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    Plenarprotokoll 9/19 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 19. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. Januar 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 819 A Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksache 9/50 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984 — Drucksache 9/51 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/91 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz) — Drucksache 9/92 — Schmidt, Bundeskanzler 819 D Dr. Kohl CDU/CSU 836 B Mischnick FDP 846 A Matthöfer, Bundesminister BMF . . . 851 C Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" — Drucksache 9/126 — 857 C Nächste Sitzung 857 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 859* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 859* C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Januar 1981 819 19. Sitzung Bonn, den 30. Januar 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 30. 1. Dr. van Aerssen 30. 1. Dr. Ahrens* 30. 1. Dr. Althammer 30. 1. Dr. Bardens* 30. 1. Böhm (Melsungen) * 30. 1. Breuer 30. 1. Büchner (Speyer) * 30. 1. Dr. Dollinger 30. 1. Egert 30. 1. Dr. Enders* 30. 1. Feinendegen 30. 1. Francke (Hamburg) 30. 1. Gansel 30. 1. Dr. Geißler 30. 1. Dr. Geßner* 30. 1. Haase (Fürth) 30. 1. Dr. Hauff 30. 1. Dr. Hennig 30. 1. Dr. Hubrig 30. 1. Jäger (Wangen) * 30. 1. Jung (Kandel) * 30. 1. Kittelmann* 30. 1. Korber 30. 1. Dr. Kreile 30. 1. Lemmrich* 30. 1. Lenzer* 30. 1. Manning* 30. 1. Dr. Müller* 30. 1. Müller (Remscheid) 30. 1. Müller (Wadern) * 30. 1. Frau Pack* 30. 1. Peter (Kassel) 30. 1. Petersen** 30. 1. Reddemann* 30. 1. Rösch* 30. 1. Sander 30. 1. Sauter (Epfendorf) 30. 1. Dr. Schäuble* 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schmidt (Würgendorf) * 30. 1. Dr. Schroeder (Freiburg) 30. 1. Schulte (Unna) * 30. 1. Frau Simonis 30. 1. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 1. Dr. Solms 30. 1. Dr. Sprung* 30. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 30. 1. Dr. Unland* 30. 1. Dr. Vohrer * 30. 1. Dr. Wittmann (München) * 30. 1. Dr. Wieczorek 30. 1. Frau Zutt 30. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung nach Vereinbarung im Ältestenrat die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Bericht der Bundesregierung über den Stand der Unfallverhütung und das Unfallgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland (Unfallverhütungsbericht) - Drucksache 9/43 - zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Bericht des Bundesministers für Verkehr 1980 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes - Drucksache 9/89 - zuständig: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen (federführend) Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über den Stand der Erörterungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zum Investitionsschutz - Drucksache 9/102 - zuständig: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über ihre 26. Jahreskonferenz vom 16. bis 21. November 1980 in Brüssel - Drucksache 9/75 - zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den Zweiten Teil der 26. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 1. bis 4. Dezember 1980 - Drucksache 9/74 - zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 3. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1980 - Drucksache 9/44 - zuständig: Haushaltsausschuß 860* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Januar 1981 Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 1113 Tit. 646 05 — Leistungen des Bundes für Aufwendungen nach dem Mutterschutzgesetz usw. —— Drucksache 9/64 — zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Ausgaben bei Kap. 35 02 — Besatzungskosten und Auftragsausgaben in Berlin — im Haushaltsjahr 1980 — Drucksache 9/73 — zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 1111 Tit. 643 01 — Kosten der Kriegsopferfürsorge (ausgenommen Darlehen) auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes sowie entsprechender Leistungen auf Grund des Häftlingshilfegesetzes, des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen und des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten — Drucksache 9/76 — zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 32 05 Tit. 575 02 — Zinsen für Bundesschatzbriefe —— Drucksache 9/100 — zuständig: Haushaltsausschuß Der Präsident des Deutschen Bundestages hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung im Benehmen mit dem Ältestenrat die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Aufhebbare Siebenundvierzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksache 9/121 — Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 14. Mai 1981 vorzulegen Aufhebbare Neunundvierzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung — Drucksache 9/122 —Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum rechtzeitig zum 14. Mai 1981 vorzulegen Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 22. Januar 1981 mitgeteilt, daß der Ausschuß beschlossen hat, bei den nachstehenden EG-Vorlagen von einer Beratung abzusehen: Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Ermächtigung der Französischen Republik, von der Richtlinie 73/403/EWG zur Synchronisierung der allgemeinen Volkszählungen abzuweichen — Drucksache 8/3733 Nr. 12 — Vorschläge für Verordnungen (EGKS, EWG, EURATOM) des Rates zur Änderung der Verordnung des Rates (EGKS, EWG, EURATOM) — Nr. 1859/76 vom 29. Juni 1976 zur Festlegung der Beschäftigungsbedingungen für das Personal des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung — Nr. 1860/76 vom 29. Juni 1976 zur Festlegung der Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen — Drucksache 8/3670 Nr. 25 —
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    Mir liegt daran, daß wir an dieser Stelle nicht in ein polemisches Gespräch geraten. Sie haben auch nicht polemisiert, Herr Zimmermann. Natürlich sind sogenannte Mittelstrekkenwaffen strategische Waffen; ich nenne sie normalerweise eurostrategische Waffen. Sie haben für uns eine ungeheure strategische Bedeutung, sie können uns nämlich strategisch auslöschen. Das sind natürlich strategische Waffen. Das Gespräch darüber ist ein Teil des SALT-Gesprächs, des Gesprächs zwischen Ost und West über strategische Waffen. Nicht nur von der Definition her, sondern auch vom Sachzusammenhang her kann sich ergeben, daß, wenn das große SALT-Gespräch über die Interkontinentalraketen nun zunächst ein halbes Jahr oder länger auf sich warten lassen muß, es ein Segen für die Welt ist, wenn das Genfer Gespräch über die eurostrategischen Waffen fortgesetzt und von da her das gesamte SALT-Gespräch belebt werden wird. Der Zusammenhang ist unauflöslich.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Zimmermann [CDU/CSU]: Das ist kein Widerspruch!)

    Im übrigen möchte ich es auf diesem Felde mit dem Bundesminister Genscher und mit dem Bundesminister Apel halten. Ich glaube, es war Herr Genscher, der vorgestern darauf hingewiesen hat, daß gleichgewichtige Leistung der Europäer die Voraussetzung dafür ist, daß wir unsere Interessen innerhalb des Bündnisses gleichgewichtig und gleichberechtigt zu Buche schlagen lassen, daß unsere Interessen gleichgewichtig und gleichberechtigt eingebracht werden. Ich halte das für einen unverzichtbar notwendigen, richtigen, im deutschen Interesse, im europäischen Interesse liegenden Grundgedanken.
    Unser gegenwärtig wichtiges Ziel ist baldige Fortsetzung jener Gespräche in Genf über eurostrategische Waffen, und zwar mit dem ernsthaften Bemühen, konkrete Ergebnisse zu erzielen. Wenn andererseits die Sowjetunion spüren sollte, daß etwa jener Doppelbeschluß in einigen Staaten Europas gefährdet wäre, so kann für sie der Anreiz für ernsthafte Verhandlungen zur beiderseitigen Begrenzung in Genf fortfallen. Sie hat in der ersten Verhandlungsrunde, wie das weiter kein Wunder ist, eine Maximalposition aufgebaut. Das gehört zum Geschäft. Wir werden die Konsultationen darüber
    mit der neuen amerikanischen Regierung unmittelbar aufnehmen.
    Im übrigen streben wir, wenn vom Gleichgewicht schon die Rede war, natürlich nach einem ausgehandelten Gleichgewicht, meine Damen und Herren. Ein Gleichgewicht, das sich ausschließlich auf tatsächliches Verhalten der Weltmächte stützen müßte, wäre in einer prekären Situation, weil es möglicherweise nur durch ständige weitere zusätzliche Rüstung aufrechterhalten werden kann.
    Ich betone das ausgehandelte Gleichgewicht, weil ich auch ein Wort sagen möchte über den Gedanken der unilateralen, der einseitigen Abrüstung — der gegenwärtig in vielen Teilen Europas, auch in unserem Lande wieder und erneut eine Rolle spielt — oder einseitiger Kürzungen in Verteidigungshaushalten, was auch nur eine Vorform ist für einseitige Abrüstung.

    (Glos [CDU/CSU]: Wer will denn das?)

    — Zunächst will ich — auf Ihren Zwischenruf hin, Herr Kollege — dazu sagen, daß das theoretische Konzept unilateraler Rüstungsbegrenzung oder sogar unilateraler Abrüstung von allen ernstzunehmenden Leuten auf der Welt als theoretisches Konzept ernstgenommen wird und ernsthafter Analyse bedarf; es kann nicht einfach vom Tisch gewischt werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich habe mich mit diesem Konzept im Laufe von 20 Jahren mehrere Male beschäftigt. Ich kann mir auch Lagen von Staaten in bestimmter geostrategischer Situation vorstellen, in denen dieses Konzept durchaus Sinn macht. Was unsere Lage, was uns nach dem Einmarsch in Ungarn 1956 — in unserer unmittelbaren Nachbarschaft —, dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 — in unmittelbarer Nachbarschaft — oder dem Einmarsch in Afghanistan im vorigen Jahr angeht, bin ich immer wieder zu dem Ergebnis gekommen, daß jedenfalls für uns hier in Mitteleuropa einseitige Abrüstung weder theoretisch noch praktisch in Betracht kommen kann, weil es uns in große, zusätzliche Gefährdung führen würde.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich sehe mich bei neuem Nachdenken immer wieder auf das Prinzip des Gleichgewichts zurückgeworfen, des Gleichgewichts der europäischen militärischen Kräfte und derjenigen, die von außen auf Europa einwirken. Das ist zwar allein noch keine hinreichende Bedingung für die Stabilisierung des Friedens, wohl aber eine Bedingung, ohne die der Frieden nicht stabilisiert werden kann: Gleichgewicht, annäherndes Gleichgewicht. Denn ein Gleichgewicht dynamischer Art, das sich in immer größere schwindelnde Höhen erhöbe, wäre offensichtlich lebensgefährlich, weil es auf die Dauer nicht zu halten wäre. Daher ist ein Gleichgewicht, so wie Herr Genscher es vorgestern gesagt hat, auf niedrigerem, auf verabredet niedrigerem Niveau das, was wir anstreben müssen.
    B

    Bundeskanzler Schmidt
    Zum Gleichgewicht hinzukommen müssen die Friedensgesinnung, der Wille, aufeinander zuzugehen, der Wille, miteinander zu reden und auch auf den anderen zu hören. Hinzukommen muß der Wille, die Interessenlage des jeweils anderen zu verstehen und darüber hinaus die Interessenlage des anderen zu respektieren, d. h. der Wille zum Kompromiß.
    Ich habe mit großem Interesse gelesen, wie sich vor wenigen Tagen unser früherer Kollege, Herr Professor Biedenkopf zu Themen der Außenpolitik ausführlich geäußert hat. Er hat gesagt, von einem „Ende der Entspannungspolitik" könne „keine Rede sein". Mich hat das sehr interessiert. Ich will zwar weder widersprechen noch etwa emphatisch zustimmen, aber ich will diesen Satz, den Herr Biedenkopf hier ausspricht — das ist nicht nur dieser eine Satz, sondern das ist ein langer Artikel in der „Westfälischen Rundschau" vom 21. Januar 1981 —, der dort nicht etwa exzentrisch und etwa im Widerspruch zu dem Rest seiner Ausführungen steht — das ist für ihn schon ein wichtiger Satz! —, ins Bewußtsein nicht nur seiner Kollegen in der Oppositionsfraktion hier im Bundestag, sondern auch der Kollegen in meiner Fraktion und in anderen Fraktionen heben. So sehr ich einiggehe mit dem Gedanken, den Herr Biedenkopf hier ausspricht, so sehr weiß ich auch, daß Voraussetzung für jede konstruktive Politik gegenüber der Sowjetunion die Erhaltung unserer eigenen, von der Sowjetunion unabhängigen Handlungsfähigkeit ist.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Die Sowjetführung hat offenbar das Ziel — ich möchte nicht sagen: das natürliche Ziel —, um sich herum und in anderen Teilen der Welt Abhängigkeiten entstehen zu lassen, Abhängigkeiten gegenüber der sowjetischen Führung, Abhängigkeiten auf politischem, militärischem und ideologischem Gebiet. Für uns, die Bundesrepublik Deutschland, in der unmittelbaren Nähe dieser Weltmacht gelegen, sind innenpolitische und wirtschaftliche Stabilität, soziale Stabilität, Bündnisfähigkeit und Bündnismitgliedschaft die wichtigsten Elemente der Voraussetzung der von der Sowjetmacht unabhängigen eigenen Handlungsfähigkeit.
    Ich sage das eigentlich mehr für viele Menschen, die an den Fernsehgeräten zuhören, weil die Diskussion, die in beiden Kirchen und zum Teil anderswo, in den Zeitungen, in Gang kommt, es mir wünschenswert erscheinen läßt, daß solche fundamentalen Einsichten auch aus dem Munde der Regierung ausdrücklich vorgetragen werden, wenngleich sie für viele von uns seit langer Zeit selbstverständlich sind und deswegen nicht bei jeder Gelegenheit vorgetragen werden.
    Herr Kollege Genscher und andere haben — damit komme ich zu einem dritten Gebiet — auch zum Thema DDR gesprochen. Ich will das heute nur mit einem Absatz behandeln, weil es ja bald eine Debatte zur Lage der Nation geben wird, bei welcher Gelegenheit die Bundesregierung dann übrigens nicht verschweigen wird, daß sie und warum sie am Begriff der einen deutschen Nation festhalten wird.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Nach unserem Urteil hat die in den letzten Wochen öffentlich geführte Diskussion über Probleme der Staatsangehörigkeit keine neuen Aspekte aufgezeigt, die eine Überprüfung unserer Position nahelegen könnten. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die Bundesregierung an der deutschen Staatsangehörigkeit festhält, wie sie im Grundgesetz verankert ist,

    (Haase [Kassel][CDU/CSU]: Sehr gut!)

    und daß sie dies nicht nur aus verfassungsrechtlicher Verantwortung tut, sondern auch aus politischer und moralischer Verantwortung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie Abgeordneten der CDU/CSU)

    Im übrigen kommen wir darauf sicher zurück, wenn hier über die Lage der Nation debattiert werden wird.
    Mehrere Redner haben dann den Blick mit Recht auf Berlin gerichtet. Ich teile Willy Brandts Befriedigung darüber, daß sich in den letzten Tagen in Berlin Sozialdemokraten und Freie Demokraten voll handlungsfähig gezeigt haben

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

    — jedenfalls handlungsfähiger als manche andere, die noch lange Pläne schmieden und die im Augenblick ihre Mandate hier erst noch niederlegen wollen, aber noch nicht niedergelegt haben.

    (Beifall bei SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Erbärmlich ist das! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Aber ich begrüße ausdrücklich auch die Absichtserklärung und schließe sie ein, die unser Kollege von Weizsäcker dem Hause hier vor zwei Tagen gegeben hat. Ich begrüße das alles deswegen, weil es der Bedeutung entspricht, die Berlin für unsere Republik, die Berlin für den Frieden in Europa hat, und weil die Wohlfahrt der Menschen in der Stadt Berlin ein solches Engagement notwendig macht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich denke, das Haus wird erwarten, jedenfalls akzeptieren, daß ich an dieser Stelle dem bisherigen Kollegen Herrn Dr. Vogel, über acht Jahre lang Bundesminister, über sechs Jahre lang Bundesminister der Justiz, den Dank der Bundesregierung sage für seine hervorragende Arbeit und für seine Kollegialität.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ebenso wird das ganze Haus mit mir einig sein, wenn ich unseren Dank auch allen bisherigen Kollegen in diesem Hause sage, die ihr Mandat hier aufgeben, um in Berlin zu arbeiten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich komme zu einem weiteren Punkt. Es ist gestern und auch in der Finanzdebatte viel über finanzwirtschaftliche, über volkswirtschaftliche Themata gesprochen worden. Mir liegt daran, daß bei dem Hickhack ein paar einfache Grundtatbestände nicht aus dem Blick verlorengehen, z. B. der

    . 827

    Bundeskanzler Schmidt
    einfache Grundtatbestand, daß die OPEC im Jahre 1980 mit dem Rest der Welt einen Überschuß von mehr als 100 Milliarden Dollar erzielt hat, das heißt, daß 120 Staaten der Welt ein Zahlungsbilanzdefizit in dieser Größenordnung mit der OPEC erzielt haben. Das ist eine Fundamentaltatsache dieses Beginns der 80er Jahre, die man nicht aus dem Auge verlieren darf, weil sie sich auch 1981 nicht wesentlich ändern wird! 100 Milliarden Dollar Überschuß bei den OPEC-Ländern — unvorstellbare Größenordnungen!
    Die Folgen dieser Zahlungsbilanzdefizite sind bei den Entwicklungsländern Desaster und bei den Industrieländern Handels-, Absatz- und Zahlungsbilanzschwierigkeiten, die wir alle zu spüren bekommen. Wir alle, Entwicklungsstaaten wie Industriestaaten, haben es nötig, vom Öl möglichst wegzukommen. Je nach Lage haben wir es nötig, andere Energien — und das sind nun einmal im wesentlichen Erdgas, Kohle und Kernkraft — an seine Stelle zu setzen. Wir haben es alle nötig, weniger Energie pro Produktionseinheit oder pro Sozialprodukteinheit zu verbrauchen. Das gibt große Umstellungsnotwendigkeiten, das gibt große Investitionsnotwendigkeiten. Innovation in der Industrie ist notwendig. Sie kann sich nur auswirken, wenn sie zur Investition führt. Falsch ist jedweder krampfhafter Schutz alter Produktionen. Lebensgefährlich falsch wäre es, wenn sich in dieser Lage die Staaten gegeneinander abschlössen, um nach Möglichkeit noch zwei Jahre länger irgendwelche veralteten Produktionen durch irgendwelche Schutzmauern am Leben zu erhalten.
    Daß sich dies alles auf die Preise in der ganzen Welt auswirkt, ist klar. Ich habe hier die Zeitungsnachrichten über die jüngsten Preisentwicklungen: Bei uns sind allein von Januar 1980 bis Januar 1981 die Kraftstoffe um 17 % teurer geworden, die Kohle um 15 % und das Gas um 35 %. Sie wissen, daß sich die Einstandspreise für Erdöl etwa verdoppelt haben. Das alles kann nicht ohne Auswirkungen bleiben. Dies sind Bestandteile des Volkseinkommens, die nach draußen weggehen, die hier zur Verteilung nicht mehr zur Verfügung stehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Steuern!)

    — Auf den Zwischenruf „Steuern" antworte ich: Ich bin in der Tat der Meinung, daß zusätzlich zu den phantastischen Öleinsparungsergebnissen, die wir schon bisher erzielt haben, Druck gemacht werden muß, damit noch weniger Heizöl und Benzin verbraucht werden. Das ist unausweichlich notwendig.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Da wir ja Marktwirtschaftler sind, sollten Sie das marktwirtschaftliche Instrument der Steuern gegenüber der Zuteilung von Benzin und Dieselöl vorziehen, meine Damen und Herren!

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Auch die Bundesrepublik Deutschland — das muß man als Fundamentaltatbestand dieser 80er Jahre vor Augen haben — ist von den großen Überschüssen der Ölländer und umgekehrt von den großen
    Zahlungsbilanzdefiziten der Öl-Einfuhr-Länder betroffen.
    Natürlich können wir unser Leistungsbilanzdefizit für viele Jahre finanzieren. Viele Staaten der Welt, die sehr viel schwächer sind als wir, alle Staaten der Welt finanzieren ihre Leistungsbilanzdefizite.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Für wie viele Jahre?)

    Anders als die meisten können wir sie — wenn wir es wollten, für viele Jahre — sogar durch Währungsreserven finanzieren.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Für wie viele Jahre?)

    — Für sehr viel länger als alle anderen Staaten der Welt, verehrter Freund, mit Ausnahme der Ölstaaten. Die Währungsreserven dieses Landes sind so groß, wie sie sonst nirgends in der Welt wieder vorkommen.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ein Drittel ist weg!)

    Der entscheidende Punkt, auf den ich zu sprechen kommen will, ist dieser: Sosehr es im Augenblick vernünftig ist, daß auch bei uns Industrieländern Defizite entstehen und nicht nur bei den ärmsten Entwicklungsländern, die dann ein noch viel schlimmeres Schicksal tragen müßten

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bei Japan nicht?)

    — natürlich auch bei Japan —, so wenig kann es auf die längere Dauer vernünftig sein, bei diesem Zustand zu verharren. Anders ausgedrückt: sosehr wir für eine Reihe von Jahren Möglichkeiten haben, solche Defizite zu finanzieren, sosehr müssen wir wissen, daß es nur zwei Methoden gibt, diese Defizite zu schließen, sie zu beenden, nämlich: erstens weniger Öl importieren, zweitens die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen industriellen Exporte stärken.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Diese beiden Grunderkenntnisse für das, was uns in den nächsten Jahren not tut, hervorzuheben, liegt mir am Herzen. Das müssen die Unternehmen, das müssen die Gewerkschafter, die Arbeitnehmer erkennen. Und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind nicht angenehm.
    Nun hat Herr Strauß anderen die Schuld an der Härte des Wettbewerbs geben wollen. Er hat sich über japanischen Wettbewerb beklagt. Wir haben uns nicht zu beklagen. Die Japaner sind in derselben Lage wie wir. Sie versuchen mit ihren Anstrengungen, ihre eigenen Produkte wettbewerbsfähig zu machen. Das ist ihr Recht, und wir wären sehr töricht, wenn wir uns gegen japanische Importe abschließen wollten. Dann werden sich nämlich andere gegen unsere Exporte abschließen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich kann aber in dem Zusammenhang keinerlei Schwarzmalerei akzeptieren. Es wäre gut, wenn der Ministerpräsident auch gesagt hätte, daß Japan 10 % seines Bruttosozialprodukts exportiert, wir dagegen



    Bundeskanzler Schmidt
    23 % unseres Bruttosozialprodukts mit Erfolg exportieren. Es wäre gut, wenn er gesagt hätte, daß die Japaner in den ersten zehn Monaten des letzten Jahres für 80 Milliarden Dollar exportiert haben und wir für 128 Milliarden, daß die Japaner im vorigen Jahr einen Einfuhrüberschuß und wir einen Ausfuhrüberschuß hatten. Ich sage das nur, damit hier nicht die Vorstellung aufkommt, die Bäume der Japaner wüchsen in den Himmel. Das alles kostet sie große Anstrengungen. Aber wir haben auch große Anstrengungen notwendig, auch wenn schon bisher unser Anteil am Weltmarkt sehr viel größer ist als der des zahlreicheren japanischen Volkes.
    Ich muß aber dann doch — und das soll nicht polemisch klingen — die Frage an die Opposition richten, was die CDU/CSU eigentlich mit ihrem Beifall zu der Bemerkung hat ausdrücken wollen, es sei nicht unsere Aufgabe, für Vollbeschäftigung in Ostasien zu sorgen. Mir ist nicht klargeworden, was die Bemerkung und was der Beifall sollten. Es ist klar, daß in jenen Ländern Löhne gezahlt werden, die nur ein Bruchteil dessen sind, was ein deutscher Arbeitnehmer verdient — sehr viel weniger. Deshalb wandert seit Jahren und Jahrzehnten lohnintensive Massenarbeit, Massenproduktion aus allen Industriestaaten in jene Schwellenländer oder in Entwicklungsländer. Das muß doch auch so sein, wenn die sich entfalten sollen. Wie sollte denn dort das Elend je überwunden werden? Um es in der Terminologie der Rede vom Dienstag auszudrücken: Dieselben Leute, die deutschen Arbeitnehmern „die Arbeitsplätze stehlen" — so hat der Redner ja gesagt —, die stehlen auch Arbeitsplätze den Arbeitnehmern in Amerika, in Großbritannien, in Frankreich, in Italien, sogar in Japan, inzwischen sogar in Singapur. Aber mit Ihrem Beifall meinten Sie doch gewiß nicht, daß die Löhne in der Bundesrepublik auch so niedrig sein müßten wie dort. Das kann doch nicht Ihre Meinung sein. Sie wollen doch offenbar auch keinen Protektionismus gegenüber Waren aus Taiwan, Korea, Brasilien und wie sie alle heißen. Eigentlich müßten Sie mir doch zustimmen, wenn ich sage — und das sagte doch auch Graf Lambsdorff, und das sagen wir alle, und im Grund ist es auch Ihre Meinung; dann müssen Sie es auch sagen! Es gibt nur einen Weg. Wenn die deutschen Arbeitnehmer ihr im internationalen Vergleich sehr hohes Reallohniveau, ihr sehr hohes Niveau an realen Sozialleistungen einigermaßen halten wollen — und wir wollen alle, daß uns das gelingt —, dann muß die deutsche Wirtschaft, müssen die deutschen Unternehmungen ihre Stellung auf den Weltmärkten durch neue Qualität und durch neue technologische Hochwertigkeit ihrer Produkte ausbauen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?

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    Einen Augenblick! — Das heißt, daß dies zuallererst eine Aufgabe für die Unternehmensleitungen, nicht nur für die Kaufleute dort, sondern insbesondere für die Ingenieure, die Chemiker, die Physiker, und in erster Linie eine Aufgabe für die Arbeitnehmer des Unternehmens und ihre Betriebsräte ist. Bürokraten können dazu wenig beitragen, auch nicht die des Staates. Um es auf eine Kurzformel zu bringen: Was nötig ist, sind Erfindungen und Innovationen und auf der Seite der Arbeitnehmer der Umstellungswille gegenüber anderen Produktionsgängen, anderen Produktionen, anderen Arbeitsplätzen sowie die Umstellungsfähigkeit, die zum Umstellungswillen gehört und dazukommen muß. Je besser jemand ausgebildet ist, um so besser kann er, um so besser kann sie sich umstellen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    — Bitte sehr.