzusetzen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das ist für die Bundesregierung in allen Einzelbereichen der Rechtspolitik maßgebend.
    Ob die Rechtspolitik gerecht ist, entscheidet sich für den Bürger in erheblichem Umfang dort, wo er dem Recht bei der Wahrnehmung seiner wirtschaftlichen Interessen begegnet. Würde er erleben, daß im Wirtschaftsleben uneingeschränkt das Recht des Stärkeren gilt, so müßte er am Sinn dieser Ordnung zweifeln. Auch unsere Wirtschaftsordnung — das sei in diesem Zusammenhang gesagt — bleibt für den Bürger nur akzeptabel, wenn ihre soziale Komponente immer wieder sichtbar wird und sich das Eigentum, das die Freiheit des einzelnen sichern und erweitern soll, nicht als Wert an sich ohne Bindung und Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit darstellt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der sozialstaatliche Schutz des Schwächeren, den die Bundesregierung verwirklicht hat und noch verbessern wird, stärkt die Privatautonomie, den zentralen Wert unseres Zivilrechts. Damit wird die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft, jedenfalls einer sozial gebundenen wie der unseren, eigentlich erst gewährleistet. Das mögen diejenigen bedenken, die ein sozial ausgewogenes Zivilrecht — offen oder verdeckt — ablehnen.
    Die Wohnung ist der Lebensmittelpunkt des Menschen. Für etwa 60 % unserer Bürger ist es die Mietwohnung. Der Vermieter der Wohnung hat ein berechtigtes Interesse an ihrem Ertrag. Für den Mieter ist sie ein schutzwürdiger Ort der Geborgenheit. Das seit Beginn der 70er Jahre verwirklichte soziale Mietrecht trägt beiden Interessen Rechnung.

    (Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/CSU)

    Bei seiner Einführung noch lebhaft umstritten, hat das neue Recht aus Anlaß seiner Verlängerung im Jahr 1974 breite Zustimmung im Parlament, auch die Zustimmung derer, die jetzt zwischengerufen oder gelacht haben, gefunden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Haben wir gar nicht!)

    Heute sind seine wesentlichen Grundsätze gesicherter sozialer Besitzstand. Daran halten wir auch bei
    der bevorstehenden Ergänzung und Überarbeitung
    des sozialen Mietrechts auf der Grundlage inzwischen gewonnener Erfahrungen fest.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit dem Änderungsgesetz, das die Bundesregierung in Kürze einbringen wird, soll das Vergleichsmietensystem — der unverzichtbare Kern des sozialen Mietrechts — durch Mietspiegel in allen größeren Gemeinden leichter handhabbar werden. Das Mieterhöhungsverfahren wird vereinfacht werden. Auch sollen die Parteien vereinbaren können, daß der im voraus zu bestimmende Mietzins erst nach und nach in Stufen erreicht wird.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Auf der anderen Seite wird der Schutz des Mieters bei der Umwandlung und der Veräußerung von Mietwohnungen sowie gegen überzogene Modernisierungsmaßnahmen verstärkt werden.
    Nicht nur in Großstädten, meine Damen und Herren, wird in vielen Einzelfällen unangemessen und manchmal auch anstößig mit Wohnraum umgegangen. Dieser Vorwurf trifft nicht nur private Eigentümer. Er richtet sich — das wollen wir ganz offen sagen — in vielen Fällen gegen die öffentliche Hand, gegen die Praxis von Behörden und gegen fragwürdige Hemmnisse in Rechtsvorschriften.

    (Beifall bei der SPD — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: In den Rechtsvorschriften?!)

    Durchaus noch nutzbare Altbauten stehen in solchen Fällen leer, ohne daß eine Sanierung in Sicht ist. In der jetzigen Zeit fühlbarer Wohnraumknappheit wird das verständlicherweise als Mißbrauch empfunden, als Mißbrauch, der das Vertrauen in unsere Rechtsordnung erschüttert.
    Vor allem jüngere Menschen fragen ungeduldig nach der mit dem Eigentum verbundenen sozialen Verpflichtung und zweifeln angesichts des Mißbrauchs an der Glaubwürdigkeit unserer Ordnung insgesamt. Die Bundesregierung begrüßt deshalb die Absicht des Berliner Senats, einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem die Zweckentfremdung von Wohnraum unterbunden werden soll. Sie selbst bereitet eine Novelle zum Bundesbaugesetz vor, die es den Gemeinden ermöglichen soll, zur Beseitigung eines Wohnraummangels die Nutzung leerstehender Wohnungen anzuordnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Weiterhin ist die Bundesregierung für Überlegungen aufgeschlossen, die Vereinbarung wirksam befristeter Mietverträge zu erleichtern.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Wegen erheblicher tatsächlicher und rechtlicher Probleme bedarf das jedoch noch eingehender Überprüfung.
    Ein Schwerpunkt der sozialliberalen Rechtspolitik war seit jeher der Ausbau des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes. So hat das neugestaltete Abzahlungsgesetz dem Käufer ein Rücktrittsrecht eingeräumt. Es schützt ihn damit vor Übervorteilung



    Bundesminister Dr. Schmude
    und stärkt zugleich die Privatautonomie, den Interessenausgleich durch freie Selbstbestimmung der Marktpartner. Dem gleichen Zweck dient das Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dem sogenannten selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft mußten Grenzen gesetzt werden, um jedenfalls ein Mindestmaß an ausgewogener Vertragsgestaltung sicherzustellen. In diesen Zusammenhang gehört auch der Reisevertrag, für den es zuvor kein angemessenes Regelungsmodell gegeben hat.
    Die Verbesserung des Verbraucherschutzes werden wir in dieser Legislaturperiode fortsetzen. So soll das Maklerrecht bereinigt, das Wohnungsvermittlungsrecht in das Bürgerliche Gesetzbuch zurückgeholt, das Darlehensvermittlungs- und das Ehevermittlungsrecht zeitgerecht geregelt werden.
    Ebenfalls neu einzubringen sein wird die Novelle des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, die in der letzten Wahlperiode nicht mehr abschließend beraten werden konnte. Der zynische Ausspruch trifft oft zu, daß sich unredlicher Wettbewerb durchaus lohne. Damit das anders wird, soll der durch unlautere Werbung getäuschte Verbraucher berechtigt sein, sich vom Vertrag zu lösen. Ob der Verbraucher auch das Recht haben soll, den Vertragspartner an einer unrichtigen Werbung festzuhalten und den sogenannten Differenzschaden zu verlangen, bedarf noch sorgfältiger Prüfung.
    Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften wird ein Richtlinienentwurf für den Widerruf von Haustürgeschäften vorbereitet. In der vergangenen Wahlperiode lag ein entsprechender Entwurf des Bundesrats bereits vor. Das Thema wird auf der Tagesordnung der Bundesregierung bleiben.
    Noch für diese Legislaturperiode steht ferner eine Regelung im Bereich der Produkthaftung an.
    Die Neugestaltung der Staatshaftung ist nach allgemeiner Auffassung eine dringliche rechtspolitische Aufgabe. Der auf eine Vielzahl staatlicher Leistungen angewiesene Bürger sollte gegen die Risiken fehlerhafter Staatstätigkeit auch angemessen abgesichert werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das zwischen allen politischen Kräften herrschende Einvernehmen über die Notwendigkeit einer solchen Verbesserung darf nicht bloßes Lippenbekenntnis bleiben, denn inzwischen steht bei diesem Gesetzesvorhaben auch die Glaubwürdigkeit politischer Amtsträger auf dem Spiel. Wie soll man, meine Damen und Herren, dem Bürger erklären, daß die Opposition im Bundestag eine weitergehende Regelung fordert, während die von den gleichen Parteien gestellte Bundesratsmehrheit den Gesetzentwurf mit der Begründung ablehnt, dem Bund stehe gar keine Regelungskompetenz zu?

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das kann man nicht erklären!)

    Klare Gegnerschaft zu dem ganzen Vorhaben wäre ehrlicher, als es Umwege sind, die doch nur das baldige Scheitern zum Ziel haben.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Die CDU/CSU mit der Tarnkappe!)

    Das Rechtsstaatsgebot hat sich nicht zuletzt in der Normierung und Verwirklichung des Strafrechts zu bewähren. Das Strafrecht dient dem Rechtsgüterschutz und nur diesem. Deshalb haben wir es dort in Frage zu stellen, wo es den Rechtsgüterschutz nicht oder nicht mehr gewährleistet.
    Als ultima ratio des Güterschutzes muß das Strafrecht weichen, wo es nicht der Verhinderung sozialschädlichen Verhaltens dient. Die Reform des Sexualstrafrechts z. B. beruhte auf diesem Gedanken. Es ging bei ihr nicht um eine Entsittlichung des Rechts und schon gar nicht um einen Verzicht auf gesetzgeberische Wertentscheidungen. Maßgebend war die Einsicht, daß das Strafrecht dort, wo es nicht um den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung geht, weder zur Disziplinierung der Sexualität noch zu ihrer Befreiung wesentlich beitragen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Zum anderen muß das Strafrecht dort zurücktreten, wo ein unzweifelhaft schutzwürdiges Rechtsgut mit strafrechtlichen Mitteln nicht so wirksam geschützt werden kann, wie andere Mittel das vermögen. Das war der Mangel des alten § 218 des Strafgesetzbuchs.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das neue Recht beruht auf der Überzeugung, daß das Rechtsgut werdendes Leben durch Beratung und soziale Hilfe besser geschützt werden kann als durch eine — wie die erschreckende Dunkelziffer beweist — ineffektive staatliche Strafdrohung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Eine konsequent am Rechtsgüterschutz orientierte Strafrechtsreform wird keineswegs nur entkriminalisieren, sondern dort, wo es erforderlich ist, den Strafrechtsschutz auch erweitern müssen. Denn wo neue Bedrohungen durch sozialschädliches Verhalten auftreten, sind strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen. So beabsichtigt die Bundesregierung, der zunehmenden Gefährdung des Gemeinschaftsfriedens durch neonazistische und rechtsextremistische Aktivitäten mit neuen Strafvorschriften entgegenzuwirken.

    (Beifall bei der SPD)

    Zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und zum Schutz der Umwelt hat die Bundesregierung seinerzeit Strafvorschriften veranlaßt. In dieser Wahlperiode soll durch ein Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität bestimmten Formen der sogenannten Computerkriminalität, nämlich dem Computerbetrug und der Fälschung gespeicherter Daten, begegnet werden. Weitere Straftatbestände sind in diesem Zusammenhang im Gespräch.

    (Dr. Linde [SPD]: Zum Beispiel der Ausschreibungsbetrug!)

    Das Strafrecht muß aber auch immer wieder auf seine Wirksamkeit und auf seine Erforderlichkeit geprüft werden. Dazu gehören auch die Rechtsvorschriften, die zur Abwehr des Terrorismus erlassen worden sind. Für die §§ 88a und 130 a des Strafgesetzbuches hat diese Prüfung gezeigt, daß sie so gut



    Bundesminister Dr. Schmude
    wie unwirksam und damit entbehrlich sind. Sie sollen deshalb entfallen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Langner [CDU/ CSU]: Das ist Ihr Vorurteil!)

    Beim Kontaktsperregesetz wird eine Regelung angestrebt, die die strafprozessualen Garantien auch in diesem Bereich noch stärker gewährleistet, ohne den Schutz der durch terroristische Aktivitäten bedrohten Personen zu vermindern.

    (Dr. Langner [CDU/CSU]: Das ist eine unserer vordringlichsten Aufgaben!)

    Wo es zur Abwehr schwerer Gefahren für unsere Gemeinschaft erforderlich ist, dürfen auch herkömmliche Grundsätze unseres Strafrechts und unseres Strafverfahrensrechts nicht tabuiert werden. Die Koalitionsfraktionen haben den Gesetzentwurf zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts neu eingebracht. Er soll gewährleisten, daß die für süchtige Straftäter erforderliche Hilfe nicht hinter einer Strafe zurücksteht. Die Bundesregierung begrüßt diesen Entwurf als angemessene Antwort auf ein uns alle bedrückendes Gegenwartsproblem, bei dem die existenzielle Not und Hilfsbedürftigkeit drogenabhängiger Menschen dem besonders verabscheuungswürdigen kriminellen Gewinnstreben von Rauschgifthändlern gegenübersteht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der sittliche Entwicklungsstand einer Rechtsgemeinschaft läßt sich auch daran ablesen, wie sie mit dem Rechtsbrecher verfährt. Die sozialliberale Koalition hat seit ihren Anfängen das Ziel verfolgt, den straffällig Gewordenen nach Kräften wieder für das Recht zurückzugewinnen und ihm ein normales Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Resozialisierung ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sie ist zugleich eine Forderung der kriminalpolitischen Vernunft. Ein wirksamer Beitrag zur Verbrechensverhütung könnte mit der Senkung der immer noch hohen Rückfallquote geleistet werden. Mit dem Strafvollzugsgesetz hat die sozialliberale Koalition erstmals bundesgesetzlich den Grundstein für einen Vollzug gelegt, der konsequent und einheitlich dem Gedanken der Resozialisierung folgt. Durch das jetzt erneut eingebrachte Strafvollzugsfortentwicklungsgesetz sollen das Arbeitsentgelt der Gefangenen erhöht und ihre Einbeziehung in die Sozialversicherung gewährleistet werden. Das ist zwar nicht billig, aber nach der Überzeugung der Bundesregierung auch angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes und der Länder unverzichtbar.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Denn wir dürfen es uns um unserer Rechtsstaatlichkeit und unserer Sozialstaatlichkeit willen nicht leisten, dieses Vorhaben aufzugeben. Das gleiche wird für eine Regelung des Jugenstrafvollzugs gelten. Auch hier wird die Finanzierung des im Interesse der jungen Menschen Notwendigen zweifellos nicht leicht werden.
    Aktuelle Straftaten im Zusammenhang mit sogenannten Hausbesetzungen und der Mißbrauch des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu gewalttätigem Rechtsbruch haben den Ruf nach schärferen Gesetzen laut werden lassen. Man fordert eine Politik der harten Hand und malt den Zustand der Rechtlichkeit und Rechtssicherheit in unserem Lande in dürsteren Farben. Dazu sage ich mit allem Nachdruck: Wir brauchen keine schärferen Gesetze.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir brauchen keine schärferen Gesetze, denn das vorhandene Instrumentarium reicht aus. Sicherheit und Rechtssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland sind mit ihm zu gewährleisten, und zwar, wie uns der internationale Vergleich zeigt, in hohem Maße.
    Strafrechtliche Verbote müssen durchgesetzt werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Auch § 218!)

    Daran besteht bei den Verantwortlichen im Bund und in allen Ländern keinerlei Zweifel. Ermittlungsbehörden und Polizei sind allerdings nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Verhältnismäßigkeit ihres Handelns unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu prüfen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Somit zählt nicht die Härte des Zugriffs, sondern seine Wirksamkeit auf lange Sicht. Ein zeitliches Aufschieben und der flexible Gebrauch von staatlichen Machtmitteln beeinträchtigen die Rechtssicherheit nicht. Abwägendes und besonnenes Vorgehen dient vielmehr der Rechtssicherheit, weil es Eskalation und unnötige Konflikte verhindert.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dies ist der Polizei unter der Verantwortung der schleswig-holsteinischen Landesregierung bei der Demonstration in Brokdorf am 28. Februar 1981 in bemerkenswertem Umfange gelungen. Mit einer tatenlosen Hinnahme rechtswidriger Zustände, ihrer Duldung, hatte dieses besonnene und flexible Vorgehen nichts zu tun.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CDU)

    An der Geltung und Verbindlichkeit eines rechtmäßig erlassenen Demonstrationsverbots darf denn auch kein Zweifel aufkommen. Und dem von manchen gepflegten Geschwätz vom „bürgerlichen Ungehorsam" und vom „Widerstand außerhalb des gesetzlich garantierten Rechtsweges" halte ich mit aller Deutlichkeit entgegen: Gegen ein solches Verbot gibt es kein Widerstandsrecht.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Von einem Widerstandsrecht könnte nur die Rede sein, wenn die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung drohte. Die aber ist ungefährdet. Ihre Rechte und Freiheiten sind es ja gerade, die von den Demonstranten ausgiebig genutzt und zum Teil auch mißbraucht werden.
    Bei der Anwendung und Durchsetzung des Rechts darf nicht auf den Versuch verzichtet werden, staat-



    Bundesminister Dr. Schmude
    liches Vorgehen auch den Betroffenen selbst verständlich und einsehbar zu machen. Auch unter diesem Gesichtspunkt erkennt die Bundesregierung die Einsatzbereitschaft und die unter schwierigen Umständen umsichtig und besonnen geleistete Arbeit der Polizeibeamten in Brokdorf wie in Berlin und andernorts dankbar an.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wissen und betonen nachdrücklich: Die Polizeibeamten stehen nicht aus eigenem freiem Willen in diesen häufig mit Gewalt verbundenen Konflikten; sie erfüllen damit ihre Pflicht, und sie tun es für uns.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Leider ist das polizeiliche Handeln in Berlin zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen gemacht worden.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU]: Das Nichthandeln!)

    Der Versuch, der Berliner Polizei von außen eine bestimmte Art ihres Vorgehens aufzunötigen, erweist sich als schädliche Einmischung in die polizeilichen Aufgaben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Gilt das auch für Bayern?)

    Dem Ansehen der Polizei und unseres Rechts ist damit nicht gedient.
    Die in Nürnberg angeordnete Untersuchungshaft gegen eine bisher einmalig große Anzahl von Demonstranten, darunter viele Jugendliche, ist inzwischen nach heftigen und gewichtigen Protesten weitgehend aufgehoben worden. Es wäre gut, wenn diejenigen, die gern Signale für Härte und festes Durchgreifen setzen möchten, durch diese Ereignisse endlich nachdenklich würden. Auch sie können sich doch dem Eindruck der verheerenden Wirkung dieser Verhaftung von 141 jungen Menschen nicht entziehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    Oder glaubt jemand im Ernst, daß auf diesem Wege unnötige Konfrontationen abgebaut, eine falsche Solidarisierung betroffener Jugendlicher mit Kriminellen verhindert und die Jugend insgesamt für unsere Rechtsordnung eingenommen werden können?
    Dieser Zweifel läßt sich auch nicht mit dem auf Anheizen und Polarisierung angelegten Vorwurf übertönen, in den Demonstrationen und Hausbesetzungen der letzten Zeit befänden sich Elemente eines neuen Terrorismus.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — KrollSchlüter [CDU/CSU]: Das hat der Innenminister gesagt!)

    Das ist eine ebenso unzulässige Verharmlosung des
    wirklichen Terrorismus wie schädliche, weil maßlose, Kriminalisierung von Hausbesetzern und Demonstranten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Rechtsbrüche bei Hausbesetzungen und Demonstrationen werden damit nicht beschönigt. Auch kann es nicht überraschen, daß sich einzelne Personen aus dem Umfeld des Terrorismus den jetzigen Bewegungen anschließen und sie zu nutzen versuchen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Also doch!)

    Für eine Steuerung oder wesentliche Beeinflussung aus dieser Richtung gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Noch keine Anhaltspunkte!)

    Wir sollten deshalb mit peinlicher Sorgfalt jeden Sprachgebrauch vermeiden, der im Sinne einer Gleichsetzung verstanden werden könnte.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Bundesregierung lehnt es im übrigen ab, auf Rechtsverstöße spontan mit neuen Rechtsänderungen zu reagieren. Auch in den letzten Wochen hat sich gezeigt, daß das geltende Recht Polizei und Gerichten alle erforderlichen Handhaben gibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich teile durchaus den Widerwillen gegen den Auftritt gangsterhaft vermummter Demonstranten.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Sehr wahr! — Dr. Langner [CDU/CSU]: „Widerwillen" ist gut!)

    Wer sich hinter einer Maske versteckt, ist eigentlich nicht einmal Demonstrant. Denn anonym kann man seine Meinung nicht bezeugen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ein Vermummungsverbot stieße aber auf erhebliche praktische Anwendungsschwierigkeiten und dürfte daran scheitern.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wie denn? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Bitte, hören Sie doch einmal die folgenden Überlegungen. — Wollen Sie denn den hochgeschlagenen Pulloverkragen,

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    die ins Gesicht gezogenen Kapuze und den Motorradhelm gleich mitverbieten? Oder wollen Sie dem Polizisten auferlegen, die eine von der anderen Vermummung strafrechtlich abzugrenzen?

    (Dr. Emmerlich [CDU/CSU]: Demonstrieren in Badehose, das ist es, was Sie wollen!)

    Das, was ich gesagt habe, sind doch, meine Damen und Herren, die Gründe, weshalb von der schon bestehenden rechtlichen Möglichkeit, die Vermummung mit Auflagen nach dem Versammlungsgesetz zu unterbinden, kaum Gebrauch gemacht wird. Und



    Bundesminister Dr. Schmude
    nicht zufällig ist es die Gewerkschaft der Polizei, die davon abrät, den Beamten mit einer entsprechenden Strafvorschrift unlösbare Probleme aufzubürden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Bundesregierung ist nach sorgfältigem Abwägen des Für und Wider zu der gleichen Auffassung gekommen.
    Meine Damen und Herren, die große Aktualität der Demonstrationsgeschehnisse darf uns nun nicht dazu verleiten, ihre Bewältigung zum Maßstab der Rechtspolitik allgemein zu machen.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

    Weitere Rechtsgebiete, die in ihrem Zusammenhang die Rechtsordnung ausmachen, fordern gleichermaßen Beachtung. Dazu gehört, um ein weiteres Rechtsgebiet zu nennen, das Ehe- und Familienrecht. Die großen Reformen der letzten Jahre im Ehe- und Familienrecht, im Recht der elterlichen Sorge und im Adoptionsrecht haben in der Praxis und bei den Bürgern inzwischen Aufnahme gefunden.

    (Beifall bei der SPD — Feinendegen [CDU/ CSU]: Haben Sie eine Ahnung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das neue Eherecht hat den sittlichen Wesenskern der Ehe als personaler Lebensgemeinschaft hervorgehoben und deutlich gemacht, daß eine rein formale Statusgemeinschaft oder eine Wirtschaftsgemeinschaft, als die eine gescheiterte Ehe allenfalls fortbestehen kann, diesem werthaften Begriff der Ehe nicht genügt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Wertorientierung des Eherechts wird dadurch verdeutlicht, daß den Ehegatten auch über den Bestand der Ehe hinaus eine weitgehende Verantwortung füreinander übertragen wird.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das Bundesverfassungsgericht hat die entscheidenden Bestandteile der Ehe- und Familienrechtsreform, insbesondere das Zerrüttungsprinzip im Scheidungsrecht und den Versorgungsausgleich, für verfassungsgemäß erklärt. Lediglich gewisse Härten, die beim Versorgungsausgleich oder bei der Fristenregelung im Scheidungsrecht auftreten können, müssen und werden demnächst korrigiert werden.

    (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Weil verfassungswidrig!)

    Gegner der Eherechtsreform wollen zu Unrecht den Eindruck erwecken, als habe das Bundesverfassungsgericht tragende Pfeiler des neuen Rechts umgestoßen; davon kann keine Rede sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    In diesem Zusammenhang ist denn auch wieder der Vorwurf erhoben worden, die sozialliberale Koalition und die Bundesregierung seit 1969 seien vom
    Bundesverfassungsgricht unverhältnismäßig oft in die Schranken gewiesen worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Feinendegen [CDU/CSU]: Stimmt denn das nicht?)

    Davon kann ebensowenig die Rede sein.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist doch unwahr!)

    Vergleichszahlen mit den Amtszeiten früherer Regierungen mahnen alle diejenigen zur Vorsicht, die Verfassungsgerichtsentscheidungen als Keulen in der parteipolitischen Diskussion verwenden wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Eine unter sozialen Gesichtspunkten noch so ausgewogene Rechtsordnung verfehlt weitgehend ihren Zweck, wenn dem Bürger der Zugang zum Recht nur unter Schwierigkeiten offensteht. Erforderlich sind immer wieder Maßnahmen, die unsere Rechtsordnung übersichtlicher und verständlicher, für den Bürger durchschaubarer machen. Sammlung, Bereinigung und Kodifikation des geltenden Rechts erleichtern es dem Bürger, sich mit seinen Rechten und Pflichten vertraut zu machen. Sie sind deshalb eine wichtige sozialstaatliche Aufgabe.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Allen Bürgern eine Loseblattsammlung!)

    Dieser Zusammenfassung zersplitterter Rechtsmaterien dient der Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, den die Bundesregierung noch in diesem Jahr einbringen wird. Er soll die Verfahrensordnungen der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, der Verwaltungsgerichte, der Finanzgerichte und der Sozialgerichte soweit wie möglich vereinheitlichen und gleichzeitig die Verfahren straffen und beschleunigen.
    In diesen Zusammenhang gehören weiterhin die Zusammenführung aller privaten Mietrechtsvorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch und die gesetzliche Fortschreibung des richterlichen Fallrechts im internationalen Ehe- und Familienrecht.
    Rechtsgewährung ist zweifellos ein knappes Gut, mit dem sorgsam umgegangen werden muß. Der Bundesregierung liegt es selbstverständlich fern, das Niveau des Rechtsschutzes unter den im Grundgesetz vorgezeichneten, sehr anspruchsvollen Standard zu drücken. Sie lehnt es vor allem ab, Rechtsgewährung zu Lasten der sozial schwächeren Schichten zu rationieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Im Gegenteil: Durch die Einbringung des Beratungshilfe- und des Prozeßkostenhilfegesetzes, die im Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind, hat sie dazu beigetragen, den Zugang zum Recht für die sozial schwächeren Bürger zu verbessern. Bei allem Bemühen um die Entlastung der Gerichte wird die Bundesregierung nicht der Versuchung nachgeben,



    Bundesminister Dr. Schmude
    den Rechtsschutz in lebenswichtigen Rechtsangelegenheiten zu verringern.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die Frage, ob die Rechtsmittelinstanzen wirklich alle unverzichtbar sind, muß natürlich immer wieder gestellt werden. In existentiell wichtigen Bereichen aber, beispielsweise im Asylverfahren, muß die Antwort auf diese Frage besonders gründlich überdacht werden. Die Bundesregierung hat insoweit Bedenken gegen den Asylrechtsentwurf des Bundesrates angemeldet.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Zu Recht!)

    Möglich und angezeigt ist eine stärkere Entlastung der Gerichte in Bagatellsachen, insbesondere in Bußgeldsachen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten. Noch in diesem Jahr beabsichtigt die Bundesregierung, dazu den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten einzubringen.
    Entgegen anderslautenden Behauptungen ist die Autorität des Rechts bei uns ungebrochen. Das Ansehen der Rechtsordnung hat durch die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition zugenommen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Herr Kollege Schmude, als Kind habe ich im Keller immer laut gesungen, weil ich Angst hatte!)

    — Es gibt auch für die Lacher einsehbare gesicherte Erkenntnisse, Herr Kohl, dafür,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Aber es ist erlaubt zu lachen!)

    daß die Bürger in unserem Land größeres Vertrauen zur Rechtsordnung und vor allem auch zur Justiz gefaßt haben. Sie empfinden das Recht und die Justiz nicht mehr so ausgeprägt wie früher als etwas Bedrohliches, Fremdes, sondern als Hilfe und Schutz.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    So nimmt die Zahl der Bürger, die ihre Rechte nutzen und sie auch vor Gericht geltend machen, zu.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU]: Das ist ja sehr erfreulich!)

    Die Gefahr einer gewissen Justizialisierung des öffentlichen Lebens verkenne ich nicht. Dadurch entstehen nicht nur Nachteile für die Qualität unserer Rechtsprechung und für die Berechenbarkeit des Rechts. Eine solche Justizialisierung führt auch zu einem Verlust an politischer Kultur. Es liegt aber vor allem an den Gerichten, sachgerechte, unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung vertretbare Grenzen der Rechtsprechung zu entwickeln. Die Gerichte selber haben es in der Hand, durch die Bestimmung solcher Grenzen ihre Überforderung zu vermeiden. Das gilt für alle Gerichte, vom Amtsgericht bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht.
    Es gibt ein Unbehagen gegenüber dem Gesetzgeber, das ich keinesfalls pauschal zurückweisen möchte. Das Zusammenwirken der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat, das Zusammenwirken im Gesetzgebungsverfahren ist so komplex geworden, daß die Folgerichtigkeit und Eindeutigkeit der Gesetze darunter leiden kann. Die Notwendigkeit, in einem für die Öffentlichkeit nicht einsehbaren Bereich Kompromisse, oftmals nur Scheinkompromisse oder Formelkompromisse, zu erzielen, läßt manchmal Regelungen entstehen, die nicht mehr aus einem Guß sind und nicht mehr auf klar feststellbaren, widerspruchsfreien Prinzipien beruhen. Der Rechtsanwendung und Wissenschaft überlassen solche Gesetze oftmals allzu schwere Aufgaben. Hier hoffe ich, daß die von der Bundesratsmehrheit angekündigte Zurückhaltung für mehr Klarheit und Eindeutigkeit der Gesetzgebung sorgen wird.
    Eine durchgreifende Vereinfachung unseres Rechts zu fordern, es auf allseits sogleich überschaubare Grundlinien zurückführen zu wollen, wäre indes illusionär. Ich zitiere dazu erneut Hans-Jochen Vogel:
    In einer immer komplexer werdenden Gesellschaft werden auch Konflikte und ihre Lösungen und folglich die Gerechtigkeitsprobleme notwendig komplexer. Sie können nicht ohne weiteres durch einfachen Rekurs auf angeblich offenliegende Konsense und Gemeinschaftswerte gelöst werden. Um dem Gerechtigkeitsanspruch zu genügen, muß das Recht, und zwar sowohl die Rechtssetzung wie die Rechtsdogmatik, selber ein hohes Maß an Komplexität besitzen.
    Ich erkenne zwar an, daß der Vorwurf der Normenflut durchaus einen wahren Kern hat. Es gibt in der Tat quantitative Grenzen für die Rechtssetzung. Man kann sie nicht überschreiten, ohne der Wirksamkeit des Rechts und seiner Durchsetzung im Bewußtsein der Menschen zu schaden. Nur zu oft wird der Vorwurf der Normenflut aber in der Absicht erhoben, die friedliche Fortentwicklung unserer Gesellschaft und Rechtsordnung durch Gesetze insgesamt zu diskreditieren.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Demgegenüber wird die Bundesregierung unbeirrt an ihren Leitlinien zur Rechtspolitik festhalten. Wenn Gesellschaft und Staat nicht mehr bereit und fähig sind, als richtig erkannte Entwicklungen auch durch Gesetzgebung zu stützen und zu lenken, werden wir sehr schnell an die Grenzen des friedlichen Wandels überhaupt stoßen.

    (Beifall bei der SPD)

    Vom Bundesministerium der Justiz wird auch in der 9. Wahlperiode keine Normenflut ausgehen. Die Bundesregierung ist jederzeit bereit, im Einzelfall bei der Betrachtung eines bestimmten Entwurfs die Frage seiner Erforderlichkeit gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag gründlich zu prüfen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält breite Zustimmung zur Gesetzgebung für die Wirksamkeit und die Geltungskraft unserer Rechtsordnung für notwendig. Sie wird sich deshalb auch



    Bundesminister Dr. Schmude
    künftig um breite Mehrheiten für rechtspolitische Entwürfe bemühen.
    Thomas Dehler, der erste Justizminister der Bundesrepublik Deutschland, hat diese Grundbedingung unseres Gemeinwesens nach dem Kriege in die Worte gefaßt:
    Das Recht ist neben der Sprache das stärkste Band, das ein Volk zusammenfaßt, und das einzige Fundament, auf das sich ein Staat auf die Dauer gründen läßt.
    Dieses Fundament, meine Damen und Herren, kann nur erhalten, unsere Rechtsordnung nur geschützt und mit Leben erfüllt werden, wenn alle in unserem gemeinsamen Staate dabei mitwirken. Nicht nur Politiker, Beamte und Richter, sondern jeder Ausbilder und Lehrer, auch die Eltern gegenüber ihren Kindern, eben alle Bürger, müssen durch ihr tägliches Verhalten unsere — nie vollkommene — Rechtsordnung immer wieder vom toten Buchstaben zum lebendigen Recht machen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Recht und Rechtsstaat können letztlich weder durch perfekte Gesetze noch durch staatliche Machtmittel gesichert werden. Die Rechtsordnung muß leben und wirken. Sie kann dies nur in den Herzen und Köpfen der Bürger.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Erhard (Bad Schwalbach).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Benno Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Minister hat vor allem zum Schluß seiner Rede den Appell an uns gerichtet, zu möglichst gemeinsamen rechtspolitischen Entscheidungen zu kommen. Herr Minister, wer Gemeinsamkeit will, stößt bei uns auf breite Bereitschaft, und wir stimmen dieser Forderung voll zu. Das haben wir bereits bei der ersten rechtspolitischen Debatte unter der jetzigen Koalition 1970 hier erklärt.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Die Erklärung reicht aber nicht!)

    Es muß aber derjenige, der die Forderung aufstellt, selber zu dieser Gemeinsamkeit bereit sein und nicht bei allen streitigen Fragen größte Sorgfalt darauf verwenden, das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates auslösenden Vorschriften aus den Gesetzen herauszuoperieren, um Opposition und Bundesrat zu überstimmen, um dann von Gemeinsamkeit zu reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben diese Praxis auch schon in dieser Legislaturperiode erlebt.
    Gemeinsamkeit wird auch dann unmöglich, wenn man so tut, als hätte Rechtspolitik erst ab 1969 stattgefunden, wie das leider bei Ihnen am Anfang Ihrer Rede in den verschiedensten Formen zum Ausdruck kam. Damit soll überhaupt nichts anderes erreicht werden, als die CDU politisch in Mißkredit zu bringen. Solche Äußerungen können nur entweder aus totaler Unkenntnis stammen — das brauche ich bei Ihnen doch wohl nicht zu unterstellen, Herr Minister — oder aus der politischen Mottenkiste der Schlechtmacherei entnommen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Waren es denn keine rechtspolitisch weittragenden Entscheidungen, als wir zum Schutz der Bürger das Bundesverfassungsgericht und das entsprechende Gesetz für sein Verfahren geschaffen haben?

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Das stand doch im Grundgesetz!)

    Von welch großer Bedeutung waren und sind denn die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsordnung für unsere Bürger? Was war denn die Schaffung der Sozialgerichte, die Ordnung der Verfahren vor den Finanz- und den Arbeitsgerichten? Ist das Jugendgerichtsgesetz Ausdruck von rechtspolitischer Untätigkeit bis 1969 gewesen? Wollen Sie die Neuordnung des Aktienrechts, die Schaffung des Kartellrechts mit den die Freiheit der Bürger im Wirtschaftsbereich sichernden Elementen als rechtspolitisch bedeutungslos abwerten? Haben Sie vergessen, daß über mehr als drei Wahlperioden, über mehr als zwölf Jahre hinweg die Große Strafrechtsreform gelungen ist, die seit der Jahrhundertwende keinem Parlament und keiner Regierung gelungen war?

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Aber unter dem Justizminister Heinemann!)

    — Nein. Das ist ein Werk des Bundestags unter der Führung der CDU gewesen; das wollen wir nicht vergessen. Herr Heinemann hat als Justizminister nicht einen einzigen Paragraphen dazu vorgelegt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Er war in der Zeit, als es verabschiedet wurde, Minister; das stimmt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das reicht aber nicht!)

    Das ist aber auch alles, was er dazu beigetragen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ist nicht das Recht der nichtehelichen Kinder nach langjährigen Beratungen verabschiedet worden, bevor es die Regierung Brandt gab?

    (Zurufe von der SPD)

    Ist nicht das Recht der Gleichberechtigung in Vermögensfragen im Eherecht 1953 von der CDU/CSU mit absoluter Mehrheit durchgesetzt worden?

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das hat aber lange genug gedauert!)

    Haben nicht wir das Wohnungseigentumsrecht und das Dauerwohnrecht Anfang der 50er Jahre geschaffen? So etwas Ähnliches, für die Menschen Wichtiges haben Sie in den zehn Jahren doch auf keinem einzigen Gebiet vorzuweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Erhard (Bad Schwalbach)

    Mit solchen Äußerungen, verehrter Herr Justizminister Schmude, werten Sie sich leider selbst ab, wozu Sie gar keine Veranlassung haben. Andere Teile Ihrer Rede können dagegen sehr wohl durchaus vernünftige Ansätze für Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und uns darstellen.
    Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition — ich spreche hier jetzt zur linken Seite und zur rechten Seite dieses Hauses —, haben, sozusagen als rechtspolitischen Einstand, wie alles neu werden sollte, 1970 eine Amnestie für den Mißbrauch des Demonstrationsrechts erlassen — bis hin zur schweren Körperverletzung. Das mußte doch den Eindruck erwecken, diese Mißbräuche seien im Grunde harmlos gewesen und bei weiteren Mißbräuchen werde künftig ähnlich verfahren, vorausgesetzt, der Druck der Straße sei nur groß genug. Wird nicht auch jetzt schon wieder der Ruf nach einer Amnestie laut, trotz weniger Verurteilungen, und immer lauter? Ich schaue nach dem rechten Flügel dieses Hauses, dort hinüber, und meine jemanden in Berlin.

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Einen Rechtsradikalen?)

    Sie haben in der Vergangenheit die CDU oft beschimpft als die ewiggestrigen Reaktionäre, die unfähig seien, zu begreifen, daß gesellschaftliche Probleme nicht mit dem Knüppel des Strafrechts zu lösen sind. Das wissen wir auch.

    (Zuruf von der SPD: Was?)

    Wir haben die Lockerung des Demonstrationsstrafrechts schon 1970 für falsch gehalten — in Übereinstimmung mit allen Polizeipräsidenten in der Bundesrepublik, allen —,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und zwar deshalb, weil diese Veränderung dem Mißbrauch des Demonstrationsrechts Tür und Tor geöffnet hat. Wir haben diese Meinung seither, in den letzten zehn Jahren viermal durch Gesetzentwürfe hier im Bundestag immer wieder zum Ausdruck gebracht, immer wieder in der gleichen Weise. Trotzdem haben Sie das alles abgelehnt und tun so, als wollten wir unentwegt das Strafrecht ändern. Nein, wir wollen das schon in der Weimarer Zeit bewährte öffentliche Demonstrationsrecht so gestaltet wissen, wie es in der Rechtsprechung wirksam festgeschrieben und von der Polizei gehandhabt werden konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber Sie sind zur Überprüfung Ihres eigenen Standpunktes nur bereit, wenn es um das Kontaktsperregesetz geht, wenn es um die Anleitung zu Straftaten und die Befürwortung verfassungsfeindlicher Gewalttaten geht. Die Abschaffung des § 130 a des Strafgesetzbuches paßt jedenfalls in die gegenwärtige Situation wie die Faust aufs Auge. Und, Herr Emmerlich, Sie wissen das selbst ganz genau.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Natürlich sind gesellschaftliche Probleme nicht mit den Mitteln des Strafrechts zu lösen. Aber ist diese Binsenwahrheit ein Grund, Rechtsbrüche als Beitrag zur Problemlösung in einem freiheitlichen
    Staat verständnisvoll zuzulassen? Wer steht denn eigentlich seit 1969 in unserem Staat in der Regierungsverantwortung für die Lösung gesellschaftspolitischer Fragen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! — Dr. Emmerlich [SPD]: In Bayern die CSU — leider!)

    Doch diejenigen, die immer wieder die letzte gesellschaftliche Ursache von Rechtsverletzungen betonen. Sie haben die angeblich bestehenden gesellschaftlichen Ursachen ganz offenbar nicht beseitigt; sonst hätte doch die Kriminalität sinken müssen, während sie in Wahrheit gestiegen ist. Vor 1969 gab es keine Welle von Hausbesetzungen und von organisierter Gewalttätigkeit in unserem Land. Die gibt es erst unter Ihrer Führung.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Geschichtsklitterung!)

    Den Opfern von Krawallen und Gewalttaten sollte unser aller Aufmerksamkeit gelten. Die berechtigte Verbitterung derer, die sich rechtstreu verhalten, die ihre Steuern zahlen, über die Vorteile, die jene einheimsen, die lautstark Gesetze mißachten, könnte sonst leicht umschlagen in den Ruf nach einer Staatsreform, die kein Demokrat wollen kann, keiner. Sehen Sie nicht, daß die Ergebnisse Ihrer Politik — ich sage nicht: Ihre Absichten — Wasser auf die Mühlen radikaler Kräfte leiten, die schon jetzt im Trüben fischen? Die argumentative Auseinandersetzung, der Dialog, die engagierte Diskussion sind gewiß ein Lebenselixier der Demokratie und vor allen Dingen der parlamentarischen Demokratie, ebenso wie die Achtung und Beachtung von Recht und Gesetz eine unerläßliche Voraussetzung für den Bestand des Rechtsstaates ist. Sicher ist auch, daß veränderte Lebensbedingungen und neue technische Entwicklungen neue gesetzliche Regelungen erforderlich machen, damit der Rechtsstaat keine leere Hülse wird und der Rechtsfriede gewährleistet bleibt. Herr Minister, auf dieser Ebene gibt es volle Übereinstimmung.
    Die Rechtspolitik der Koalition stand und steht aber unter einem gänzlich anderen Leitmotiv. Ihr geht es darum, wie der frühere Bundesjustizminister Vogel mehrfach gesagt und geschrieben hat, mit den Mitteln der Rechtsetzung evolutionäre Gesellschaftsveränderungen zu bewirken, mit den Mitteln der Gesetzgebung — ich wiederhole es — evolutionäre Gesellschaftsveränderungen zu bewirken.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Nicht um gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, sondern um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, wird das Gesetz als Gestaltungsmittel und Transmissionsriemen und -element eingesetzt. Sie haben das in Ihrer Rede heute auch, wenn auch mit anderen Worten, gesagt. Dabei zieht eine Gesetzesänderung die andere nach sich, um schneller und auch unauffälliger das angestrebte Ziel zu erreichen. Hier liegt eine wesentliche Ursache der oft beklagten Gesetzesflut. Zwar haben der Herr Bundesjustizminister Vogel und heute sein Nachfolger, Herr Schmude, in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Notwendigkeit einer Konsoli-



    Erhard (Bad Schwalbach)

    dierung hervorgehoben. Wenn man etwas konsolidieren muß, ist es ja zunächst einmal in Unordnung. Was darunter jedoch in der Praxis konkret für die nächsten Jahre zu verstehen ist, zeigt ein Blick auf das rechtspolitische Arbeitsprogramm der Bundesregierung für die laufende Legislaturperiode, von dem wir eben nur ein kleines Stückchen gehört haben. Im Rechtsausschuß ist uns dieses Programm aber als ein dickes Papier vorgelegt worden.
    Ich habe mir die Mühe gemacht, es einmal durchzusehen und zu zählen. Ich hoffe, ich habe richtig gezählt. Bis 1983 — das ist gar nicht so furchtbar lange hin — sollen 73 Gesetze und außerdem 12 Rechtsverordnungen vorgelegt und die Gesetze vom Bundestag verabschiedet werden. Dazu kommen 34 überstaatliche Normen, die in die Gesetzgebung eingefügt werden sollen. Zusammen sind das schon 107 Gesetze. Damit aber nicht genug. 23 weitere Gesetzesvorhaben sollen bis zur Kabinettsreife gelangen, und in weiteren 46 Fällen sollen Gesetze weiter bearbeitet werden; in diesen Fällen steht nur der Termin, wann das Justizministerium seine Arbeiten abschließen wird, noch nicht fest. Das sind alles zusammen 175 Gesetze — ohne die Verordnungen — allein im engeren Justizbereich, nicht irgendwelche Paragraphen, nein, Gesetze, mit Ankündigungseffekt, mit Vorlageeffekt, mit Verunsicherungseffekt, weil niemand mehr weiß, was jetzt schon Recht ist und was nicht.
    Unter den nach Auffassung des Justizministers politisch bedeutsamen Vorhaben finden sich für die nächsten drei Jahre sechs Strafrechtsänderungen. Elfmal wird am Eherecht, am Familienrecht, am Kindschaftsrecht, am Scheidungsrecht mit eigenen Gesetzen Veränderung betrieben. Fünfmal — über die Jahre verteilt — werden Strafverfahrensänderungen geplant. Dreimal sollen Strafvollzugsgesetzesänderungen das Gesetzesblatt füllen. In mindestens der Hälfte dieser Gesetze werden neue und vielgestaltige Ansprüche neu geschaffen. Das Mietrecht — wir haben es eben auch gehört — soll, über die Jahre verteilt, mehrfach geändert werden. Wir werden sehen, was wirklich aus dem Kabinett herauskommt. Nach meinem Eindruck werden auch diese Gesetze das, was im Mietrecht und von Hausbesetzern angegriffen wird, nicht lösen. Es wird an den Symptomen herumgeschafft, aber es wird nicht am Kern gearbeitet und eine Lösung herbeigeführt.
    Was ist denn eigentlich bei dieser Art von Fülle noch Konsolidierung? In welchem Umfang ist die Kritik des Richterbundes aus dem Jahre 1978 „gegen Überproduktion und Dilettantismus in der Gesetzgebung" denn in Ihrem Programm berücksichtigt? Statt Konsolidierung also Normeninflationierung! Sie wollen offensichtlich die Hektik evolutionärer Gesellschaftsveränderung mit aller Kraft fortsetzen. Das hat Rechtsunsicherheit, Unkalkulierbarkeit und weniger Sicherheit für die Bürger zur Folge.
    Es fällt auf, daß immer weniger Achtung vor dem Recht, auch immer weniger Achtung vor der Person des anderen und ihrem Eigentum in unserem Volk eingetreten ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Eine schlimme Beschimpfung des deutschen Volkes!)

    Ein Blick auf die Entwicklung der polizeilichen Kriminalstatistik macht das überdeutlich. 1970 wurden rund 2,4 Millionen Straftaten — ohne die Verkehrsstraftaten — bekannt. 1979 waren es bereits 3 533 000 Straftaten. Auf 100 000 Einwohner ist die Zahl der Straftaten im gleichen Zeitraum von 3 924 auf 5 761 angestiegen. Von 1970 bis 1979 hat sich die Häufigkeitsziffer — das ist die Quote auf 100 000 Einwohner, die von mir eben genannte statistische Zahl — für schweren Diebstahl fast verdoppelt. Bei der Sachbeschädigung liegt die Zuwachsrate bei etwa 65 %, bei der gefährlichen Körperverletzung bei rund 55 %. In absoluten Zahlen bedeutet das für den schweren Diebstahl etwa 1,2 Millionen Fälle pro Jahr in unserem Land. Das ist der Einbruchdiebstahl, um das im Klartext zu nennen!
    Dabei sinkt die Aufklärungsquote bei diesen Vermögensdelikten, auch bei der vorsätzlichen Körperverletzung auf unter 25 %, während noch vor 15 Jahren, als diese böse CDU im Lande regierte, die Aufklärungsquote noch bei knapp 50 % lag. Wir wissen doch alle, wo die Einstiegskriminalität stattfindet.

    (Kleinert [FDP]: Kellerfenster!)

    An diesen Stellen findet sie für die schwere Kriminalität statt — praktisch ein rechtsfreier Raum!
    Sind das etwa rühmenswerte Fortschritte durch rechtspolitische Entscheidungen oder nicht vielmehr beklagenswerte Rückschritte infolge rechtspolitischer Unterlassungen? Hier zeigt sich — —