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ID0901902000

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    Plenarprotokoll 9/19 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 19. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. Januar 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 819 A Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksache 9/50 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984 — Drucksache 9/51 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/91 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz) — Drucksache 9/92 — Schmidt, Bundeskanzler 819 D Dr. Kohl CDU/CSU 836 B Mischnick FDP 846 A Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 851 C Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" — Drucksache 9/126 — 857 C Nächste Sitzung 857 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 859* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 859* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Januar 1981 819 19. Sitzung Bonn, den 30. Januar 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 30. 1. Dr. van Aerssen 30. 1. Dr. Ahrens* 30. 1. Dr. Althammer 30. 1. Dr. Bardens* 30. 1. Böhm (Melsungen) * 30. 1. Breuer 30. 1. Büchner (Speyer) * 30. 1. Dr. Dollinger 30. 1. Egert 30. 1. Dr. Enders* 30. 1. Feinendegen 30. 1. Francke (Hamburg) 30. 1. Gansel 30. 1. Dr. Geißler 30. 1. Dr. Geßner* 30. 1. Haase (Fürth) 30. 1. Dr. Hauff 30. 1. Dr. Hennig 30. 1. Dr. Hubrig 30. 1. Jäger (Wangen) * 30. 1. Jung (Kandel) * 30. 1. Kittelmann* 30. 1. Korber 30. 1. Dr. Kreile 30. 1. Lemmrich* 30. 1. Lenzer* 30. 1. Manning* 30. 1. Dr. Müller* 30. 1. Müller (Remscheid) 30. 1. Müller (Wadern) * 30. 1. Frau Pack* 30. 1. Peter (Kassel) 30. 1. Petersen** 30. 1. Reddemann* 30. 1. Rösch* 30. 1. Sander 30. 1. Sauter (Epfendorf) 30. 1. Dr. Schäuble* 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schmidt (Würgendorf) * 30. 1. Dr. Schroeder (Freiburg) 30. 1. Schulte (Unna) * 30. 1. Frau Simonis 30. 1. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 1. Dr. Solms 30. 1. Dr. Sprung* 30. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 30. 1. Dr. Unland* 30. 1. Dr. Vohrer * 30. 1. Dr. Wittmann (München) * 30. 1. Dr. Wieczorek 30. 1. Frau Zutt 30. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung nach Vereinbarung im Ältestenrat die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Bericht der Bundesregierung über den Stand der Unfallverhütung und das Unfallgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland (Unfallverhütungsbericht) - Drucksache 9/43 - zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Bericht des Bundesministers für Verkehr 1980 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes - Drucksache 9/89 - zuständig: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen (federführend) Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über den Stand der Erörterungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zum Investitionsschutz - Drucksache 9/102 - zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über ihre 26. Jahreskonferenz vom 16. bis 21. November 1980 in Brüssel - Drucksache 9/75 - zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den Zweiten Teil der 26. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 1. bis 4. Dezember 1980 - Drucksache 9/74 - zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 3. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1980 - Drucksache 9/44 - zuständig: Haushaltsausschuß 860* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Januar 1981 Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 1113 Tit. 646 05 — Leistungen des Bundes für Aufwendungen nach dem Mutterschutzgesetz usw. —— Drucksache 9/64 — zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 35 02 — Besatzungskosten und Auftragsausgaben in Berlin — im Haushaltsjahr 1980 — Drucksache 9/73 — zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 1111 Tit. 643 01 — Kosten der Kriegsopferfürsorge (ausgenommen Darlehen) auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes sowie entsprechender Leistungen auf Grund des Häftlingshilfegesetzes, des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen und des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten — Drucksache 9/76 — zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 32 05 Tit. 575 02 — Zinsen für Bundesschatzbriefe —— Drucksache 9/100 — zuständig: Haushaltsausschuß Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung im Benehmen mit dem Ältestenrat die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Aufhebbare Siebenundvierzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksache 9/121 — Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 14. Mai 1981 vorzulegen Aufhebbare Neunundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung — Drucksache 9/122 —Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 14. Mai 1981 vorzulegen Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 22. Januar 1981 mitgeteilt, daß der Ausschuß beschlossen hat, bei den nachstehenden EG-Vorlagen von einer Beratung abzusehen: Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Ermächtigung der Französischen Republik, von der Richtlinie 73/403/EWG zur Synchronisierung der allgemeinen Volkszählungen abzuweichen — Drucksache 8/3733 Nr. 12 — Vorschläge für Verordnungen (EGKS, EWG, EURATOM) des Rates zur Änderung der Verordnung des Rates (EGKS, EWG, EURATOM) — Nr. 1859/76 vom 29. Juni 1976 zur Festlegung der Beschäftigungsbedingungen für das Personal des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung — Nr. 1860/76 vom 29. Juni 1976 zur Festlegung der Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen — Drucksache 8/3670 Nr. 25 —
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    Ich werde den Brief als Material dem Protokoll des Bundestages gern beifügen, sehr gern.
    .(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Alle Briefe!)

    — Nein. Diesen Brief kann ich öffentlich behandeln. Er wurde nämlich durch dpa bekanntgegeben, ehe er abgeschickt war.

    (Heiterkeit)

    Deswegen kriegt er auch keine Antwort von mir.
    Aber das muß ich sagen: es ist eben wirklich nicht in Ordnung, markig zu verlangen, das und das und das muß geschehen, aber bitte nicht bei mir in Bayern, nicht bei mir in Berchtesgaden. Das ist keine Art, Politik zu verantworten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Es handelt sich um die Gaststätten! — Fälschung!)

    Wir sind uns, denke ich, mit den Spitzenorganisationen nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Gewerkschaften und eigentlich mit allen klar Denkenden in Deutschland einig, daß es zu Anfang der 70er Jahre, zu Ende der 60er Jahre bei lang aufgeschobener Aufwertung der Mark — damals mußte man noch 4 Mark für einen Dollar bezahlen — ein Fehler war, so viele ausländische Arbeitnehmer ins Land zu holen. Wir sind uns, denke ich, einig, daß wir das nicht fortsetzen dürfen, sondern uns alle große Mühe geben müssen, diejenigen, die bei uns sind, insbesondere ihre Kinder, zu integrieren in unsere



    Bundeskanzler Schmidt
    Schulen, in unsere Gesellschaft, aber das Problem nicht noch wieder größer zu machen!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das darf man dann auch nicht für das Gaststättengewerbe in Berchtesgaden größer machen. Soll das Gaststättengewerbe Arbeitsbedingungen anbieten, zu denen arbeitslose Deutsche bereit sind zu arbeiten.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Zu einem anderen Thema! Ich möchte gern die Aufmerksamkeit des Hauses auf eine Untersuchung lenken, die in der Schweiz stattgefunden hat angesichts der regelmäßig wiederkehrenden Unruhen oder Krawalle — wie Sie es immer nennen wollen —, Gewalttätigkeiten auf der Bahnhofstraße zu Zürich. Die schweizerische Gesellschaft ist nun eine ganz andere Gesellschaft als die unsrige. Trotzdem gibt es dort Erscheinungen, wo wir unschwer Parallelitäten zu etwas erkennen können, was bei uns in Bremen oder in Hannover oder in Berlin, in anderen Städten der Welt auch, stattgefunden hat. Die Eidgenossen haben etwas gemacht, was bei uns bisher — zu meiner Kenntnis jedenfalls — noch nicht geschehen ist. Sie haben eine Eidgenössische Kommission für Jugendfragen gebeten, die inneren Ursachen dieser Krawalle in der Schweizer Wohlstandsgesellschaft zu erforschen.
    Es ist ein etwas längerer Bericht, den ich hier nicht in Gänze zur Kenntnis bringen kann; aber zwei, drei Punkte möchte ich gerne sagen dürfen, weil sie mir sehr eingeleuchtet haben und weil ich denke, daß wir es nötig haben, unsererseits darüber nachzudenken, ob das nicht vielleicht auch für uns zutrifft, was hier in der Schweiz, in Zürich, festgestellt worden ist.
    Da steht zum einen: Die Jugendunruhen in Zürich werden ausgelöst von einer Minderheit, aber die dahinterstehenden Probleme seien die Probleme einer Mehrheit von Jugendlichen. Zwar lehne diese Mehrheit gewalttätige Aktivitäten ab, aber sie teile die Bewertung der Probleme, die dahinterstehen. Natürlich gäbe es dort — sagt die Kommission — auch radikale Trittbrettfahrer, aber viele Forderungen seien eigentlich verständlich und vielleicht sogar gerechtfertigt.
    Die Kommission führt weiter aus, daß für viele der heute 20jährigen — von Schweizer 20jährigen ist die Rede — ein Bruch in ihrer Lebenserfahrung vorliege. Sie seien als Kinder in einer Zeit wirtschaftlicher Blüte und materieller Sorglosigkeit aufgewachsen, und jetzt plötzlich erscheine ihnen ihre persönliche Zukunft besonders düster — von Schweizer Jugendlichen ist die Rede. Viele fänden nicht den Job, den sie sich wünschten, viele fänden keine Wohnung, die sie bezahlen könnten. Einerseits erscheine ihnen ihr materieller Wohlstand ungesichert, andererseits stellten sie diesen materiellen Wohlstand grundsätzlich in Frage, und ihre Kritik an rein materialistischen Wertvorstellungen nehme zu.
    Der Bericht bestätigt übrigens auch, was wir hier schon gesagt haben — ich in meiner Neujahrsansprache z. B. —, daß viele Jugendliche tatsächlich neue Formen von Solidarität verwirklichen, von Zusammenarbeit, von Zusammenleben, von Mitmenschlichkeit, und daß diese Formen zum Teil in unserer. am Materiellen orientierten Gesellschaft verlorenzugehen scheinen.
    Ich habe das hier vorgetragen, weil ich — meinerseits aufmerksam gemacht durch einen Kollegen im Parlament — diesen Bericht allen zur Aufmerksamkeit empfehle.
    Ich bin nicht sicher, ob die Schlußfolgerungen, die dieser Bericht aus Zürich zieht, genauso eindrucksvoll sind wie die Analyse. Für mich ergibt sich jedenfalls daraus, daß sich die junge und die ältere Generation nicht gegenseitig in Ruhe lassen dürfen, nicht in der Schweiz und schon gar nicht hier bei uns, daß man sich nicht einfach gegenseitig gewähren lassen sollte, weil das bequemer ist, sondern daß man das Gespräch miteinander suchen muß; manchmal sehr unbequem anzuknüpfen — das gilt insbesondere auch für uns, die Politiker —, insbesondere schwierig angesichts manchmal provozierender und häufig auch nicht leicht zu verstehender Äußerungen und Handlungen. Die gegenseitige Sprachlosigkeit ist eine gefährliche Sache, die nicht nur an den jungen Generationen liegt; sie liegt auch an den Älteren, auch an uns. Natürlich ist man im Gespräch nur dann glaubwürdig, wenn die jungen Leute sehen, daß man auch zum politischen Handeln bereit ist, auch zur Veränderung . dessen, woran sie Anstoß nehmen.
    Es soll mich hier niemand mißverstehen und es wird auch wohl niemand mißverstehen: Nirgendwo kann ich mich dazu bereitfinden, Gewalt oder Vorformen der Gewaltanwendung zu billigen; nur macht es mich sehr nachdenklich, wenn ich lese, auf welche Weise dort Gewalt zustande kommt in der Schweiz, und daß es dieselben jungen Menschen sind, die an einem Tag Pflastersteine schmeißen und am nächsten Tag besetzte Häuser instand setzen und etwas Positives — von ihren Maßstäben aus gesehen, sicherlich Positives — tun.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Berlin!)

    — Berlin ist ein ähnliches, nicht unbedingt gleiches, aber ähnliches Bündel von Symptomen. Mir scheint, wir müssen in diesen Dingen von jeder Schwarzweiß-Diskussion wegkommen.
    Ich las neulich einen Aufsatz unseres Freundes Peter Glotz, bis vor kurzem Senator eben in Berlin, der sich mit solchen Fragen beschäftigt. Er sagt, der moderne Industrialismus gibt in all seinen Freiheiten in der demokratischen Gesellschaft dem Menschen zwar die Chance, die eigene Identität zu suchen — aber das ist zugleich auch eine Last, die die moderne Welt dem einzelnen Menschen aufbürdet. Wenn nicht genügend Identitätsangebote da sind, wird er mit der Last nicht fertig, finde ter seine Identität nicht.
    Peter Glotz sagt, wo viele Lebenswege offen sind — oder scheinbar offen sind, füge ich hinzu —, wo man sich selbst einen suchen muß, da kostet das Anstrengung. Man muß natürlich in unserer Art von Gesellschaft viel mehr suchen nach der eigenen



    Bundeskanzler Schmidt
    Identität, nach dem eigenen Lebensweg, als in einer kommunistisch geregelten Gesellschaft, wo alles Zwang und Schiene und Lenkung ist.
    Daraus, daß es eine Anstrengung ist, die eigene Identität zu suchen, erwächst Protest, daß einem diese Anstrengung zugemutet wird. Hinzu kommt dann noch eine etwas diffuse Angst vor eigener Überflüssigkeit. Aber in Wirklichkeit ist dieses Identitätsproblem, so meine ich, nicht nur eines von jungen Leuten, auch nicht nur von jungen Linken, sondern auch eines von jungen Rechten, und auch eines von Älteren.
    Peter Glotz spricht davon, daß wir unsere kollektive Identität eingebüßt hätten; die könne auch nicht durch eine Wiederherstellung des Religionssystems als Basis für gemeinsame Identität gefunden werden. Ich fürchte, daß er recht hat. Das kann auch nicht Aufgabe der Politiker sein. Aber die Politiker müssen erkennen, daß diese Identitätssuche eines der wesentlichen Probleme ist, die hinter den Unruhen in der jüngeren Generation stecken, ob in der Schweiz, ob in Berlin oder sonstwo.
    Für jemanden, der meint, man könne auf Nation verzichten, füge ich an dieser Stelle nochmals hinzu: Man muß aufpassen, wenn man nicht sorgfältig und vernünftig und rational verfährt, daß nicht eines Tages, dann möglicherweise die Identitätssuche sich im Nationalismus erfüllt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Dann halten Sie nicht so eine Silvesteransprache!)

    Ich denke, wir müssen versuchen, wichtige gemeinsame Identitäten bewußt zu machen, indem wir die Werte bewußt machen, die hinter den Grundrechten des Grundgesetzes stehen. Das ist nicht einfach, zumal j a der Grundrechtskatalog keine vollständige Aufzählung aller Grundwerte ist, die wir gemeinsam bejahen, sondern nur Ausdruck der auf die Freiheit der Personen gerichteten Grundwerte. Der Solidaritätsgrundwert beispielsweise wird da nicht ausdrücklich vorgeführt, andere auch nicht.
    Sicherlich haben die jungen Menschen vielerlei Zuwendung nötig. Herr von Weizsäcker hat in dem Zusammenhang von „geistiger Führung" gesprochen. Er hat übrigens das Wort sehr modifiziert — gegenüber einer mehr aus dem Stegreif geführten Debatte zwischen Ihnen, Herrn Kohl, und mir. Herr von Weizsäcker hat gesagt, es sei nicht Aufgabe des Bundeskanzlers, für das Leben der Bürger den Sinn zu stiften. Ich stimme zu. Aber mit unserer Einsicht in das, was uns politisch möglich und was uns politisch nötig erscheint, verändernd auf das Bewußtsein einzuwirken, das allerdings sei das Gebot der Stunde. Ich stimme zu.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Da müssen Sie aber das Camus-Zitat berücksichtigen!)

    — Lieber Herr Barzel, auf das Camus-Zitat gehe ich gern zurück. Da liegt eine gewisse Zitatfälschung bei Herrn Kohl vor. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bewußt ist. Den Zwischenruf will ich gerne aufnehmen. Herr Kohl hat in einem Interview gesagt:
    In seiner Silvester-Ansprache hat der Bundeskanzler unmißverständlich gesagt, was seiner Regierung beim Staat als Aufgabe geblieben ist: den Zerfall zu verhindern.
    Das vollständige Zitat, Herr Kohl, das wissen Sie ja wohl, lautete anders. Das redete von der Dritten Welt, und es lautete so — als ich Camus zitiert habe mit dem Wort —:
    Jede Generation sieht ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen. Meine Generation jedoch weiß, daß sie die Welt nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch größere Aufgabe zu. Die besteht darin, den Zerfall der Welt zu verhindern.
    Soweit Camus. Ich fuhr damals fort:
    Wenn wir nicht wollen, daß Not und Verzweiflung zu Krisen und Chaos führen, die auch wir zu spüren bekommen würden, dann müssen wir, denen es viel besser geht, unsere Hilfe dorthin geben, wo ganze Völker aus eigener Kraft keinen Ausweg finden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Dies, Herr Kohl, war ein Appell um das Verständnis dafür, daß wir solidarisch zu handeln haben mit anderen Völkern in der Welt. Und Sie verfälschen es in ein angebliches Eingeständnis des Zerfalls des eigenen Staates.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich kann angesichts dieser dauernden Verkürzung von Zitaten den Ausdruck „geistige Führung" nicht akzeptieren, das muß ich wirklich sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr von Weizsäcker hat dann gesagt, er sei gern bereit, nicht von „geistiger Führung", aber von „politischer Führung" zu reden. Unter Zustimmung von Herrn Kohl sagte er im nächsten Satz: „Die politische Führung allerdings läßt eine eindeutige Trennung von Politik und Geist nicht zu." Ich stimme dem auch zu. Darüber müssen wir nicht streiten. Wir brauchen auch nicht darüber zu streiten, Herr Kohl, daß die junge Generation, wie das die jüngsten Wahlergebnisse gezeigt haben, so sehr viel politische oder geistige Führung von der CDU/CSU nicht empfangen zu haben scheint. Darüber brauchen wir auch nicht zu streiten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Das kann sich ja ändern, das kann ja besser werden.
    Aber eines möchte ich schon sagen. Die Bundesregierung bemüht sich, an politischer Orientierung das zu geben, was sie geben kann. Zu sagen, was notwendig ist; zu sagen, was nötig ist und was möglich ist.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist sehr wenig! — Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/CSU]: Das ist verdammt wenig!)

    — Wenn Sie sagen, das war wenig: Wann hat einer
    Ihrer Redner im Laufe der letzten vier Tage konkret



    Bundeskanzler Schmidt
    irgendwo eine eigene Politik der Union vorgetragen, auf welchem Gebiete?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht da!)

    Ich möchte aber aus der Erfahrung meiner Generation, der Kriegsgeneration des Zweiten Weltkrieges, noch etwas zu dem Wort von der geistigen oder politischen oder politisch-geistigen Führung hinzufügen. Ich gehöre zu der Generation, die schreckliche Erfahrungen mit geistiger Verführung gemacht hat, die aus dieser leidvollen Erfahrung großen Worten mit einem tiefsitzenden Mißtrauen begegnet. Es ist eine Generation, in der viele für sich die Konsequenz gezogen haben, der Utopie zu entsagen zugunsten dessen, was heute und morgen tatsächlich geregelt werden kann. Das bekenne ich gern. Das ist vielleicht in den Augen mancher Jüngeren heute ein Manko. Aber dies ist mehr als eine Eigenart oder als eine Attitüde oder eine Maske oder eine Mache.
    Der entsetzliche Holocaust, der im Namen des deutschen Volkes durch Hitler über uns und die Nachbarvölker gebracht worden ist, hat ja auch etwas mit der übertriebenen Erwartung zu tun, die viele Deutsche in der Nachfolge Hegels von links oder von rechts an den Staat gerichtet haben. Ich bin ein Gegner der Staatsvergottung. Ich bin innerlich ganz unruhig, wenn ich sehe, wie es Menschen gibt, die von dem Staat das geistige Heil erwarten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Wer will denn das? Wer erwartet in der Bundesrepublik vom Staat das geistige Heil?)

    Man darf den Staat und man darf auch die Organe des Staates — die Bundesregierung oder den Bundeskanzler — nicht in eine Rolle hineindrängen, in dem sie Lebensinhalte, geistige Inhalte für das Leben einzelner Personen geben sollen. Vom Vordenker zum Vorschreiber ist in vielen Staaten der Welt ein kurzer Weg, hat jüngst jemand geschrieben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kohl und Herr Barzel, hier besteht möglicherweise ein echter staatsphilosophischer Gegensatz zwischen einem mehr konservativen Staatsverständnis und einem mehr liberalen Staatsverständnis, dessen ich mich mit dem, was ich hier vortrage, befleißige.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das hat doch mit liberal überhaupt nichts zu tun!)

    Ich habe gelesen, was ein jüngerer Journalist — in der „Stuttgarter Zeitung" war es wohl — zu jener Kontroverse vor ein paar Wochen geschrieben hat:
    Rückkehr in die Geborgenheit vermeintlich gesicherter Offenbarung, auch wenn sie statt von Gott von der Bundesregierung käme, wäre gefährlich.
    Ich füge hinzu: von jedweder Bundesregierung, von jedwedem Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Manche in meiner eigenen Partei werden gerade in diesen letzten Tagen für die letzten Sätze besonders empfänglich sein, scheint mir.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sehr viele neue Kolleginnen und Kollegen; es sind sehr viele neue Gesichter dabei. Viele sind dabei, ihren Platz, ihre Arbeit im Bundestag zu finden. Aber an der politischen Kontinuität, an der ethischen, an der psychologischen, an der seelischen Kontinuität der Sozialdemokratie ist nicht zu zweifeln. Machen Sie sich keine Hoffnungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU!

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist in fast 120 Jahren nie einfach eine Ja-SagerPartei und nie einfach eine Nein-Sager-Partei gewesen; es war immer eine abwägende, diskutierende, engagiert debattierende Partei.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Chaotischer Haufen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Im Gegensatz zur CSU hat es bei uns in 117 Jahren noch niemals einen Parteitag ohne Diskussionsredner gegeben, niemals!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    So ist das heute auch; so wird es auch bleiben. Natürlich gehen dabei auch die Wogen hoch. Natürlich gibt es da auch immer einmal scharfe Worte, es gibt auch Entgleisungen. Aber am Ende und im Letzten können sich Sozialdemokraten aufeinander verlassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gerade darin hat sich die Presse häufig getäuscht. Ich denke an all die Vorschauen auf all die sozialdemokratischen Bundesparteitage. Ich verlasse mich heute und morgen auf meine Partei, der ich 35 Jahre lang diene, so wie ich weiß, daß sich viele auf mich verlassen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Weswegen Sie nicht mehr zu Parteitagen gehen!)

    Natürlich bedeutet das Jahr 1981 nirgendwo in der Welt, daß man nur angenehme Entscheidungen fällen, nur angenehme Gesetze beschließen könnte. Im Gegenteil, gerade wenn es unangenehm wird, muß man sich aufeinander verlassen können.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Für mich sind die Begriffe „rechts" oder „links" nie ein Bewertungsmaßstab gewesen; für mich ist immer nur ein Maßstab gewesen, ob sie oder er ein zuverlässiger Mensch ist. Das andere ist von zweitrangiger Bedeutung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Deshalb gehen Sie nicht zur Ihren Parteitagen!)

    Es ist nicht ein Jahr, in dem man so verfahren kann, Herr Dr. Kohl, wie in Ihrer Klausur in Boppard gesagt worden ist; dicke Überschrift in der „Welt": „CDU: Regierung muß unpopuläre Gesetze selbst



    Bundeskanzler Schmidt
    verantworten". Deswegen haben wir in dieser Woche von Ihnen j a auch keine Alternativen gehört. Aber eine Partei, die nur Populäres vortragen will, taugt nicht zum Regieren, Herr Kohl.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Einer Ihrer politischen Mentoren, Herr Kohl, Herr Reißmüller, hat Ihnen dieser Tage in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen langen Aufsatz gewidmet. Er hat Ihnen bescheinigt, daß Sie nach der Wahl „behutsam", „geschmeidig" auftreten. Er hat geschrieben, daß die Opposition „von verhaltener Kritik an der Regierung zu Anerbieten wechselt, die Regierung zu unterstützen, ...". Wörtlich heißt es weiter:
    Mit einer solchen Politik macht Kohl es der Koalition schwer, von Regierungsunfähigkeit der Union zu sprechen ... Doch Weiteres ergibt sich daraus nicht.
    Im nächsten Absatz heißt es dann:
    So hat sich denn das Erscheinungsbild der Union etwas verändert, nicht aber die Substanz ihrer Politik. Wer den großen programmatischen Wechsel erwartete, war im Irrtum ... Die Bonner Opposition sieht sich die meiste Zeit darauf verwiesen, der Koalition Zerrissenheit vorzuhalten, ... Aber so war es im Grunde schon im letzten Sommer.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!)

    — Ich les' doch nur Herrn Reißmüller vor!
    Auch in der Innenpolitik bleibt nach der verlorenen Wahl die Union, was sie vorher war.
    Ich füge noch hinzu: Herr Strauß bleibt der Hauptredner. Das war vorher auch so, und das ist jetzt offenbar auch noch so. —

    (Beifall bei der SPD)

    Am Schluß, im vorletzten Absatz schreibt jener Kommentator dann — das geht an die Adresse der sozialliberalen Koalition —:
    Die von der Union geführte Regierung Erhard ist vor anderthalb Jahrzehnten nach einer gewonnenen Wahl an Kräfteverfall
    — gemeint ist hier: an innerem Kräfteverfall —
    zugrunde gegangen. So mag es auch der Regierung Schmidt ergehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    — Sie fallen immer wieder darauf rein. Denn der allerletzte Absatz lautet folgendermaßen:

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

    Doch der Blick zurück zeigt, daß es auch anders kommen kann. Wie oft schon schien seit 1969 die SPD/FDP-Koalition am Ende, und immer wieder erholte sie sich.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Jetzt macht er sich Mut, er pfeift im Wald wie die Kinder! — Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/CSU])

    — Herr Kohl, hören Sie bitte zu.
    Zuschauen und Abwarten, das kann für eine Opposition — —

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er pfeift wie das Kind im Wald!)

    - Hören Sie sich doch das an, Herr Haase!

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Ich habe es doch gelesen!)

    — Dann sagen Sie es mal weiter! — Herr Reißmüller schreibt also:
    Zuschauen und Abwarten, das kann für eine Opposition ratsam sein — aber nur für eine Weile. Sonst vergißt das Volk, daß es die Opposition gibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Zimmermann [CDU/CSU]: Die Umfragen zeigen das Gegenteil!)

    In der Tat, Herr Kohl!
    Wenn man hört, wie Sie in diesen vier Tagen Debatte unser Land malen, — —

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: An denen Sie nicht anwesend waren!)

    — Oh, ich habe vieles gehört, die wichtigsten Redner habe ich gehört. Ich höre mir auch Herrn Kohl an. Eigentlich wollte ja Herr Barzel heute morgen reden. Ich höre mir das alles an. Ich habe mir auch Herrn Strauß angehört, und ich habe mir auch den ersten Redner Ihrer Fraktion angehört. Ich habe also das Wesentliche wirklich mitgekriegt.

    (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Dafür einen Orden!)

    — Nein, ich bin ja ein Hanseat. Im Gegensatz zu Ihnen nehme ich j a keine Orden an.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Hupka [CDU/CSU]: Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Sie die Reden hier anhören!)

    — Ich glaube nicht, Herr Hupka, daß Sie alle vier Tage hier von A bis Z gesessen haben; das ist auch nicht notwendig. Es gibt auch noch andere Dinge, die man tun muß.
    Eins, glaube ich, soll man nicht tun: Man soll dieses Land nicht schwärzer malen, als die Welt insgesamt ist. Man stelle sich bitte einen Augenblick vor, wie die Bundesrepublik Deutschland mit den Augen derjenigen aussieht, die in Warschau Schwierigkeiten haben,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist aber ein Vergleich! Eine Zumutung ist das!)

    wie die Bundesrepublik mit den Augen derjenigen aussieht, die in Moskau leben,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist auch ein Vergleich!)

    wie die Bundesrepublik mit den Augen derjenigen aussieht, die in Ankara, Rom, Neapel, Paris, London oder Manchester leben,

    (Zurufe von der CDU/CSU)




    Bundeskanzler Schmidt — Afghanistan sowieso.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das sind aber schiefe Vergleiche! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Obervolta!)

    Wenn Sie die Reden, die Sie über unser Vaterland halten, draußen im Ausland halten würden, würden die Leute über Sie lachen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wie, wenn Sie diese Reden vor Ihrer Fraktion halten würden!)

    Die Menschen draußen, die Völker sowohl als auch ihre Parlamente und Regierungen, trauen uns Deutschen nämlich sehr viel mehr zu, als es die Opposition tut. Die haben auch recht darin, sie haben j a gesehen, was die Leistung dieses Landes im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte war. Sie haben das Selbstbewußtsein gesehen, das wir entwickelt haben, gegründet auf tatsächlicher Leistung, nicht auf Ansprüchen an andere. Sie trauen uns das zu, was auch ich uns zutrauen möchte, gestützt auf die Erfahrung, auf Grund der bisherigen Leistung fertig geworden zu sein mit großen Schwierigkeiten weltwirtschaftlicher, auch weltpolitischer Art — nicht mit allen ganz fertig, weiß Gott nicht; dieses Jahr wird schwieriger als das vorherige —, sie trauen uns zu, daß wir so, wie wir bisher mit allen Schwierigkeiten fertig geworden sind, auch in Zukunft mit ihnen fertig werden. Ich traue uns das auch zu. Ich halte es nicht für richtig, eine Rede nach dem Motto „Blut, Schweiß und Tränen" zu halten. So ist die Lage nicht. Wohl aber gibt es ernste Besorgnisse. Es wird ein schwieriges Jahr. Aber wir werden damit fertig, weil wir den Mut haben, die Schwierigkeiten anzupacken, und nicht nur schwarzmalerisch daherreden. — Herzlichen Dank!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der Riebschläger von Bonn!)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag debattiert nun seit Dienstag früh am vierten Tag das Haushaltsbuch der Nation. Und jetzt, kurz vor Ende der Debatte, hat der Herr Bundeskanzler das Wort genommen und in einer Rede von knapp zwei Stunden — es ist die längste Rede, die in diesen vier Tagen gehalten wurde — fast nichts zu den wesentlichen Problemen unserer Nation gesagt.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben am Schluß Ihrer Ausführungen den Beschauer von draußen zitiert. Wer in irgendeinem Land der Welt oder auch, außerhalb dieses Bundestages, draußen in unserem Lande die politische Szenerie in Bonn in den letzten Wochen und Tagen beobachtet hat — —

    (Wehner [SPD]: Hat Sie kaum im Plenum gesehen!)

    — Herr Kollege Wehner, ich kenne Ihre alte Taktik: Wenn es für Sie problematisch wird, lärmen Sie, um abzulenken. Das ist eine alte Erfahrung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich komme im Laufe meiner Ausführungen auf Sie noch in anderem Zusammenhang zurück.

    (Zuruf von der SPD — Gegenruf Dr. Barzel [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)

    Herr Bundeskanzler, jeder hatte doch mit einer gewissen Spannung erwartet: Wie würden Sie, der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, 117 Tage nach der Bundestagswahl, bei der ersten Gelegenheit zu aktuellsten Problemen unseres Staates und auch Ihrer Partei Stellung beziehen? Herr Bundeskanzler, es war nicht einmal, wie das sonst bei Ihnen üblich ist, eine markige Rede. Ihre Rede war beiläufig, unverbindlich. Sie haben möglichst alle Antworten auf die wirklichen Probleme, auf die drängenden Fragen vermieden. Es war eine Mischung zwischen Selbstmitleid und Resignation. Und das ist j a auch das Bild, das Sie gegenwärtig bieten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Und wenn Sie sich Sorgen über die Union machen — was ich übrigens sehr gut finde, sofern Sie dies aus Ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung tun —, kann ich Ihnen nur raten: Suchen Sie nur den Trost bei uns! Sie werden ihn finden, Herr Bundeskanzler.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Es war — wie üblich, wenn Sie nicht den Mut aufbringen, das zu sagen, was zu sagen ist — ein weiter Ausflug. Es war wirklich eine Tour d'horizon. Zu dem aber, was hier ansteht, haben Sie fast nichts gesagt.
    Herr Bundeskanzler, Sie sind gemeinsam mit dem Kollegen Genscher einmal zu einem „historischen" Bündnis der SPD mit der FDP ausgezogen. Das haben Sie dann noch mit dem Namen „die sozialliberale Koalition" getauft. Wer in diesen Tagen in diesem Hause aus- und eingeht, der kann feststellen: Es ist nichts übriggeblieben von diesem historischen Anspruch. Was sich hier abspielt und darstellt, ist ein ganz einfaches Kartell der Macht: Sie tun alles, um an der Macht zu bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So treibt das Regierungsschiff der Bundesrepublik Deutschland mehr oder minder führungslos auf den Gewässern dahin. Die beiden Copiloten haben sich aneinandergebunden, und jeder wartet darauf, wann der andere das Tau kappt. Das ist die wahre innere Lage!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Und so hat in diesen Tagen Hans Dietrich Genscher, der ein gewichtiger Anwalt und Notar von Beruf ist und etwas vom Festschreiben versteht, dem deutschen Publikum schon mitgeteilt: Diese Koalition wird nicht an der FDP scheitern.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    Verehrter Herr Kollege Genscher, was heißt das eigentlich? Soll das heißen, daß Sie jetzt schon die Geschichtsschreibung präparieren?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Ist das eine Äußerung zur Disziplinierung der sozialdemokratischen Fraktion, sozusagen als Hilfsaggregat für Herbert Wehner? Vieles geht einem in diesem Zusammenhang durch den Kopf, und es ist ja naheliegend, daß die Freien Demokraten, wenn es jetzt zum Ende geht, nach dem Motto reagieren: Rette sich, wer kann!
    Meine Damen und Herren! Die vier Tage haben deutlich gemacht — und eigentlich, Herr Bundeskanzler, hätte ich erwartet, daß Sie dazu auch etwas sagen —, daß nicht nur nicht regiert, sondern sogar miserabel verwaltet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer die Debatte mit dem Herrn Bundesverteidigungsminister und die Vorgänge um den „Tornado" erlebt hat, der muß einfach sagen: Herr Bundeskanzler, was soll eigentlich draußen im Lande von den Repräsentanten unseres Staates, was soll in der Bundeswehr von einem Kommandeur eines Regiments, eines Bataillons, einer Kompanie erwartet werden, wenn er am Beispiel seines Dienstherrn, am Beispiel des Bundesverteidigungsministers, erlebt, wie der mit den öffentlichen Dingen, mit dem Geld des Steuerzahlers, mit den einfachsten Verwaltungsvorgängen umgeht?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist deutlich: Vierzehn Wochen nach der Bundestagswahl ist die Krise dieser Regierung unübersehbar. Die Krise dieser Regierung ist zunächst und vor allem auch eine Krise des Regierungschefs, ist der Verfall der Autorität des Bundeskanzlers, ist die ganze Unlust am Geschäft des Regierens, die aus ihm spricht. Bevor Sie, Herr Bundeskanzler, Leitartikel über den Zustand der Union vorlesen, lesen Sie doch wenigstens einmal die Artikel bei sich zu Hause über Ihre eigene Nachfolge, die gegenwärtig diskutiert wird!

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, Sie sind in der Zwischenzeit — und hier im Saal kann man es mit Händen greifen, wenn Sie die wirklichen nationalen Probleme ansprechen — ein Kanzler ohne Gefolgschaft in der eigenen Partei geworden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das heißt nicht, daß die Partei nicht immer wieder lautstark bekennen wird, daß sie zu Ihnen steht. Das wird gleich anschließend wieder geschehen.

    (Vorsitz : Vizepräsident Wurbs)

    Aber es sind so viele — und es werden täglich mehr —, die Sie nur noch zähneknirschend an der Spitze der Regierung ertragen!

    (Lachen bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hat ja Herr Coppik, eines der Häupter der parlamentarischen Linken in der SPD, genau das formuliert, was so viele bei Ihnen denken, was sie hier im Saal unterdrücken oder dadurch demonstrieren, daß sie bei der Rede ihres eigenen Regierungschefs schon gar nicht mehr den Saal betreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Coppik sagte in dieser Woche:

    Ich glaube, wenn diese Politik
    — gemeint war die Schmidtsche Politik —
    so fortgesetzt wird, daß sich die Partei überhaupt nicht mehr wiedererkennt in der Politik, die hier gemacht wird. Das führt zu einem Glaubwürdigkeitsverlust, der außerordentlich schwer wieder wettgemacht werden kann. Deswegen sage ich hier ganz deutlich und ganz hart: Wenn die antisozialdemokratischen Elemente in den Inhalten der Schmidtschen Regierungspolitik nicht abgebaut werden, dann wird unsere Partei so unglaubwürdig, daß sie nicht nur die Regierungsfähigkeit verliert, sondern sogar oppositionsunfähig wird, weil sie als Opposition nicht einmal mehr glaubwürdig die Inhalte vertreten könnte, die sie vorher einmal in ihren Beschlüssen wiedergegeben hat.
    Das ist Ihr wahres Problem, Herr Bundeskanzler. Sie vertreten eine Politik, die in Ihrer eigenen Partei keine Gefolgschaft mehr hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich komme in einem anderen Zusammenhang noch einmal auf das Thema Kernenergie zurück. Aber weil wir bei dem Thema Gefolgschaft sind: Herr Bundeskanzler, Sie haben hier in einer Weise über das Thema Notwendigkeit von Kernkraft gesprochen, die Ihre ganze Mutlosigkeit und Resignation deutlich macht. Was können Sie denn eigentlich von unseren Mitbürgern erwarten, die zum Teil in schwierigen Diskussionen mit Gegnern jeglicher Art der Kernkraft stehen, wenn Sie auf die Frage der Kollegin aus Schleswig-Holstein erklären, Ihr Ort der Diskussion für dieses Thema sei dieser Raum. Das ist wahr für den deutschen Bundeskanzler, aber Sie sind doch nur deutscher Bundeskanzler geworden, weil Sie auch einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Alias!)

    Ich kann nur sagen, für mich ist das ein Beispiel für Ihren Mangel an Mut und für Ihren Mangel an Autorität, daß Sie nicht auf Ihrem eigenen Parteitag hinstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wie wollen Sie denn in Ihrer Partei Autorität besitzen, wenn Sie hier in einer beinahe akademischen Art über die Probleme reden — natürlich müssen Sie auch hier darüber reden —, aber wenn Sie in jener Landespartei, die Sie geprägt hat, aus der Sie in 30 Jahren hervorgegangen sind, auch als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, im Hamburger Landesverband, kneifen, wenn es darum geht, Position zu beziehen?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    Herr Bundeskanzler, überlegen Sie doch einmal, wie dies beispielsweise auf die Polizeibeamten in Niedersachsen, in Hamburg und in Schleswig-Holstein wirken muß, die so wie Sie und ich in diesen Tagen in den Zeitungen gelesen haben, daß der große Schlag gegen Kernkraftwerke jetzt bei der Riesendemonstration mit den geplanten über 100 000 Demonstranten in Brokdorf geführt werden soll. Auf dem Hamburger Landesparteitag geht es um Brokdorf. Wenn Sie selbst dort nicht Farbe bekennen, wenn Sie nicht bereit sind, sich kämpferisch für Ihre Sache einzusetzen; wie können Sie mit diesem Beispiel erwarten, wenn es in Brokdorf darum geht, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, daß die Polizeibeamten das tun, was ganz selbstverständlich von ihnen erwartet wird?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber Sie können es nicht tun, weil Sie keine Gefolgschaft mehr haben. Wie sagte auch in dieser Woche — und darauf möchten wir eine Antwort von Ihnen — Herr Matthiesen, der Vorsitzende der SPD, der Oppositionsführer in Schleswig-Holstein:
    Es ist für mich ein unerträglicher Zustand, wenn wir in Bonn
    — gemeint ist die SPD —
    gemeinsam erklären, Brokdorf müsse regional entschieden werden, und gleichzeitig vom Regierungssprecher nachgeschoben wird, die Bundesregierung beabsichtige, über ein bundeseigenes Unternehmen eine regionale Nein-Entscheidung durch ein überregionales Ja zu unterlaufen.
    Jetzt kommt der Satz:
    Bonn
    — gemeint sind Sie, Herr Bundeskanzler —
    muß wissen, daß man mit mir nicht so umgehen kann wie mit Erhard Eppler.
    Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat von Herrn Matthiesen.
    Wie hieß es auf dem Plakat, das im April 1979 in Schleswig-Holstein bei der Landtagswahl zu sehen war? „Wählt Matthiesen, damit es Schmidt leichter hat!"

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist die Krise des Kanzlers, die aus der Krise der SPD resultiert und zu einer Krise der Koalition geworden ist. Das kann uns nicht einerlei sein, gleich wo wir politisch stehen, weil dies eine Krise der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und insofern auch, als Bürger dieses Landes, unserer Regierung ist. In allen wirklichen Lebensfragen des Volkes sind Sie heillos zerstritten. Sie können das nicht dadurch reparieren, daß Sie hier Bekenntnisse abgeben, die von der Opposition mit Beifall bedacht werden,

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

    und von Restbeständen der Sozialdemokraten akklamiert werden, von denen der größere Teil gar nicht klatscht oder nicht im Saal ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU— Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)