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    Plenarprotokoll 9/17 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 17. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 607 A Eidesleistung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Engholm, Bundesminister BMBW 607 B Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1981 (Haushaltsgesetz 1981) — Drucksache 9/50 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1980 bis 1984 — Drucksache 9/51 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetzes 1981 — Drucksache 9/91 — in Verbindung mit Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Subventionen und sonstigen Vergünstigungen, zur Erhöhung der Postablieferung sowie zur Klarstellung von Wohngeldregelungen (Subventionsabbaugesetz) — Drucksache 9/92 — Dr. h. c. Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 608A Dr. Posser, Minister des Landes NordrheinWestfalen 622 C Hoppe FDP 633 B Dr. von Weizsäcker CDU/CSU 637 D Brandt SPD 645A Genscher, Bundesminister AA 652 B Würzbach CDU/CSU 661 D Dr. Apel, Bundesminister BMVg 666 C, 680B, 681 B Jung (Kandel) FDP 673 C Biehle CDU/CSU 675 D Würtz SPD 678 D II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 Dr. Wörner CDU/CSU 680 D Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU . . . 682 B Dr. Ehmke SPD 686 B Schäfer (Mainz) FDP 691 C Dr. Hupka CDU/CSU 693 D Pieroth CDU/CSU 696 B Schluckebier SPD 698 D Frau Schuchardt FDP 701 B Offergeld, Bundesminister BMZ 704 D Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 707 C Dr. Hupka CDU/CSU (Erklärung nach § 32 GO) 709 C Nächste Sitzung 709 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 710*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Januar 1981 607 17. Sitzung Bonn, den 28. Januar 1981 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen 30. 1. Dr. Ahrens * 30. 1. Dr. Althammer 30. 1. Dr. Bardens * 30. 1. Böhm (Melsungen) * 30. 1. Büchner (Speyer) * 30. 1. Dr. Dollinger 30. 1. Dr. Enders * 30. 1. Francke (Hamburg) 30. 1. Dr. Geßner * 30. 1. Dr. Hennig 30. 1. Hoffie 28. 1. Dr. Hubrig 30. 1. Jäger (Wangen) * 30. 1. Junghans 28. 1. Kittelmann * 30. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Klein (Dieburg) 30. 1. Korber 30. 1. Lemmrich * 30. 1. Lenzer * 30. 1. Männing * 30. 1. Dr. Müller * 30. 1. Müller (Wadern) * 30. 1. Frau Pack * 30. 1. Peter (Kassel) 30. 1. Petersen ** 30. 1. Reddemann * 30. 1. Rösch * 30. 1. Sander 30. 1. Dr. Schäuble * 30. 1. Schmidt (München) * 30. 1. Schmidt (Würgendorf) * 30. 1. Dr. Schroeder (Freiburg) 30. 1. Schulte (Unna) * 30. 1. Frau Simonis 30. 1. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 30. 1. Dr. Sprung * 30. 1. Dr. Unland * 30. 1. Dr. Vohrer * 30. 1. Dr. Wittmann (München) * 30. 1. Dr. Wieczorek 30. 1.
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    Rede von Georg Leber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist vorgesehen, daß eine Mittagspause eintreten wird.



    Vizepräsident Leber
    Wir unterbrechen nun die Sitzung. Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.

    (Unterbrechung von 13.06 Uhr bis 14.00 Uhr)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig und wichtig und deshalb gut, daß hier heute auch über Berlin gesprochen wird. Ich denke nicht daran, zu bestreiten oder zu bemänteln, daß wir große Sorgen wegen der Schwierigkeiten hatten und haben, die sich in und für Berlin ergeben haben. Aber auf der anderen Seite kann hier niemand bestreiten: Wir haben uns mit unseren Berliner Freunden zu einem ernsten Neubeginn entschlossen. Wir sind dem bisherigen Bundesjustizminister Jochen Vogel und denen, die sich mit ihm für den neuen Senat zur Verfügung gestellt haben, dankbar dafür, daß sie ohne Wenn und Aber in die Bresche gesprungen sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie, die das getan haben und tun, können unserer Solidarität und unserer Verbundenheit sicher sein. Es ist ja auch, Herr Kollege von Weizsäcker, nicht einfach ein Import; es ist ein Transfer. Es sollte mehr als bisher ein Hin und Her geben

    (Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU]: Ich habe j a nur die „Prawda" zitiert!)

    von politisch Tätigen in dem größeren und dem kleineren Teil des Rechtssystems, in dem wir leben.
    Berlin zeigt übrigens aus meiner Sicht auch: Wo es innenpolitische Schwierigkeiten gibt, da haben Sozialdemokraten und Freie Demokraten die Kraft zu gemeinsamem Handeln.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich rate im übrigen sehr dazu — ich sage das auf Grund mancher Äußerungen in der Öffentlichkeit —, sich mit den Berliner Problemen nicht pharisäerhaft auseinanderzusetzen. Wir haben es — neben anderem — ohne jeden Zweifel auch mit großstädtischen Problemen zu tun, die dort eine gewisse Zuspitzung erfahren haben: die neue Wohnungsnot, Ausländerprobleme, auch Herausforderungen durch schon wieder eine neue junge Generation.
    Ich war Herrn Kollegen Hoppe dankbar dafür, daß er heute vormittag die aufregenden, zunächst schwer erklärlichen Vorgänge in einer Stadt wie Zürich mit in diese Debatte eingeführt hat. Wer ein Gespür für neue Entwicklungen hat, der weiß, daß mancherorts in Europa — keineswegs nur in deutschen Städten — etwas im Gange ist, was uns zum aufmerksamen Hinhören veranlassen sollte. Da ist übrigens weniger politische Opposition als pure Angst und tiefgreifende Unsicherheit — und die läßt sich ja wohl in gewisser Hinsicht erklären.
    Meine Damen und Herren, es gibt viel Unsicherheit in unserem Land, nicht nur in Berlin. Wir, meine politischen Freunde und ich, fühlen die Pflicht,
    Orientierung und Halt zu geben, so gut wir es können; dazu will ich sprechen.
    Wir sollten pharisäerhaft auch dort nicht sein, wo es um die spezifisch Berliner Fragestellungen geht. Denn die ergeben sich ja zum Teil daraus, daß man fragt: Welches sind die Perspektiven der Stadt in einer veränderten europäischen Landschaft nach einer Zeit, in der besonders böse Auswüchse des Kalten Krieges und der Spaltung überwunden oder abgemildert, durch eine gewisse Normalität abgelöst wurden? Das war j a alles nicht leicht. Das hat j a zu Auseinandersetzungen mit viel Widerstand geführt, nicht nur mit anderen, auch im eigenen Land, auch in diesem Haus. Aber dort stellt sich natürlich noch stärker als anderswo die Frage: Was wird aus den Teilen Deutschlands? Was ergibt sich für die Deutschen in beiden deutschen Staaten und in Berlin, falls sich die Verhältnisse zwischen Ost und West weiter zum Schlechteren entwickeln?
    Mit diesen Fragen — da sind wir vermutlich einer Meinung — dürfen wir die Berliner nicht allein lassen;

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Zustimmung des Abg. Dr. von Weizsäcker [CDU/CSU])

    es sind unsere Fragen. Es ist unsere Sorge, es ist unsere Aufgabe, alles Menschenmögliche zu tun, um dafür zu sorgen, daß die Menschen in den Teilen Deutschlands nicht wieder weiter auseinandergleiten, daß sie einander sehen, einander besuchen können, daß die Zusammenarbeit auf deutschem Boden nicht vor die Hunde geht, sondern weiterentwickelt werden kann, und — natürlich, Herr von Weizsäcker — das Land Berlin auf dem Boden der Vier-MächteVereinbarungen voll, fest und indiskutabel in das wirtschaftliche Gefüge, die politische Ordnung und das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland einbezogen bleibt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich habe auch für ganz töricht gehalten, was es an sowjetischen Kommentaren gegeben hat. Ich hatte eigentlich gehofft, daß uns solche Einlassungen erspart bleiben würden. Es gibt einen interessanten Vermerk, Herr von Weizsäcker — ich hatte keine Möglichkeit mehr, Ihnen den in der Mittagspause zu geben —, der dieses Problem, das Sie angesprochen haben, noch etwas besser beleuchtet, als wir es den Zeitungen bisher haben entnehmen können.
    Nun hat Herr -von Weizsäcker zur Prozedur gesagt: Der Volksentscheid läuft an. — Das ist ein legitimes Mittel, aber noch keine Politik.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Aber, Herr Kollege, können wir uns wenigstens darauf einigen, daß es Politik im Rahmen der Verfassung ist?)

    Eine politisch anspruchsvolle erste Figur auf der Seite der Union bildet auch noch keine überzeugende alternative Führung für die Stadt.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Brandt
    Der vom Kollegen Strauß zitierte Filz ist nicht allein in einer Partei angesiedelt.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Da sind wir einer Meinung! — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sagen wir: in zwei Parteien!)

    Ich weiß, wovon ich spreche.
    Obgleich ich eine Menge anderer Punkte für diese Debatte hatte und hätte, will ich doch, weil es schlecht wäre, nicht zu replizieren, lieber auf einiges von dem eingehen, was Herr von Weizsäcker zu grundlegenden Orientierungen gesagt hat. Mit mir braucht man nicht zu streiten, Herr von Weizsäcker, wenn es darum geht, in dieser Zeit und in dieser Gesellschaft, so wie sie geworden ist und sich weiterentwickelt, Eigenverantwortung größer zu schreiben und das Wort von Walter Jens, das Sie zitiert haben, so zu verstehen, wie Sie es verstanden haben, oder nachdrücklicher zu fragen: Wie kann dem Wuchern der Bürokratien, den Auswüchsen des Zentralismus, den zum Teil unerträglichen Machtzusammenballungen entgegengetreten werden? Es gehört zum — das sage ich jetzt bewußt — liberalen Erbe der deutschen Arbeiterbewegung, sich solchen Fragen nicht zu entziehen. Allerdings gehört es zu diesem Erbe auch weiterhin, zu erkennen, daß der schwache Staat für die Schwachen meist nicht reicht, sondern daß der Staat dann doch stark genug sein muß, um für die schwachen und schwächeren und schwächsten Glieder der Gesellschaft dazu-sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr von Weizsäcker, ich komme auf die Dezentralisierung zurück; Sie kennen dieses Problem ja zum Teil schon. Es gibt fast keine Großstadt, die so dezentralisiert ist wie Berlin nach dem Gesetz von 1920. Ob das voll geglückt ist, darf man auch bezweifeln. Aber das ist nicht der Punkt. Wichtig ist, daß zwischen mir und Herrn von Weizsäcker kein Streit besteht, wenn er die Befürchtung äußert, daß die Verantwortung des einzelnen in den großen Bürokratien zu kurz kommt.
    Sehen Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der CSU, gerade deshalb ist z. B. die Mitverantwortung und Mitwirkung und Mitbestimmung aus unserer Sicht ein so zentrales Thema für die vor uns liegende Zeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb bleiben wir dabei, überall dort, wo dies sinngemäß richtig angewendet werden kann, für mehr Demokratie zu streiten.

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Ja, sinngemäß! Das ist der Punkt!)

    Nur indem wir in den gesellschaftlichen Großorganisationen Räume des Miktwirkens schaffen, können wir sie bändigen und auf ein erträgliches und — wo es geht — menschliches Maß zurückführen.
    Herr von Weizsäcker, eine Ihrer Hauptthesen, die SPD, die Sozialdemokraten reagierten auf jede neue Herausforderung reflexhaft mit neuen Anforderungen an den Staat, wird nicht durch die tatsächliche Haltung der deutschen Sozialdemokraten gedeckt.
    Wenn Sie bitte noch einmal — Sie haben es j a getan, als Sie an Ihrem eigenen Grundsatzprogramm arbeiteten — in unser Godesberger Programm hineinschauten, fänden Sie den Abschnitt, in dem wir sagen:
    Freiheit und Gerechtigkeit lassen sich durch Institutionen allein nicht sichern.
    Sie fänden auf der nächsten Seite den Passus, der mit den Worten „Der Staat soll Vorbedingungen ... schaffen ..." eingeleitet wird. Dann wird in diesem Passus beschrieben, wofür er sie schaffen soll. Auf derselben Seite fänden Sie weiter den Satz:
    ... soll der Staat zum Kulturstaat werden, der seine Inhalte von den gesellschaftlichen Kräften empfängt und dem schöpferischen Geist der Menschen dient.
    Wenn Sie die Schrift unser Grundwerte-Kommission über „Grundwerte in einer gefährdeten Welt" anschauen, finden Sie dort — das ist der springende Punkt — die Formulierung:
    Mehr Chancen für Freiheit durch Dezentralisierung und Demokratisierung.
    Lassen Sie uns also die Auseinandersetzung zu diesen vital wichtigen Fragen gestützt darauf führen, wo die großen Parteien in dieser Frage wirklich stehen!
    Was den Bundeskanzler angeht, so denke ich, sollte man, da Sie die Hamburger Rede erneut in die Debatte eingeführt haben, nicht übersehen, was man in der Schrift, die Sie auch kennen, auf Seite 237 aus seiner Feder findet:
    Jene ethisch-sittlichen Grundüberzeugungen und Werthaltungen
    — die ich als Grundwerte bezeichnet habe —
    können dem Staat in der Tat nicht gleichgültig sein. Ich habe bereits in Hamburg gesagt und wiederhole es nochmals:
    — so der Bundeskanzler Helmut Schmidt —
    Dieser Staat weiß sich bei Strafe der eigenen Preisgabe verpflichtet, den vorhandenen Bestand an ethischen Grundüberzeugungen und Werthaltungen zu schützen. Seine Organe
    — das war jetzt nicht in der Hamburger Rede, sondern das ist hinzugefügt —
    haben bei der Gestaltung der Rechtsordnung dafür zu sorgen, daß die notwendigen Grundwerte nicht abgebaut, nicht zerstört, sondern durch die Rechtsordnung gestützt werden.
    Dann weiter:
    Die Verwirklichung dieser Aufgabe ist in einem demokratisch verfaßten Staat gebunden an den Prozeß der demokratischen Willensbildung.
    Wenn wir hier eine Auseinandersetzung führen, dann ziehe ich es vor, sie nicht als eine Auseinandersetzung mit einem zurechtgemachten Gegenüber zu führen, sondern mit dem, was der gegenüber oder die gegenüber zu diesen Dingen heute wirklich meinen.



    Brandt
    Ich will zu Berlin — da ichgesagt habe: bitte nicht pharisäerhaft, wir alle miteinander — noch hinzufügen: Ich bin auch dagegen, den Berliner Kollegen, aus welcher Partei auch immer, die die Aufgabe nicht geschafft haben, mehr anzulasten, als sie zu tragen haben. Ich bin z. B. sehr dagegen, aus einer Sumpfblüte des arabischen Geschäfts einen Fall sozialliberaler Korruption zu konstruieren. Das ist nicht in Ordnung.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wo politische Verantwortung zu tragen ist, muß sie getragen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

    Deshalb hätte auch viel dafür gesprochen, das nun einmal durch einen Untersuchungsausschuß auf den Tisch zu bekommen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das kann man doch machen!)

    Ich sage noch: Berlin bleibt für die vor uns liegende überschaubare Zukunft der Platz, an dem man genauer und empfindlicher als an irgendeinem anderen Platz Europas die Temperatur des OstWest-Klimas ablesen kann. Deshalb bleibt diese unsere Stadt, Herr von Weizsäcker, ein Ort, an dem wir uns bewähren müssen, an dem sich aber auch die Politik der Zusammenarbeit zwischen Ost und West in ihrem Auf und Ab zeigt und, wie ich meine, vorrangig bewähren muß. Die Sozialdemokraten werden eine neue große Anstrengung unternehmen, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, und wir werden ihnen dabei helfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, im übrigen: Warum sollten wir darüber streiten, daß dieses Jahr 1981 schwierig begonnen hat und verspricht, noch schwieriger zu werden? Die Welt um uns herum ist in einem rasanten Wandel. Was hat sich nicht alles schon wieder verändert in den zwei Monaten, seit wir hier über die Regierungserklärung diskutiert haben!

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig! Vor allem innerhalb der SPD!)

    Es wäre phantastisch, wenn man dies zusammenfügte.
    Dies wird in der Tat ein schwieriges Jahr, weltpolitisch und weltökonomisch. Ich habe nicht gehört, daß dem, was der Bundesfinanzminister im Kern gesagt hat, in dieser Debatte bisher widersprochen wurde. Was immer wir sonst unterschiedlich sehen mögen: Die verschlechterten Daten geben uns allen Anlaß zu ernster Sorge: Arbeitsmarkt, Inflation, erneuter Ölpreisschub nach oben in den letzten zwei Monaten.
    Über Wachstum wurde schon gesprochen. Wer sich umsieht, muß feststellen: Es gibt nirgendwo Patentrezepte. Es gibt sie nicht in den USA — ich sehe sie jedenfalls bisher nicht —, es gibt sie nicht in Großbritannien, es gibt sie auch nicht in Frankreich. Was wir von Japan lernen könnten — ich hätte es gerne dem Herrn Bundeswirtschaftsminister direkt gesagt; ich hoffe, es wird ihm gesagt —, ist wohl noch nicht hinreichend ausgelotet worden.
    Ich glaube, daß dem Bundeswirtschaftsminister Unrecht geschehen ist, als er wohl an die Adresse schöpferischer Unternehmung noch mehr als an die Adresse anderer gerichtet, die Frage aufgeworfen hat: Wie kann die Innovationskraft bei uns gestärkt werden? Da kann es ganz gewiß — ich denke, ich bin da mit Graf Lambsdorff einer Meinung — nicht ein Nachmachen geben, wohl aber die Notwendigkeit eines rascheren Nachdenkens darüber, was bei uns geboten, notwendig und möglich ist.
    In Wirklichkeit stehen wir — geben wir es zu — weiterhin vergleichsweise nicht schlecht da. Trotzdem gibt es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Die Vermutung spricht aber dafür, daß wir uns auch 1981 recht gut behaupten werden. Deshalb sollten wir uns vor Schwarzmalerei hüten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

    Dieses Land — das sage ich unseren Mitbürgern, nicht nur dem Hohen Hause — wird nicht im Elend versinken. Es gibt auch 1981 ganz gewiß Schlimmeres auf dieser Welt, als Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu sein.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich glaube, daß sich die Aufgaben der 80er Jahre bei weitem nicht allein mit den Rezepten der unmittelbaren Nachkriegszeit lösen lassen. Qualitativ neue Probleme verlangen auch nach neuen inhaltlichen Antworten. Ich will mich dazu auf drei Bernerkungen beschränken.
    Erstens. Wenn es heute gewichtige Argumente gegen Konjunkturprogramme gibt, dürfen wir uns doch nicht dem Wunderglauben hingeben, alles würde wieder von allein ins Lot kommen. Deshalb teilen wir die Auffassung von Finanzminister Matthöfer, daß uns die Sorge um die Arbeitsplätze nicht loslassen darf. Ich will übrigens einmal sagen: Die SPD ist nicht nur die Partei der Arbeitnehmer, also derer, die Arbeitsplätze haben, wir sind auch die Partei für die Arbeitslosen, also für die, die keine Arbeit mehr haben, in Zukunft aber neue Arbeit haben wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich füge hinzu, auch wenn die in früherer Zeit bewährten Instrumente jetzt nicht zur Verfügung stehen, kann es doch keinen Zweifel daran geben, daß hier ein Kernstück öffentlicher Verantwortung liegt, abgesehen von dem, was die Wirtschaft machen muß. Da sind Bund, Länder und Gemeinden angesprochen.
    Ich tadele ungern und denke gerade, wo es um Herrn Rommel geht, nicht an Tadel. Ich sage einem meiner möglichen Nachfolger im Amt des Präsidenten des Deutschen Städtetages: Ich weiß, wie schwierig es für viele Städte ist. Wenn man aber weiß, daß die Städte in der Gesamtheit ihrer heutigen Finanzverfassung im Schnitt besser dastehen als Bund und Länder, dann muß geprüft werden, ob es unausweichlich ist, daß die Gemeinden mit zusammengenommen 15 Milliarden DM weniger Investitionen



    Brandt
    ein negatives Konjunkturprogramm produzieren. Das ist aber nur ein Teil des Problems.
    Zweitens. Wir befürworten nach vorn weisende Lösungen, reformerische Bemühungen im Sinne des Grundgesetzes und den Ausbau der Bundesrepublik zu einem demokratischen und sozialen Bundesstaat. Wir sagen dies nicht zum erstenmal. Solche reformerischen Bemühungen sind nicht ausschließlich an Wachstumsraten gebunden. Da es insgesamt nicht mehr zu verteilen gibt, bedeutet dies in mehr als einem Fall, daß wir uns um so mehr — so gut wir es können — um ein Höchstmaß an Gerechtigkeit zu bemühen haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Den Mangel gerecht verteilen!)

    Eine dritte Orientierung. Wenn es wirtschaftlich schwieriger wird, dann sollte alles, was mit den Problemen Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitverantwortung im wirtschaftlichen Leben zusammenhängt, nicht auf die leichte Schulter, sondern wichtiger und ernster als bisher genommen werden. Wir müßten von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir hier das Rad zurückdrehen wollten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich denke dabei nicht allein an die Mitbestimmung in der Montanindustrie, obwohl wir das sehr ernst nehmen und überzeugt sind, daß sich bewährt hat, was Konrad Adenauer und Hans Böckler vor nunmehr fast auf den Tag 30 Jahren miteinander vereinbart haben. Mir liegt daran, in aller Loyalität deutlich zu machen: Wir haben bei den Koalitionsvereinbarungen skizziert, was jetzt für die Gesetzgebung ansteht. Wir haben nicht voll deckungsgleiche Auffassungen — wir hatten sie auch damals nicht, als wir der Regierung im Jahre 1951 zugestimmt haben — darüber, was weiter wird. Aber die Sozialdemokraten haben ihren freidemokratischen Partnern in aller Offenheit gesagt, was ich hier noch einmal sage: Das Gesetz, das wir von der Bundesregierung erwarten, betrachten wir nicht als ein einfaches Auslaufgesetz, sondern als ein Sicherungsgesetz.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen uns, weil j a bis 1987 Zeit ist, darum kümmern, welche Möglichkeiten, welche Notwendigkeiten einer Anschlußgesetzgebung es dann geben wird.
    Aber viel wichtiger als dies ist für mich — da gibt es keine Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition und, ich glaube, auch nicht mit großen Teilen in der CDU — folgendes: Es ist von ganz großer Bedeutung, daß die Thematik, bei der ich jetzt bin, nicht unnötig eingeengt wird. Wir Sozialdemokraten wünschen zwei Dinge auseinanderzuhalten: Wir sind, wie jedermann auf Grund unseres Prinzipienprogramms weiß, im großen und ganzen — ein bißchen mehr so, ein bißchen mehr so — für ein paritätisches Modell in der Großwirtschaft. Aber wir Sozialdemokraten — dafür zeugt unser ganzer politischer Weg — sind zugleich für alle mehrheitsfähigen Schritte, die mehr Mitwirkung, mehr Mitverantwortung zu Wege bringen, und dieses nicht auf ein einziges Modell bezogen, sondern auf das, was praktikabel ist und was insgesamt in so schwierigen Zeiten dazu beitragen kann, daß es nicht mehr Streit, sondern, wo es geht, mehr Zusammenarbeit gibt zwischen denen, die gemeinsam die Wirtschaft ausmachen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe gesagt, auch wenn es eine Binsenwahrheit ist, die Welt sei in einem rasanten Wandel. Ich füge hinzu: Vieles, was um uns herum geschieht, scheint ohne Orientierung zu sein, und hieraus ergeben sich zu einem guten Teil die Ratlosigkeit, die Ohnmachtsgefühle, die Neigung zum Pessimismus, die uns vielerorts begegnen.
    Was hat sich seit dem November schon wieder alles verändert! •

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das ist wahr! — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Bravo!)

    — Nicht die Kritik von Herrn Strauß. Die ist über die Jahre hinweg etwa gleich geblieben. Aber in der Welt: neuer Präsident in den USA, neue Entwicklungen im Nahen Osten;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Neuer Regierender Bürgermeister in Berlin!)

    Krise in Polen dauert an!

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Zersetzung der SPD!)

    Meine Damen und Herren, dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten gelten unsere guten Wünsche, ohne daß wir sagen könnten, daß seine Antworten auch einfach unsere Antworten sein können. Ein Bündnis ist dazu da, daß man gemeinsame Antworten findet.
    Wir freuen uns von Herzen mit dem amerikanischen Volk darüber, daß die Geiseln wieder zu Hause sind.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Aber der Krieg zwischen Iran und Irak dauert an, und ob es wirklich sonst neue friedensregelnde Chancen im Mittleren und Nahen Osten gibt, bleibt offen.
    Was die Krise in Polen angeht, so ist im Laufe der Monate, die hinter uns liegen, immer deutlicher geworden, daß man auf einer falschen gedanklichen Schiene war, wenn man dies zu einem Unterkapitel des Ost-West-Konflikts machen wollte. Wir können, verehrte Kollegen, nur dringend hoffen, daß das polnische Volk selbst mit seinen schweren Problemen fertig wird und sein neues inneres Gleichgewicht findet, Polens und Europas wegen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich könnte eine Vielzahl von Faktoren nennen und müßte auch ergänzen, was sich für uns damit an neuen offenen Fragen verbindet. Ich will mich statt dessen auf drei Fragen beschränken:
    Erstens. Was wird aus den Beziehungen zwischen den Weltmächten? Was wird aus Ost und West? Was wird aus dem bisherigen ergebnislosen Bemühen um eine Begrenzung der Rüstungen?
    Zweitens. Was wird aus Europa?



    Brandt
    Drittens. Was wird aus Nord und Süd, aus Welthunger und der objektiven Notwendigkeit, die Beziehungen zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern auch in unserem eigenen Interesse neu zu regeln, was mehr bedeutet als Entwicklungshilfe?
    Zur ersten Frage. Wir haben uns zu Ost-West in der Debatte über die Regierungserklärung geäußert. Wir sehen keine Notwendigkeit, unseren Standpunkt zu modifizieren. Wir wissen um die entscheidende Bedeutung der amerikanischen Politik für Europa, für die Bundesrepublik. Wir tun gut daran, uns sorgfältig zu orientieren und uns auf das einzustellen, was sich als amerikanische Politik herausbildet. Ich will auch nicht alte antiamerikanische Zitate von Herrn Strauß herausgreifen, die es ja gibt; das wollen wir alles beiseite lassen. Dabei — zusätzlich zu dem, was ich eben gesagt habe — bleibt dann auch unser überragendes Interesse an Verhandlungen und Vereinbarungen von zentraler Bedeutung. Hier hat heute morgen der bayerische Ministerpräsident meinem Kollegen und Freund Karsten Voigt Unrecht getan. Was hat denn Voigt an Fragen aufgeworfen? Voigt hat gesagt, oder er hätte sagen können,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    wenn er noch eingehender argumentiert hätte: Wer sich mit dem SALT-Abkommen vertraut gemacht hat, weiß, daß eines seiner Protokolle Ende des Jahres 1981 ausläuft und sich daraus inhaltlich etwas ganz Wichtiges für das ergibt, was mit den Waffen in Europa zusammenhängt. Er hat zweitens gesagt: Was ergeben sich, wenn das globale Gleichgewicht, von dem man hoffte, es würde durch SALT II festgeschrieben, dort nicht festgeschrieben wird — bisher wird es j a quasi durch adäquates Verhalten festgeschrieben —,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] und Dr. Marx [CDU/CSU]: Aber nur auf einer Seite!)

    dann für Konsequenzen in bezug auf das regionale Gleichgewicht?
    Ich hoffe — jenseits aller Polemik —, daß es für beide Weltmächte nach einer nicht zu langen Übergangszeit Möglichkeiten geben wird, an das anzuknüpfen, worüber im Oktober und November vergangenen Jahres in Genf ohne Beteiligung der Öffentlichkeit vorberaten worden ist. Ich hoffe übrigens auch nicht, daß das verkümmert, worüber jahrelang in Wien beraten worden ist und zur Zeit in Madrid weiter gesprochen wird.
    Nur muß eines klar bleiben: Einen kurzen Weg auf diesem unendlich schwierigen, zugleich lebenswichtigen Gebiet der Rüstungsbegrenzung gibt es nicht. Ein einseitiges Vorgehen, j a einen einseitigen Ausstieg gibt es für uns als Bundesrepublik Deutschland schon gar nicht, sondern es gibt — ob es uns Spaß macht oder nicht — nur solche Wege, die wir mit unseren Bündnispartnern, vor allem mit unseren europäischen Partnern, gemeinsam gehen können.
    Es gibt in unserem Volk und bei einem Teil der jungen Generation verständliche Sorgen. Es wäre doch ein Wunder, wenn sich das nicht auch bei den
    Beratungen von Kollegen dieses Hauses widerspiegelte: Es geht nicht, solche Sorgen, wie ich sie in einer großen Frankfurter Zeitung gelesen habe, als Abrüstungspazifismus fast lächerlich zu machen oder, wie es Herr Strauß heute früh mit seiner Rede über pazifistische Ideologie und pazifistischen Neutralismus getan hat, über die tiefernste, todernste Problematik hinwegzugehen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir sind in diesem Deutschen Bundestag hoffentlich alle miteinander keine Militaristen. Wir wären hoffentlich alle miteinander von Herzen glücklich, wenn wir in der praktischen Politik und nicht nur in der Gesinnung Pazifisten sein könnten.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Übrigens, Herr von Weizsäcker: Auf einem Gebiet ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen. Sie haben unter dem Rubrum „Aufweichungserscheinungen" Sozialdemokraten in einigen kleineren NATO-Ländern genannt, an erster Stelle die in Norwegen. Lieber Herr von Weizsäcker, wissen Sie, bei wieviel innenpolitischer Diskussion die norwegische Regierung ein Abkommen über die amerikanischen Depots vor 14 Tagen durchgesetzt hat? Das geht über das hinaus, wozu sie verpflichtet war. Sie hat doch eine große Anstrengung gemacht. Wenn der sozialdemokratische norwegische Ministerpräsident zu der vom finnischen Präsidenten vorgeschlagenen atomwaffenfreien Zone für die nordischen Länder nicht sagt: „Nein, das geht nicht", sondern sagt: „Wenn die Kola-Halbinsel und die Ostsee einbezogen werden könnten, dann könnte man über die Sache weiterdiskutieren", dann darf man das, bitte schön, nicht unter die Rubrik „Aufweichungstendenzen" bringen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir deutschen Sozialdemokraten stehen, wie die Welt aussieht, zu den Verpflichtungen unseres Staates im Bündnis. Wir stehen zu der Rolle, die die Bundeswehr für die Politik der Friedenssicherung zu spielen hat.
    Ich füge hinzu: Auch der Verteidigungshaushalt ist nicht sakrosankt. Er steht nicht außerhalb dessen, was durch ein Parlament kritisch zu begleiten ist. Aber eine Bundessparkasse ist er nicht. So sieht die Welt nicht aus.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist der echte Willy Brandt!)

    Ich bekunde für meine Fraktion gerade heute und in dieser Situation unsere Verbundenheit mit dem Bundesverteidigungsminister Hans Apel.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Wir werden ihn nicht alleinlassen, auch dann nicht, wenn es einmal schwierig ist. Wir wissen: Er ist Manns genug, für schwierige Dinge die politische Verantwortung zu übernehmen und das in Ordnung zu bringen, was in Ordnung gebracht werden muß. Wir wünschen ihm jeden möglichen Erfolg dabei.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)




    Brandt
    Was Europa angeht: Was der Bundesfinanzminister über die Agrarprobleme gesagt hat, war aus meiner Sicht gut. Er hat am vorigen Freitag zu Recht auf die Notwendigkeit einer nach innen und außen handlungsfähigen Europäischen Gemeinschaft hingewiesen und den engen Zusammenhang deutlich gemacht, der zwischen den knapper gewordenen Gemeinschaftsmitteln und den lawinenartig ansteigenden Kosten für die gemeinsame Agrarpolitik besteht. Soll die Gemeinschaft nicht an ihren Butterbergen und Zuckerhalden ersticken, so muß die Reform des Agrarmarkts noch in diesem Jahr auf den richtigen Weg gebracht werden. Jedenfalls müssen die ersten Schritte dazu getan werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Die neue EG-Kommission unter Vorsitz von Herrn Thorn steht in der Pflicht, bis Mitte 1981 entsprechende Vorschläge zu machen. Danach wird es in starkem Maß gerade auch von der Bundesregierung abhängen, ob im Ministerrat ein angemessener Ausgleich der unterschiedlichen nationalen Interessen gefunden werden kann. Erst wenn die Möglichkeit einer wirksamen Umstrukturierung des EG-Haushalts besteht, ergibt sich aus meiner Sicht ein Sinn, über eine künftig durchaus einmal notwendig werdende Ausweitung des bestehenden Finanzrahmens der Gemeinschaft zu sprechen, eher nicht.
    Meine Damen und Herren, sodann auch anknüpfend an das, was der Bundesfinanzminister am Freitag gesagt hat: Festigung und weiterer Ausbau der Europäischen Gemeinschaft. Das wirft die Frage nach den Institutionen auf. Es wirft auch die Frage nach der Rolle des Europäischen Parlaments auf. Man kann nicht — nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich es ein bißchen spitz formuliere — ein Europäisches Parlament direkt wählen lassen

    (Zuruf des Abg. Broll [CDU/CSU])

    und dann meinen, man könne es mit den dekorativen Befugnissen eines Obersten Sowjets abspeisen.

    (Wehner [SPD]: Leider sehr wahr!)

    Was es aus Anlaß der Haushaltsbeschlüsse im Dezember in einigen Ländern, nicht in der Bundesrepublik Deutschland, an Formulierungen gab, mag zur Not aus den Bedürfnissen des französischen Wahlkampfes erklärt werden können. Es ändert aus meiner Sicht nichts an der Rechtmäßigkeit des von Frau Simone Veil ausgefertigten Haushalts der Gemeinschaft. Im übrigen täten alle Regierungen gut daran, die letzte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs anzuschauen, der sich über das künftige Verhältnis zwischen Rat und Europäischem Parlament deutlich äußert. Wenn man keinen Streit will, dann sollte das Konzertierungsverfahren zwischen Parlament und Rat verbessert werden, denn nur wenn dieses Konzertierungsverfahren verbessert wird, werden der Gemeinschaft unnötige Belastungen erspart.
    Ich höre weiter, was der Bundesaußenminister und Vizekanzler zum Thema der politischen Union aktualisiert. Ich denke, ich bin mit ihm einer Meinung: Das kann nicht eine Union der Bürokratien sein. Das muß alle Institutionen der Gemeinschaft umfassen und für die etwas bedeuten, die Europa tragen sollen, die Menschen in unseren Ländern. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Konturen dessen, was die Regierung hier im Köcher hat, klarer würden. Dabei würde ich es aus mehrfachen Gründen für im höchsten Maße erwünscht halten, wenn die gesamteuropäischen Probleme, aber auch die der Nord-Süd-Politik weit mehr als bisher zum Gegenstand gemeinsamer Beratungen und Entscheidungen würden. Ich wünsche der Regierung gerade auf diesem Gebiet viel Mut und Beharrlichkeit und sage zu, daß wir bemüht sein werden, sie durch konstruktive Beiträge zu unterstützen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Drittens: Nord-Süd. In der Rede von Herrn Matthöfer war der zunächst überraschende Satz: Trotz allem, was wir da kennen, müssen wir die Entwicklungsländer ermutigen, zu investieren, gerade wo es um Energie geht. Ich sage jetzt einmal: Zu dem wenigen Erfreulichen, was im letzten Jahr passiert ist, gehört, daß es vielleicht doch möglich sein wird, als Teil der Weltbankgruppe ein Finanzierungsinstitut für die Erschließung und Entwicklung bisher ungenutzter Energien in den Entwicklungsländern zu schaffen. Bis vor wenigen Jahren hat es mächtige Kräfte gegeben, die interveniert haben, wenn so etwas von der Weltbank gemacht werden sollte. In manchen Ländern steht viel Energie zur Verfügung, in manchen afrikanischen Ländern mehr, als sie selbst brauchen, um vom Öl unabhängig zu werden.
    Ich habe mir auch genau gemerkt, was gegen Schluß der Rede des Bundesfinanzministers — und über die sprechen wir in einer solchen Debatte ja in erster Linie -- in einem Passus steht: Wir sollen, wollen, müssen helfen, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Unabhängigkeit der Völker der Dritten Welt langfristig zu sichern, müssen die demokratischen Reformkräfte stärken und jedes Vormachtstreben ablehnen. Das ist eine gute Orientierung, so schwierig das ist. Das gilt dann auch für Zentral- und für Südamerika. Ich komme in diese Sitzung von einem Gespräch -mit einer Gruppe aus Brasilien, die ihrer Herkunft nach eher bei den Christlich-Sozialen als bei den Sozialdemokraten anzusiedeln . ist und die mir noch einmal klargemacht hat, wie sehr diesen Ländern daran liegt, ihren eigenen Weg zu finden — nicht unseren Weg einfach zu übernehmen; wir wollen j a auch unseren eigenen Weg gehen. Hier bleibt für uns eine riesige Aufgabe.
    Ich habe dieser Tage einen interessanten Bericht gelesen, der mich nachdenklich gestimmt hat. Das ist ein Bericht von dem, was der Außenminister Muskie — den manche von uns schon ganz gut kannten, als er noch Senator war — wenige Tage vor seinem Rücktritt gesagt hat, gewissermaßen seine Bilanz. Dort heißt es:
    Muskie hatte zur Überraschung seiner großen Zuhörerschaft in Washington ein in den USA eher unpopuläres Thema gewählt, nämlich die Beziehungen zur Dritten Welt und die Bedeutung des Auswärtigen Dienstes.



    Brandt
    Das zweite lasse ich jetzt einmal weg. Ich bestreite nicht die Bedeutung des Auswärtigen Dienstes, aber ich nehme einmal das erste, und da zitiere ich diesen verdienten, erfahrenen, langjährigen Senator, der dann kürzere Zeit Außenminister war, weil er seinen Präsidenten nicht allein lassen wollte:
    Durch die Unabhängigkeit zahlreicher Entwicklungsländer habe sich die Machtverteilung in der Welt nicht zugunsten der Supermächte, sondern zugunsten der Dritten Welt verschoben. Die amerikanische Außenpolitik müsse endlich beginnen, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen.
    Er führt das dann im einzelnen aus, und dann kommt die folgende Passage:
    Als Konsequenz dieser Entwicklung stellte Muskie fest, daß Waffen und eine ausreichende Verteidigung allein keine Antwort seien. Erforderlich sei vielmehr, daß die Industrieländer mehr Verständnis für die Aspirationen der Länder der Dritten Welt und umgekehrt die Dritte Welt mehr Verständnis für die Industrienationen aufbrächten.
    Als ich dies und das, was sonst noch drin stand, las, habe ich mich gefragt — auch selbstkritisch —: Warum müssen Regierungschefs und Außenminister erst aus dem Amt ausscheiden, bevor sie die volle Bedeutung der Nord-Süd-Probleme erkennen? Ich sage dies nicht nur an die Adresse anderer,

    (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: An die Adresse unseres Außenministers! — Lachen bei der CDU/CSU)

    aber ich nehme dies einmal als aktuellen Aufhänger. — Ich finde nicht, daß das etwas zum Lachen ist.
    In Wirklichkeit ist es doch so: Jeder der Beteiligten hat so schrecklich viel zu tun, daß diese neue Dimension der Weltpolitik noch nicht voll zum Tragen kommt, was j a schon in der Terminologie zum Ausdruck kommt. Wir sprechen immer noch von „Entwicklungshilfe", wo es längst um Entwicklungspolitik geht; Hilfe spielt dabei mit eine Rolle.

    (Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/CSU)

    — Das scheint einer lustig zu finden. Das ist dem Inhalt nach etwas völlig anderes. Wenn Sie das nicht begreifen, dann tut mir das herzlich leid.
    Es gilt nämlich, herauszufinden, was uns zu beschäftigen hat, nicht nur aus mitmenschlichem Interesse, sondern auch auf Grund eines gesunden Eigeninteresses, auf Grund eines Versuches, die beiderseitigen Interessen herauszuarbeiten, und auf Grund des — hoffentlich überragenden — beiderseitigen Interesses am Überleben.
    Meine Damen und Herren, da hat es jetzt manches gegeben über Diskussionen in der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion,

    (Broll [CDU/CSU]: Das wird alles erfunden sein!)

    über die Frage: Läßt sich — und wenn j a, auf welche
    Weise — die Thematik der Rüstung mit der der Entwicklung koppeln? Wir haben in dieser Debatte unsere Kollegen, die diese Frage aufgeworfen haben, weitgehend davon überzeugt, daß dies isoliert eben nicht geht, sondern daß die deutsche Politik ansetzen muß, um weltpolitisch die Voraussetzungen dafür schaffen zu helfen, daß, wenn es irgend geht, noch in den 80er Jahren, sonst in den 90er Jahren, die Möglichkeit da ist zu sagen: Weil Rüstungen begrenzt werden, kann ein Teil dessen, was sonst zusätzlich für Rüstungen aufgewendet würde, für Zwecke der Entwicklung eingesetzt werden. Das ist die Linie unserer Diskussion. Die Zielrichtung dessen, was eine Reihe von Kollegen bei uns auf geworfen haben, ist doch nicht falsch. Sie ist doch richtig.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich lasse meine Kollegen, die auf diesem Gebiet ungeduldiger sind als andere, nicht verdächtigen, was ihre Motive angeht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich gebe sie keiner bösartigen Kritik preis; denn das haben sie nicht verdient.
    Im übrigen begrüße ich, daß die Bundesregierung so deutlich gemacht hat, wie sie es getan hat, daß sie keine überstürzten Entscheidungen zur Frage der Waffenexporte fällen werde. Ich mache mir das nicht leicht. Ich sage nur schon jetzt: Zu meinen, man habe das Problem beantwortet, wenn man sage, man müsse andere Kriterien durch die Definition des jeweiligen nationalen Interesses ersetzen, könnte dem Einwand einiger begegnen, die sagen, bis zum Beweis des Gegenteils liege es im nationalen deutschen Interesse, so wenig wie möglich in das internationale Waffengeschäft verstrickt zu werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, unsere Auseinandersetzungen gewännen an Tiefe und an Ernst, wenn wir uns einmal vorstellten, was in zehn Jahren diejenigen sagen werden, die heute acht Jahre alt sind und dann im Wahlalter stehen. Sie werden sich fragen: Haben die sich damals im Jahre 1981 die richtigen Alternativen gestellt? Wer von denen hat — so mögen manche von ihnen dann fragen — noch am ehesten erkannt, was dann in den kommenden Jahren wirklich wichtig geworden ist? Wer von den damaligen politischen Kräften — also den heutigen — hat sich der Themen angenommen, die heute für uns wichtig sind? Welche der politischen Kräfte in unserem Land hat es sich eigentlich mit sich selbst und damit mit den Problemen, die uns im Jahre 1981 betreffen, schwerer gemacht als andere?
    Ich weiß die Antwort auch nicht. Ich bin kein Hellseher. Aber ich bin aus meiner Lebenserfahrung heraus zuversichtlich, das diejenigen, die es sich heute schwer machen, vielleicht zu denen gehören, die für die Bürger des Jahres 1991 auch was erreichen.
    Nicht zuletzt aus diesem Mut zur politischen Unbequemlichkeit hat übrigens die Koalition zwischen den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten ursprünglich Kraft gewonnen und kann sie diese



    Brandt
    Kraft hoffentlich noch eine ganze Weile immer wieder neu gewinnen.
    Meine Damen und Herren, wir tun unserem Volk keinen guten Dienst, wenn wir den Eindruck erwekken, es gäbe einfache Antworten. Aber die Menschen sollen wissen: Diese unsere Regierung Helmut Schmidt mit dem Vizekanzler und Außenminister Hans-Dietrich Genscher

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Lebe hoch!)

    wird sich darum bemühen, ihre stetige und berechenbare und zukunftsorientierte Politik fortzusetzen.

    (Windelen [CDU/CSU]: Wie bisher!)

    Und sie wird dabei, auch wenn es noch so schwer ist und wird, unsere volle Unterstützung haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Hurra!)

    Und dann auch noch dies, meine Damen und Herren:

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Die Abgeordneten erheben sich und singen die Internationale!)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der wirklich stabilen Elemente der Weltpolitik.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Es ist gut, wenn es in schwieriger Zeit hier im Haus und anderswo mehr Bereitschaft gibt, aufeinander zu hören.
    Es bleibt meiner Überzeugung nach dabei, daß die sozialliberale Koalition geeignet ist, für die Stabilität im Innern und für die Sicherheit nach außen zu sorgen. Das wollen wir dann auch tun. — Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP)